Tote sollen liegen bleiben: Horrorthriller - Alexander Hogrefe - E-Book

Tote sollen liegen bleiben: Horrorthriller E-Book

Alexander Hogrefe

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Beschreibung

Eigentlich könnte Nathalie Winter nicht glücklicher sein. Sie lebt in einem großen Haus und liebt ihren Ehemann Joachim. Doch nach einem unerwarteten Fund wird sie skeptisch: Geht Joachim ihr etwa fremd? Um das Problem zu lösen, möchte Nathalie Mutter werden. Allerdings fault ihre Haut und sie atmet nicht. Schlaf braucht sie keinen und essen tut sie nur zum Schein: Sie ist eine lebende Leiche. Und lebende Leichen können keine Kinder bekommen! Verzweifelt macht sich Nathalie auf die Suche nach einer Lösung. Sie weiß, dass nicht nur ihre Ehe auf dem Spiel steht, sondern ihr Körper mit jedem Tag immer mehr verfault …

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Seitenzahl: 208

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Tote sollen liegen bleiben

Buchbeschreibung:

Eigentlich könnte Nathalie Winter nicht glücklicher sein. Sie lebt in einem großen Haus und liebt ihren Ehemann Joachim. Doch nach einem unerwarteten Fund wird sie skeptisch: Geht Joachim ihr etwa fremd? Um das Problem zu lösen, möchte Nathalie Mutter werden. Allerdings fault ihre Haut und sie atmet nicht. Schlaf braucht sie keinen und essen tut sie nur zum Schein: Sie ist eine lebende Leiche. Und lebende Leichen können keine Kinder bekommen! Verzweifelt macht sich Nathalie auf die Suche nach einer Lösung. Sie weiß, dass nicht nur ihre Ehe auf dem Spiel steht, sondern ihr Körper mit jedem Tag immer mehr verfault …

Über den Autor:

Alexander Hogrefe, Jahrgang 1995, begeistert sich schon lange für Mythologien aller Art. Mit 15 entdeckte er seine Leidenschaft für das Schreiben und begann seine ersten Versuche im High-Fantasy-Bereich, bevor er zum Horrorgenre wechselte. Seitdem hat er mehrere Romane auf verschiedenen Plattformen veröffentlicht. Seine Bücher behandeln häufig Phänomene menschlichen Scheiterns, insbesondere in der Konfrontation mit dem Übernatürlichen. Horror, ist der Autor überzeugt, kann dabei wesentlich näher an der Wirklichkeit dran sein, als diesem Genre gemeinhin unterstellt wird. Derzeit lebt und arbeitet er in Rheinland-Pfalz.

© Alexander Hogrefe – alle Rechte vorbehalten.

Die Charaktere und Ereignisse, die in diesem Buch dargestellt werden, sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen, lebend oder tot, ist zufällig und vom Autor nicht beabsichtigt.

Kein Teil dieses Buches darf ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Herausgebers reproduziert oder in einem Datenabrufsystem gespeichert oder in irgendeiner Form oder auf irgendeine Weise elektronisch, mechanisch, durch Fotokopieren, Aufzeichnen oder auf andere Weise übertragen werden.

Coverbearbeitung: Alexander Hogrefe

Coverbilder: Midjourney

Autorenporträt: Uschi Schmidt Fotografie

Korrektorat und Lektorat: anon.

www.alexanderhogrefe.de

Dieses Buch ist Bestandteil der zweiten Veröffentlichungsphase:

Wo Licht ist, ist auch Schatten!

Inhaltsverzeichnis

1.9

2.11

3.13

4.15

5.17

6.23

7.26

8.27

9.29

10.31

11.33

12.34

13.36

14.37

15.39

16.40

17.42

18.44

19.45

20.47

21.48

22.50

23.53

24.55

25.57

26.59

27.60

28.62

29.63

30.65

31.66

32.68

33.70

34.71

35.72

36.74

37.75

38.76

39.77

40.78

41.80

42.81

43.83

44.85

45.86

46.87

47.88

48.89

49.90

50.91

51.93

52.94

53.95

54.97

55.99

56.100

57.102

58.104

59.106

60.107

61.108

62.109

63.110

64.112

65.115

66.117

67.118

68.119

69.120

70.121

71.122

72.123

73.124

74.125

75.127

76.129

77.131

78.132

79.133

80.134

81.135

82.137

83.138

84.139

85.140

86.142

87.145

88.146

89.147

90.148

91.150

92.151

93.152

94.154

95.155

96.156

97.157

98.158

99.160

100.161

101.164

102.165

103.166

104.167

105.169

106. Zwei Jahre später170

Liebe Leserinnen und Leser,171

… Ich will nicht sterben!

