Der Corona-Idiot - Markus Reich - E-Book + Hörbuch

Der Corona-Idiot E-Book und Hörbuch

Markus Reich

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Beschreibung

»Doch wer ist nun dieser "Corona Idiot"? Auf den ersten Blick ist es der Schriftsteller Clemens, der in mehrerlei Hinsicht seine Heimat verliert, dann Sarah begegnet und mit ihr als Gefährtin durch eine unwirkliche Zeit wandert.« Südkurier »Hilflosigkeit, Angst und Entzweiung, aber auch Liebe und Zusammenhalt werden in knapper, genauer Sprache geschildert.« QLT »Schon zu Beginn der Lektüre hat man das eigenartige Gefühl einer Zeitreise. Wie Reich den Jahresanfang unmittelbar vor Ausbreitung des Virus nach Europa beschreibt, wirkt eigenartig vertraut und fremd zugleich.« Schwarzwälder Bote »Und plötzlich war die Grenze zu.« Konstanzer Anzeiger

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Seitenzahl: 140

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Zeit:3 Std. 33 min

Sprecher:Georg Melich
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Inhalt

Nachrichten

Tigerkäfig

Der Spaziergänger

Die Verschwörungstheoretiker

Sarah

Am Grenzzaun

Die Verlassene

Die Flucht

Abschied

Stellt einer die Behauptung auf, die Erde sei ein Würfel, so denkt er ohne Zweifel unabhängig. Allerdings auch falsch.

Hans Kasper

Wer nicht auf seine Weise denkt, denkt überhaupt nicht.

Oscar Wilde

Die Demokratie muss dem Schwächsten die gleichen Chancen zusichern wie dem Stärksten.

Mahatma Gandhi

Im ersten Lockdown geschrieben und im August 2020 veröffentlicht. Somit ein Zeitdokument und wahrscheinlich der erste Corona-Roman dieser Pandemie.

Nachrichten

Wenn ich zurückblicke, ist es unvorstellbar, wie wir im Januar des Jahres 2020 zwar gebannt, aber dennoch gelassen auf dem Sofa saßen und die Ereignisse im fernen China verfolgten. Als wäre unsere Welt für immer vor solchen Katastrophen sicher. Wir waren der unerschütterlichen Meinung, dass, falls je eine Veränderung käme, diese nur von uns selbst herbeigeführt sein könnte. Eine Umgestaltung unseres Lebens durfte es ausschließlich aus einem Grund geben – weil wir das so wollten. Welch verhängnisvoller Irrtum! Wenige Monate nach den Phasen des intensiven Nachrichtenschauens wurde auch in Europa alles auf den Kopf gestellt.

Jeden Abend saßen wir vor dem Bildschirm und verfolgten bestürzt die Berichte über die Epidemie und ihre ungewöhnlichen Auswirkungen. Wir sahen die düsteren Bilder aus Wuhan. All dies wirkte so fern und irreal, als ob diese Krankheit auf dem Mars ausgebrochen und nicht imstande sei, uns zu erreichen. Dennoch schockierten uns die Bilder einer abgeriegelten Stadt in Ausgangssperre. Die chinesischen Behörden griffen durch. Die machten das einfach. Wie würde das bei uns sein? Nein, daran war nicht zu denken. Wider besseres Wissen dachte ich, dass sich so etwas bei uns nie ereignen würde. Dies musste eine Krankheit sein, die ausschließlich in Ostasien ausbrechen konnte. Sie vermochte sicherlich nicht, den Weg zu uns zu finden. Das war schlicht und einfach unmöglich. Natürlich bestand ich nur aus einem Grund auf dieser irrigen Meinung: Weil es undenkbar schien, dass bei uns solche Verhältnisse herrschen könnten wie in Wuhan, wo die Straßen leergefegt, die Krankenhäuser überfüllt und die Menschen in Panik waren. Äußerst beunruhigend mutete an, dass die Behörden und Ärzte hilflos wirkten. Jene Zeit bedeutete eine letzte Atempause für den Rest der Welt, als man annahm, dass die Verbreitung des Virus noch auf China beschränkt sei. Welch trügerische Ruhe.

