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Ein Journalist möchte die Wahrheit wissen. Wie verlässlich ist das Neue Testament? Gibt es außerhalb der Bibel Beweise für die Existenz Jesu? Welche Gründe gibt es, tatsächlich an die Auferstehung als historisches Ereignis zu glauben? Zerstreuen wissenschaftliche Argumente nicht jeden Glauben an das Übernatürliche? Anerkannte Beweise. Wissenschaftliche Fakten. Unangenehme Fragen. Lee Strobel nimmt ausgewiesene Experten ins Kreuzverhör. Was ist dran am "Fall Jesus"?
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Seitenzahl: 478
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Über den Autor
Der ehemalige Atheist Lee Strobel gewann nach einem Studium an der Yale Law School mehrere Preise als Gerichtsreporter der Chicago Tribune. Anschließend war er Pastor der Willow Creek Community Church bei Chicago und später bei der Saddleback Community Church bei Los Angeles. Als Autor und Koautor hat er mehrere, zum Teil mit Preisen ausgezeichnete Bücher veröffentlicht. Lee Strobel und seine Frau Leslie haben zwei Kinder und mehrere Enkel.
Inhalt
Vorwort
Einführung
Wiederaufnahme eines Verfahrens
Teil I Die Prüfung der Aufzeichnungen
Kapitel 1
Die Augenzeugenberichte
Kapitel 2
Überprüfung der Augenzeugenberichte
Kapitel 3
Die biblischen Dokumente
Kapitel 4
Die antiken Dokumente
Kapitel 5
Der wissenschaftliche Beweis
Kapitel 6
Die Beweise der Gegenseite
Teil II Die Person Jesu
Kapitel 7
Der Identitätsnachweis
Kapitel 8
Der psychologische Beweis
Kapitel 9
Das Profil
Kapitel 10
Der Fingerabdruck
Teil III Die Auferstehung
Kapitel 11
Der medizinische Beweis
Kapitel 12
Die fehlende Leiche
Kapitel 13
Der Beweis für die Erscheinungen
Kapitel 14
Der Indizienbeweis
Schlussfolgerung
Das Urteil
Vorwort
Lee Strobel ist amerikanischer Journalist und Gerichtsreporter. In diesem Buch stellt er zum Thema „Jesus“ Interviews mit angesehenen Bibelwissenschaftlern seines Landes dar. Das Buch ist daher eine Sammlung von Zeugnissen, die der Reihe nach die wichtigsten kontroversen Themen zur Frage Jesus behandeln. Das beginnt mit der Glaubwürdigkeit der Quellen, erörtert die Frage nach dem Anspruch Jesu, setzt sich zum Beispiel mit dem Problem auseinander, ob Jesus geisteskrank war, und sammelt Argumente für die Antwort auf die Frage, ob Jesus wirklich tot war und wirklich auferstanden ist.
Dadurch, dass unterschiedliche Professoren befragt und auch jeweils mit ihrer persönlichen Eigenart und ihrem Lebensstil geschildert werden, verquicken sich sachliche Aussagen auf der Höhe amerikanischer Forschung sehr eng mit dem persönlichen Bekenntnis der einzelnen befragten Professoren. In Amerika scheint es unter den Professoren noch etwas zu geben, das man in Deutschland kaum finden könnte: kantige, glaubwürdige Gestalten, die von der Sache und von ihrem eigenen Glauben reden können.
Das Buch, das so entstanden ist, kann man als apologetisch im strengen Sinne des Wortes bezeichnen. Denn es behandelt genau die Punkte, auf denen Neugierige herumzureiten pflegen und auf die die Kommentare oft nicht genug Wert legen. Dabei ist es durchaus von Vorteil, dass der Verfasser und Sammler der Zeugnisse von Beruf Gerichtsreporter ist. Denn genau dieses, das Sammeln von Zeugnissen für einen Prozess, ist ein Gedanke, den zumindest zwei der vier Evangelien auch selbst ausdrücklich formulieren. Das Johannes-Evangelium versteht sich als eine einzige Sammlung von Zeugnissen für die große Auseinandersetzung zwischen Evangelium und Welt, die mit seiner Hilfe, und das heißt eben mit der Hilfe der darin aufbewahrten Zeugnisse, inspiriert durch Gottes Geist, geführt werden soll. Und von Mose über Johannes den Täufer bis hin zu Petrus und dem Lieblingsjünger geht es im Johannes-Evangelium immer wieder nur um das eine: dass immer mindestens zwei Zeugen benannt werden können, die bescheinigen, dass das Unglaubliche seine Richtigkeit habe. Der Evangelist Lukas bekennt selbst, er habe sich um die Aussagen der Augenzeugen sorgfältig bemüht (vgl. Lk 1,1–4). Es ist daher sympathisch zu nennen, wenn der Verfasser dieses Buches es in gewisser Hinsicht den Evangelisten nachtut und nun auch Zeugnisse der modernen Forschung sammelt.
Das Buch ist – viel stärker als die Evangelien – durchzogen von Dialogen im Stil von Frage und Antwort, oft mit Verweisen auf bekannte Forscher. Wir kennen den Stil dieses Dialoges in unserer Literatur seit Plato. Er war ein geniales Mittel, schwierige Philosophie zu vermitteln. Auch die Alte Kirche hat diese Form des Lehrdialoges öfter wieder aufgenommen in Gestalt der „Fragen und Antworten“. Dadurch gewinnen hier die sonst oft in den „Einleitungen“ nachlesbaren „Fakten“ zusätzliche Farbigkeit. Es ist tatsächlich so, dass der Dialog die Aussagen der Wissenschaft einprägsamer und gewissermaßen unvergesslich wiedergeben kann, weil sich auch der Leser in den Anfragen wiederfinden kann.
In dieser Hinsicht ist dem Buch von Lee Strobel eine durchaus erfreuliche Verbindung von ernst zu nehmender Wissenschaft und Vermittlung an ein sehr neugieriges Publikum gelungen. Selten wurde Forschung so leicht vermittelt wie hier. Selbst so schwierige Fragen wie die Kanonbildung werden gut informiert aufgegriffen.