1.

Ein bisschen hier.

Dann etwas da.

Die Beine durfte sie nicht vergessen, aber am wichtigsten waren die Arme. Ihre wunden, geschürften Arme.

Nathalie drückte die gelbe Tube zusammen und beobachtete, wie die fast durchsichtige Creme aus ihr herauslief. Zuerst beschmierte sie ihren rechten Arm, anschließend den linken.

Danach kümmerte sie sich um ihre Beine, die Füße. Sie verteilte ein bisschen auf ihrem Nacken, dem Gesicht und dem haarlosen Schädel.

Als sie fertig war, legte sie die Tube beiseite und betrachtete erneut ihre Arme. Sie wirkten jetzt normaler. Wie echte Haut, frisch und mit einer Spur Feuchtigkeit behaftet. Wenn da nicht die roten Geschwüre wären. Diese teichartigen Stellen, manche größer, andere kleiner, die teilweise wie aus dem Nichts entstanden waren, aber weder juckten noch nässten und zum Glück nicht einmal schmerzten. Vermutlich wegen der Creme. Nur breiteten sie sich immer mehr über ihren Körper aus, entlang der Beine, am Bauch, unterhalb der rechten Brust.

Seufzend erhob sich Nathalie und ging vor das weiße Waschbecken gegenüber.

In einem großen Spiegel betrachtete sie sich. Ihre Schultern sahen noch normal aus. Vielleicht etwas dürr, aber das war nicht schlimm. Keine Müdigkeit lag unter ihren Augen und ihre Lippen waren weiterhin so rot wie früher.

Bloß auf dem Kopf waren ihr die Haare nach und nach ausgefallen. Am Körper selbst störte das nicht – es ersparte ihr die eine oder andere Rasur –, aber auf dem Kopf? Irgendwann hatte sie eine Perücke tragen müssen.

Nathalie nahm die Perücke vom Rand des Waschbeckens. Sie bestand aus weißen, kurzen Haaren, die ihr bis knapp über die Ohren reichten.

Behutsam zog Nathalie sie auf und drückte sie an mehreren Stellen fest.

Dann blickte sie wieder in den Spiegel.

Das passt! Bis heute war sie unschlüssig, ob die weißen Haare sie älter oder jünger wirken ließen. Bei ihren achtunddreißig Jahren dachten manche vielleicht, dass das eine unsinnige Frage sei, da man sich lieber um andere Dinge kümmern sollte, aber dennoch … Nathalie war unsicher. Letztlich vermittelten diese Haare etwas Reiferes oder Weises. Sicherlich nützliche Eigenschaften in einer immer hektischeren Welt.

Mit einem Zwicken in der Magengegend trat Nathalie von dem Waschbecken zurück.

Die Zeit ist gekommen! Joachim, ihr Ehemann, war bestimmt noch wach, und er sollte eine der schönsten Nächte seines Lebens haben.

Das hatte er sich verdient.

Nathalie tastete an ihrem Hintern entlang zu einer kleinen Stelle am Rand ihres Beckens. Dort war der Drehknopf direkt in ihr Fleisch eingesetzt.

Nathalie drehte den Knopf ein kleines Stück nach links.

Aaah, sie atmete durch. Lange dauerte es nicht und sie spürte den wohligen Effekt an ihrer Weiblichkeit: Eine schöne Wärme aus ihrem Inneren. Nicht zu warm, sondern genau so, dass Joachim sich freuen würde.

Ich bin fast so weit.

Aus der Kommode unter dem Waschbecken holte Nathalie eine schmale Fernbedienung heraus, die über zwei Knöpfe verfügte.