An jenem Abend stand ich beschäftigungslos herum und dachte, dass in einer Stunde die Gäste eintrudeln und in unserem Wohnzimmer Platz nehmen würden. Genau genommen in Cynthias Wohnzimmer, korrigierte ich mich, schließlich ist es ihr Haus, das inmitten der Konstanzer Altstadt steht. Im Grunde gehörte mir damals nur der Inhalt eines Schrankes, in den ich die wenigen Habseligkeiten aus Studienzeiten geräumt hatte: Vor allem Bücher und meine gute alte Ausrüstung für mehrtägige Bergwanderungen.

Ein Indiz, dass wir alle hochmütig weiterlebten wie bisher, war, dass Cynthias Tafelrunde sich vollständig einstellte. Cynthia hatte ein Acht-Gänge-Menü zusammengestellt, welches von unserer Köchin, die offiziell als Angestellte ihres größten Cafés geführt wurde, aber ausschließlich bei uns im Haus arbeitete, zubereitet wurde. Natürlich waren alle begeistert. Das war nicht anders zu erwarten gewesen. Cynthia unterliefen keine Fehler und falls der unwahrscheinliche Fall eingetreten wäre, hätte sie ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, korrigiert. Bei mir wäre hier und da ein Mangel sichtbar geworden. Ein Gang hätte nicht zu den Essgewohnheiten mehrerer Gäste gepasst oder die Weingläser wären nicht perfekt poliert gewesen. Vielleicht hätte ich sogar mit Weihnachtsmotiven bedruckte Servietten verwendet.

Noch beim Begrüßungsgetränk, irgendeinem überteuerten Crémant oder Sekt, fiel das erste Mal jenes Wort, welches derzeit in aller Munde war. Diejenige, die es aussprach, meinte, dass wir versuchen sollten, heute Abend nicht darüber zu sprechen. Dies wurde mit Gelächter und beifälligen Gesten aufgenommen. Kaum saß man um den großen runden Tisch, die Vorspeise wurde serviert, ignorierte jemand, was gerade noch scherzhaft vorgeschlagen worden war. Als das Wort erneut ausgesprochen wurde, brachen sämtliche Dämme und alle redeten ungehemmt über das imposante Thema dieser Tage. Nichts schien an diesem Abend schwieriger, als die Gäste daran zu hindern, über die Einfälle zu reden, die in ihren Köpfen popcornexplosionsartig hochschossen. Es brannte allen auf der Zunge. Jeder hatte etwas dazu zu sagen. Derzeit konnte keine andere Angelegenheit Bestand haben, alle mussten darüber fabulieren, ob sie wollten oder nicht, es war eine geradezu unerlässliche Notwendigkeit. Es stellte sich heraus, dass natürlich alle die Nachrichten und die gespenstisch anmutenden Bilder aus China gesehen hatten. Sämtliche möglichen und unmöglichen Meinungen wurden ungehemmt ausgesprochen. Zu Anfang warf jeder rasch etwas ein, ohne eine Antwort abzuwarten, denn schon hob der Nächste hervor, was er für einen wichtigen Aspekt hielt. Klara versicherte: „Das wird auch bei uns einschlagen, es ist nicht aufzuhalten.“ Dabei tätschelte sie mit der flachen Hand ihre rot gefärbten und toupierten Haare.

Wenig später hatten sich kleine Gesprächsgruppen gebildet. Hier und da erfasste ich Sätze, während mir auffiel, dass vor Erregung schneller gesprochen wurde als sonst.

„Ja, aber es ist nicht schlimmer als eine Grippe“, meinte Luise, die offensichtlich eine beschwichtigende Position einnahm und sich in dieser Rolle gefiel.

