Der ewige Treck, Teil 3 - Ute Mrozinski - E-Book

Der ewige Treck, Teil 3 E-Book

Ute Mrozinski

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Beschreibung

Die Crew der Sternenspürer hat sich in der Wüste nahe Beit-Sahir gut eingelebt. Sie haben das kleine Beit-Sahir zum Blühen gebracht. Hirten und Haspiri sind zu einer Gemeinschaft geworden. Auch mit den Römern vereinte sie ein freundliches, geschäftliches Verhältnis. Doch als ein neuer Statthalter die Bühne betritt, der Römer Pontius, wird es plötzlich ungemütlich. Sie sollen einen höheren Steuersatz bezahlen. Als der Hirtenführer David sich weigert, wird er erschossen. Der Multimutant Jes-Sieh, der Sohn von Ma-Ira und Sem, wird von Pontius Männern verschleppt. Sie bringen ihn nach Golgatha, wo eine böse Legende auf Erfüllung wartet.

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Zum Buch

Die Crew der Sternenspürer hat sich in der Wüste nahe Beit-Sahir gut eingelebt. Sie haben das kleine Beit-Sahir zum Blühen gebracht. Hirten und Haspiri sind zu einer Gemeinschaft geworden.

Auch mit den Römern vereinte sie ein freundliches, geschäftliches Verhältnis. Doch als ein neuer Statthalter die Bühne betritt, der Römer Pontius, wird es plötzlich ungemütlich. Sie sollen einen höheren Steuersatz bezahlen. Als der Hirtenführer David sich weigert, wird er erschossen. Der Multimutant Jes-Sieh, der Sohn von Ma-Ira und Sem, wird von Pontius Männern verschleppt.

Sie bringen ihn nach Golgatha, wo eine böse Legende auf Erfüllung wartet.

Was ich so treibe...

Ich wurde 1961 geboren, bin verheiratet und lebe seit 1978 in einer kleinen Stadt am Rhein.

In meiner Freizeit schreibe ich Science-Fiction, Fantasy, Krimis und Psychothriller.

Meine Texte sind so, wie ich sie selber gerne lese, poetisch, spannend und engagiert.

Meine jüngsten Veröffentlichungen, sind der zweibändige Fantasyroman, "Keines Menschen Fuß", außerdem die Thriller aus der Reihe Menschenleben...

"Nur ein ferner, dunkler Traum."

"Der Mensch ist auch nur ein Virus."

Dieser Roman, "Der ewige Treck, Teil III – Was ist Zeit?", ist der dritte Band aus der überarbeiteten Neuauflage der Reihe, "Der ewige Treck!"

Anmerkung der Autorin

Namen, Orte, handelnde Personen entspringen der Fantasie der Autorin. Ähnlichkeiten mit verstorbenen oder noch lebenden Personen, sind rein zufälliger Natur.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Am Rande von Jerusalem…

Kapitel 2 Rückkehr

Kapitel 2 Finstere Nachbetrachtung…

Kapitel 3 Visionen…

Kapitel 4 Jes-Sieh erwacht…

Kapitel 5 Die Botschaft

Kapitel 6 Der Aufbruch

Kapitel 7 Die Legende der Stara I

Kapitel 8 Das Negativ

Kapitel 9 Opfergang

Kapitel 10 Das Geschenk

Kapitel 11 In der Wüste – Davids Traum

Kapitel 12 Ein Abschied und eine Hoffnung

Kapitel 13 Immer noch für ewig

Kapitel 14 Jes-Sieh macht sich Gedanken

Kapitel 15 Nichts stirbt wirklich

Kapitel 16 Ein neuer Start

Kapitel 17 Der Angriff

Kapitel 18 Aufbruch nach Golgatha

Kapitel 19 Golgatha…

Kapitel 20 Kampf der Mutanten

Kapitel 21 Der Prozess

Kapitel 22 Unterwegs - Sah-Gahn und Lucius

Kapitel 23 Kreuzigung

Kapitel 24 Rettung naht ...

Kapitel 25 ... Es ist vollbracht

Kapitel 26 Was ist Zeit…

Epilog

Kapitel 1 Am Rande von Jerusalem…

Ma-Ira fühlte sich erschöpft. Der stundenlange Ritt durch die Wüste dörrte ihre Kehle aus, obwohl sie immer wieder einen Schluck Wasser zu sich nahm. Es war Sommerzeit, es war Mittag. Sie war schwanger! Sie hatte zu lange rumgetrödelt, sich zu lange nach Nephets umgeschaut, bis er dann endlich kam. Selbst dann noch war sie nur zögernd hinter Josef hergeritten.

»Aber«, dachte sie, »das ist es wert! Nephets Freundschaft ist die doppelte Anstrengung wert. Und wir sind ja jetzt auch bald da.«

In der Ferne zeichnete sich die Silhouette der Stadt Jerusalem ab. Stumm ritt Josef ihr immer einige Schritte voraus. Das ging schon so, seit sie sich von Nephets verabschiedet hatte, wenn sie versuchte ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, antwortete er nur einsilbig. Als sich Jerusalem immer deutlicher vor ihren Augen abzeichnete, hielt er sein Kamel plötzlich an, und schaute sich nach ihr um. Als sie ihr Tier neben ihm zügelte, sprach er sie an. »Du fragst dich sicher junge Frau«, sagte er, »warum ich die ganze Zeit nicht mit dir gesprochen habe. Nun, ich habe nachgedacht. Ich habe nachgedacht über dich und Sem!«

»So«, sagte Ma-Ira. »Zu welchem Ergebnis bist du gekommen Josef? Hast du eingesehen, das du einen Fehler gemacht hast, als du Sem geraten hast mich fallen zu lassen? Hast du ein schlechtes Gewissen bekommen? Du warst es doch nicht wahr, der ihm dazu geraten hat?« Sie lachte bitter und spürte die Demütigung wieder, die sie an diesem Tag gefühlt hatte.

Aber Josef schüttelte den Kopf. »Nein junge Frau! Nein, ich glaube nicht das es ein Fehler war. Im Gegenteil, ich glaube, dass ich euch beide einen Gefallen getan habe.«

»Einen Gefallen?« Ma-Ira wurde rot vor Zorn. »Du hast meine Zukunft zerstört! Du hast zugelassen, dass ich gedemütigt werde! Bist du schon so alt, dass du nicht mehr weißt, was junge Liebende fühlen?«

Josef lächelte. Dieses Lächeln war weder spöttisch, noch wütend, noch mitleidig. Es war weise.