Die Gesamttendenz des Buches ist konstruktiv und optimistisch hinsichtlich der Glaubwürdigkeit Jesu und der Zeugnisse über ihn. Es ist sympathisch vor allem darin, dass alle erdenklichen Fragen rund um dieses Thema aufgegriffen werden.
Heidelberg, Dezember 1998
Prof. Dr. Klaus Berger
„Jesus neu oder wieder zu entdecken – nichts scheint mir wichtiger als das. Strobels Buch bietet hier eine ebenso ungewöhnliche wie spannende Perspektive. Ein optimales Buch für Kirchendistanzierte, eine erfrischende Herausforderung aber auch für Christen.“
(Ulrich Eggers, Chefredakteur „AufAtmen“, „Family“)
Einführung
Wiederaufnahme eines Verfahrens
Im juristischen Sprachgebrauch der Anklage war der Fall von James Dixon, in dem es um versuchten Mord ging, ein sogenannter „Totläufer“ – kaum aufgenommen, schon zu Ende. Selbst eine oberflächliche Prüfung der Beweismittel reichte aus, um nachzuweisen, dass Dixon den Polizisten Richard Scanlon während eines Handgemenges in den Unterleib geschossen hatte.
Stück für Stück, Punkt für Punkt, Zeuge für Zeuge knüpfte die Beweislage – bildlich gesprochen – eine Schlinge um den Hals von Dixon. Es gab Fingerabdrücke und eine Waffe, Augenzeugen und ein Motiv, einen verletzten Polizisten und einen Angeklagten mit einer kriminellen Vergangenheit. Das reichte für eine Verurteilung mehr als aus.
Die Fakten waren klar: Scanlon war zur Adresse West 108th Place gefahren, nachdem ein Nachbar die Polizei alarmiert und einen Mann mit einer Waffe gemeldet hatte. Als Scanlon ankam, traf er dort Dixon an, der sich gerade im Eingang des betreffenden Hauses heftig mit seiner Freundin stritt. Als deren Vater Scanlon sah, erschien auch er, weil er davon ausging, dass es nun sicher war herauszukommen.
Plötzlich entstand ein Handgemenge zwischen James Dixon und dem Vater. Der Polizist griff ein und versuchte, den Streit zu beenden. Da löste sich ein Schuss; Richard Scanlon erhielt eine Bauchwunde und taumelte weg. In diesem Augenblick kamen zwei weitere Polizeistreifen an, hielten mit kreischenden Bremsen, Polizisten stürmten heraus und überwältigten Dixon.
Man fand in der Nähe eine .22-Kaliber-Waffe, die offensichtlich nach dem Schuss dorthin geworfen worden war. Sie gehörte Dixon und war mit seinen Fingerabdrücken übersät. Eine Untersuchung ergab, dass aus ihr vor Kurzem ein Schuss abgefeuert worden war. Der Vater war unbewaffnet; Scanlons Revolver steckte noch im Halfter. Pulverstaub auf Scanlons Haut zeigte, dass aus extrem kurzer Distanz auf ihn geschossen worden war.
Zum Glück war die Verletzung nicht lebensgefährlich, wenn sie auch ernst genug war, um ihm die Tapferkeitsmedaille einzubringen, die der Polizeipräsident persönlich an seine Brust heftete. Was Dixon betraf, ergab ein Blick in die Polizeiakten, dass er früher schon einmal nachweislich auf jemanden geschossen hatte. Offensichtlich neigte er zu Gewaltanwendung.
Und so saß ich fast ein Jahr später in einem nahezu leeren Gerichtssaal in Chicago und machte mir Notizen, während Dixon sich öffentlich schuldig bekannte, auf den Polizisten geschossen zu haben. Das Geständnis des Angeklagten besiegelte die anderen Beweise. Richter Frank Machala verurteilte Dixon zu einer Gefängnisstrafe und schlug mit seinem Hammer auf den Tisch, um zu zeigen, dass das Gerichtsverfahren beendet war. Die Justiz hatte mal wieder gesiegt.
Ich steckte mein Notizbuch in die Innentasche meines Jacketts und schlenderte hinunter ins Pressezentrum. Dabei überlegte ich, dass mein Herausgeber mir für diese Geschichte höchstens drei Spalten in der nächsten Ausgabe der Chicago Tribune geben würde. Mehr verdiente sie auch nicht. Das war keine große Geschichte.
Dachte ich zumindest.
Der Tipp eines Informanten
Ich wurde im Pressezentrum ans Telefon gerufen und erkannte die Stimme eines Informanten, der für mich arbeitete, seit ich mit der Gerichtsberichterstattung angefangen hatte. Ich merkte, dass er eine heiße Sache für mich hatte, denn je größer der Tipp war, desto schneller und leiser sprach er gewöhnlich. Und diesmal flüsterte er einen Kilometer pro Minute.
„Lee, kennen Sie den Fall Dixon?“, fragte er.
„Ja, klar“, antwortete ich. „Vor zwei Tagen abgeschlossen. Alles Routine.“
„Seien Sie sich da mal nicht so sicher. Es geht das Gerücht um, dass Sergeant Scanlon ein paar Wochen vor der Schießerei auf einer Party mit seinem Stiftrevolver angegeben hat.“
„Mit was?“
„Einem Stiftrevolver. Das ist eine .22-Kaliber-Pistole, die aussieht wie ein Füllfederhalter. Es ist illegal, so etwas zu besitzen, auch für Polizisten.“
Als ich ihm sagte, dass ich nicht ganz verstünde, wieso das wichtig sein sollte, wurde seine Stimme noch aufgeregter. „Das ist doch gerade das Ding: Dixon hat nicht auf Scanlon geschossen. Scanlon wurde verwundet, als sein eigener Stiftrevolver in seiner Jackentasche aus Versehen losging. Er hängte Dixon die Sache an, damit er keine Schwierigkeiten bekam, weil er eine illegale Waffe besaß. Verstehen Sie nicht? Dixon ist unschuldig!“
„Unmöglich!“, rief ich aus.