Klara hingegen prophezeite: „Irgendeiner wird es unbemerkt einschleppen und bis sie feststellen, dass er etliche Menschen angesteckt hat, wird es schon zu spät sein und viele daran erkranken. Ich wüsste nicht, wie man das verhindern kann.“

„Also ich gurgle mit Weißwein“, scherzte Annemieke und hob ihr Glas, um dies umgehend zu demonstrieren. Einige machten es ihr schmunzelnd nach. „Eine äußerst wohlschmeckende Desinfektion“, lächelte Annemieke, während sie ihr Glas absetzte.

„Unser Gesundheitssystem ist gut genug“, versicherte Luise und ich fragte mich, woher sie ihr Wissen bezog.

„Na, ich weiß nicht. Der Gesundheitsminister hätte mehr Beatmungsgeräte bestellen müssen“, kritisierte Klara.

„Also wir werden noch schnell in den Urlaub fliegen, bevor das nicht mehr möglich ist“, gab Annemieke bekannt.

„Wann fliegt ihr?“, fragte Cynthia.

„Morgen. Ab Zürich.“

„Und wenn ihr im Hotel in Quarantäne müsst? Da mussten doch irgendwo die Urlaubsgäste in ihren Hotelzimmern bleiben. Die durften nicht einmal mehr zum Essen das Zimmer verlassen. Denen wurden nur noch ab und zu Zettel vor die Tür gelegt. Wenn du im Ausland festhängst und nicht mehr willkommen bist – also ich traue mich nicht mehr, zu verreisen“, gab Klara zu.

„Ach, das wird alles nicht so schlimm kommen. Das wird völlig übertrieben“, versicherte Annemieke.

Das Gesprächskarussell drehte sich weiter und weiter. Das Top-Thema dieser Tage war noch lange nicht erschöpft. Jeder hatte etwas Gewichtiges dazu zu sagen.

Während des Essens wurde über nichts anderes gesprochen. Aber irgendwann wurden selbst die Eifrigsten dieses Themas müde. Das war Ismars Augenblick, den er vehement ergriff. Er war außer mir der einzige Mann am Tisch. Ismar hatte seine junge Frau Linda mitgebracht, die nicht viel redete. Einmal mehr hatte ich das Gefühl, dass Ismar mich nicht leiden konnte, wobei ich nie verstanden hatte, warum das so war.

„Sag mal Clemens, was hast du da für ein interessantes T-Shirt an?“

„Das ist das Cover meines Buches.“

Ich hoffte, dass dieses Thema damit erledigt war. Cynthia hatte die Heizung so hoch eingestellt, dass mir während des Essens zu warm wurde. Ich hatte, zu Cynthias Missfallen, zwischen zwei Gängen das Hemd ausgezogen und darunter trug ich, völlig unbeabsichtigt, dieses T-Shirt.

„Immerhin ziemlich bunt. Verkauft sich dein Buch gut?“

Ich zögerte einen Moment mit der Antwort, weil mir das Ganze etwas peinlich war: „Ich bin bisher zufrieden.“

„Hast du schon so viele Leser?“, fragte Luise enthusiastisch.

Während ich noch überlegte, was ich sagen sollte, mischte sich Cynthia ein: „Ach was. Papperlapapp. Wie viele Bücher hast du die letzten zweieinhalb Monate verkauft, mein Liebling?“

„Sechs.“

„Und waren nicht fünf davon E-Books?“

Cynthia wartete die Antwort auf ihre rhetorische Frage natürlich nicht ab: „Also die Miete oder das Essen“, Cynthia deutete auf den Tisch, „oder guten Wein, den Clemens ja so liebt, können wir damit nicht bezahlen. Nicht einmal eine Flasche davon.“

Ich hasse es, wenn Paare öffentlich Gespräche über ihr Privatleben führen. Aber das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen: „Immerhin hast du mir damals vorgeschlagen, ich solle meinen Job aufgeben und mich dem Schreiben widmen. Du würdest mich in meiner Leidenschaft unterstützen, dein Geld würde auch für zwei reichen.“