Diese navigierte sie zu ihrer Brust und drückte den rechten Knopf.

Bum. Bum, erklang es daraufhin.

Nathalie legte die Fernbedienung beiseite.

Erneut hörte sie es: bum, bum … Ihr schlagendes Herz. Zumindest der Anschein davon.

Lächelnd verließ sie das Badezimmer.

2.

Vor Joachims Zimmertür blieb Nathalie stehen und ballte eine Hand zur Faust.

Jetzt war es so weit. Der letzte Sex war schon einige Wochen her. Auch damals hatte Joachim wenig Initiative gezeigt und sich mehr von ihr verführen lassen als andersherum. Sicherlich lag das daran, weil er so hart arbeitete. Er war oft unterwegs und er tat viel, damit sie sich ihr Leben in Saus und Braus leisten konnten.

Behutsam öffnete Nathalie die Tür und trat ein. Drinnen war es düster. Durch die Fenster gegenüber fiel schwaches Mondlicht herein.

Auf Zehenspitzen schritt Nathalie zu Joachims Bett.

Als sie es erreichte, hörte sie Joachims schwache Atemzüge.

Anscheinend schlief er schon.

Nathalie hob das rechte Bein und senkte es behutsam über dem Bett ab, bis ihre Fußsohle die weiche Bettdecke berührte. Dann positionierte sie ihren linken Fuß auf dem seitlichen Holzgestell, sodass sie wie der ehemalige Koloss von Rhodos darauf thronte. Langsam ließ sie sich absinken, bis sie mit dem Hintern Joachim traf.

Sogleich wurde er wach und schaltete die Nachttischlampe ein. Die Helligkeit vertrieb die Schatten mit einem Schlag. »W-was … was machst du da?«

»Hallo, Schatz.« Nathalie strich ihm über die Stirn. »I-ich bin wegen dir gekommen, weil …«

»Warte!« Joachim nahm ihre Hand weg. »Bitte … W-was soll das? Es ist mitten in der Nacht!« Er zeigte auf die Digitaluhr auf dem Nachttisch.

»I-ich dachte, dass ich dir damit eine Freude mache. Hast du denn keine Lust?« Sie breitete die Arme auseinander, aber Joachim schüttelte den Kopf.

»Nathalie, ich … du weißt, dass ich derzeit viel um die Ohren habe. Die Arbeit schafft mich und heute war ich einfach nur verdammt müde. I-ich kann jetzt nicht.«

Nathalie senkte die Arme. Von ihrem Unterleib spürte sie die wohlige Wärme ausgehen. »Aber so bist du doch sonst nicht. Weißt du, wann wir unser letztes Mal zusammen hatten? Das ist Wochen her.«

»Ich weiß.« Joachim fuhr sich über die Augen. »Und ich will es ja ändern, aber aktuell bin ich fertig mit den Nerven. Bitte ...« Er berührte sie an den Beinen. Ob er dabei etwas empfand?, überlegte Nathalie.

»Okay. Wenn du meinst, dann … dann ist es so.«

»Es tut mir leid. Vielleicht morgen, aber nicht heute Nacht.«

»Kriege ich wenigstens noch einen Kuss?«, fragte Nathalie.

Joachim nickte. »Natürlich.«

Sie beugte sich vor, da spürte sie ein Kribbeln im rechten Arm. Als würden Dutzende Ameisen in ihm hoch- und runterlaufen. Nathalie kannte dieses Gefühl. Sie hatte es bereits ein paar Mal gehabt und jedes Mal war es eine Katastrophe gewesen … Verdammt! Plötzlich schlug sie mit dem Arm aus – zack, einmal nach oben, dann nach unten.

Joachim sah sie fassungslos an.

Zügig sprang Nathalie von dem Bett, aber ihr Arm und ihre Hand waren schneller ... Sie griffen Joachim direkt am Hals.

Fest.

Sehr fest.

»Neeein!« Nathalie zog an ihrem Arm, aber das ließ Joachim noch mehr würgen. Keuchend lief er rot an und seine Augen traten hervor.

»Hör auf damit!«, schrie Nathalie ihren Arm an. »Sofort! Es reicht!« Sie zerrte erneut und ihr Arm gab nach.