„Prüfen Sie die Beweise nach“, kam seine Antwort. „Schauen Sie selbst, was wirklich stichhaltig ist.“
Ich legte auf und stürmte die Treppen zum Büro des Staatsanwalts hinauf. Vor seinem Büro hielt ich kurz inne, um wieder zu Atem zu kommen, bevor ich – „rein zufällig“ – in sein Büro schlenderte.
„Kennen Sie den Fall Dixon?“, fragte ich ihn beiläufig, weil ich meinen Tipp nicht zu schnell preisgeben wollte. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich mir die Details noch mal anschauen.“
Die Farbe wich aus seinem Gesicht. „Äh, ich kann dazu nichts sagen“, stammelte er. „Kein Kommentar.“
Mein Informant hatte also seinen Verdacht schon an das Büro des Staatsanwalts weitergegeben. Hinter der „Bühne“ war bereits eine Kommission dabei, die Beweise neu zu sichten. Ganz überraschend und unerwartet wurde der vermeintlich so wasserdichte Fall Dixon wieder aufgenommen.
Neue Fakten für eine neue Theorie
Zur selben Zeit begann ich meine eigenen Nachforschungen. Ich besichtigte den Ort des Verbrechens, interviewte Zeugen, sprach mit Dixon und überprüfte das Beweismaterial. Und als ich den Fall gründlich unter die Lupe nahm, passierte etwas Seltsames: Alle neuen Fakten, die ich entdeckte – und sogar die alten Beweise, die vorher so überzeugend für Dixons Schuld gesprochen hatten –, passten nun wie angegossen zur Theorie mit dem Stiftrevolver.
● Zeugen sagten aus, dass Dixon schon mit seinem Revolver auf die Tür des Hauses seiner Freundin geschossen hatte, bevor Scanlon auf der Bildfläche erschien. Im Zementboden der Veranda fand man eine Schramme, die dem Einschussloch einer Kugel entsprach. Das würde die Kugel erklären, die in Dixons Revolver fehlte.
● Dixon sagte, dass er nicht mit einer Waffe erwischt werden wollte. Deshalb versteckte er sie am Straßenrand, bevor die Polizei kam. Ich fand einen Zeugen, der diese Aussage bestätigte. Das erklärte, warum die Waffe etwas vom Ort des Schusswechsels entfernt gefunden wurde, obwohl kein Zeuge gesehen hatte, wie Dixon sie dorthin geworfen hatte.
● Man hatte Pulverspuren in, aber nicht auf der Außenseite der linken Hemdtasche von Scanlons Uniform gefunden. Das Einschussloch befand sich am Boden der Tasche. Schlussfolgerung: Eine Waffe hatte sich irgendwie innerhalb der Tasche entladen.
● Entgegen der Angaben im Polizeibericht verlief der Schusskanal nach unten. Unter Scanlons Hemdtasche war ein blutiger Riss, wo die Kugel ausgetreten war, nachdem sie das Fleisch gestreift hatte.
● Dixons Polizeiakte erzählte nicht seine ganze Geschichte. Auch wenn er wegen einer Schießerei drei Jahre im Gefängnis verbracht hatte, wurde er schließlich auf freien Fuß gesetzt, nachdem sich herausgestellt hatte, dass er aufgrund falscher Beweise verurteilt worden war. Es kam heraus, dass die Polizei einen wichtigen Zeugen der Verteidigung zurückgehalten und dass ein Zeuge der Anklage gelogen hatte. So viel zu Dixons Neigung zu Gewalt.
Ein Unschuldiger kommt frei
Zum Schluss stellte ich Dixon die entscheidende Frage: „Wenn Sie unschuldig waren, warum haben Sie dann die Schuld auf sich genommen?“
Dixon seufzte. „Es war ein Handel mit der Anklage“, sagte er dann schließlich.
Dies bezog sich auf die gängige Praxis, bei der die Anklage eine geringere Strafe forderte, wenn sich der Angeklagte schuldig bekannte. Auf diese Weise konnte man Zeit und Gerichtskosten sparen.
„Sie sagten, sie würden für ein Jahr Haft plädieren, wenn ich mich schuldig bekennen würde. Ich habe schon 362 Tage im Gefängnis verbracht, während ich auf den Prozess gewartet habe. Ich musste also nur zugeben, dass ich es war, und dann könnte ich in ein paar Tagen nach Hause gehen. Aber wenn ich auf einer Gerichtsverhandlung bestanden hätte und die Geschworenen mich für schuldig befunden hätten, dann hätte ich zwanzig Jahre dafür bekommen, dass ich einen Polizisten angeschossen habe. Das war es mir nicht wert. Ich wollte nach Hause …“
„Und so“, meinte ich, „haben Sie zugegeben, etwas getan zu haben, das Sie gar nicht getan haben!“
Am Ende wurde Dixon entlastet und gewann später einen Prozess gegen die Polizei. Man erkannte Scanlon seine Medaille ab und erhob Anklage gegen ihn. Er wurde eines Amtsvergehens für schuldig befunden und aus dem Polizeidienst entlassen.1 Seitdem tauchten meine Berichte auf der Titelseite der Zeitung auf. Und was viel wichtiger war: Ich hatte als junger Reporter ein paar wichtige Lektionen gelernt.
Eine der wichtigsten war, dass Beweise so ausgelegt werden können, dass sie in mehr als eine Richtung weisen. Es gab beispielsweise mehr als genug Beweise, die darauf hindeuteten, dass Dixon den Polizisten angeschossen hatte. Doch die entscheidende Frage war: War die Beweisaufnahme wirklich gründlich? Und welche Erklärung passte am besten zum Gesamtbild der Fakten? Als die Theorie mit dem Stiftrevolver aufgestellt wurde, zeigte sich, dass dieses Szenario optimal alle bekannten Fakten erklärte.
