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Einst warben Franz und Heinrich um Anna. Schließlich heiraten Heinrich und Anna, aber nur durch Erpressung. Inzwischen ist Anna gestorben und Heinrich der Spielsucht verfallen. Um seinen "Dukatenhof" nicht zu verlieren, will er einen letzten Schmuggel begehen. "Der Dukatenhof" ist eine Kurzgeschichte. Sie wurde bereits in "Der Waldschwarze" (Band 44 der Gesammelten Werke) veröffentlicht.
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Seitenzahl: 134
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ERZGEBIRGISCHEDORFGESCHICHTE
AusKARL MAYSGESAMMELTE WERKEBAND 44„DER WALDSCHWARZE“
© Karl-May-VerlageISBN 978-3-7802-1338-9
KARL-MAY-VERLAGBAMBERG • RADEBEUL
DER DUKATENHOF
Der Köpfle-Franz
Aus vergangener Zeit
Ein Gottesgericht
Die steile Bergstraße hinauf schob sich mit langsamen, schildkrötenartigen Bewegungen eine solch eigentümliche Figur, dass ein Unbekannter sie von Weitem wohl kaum für ein menschliches Wesen gehalten hätte. In der Nähe aber erkannte man die seltsame Gestalt als einen Mann, der sich mühsam mit den Händen fortschieben musste, weil ihm die Beine gänzlich fehlten.
Der mit einer alten, vielfach ausgebesserten Jacke bekleidete Körper war durch Riemen in einem aus starkem Holz gefertigten Rollkasten befestigt. Den nach vorn tief niedergebeugten Kopf bedeckte ein ungewöhnlich breitkrempiger Filzhut, dessen ursprüngliche Form und Farbe wohl schon seit Jahren in Sturm und Regen verloren gegangen war; über dem Rücken hing ein umfangreicher, schmutziger Leinwandsack, jedenfalls bestimmt zur Aufnahme von allerhand Geschenken, denn das ganze Äußere des Unglücklichen ließ vermuten, dass er zu denjenigen Beklagenswerten gehörte, die mit der Befriedigung ihrer Bedürfnisse lediglich auf die Mildtätigkeit ihrer Mitmenschen angewiesen sind. Und diese Mildtätigkeit schien sich im vorliegenden Fall als fruchtbar erwiesen zu haben; der Sack war trotz seiner Größe wohlgefüllt und seine Schwere veranlasste den Träger, öfter auszuruhen, als es trotz seiner Gebrechlichkeit sonst wohl der Fall gewesen wäre. Nach langer Anstrengung endlich oben auf der Höhe angekommen, hielt er tief atmend still und ließ den Blick hinab in das jenseitige Tal gleiten, in dem sich eins jener armen Gebirgsdörfer hinzog, deren Bewohner meist nur durch die schwachen Fäden einer wenig lohnenden Industriemit der Außenwelt in Verbindung stehen. Diese Abgeschlossenheit übt einen unleugbaren Einfluss auf alle ihre äußeren und inneren Verhältnisse und erhält dadurch eine Urwüchsigkeit, die unter der dichter gesäten Bevölkerung des platten Landes sehr bald verloren geht.
Vor ihm, da, wo die Straße sich wieder abwärts neigte, stand ein ziemlich neues, zweistöckiges Gebäude, über dessen Eingangstür in goldenen Lettern die Inschrift ‚Zur Bergschenke‘ erglänzte. Vor dem Haus hielt ein leichter Wagen und aus dem Innern tönte ein mehrstimmiges, schallendes Gelächter durch die geöffneten Fenster. Der Ermüdete schien die Stimmen zu kennen, er erhob bei ihrem Klang lauschend den Kopf und nun waren seine bisher unter der breiten Kopfbedeckung verborgenen Züge zu erkennen – Züge, wie man sie unter dem alten Hut gar nicht erwartet hätte, so wenig zu seiner übrigen Erscheinung passend, so intelligent, hätte man fast sagen können, wenn nicht ein rätselhaftes Etwas in dem Gesicht, ein eigentümliches gebrochenes Licht des großen, dunklen Auges dieser Bezeichnung widersprochen hätte.