»Ich sollte jetzt genauso wütend sein wie du, denn du lässt es wahrhaftig an Respekt vor dem Alter fehlen. Aber das, ist das Vorrecht der Jugend – anzuzweifeln. Doch in diesem Fall

werde ich Recht behalten. Irgendwann wirst du es selber merken.«

Dann schwieg er wieder und trieb sein Kamel vorwärts. Ma-Ira blieb nichts anderes übrig als ihm zu folgen, und ihre Wut herunterzuschlucken.

Nun war sie also hier. Am Rande der großen Stadt Jerusalem. Die Häuser sahen klein und eng aus, die Gassen staubig und schmutzig! Hier sollte sie ihr Kind gebären? Vollkommen allein unter fremden Wesen. Wesen, die zwar größtenteils so aussahen wie sie, aber ansonsten anders dachten, anders lebten. Sie saß auf einem Strohsack, in dem Haus der alten Frau, bei der Josef sie abgeliefert hatte. »Gib gut auf sie und das Kind Acht, das sie unter dem Herzen trägt. Ich habe ihrem Vater versprochen, das ihr nichts geschieht.« Dann hatte er der alten Frau die Ruth hieß, ein Geldstück in die Hand gedrückt und war gegangen. Wenige Meter neben dem Strohsack, der ihr Bett sein sollte, kaute eine magere Kuh auf einem Ballen Heu herum, links von ihr lief gackernd ein Huhn durch das Haus. Die Hütte war ärmlich. Es gab eine Feuerstelle, einen großen Stein, der als Tisch diente, sonst nichts. Durch ein großes viereckiges Loch, das sich Fenster nannte, fegte der Wind herein. Außerdem stank es hier nach Tieren und den Ausdünstungen der alten Frau. Wo war sie hier bloß gelandet? Da hätte sie lieber im Freien übernachtet! Sie musste an ihre Freunde, an Nephets und ihren Vater denken. Plötzlich stürzten ihr die Tränen aus den Augen, und sie schluchzte hilflos vor Heimweh. Ein schmaler faltiger Arm legte sich plötzlich um ihre Schultern, eine heisere aber warme Frauenstimme drang an ihr Ohr. »Weine nicht junge Frau. Du wirst es hier nicht schlecht antreffen. Du wirst mir im Haushalt helfen, ich helfe dir dein Kind zu gebären. Dann wirst du wieder nach Hause zurückkehren. Denn dein Vater liebt dich und hat Angst dich zu verlieren. Glaub mir, damit hast du mehr, als jedes junge Mädchen, das bisher zu mir kam!«

Unter Tränen schaute Ma-Ira sie erstaunt an. »Woher weißt du das?«

»Ich weiß es eben. Ich spüre diese Dinge! Du spürst sie doch auch!“

»Beim Sternenhimmel«, rief Ma-Ira aus. Du hast doch nicht auch…?«

»Doch«, sagte die alte Frau. »Ich habe das Zweite Gesicht. Schon von Jugend an. Es gibt mehr von uns, als du vielleicht glaubst.«

Seitdem war das Eis gebrochen. Ma-Ira gewöhnte sich an die ärmliche Unterkunft. Sie half der alten Frau, die Ruth hieß, das Haus rein zu halten. Sie molk die Kuh, und lernte wie man Käse aus der Milch zubereitete. Sie zog mit der alten Ruth jeden Tag eine windschiefe, selbst gebastelte Handkarre auf den Markt und verkaufte dort Käse, Eier, Milch. Nicht auf dem offiziellen Markt im Stadtzentrum, dort hätten sie Standpreise bezahlen müssen. Nein, sie zogen ihren Karren bis an den Rand des Viertels und verkauften dort ihre wenigen Produkte zu niedrigen Preisen an Vorübergehende, von der allgegenwärtigen, römischen Armee stillschweigend geduldet! Ma-Ira putzte das Haus jeden Tag von oben bis unten, kehrte es akribisch, um nur ja jedes Krümelchen Tierkot, Staub und anderen Schmutz zu entfernen. Nicht unbedingt sehr gesundheitsfördernd für schwangere Frauen, dachte sie. Aber ich muss ja nicht immer hier leben! Wenn ich wieder bei meinen Leuten bin, muss ich Lu-Cas davon erzählen, vielleicht kann er was für die Menschen hier tun? Solange bleibt mir nichts anderes übrig, als zu fegen! Ich darf in der Zeit, in der ich hier bin, so wenig wie möglich auffallen! Aber weder die ″Obrigkeit″, noch die Bürger Jerusalems, achteten auf sie. Die armen Leute in den Vororten waren es gewöhnt, dass die alte Ruth junge Mädchen in ihrem Hause beherbergte.

Wenige Tage, nachdem sie in diesem Haus gelandet war, in einer dunklen wolkenverhangenen Nacht, wachte sie schweißgebadet auf und wusste sofort, dass etwas Schreckliches geschehen war. Es war so unvorstellbar schrecklich, dass sich ihr Herz zusammenkrampfte. Bleich und starr wie eine Statue saß sie hochaufgerichtet auf ihrem Lager, starrte blicklos vor sich hin.

»Nein großer Bund«, flüsterte sie heiser. »Nein, bitte nicht. Das darf nicht sein! Bitte, seine Zeit ist noch nicht gekommen! Er muss leben! Oh Sternenhimmel, er muss noch leben!«

»Kind«, eine Hand legte sich auf ihre Schulter, »Kind, was ist geschehen? Was ist los! Du bist ja bleich wie der Tod!«

Ma-Ira schnellte herum.