Stöhnend rieb sich Joachim den Hals, während die Ameisen aus Nathalies Arm verschwanden. Kurz darauf konnte sie ihn wieder normal benutzen.

»S-schatz?«, fragte Nathalie vorsichtig. »Bitte, ist alles in Ordnung, i-ich ...«

Joachim hob eine Hand, das Gesicht rot wie eine Tomate. »Es ist alles gut«, flüsterte er. »Bitte, geh jetzt!«

Nathalie trat zurück. »Du weißt, dass ich das nicht wollte, das ist mein Arm, er … er spielt verrückt und ich ...«

»Ich weiß! Du hast es mir erklärt und ich verstehe es. Berede das einfach mit deinem Arzt und jetzt geh!«

»V-verzeihst du mir trotzdem?«

Joachim nickte. »Ja. Geh jetzt, Nathalie. Ich möchte schlafen!«

»Okay.« Sie ging zu der Zimmertür. »Tut mir leid, Schatz. U-und gute Nacht.«

»Nacht!«

3.

Bevor sich Nathalie in ihr Bett legte, zog sie ihre Perücke ab und schmierte ihre Arme mit Creme ein. Von allen Körperstellen, die sie regelmäßig behandelte, waren ihre Arme am bedürftigsten.

Schließlich deaktivierte sie ihren künstlichen Herzschlag und dazu den Wärmemacher im Becken. In der Düsternis des Zimmers legte sie sich hin und starrte zu der fernen, weißen Decke hoch.

Links war eines der Fenster gekippt. Ein leichter Wind wehte herein und bauschte die seitlichen Vorhänge.

Dass Joachim sie auf diese brüske Weise abgelehnt hatte, schmerzte Nathalie und sie fragte sich, was schlimmer war: Dass Joachim nichts mehr von ihr wollte oder dass ihr Arm wieder einmal durchgedreht war.

Aber warum passierten diese Dinge überhaupt?

Joachim war ihr Ehemann. Seit drei Jahren waren sie verheiratet und eigentlich glücklich miteinander. Es war eine Blitzhochzeit gewesen. Lange hatten sie sich nur sporadisch getroffen und dann hatte Joachim ihr von einem auf den anderen Tag einen Antrag gemacht.

Die Gedanken an ihre Hochzeit erfüllten Nathalie mit Freude. Sie dachte an den schönen Schmuck von damals, die geladenen Gäste, das Feuerwerk und die noch bessere Laune. Und jetzt …

Erneut holte Nathalie bewusst Luft.

Jetzt waren drei Jahre vergangen. Joachim war erfolgreich geworden, sie lebten in einem prächtigen Haus, aber um ihre Ehe stand es nicht gut. Zudem machten Nathalie ihre körperlichen Probleme zu schaffen. Joachim wusste nichts davon. Zumindest von den meisten Dingen nicht. Er wusste nicht, dass sie sich alle paar Stunden eincremen musste, damit ihre Haut nicht zum Teufel ging. Er wusste nicht, dass sie eine Perücke trug, um ihre Glatze zu verbergen. Er wusste auch nicht, dass viele ihrer menschlichen Körperfunktionen nicht mehr funktionierten.

Sie hatte es ihm nie erzählt. Das lag daran, dass sie ihn liebte. Auf der anderen Seite konnte sie ihm kaum beichten, dass sie eine Leiche war. Eine lebendige Leiche, um genau zu sein.

Wenn Joachim das wüsste, würde er sie vermutlich verlassen oder Schlimmeres.

Und gleichzeitig war sie immer noch Ehefrau. Sie sollte also für ihren Mann da sein, ihn unterstützen und ihm … Nathalie klappte der Mund auf … Kinder schenken?

In den letzten Jahren war ihr dieser Gedanke immer wieder gekommen. Jaa … Kinder ... Nathalie war überzeugt, dass sie die Lösung für zahlreiche Probleme wären. Denn mit Kindern hätten sie alle einen Grund, näher zusammenzurücken. Mit Kindern würde Joachim vielleicht weniger arbeiten und dieses Haus wäre wieder mit mehr Leben erfüllt.