„Aha, der Baron und der Zettelkramer! Ganz gewiss wollen die hinunter zum...“ Er drängte den Namen, den auszusprechen er schon im Begriff gestanden hatte, wieder zurück. Der unterbrochene Gedankengang hatte schlummernde Geister in ihm erweckt; sein Auge loderte plötzlich in wildem Feuer; seine Hände erhoben wie drohend die Stemmhölzer, mit deren Hilfe er sich fortgeschoben hatte, und jenes unbestimmbare Etwas zuckte jetzt gehässig über das vorhin so ruhige und unbewegte Angesicht. „Nur zu, nur zu, nur immer zu! Ihr seid zwar Spitzbuben, das weiß ich; ihr vernichtet die Güter, saugt die Bauern aus und bringt ehrliche Leute mit euren Zetteln um Habe und Eigentum, arbeitet mir aber in die Hände, und darum hab ich alleweil Freude, wenn ich euch zu sehn bekomme.“
Er rollte sich die kurze Strecke bis zur Schenke weiter. Bei dem Fuhrwerk hielt er überrascht an. „Was?! Das ist ja dem – – na, dem sein Brauner, der ihn hundertzwanzig Dukaten bar gekostet hat! Wie kommt der Gaul zum Baron? Da hat es wieder mal eine Wette gegeben oder ein kleines Spielchen bei verschlossner Tür. Nur zu, nur immer zu, denn so ist’s mir grad recht! Ihr würgt ihn langsam ab und ich geb ihm den Gnadenstoß. Ich hab noch niemand was zu Leid getan, aber für den gibt’s keine Gnade und kein Erbarmen; für den gibt’s auch kein Mitleid und keine Barmherzigkeit, denn er ist mein Teufel gewesen, so lange und so weit ich zurückdenken kann. Jetzt werde ich hineinfahren zu den beiden. Ich will mal sehn, wie sie mich wieder verschimpfieren werden.“
Er schob sich in den Flur des Hauses und von da durch die nur angelehnte Tür in die Gaststube hinein.
Da saßen drei Männer, die des Betrachtens wohl wert waren. Der erste war der Wirt, eine untersetzte, behäbige Gestalt, deren Gesichtszüge einen nicht üblen Eindruck gemacht hätten, wenn sie nicht durch den Ausdruck der List und Verschlagenheit sozusagen verunziert worden wären. Er qualmte aus einer Meerschaumpfeife mit einem mächtigen Kopf. Der zweite war ein kleines, dürftiges Männchen mit einem abstoßenden Sperbergesicht und einem blauglasigen Zwicker auf der Nase. Der dritte, von breit und hoch gebauter, beinahe hünenhafter Figur, hatte einen großen, eckigen Kopf mit einem Gesicht, als wäre es mit dem Beil aus Holz roh zugehackt worden.
Als dieser Letztere den Ankommenden bemerkte, schlug er ein widerwärtiges, schallendes Gelächter an und rief:
„Alle Teufel, was ist denn das für eine armselige Missgeburt, die es da wagt, sich uns vor die Augen zu schieben? So etwas hab ich, bei meiner Seel, noch niemals gesehn!“
„Ja“, meinte der Kleine, „solche Geschöpfe sollten von der Polizei angehalten werden, andern Leuten fern zu bleiben!“
„Lasst’s gut sein, ihr Herrn!“, sagte der Wirt in beschwichtigendem Ton. „Es ist der Köpfle-Franz, ein gar nicht schiefer Kerl.“
Der Unglückliche hatte diese Worte über sich ergehen lassen, ohne mit der Wimper zu zucken. Jetzt fragte der Lange:
„Ein wunderbarer Name: der Köpfle-Franz. Wie kommt der Mensch dazu?“
„Er hat ihn wegen einer ihm eignen Geschicklichkeit“, antwortete der Wirt. „Der Franz ist ein Zeichner, der sich sehn lassen darf. Wenn man vor ihm steht und er nimmt den Stift in die Hand, so ist er halt der wahre Künstler. Keiner bringt die Köpfe so sauber, so gut und richtig wie er. Er zeichnet nichts als Köpfe, und wenn er einen abmalt, so ist man getroffen, grad wie man leibt und lebt. Darum heißt er eben der Köpfle-Franz.“
„Das machst du mir nicht weis! Wenn er das fertig brächte, so ständ es besser mit ihm.“
„Sie glauben’s nicht? So werd ich’s Ihnen beweisen. Franz, willst du mich abzeichnen, so wie ich jetzt hier sitze, mit der Tabakspfeife im Mund? Du sollst ein gutes Bier bekommen und noch fünf Groschen darauf.“
„Warum denn nicht? Das Bier soll mir recht sein, denn ich hab grad den richtigen Durst, und das Geld ist alleweil am notwendigsten zu brauchen. Bleib sitzen; ich werd gleich fertig sein!“, antwortete der Krüppel.