Mit gepresster, angstvoller Stimme sagte sie, »genau ihn habe ich gesehen Ruth. Den Tod! Den mehrfachen Tod. Das Hirtendorf Beit-Sahir ist niedergebrannt, die heiligen Höhlen sind eingestürzt. Meine Leute sind vertrieben worden! Der Körper meines Vaters lag bleich und reglos im Wüstensand! Sein bester Freund Nephets, saß zusammengekrümmt neben ihm, den Kopf in die Hände vergraben. Oh Ruth! Ich habe Angst, ich habe solche Angst! Oh bitte, er darf nicht tot sein! Mein Vater darf einfach nicht…«

Ihr Körper bebte, Tränen flossen ihr über die Wangen. »Ruth! Ich muss sofort nach Hause!«

»Beruhige dich Mädchen«, sagte die alte Frau sanft und strich ihr über das lange, offene Haar, beruhige dich endlich! Du kannst jetzt nicht nach Hause! Gerade jetzt, wäre es zu gefährlich! Was deine Vision betrifft, du musst wirklich noch viel lernen, bevor du die Gabe wirklich beherrschst. Du musst lernen genau hinzuschauen, wenn du deine Wahrträume hast. Du musst sie bewusst lenken und anschauen! Ich habe dasselbe gesehen und gespürt wie du. Aber zwischen der Verzweiflung habe ich auch die Hoffnung gespürt, und wenn dein Vater ein Mann ist mit dunkelbraunem, langen Haar, dann lebt er! Denn ich habe sein Herz schlagen hören!«

»Aber warum habe ich es dann nicht gespürt?«

»Weil du eben nicht genau hingeschaut hast! Du darfst nicht nur sehen, du musst auch fühlen. Lege dich hin und schlafe. Denke an deinen Traum, an deinen Vater. Dann wirst du dieselbe Situation noch einmal träumen, diesmal wirst du es spüren!««

Zweifelnd, gleichzeitig hoffnungsvoll, legte Ma-Ira sich nieder, und träumte noch einmal. Ruth behielt Recht. Angst und Verzweiflung kamen wieder, aber sie spürte, dass ihr Vater lebte, und die Hoffnung nicht gestorben war!

Die Tage liefen gleichförmig dahin. Sie hatte keine nennenswerte Vision mehr. Es wurde jetzt immer sichtbarer, dass sie schwanger war. Sie wurde schwer und behäbig und konnte jetzt nicht mehr auf den Markt gehen.

»Es werden nur noch Tage sein bis zu deiner Niederkunft«, sagte Ruth. Ma-Ira fand, dass es nun an der Zeit war, der Alten einige Dinge zu erklären.

»Ruth«, fing sie an. »Ruth du bist eine Heb-amme nicht wahr?«

»Genau so ist es Mädchen«, schmunzelte die alte Frau.

»Nun dann hast du sicher schon allerhand Geburten gesehen und auch allerhand Eigenheiten, der schwangeren Frauen erlebt!«

Ruth lachte. »Das kann man wohl sagen! Aber worauf willst du hinaus junge Frau?«

»Sieh mal, manche von euren Landsleuten würden wahrscheinlich glauben, ich sei eine Hexe, oder Braut des Teufels. Wahrscheinlich schon deshalb, weil ich das Zweite Gesicht habe.«

„Ja das könnte gut sein. Nicht jeder darf davon allzu viel wissen! Nur die Frauen hier im Dorf wissen über die Gabe Bescheid! Aber du willst mir doch noch etwas anderes erzählen!«

Ma-Ira seufzte. »Es hilft nichts, du wirst es sowieso sehen. Ruth, ich bin noch ein bisschen seltsamer, als du denkst. Die Frauen meines Volkes haben in ihren Schwangerschaftsmonaten eine seltsame Eigenheit!«

Ma-Ira hob ihr Kleid hoch und zeigte der Alten ihren vorgewölbten Bauch, mit der festen bepelzten Hautfalte, die sich einem Beutel nicht unähnlich, zwischen ihren Lenden gebildet hatte, und sich mittlerweile bis zum Bauchnabel hochzog. »Gott im Himmel«, stieß die alte Frau hervor. »Gott im Himmel! Was ist das? Was ist das?

Was für ein Wesen bist du? Du kannst nicht von dieser Welt sein!«

Mit weit aufgerissenen Augen starrte die alte Ruth sie an, angstvoll rutschte sie ein Stück von ihr weg zum Ausgang des höhlenartigen Hauses!

»Ruhig«, dachte Ma-Ira. »Du musst jetzt ganz ruhig bleiben. Diese alte Frau hat so etwas noch nie gesehen, aber sie ist offen. Du wirst es ihr erklären können! Sie sah die alte Seherin an und dachte, »Ruth öffne deinen Geist und deine Gedanken. Du weißt, dass ich nicht böse bin!«

Sie spürte ein zögerndes Fühlen und Tasten in ihrem Geist, dann eine flüsternde warme Stimme. »Ja, das weiß ich Mädchen. Ein Wesen, das seinen Vater und seine Freunde liebt, kann nicht böse sein! Ich werde meinen Geist jetzt öffnen, lasse deine Gedanken einströmen! Jetzt!«

Ma-Ira schloss die Augen. Sie dachte an den Geschichtsunterricht, als sie noch ein Schulkind war, an den Planeten Hasperod, setzte die Informationen über ihre Spezies frei, über den Sternenhimmel, über ihre Mutter, ihren Vater, Nocturno, die Hirten, Sem, die Bedeutung ihres Kindes.

Sie dachte, an einen sich öffnenden Sack, ließ die Gedanken strömen, sie wie eine sich windende, endlose Schlange von Wörtern, hinüberfließen in den Kopf der alten Ruth…genug!

»Genug! Lass es gut sein Mädchen! Bitte, es tut weh!«

Schlagartig öffnete Ma-Ira die Augen und blinzelte in das Halbdunkel der Hütte. Erst jetzt spürte sie das ihr Körper schweißdurchtränkt war. »Ruth?«, flüsterte sie. »Ruth wo bist du?«

Dann sah sie die alte Frau. Schwer atmend saß sie auf ihrem Strohsack, an die hintere Hüttenwand gelehnt. Ihre ärmlichen Kleider klebten klatschnass an ihrem Körper. Die Augen schienen ihr fast aus dem Kopf zu treten. So schnell sie konnte rutschte Ma-Ira zu der Alten hinüber und nahm ihre Hand. »Ruth! Oh Sternenhimmel, Ruth! Das wollte ich nicht! Oh bitte, ich wollte dir nicht wehtun!«

Die leblose, faltige Hand bewegte sich plötzlich wieder. Der Atem der alten Frau wurde ruhiger, gleichmäßiger. Ihre Gesichtszüge glitten wieder in ihre normalen Konturen. Und jäh richtete Ruth sich auf. »Jetzt«, krächzte sie, »jetzt weiß ich, wer du bist! Aber bitte, mach es das nächste Mal kürzer! Du hast mich mit deinen Gedanken fast erschlagen! Deine Mutter könnte stolz auf dich sein aber du musst deine Kraft noch beherrschen lernen, junge Seherin!«

Erleichtert reichte Ma-Ira der alten Ruth einen Becher Wasser. »Vielleicht kannst du mir dabei helfen Ruth, bevor ich nach Hause…« Ein Stich! Ein fürchterlicher Druck im Unterbauch, alles Blut wich aus Ma-Iras Gesicht, schien in den Unterleib zu sacken. Sie schrie laut auf, krümmte sich zusammen!

