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Durch eine Unachtsamkeit sind die Gewohnheitsdiebe Sven und Michael auf der Flucht vor der Polizei. Ihr neues Ziel: das Ausland. Da das aber Geld kostet, planen sie ihr letztes, großes Ding in einem verlassenen Waldanwesen. Die ehemaligen Besitzer dieses Anwesens sind vor Kurzem gestorben, Erben gibt es keine, und es soll dort jede Menge Geld geben; eine hervorragende Gelegenheit also. Voller Zuversicht steigen sie in das Haus ein und müssen bald feststellen, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Einige seltsame Erscheinungen versuchen, Sven und Michael ungewöhnliche Aufgaben aufzuzwingen, die sie gar nicht machen wollen. Und was hat es mit den grausigen Geräuschen aus dem Keller auf sich? Im Kampf ums Überleben merken die Diebe zu spät, dass sie längst Teil eines hausinternen Konflikts geworden sind. Irgendjemand oder etwas scheint die Schlingen um ihre Hälse immer enger zu ziehen und beabsichtigt nicht, sie wieder gehen zu lassen …
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Seitenzahl: 226
Der Einbruch
Buchbeschreibung:
Durch eine Unachtsamkeit sind die Gewohnheitsdiebe Sven und Michael auf der Flucht vor der Polizei. Ihr neues Ziel: das Ausland. Da das aber Geld kostet, planen sie ihr letztes, großes Ding in einem verlassenen Waldanwesen. Die ehemaligen Besitzer dieses Anwesens sind vor Kurzem gestorben, Erben gibt es keine, und es soll dort jede Menge Geld geben; eine hervorragende Gelegenheit also.
Voller Zuversicht steigen sie in das Haus ein und müssen bald feststellen, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Einige seltsame Erscheinungen versuchen, Sven und Michael ungewöhnliche Aufgaben aufzuzwingen, die sie gar nicht machen wollen. Und was hat es mit den grausigen Geräuschen aus dem Keller auf sich?
Im Kampf ums Überleben merken die Diebe zu spät, dass sie längst Teil eines hausinternen Konflikts geworden sind. Irgendjemand oder etwas scheint die Schlingen um ihre Hälse immer enger zu ziehen und beabsichtigt nicht, sie wieder gehen zu lassen ...
Über den Autor:
Alexander Hogrefe, Jahrgang 1995, begeistert sich schon lange für Mythologien aller Art. Mit 15 entdeckte er seine Leidenschaft für das Schreiben und begann seine ersten Versuche im High-Fantasy-Bereich, bevor er zum Horrorgenre wechselte. Seitdem hat er mehrere Romane auf verschiedenen Plattformen veröffentlicht. Seine Bücher behandeln häufig Phänomene menschlichen Scheiterns, insbesondere in der Konfrontation mit dem Übernatürlichen. Horror, ist der Autor überzeugt, kann dabei wesentlich näher an der Wirklichkeit dran sein, als diesem Genre gemeinhin unterstellt wird. Derzeit lebt und arbeitet er in Rheinland-Pfalz.
© Alexander Hogrefe – alle Rechte vorbehalten.
Die Charaktere und Ereignisse, die in diesem Buch dargestellt werden, sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen, lebend oder tot, ist zufällig und vom Autor nicht beabsichtigt.
Kein Teil dieses Buches darf ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Herausgebers reproduziert oder in einem Datenabrufsystem gespeichert oder in irgendeiner Form oder auf irgendeine Weise elektronisch, mechanisch, durch Fotokopieren, Aufzeichnen oder auf andere Weise übertragen werden.
Coverbearbeitung: Alexander Hogrefe
Coverbilder: Midjourney
Autorenporträt: Uschi Schmidt Fotografie
Korrektorat und Lektorat: anon.
www.alexanderhogrefe.de
Dieses Buch ist Bestandteil der zweiten Veröffentlichungsphase:
Wo Licht ist, ist auch Schatten!
Inhaltsverzeichnis
Ankunft8
Nachts allein im Haus19
Bringt ihn mir34
Finde den Teddybär38
Dunkelheit45
Du bist sie49
Wille53
Fehler56
Gespräch58
Büchernarr61
Flüsternde Schatten70
Du bist nicht mein Freund73
Ich kämpfe für mich76
Besonders wird es sein78
Logisch, oder?81
Kampf der Titanen83
Ende86
Verdammung89
Knirschen und Kratzen91
Wand96
Albtraum97
Entscheidung98
So soll es kommen105
Kamin107
Landschaft110
Elisabeth111
Tu es nicht!114
Schritte116
Erwachen119
Liebe Leserinnen und Leser,123
… denn in der Stille laufen die Uhren anders!