Ob es sich wohl vermeiden lässt, dass ich mit jedem Satz nur noch weiter in diese unselige Diskussion hineingezogen werde, fragte ich mich. Natürlich war Cynthia nicht um eine Antwort verlegen: „Natürlich. Aber ich dachte nicht, dass du nach Jahren immer noch keinen Erfolg hast. Ich warte mit steigender Ungeduld und wachsender Resignation auf deinen Bestseller.“

„Er kann ja in einem deiner Cafés Lesungen abhalten“, schlug Luise vor, woraufhin Cynthia natürlich den finanziellen Aspekt hervorheben musste: „Bei solchen Veranstaltungen muss ich stets zuschießen, sonst würde da schon lange niemand mehr auftreten können.“

„Hast du eine Erklärung, warum dein Buch nicht läuft?“, fragte Ismar, der breit grinsend zugehört hatte.

„Kunst profitabel zu machen, ist generell schwierig bis unmöglich. Außer man schreibt ein bescheuertes Buch über ein aktuelles Thema.“

„Es soll Leute geben, die es geschafft haben, ihre bescheuerte, wie du es nennst, Kunst profitabel zu machen“, warf Ismar ein.

„Ist das dein erstes Buch?“, erkundigte sich Klara.

„Ja.“

„Du redest doch seit Jahren vom Schreiben. Hast du nicht schon im Studium damit angefangen?“, fragte Ismar.

„Das stimmt.“

„Aber das liegt doch über zehn Jahre zurück! Und das mit deinem ersten Buch hat so lange gedauert? Da wundert es mich nicht, dass es nicht läuft. Wenn bei dir alles so lange dauert. Andererseits: Gut Ding braucht Weile. Vielleicht wirst du irgendwann noch der neue Shakespeare“, lachte Ismar.

Cynthia setzte ihr Weinglas ab und erklärte der Runde: „Natürlich muss Clemens jedes Wort auf die Goldwaage legen, da er Millionen von Lesern durch seine Stimme beeinflusst, also – eines schönen Tages – beeinflussen wird.“

Ihre Freunde und Freundinnen waren gehobener Laune und Ismar wirkte geistreich und charmant. Warum ich mich an diesem Abend nicht gegen die verdrehte Darstellung meines Literatenlebens gewehrt hatte? Vielleicht hätte ich das besser getan. Aber es gibt wiederkehrende Ereignisse, gegen die man sich nur anfänglich wehrt. Wenn man das irgendwann leid ist und die vehemente Abwehr links liegen lässt, dann schleicht sich eine gewisse Resignation ein. Und dann wird, ohne dass man es will, einiges ungewollt zur Normalität im Leben. Man gewöhnt sich daran. Cynthia hatte eine äußerst gewandte Art, die Dinge zu erklären, sie darzustellen, schönzureden oder abzuurteilen. Sie konnte einem alles verkaufen.

„Und warum hast du heute Abend dieses T-Shirt angezogen?“, fragte Ismar.

„Weil er in nichts anderem mehr herumläuft“, jammerte Cynthia und verdrehte die Augen. „Wenn ich jedes Mal, wenn ich ihn in dem T-Shirt sah, ein Buch gekauft hätte, dann wäre es bereits ein Bestseller.“

„Du hast doch gesagt, ich solle endlich Marketing für mein Buch machen, sonst kauft es kein Mensch“, verteidigte ich mich.