»Ruth, beim Bund, das Kind, oh Gorgos, das Kind kommt!

Ich zerreiße, hilf mir!«

Stöhnend vor Schmerzen kippte sie nach hinten, sah wie in einem Nebel, dass Ruth sich über sie beugte. Schwärze umfing sie, dann wieder dieser Nebel! Andere Frauen kamen, hielten sie fest, die Schmerzen kamen in Wellen, heiße Tücher auf ihrem Bauch.

Kräftige Frauenhände hielten sie fest. Irgendwie befolgte sie die Anweisungen, pressen! Pressen! Pressen! Schmerzen, Schwäche, pressen! Pressen! Hörte das denn nie auf? Helles Schreien!

Rufe, es ist da! Seht, es ist da.

Ein Junge, ein schwarzhaariger Junge! Große intensive Kinderaugen! Dann Blut, sehr viel Blut! Ein blutiger, fleischiger Klumpen! Wieder Schmerzen, große Schwäche. »Es muss in den Beutel!«, schrie sie! »Es muss in den Beutel!« Das Gesicht von Ruth über ihr!

Lächelnd, beruhigend! »Wie soll er heißen Mädchen?

»Jes-Sieh«, hauchte sie. »Er heißt Jes-Sieh!«

Alles verschwamm vor ihren Augen, sie glitt immer weiter ab in eine all umfassende Schwärze. „Sagt meinem Vater, sagt Nephets das ich sie… Die Schwärze schlug über ihr zusammen!

Kapitel 2 Rückkehr

Es war Winter! Schneidend kalt wehte der Wind! Aber Schnee – Schnee gab es in der Wüste nicht. Vielleicht auf den Gipfeln der Berge, auf den höchsten Spitzen. Tagsüber waren die Temperaturen eher nicht ganz so heiß, kalt war es nur nachts. Lucius saß auf einem Stein und beobachtete aufmerksam die Gegend. Ab und zu schaute er durch dieses seltsame Doppelrohr, das er von Sulu-Ap bekommen hatte. Es holte kilometerweit entfernte Dinge nah ans Auge heran. Sulu-Ap hatte mittlerweile mehrere von diesen Dingern hergestellt. Lucius wusste nicht, wie sie funktionierten, aber sie waren praktisch. Er war zwar Soldat und war von den Haspiris deshalb Rät-Illims Truppe zugeteilt worden. Aber eigentlich interessierte er sich mehr für die medi-zi-nischen Sachen. So hieß das bei ihnen. In seiner freien Zeit schaute er deshalb meistens Lu-Cas dem Me-di-ker über die Schulter. Das Leben hatte sich für ihn wahrhaftig geändert. All die neuen Dinge, die er gelernt hatte. Er bewunderte, was diese Haspiris mit den Hirten hier aufgebaut hatten. In gemeinsamer Arbeit hatten sie die Trümmer beiseite geräumt, die Felsenhöhlen gesäubert, und zu Räumen ausgebaut. Handelskontore und Werkstätten eingerichtet. Sah-Gahn und David hatten Pläne ausgearbeitet, nach denen sie Beit-Sahir wieder aufbauen wollten. »Steinhäuser«, sagte

Sah-Gahn damals zu den versammelten Hirten.

»Wir sollten Beit-Sahir als feststehende Steinhäuser wieder aufbauen. Ihr seid doch sowieso seit Jahren schon keine echten Nomaden mehr. Ihr braucht keine mobilen Wohn- und Schlafstätten. Feststehende Häuser sind noch immer verwundbar, aber doch schwerer zu erobern oder niederzubrennen wie Zelte. Außerdem seid ihr besser gegen extremes Wetter geschützt! Das Material dafür nehmen wir von dem zerstörten Teil der heiligen Höhlen. Der Kommandant der Feste Antonius, Marcus-Claudius hat Hilfe von den Römern versprochen, aber das haben wir höflichst abgelehnt. Wir sind selbst in der Lage unsere Pläne zu verwirklichen. Wir denken, dass es besser ist, unabhängig zu sein. Allerdings«, Sah-Gahn verzog das Gesicht, »müssen wir einen römischen Beobachter zulassen, ″einen Berater!″ Die Römer könnten uns sonst Schwierigkeiten machen. Steuerabgaben werden uns auch ins Haus stehen. Unsere Crew hat dem Ältestenrat vorgeschlagen, das Hirten und Haspiri in Zukunft dieses neue Beit-Sahir zusammen bewohnen werden. Die heiligen Höhlen sollen Werk- und Forschungsstätten werden. Wir werden ein Observatorium zur Erforschung und Beobachtung des Sternenhimmels bauen. Wir werden versuchen neue Dinge die den Alltag hier erleichtern herzustellen, z. B. Landwirtschaft am Rande der Sand- und Steinwüste zu ermöglichen. Wir werden ein Bewässerungssystem errichten. Stählerne Kanäle, die das Brunnenwasser von Beit-Sahir zu den heiligen Höhlen führen. Das sind im Groben die Pläne, die wir ausgearbeitet haben. Dinge die ihr vielleicht heute noch nicht versteht und als Magie bezeichnen würdet, werdet ihr später als normal ansehen. Unsere Männer und Frauen werden Schulungskurse einrichten, an denen alle interessierten Hirten, oder Menschen teilnehmen können. Das gilt allerdings hauptsächlich für die technischen und astronomischen Dinge. Was die Arbeit mit der Natur betrifft, sind wir auf euch angewiesen. Da wisst ihr besser Bescheid! Der Ältestenrat hat unsere gemeinsam erarbeiteten Pläne gebilligt. Jetzt muss nur noch die große Versammlung der Hirten und Haspiri zustimmen!«

Es hatte Diskussionen gegeben, sogenannte ″Fachsimpeleien″, aber alle hoben zum Schluss die Hand. Keiner konnte sich der Aufbruchsstimmung und dem Zauber der Erneuerung entziehen.

Ja, es waren erstaunliche Dinge geschehen! Sulu-Ap zum Beispiel, der sogenannte ″Cheftechniker″, der Haspiri hatte einen sprechenden Kasten erfunden. Das war natürlich Unsinn. Der Kasten konnte nicht sprechen. Man konnte durch ihn sprechen, mit Leuten, die Kilometer weit entfernt waren! Keine Zauberei! Hatte er gesagt. Man muss nur wissen, wie man das macht. Man muss, die Natur kennen, wenn man funktionierende Technik bauen will! Sonst macht man die Natur kaputt, und die Technik nutzt einem dann auch nichts mehr! Aber dieses Ding, das er ″Funkgerät!″, nannte war ein Geheimprojekt. Darüber durfte er nicht sprechen. Seine Landsleute wären dahinter her gewesen, wie der Teufel hinter der armen Seele.