»Ja«, hauchte Nathalie. Sie wollte Mutter werden, sie wollte Kinder. Aber wie sollte sie als toter Körper so etwas erreichen?

Betrübt drehte sie sich auf die Seite.

Morgen hatte sie einen Termin bei dem Arzt ihres Vertrauens. Er war ein Freund und er wusste über ihren Zustand Bescheid. Vielleicht konnte er ihr helfen und Licht in dieses Dunkel bringen?

Nathalie schloss die Augen.

Hoffentlich …

4.

Glücklicherweise fand Nathalie einen Parkplatz in Praxisnähe.

In der Stadt herrschte jede Menge Trubel: Dutzende Autos stauten die Kreuzungen und immer wieder war lautes Hupen zu hören.

Zügig stellte Nathalie den Wagen innerhalb der Parkmarkierung ab und zog den Schlüssel aus der Zündung. Durch die Frontscheibe sah sie ein paar Passanten über den seitlichen Bürgersteig laufen. Am Himmel hatten sich Wolken gebildet und vielleicht würde es bald regnen.

Schnell ging Nathalie die Sachen in ihrer Handtasche durch … Ihre Hautcreme hatte sie dabei. Auch ihr Handy war da.

Perfekt.

Sie zog die Tasche auf ihre Schulter und stieg aus. Sogleich wehte ihr ein kräftiger Wind entgegen, Hupgeräusche erklangen und von irgendwo rief jemand laut einen Namen.

Als Nathalie um den Wagen herum lief, prallte ein Mann gegen sie. Es knackte geräuschvoll, als sie zusammenstießen, und der Mann sprang erschrocken zurück. »Oh Gott, was war das denn?«, rief er fassungslos. Schnell zog er sich die Kopfhörer aus den Ohren. »I-ich habe Sie nicht gesehen, tut mir leid. Geht es Ihnen gut?«

Nathalie fühlte in ihre rechte Hand hinein. Ihr Zeigefinger schien gebrochen zu sein. »Ääh ...«

Der Mann war noch jünger, mit Kappe auf dem Kopf und losen Bartansätzen entlang des Kinns. »B-brauchen Sie Hilfe?«, fragte er besorgt.

Nathalie lächelte. »Nein! … ich brauche keine Hilfe. Es ist nichts passiert, machen Sie sich keinen Kopf.«

»Sind Sie sicher? I-ich habe Sie wirklich nicht gesehen, das ist meine Schuld, es tut mir so leid.«

Nathalie dehnte ihr Lächeln. »Es ist nichts. Ich sage es Ihnen doch. Gehen Sie einfach und kümmern Sie sich nicht weiter darum.«

Der Mann nickte, bevor sein Blick auf ihre Hand fiel. »Geht es der gut?«

»Blendend. Keine Sorge.« Sie schritt an dem Mann vorbei zu dem hohen Gebäude gegenüber, in dem der Frauenarzt Wolfgang Marsehn seine Praxis hatte.

Durch eine Glastür trat sie ins Innere und als sie sich umdrehte, war der junge Mann verschwunden.

»Scheiße.« Betrübt musterte sie ihre Hand. Weh tat sie nicht, aber ihren Zeigefinger konnte sie nicht mehr richtig bewegen. Das passierte, wenn starke Kräfte von außen unerwartet auf sie einwirkten. Eines von vielen Problemen, mit denen sie sich als lebende Leiche herumschlagen musste.

Nathalie betrat den nächsten Aufzug und fuhr in den dritten Stock.

Oben stieg sie aus und atmete tief durch. Sie spürte, wie sich ihre Lunge füllte und die Luft dann wieder durch ihre Nase austrat. Wenn sie sich darauf fokussierte, atmete sie öfter als sonst. Manchmal aber konnte es passieren, dass sie eine ganze Weile keinen Sauerstoff einzog. Brauchen tat sie ihn nicht. Auch das war eine Folge ihres Lebende-Leiche-Daseins.

Einem kurzen Gang folgte sie nach rechts, bis sie vor einer weißen Tür ankam. Daneben hing ein Schild, auf dem stand: Dr. Wolfgang Marsehn, Frauenarztpraxis.