Und es gab eine weitere Lektion. Die Beweise sahen für mich ursprünglich so überzeugend aus, weil sie zu meinen Vorurteilen passten. Für mich war Dixon ein Unruhestifter, ein arbeitsloser Versager, das Produkt einer zerrütteten Familie. Die Polizisten waren die Guten. Staatsanwälte machen keine Fehler.
Durch diese Brille betrachtet, passten alle ursprünglichen Beweise genau ins Schema. Wo es Lücken oder Ungereimtheiten gab, wischte ich sie einfach vom Tisch. Als mir die Polizei sagte, dass der Fall wasserdicht sei, nahm ich sie beim Wort und befasste mich nicht mehr eingehend damit.
Doch als ich diese Brille absetzte und meine Voreingenommenheit gegen Objektivität (ich gab mir jedenfalls Mühe, objektiv zu sein) eintauschte, erschien der Fall plötzlich in einem ganz anderen Licht. Schließlich gestattete ich den Beweisen, mir die Wahrheit zu zeigen, egal, ob sie zu meiner ursprünglichen Voreingenommenheit passte oder nicht.
Das war vor über 20 Jahren. Doch meine größten Lektionen sollte ich noch lernen.
Von Dixon zu Jesus
Ich habe diesen ungewöhnlichen Fall nacherzählt, weil meine geistliche Reise in vielem mit dem Fall Dixon vergleichbar ist.
Einen Großteil meines Lebens war ich ein Skeptiker. Tatsächlich betrachtete ich mich selbst sogar als Atheisten. Für mich gab es einfach zu viele offensichtliche Beweise dafür, dass Gott lediglich ein Produkt menschlichen Wunschdenkens, antiker Mythologie oder primitiven Aberglaubens ist. Wie konnte ein vermeintlich liebevoller Gott Menschen einfach nur dafür in die Hölle schicken, weil sie nicht an ihn glaubten? Wie konnte es Wunder geben, die den Naturgesetzen völlig widersprechen? Erklärte die Evolution nicht hinreichend, wie das Leben entstanden ist? Zerstreuten wissenschaftliche Argumente nicht jeden Glauben an das Übernatürliche?
Und was Jesus betrifft: Wussten Sie denn nicht, dass er selbst von sich nie behauptet hat, Gott zu sein? Er war ein Revolutionär, ein Weiser, ein bilderstürmender Jude – aber Gott? Nein, dieser Gedanke kam ihm nie. Ich könnte Ihnen eine Menge Universitätsprofessoren nennen, die das auch sagen, und ihnen kann man ja wohl trauen, oder? Man muss den Tatsachen ins Auge blicken: Selbst eine oberflächliche Untersuchung der Beweise zeigt eindeutig, dass Jesus nur ein Mensch wie Sie und ich war, wenn er auch über ungewöhnlich viel Menschenfreundlichkeit und Weisheit verfügte.
Doch eigentlich war das auch alles, was ich den Beweisen für die Existenz Christi bisher gewidmet hatte: ein oberflächlicher Blick. Ich hatte mich ausgiebig genug mit Philosophie und Geschichte beschäftigt, um ausreichend Unterstützung für meine skeptische Haltung zu finden – ein Faktum hier, eine wissenschaftliche Theorie, ein prägnantes Zitat, ein cleveres Argument dort. Natürlich konnte ich einige Ungereimtheiten und Lücken erkennen, doch gab es etwas sehr Überzeugendes, das mich dazu bewegte, sie zu ignorieren: mein egoistischer Lebensstil, den ich aufgeben müsste, wenn ich meine Sichtweise jemals ändern und ein Nachfolger Jesu werden sollte.
Soweit es mich betraf, war der Fall damit abgeschlossen. Für mich gab es genügend Beweise, dass ich mich mit der Schlussfolgerung wohlfühlen konnte, die Göttlichkeit Jesu sei nichts anderes als die abstruse Erfindung abergläubischer Menschen.
Dachte ich zumindest.
Antworten für einen Atheisten
Es war kein Telefonanruf von meinem Informanten, der mich dazu brachte, den Fall Jesus neu aufzurollen. Es war meine Frau.
Leslie machte mich im Herbst 1979 sprachlos, als sie mir verkündete, dass sie Christ geworden sei. Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst. Ich hatte eine lustige, sorglose, risikofreudige Leslie geheiratet – und hatte jetzt Angst, dass sie sich in eine sexuell verklemmte Frau verwandeln würde, die unseren Lebensstil gegen nächtliche Gebetsorgien und ehrenamtliche Mitarbeit in trostlosen Suppenküchen eintauschte.
Stattdessen wurde ich überrascht und sogar fasziniert von den fundamentalen Veränderungen ihres Charakters, ihrer Integrität und ihres Selbstbewusstseins. Schließlich beschloss ich, der Ursache dieser unaufdringlichen, aber bemerkenswerten Veränderungen auf den Grund zu gehen. Deshalb startete ich eine umfassende Untersuchung der Fakten, die mit dem Fall „Christentum“ in Zusammenhang standen.
Ich bemühte mich, so gut ich konnte, mein eigenes Interesse und meine Vorurteile beiseitezulassen, und las Bücher, interviewte Experten, stellte Fragen, analysierte die Geschichte, forschte in der Archäologie, studierte die Literatur des Altertums und zerlegte zum ersten Mal in meinem Leben die Bibel Vers für Vers.
Ich stürzte mich mit mehr Eifer in diesen Fall, als ich je in eine Geschichte investiert hatte. Ich wandte meine Kenntnisse, die ich in Yale erworben hatte, und meine Erfahrungen als Gerichtsreporter bei der Chicago Tribune an. Und im Laufe der Zeit begannen die Beweise der Welt – der Geschichte, der Wissenschaft, der Philosophie und der Psychologie –, in eine Richtung zu zeigen, die undenkbar erschien.
