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Der deutsche Bibelforscher Constantin von Tischendorf machte Mitte des 19. Jahrhunderts einen sensationellen Fund. Nach Jahren abenteuerlicher, mühsamer und gefährlicher Suche entdeckte er im uralten Katharinenkloster mitten in der Sinai-Wüste einen Stapel Pergamentblätter. Dieser »Codex Sinaiticus« aus dem 4. Jahrhundert enthält das älteste jemals entdeckte, vollständige Neue Testament – und auch Passagen, nach denen man in der heutigen Bibel vergeblich sucht. Tischendorf brachte große Teile des Codex 1859 nach Europa. War es eine Rettungsaktion oder ein Kunstraub?
Jürgen Gottschlich ist auf den Spuren Tischendorfs gereist und nimmt den Leser mit auf ein geistiges wie emotionales Abenteuer durch 2000 Jahre Kulturgeschichte – bis zur Digitalisierung des Codex im Jahr 2009.
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Seitenzahl: 302
Jürgen Gottschlich
Der Bibeljäger
Die abenteuerliche Suche nach der Urfassung des Neuen Testaments
Ch. Links Verlag, Berlin
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
1. Auflage 2012 (entspricht der 2. Druck-Auflage von 2010)
© Christoph Links Verlag GmbH, 2010
Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0 www.christoph-links-verlag.de; [email protected]
Umschlaggestaltung: KahaneDesign, Berlin, unter Verwendung eines Fotos vom Katharinenkloster, etwa 1870 (Matson Photograph Collection / Library of Congress, Washington)
eISBN: 978-3-86284-110-3
Inhalt
Vorwort
Das Wüstenkloster
Der lange Weg zu den Mönchen in der Wüste Sinai
Konstantin, der Stifter
Die christliche Kirche im Römischen Reich und die Ursprünge der Bibel
Der Getriebene
Constantin Tischendorf auf der Suche nach dem Urtext des Neuen Testaments
Die letzten Byzantiner
Das Leben der Wüstenmönche hat sich in 1500 Jahren kaum verändert
Durch die Wüste
Tischendorf wandelt auf den Spuren von Moses durch den Sinai
Der heilige Berg
Der Ort, wo Gott ganz nah ist
Der Fund
Das Geheimnis aus dem Bastkorb
Im Auftrag des Zaren
Kunstraub oder Rettung der Urbibel
Das Buch der Bücher
Vom Pergament zum Internet:www.codexsinaiticus.net
Am Anfang war das Wort
Der Codex Sinaiticus und die Entstehung der Bibel
Anhang
Constantin von Tischendorfs Lebenslauf
Anmerkungen
Literatur
Abbildungsnachweis
Dank
Vorwort
Es begann mit einem Besuch in einem Antiquariat im Istanbuler Stadtteil Kadiköy. Beim Stöbern unter den verstaubten englisch- und deutschsprachigen Büchern fiel mir ein Bändchen mit dem schlichten Titel: »Tischendorf-Erinnerungen« in die Hände. Es ist ein euphorischer Bericht des deutschen Missionars Ludwig Schneller über seinen Schwiegervater Constantin von Tischendorf. Demzufolge war Tischendorf ein begnadeter Wissenschaftler, ein großer Deutscher und ein wahrer Christ, der, wäre er Katholik und nicht Protestant gewesen, unbedingt in den Stand eines Heiligen versetzt gehörte.
Trotz dieser Lobhudeleien blieb ich an dem Stück Erbauungsliteratur von 1954 hängen. Denn offenbar war Tischendorf Mitte des 19. Jahrhunderts tatsächlich eine wissenschaftliche Sensation gelungen. Nach Jahren abenteuerlicher, mühsamer und nicht zuletzt gefährlicher Suche entdeckte er in einem uralten Kloster mitten in der Sinai-Wüste in Ägypten einen Stapel alter Pergamentblätter, auf denen weite Teile des Alten Testaments und das bis heute älteste jemals entdeckte vollständige Neue Testament handschriftlich verzeichnet sind. Der Codex Sinaiticus aus dem 4. Jahrhundert n. Chr., den Tischendorf 1859 nach Europa brachte, bedeutete damals einen Meilenstein in der Erforschung der Entstehungsgeschichte der Bibel.