Lu-Cas hatte hier eine Heilpraxis eingerichtet, die immer voll von Menschen war. Die Steinhäuser standen zum Teil schon. Die Arbeit war schwer! Die Steinblöcke mussten von Hand behauen und übereinandergestapelt werden. Eine Mischung aus Lehm und Pferdemist hielt sie zusammen.

Das andere erstaunliche Ding für ihn war das Observatorium! Nicht das er keine Observatorien kannte, er war viel rumgekommen, er war mit der Garnison in Ägypten gewesen, als er noch ein junger Bursche war. Dort hatte er mit ehrfürchtigem Staunen das Observatorium in Alexandria betreten, ein runder prachtvoller Steinbau, mit einem großen Kuppeldach. Strategisch gut verteilte Öffnungen in diesem Dach sorgten dafür, dass die Sonne oder das Licht der Sterne, in einem optimalen Winkel eintreten konnte. Die Priester und Astronomen konnten jederzeit, die Stellung der Sterne, des Mondes oder der Sonne beobachten. Er war nur ein ganz einfacher Soldat gewesen. Aber er musste zu dieser Zeit, Wachdienst am Observatorium schieben. Er war so beeindruckt von diesen Dingen, dass er seinem Kameraden sein Abendessen und die wöchentliche Weinration überließ, damit er sich davonstehlen und von dem Ägypter die Wunder des Observatoriums erklären lassen konnte.

Aber das Ding das Sah-Gahn, Nephets-Gnikwah und sein Vater Pet-Russo hier hatten bauen lassen war noch optimaler. Es war nicht die Bauweise. Die unterschied sich kaum von dem Bau in Alexandria. Nur das Kuppeldach war aus sogenanntem Stahl! Ein Material, aus dem ihr Himmelsschiff bestanden hatte. Nach der großen Versammlung der zwei Haspirivölker waren sie zu viert in die künstliche Schlucht gestiegen. Nephets, Sah-Gahn, Pet-Russo und er. »Wir können zwar kein Raumschiff mehr daraus bauen«, sagte Sah-Gahn, eine Spur von Trauer schien in seiner Stimme, »aber es gibt da unten noch einiges an verwertbarem Material, das uns das Leben erleichtern könnte. Ich schlage vor, wir starten morgen in aller Frühe einen kleinen Ausflug hinunter, an unseren ehemaligen Lagerplatz.«

Sie starteten bei Sonnenaufgang, zur vierten Stunde des neuen Tages.

Am sogenannten seichten Ende der Abbruchkanten ritten sie mit ihren Kamelen vorsichtig in die Schlucht ein. Schweigend saßen sie auf ihren Kamelen und ließen ihre Blicke über den verlassenen Ort schweifen. Die alten Feuerstellen, den riesigen, breiten Graben, der immer noch wie eine aufgerissene Wunde in der Erdkruste wirkte. Die im Sonnenlicht blitzenden Stahlteile, zerrissen, geschwärzt und teilweise von neuem Geröll bedeckt, aufgeworfen von diesem seltsamen, schrecklichen Erdbeben.

Inmitten dieser zerrissenen Stahlteile, die immer noch beeindruckend mächtige Schiffshülle mit dem Gestänge des Fahrgestells. Fast synchron stießen Nephets und Sah-Gahn einen Seufzer aus, und schauten sich an. Aber sie sagten nichts. Stumm, jeder in seine Gedanken verstrickt, stiegen die Haspiri und der Römer von ihren Tieren. Systematisch gingen sie die Schiffstrümmer ab, sonderten die noch brauchbaren Teile aus, die nicht zu zersplittert oder verbrannt waren. Sie kennzeichneten sie mit kleinen Fähnchen aus Leinenstoff, einfache Fetzen, die sie an kleine Zweige banden und in den Erdboden steckten. »Lieber Gorgos!«, stöhnte Sah-Gah und streckte seinen Oberkörper, die Schweißperlen liefen ihm von der Stirn und blieben an den Augenlidern hängen. Sie standen vor der halb aufgerissenen Hülle des einstigen Schiffes, atmeten durch und nahmen jeder einen Schluck aus ihrer Wasserflasche.

»Es ist jetzt fast Mittag!«, sagte Pet-Russo. »Die Hitze ist langsam unangenehm. Wir sollten aufhören und kurz vor Sonnenuntergang einen Trupp losschicken, der die Stahlteile auflädt. Wir haben wirklich viel geschafft, Leute. Mit diesem Zeugs hier lässt sich einiges anfangen. Sah-Gahn, wir werden Wasserrohre aus Stahl bauen können. Stählerne Zisternen um Regenwasser aufzufangen!

Beim Bund!«, Pet-Russos Gesichtszüge verklärten sich fast, »wir können, wir könnten Teleskope bauen«, sagte er sehnsüchtig.

»Tja«, Sah-Gahn sah ihn an, »das wäre schon phänomenal. Ein ganz einfaches Teleskop! Versinken in kosmischen Träumen, Entdeckungen machen, Berechnungen anstellen! Aber auch das einfachste Teleskop ist nicht nur aus Stahlrohren. Woher nehmen wir die Spiegel, die feingeschliffenen Linsen, die das Licht in der genau richtigen Weise brechen?«

»Man wird ja wohl mal träumen dürfen«, seufzte Pet-Russo leise.

Nephets hatte sich der allgemeinen Trinkpause nicht angeschlossen. Ab und zu einen Schluck Wasser nehmend hatte er sich auf der ihnen zugewandten Innenseite der zerrissenen Stahlkugel zu schaffen gemacht. Akribisch alles was er fand inspiziert, jedes Teil herangezoomt, praktisch jedes Sandkorn im Inneren umgedreht. Ohne viel Hoffnung, der Absturz war so katastrophal gewesen, es konnte nichts überlebt haben, außer diesen robusten Stahlsplittern und das war schon viel! Außerdem sonst hätten sie es damals schon gefun…! Au! Was war das? Schmerzhaft stieß er mit seinen Ledergamaschen gegen ein Stück herumliegenden Stahls, stolperte, fiel wild mit den Armen rudernd der Länge nach in den Sand. Seine Ellbogen versanken beim Aufprall halb im Staub der Wüste. Schmerzhaft kam er mit etwas Hartem in Berührung! Ein vergrabener Stein? Unwillkürlich rieb er seinen linken Ellbogen und betrachtete die Kuhle, die er hinterlassen hatte. Das war kein Stein! Hastig fegte er mit der bloßen Hand den Sand zur Seite, zuckte heftig zurück und stieß einen Schrei aus! Verdammt das Zeugs, war glühend heiß!