Es war, als ob der Fall James Dixon wiederauferstand.
Urteilen Sie selbst
Vielleicht basiert auch Ihre Einstellung zu geistlichen Dingen auf den Anhaltspunkten, die Sie aufgrund eigener Anschauung oder aus Büchern, von Universitätsdozenten, Familienmitgliedern oder Freunden gewonnen haben. Aber ist Ihre Schlussfolgerung wirklich die bestmögliche Erklärung für das Beweismaterial? Wenn Sie tiefer stochern, Ihre Vorurteile außer Acht lassen und systematisch nach Beweisen suchen würden, was würden Sie dann finden?
Darum soll es in diesem Buch gehen. Ich werde Sie auf meine geistliche Reise mitnehmen, die fast zwei Jahre lang dauerte. Ich werde Sie mitnehmen, wenn ich 13 führende Wissenschaftler und Kapazitäten interviewe, die einen untadeligen akademischen Ruf genießen.
Ich habe die Vereinigten Staaten kreuz und quer durchreist – von Minnesota bis Georgia, von Virginia bis Kalifornien –, um ihre Expertenmeinungen einzuholen, um sie mit den Einwänden zu konfrontieren, die ich als Skeptiker hatte, um sie zu zwingen, ihre Positionen mit soliden Daten und zwingenden Argumenten zu untermauern und sie mit den Fragen auf die Probe zu stellen, die Sie vielleicht stellen würden, wenn Sie die Gelegenheit dazu hätten.
Bei dieser Suche nach der Wahrheit habe ich mir meine Erfahrungen als Gerichtsreporter zunutze gemacht, um Beweise aus den verschiedensten Kategorien einzuholen und zu prüfen: Augenzeugenberichte, Dokumente, erhärtende Beweise, widerlegende Beweise, wissenschaftliche Beweise, psychologische Gutachten, Indizienbeweise und sogar – ja, tatsächlich – Fingerabdrücke. (Das macht Sie jetzt wirklich neugierig, oder?)
Diesen Begriffen begegnen Sie auch im Gerichtssaal. Und vielleicht ist ein juristischer Blickwinkel der beste Weg, an diesen Prozess heranzugehen. Sie nehmen in diesem Fall die Rolle eines Geschworenen ein.
Wenn Sie in den USA als Geschworener zu einem echten Prozess hinzugezogen werden, müssen Sie vorab erklären, dass Sie keine voreingenommene Meinung in Bezug auf den Fall haben. Sie müssen schwören, dass Sie aufgeschlossen und fair sein werden, dass Sie Ihre Schlüsse aufgrund der Fakten und nicht aufgrund Ihrer Vorurteile oder aus einer Laune heraus ziehen werden. Sie werden aufgefordert, die Glaubwürdigkeit der Zeugen zu prüfen, ihre Aussagen sorgfältig durchzugehen und das Beweismaterial rigoros mithilfe von gesundem Menschenverstand und Logik zu beurteilen. Ich bitte Sie, dasselbe zu tun, während Sie dieses Buch lesen.
Am Ende müssen die Geschworenen ein Urteil fällen. Das bedeutet nicht, dass sie in jedem Fall hundertprozentige Sicherheit haben, denn ich glaube, es ist unmöglich, den absoluten Beweis für irgendetwas im Leben zu haben. In einem Gerichtsprozess werden die Geschworenen gebeten, die Beweise abzuwägen und zur bestmöglichen Schlussfolgerung zu kommen. Um auf den Fall Dixon zurückzukommen: Welches Szenario passt am schlüssigsten zu den Fakten?
Das ist nun Ihre Aufgabe. Ich hoffe, Sie nehmen sie ernst, denn in diesem Fall steht mehr als reine Neugier auf dem Spiel. Wenn Jesus glaubwürdig ist – und mir ist klar, dass hier bei Ihnen ein großes „wenn“ im Raum steht –, dann ist nichts wichtiger als die Frage, wie Sie auf ihn reagieren.
Aber wer war er wirklich? Wer behauptete er zu sein? Und gibt es mehr als einen glaubwürdigen Beweis, der seine Behauptungen untermauert? Das wollen wir herausfinden, wenn wir ein Flugzeug nach Denver besteigen, wo ich mein erstes Interview führe.
1 Lee Strobel: „Four Years in Jail – and Innocent“. In: Chicago Tribune, 22. August 1976 und: „Did Justice Close Her Eyes?“. In: Chicago Tribune, 21. August 1977.
Teil IDie Prüfung der Aufzeichnungen
Kapitel 1
Die Augenzeugenberichte
Kann man den Biografien Jesu trauen?
Als ich Leo Carter zum ersten Mal traf, war er ein schüchterner, mit leiser Stimme sprechender Siebzehnjähriger, der in dem Chicagoer Viertel mit der höchsten Kriminalitätsrate lebte und für sein Alter schon viel – zu viel – erlebt hatte. Seine Zeugenaussage hatte drei Killer ins Gefängnis gebracht. Und er hatte noch immer eine Kugel von einer .38-Kaliber-Waffe im Schädel stecken – eine grausige Erinnerung an eine schreckliche Geschichte, die begann, als er in diesem Viertel beobachtete, wie Elijah Baptist einen Lebensmittelhändler niederschoss.
Leo und sein Freund Leslie Scott spielten Basketball, als sie sahen, wie Elijah, der damals siebzehn Jahre alt war und schon dreißig Arreste auf seinem Vorstrafenregister stehen hatte, Sam Blue vor seinem Lebensmittelladen ermordete.