Trotzdem hatte ich noch nie von Tischendorf gehört. Wer war dieser Mann wirklich, und welche Relevanz hatte sein Fund? Die Figur reizte mich, ich beschloss, diesen Fragen nachzugehen und erlebte dabei selbst ein intellektuelles und emotionales Abenteuer. Ich fuhr in den Sinai und lernte eine völlig andere Welt kennen, in einem der ältesten Klöster überhaupt, in dem seit 1500 Jahren ununterbrochen von Mönchen bewohnten Katharinenkloster – eine Welt, die in der Abgeschiedenheit der Wüste nach Regeln und Ritualen aus der Frühgeschichte des Christentums lebt und bis heute Hort uralter handschriftlicher Manuskripte aus der Frühzeit des Buches ist.
Dabei erfuhr ich bald, dass Tischendorf im Sinai durchaus nicht als die Lichtgestalt gesehen wird, als die sein Schwiegersohn Ludwig Schneller ihn dargestellt hat. Für die Mönche ist er vielmehr bis heute derjenige, der ihnen ihr wertvollstes Manuskript entwendet hat – ausgeliehen nach St. Petersburg an den Hof des Zaren, aber nie zurückgegeben.
Später von Stalin an die Briten verkauft, ist der Codex Sinaiticus heute eines der Prunkstücke in der Sammlung der British Library. Damit gehört der Codex Sinaiticus in die Reihe antiker Kunstwerke, deren Rückgabe aus den Beständen europäischer und amerikanischer Museen von den Herkunftsländern immer massiver gefordert wird. Kunstraub oder Rettung einmaliger Kulturgüter – auch wenn diese Frage bei dem Codex Sinaiticus, der berühmten Plastik der ägyptischen Königin Nofretete oder dem Parthenon-Fries der Athener Akropolis nicht immer ganz leicht zu entscheiden ist, Ägypten und Griechenland wollen ihre Schätze genauso zurück wie die Mönche vom Katharinenkloster in der Sinai-Wüste. Moderne Forschung hat bestätigt, dass der Codex Sinaiticus um das Jahr 350 geschrieben wurde, vielleicht sogar auf Anweisung des berühmten Kaisers Konstantin, der im Römischen Reich erstmals die bis dahin verfemte und verfolgte Sekte der Christen gegenüber den anderen Religionen privilegierte und damit dem Christentum den Weg zur Weltreligion ebnete.
Doch der Codex Sinaiticus, diese Bibel des Kaisers, enthält Teile im Neuen Testament, nach denen man heute vergeblich sucht. Sie wurden später, auf dem Weg zur endgültigen Form der Bibel, aussortiert. Das Buch der Bücher ist kein Buch aus einem Guss. Das zeigt der Codex besonders deutlich, weil an ihm immer wieder Veränderungen vorgenommen wurden, die den jeweiligen Stand der theologischen Betrachtung deutlich machen. Das heilige Buch der Christen entstand in einem Prozess, der sich über mehrere Jahrhunderte hinzog. Als die Aufklärung zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch in der Theologie wirkte und auch die Bibel kritisch hinterfragt wurde, stellte sich bald heraus, dass das Neue Testament eine komplexe, bis heute immer noch nicht vollständig erforschte Entstehungsgeschichte hat. Für Tischendorf waren die Zweifel an der Bibel jedoch schiere Blasphemie. Um die Kritiker zum Schweigen zu bringen, wollte er den verschütteten Urtext des Neuen Testaments, das verlorene Wort, wiederfinden und neu zur Geltung bringen.
Tischendorf war von dieser Mission geradezu besessen. Aus seinem persönlichen Nachlass, den ich in der Universitätsbibliothek Leipzig einsehen durfte, lässt sich ein Leben rekonstruieren, in dem Familie, aber auch Kollegen der Universität in Leipzig ausschließlich seinem Ehrgeiz und seinem großen Lebensziel untergeordnet wurden. Um seine Mission erfüllen zu können, suchte und fand er Unterstützung beim fundamentalistischen Klerus und der reaktionärsten Monarchie Europas, dem russischen Kaiserhof. Ihm gelangen in jahrelanger aufopferungsvoller Arbeit Entschlüsselungen alter griechischer Handschriften, an denen vor ihm jeder gescheitert war. Er war eitel, aber er stellte sein Leben auch rückhaltlos in den Dienst seiner Mission.
Politisch war Tischendorf durch und durch konservativ. Er kämpfte gegen die Aufklärung und gegen die republikanische Bewegung in Deutschland. Er war Mitglied der 1846 gegründeten weltweiten »Evangelischen Allianz«, einem Zusammenschluss protestantischer Kirchen, die sich gegen die Infragestellung der Bibel und die zunehmende Säkularisierung wandten. Tischendorf gehörte damit theologisch und politisch zu den Vorläufern der heutigen evangelikalen Bewegung.