Drei Köpfe fuhren heftig zu ihm herum »Was ist los? Was hast du da gefunden Neph?«, fragte Sah-Gahn erschrocken.

»Bevor ich euch sage, was ich vermute, seht es euch lieber erst mal an!« Sah-Gahn trat näher an ihn heran. Nephets rieb seine Hand und zeigte ihm die Stelle im Wüstensand, »sieh genau hin Sah-Gahn!« Sah-Gahn ging in die Hocke, starrte auf das durchsichtige, kristalline Gebilde, das wirkte wie festes, bläuliches Wassereis! »Kann ja wohl schlecht sein«, dachte er. Er brauchte ein bisschen. Doch dann durchfuhr es ihn wie ein Blitz. Langsam schaute er wieder hoch. Pet-Russo direkt in die Augen. »Pet, ich glaube wir bekommen unser Spiegelteleskop! Weißt du, was Neph hier gefunden hat? Ich will mal so anfangen. Als wir an diesem schicksalhaften Tag, diesen katastrophalen Absturz hatten, ist selbstverständlich auch der Hydrontiummeiler zerplatzt. Hydrontium 4 speichert Hitzeenergie von mehreren Tausend Gorgfunken. Warum ich euch das erzähle? Nun – aller Wahrscheinlichkeit nach, ist das Hydrontium 4 damals nur aus diesem Grund nicht in Brand geraten. Es hat die Hitze gespeichert, ist im Sand versickert – kühlte mit den Jahrzehnten ab und ist kristallisiert, aber immer noch sehr heiß! Eine bläulich, kristalline Masse, dass hier Leute ist Hydrontium 4! Unser Ausflug hat sich gelohnt!«

»Ja«, lachte Lucius, »dieser Ausflug hat sich wirklich gelohnt.«

Beit-Sahir war eine richtige Stadt, vor der Stadt geworden. Ein Staat im Staate! Das Geschäft brummte. Er hoffte nur, das Herodes und die Römer, das noch lange duldeten. Er hatte das dumpfe Gefühl, die Haspiri wurden ihnen langsam zu mächtig. Lucius tastete mit seinem Blick wieder die nähere Umgebung ab. Es wurde heller, ein roter Schein zeigte sich am Horizont. Er straffte sich. Verdammt noch etwas anderes zeigte sich dort! Zwei Punkte, zwei rasch näher kommende Punkte! Er griff zu seinem Fernglas, stellte es ein und blickte hindurch. Zwei menschliche Gestalten auf einem Kamel. Ein Mann, eine Frau. Mehr konnte er nicht erkennen. Bei den Göttern! Wenn er jetzt diesen sprechenden Kasten hier hätte! Er sprang auf, nahm den Ziegenfellumhang von seinen Schultern, breitete ihn mit erhobenen Armen über das Wachfeuer wie einen Baldachin und bewegte ihn hoch und runter. Weiße Qualmwolken stiegen auf, und in weniger als fünf Minuten war Nephets-Gnikwah bei ihm, der auf der anderen Seite der Schlucht Wache hielt.

»Was hast du gesehen, Lucius?«, keuchte Nephets atemlos.

Lucius wies auf die Punkte am Horizont. »Dort hinten siehst du das? Zwei näherkommende Gestalten am Horizont. Ein Mann und eine Frau auf Kamelen. Sie sind noch weit entfernt, kommen aber rasch näher. In etwa einer halben Stunde dürften sie hier sein. Schau dir das mal an!«

Nephets blinzelte mehrmals in die Sonne, zoomte geräuschlos, sah reitende Gestalten, tatsächlich einen Mann. Ein Mann gekleidet wie ein Beduine, mit der üblichen Kopfbedeckung. Ein grauer Bart? Er blinzelte noch einmal, neben ihm eine Frau?

Ganz in dunkles Blau gehüllt. Vor ihrer Brust ein Bündel? Die Kapuze rutschte von ihrem Kopf! Lange wehende, Haare! Er zuckte zusammen. »Gorgos!«, quietschte er. »Das kann nicht sein! Beim Sternenhimmel, ich glaube es nicht!«

»Neph!« Lucius sah ihn besorgt an. »Was ist los? Wer ist das? Soll ich Rät-Illim und die Truppe benachrichtigen?«

Nephets zoomte noch immer. »Lauf Lucius, sag ihm Bescheid, sag ihm sofort Bescheid! Er soll auf der Stelle hierherkommen!«

»Bei den Göttern Neph! Welche Waffen, wieviel Männer?“

»Wie?« Nephets schoss herum, seine ausdruckslosen Augen durchbohrten Lucius fast. »Lucius, nicht Rät-Illim. Du sollst Sah-Gahn holen! Sag ihm einfach nur, es sei dringend! Der alte Josef kommt und bringt zwei Leute mit!«

»Du meinst Neph…?«

»Geh endlich Lucius und sag es ihm genau so!«

Lucius drehte sich um und lief los. Er war sicher, das Nephets, wenn er gekonnt hätte, jetzt grinsen würde, von einem Ohr zum anderen! Er lief runter zu den Höhlen und tat es dann selber, stellvertretend für Nephets!

Er lag in seiner Wohnhöhle vor dem künstlichen

Hydrontiumfeuer. In seinen Armen hielt er diese wunderschöne junge Frau, mit dem langen glänzenden Lockenfell, mit den bodenlosen schwarzen Augen, wie dunkle Seen. Er konnte es immer noch nicht fassen, das er diese Schönheit erobert hatte.

Doch was war das? Er wurde durchgeschüttelt! Oh nein, das Schiff, es stürzte ab. Sie-Sah, Ma-Ira! Sie würden alle…!«

»Sah-Gahn, wach auf. Schnell du musst kommen, sofort!« Übergangslos öffnete er die Augen. Ein Mann mit halblangen Lockenhaaren stand vor seinem Lager!