Nathalie öffnete die Tür und trat ein.

Hinter einem weißen Tresen hockten zwei Mitarbeiterinnen und bedienten Patienten. Der leicht stechende Geruch von Desinfektionsmittel lag in der Luft.

Als die Tür zufiel, endete der Luftzug in Nathalies Nacken. Zügig stellte sie sich hinter einer anderen Frau an.

Während sie wartete, betrachtete sie die langen Messer, Dolche und Schwerter, die an den Wänden aufgehängt waren. Sie waren ihr schon aufgefallen, als sie vor zwei Jahren zum ersten Mal hierher gekommen war. Damals hatte Wolfgang erklärt, dass er diese Waffen sammelte und sie deshalb gern in seiner Praxis präsentierte.

»Frau Winter?«

Nathalie blickte nach vorne. Hinter dem Tresen winkte ihr eine junge Frau zu. Sie hatte gelockte, blonde Haare und ihr bleiches Gesicht war mit Sommersprossen übersät. »Steffi.« Nathalie kam vor. »Wie geht es dir?«

»Ich kann nicht klagen«, meinte Steffi lächelnd. Genau wie ihre Kollegin trug sie ein weißes Oberteil mit dazu passender Hose. »Sie haben mal wieder einen Termin bei Herrn Marsehn, wie ich sehe.« Nathalie nickte. »Ganz genau.«

»Er wartet bereits auf Sie.« Mit einer Akte kam Steffi um den Tresen herum. »Folgen Sie mir. Ich begleite Sie runter.«

5.

Über eine Treppe gelangten Steffi und Nathalie in ein unteres Stockwerk. Gleich rechts schimmerte etwas Licht durch eine geöffnete Tür heraus. Dahinter sah Nathalie den Arzt Wolfgang Marsehn auf einem Rollhocker sitzen. Er trug ein weißes Polo und eine gleichfarbige Hose. Mit seinen 75 Jahren wirkte er noch recht sportlich, seine haarigen Unterarme gingen in gewaltige Hände über. Er hatte längere, graue Haare und einen kurzen Bart. Um seinen Hals hing eine Brille an einem schwarzen Band.

Im Türrahmen blieb Steffi stehen und räusperte sich. »Ah, Steffi. Da bist du. Ist sie da?«, fragte Wolfgang Marsehn.

Steffi nickte. »Direkt hinter mir.« Sie schritt beiseite und Nathalie betrat den Raum. »Wolfgang.« Nathalie winkte ihm zu.

»Ah, komm rein und setz dich schon mal hin.« Er zeigte auf die Liege in der Mitte des Raumes. Zusätzlich gab es mehrere Anrichten und einen stabilen Glasschrank weiter hinten.

Nathalie setzte sich auf die Liege. Zu Beginn ihrer wöchentlichen Treffen hatte Wolfgang erzählt, dass das hier seine Ersatzpraxis sei. Eigentlich hatte er die oberen Behandlungsräume um diesen Bereich erweitern wollen, aber das hatte bisher nicht geklappt.

Steffi reichte Wolfgang die Akte. »Hier, bitte«, sagte sie.

Wolfgang nahm sie entgegen. »Danke. Das wäre dann auch alles.«

Steffi nickte und verließ den Raum.

Wolfgang wandte sich auf seinem Hocker herum, die aufgeschlagene Akte in den Händen. »Soo, Nathalie, da sind wir wieder.« Er legte die Akte beiseite. »Wie geht es uns heute?«

»Nicht gut«, meinte Nathalie.

»So? Was ist denn passiert?«

Nathalie hielt ihm die rechte Hand hin. »Mein Finger. Das ist das erste Problem. Draußen ist jemand gegen mich gelaufen und das hat mir den Finger gebrochen.«

Wolfgang zog seine Brille auf und rückte näher an die Liege heran. Eingehend betrachtete er Nathalies Hand. »Der ist nicht gebrochen, sondern ausgerenkt. Moment.« Er zog einmal kräftig an dem Finger, sodass es knackte.