Leo kannte den Lebensmittelhändler seit seiner Kindheit. „Wenn wir nichts zu essen hatten, dann gab er uns etwas“, erklärte Leo mir mit leiser Stimme. „Als ich also ins Krankenhaus ging und sie mir sagten, dass er tot war, wusste ich, dass ich aussagen musste, was ich gesehen hatte.“
Aussagen von Augenzeugen haben großes Gewicht. Zu den dramatischsten Augenblicken in einer Verhandlung gehört, wenn ein Augenzeuge in allen Details das Verbrechen beschreibt, das er beobachtet hat, und dann ganz zielsicher auf den Angeklagten als den Täter zeigt. Elijah Baptist wusste, dass er dem Gefängnis nur entgehen würde, wenn er Leo Carter und Leslie Scott irgendwie davon abhalten konnte, ihre Zeugenaussage zu machen.
Also gingen Elijah und zwei seiner Freunde auf die Jagd. Bald spürten sie Leo und Leslie auf, die mit Leos Bruder Henry unterwegs waren, und zerrten sie mit vorgehaltenen Waffen zu einem dunklen Ladedock in der Nähe.
„Ich kann dich eigentlich wirklich gut leiden“, sagte Elijahs Cousin zu Leo, „aber ich muss es tun.“ Und mit diesen Worten setzte er Leo seine Pistole an den Nasenrücken und drückte ab.
Der Schuss ging los; die Kugel beschrieb einen Bogen, ließ Leo auf dem linken Auge erblinden und bohrte sich in seinen Schädel. Als er am Boden zusammenbrach, wurde ein weiterer Schuss auf ihn abgefeuert. Die Kugel traf ihn knapp neben der Wirbelsäule.
Leo lag am Boden, stellte sich tot und musste miterleben, wie sein schluchzender Bruder und sein Freund brutal aus kürzester Entfernung niedergemetzelt wurden. Als Elijah und seine Bande flohen, brachte sich Leo mühsam in Sicherheit.
Irgendwie überlebte er. Die Kugel in seinem Schädel konnte man nicht entfernen; die Operation war zu gefährlich. Trotz seiner bohrenden Kopfschmerzen, die auch starke Medikamente nicht unterdrücken konnten, wurde er zum einzigen Augenzeugen im Prozess, in dem Elijah Baptist angeklagt wurde, den Lebensmittelhändler Sam Blue ermordet zu haben. Die Geschworenen glaubten Leo und Elijah wurde zu 80 Jahren Haft verurteilt.
Auch für den Mord an seinem Bruder und an seinem Freund war Leo der einzige Zeuge, der aussagen konnte, dass Elijah und seine beiden Freunde die Täter waren. Und auch hier war sein Wort gut genug, um die drei für den Rest ihres Lebens ins Gefängnis zu bringen.
Leo Carter ist einer meiner Helden. Er sorgte dafür, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde, obwohl er einen gewaltigen Preis dafür bezahlen musste. Wenn ich heute – mehr als 20 Jahre später – an Augenzeugenberichte denke, dann sehe ich sein Gesicht immer noch vor mir.2
Ein Zeugnis aus einer fernen Zeit
Ja, Augenzeugenberichte sind in der Tat zwingend und überführend. Wenn ein Zeuge die umfassende Möglichkeit hatte, das Verbrechen zu beobachten, wenn er keine Vorurteile oder Hintergedanken hat, wenn der Zeuge vertrauenswürdig und fair ist, dann kann es völlig ausreichen, wenn er im Gerichtssaal auf den Täter deutet, um diesen zu Gefängnis oder zu Schlimmerem zu verurteilen.
Die Berichte von Augenzeugen sind genauso wichtig, wenn es darum geht, historische Fragen zu untersuchen – auch die Frage, um die es hier in meinem Buch geht: ob Jesus Christus der einzigartige Sohn Gottes ist.
Aber welche Augenzeugenberichte besitzen wir zu dieser Sache? Haben wir Berichte von jemandem, der persönlich mit Jesus zu tun hatte, der seinen Lehren zugehört hat, seine Wunder gesehen, seinen Tod miterlebt und ihm vielleicht sogar nach seiner angeblichen Auferstehung begegnet ist? Haben wir irgendwelche Berichte von „Journalisten“ aus dem ersten Jahrhundert, die Augenzeugen interviewt, unangenehme Fragen gestellt und treu berichtet haben, was sie gewissenhaft als Wahrheit bestimmt haben? Und würden diese Berichte den kritischen Einwänden von Skeptikern standhalten?
Mir war klar, dass Augenzeugenberichte aus dem Nebel vergangener Zeiten dazu beitragen könnten, diese wichtigste geistliche Frage zu beantworten. Um solide Aussagen zu bekommen, arrangierte ich ein Interview mit einem landesweit sehr angesehenen Wissenschaftler, der ein Buch zu genau diesem Thema geschrieben hatte: Dr. Craig Blomberg, der Autor von „Die Zuverlässigkeit der Evangelien“.
Ich wusste, dass Blomberg ein kluger Kopf war und seine Erscheinung passte zum Klischee. Er war sehr groß und schlaksig, hatte kurzes, braunes gewelltes Haar, das er ganz zwanglos nach vorne gekämmt hatte, einen krausen Bart und eine dicke, randlose Brille. Er war der Typ, der die Abschiedsrede bei der Abschlussfeier an der High School hält (was er getan hatte), der den Titel eines National Merit Scholar innehat (hat er) und der mit „summa cum laude“ sein Studium an einer angesehenen Universität abgeschlossen hat (was er auch tatsächlich getan hat).
Aber ich wollte jemanden, der nicht nur intelligent und gebildet war. Ich suchte einen Experten, der nicht über Kleinigkeiten hinwegsehen oder ungeniert Aspekte unter den Tisch fallen lassen würde, die die Aufzeichnungen des Christentums infrage stellen könnten. Ich brauchte einen integeren Menschen, jemanden, der sich mit den einflussreichsten Kritikern des Glaubens herumgeschlagen hatte und voller Autorität sprach, sich dabei aber den entscheidenden Fragen stellte, statt sie einfach vom Tisch zu wischen.