»Lucius!«, stöhnte er. »Ist etwas passiert?«

»Glaubst du, sonst würde ich dich wecken?« Der Römer schaute ihn ernst an. Sah-Gahn sprang jetzt endgültig auf, packte ihn am Kragen. »Nun rede schon, was ist los? Macht dieser Herodes uns Schwierigkeiten?«

»Herodes nicht«, Lucius sprach mit Grabesstimme.

»Josef kommt mit zwei Besuchern.«

»Josef?« Sah-Gahn blinzelte noch immer schlaftrunken.

»Josef war jahrelang nicht mehr hier. Wen bringt er mit? Raus mit der Sprache Lucius.« Vor der Höhle ertönten Schritte.

»Möglicherweise sind sie schon hier«, nickte Lucius. Sah-Gahn schob ihn energisch zur Seite. »Jetzt bin ich die Spielchen aber leid«, sagte er, mit großen Schritten dem Ausgang zustrebend! Er sah nicht, dass Lucius hinter ihm breit griente. Sah-Gahn trat nach draußen vor die Höhle, nur nachlässig bekleidet, mit offenen zerzausten Haaren, die Hand lag am Lähmstrahler, den er noch schnell um die Hüfte geschnallt hatte. Vor ihm wuchs plötzlich eine dunkel gekleidete Gestalt auf. Seine Hand krampfte sich fester um den Griff der Waffe. Verdammt, er konnte nichts sehen, die Sonne blendete. »Lass es großer Forscher!«, ertönte plötzlich eine spöttische helle Frauenstimme. »Ich bin's wieder nur, deine Tochter!« Er riss die Augen auf. Langsam hatten sie sich an das helle Licht gewöhnt. Erst sah er nur Josef, der lächelnd etwas im Hintergrund stand und zwei Kamele am Zügel führte. Dann fiel sein Blick auf Nephets mit seinem ausdruckslosen Blick, der in seinen Armen unbeholfen ein kleines dunkelhaariges Bündel barg. Jetzt erst sah er die hochgewachsene junge Frau vor ihm an, die regungslos, mit bebenden Lippen in der Morgensonne stand.

»Eisblume«, flüsterte er. »Beim Bund der Gehirne! Du bist es.«

Er trat auf sie zu, zog sie in seine Arme, zerdrückte sie fast vor Freude. »Du bist wirklich wieder da«, schluchzte er, »und hast dein Kind mitgebracht!«

Kapitel 2 Finstere Nachbetrachtung…

Riesig, majestätisch, ragte der ausgetrocknete Rand des Kratersees in den Himmel empor. Vor Jahrtausenden einmal war hier ein vergleichsweise kleiner Komet eingeschlagen, und hatte ein Loch von gigantischen Ausmaßen geschaffen, das sich langsam mit Grundwasser füllte, und durch heftige Niederschläge zu einem See wurde. Als das Land im Laufe der Zeit zur Wüste mutierte, trocknete auch der See aus. Heute war nur noch dieses gewaltige Loch aus Staub und Steinen übriggeblieben. Von außen sah man nur auf den Rand des ehemaligen Kratersees. Wie die Zinnen einer unregelmäßig geformten Krone präsentierten sich die Kanten seines Ufers einem Betrachter von außen.

Im Inneren war es staubtrocken, aber durch mehrere überhängende Gesteinsformationen einigermaßen schattig. Ganze Dörfer konnte man darin verstecken, römische Garnisonen oder halbzerstörte kleine Spacejets!

Eine hochgewachsene, massige Gestalt, mit schwarzen, bis zum Boden reichenden Haaren, lehnte an einem seltsamen silbernen Pfeil. Die Augen in dem schwammigen Gesicht, das einstmals einem humanoiden Wesen namens Sad-Uj gehörte, glühten wie feurige Kohle. Die fleischigen Lippen fest zusammengepresst, starrte die Hülle dieses Wesens auf die Reste seiner zerstörten Armee! Versager, sie waren allesamt Versager! Treue hatten sie ihm geschworen! Bedingungslose Gefolgschaft aber sie waren nicht in der Lage gewesen seine Befehle auszuführen. Umsonst hatte er sie unter die römischen Truppen dieses schwachen, unfähigen Präfekten von Cäsarea gemischt. Sie waren nicht fähig gewesen, diese verdammten Haspiri zu zerstören! Unbrauchbares Material! Aber er hatte sie bestraft! Nach dem Desaster in Cäsarea hatte er sie zu dem gemacht, was sie schon immer waren. Schlaffe körperliche Hüllen ohne Geist! Jetzt lagen sie da im Sand, regungslos wie Gliederpuppen. Ein Haufen übereinandergeworfenes, nutzloses Genmaterial. Ihre elektromagnetischen Geistwellen hatten seinen Hunger nicht annähernd stillen können. Aber er hatte gehofft, dass ihn diese Mahlzeit genug gestärkt hätte, um den Führer der Hirten auf diesen arroganten, anmaßenden Sah-Gahn L’Rac zu hetzen. Wenn das schon nicht klappte, ihn dazu zu bringen sich selbst zu töten, die Völker aufeinander zu hetzen. Er hatte ihr Dorf niederbrennen lassen, die heiligen Höhlen zerstört! Aber dieses Volk der Hirten, diese Haspiri, sie waren so verdammt widerstandsfähig! In seiner wütenden Verzweiflung hatte er den Körper dieses verrückten, römischen Hauptmannes Severus über den Kraterrand geworfen, und Marcus-Antonius seinen Vater dazu gebracht ihn mit seinen Männern aufzuspüren. Aber hatte er etwa die Haspiri für dessen Tod verantwortlich gemacht und vernichtet? Nein! Er hatte sich von diesen Toidis belabern lassen! Er war am Ende seiner Kräfte! Die massige, schwammige Gestalt des dunklen Magiers, rutschte an der Wandung des zerstörten Spacejet hinunter auf den Boden, barg den Kopf keuchend in den Händen. Jetzt hatte Ma-Ira, dieses Biest, es auch noch geschafft ihr mutantisches Balg zu gebären! Schon jetzt spürte er die Ausstrahlung, die Kräfte dieses Jungen. Sie verursachten ihm Schmerzen! Es tat weh, es tat so weh! Er konnte kaum noch einen klaren Gedanken aussenden. Er brauchte Zeit, Zeit sich zu regenerieren! Er würde schlafen müssen! Für einige Zeit schlafen! Diesen Körper abschalten! Seinen Geist in den Ruhezustand versetzen. Hier in diesem Loch würde man ihn nie finden! Ja er würde schlafen. Sich erholen. Und dann würde er zuschlagen, wenn sie unvorsichtig geworden waren. Wenn sie schon nicht mehr glaubten, das es ihn gab! Ja schlafen!