„Das stimmt. Schließlich kannst du nicht darauf warten, eines schönen Tages entdeckt zu werden. Oder dass zumindest die Filmrechte an deinem Buch nach Hollywood verkauft werden, ohne dass jemand außer mir weiß, dass du das Buch des Jahrhunderts geschrieben hast.“

Ismars Moment war gekommen: Mit einer süffisanten, überall deutlich hörbaren Stimme, sagte er langsam und genüsslich: „Aber Werbung macht man doch nicht mit Hilfe eines peinlichen T-Shirts des eigenen Buchcovers bei einem Abendessen unter Freunden.“

Alle lachten! Klara und Luise hielten sich dabei belustigt-verlegen die Hand vor den Mund. Am lautesten quiekte Cynthia: Niemand würde ihr je solch ein herzhaftes Amüsement bieten können wie der eigene Partner.

Es dauerte lange, bis sie sich beruhigt hatten.

„Vielleicht könntest du auf andere Weise Werbung für dein Buch machen?“, sagte Luise. Sie rückte ihren Seidenschal zurecht und meinte es wohl wirklich gut mit mir.

„Ach, mit so etwas hält sich doch Clemens nicht auf“, warf Cynthia ein. „Werbung! Das ist etwas für uns Unternehmerinnen mit unseren profanen Geschäften, von denen zwar auch mein geliebter Clemens lebt, aber ein Genie will entdeckt sein. Im Grunde wartet Clemens seit Jahren auf einen Anruf aus Schweden.“

„Wieso aus Schweden?“, fragte Klara.

„Das Literaturnobelpreiskomitee. Darunter macht es Clemens nicht. Aber jetzt einmal im Ernst: Clemens, hast du endlich etwas unternommen in Sachen Werbung?“, fragte Cynthia.

Die Wahrheit ist, dass es mir widerstrebt, Werbung für mich zu machen, genauso wie Anfragen hinsichtlich Leseterminen anzuleiern: Sprich, den Hörer in die Hand zu nehmen und irgendwo anzurufen.

„Nun, ich plane in den nächsten Monaten eine kleine Tournee. Wahrscheinlich lese ich das erste Mal in einem von Cynthias Cafés.“

„Wie viele Exemplare deines Buches bestellst du denn für den großen Abend?“, fragte Ismar.

„Das weiß ich noch nicht.“

„Cynthia, hast du Angst, dass Clemens die unverkauften Exemplare im Haus stapelt wie Loriot die Senfgläser unter der Kellertreppe?“, prustete Ismar los. Und versöhnlich, wobei dies eher hämisch klang, meinte er zu mir: „Na, die Literaturliebhaber werden sicherlich zahlreich kommen und dir den künftigen Bestseller aus den Händen reißen.“

Cynthia fühlte sich offensichtlich dazu gezwungen, dies richtigzustellen: „Also im Schnitt kommen um die zwanzig Leute pro Abend. Lesungen gehen eher schlecht, außer es kommt ein bekannter Autor, aber die lesen im Osiander oder der Stadtbücherei und nicht in einem Café.“

„Schreibst du bereits an einem zweiten Buch, Clemens?“, fragte Luise. Ich war mir in diesem Moment nicht einmal mehr bei Luise sicher, ob sie es gut mit mir meinte oder sich über mich lustig machen wollte.

„Nein. Noch nicht.“

„Schreib doch eine Geschichte, die ‚Der Corona-Idiot‘ heißt“, lachte Ismar.

Cynthia stimmte in Ismars Lachen ein. Sie schien alles gut zu finden, was er sagte. Indem sie über mich spottete, konnten auch ihre Freundinnen sich ungeniert amüsieren. Wenn sich der eigene Partner gegen dich wendet, ist dies wie ein Startsignal, dass sie über dich herfallen dürfen. Vielleicht hatte ich es auch verdient. Seit zehn Jahren lebte ich von Cynthias Geld und herausgekommen war ein einziges Buch. Jedoch hatte ich in dieser Zeit das Schreiben erst lernen müssen. Ich hoffte inständig, dass das Buch richtig gut geworden war. Zudem war ich stets der Meinung, dass es besser ist, ein herausragendes Buch zu schreiben als fünf mittelmäßige. Alle am Tisch waren erfolgreiche Unternehmerinnen und Ismar war Universitätsprofessor. Dass jemand am Tisch saß, der es beruflich nicht weit gebracht hatte, schien niemanden ernsthaft zu bekümmern.