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Wäre der Himmel um diese Tageszeit etwas grauer gewesen, hätten viele Hundebesitzer vermutlich entschieden, lieber zu Hause zu bleiben, um nicht doch Gefahr zu laufen, draußen eine Ladung Regen abzukriegen.
Der 33-jährige Sven wusste es anscheinend besser. Er schien dem Wetter zu vertrauen, zumindest hatte er Michael, seinem Freund und Kollegen, bereits vor etwa einer halben Stunde mitgeteilt, dass es mit großer Sicherheit nicht regnen würde und er sich deswegen keine Sorgen machen müsse.
Michael machte sich dennoch Gedanken. Während Sven den rostigen Land Rover den steilen Hügelpfad nach oben lenkte, überlegte er, was sie wohl dort oben erwarten würde.
Das Haus, um das es ging, sollte leer stehen. Es war vornehmlich Svens Aufgabe gewesen, dieses Gebäude auszusuchen. Etwa einen Monat hatte das gedauert, und jetzt, da sie es endlich gefunden hatten, konnten sie nur hoffen, dass ihr geplanter Einbruch auch funktionieren würde.
Das war auch wichtig, denn eine andere Chance hatten sie nicht.
Ihre aktuelle Lage war nicht einfach. Natürlich hatte der Besitzer des Waschsalons – in den sie eingebrochen waren – Anzeige gegen unbekannt erstattet, wobei … der Begriff unbekannt in dieser Hinsicht weit gefasst werden konnte. Für ihren Einbruch in dem Salon hatten sie sich Zeit gelassen, alles bis ins kleinste Detail geplant. Bei Nacht, als die meisten schon geschlafen hatten, waren sie dann losgezogen und hatten die Tür in den Salon geknackt. Drinnen hatte es keine Alarmanlage gegeben – das hatte Sven in seiner Recherche ermittelt. Was er jedoch nicht bedacht hatte, war, dass der Besitzer des Salons neben dem Raum, in dem die Maschinen standen, auch seine Kundentoilette mit einer Kamera ausgestattet hatte. Und dann war eines zum anderen gekommen … Mitten während der Aktion, als Michael eifrig damit beschäftigt gewesen war, die Geldautomaten der Waschmaschinen zu knacken, diese Kästen, in denen die Kunden ihre Münzen und Pfennige einwarfen, hatte Sven entschieden, dass er einmal auf die Toilette müsse. Michael hatte nur gemeint, dass er schnell machen solle, und sich dann wieder auf das Aufbrechen der Kästen fokussiert. Nur ein paar Minuten hatte es gedauert, und dann war ihm eingefallen, was das eigentlich bedeutete … Sven … allein auf dem Klo … Ruckartig war Michael losgestürmt, an den Maschinen vorbei und durch die Tür direkt in den Toilettenraum. Darin hatte Sven gestanden, an der Pissrinne, seinen Schwanz haltend und pfeifend, als wäre alles in Ordnung. Die Skimaske, die sie beide vor dem Einbruch aufgezogen hatten, um nicht erkannt zu werden, hatte er abgelegt und … »Du Trottel!«, hatte Michael gerufen und war auf Sven zugestürmt. Sven war so überwältig gewesen, dass er auf seine Schuhe pinkelte. »Setz deine verdammte Maske wieder auf«, rief Michael ihm zu, und während Sven damit beschäftigt war, sowohl seine Maske als auch seinen Schwanz wieder in den Griff zu kriegen, schaute Michael sich um, über die Wände, die Decke, die hinteren Kabinen; und an der Decke, in der hinteren rechten Ecke, klein und fast nicht zu erkennen, war sie ihm schließlich aufgefallen … Dieses weiße Ding, blinkend, aber ganz offensichtlich genau das, das sie am wenigsten brauchen konnten … Eine Kamera.
Danach war alles ziemlich schnell gegangen.