Er schob sich an den nächsten Stuhl, nahm den Sack vom Rücken, öffnete ihn und zog eine sorgfältig eingewickelte Papierrolle hervor. Sie enthielt sein Zeichenmaterial. Der Wirt richtete sich erwartungsvoll auf, brachte die neue Meerschaumpfeife in das gehörige Licht, und kaum waren einige Minuten vergangen, so hielt er die fertige Bleistiftskizze in der Hand.
„Franz“, rief er befriedigt, „so gut wie heut hast du mich noch niemals getroffen! Hier sind die fünf Groschen, und von wegen dem Bier, da sollst du zwei Seidel haben statt nur eins!“
„Zeig her, Bergwirt“, meinte der Kleine. „Wenn er heut wirklich so eine gute Hand hat, so soll er mich auch abmalen. Wahrhaftig, besser bringt’s der größte Künstler nicht zu Wege!Guck her, Baron!Franz, willst du auch meinen Kopf zeichnen?“
„Meinetwegen, wenn’s dem Herrn Bankier recht ist! Hab grad noch zwei Papiere, für Sie und den Herrn Baron eins!“
„Gut“, entschied dieser. „Ich seh, dass du kein dummer Kerl bist. Sollst mich also auch mal zeichnen, und wenn ich mit dir zufrieden bin, so bekommst du einen ganzen Taler.“
Er hatte erwartet, dass dieses Gebot den armen Teufel in Staunen versetzen werde; dieser aber nahm mit der gleichgültigsten Miene den Bleistift wieder zur Hand und führte ihn mit einer Sicherheit über die Blätter, als handle es sich um die allereinfachste Strichübung. Als die Köpfe ihre Schattierung erhalten hatten, übergab er sie den beiden Männern.
„So! Die Gesichter sind getroffen“, sagte er. „Wenn man solche Herren zu Papier bringt, muss man sich schon mehr Mühe geben als bei gewöhnlichen Leuten.“
Die Arbeit war sehr gut gelungen; der ‚Baron‘ gab ihm den versprochenen Taler und auch der ‚Bankier‘ entschloss sich zu einer gleichen Zahlung.
„Kannst’s immer nehmen, Franz“, ermunterte er, „wir sind ja Leute, die es haben! Nicht wahr, Bergwirt?“
Der Gefragte nickte zustimmend und klopfte dabei mit einem verschmitzten Lächeln an seine eigene Tasche.