….Und dann Rache!

Kapitel 3 Visionen…

Der kleine Junge rannte durch die Straßen der großen Stadt! Seine schwarzen lockigen Haare, die fast länger waren als er, wehten wie eine Fahne hinter ihm her. Irgendetwas stimmte nicht. Er war erst 5 Jahre alt, aber das spürte er! Er war noch nie in dieser Stadt gewesen. Er war überhaupt noch nie in einer Stadt gewesen! Aber das spürte er, das hier etwas nicht stimmte. Wie durch Gelee rannte er tapsig, unbeholfen durch die leeren Straßen. Keuchend, schwer nach Luft schnappend versuchte er sein Tempo zu erhöhen. Doch das ging nicht. Er war langsam, unendlich langsam, als würde er durch einen Pudding treten! Wieso waren die Straßen so leer? Wieso waren die Häuser fest verriegelt und verrammelt? Warum herrschte dieses unheilvolle, fast greifbare Schweigen? Kein Laut wurde durch die Luft getragen. Eine Stadt, das wusste er, durfte nicht lautlos, nicht leer sein. Wo waren die Karren, die Esel, die Pferde und Kühe, wo waren die Großen, wo die Kinder, mit denen er spielen wollte? Jetzt wusste er wieder! Er war von zu Hause fortgelaufen, um noch mehr Kinder zu suchen, mit denen er spielen konnte. Plötzlich wusste er auch, er musste sie warnen! Eine schreckliche Angst packte den kleinen Jungen. Ja – jetzt war ihm klar, warum er wirklich hier war.

Er musste die Kinder warnen, vor dem Ungeheuer in den prächtigen, teuren Kleidern! Ein Ungeheuer mit einer Krone auf dem Kopf! Ein fürchterliches Ungeheuer, das kleine Kinder fraß! Doch die Straßen der Stadt waren leer, die Häuser verriegelt und verrammelt. Die Bewohner mit ihren Kindern geflohen, aber diejenigen, die es nicht geschafft hatten, hingen mit bleichen, vor Gram ausgezehrten Gesichtern blutige Laken in schwarze Fensterhöhlen. Er kam zu spät! Wie zur Salzsäule erstarrt, blieb der kleine Junge stehen, sah sich mit vor Angst geweiteten Augen um. Er sah nichts.

Aber er spürte, das Ungeheuer kam näher, lautlos, fraß sich sozusagen durch, bis es vor ihm stand und dann würde es seinen stinkenden Rachen öffnen und ihm dem Kopf…! »Mamma, Mamma! Das Ungeheuer, es kommt! Es hat alle Kinder gefressen und jetzt kommt es mich holen! Mamma, Mamma bitte hilf mir, Mammaaa!«

Er wurde hin und her geworfen, hin und her! Oh GORGOS? War das schon das Ungeheuer? War…?

»Scht, mein Kleiner! Ruhig, ganz ruhig! Wach auf, wach auf! Hier sind keine Ungeheuer, Mami ist bei dir!«

Eine helle sanfte Stimme. Warme, zarte Hände strichen den kalten Schweiß von seiner Stirn. Er schlug tatsächlich die Augen auf. Nein, kein Ungeheuer, ein schmales Frauengesicht mit hohen Wangenknochen, schwarzen langen Haaren, wie seine eigenen. »Mami?«, stieß er zaghaft hervor. »Natürlich Mami! Wer sonst? Sieh nur mein Kleiner, Großvater ist hier, Nephets ist hier. Wir passen alle auf dich auf. Nichts kann dir geschehen. Kein Ungeheuer wird dich je wegtragen, solange sie da sind. Das trauen die sich gar nicht!«

Der kleine Junge erwachte jetzt endgültig. Es war dunkel im Haus,, tiefe Nacht. Nur der Mond schien durch die Fensteröffnung, und zwei Wachskerzen, die auf dem unebenen Steinboden standen, spendeten Licht.

Der Kleine schaute in die angegebene Richtung. Links und rechts verdunkelten zwei Riesen den Hauseingang aber es waren gute Riesen das wusste er auch. Ja, gute Riesen, links Großvater mit den langen, dunklen Haaren, rechts Neph, mit den langen rot-braunen Haaren. Fest verschmolzen mit der Erde schienen sie, wie zwei Wachtposten. Sein Herzschlag beruhigte sich wieder. Erstaunt schaute er alle mit seinen großen runden Kinderaugen an. Seine Mutter hob ihn von seinem Schilflager hoch.

»Mein Kleiner«, sagte sie lächelnd, während sie ihm ein wärmeres Hemd überstreifte, »wir gehen diese Nacht auf eine große Reise!« »Wohin reiten wir?«, fragte er. Denn es stand für ihn außer Frage, dass sie ritten. Sie ritten immer, wenn es um eine große Reise ging. »Ihr reitet nach Nazareth, mein Junge.«

Großvater strich ihm mit seiner warmen, rauen Hand über den Kopf. »Ihr werdet dort den alten Josef besuchen.«

»Oh Josef besuchen, ja! Das wird fein!«

Er klatschte erfreut in die Hände. »Josef lieb! Josef will mir Werkstatt zeigen. Jes-Sieh wird bauen! Prima Mamma!«

Er schaute seine Mutter an. Warum nur hatte er das Gefühl, das seine Mutter gar nicht so begeistert war? Während er den Kopf schon wieder müde an ihrer Schulter barg, fing er mit einem Ohr Gesprächsfetzen auf. »Warum ausgerechnet Nazareth Vater!« »Eisblume…!« »Du weißt genau, warum ich da nicht hin will! Und nenn mich nicht immer Eisblume.«

»Eisblu… Ma-Ira! Es ist mir vollkommen egal ob du dort hin willst oder nicht. Aber ihr seid dort am sichersten! Rodos vermutet euch dort nicht. Nicht in so einem unbedeutenden, kleinen Dorf!«

»Ach was, er beobachtet uns doch schon längst!«

»Aber nicht in der Nacht Ma-Ira! Dein Vater hat Recht«, mischte sich Neph ein. »Bald wird der Mond zwischen den Wolken verschwunden sein! Dann reiten wir los! Rodos Männern stehen keine Hydrontiumleuchtstäbe zur Verfügung. Ihre kostbaren Pechfackeln, hüten sie wie einen Augapfel, und außerdem sind sie abergläubig. Die meisten von ihnen vermeiden es in der Nacht zu reiten. Das ist unsere Chance!«