Michael und Sven hatten ihre Sachen gepackt und waren aus dem Salon gestürmt, zurück in das Loch, im Keller eines Mehrfamilienhauses, in dem sie seit einer Weile ihr Dasein fristeten. Dort hatte Michael Sven Vorwürfe gemacht, was er sich denn denke und wie man nur auf eine solch blöde Idee kommen könne. Aber der Ärger hatte ihre Probleme auch nicht gelöst. Am nächsten Tag hatte Michael in der Zeitung gelesen, dass der Besitzer des Salons eine Anzeige gestellt hatte. Natürlich, hatte Michael gedacht, das hätte er auch gemacht in dieser Situation. Nur hatte Michael mehr gewusst als die Leute, die diesen Artikel vermutlich beim Frühstück lasen. Nämlich, dass er den Mann, der auf der Kundentoilette des Salons seinem Bedürfnis freien Lauf gelassen hatte, kannte, und sogar gut kannte, und dass die Polizei ihn auch bald kennenlernen würde, sollte ihnen nicht schnell etwas einfallen.
Also hatten sie entschieden.
Kurz und bündig und gleichermaßen entschlossen.
Um der Polizei zu entwischen und Schlimmeres zu verhindern, würden sie sich ins Ausland absetzen und dort ein neues Leben beginnen. Wohin genau, spielte erst mal keine Rolle. Ein gutes Land würde sich schon finden. Was sich als schwieriger herausstellte, waren eher die Möglichkeiten einer Finanzierung … sie brauchten Geld, und das dringend. Also entschieden sie weiter und beschlossen schließlich, dass Sven nach einer Möglichkeit für einen Einbruch Ausschau halten sollte. Ein Haus am besten, gerade verlassen, und somit unbewacht und voller Schätze, die man an den richtigen Stellen zu Geld umtauschen könnte.
Zwei Wochen hatte das gedauert.
Zwei lange Wochen, bis schließlich der Moment gekommen war, auf den Michael gewartet hatte: eine Lösung. Ein Haus, eine Möglichkeit, ihren Plan in die Tat umzusetzen … Bei diesem Ziel handelte es sich um das Aschert-Anwesen. Ein großes, frei stehendes Gebäude, in dem das Ehepaar Aschert gelebt hatte. Die Frau, eine Elisabeth Aschert, sei wohl schon vor vielen Jahren an einer Krankheit gestorben, sodass nur noch ihr Mann Leopold übrig geblieben war. Diesen hätte es dann das folgende Jahr erwischt, und verspätet, so hatte Sven erzählt, hätten die Beamten von dem Ableben des alten Mannes erfahren. Da er sonst keine Kontakte nach außen gehabt hatte, und auch keine nennenswerten Familienangehörigen mehr besaß, ganz zu schweigen von der Abgeschiedenheit seines Hauses, wäre etwa eine Woche vergangen, bevor man ihn gefunden hätte. Ein Wanderer sollte dafür verantwortlich sein. Irgendein Reisender, der sich zufällig in der Gegend aufgehalten hatte, und dessen Neugierde so überwältigend gewesen war, dass er einen Blick in das Gebäude hatte riskieren müssen. Und da hatte er ihn dann gefunden … Leopold, allein, eingefallen, mit offenen Augen und Würmern, die aus seinem Mund gekrochen waren.
Seitdem stand das Haus leer. Da war sich Sven sicher. Genauso wie er sicher war, dass es nicht regnen würde.
Nachdenklich blickte Michael durch das Seitenfenster des Wagens hinaus in den fernen Himmel. Es schien, als hätten sich während der letzten zehn Minuten die Wolken noch ein bisschen stärker verdichtet. Bisher war noch kein Donnern zu hören gewesen, aber das musste nichts heißen.
Über den hügligen Pfad kamen sie immer weiter hinauf.
Die Landschaft an dieser Stelle bestand weitgehend aus Erde, Felsen und Bäumen. Das Anwesen selbst sollte auf einer freien Fläche, in der Mitte einer grünen Erhebung, stehen. Einige Meter davon weg sollte dann ein Wald anschließen, der das Gebäude wie eine Art Mauer umrundete.