„Vielleicht hast du recht Ismar und ich sollte das tun.“

Dies klang wohl so unentschlossen, dass Cynthia sich bemüßigt fühlte, etwas anzumerken. „Aber ich werfe Clemens nichts vor. Ich hätte schon recht früh wissen müssen, dass er so ist. Es gab genügend Anzeichen. Aber ich hatte wohl aus lauter Liebe mein Frühwarnsystem deaktiviert.“

„Ja, welche denn?“, fragte Annemieke, die eine weiße Bluse trug, die aussah, als hätte sie mindestens vierhundert Euro gekostet. Erneut war Cynthia die Aufmerksamkeit der gesamten Runde gewiss. Darum ging es im Grunde: um Aufmerksamkeit.

„Ich lebte damals noch im Norden und frisch verliebt wie wir waren, sahen wir uns jedes zweite Wochenende. Clemens flog gewöhnlich von Zürich aus zu mir. Eines schönen Freitagabends war er am Telefon und sagte, dass er im Zug sitze und irgendwann am Samstagnachmittag ankommen würde.“

„Er hatte den Flug verpasst“, warf Annemieke wissend ein.

„Ja, aber wisst ihr warum?“

Rundherum hingen neugierige Gesichter an Cynthias signalfarbenrot-leuchtenden Lippen.

„Er hatte den Flug nicht genommen – weil er ein Buch las, welches ihn so fesselte, dass er am Gate sitzend das Boarding verpasste. Er hörte nicht einmal, wie sein Name ausgerufen wurde. Als er aufschaute und alle Sitze um ihn herum leer waren, stutze er, fragte nach und ihm wurde mitgeteilt, dass sie seinen Namen per Durchsage aufgerufen hätten. Das alles hatte Clemens nicht bemerkt, aufgrund eines Buches. Also war eigentlich schon damals völlig klar, wer sich um das Praktische und Finanzielle würde kümmern müssen. Ich darf mich nicht beklagen. Ich hätte es wissen müssen“, schloss Cynthia und vollführte eine resignierende Geste.

Ja, meine Partnerin war die Erfolgreiche. Und weil wir grundverschieden waren, verhielt sich Cynthia meist völlig anders, als ich es getan hätte. Etwa bei der Besorgung der Weine, die ein Teil der Vorbereitung dieses Abends gewesen war. Wir hatten einen alteingesessenen Laden zur Weinprobe aufgesucht. Der betagte Besitzer, dessen Geschäfte, wie man sich zuflüsterte, nicht mehr blendend gingen, hatte bereits mehrere Flaschen für uns geöffnet, die er nicht mehr verkaufen konnte. Cynthia war jedoch noch immer nicht zufrieden. Ich vermutete, dass sie wie gewöhnlich vier Kisten Wein zu je sechs Flaschen kaufen würde. Mit dem Anrecht, die Flaschen, die wir nicht öffneten, zum vollen Preis zurückzugeben. Und wir hatten bereits vierzehn Weine probiert. Ich hätte mich längst für einen Wein entschieden, sie waren alle ausnahmslos gut, unterschieden sich nur in Nuancen, aber Cynthia war ungeduldig und hatte an jedem Wein etwas auszusetzen. Ich befürchtete bereits, dass Cynthia hier keinen Wein kaufen und den bedauernswerten Mann ohne Umsatz zurücklassen würde.

Rückblickend fiel mir an diesem Abend noch auf, dass, wenn Ismar sich unbeobachtet fühlte, er Cynthia in den Ausschnitt schaute. Dabei war der Ausschnitt nicht einmal besonders gewagt. Ich fragte mich unwillkürlich, ob Ismars Sexualleben mit Linda genauso eingeschlafen war wie unseres.