Man hatte mir gesagt, dass Blomberg genau der richtige Mann für mich wäre. Und so flog ich nach Denver und fragte mich im Stillen, ob er meinen Erwartungen wohl gerecht werden würde. Offen gestanden hatte ich ein paar Zweifel, vor allem, nachdem meine Nachforschungen eine beunruhigende Tatsache ans Licht gebracht hatten, die Blomberg vielleicht lieber verheimlicht hätte: Er hoffte immer noch, dass die Helden seiner Kindheit, die Chicago Cubs, zu seinen Lebzeiten die World Series im Baseball gewinnen würden.
Und ehrlich gesagt reichte das aus, um mich etwas an seinem Urteilsvermögen zweifeln zu lassen.
Das erste Interview: Craig L. Blomberg
Craig Blomberg ist allgemein anerkannt als eine der führenden Kapazitäten für die Biografien Jesu, die man die vier „Evangelien“ nennt. Er erwarb seinen Doktor im Fachbereich Neues Testament an der Universität von Aberdeen in Schottland, arbeitete später als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Tyndale House an der Universität von Cambridge in England, wo er zu einer Elitegruppe von internationalen Wissenschaftlern gehörte, die eine Reihe anerkannter Werke über Jesus publizierte. Seit über zehn Jahren ist er nun Professor am Lehrstuhl für Neues Testament am Denver Seminary.
Zu Blombergs Büchern zählen Titel wie Jesus and the Gospels, Interpreting the Parabels („Die Gleichnisse Jesu“; dieser Titel ist als einziger bereits auf Deutsch erschienen) und Kommentare zum Matthäus-Evangelium und zum ersten Brief an die Korinther. Außerdem war er an der Herausgabe des sechsten Bandes von Gospel Perspectives beteiligt, in dem es um die Wunder Jesu geht, und er ist Koautor von Introduction to Biblical Interpretation. Er verfasste einige Kapitel über die Historizität der Evangelien für das Buch Reasonable Faith und das preisgekrönte Buch Jesus under Fire. Er ist Mitglied der Society for the Study of the New Testament, der Society of Biblical Literature und des Institute for Biblical Research.
Wie ich erwartet hatte, waren die Bücherregale in seinem Büro überfüllt mit wissenschaftlichen Werken (sogar seine Krawatte war mit Zeichnungen von Büchern verziert). Und doch bemerkte ich schnell, dass die Wände seines Büros nicht von staubigen Wälzern von alten Historikern dominiert wurden, sondern von Bildern seiner beiden kleinen Töchter. Ihre lustigen und farbenfrohen Zeichnungen von Lamas, Häusern und Blumen waren nicht einfach wahllos an die Wand gepinnt. Sie wurden offensichtlich wie wertvolle Preise behandelt – sorgfältig gerahmt und persönlich von Elisabeth und Rachel signiert. Ich dachte mir, dass dieser Mann eindeutig nicht nur einen Verstand, sondern auch ein Herz besaß.
Blomberg sprach mit der Präzision eines Mathematikers (ja, er hatte auch schon Mathematik gelehrt) und wog jedes Wort sorgfältig ab, offensichtlich aus Abneigung, auch nur einen Tick weiter zu gehen, als der Beweis rechtfertigen würde. Genau der Mann, nach dem ich gesucht habe.
Als er sich mit einer Tasse Kaffee in der Hand in seinem Lehnstuhl zurücklehnte, nippte auch ich an meinem Kaffee, um gegen die Kühle in Colorado anzukämpfen. Da ich das Gefühl hatte, dass Blomberg ein Mann war, der direkt zur Sache kam, entschloss ich mich, gleich zu Beginn des Interviews den Kern des Themas anzusprechen.
Augenzeugen für die Geschichte
„Sagen Sie“, begann ich ein wenig provozierend, „ist es wirklich möglich, ein intelligenter, kritisch denkender Mensch zu sein und doch zu glauben, dass die vier Evangelien von den Personen geschrieben worden sind, deren Namen sie tragen?“
Blomberg stellte seine Tasse auf den Schreibtisch und schaute mich aufmerksam an. „Die Antwort lautet ja“, sagte er mit Nachdruck.
Er lehnte sich zurück und fuhr fort: „Es ist wichtig anzuerkennen, dass die Evangelien streng genommen anonym sind. Doch die frühe Kirche bezeugt einhellig, dass Matthäus, auch bekannt als Levi, der Steuereinnehmer und einer der zwölf Apostel, der Autor des ersten Evangeliums im Neuen Testament war, dass Johannes Markus, ein Freund von Petrus, der Autor des Evangeliums war, das wir Markus-Evangelium nennen, und dass Lukas, auch bekannt als Paulus’ ‚geliebter Arzt‘, das Lukas-Evangelium und die Apostelgeschichte geschrieben haben.“
„Wie einig war man sich darin, dass sie die Autoren waren?“, fragte ich.
„Es gibt niemanden sonst, der Anspruch auf die Autorschaft dieser drei Evangelien erhebt“, entgegnete er. „Anscheinend stand das überhaupt nicht zur Debatte.“
Trotzdem wollte ich diesem Punkt weiter auf den Grund gehen. „Entschuldigen Sie meine skeptische Haltung“, sagte ich, „aber könnte irgendjemand ein Motiv gehabt haben, zu lügen und zu behaupten, dass diese Leute die Evangelien geschrieben haben, auch wenn es in Wahrheit nicht so war?“
Blomberg schüttelte den Kopf. „Das ist nicht sehr wahrscheinlich. Sie müssen bedenken, dass die drei eher merkwürdige Gestalten waren.“ Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Markus und Lukas gehörten nicht einmal zu den zwölf Aposteln. Matthäus zwar schon, aber er war früher ein allgemein verhasster Steuereinnehmer. Neben Judas Ischariot, der Jesus verraten hat, war er wohl der verrufenste Apostel.