Im Internet hatte Michael dazu Bilder gesehen. Er selbst besaß keinen Computer und Sven auch nicht, genauso wenig wie ein Handy, aber die Familien in dem Mehrfamilienhaus über ihnen, in dem sie untergekommen waren, die hatten solche Dinge gehabt. Also war Michael jedes Mal, wenn er gewusst hatte, dass die Luft rein war, in eine der oberen Wohnungen eingestiegen und hatte sich dort in den jeweiligen Büros zu schaffen gemacht. Über eines der Suchprogramme hatte er dann ein paar Informationen zusammengetragen, und er war erstaunt gewesen, als er die Bilder von diesem Haus gesehen hatte.
Offenbar schien es sich bei den Ascherts um sehr reiche Menschen gehandelt zu haben. Die Lage des Gebäudes war schön, aber der gesamte Bau, die hohen Holzwände, die Giebel und das steile Dach, hatte ebenfalls beeindruckend gewirkt, als wäre hier zu früheren Zeiten sehr viel Geld geflossen.
Abwartend blickte Michael auf seine Armbanduhr.
Es war jetzt kurz nach vier Uhr und damit der Beginn des späten Nachmittages. Wenn sie Glück hatten, und sich anstrengten, könnten sie bis zum Einbruch der Dunkelheit wieder auf dem Weg in die Stadt sein. Vorausgesetzt natürlich, die Ascherts hatten noch etwas in ihrem Anwesen zurückgelassen, das es sich zu nehmen lohnte.
Neben ihm hielt Sven gerade die Augen zu Schlitzen verzogen. Mehrmals bewegte er die Gangschaltung neben sich, der Wagen rauschte auf und brummte. Es handelte sich um ein älteres Modell eines kleinen Lasters. Von außen rostig und verbeult, aber wohl immer noch funktionsfähig. Von einem alten Bauernhof, an dem sie vorbeigekommen waren, hatten sie ihn mitgenommen, und Michael hoffte, dass der Wagen sowohl die Fahrt hinauf als auch wieder hinunter überstehen würde, sonst hätten sie ein Problem. »Gleich da«, zischte Sven und schaltete wieder einen Gang runter. Der Wagen erzitterte und gab ein hörbares Motorschnaufen von sich. Für einen Moment schien er langsamer zu werden, und so langsam, als würde er gleich stehen bleiben. Dann brummte es irgendwo im Inneren und sie jagten den steinigen Pfad weiter hinauf.
»Ich hoffe, du bist dir sicher, was dieses Haus angeht!«, meinte Michael und begann, seine Fingernägel zu kauen. Am liebsten hätte er sich jetzt eine Zigarette angesteckt, aber Sven rauchte nicht, und Michael wollte ihn besser nicht von der Fahrt ablenken.
»Natürlich bin ich sicher. Das fragst du schon die ganze Zeit!«
Ein Stück vor ihnen machte der Pfad eine Biegung nach links. Sven lenkte den Wagen ein, und sie ratterten mit dem Wagen an einem aufragenden Felsen vorbei, bis die Strecke wieder geradeaus führte. »Und die Antwort bleibt die gleiche.« Er pustete sich eine seiner langen Haarsträhnen aus dem Gesicht und zog anschließend wieder die Augen schmal.
Erneut blickte Michael auf seine Armbanduhr. Zeit hatten sie noch. Und weit und breit war niemand Fremdes zu sehen, was Michael freute. Das Letzte, das sie jetzt gebrauchen könnten, wäre irgendjemand, der sich hier verlaufen hatte.
Am Ende des Pfades führte der Weg nach rechts auf einen zweiten Pfad, der breiter geschlagen war und mit sehr viel weniger Stolpersteinen versehen.
Beruhigt atmete Michael ein und aus, als Sven auf diesen Pfad einbog und der Wagen aufhörte, jeden halben Meter zu wackeln.
Zu beiden Seiten wuchs jetzt halbhohes Gras in die Höhe. Ein starker Wind schien hier oben zu wehen, denn die Halme bewegten sich mal nach vorne, dann nach hinten.
»Gleich sind wir da«, rief Sven aufgeregt und trommelte auf dem Lenkrad herum. »Ich kann es schon sehen, das Geld, Gold, den Schmuck … wir werden reich, Michael, richtig reich.«
Michael zog hörbar die Luft ein. Ob das wirklich so war, würden sie vor Ort feststellen.
Der zweite Pfad führte eine weniger steile Erhebung hinauf. Versonnen blickte Michael wieder in Richtung des düsteren Himmels, als Sven ihn plötzlich am Arm tippte.