Nathalie riss die Augen auf, aber bevor ein stechender Schmerz entstehen konnte, war das Gefühl wieder verschwunden. »Ooh … d-das ging schnell.«

»Solche Dinge passieren. Du weißt ja, dass dein Körper empfindlicher ist als andere. Auch was deine Knochenstärke angeht.«

Nathalie seufzte bewusst. »Ich weiß. Es passiert ja auch zum Glück nicht so oft, sondern eher dann, wenn ich mich nicht konzentriere.«

»Hm ...« Wolfgang musterte sie von oben bis unten. »Was macht deine Haut?«

»Überlebt, wenn ich sie behandle.« Nathalie holte die angebrochene Cremetube aus ihrer Handtasche. Anschließend präsentierte sie Wolfgang ihre Arme. »Ohne die Creme wäre ich am Ende.« Seit gestern hatten sich die Geschwüre nicht verändert – nach wie vor waren es kleine, rote Teiche, mit unförmigen Rändern.

»Das heißt aber, dass die Creme wirkt, und das ist gut so.« Wolfgang rückte auf seinem Hocker nach hinten zu der seitlichen Anrichte. Aus einer Schublade holte er eine neue Tube Creme und kehrte zu Nathalie zurück. »Hier. Das sollte erst mal ausreichen. Denk daran, so oft wie möglich zu schmieren. Nur das hält deine Haut frisch und feucht sowie die Geschwüre zurück.«

»Ich weiß«, sagte Nathalie. »Ich bin dir übrigens immer noch dankbar dafür, dass du sie mir besorgt hast. Ohne dich wüsste ich nicht, was ich machen soll.«

»Ach.« Wolfgang winkte ab. »Ich helfe, wo ich kann. Außerdem bist du eine besondere Person, Nathalie. So etwas wie dich habe ich noch nie gesehen. Dir zu helfen, ist also auch spannend, da ich selbst einiges lernen kann.«

Nathalie lächelte. Sie erinnerte sich, wie sie zum ersten Mal mit Wolfgang über ihre Probleme geredet hatte. Durch Zufall war sie auf ihn gestoßen und nach einem ersten Treffen hatte sich Wolfgang bereit erklärt, zu helfen. Bis heute.

»Wollen wir mit unserer Befeuchtungsprozedur anfangen?«, fragte Wolfgang.

Nathalie nickte. Beherzt entkleidete sie sich, bis sie nur noch ein weißes Unterhemd anhatte. Dann legte sie sich auf die Liege.

Währenddessen zog Wolfgang ein paar Geräte heran, die Nathalie an kleine Roboter erinnerten. Sie verfügten über lange, weiße Schläuche und ließen sich über kleine Bildschirme steuern.

Entspannt legte Nathalie die Arme auf die Brust. »Ich bin so weit.«

»Ich auch gleich.« Wolfgang streifte sich Handschuhe an. »Wie geht es eigentlich dem Wärmer?«

»Gut, wenn Joachim ihn auch nutzen würde ... Das Gerät funktioniert tadellos.«

Wolfgang räusperte sich. »Möchtest du darüber reden?«

»Es gibt nicht viel zu sagen. Ich habe mich ihm angeboten und er wollte nicht darauf eingehen. Ich weiß selbst nicht warum.«

»Hm ...« Wolfgang nahm einen der Schläuche und näherte sich Nathalie. »Bist du bereit? Ich fange jetzt an.«

Nathalie nickte. »Ich bin bereit.« Sie spürte, wie Wolfgang den Schlauch sanft in sie einführte. »Ob er einen Verdacht geschöpft hat?«, fragte Nathalie, während der Arzt die Maschine aktivierte. Daraufhin begann der seitliche Kasten zu brummen und Nathalie merkte, wie eine Kühle sich von ihrer Körpermitte bis zu den Schultern und Füßen ausbreitete. »I-ich spüre es.«

»Das wird deinen Körper von innen erfrischen. Du weißt ja, wie das läuft. Damit verhindern wir den weitergehenden Verfall und Schimmel.«

»Aber es hält nicht mehr so lange wie früher. Früher mussten wir es nur ein Mal alle paar Monate machen.«