Der Codex Sinaiticus, den er im Katharinenkloster in der Sinai-Wüste entdeckte und damit womöglich vor einer langsamen Vernichtung bewahrte, ist inzwischen Gegenstand eines einmaligen wissenschaftlichen Pilotprojektes geworden. Um die geretteten Pergamentblätter des Codex, die sich heute in London, Leipzig, St. Petersburg und im Sinai-Kloster befinden, wieder zusammenzuführen, startete die British Library im Jahr 2001 das Projekt, eines der ältesten Bücher der Welt ins Internet zu stellen. Nach viel diplomatischer Vorarbeit begannen 2005 die Arbeiten zur Digitalisierung und Transkription des Codex. 2009 wurde im Rahmen einer großen internationalen Konferenz in London der Startknopf gedrückt. Die älteste Bibel der Welt war im Netz. Innerhalb weniger Minuten brachen die Server zusammen, weil Millionen Menschen auf die Seiten zugreifen wollten. Diese Probleme sind derweil behoben. Unter www.codexsinaiticus.net kann jedermann nun problemlos anschauen, wofür andere ihr Leben lang gekämpft haben.
Das Wüstenkloster
Der lange Weg zu den Mönchen in der Wüste Sinai
Kairo
Es ist zwei Uhr nachts. Der alte Kairoer Airport, ein schon tagsüber unwirtlicher Ort, ist fast völlig verwaist. Ein paar vergammelte Bänke sind alles, was der Ankunftsterminal zu bieten hat. Lediglich eine Handvoll Taxifahrer und einige Touristenschlepper halten die Stellung – wohl mehr aus Gewohnheit als in der Hoffnung, hier tatsächlich noch ein Geschäft zu machen. Nachdem ein letztes Flugzeug gelandet ist und die Reisenden in die Kairoer Nacht entlassen werden, gehen am Ankunftsterminal buchstäblich die Lichter aus. Da ich mein Hotel erst ab Mittag beziehen kann, wollte ich eigentlich ein paar Stunden in einem Café am Airport verbringen, um dann im Licht der aufgehenden Sonne in die Stadt zu fahren. Doch daraus wird nun nichts. Es gibt kaum etwas Unangenehmeres, als in einem fremden Land mitten in der Nacht in eine fremde Stadt aufbrechen zu müssen. Vor allem, wenn die Stadt auf einem unbekannten Kontinent liegt und man mit den Gepflogenheiten vor Ort nicht vertraut ist. Unwillkürlich kommen Fragen in einem auf: Ist dieser Taxifahrer wirklich ein Taxifahrer, oder endet die Fahrt in der Dunkelheit eines ägyptischen Slums?
Ängste, die ein Stadtmoloch heraufbeschwört, der tagsüber ein brodelndes Chaos ist und nachts, in seiner ganzen Unübersichtlichkeit, dem steten Wechsel von Autostraßen und engen, unbeleuchteten Gassen, leicht zum Alptraum wird. Kairo, das Herz der muslimischen Welt, mehr ein Aggregatzustand als eine fassbare Metropole, ist durchaus dazu angetan, einen Europäer zu irritieren. Dabei komme ich gar nicht aus der geordneten Langeweile von Stuttgart oder Hannover, sondern aus Istanbul, selbst eine wuchernde 15-Millionen-Metropole mit ganz überwiegend muslimischer Bevölkerung, die allerdings im Vergleich zu Kairo wie eine westeuropäische Musterkommune wirkt. Schemenhaft ziehen am Autofenster Minarette vorbei, völlig heruntergekommene Wohnblocks wechseln sich ab mit ehemals zauberhaft anmutenden orientalischen Schlösschen, deren Glanzzeit aber längst vergangen ist. Richtig zu erkennen ist wegen der diffusen Beleuchtung sowieso kaum etwas. Der Taxifahrer hat bestenfalls eine ungefähre Vorstellung davon, wo das Hotel, dessen Adresse ich ihm in die Hand gedrückt habe, sein könnte. Immer wieder hält er an und erkundigt sich bei verwegen aussehenden Gestalten, die sich vor den letzten geöffneten Teehäusern herumdrücken, nach dem Weg. Immerhin scheint es so, dass er tatsächlich die Absicht hat, mich an der angegebenen Adresse abzuliefern.
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