Schnell wandte sich Michael ihm zu. »Was?«
Sven zeigte durch die Frontscheibe hinaus. Michael folgte seinem Arm und machte dann große Augen, als er, ein paar Meter entfernt, das aufragende Anwesen der Ascherts erkannte.
Es sah tatsächlich so aus wie auf den Bildern im Internet. Die hohen Wände bestanden weitgehend aus grauem Holz. Die Fenster im Erdgeschoss waren kleiner als in den anderen Stockwerken. Drei Stockwerke insgesamt müsste das Gebäude haben. Der vordere Eingangsbereich war mit einer umfassenden Überdachung ergänzt, die zu beiden Seiten mit je drei Säulen gehalten wurde. Nach oben hin wurde das Haus schmaler und spitzer. Die verschiedenen Dächer fielen mal schräg, mal flacher ab und die Dachziegel waren etwas grauer als die Wände, was einen unheimlichen Kontrast entstehen ließ.
»Wo soll ich parken?«, fragte Sven.
»Dort, beim Eingang«, sagte Michael und zeigte darauf.
»Aber wenn das jemand sieht?«
Michael brachte seinen Kiefer zum Knacken. »Egal … Es wird schon keiner kommen. Und der Wald ist zu weit weg zum Abstellen.«
Sven nickte und fuhr direkt auf die vordere Überdachung des Gebäudes zu. Je näher sie kamen, desto umfassender wurde das Anwesen.
Schließlich parkte Sven den Wagen neben der rechten Säulenreihe des Eingangs und brachte den Motor zum Verstummen. »So«, meinte Sven erleichtert, »wir sind da.«
Michael brummte, dann öffnete er die Beifahrertür und stieg aus. Draußen zog er eine Packung Zigaretten aus seiner verlotterten Manteltasche, schob sich eine in den Mund und steckte sie an.
Der erste Zug erfrischte ihn von oben bis unten. Erleichtert atmete er den Rauch aus und merkte, wie sich seine Glieder entspannten. Der lange Weg den holprigen Hügel hinauf hatte seine Muskeln angestrengt, sodass er sich erst mal wieder an den unbeweglichen Boden unter ihm gewöhnen musste.
Während Michael in die Ferne blickte, hörte er Sven, der auf seiner Seite den Wagen verließ.
Schnell umrundete Michael den Wagen und blieb neben der ersten Säule der Überdachung stehen. »Beeindruckend«, meinte er, als er sich dort umsah, wieder eine Rauchwolke ausstoßend.
»Die beiden müssen sehr reich gewesen sein«, sagte Sven kichernd. Auch sein Mantel war vermodert und alt. Entlang seines linken Ärmels prangten mehrere Löcher, und der hellgrüne Schal, den er anhatte, hatte er vermutlich noch nie richtig gewaschen.
Michael machte die Augen schmal. »Ich will nur hoffen, dass sie reich gewesen sind. Immerhin geht es hier um unsere Zukunft. Und du hattest die Aufgabe, sicherzustellen, dass sich dieser Trip auch lohnt.« Sven seufzte. »Habe ich ja gemacht.«
Michael nickte. Erneut zog er an seiner Zigarette. »Wir sollten schauen, dass wir hier schnell vorankommen. Ich will nicht länger als unbedingt nötig hierbleiben.« »Gut«, sagte Sven, »dann sollten wir ...« Er hielt inne, als Michael eine Hand hob.
»Moment«, sagte Michael und schritt unterhalb der Überdachung voran, bis er die anderen Säulen erreichte und dann auch diese hinter sich ließ. Noch ein paar Schritte ging er weiter und blieb anschließend stehen.
Vor ihm offenbarte sich die weite, grüne Landschaft, die direkt an das Haus anschloss. Einige Kilometer entfernt ragte der Wald auf, die zahlreichen Bäume, die eine weitere Sicht dahinter versperrten. Der kühle Wind bewegte das halbhohe Gras, und knapp von dem Gebäude entfernt entdeckte Michael einen groß gewachsenen Apfelbaum, mit langen Ästen und grünen Blättern, die ein hörbares Rascheln von sich gaben, wenn der Wind sie bewegte.
Nachdenklich betrachtete Michael den Baum aus der Ferne. Es war seltsam, dass er ausgerechnet hier stand, überlegte er. Eigentlich war das Gelände von Bäumen befreit und doch stand da dieser Apfelbaum, einsam und verlassen, als hätte man ihn dort speziell hingepflanzt.