Wolfgang seufzte. »Ich weiß. Das ist ein Problem. Und eines, das ich bisher nicht lösen konnte. Ganz offensichtlich reagiert dein Körper immer mehr darauf, dass du eine Leiche bist. Seit deinem Erwachen versucht er pausenlos, Funktionen zu ersetzen. Mal geht das nicht, mal das. Es ist ein Hin und Her und ich fürchte, dass sich dieser Kampf mit jedem Jahr deutlicher bemerkbar machen wird. Mit der Befeuchtung ...«, er zeigte auf die brummende Maschine, »verhindern wir den Prozess auch nicht, sondern wir verschieben ihn. Irgendwann werden wir uns etwas Neues einfallen lassen müssen.«

»Sag es doch so, wie es ist«, sagte Nathalie.

»Was meinst du?«

»Du hast Prozess gesagt, aber das stimmt nicht. Es ist kein Prozess, sondern Verfall.«

Wolfgang seufzte. »Unterm Strich kommt es auf das Gleiche raus. Das macht es so interessant. Wie steht es um deine Atmung?«

»Wenn ich will, dann kann ich atmen. Aber es gibt Momente, da atme ich gar nicht.«

»Ja, sehr interessant. Es scheint, als würde sich dein Gehirn auch ohne Sauerstoff versorgen können. Und wie steht es um die Verdauung?«

»Ich esse, wenn ich essen muss, und dann kommt es genauso raus, wie ich es dem Magen zugeführt habe.«

»Aber das bereitet dir keine Probleme?«, fragte Wolfgang.

»Nicht wirklich. Ich habe mich daran gewöhnt.«

»Wenn man bedenkt, dass du keinen Herzschlag hast, aber dein Blutkreislauf partiell weiterläuft, erscheint es mir, als hätten wir es mit zwei verschiedenen Systemen in deinem Körper zu tun. Dem einen System, das nicht mehr funktioniert und das mit deinem Tod geendet ist. Und das andere System, das weiterhin aktiv ist, mal mehr und mal weniger. Und das zweite System versucht fortwährend, das erste auszugleichen. Zumindest das Notwendigste davon.«

»Und ich kann nichts dagegen tun«, sagte Nathalie.

»Doch. Du arbeitest dem zweiten System entgegen. Du unterstützt es, aber du rettest es nicht. Achtung, ich ziehe den Schlauch raus.«

Nathalie spürte, wie Wolfgang den Schlauch entfernte.

»So, das hätten wir.« Wolfgang holte ein Handtuch. »Noch ein paar Minuten, dann müsste es gut sein. Das wird dich jetzt erst mal frisch halten.«

Nathalie versuchte ein Lächeln. »Du bist immer noch nicht auf meine Frage eingegangen.«

»Welche?«

»Na, wegen Joachim. Glaubst du, er schöpft einen Verdacht, dass ich eine Leiche bin?«

Wolfgang rückte mit dem Hocker um die Liege herum, sodass sie ihn besser sehen konnte. »Aber nein. Das ist absurd, warum sollte er das glauben? Bis du zu mir kamst, habe ich es selbst nicht geglaubt. Nein, ich denke, es ist etwas anderes.«

»Und was?«

Wolfgang entfernte sich. »Hm … alles Mögliche. Vielleicht arbeitet er zu viel oder er macht etwas anderes durch. Das kann unterschiedliche Gründe haben.«

»Vielleicht betrügt er mich ja?« Nathalie schluckte schwer. Würde Joachim sie etwa wirklich hintergehen? Ihr Joachim? Der Mann, der geschworen hatte, sie bis ans Ende aller Tage zu lieben?

»Ist er denn der Typ dafür?« Wolfgang kehrte mit einer Kopflampe zurück. Zudem trug er jetzt eine Brille, die seine Augen massiv vergrößerte. »Ich prüfe den Wärmer, okay? Dauert nicht lange.«

»Mach nur«, meinte Nathalie. »Ich weiß nicht, ob er der Typ dafür wäre. Mein Herz sagt Nein.«

»Dann ist es so.« Wolfgang tastete Nathalies Intimbereich ab. »Ich würde nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen. Das tut niemandem gut und eigentlich seid ihr doch glücklich.«