„Das wollte ich meinen! Wir haben wohl alle drei nicht nötig, mit dem Pfennig zu fuchsen, denn solange es in der Welt noch Dumme gibt, braucht kein Gescheiter für’s bisschen Münze zu sorgen!“
„Hast Recht“, lachte der Riese. „Und die Dummen werden ja niemals alle; wenn es mit einem zu Ende geht, so kommt dafür ein ganzer Güterzug voll anderer wieder an. Heut wird hier bei euch ein Gänsrich gerupft!“
„Kann mir’s denken, wer es ist. Hab ja auch schon genug Federn von ihm. Aber die schönste Feder, die er gelassen hat, war doch der Braune draußen.“
„Ja, ja, Alter, das war ein Meisterstück von uns dreien. Halt nur dein Hinterstübchen immer bereit, gib unsre Karten nicht an andre Leut. Weißt du vielleicht, wer alles zum Dukatenhof geladen ist?“
„Die ganze Nachbarschaft. Die Kleinen bleiben unten in der Stube und die paar Großen kommen hinauf ins gute Zimmer. Geld gibt’s da oben mehr als genug. Heut Abend komm ich auch hin; beim Begräbnis freilich kann ich nicht mit sein, weil die Wirtin drunten ist.“
„Da kommst du natürlich hinauf zu uns! Wir legen eine kleine Bank und du – na, du wirst ja sehn, wie es passt; der Dukatengraf kann dir deinen Stall auch mit bauen helfen.“
Der Köpfle-Franz schien wenig oder gar nicht auf diese Reden zu achten. Er hatte sein Geld eingesteckt, sein Bier getrunken und griff eben nach seinem Sack, um sich zu verabschieden, als sich vom Tal her das Geläute von Glocken vernehmen ließ.
„Was?“, rief der Baron erstaunt. „Schon so weit? Da haben wir über der Malerei die Leiche ganz vergessen und können uns nun sputen, wenn wir den Zug noch sehn wollen. Vorwärts, Kollege!“
Der Kleine setzte den blauen Zwicker fest auf und erhob sich.
„Als ob ein Leichenzug so ganz was grausam Sehenswertes wäre!“, meinte Franz gleichgültig. „Meinetwegen mag sterben, wer da will, ich lauf keinem nach. Wer wird denn hinausgetragen?“
„Das ist’s ja eben, was ich dir sagen wollte“, antwortete der Wirt, der sich anschickte, die beiden Gäste an den Wagen zu begleiten. „Ich habe es nur über den Bildern ganz und gar vergessen. Die Dukatenbäurin ist tot; sie hat vor ihrem Ende gar viel nach dir gefragt und fast gar nicht sterben können, weil du nicht da gewesen bist.“
Er verließ das Zimmer und bemerkte deshalb die überraschende Wirkung nicht, die seine Worte auf den Frager ausübten. Dieser starrte mit dem Ausdruck des höchsten Schreckens im erbleichten Angesicht und mit weit aufgerissenen Augen nach der Stelle, wo der Berichterstatter gestanden hatte; kein Glied seines Körpers regte sich, keine Miene bewegte sich, er schien bei der Kunde von dem Tod der Dukatenbäurin selbst zur Leiche geworden zu sein. So blieb er eine ganze Weile wie leblos auf demselben Fleck, bis sich endlich die furchtbare Beklemmung mit einem tiefen, röchelnden Atemzug aus der zusammengepressten Brust rang:
„Die Anna ist tot – der Anna läuten sie – die Anna wollen sie begraben? Nein, nein, die Anna ist nicht tot, die Anna kann nimmer sterben, die Anna darf nicht begraben werden! Ich leid es nicht, dass ihr sie einscharrt, ich leid es nicht! Fort, fort – – ich will sie sehn, ich muss sie festhalten; ihr dürft sie mir nicht nehmen!“
Der Schreck war verschwunden, dafür aber eine Angst über ihn gekommen, die alle seine Nerven und Sehnen anspannte und ihm den hellen Schweiß aus den Poren trieb, noch eh seine Glieder zu irgendeiner Anstrengung gelangt waren. Er warf sich den Sack über die Schultern, griff zu den beiden Stemmhölzern und arbeitete sich mit einer Geschwindigkeit hinaus auf die Straße, um die einvollständig Gesunder ihn hätte beneiden können; dann ging es, ohne auf die Zurufe des Wirts zu hören, in fliegender Hast an diesem vorüber und die Straße hinab, auf der das Geschirr des Barons in kurzem Trab bereits dahinrollte.
Man konnte von der Höhe den Zug deutlich beobachten, der sich von dem unteren Ende des Dorfes nach dem in dessen Mitte befindlichen Kirchhof bewegte. Zur Beobachtung der Einzelheiten allerdings hätte man sich in größerer Nähe befinden müssen, und da gab es nicht bloß zu sehen, sondern auch zu hören; gar manches bedeutsame Wort flog unter den Leuten, die sich zu beiden Seiten des Wegs, den das Trauergeleit einschlagen musste, aufgestellt hatten, hin und zurück.