Unvermittelt tauchte Sven neben ihm auf. »Was ist da?«, fragte Sven.
Michael zuckte zusammen, aber beschloss, nicht auf die Frage einzugehen. Erneut blickte er zu dem Apfelbaum hinüber und stellte sich vor, wie zwei alte Menschen mit Eimern und Schaufeln zu der Stelle schritten, wo er jetzt wuchs, und dort ein Samenkorn vergruben, aus dem irgendwann dieser Baum erwachsen würde.
»Hallo?« Sven schnippte Michael vor den Augen herum. »Du hast doch gesagt, dass wir es eilig haben.« Michael sah Sven an. Seine Gedanken waren mit einem Mal verpufft, als wäre etwas in seinem Verstand explodiert. Aufgewühlt lauschte er Svens Worten und stellte dabei fest, dass er recht hatte.
»Ja«, sagte Michael leise. »Wir sollten anfangen.« Er nahm einen Zug von seiner Zigarette und warf sie dann auf den Boden. Mit einem Fußtritt versenkte er sie in die Erde und wandte sich dann zu dem großen Haus um. »Hast du das Brecheisen dabei?«
Sven nickte. »Ich hole es schnell.« Er eilte davon, und während er sich dem Wagen näherte, warf Michael einen erneuten Blick auf das aufragende Haus vor ihm.
Durch die kleinen Fenster auf Erdgeschosshöhe war nichts im Inneren zu erkennen. Manche von ihnen waren mit schwarzen Bändern verdeckt und andere vernagelt. In diesem Moment fragte sich Michael, ob nicht doch noch jemand in diesem Haus lebte und sie gerade beobachtete? Der Gedanke bereitete ihm eine Gänsehaut.
Schnell hob er den Kopf und blickte zu den anderen Fenstern empor, die etwas höher lagen. Auch durch sie war nichts erkennbar, und wenn sich tatsächlich noch jemand in dem Haus aufhielt, dann gab er sich bisher nicht zu erkennen.
Ach, Unsinn!, zischte es in seinem Verstand herum. Die Leute sind tot! Das Haus ist leer! Hör auf, so etwas zu denken …
Langsam näherte sich Michael der Überdachung und blieb unter ihr stehen. Von vorne kam Sven auf ihn zu, die Brechstange in der rechten Hand. »Hier ist sie.« »Dann los!«, meinte Michael und sie steuerten die nahe Haustür an. Genau wie die umliegenden Wände bestand auch die Tür aus Holz. An der Oberseite schlug die Tür einen abgerundeten Bogen, und der Türgriff auf Hüfthöhe war silbern.
Vor der Tür blieben sie stehen und Sven begann, die spitze Kante der Brechstange in den Türrahmen einzuarbeiten. Michael hörte es knacken und knirschen. Gerade wollte Sven mit voller Kraft zudrücken, als Michael eine Hand hob. »Warte mal!«
Sven hielt inne und sah ihn an. »Was?«, fragte er.
Unsicher streckte Michael eine Hand aus und berührte die silberne Klinke, die sich kühl unter seinen Fingern anfühlte. »Vielleicht ...« Ohne genau zu wissen, warum er das tat, drückte er die Klinke hinunter und investierte ein kleines bisschen Kraft … Davon ging die Tür ohne Probleme auf und segelte quietschend nach innen, bis sie am Rand verharrte.
Mit großen Augen blickten Sven und Michael ins Innere des Hauses. »Woher wusstest du das?«, fragte Sven.
Michael zuckte die Achseln. »Ich wusste es nicht. Ich habe nur vermutet.« Er ging an Sven vorbei und betrat den Eingangsbereich des Hauses, ein großer Raum, bestehend aus hölzernen Dielenbrettern. Von der Decke ragte eine abgeschaltete Lampe herunter, und die wenigen, seitlich stehenden Möbel waren alle unter weißen Decken verborgen. Jede Menge Staub lag in der Luft, und als Michael einen tiefen Atemzug nahm, meinte er ein rosiges Parfüm wahrzunehmen, nicht frisch, aber Spuren davon.
Hinter ihm betrat Sven das Haus und schloss die Tür hinter sich zu.
»Warte!«, rief Michael noch, aber da fiel die Tür gerade ins Schloss.
Sven sah ihn an. »Was denn?«
Michael deutete auf die Tür. »Geht sie wieder auf?«
Sven drehte sich um und öffnete die Tür, als würde er einen Sketch in einem Film durchführen. »Ja«, meinte er, als wäre das logisch, und schloss die Tür anschließend wieder. »Warum sollte sie das denn nicht tun?«
Michael seufzte. »Okay. Gut … ich wollte nur sichergehen.« Erneut wandte sich Michael wieder nach vorne. Drei Durchgänge schlossen an diesen Raum an. Einer links, einer rechts und einer in der Mitte. »Wir sollten uns aufteilen«, sagte Michael. »Jeder in eine Richtung, so kommen wir am schnellsten voran.« »Ich gehe nach rechts«, sagte Sven und deutete auf den entsprechenden Durchgang. »Wer etwas findet, ruft den anderen.«
Michael nickte und sah dann zu, wie sich Sven mit der Brechstange in der Hand entfernte.
Als er nicht mehr zu sehen war, fokussierte er die beiden verbliebenen Durchgänge links und in der Mitte. Der linke schien in eine Küche zu führen – so viel war auf die Distanz zu erkennen. Und der Durchgang in der Mitte in das restliche Haus.
Langsam ging Michael vor, bis er den mittleren Durchgang erreichte. Im Rahmen dieses Durchganges blieb er stehen und sah sich um. Offenbar handelte es sich hier um einen Anschlussbereich an das restliche Haus, dachte er. Direkt gegenüber erkannte er eine breite Treppe, die hinauf in den nächsten Stock führte. Links, ein Stück entfernt, gab es eine geschlossene Tür in einen anderen Raum.
Weiter ging Michael vor und hörte es unter seinen Füßen leise knacken. Unterhalb der Treppe, die hinaufführte, gab es noch eine weitere Abfolge von Stufen, die nach unten führte. Am Rand dieser zweiten Treppe blieb Michael stehen und blickte die Stufen hinunter. Dort müsste sich ein Keller befinden, überlegte Michael. Ein Ort, in dem Besitzer durchaus dazu neigten, ihre Wertsachen zu verstecken. Aber auch ein Ort, der Michael nicht besonders gut gefiel.
Es wäre also besser, erst mal die oberen Räume zu prüfen, dachte er. Später könnte man sich immer noch dem Keller zuwenden.
Entsprechend schritt er wieder zurück und folgte dann den Stufen hinauf, wobei es mit jedem Schritt heller und heller wurde, als ihm Sonnenlicht entgegenkam.
Oben führte ein langer Gang in zwei Richtungen. Mehrere Türen schlossen an diesen Gang an, die allesamt offenstanden. Durch sie drang das Sonnenlicht herein, anscheinend durch Fenster, die in den zugehörigen Räumen unbedeckt waren.
Okay, Michael… wo fangen wir jetzt an zu suchen?
Ohne zu viel darüber nachzudenken, beschloss Michael, nach links zu gehen.
Zügig bewegte er sich den Gang voran, bis er einen Raum durch eine offen stehende Tür betrat. Darin blieb er stehen und sah sich um.
Bei diesem Raum handelte es sich um eine Bibliothek. Die hohen Regale waren von oben bis unten mit Büchern gefüllt. Der Geruch von Papier lag in der Luft, und Michael fragte sich, wie man es in einem einzigen Leben nur schaffen konnte, so viele Bücher zu lesen.
Prüfend schritt er durch den Raum und untersuchte die Tische, die ebenfalls in dem Raum aufgestellt waren. Er öffnete die Schubladen, blickte hinein, schloss sie wieder. Anschließend öffnete er eine Truhe, aber außer Papier, Stiften und jede Menge Briefkuverts fand er nichts in ihnen.
Enttäuscht verließ er den Raum wieder und betrat den nächsten. Dieser war schmaler geschnitten und verfügte über ein großes Fenster gegenüber, durch das besonders viel Licht hereinstrahlte. Möbel gab es in diesem Raum keine, dafür jede Menge mit Laken verdeckte Bilder an den Wänden. Michael machte große Augen, als er seinen Blick durch den Raum gleiten ließ. Tatsächlich alle Bilder waren mit diesen weißen Laken verhängt, die lediglich eine Vermutung auf die Größe des Bildes darunter ermöglichten.