Allen voran wurde nach schöner, alter Sitte das mit schwarzem Flor umhangene Kreuz getragen, hinter dem in einzelnen Paaren die männliche Schuljugend folgte, begleitet von den Lehrern und dem Ortsgeistlichen. Dann kam der reich mit Kränzen und Girlanden geschmückte, von acht Männern getragene Sarg, dem sich nach den nächsten Verwandten der Verstorbenen eine lange Reihe von Bekannten anschloss. Natürlich richtete sich die Aufmerksamkeit der Zuschauer vor allen Dingen auf die Hinterlassenen der Toten. Es waren dies nur zwei Personen, die nebeneinander gingen, der Dukatenbauer und seine Tochter.
Der Erstere musste schon durch seine äußere Erscheinung auffallen. Es war ein hoch und kräftig gebauter Mann im Ausgang der fünfziger Jahre; seine ganze Haltung zeigte den selbstbewussten, unlenksamen Charakter, durch den er selbst über den häuslichen Kreis hinaus gefürchtet und – gemieden war. Keine Träne stand in seinem Auge, kein Zug der Trauer war in seinem harten, finsteren Angesicht zu bemerken; an der Schleife seines Huts glänzten, wie immer, die sechs Dukaten; wie immer hing ihm statt der Uhrkette die lange Dukatenschnur um den Hals und wie immer reihten sich an der Weste und dem offen stehenden Rock an Stelle der Knöpfe Dukaten an Dukaten. Er hieß Graf, wurde allgemein der Dukatengraf genannt und wollte auf diesen Beinamen, der sein größter Ruhm und Stolz war, nicht einen Augenblick verzichten, auch nicht für diese Stunde, in der jeder andere den irdischen Flimmer von sich geworfen hätte, um auch an seinem Kleid zu zeigen, dass er die Macht eines höheren Geschicks anerkennen müsse.
Auch das Mädchen an seiner Seite hatte keine Tränen. Aber, das sah man auf den ersten Blick, sie fehlten nur, weil sie bisher zu reichlich geflossen waren. Es trug das mit den schweren Flechten umwundene Köpfchen tief gesenkt; die sonst so rosigen Wangen waren erbleicht und die gefalteten Hände drückten sich auf die Brust, als müssten sie das schmerzerfüllte Herz vor dem Zerspringen bewahren. Aller Augen wandten sich mit Unwillen vom Vater weg auf die Tochter, und dann gab es keinen Blick, in dem nicht die wärmste Teilnahme und das innigste Mitleid zu lesen gewesen wären.
Es war das erste Mal, dass eine Leiche ohne Gesang durch das Dorf getragen wurde, aber die Tote hatte es ausdrücklich so gewollt. Ihr Leben war ein stilles gewesen; sie hatte im Stillen gewirkt und gelitten, im Stillen wollte sie nun auch beerdigt sein. Nur draußen am offenen Grab sollte man ihr einen Vers singen, einen einzigen Vers; den hatte sie sich selbst ausgewählt und noch in ihrer letzten Stunde beim Pfarrer bestellt. War sie dabei vielleicht von dem Wunsch geleitet worden, im Tod ein mahnendes Wort an das Gewissen ihres Gatten zu richten, da sie im Leben es niemals hatte wagen dürfen? Wenigstens richteten sich die Blicke unwillkürlich auf ihn, als sich auf dem Kirchhof der Kreis um den geöffneten Sarg geschlossen hatte und nach der bekannten Melodie die ernste Erinnerung erklang:
„O Ewigkeit, du Donnerwort,
O Schwert, das durch die Seele bohrt,
O Anfang sonder Ende.
O Ewigkeit, Zeit ohne Zeit,
Vielleicht schon morgen oder heut
Fall ich in deine Hände.
Mein ganz erschrocknes Herz erbebt,
Dass mir die Zung am Gaumen klebt!“