Interessiert schritt Michael nach links, vor die Wand, und hob eines der Laken an, unter dem er ein gerahmtes Bild erkannte, das zwei Menschen vor einer Waldkulisse zeigte. Das Bild war in Schwarz-Weiß gehalten, dennoch waren die Personen darauf gut zu erkennen: ein Mann und eine Frau, beide in reiferem Alter, und beide lächelnd, als wären sie glücklich.
Hm, dachte Michael und ließ das Laken wieder los. Offenbar handelte es sich bei diesen zwei um die ehemaligen Besitzer dieses Hauses. Gott möge ihrer Seele gnädig sein. Er verließ das Zimmer und folgte dem Gang ein Stück voran in das nächste. Aber als er dort auch nichts Brauchbares fand, betrat er das nächste, und so weiter, bis er durch eine offene Tür in ein besonders großes Zimmer kam.
Als Michael dieses Zimmer betrat, blieb er stehen.
Im Gegensatz zu den anderen war dieser Ort in zwei Bereiche geteilt. Der Eintrittsbereich hier, in dem sich rechts ein Kamin befand, und den zweiten Bereich links, der zum eigentlichen Schlafzimmer führte. Beide Bereiche waren durch einen breiten Durchgang miteinander verbunden.
Gleich links, in dem zweiten Bereich, gab es ein großes Bett gegenüber. Es wirkte edel und bestand nicht einfach nur aus einer Matratze, sondern aus einem Dachgestell aus Holz, das direkt mit der Bettwand an der Kopfseite verbunden war. Die Bettbeine waren aus hellbraunem Holz errichtet und in Kugelform angebracht, die Michael besonders auffiel.
Rechts, neben dem Bett, gab es einen Nachttisch, der über eine Schublade verfügte. Michael ging hin und öffnete sie, fand aber nichts Wertvolles darin. Lediglich einen Kamm und einen kleinen Handspiegel. »Das kann doch nicht wahr sein«, zischte Michael und schloss die Schublade wieder. Ob Sven schon etwas gefunden hatte?, überlegte er. Michael hoffte es, denn wenn sie nichts Wertvolles in diesem Haus fanden, hatten sie die ganze Reise umsonst gemacht und dürften von vorne anfangen. Und das wäre …
Plötzliche Schrittgeräusche ließen Michael herumfahren.
Mit klopfendem Herzen drehte er sich um und erkannte Sven, der sich ihm durch den ersten Bereich näherte. Neben der Brechstange hielt er jetzt auch einen braunen Stoffsack umklammert. »Sven!«, rief Michael. »Hast du etwas gefunden?« Sven nickte und hob den Sack hoch. »Oh ja, da ist Goldgeschirr drin, hehe ...« Er leckte sich über die Lippen. »Stammt direkt unten aus der Küche. War gut versteckt, aber meinen Augen entgeht nichts.«
»Ist das alles, was du gefunden hast?«, fragte Michael.
Sven senkte den Sack wieder. »Das ist ja wohl mehr, als du hast, will ich meinen ...« Sein Blick glitt von Michael hinüber zu der seitlich stehenden Kommode, die Michael auch schon aufgefallen war. »Das muss ihr Schlafzimmer gewesen sein«, sagte Sven.
»Wessen?«
»Na ihres … die Besitzerin. Elisabeth hieß sie. Die, die an einer Krankheit verschieden ist. Anscheinend hat ihr Mann ihr Schlafzimmer nach ihrem Ableben nicht mehr angerührt.« Ehe Michael etwas sagen konnte, legte Sven den Sack und die Brechstange auf das Bett und eilte zu der Kommode hinüber. Dort öffnete er die ersten Schubladen und gab einen beglückten Laut von sich.
»Was ist?«, fragte Michael und eilte um das Bett herum auf ihn zu. »Sag bloß ...« Michael blieb stehen, als sich Sven zu ihm umdrehte. Gerade standen seine Augen so weit offen wie Teller und er lächelte so breit, dass Michael dachte, seine Mundwinkel würden reißen. In beiden Händen hielt er jeweils mehrere Ketten umklammert, dazu Ringe, eine handliche Krone und noch weiteren Goldschmuck.
»Wir sind reich, Michael«, flüsterte Sven überwältigt. »Reich!«
Es stellte sich heraus, dass die alte Elisabeth Aschert eine Menge Schmuck besessen hatte.