Und sehen Sie im Gegensatz dazu, was passierte, als viel später die fantasievollen apokryphen Evangelien geschrieben wurden. Die Leute wählten dafür die Namen von bekannten und beispielhaften Personen als fiktive Autoren aus – Philippus, Maria, Petrus, Jakobus. Diese Namen hatten viel mehr Gewicht als die Namen von Matthäus, Markus und Lukas. Um also Ihre Frage zu beantworten: Es gibt keinen Grund, die Autorschaft diesen drei weniger respektierten Personen zuzuschreiben, wenn sie nicht wirklich die Autoren wären.“
Das klang logisch, aber es war offensichtlich, dass er einen Evangelienautor ausgeklammert hatte. „Was ist mit Johannes?“, fragte ich. „Er war doch sehr prominent. Schließlich war er nicht nur einer der zwölf Jünger, sondern gehörte zusammen mit Jakobus und Petrus zum inneren Kreis um Jesus.“
„Ja, er ist die Ausnahme“, gab Blomberg mit einem Nicken zu. „Und das Interessante ist, dass das Johannes-Evangelium das einzige Evangelium ist, bei dem die Autorschaft Fragen aufwirft.“
„Worum geht es da konkret?“
„Der Name des Autors wird nicht in Zweifel gezogen – das ist ganz sicher Johannes. Die Frage ist, ob es Johannes, der Apostel, oder ein anderer Johannes war.
Wissen Sie, ein christlicher Autor namens Papias schreibt um 125 nach Christus über einen Johannes, den Apostel, und einen Johannes den Älteren. Aus dem Kontext wird nicht klar, ob er hier von einer Person aus zwei unterschiedlichen Perspektiven spricht oder ob er sich auf zwei verschiedene Personen bezieht. Aber von dieser Ausnahme abgesehen, gehen die frühen Aussagen einhellig davon aus, dass Johannes, der Apostel, der Sohn des Zebedäus, dieses Evangelium geschrieben hat.“
„Und“, sagte ich, um ihn festzunageln, „sind Sie davon überzeugt, dass er es geschrieben hat?“
„Ja, ich glaube, dass der bedeutende Großteil des Materials auf den Apostel zurückgeht“, erwiderte er. „Wenn Sie das Evangelium genau lesen, werden Sie feststellen, dass die abschließenden Verse unter Umständen von einem Herausgeber angefügt worden sind. Ich persönlich habe aber kein Problem damit zu glauben, dass jemand, der in enger Verbindung mit Johannes stand, diese Rolle übernommen hat, die letzten Verse in die endgültige Form gebracht und dem ganzen Dokument einen einheitlichen Stil gegeben hat.
Aber“, betonte er, „auf jeden Fall basiert das letzte Evangelium, genau wie die drei anderen Evangelien, auf Augenzeugenmaterial.“
Auf der Suche nach Einzelheiten
Wenn ich auch Blombergs Kommentare bisher akzeptiert hatte, war ich noch nicht bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Die Frage, wer die Evangelien geschrieben hat, ist äußerst wichtig, und ich wollte konkrete Details – Namen, Daten, Zitate. Ich trank meinen Kaffee aus und stellte die Tasse auf den Tisch. Ich zückte meinen Stift und bereitete mich darauf vor, tiefer in das Thema einzudringen.
„Gehen wir mal zurück zu Markus, Matthäus und Lukas“, sagte ich. „Welche konkreten Beweise haben Sie, dass diese drei Personen wirklich die Autoren der Evangelien sind?“
Blomberg beugte sich vor. „Auch hier stammt das älteste und vermutlich wichtigste Zeugnis von Papias, der etwa um 125 nach Christus ausdrücklich schreibt, dass Markus die Augenzeugenbeobachtungen des Petrus sorgfältig aufgezeichnet hat. Wörtlich schreibt er, dass Markus ‚keinen Fehler‘ gemacht und ‚keine einzige falsche Aussage‘ aufgenommen hat. Und Papias schreibt, dass auch Matthäus die Lehren Jesu gut erhalten hat.
Dann bestätigt auch Irenäus etwa um 180 nach Christus die überlieferte Autorschaft. Ich lese Ihnen die Stelle vor“, meinte er und griff nach einem Buch. Er schlug es auf und las die Worte von Irenäus:
„Matthäus veröffentlichte sein eigenes Evangelium unter den Hebräern in ihrer eigenen Sprache, während Petrus und Paulus das Evangelium in Rom predigten und die Gemeinde dort gründeten. Nach ihrer Abreise gab uns Markus, der Jünger und Übersetzer des Petrus, persönlich in schriftlicher Form die wesentlichen Inhalte der Predigten des Petrus. Lukas, der Jünger des Paulus, schrieb in einem Buch das Evangelium so nieder, wie er es von seinem Lehrer gehört hatte. Und Johannes, der Jünger des Herrn, der auch an seiner Brust gelehnt war, schrieb sein Evangelium, während er in Ephesus in Asien lebte.“3
Ich schaute von meinen Notizen auf. „Um das klarzustellen“, sagte ich. „Wenn wir uns darauf verlassen können, dass die Evangelien von den Jüngern Matthäus und Johannes, von Markus, dem Freund des Apostels Petrus, und von Lukas, dem Historiker, Freund des Paulus und so etwas wie ein Journalist des ersten Jahrhunderts, geschrieben wurden, können wir auch davon ausgehen, dass die beschriebenen Ereignisse auf direkten oder indirekten Augenzeugenbeobachtungen basieren.“
Während ich sprach, wog Blomberg in Gedanken meine Worte ab. Als ich fertig war, nickte er.
„Exakt“, erwiderte er knapp.
Antike gegen moderne Biografien
Es gab noch ein paar Aspekte der Evangelien, die für mich unklar waren. Ich wollte vor allem das literarische Genre besser verstehen, das sie repräsentierten.
„Wenn ich in eine Buchhandlung gehe, finde ich dort etwas völlig anderes als in den Evangelien“, sagte ich. „Wenn heutzutage jemand eine Biografie schreibt, beschäftigt er sich intensiv mit dem Leben eines Menschen. Aber schauen Sie sich das Markus-Evangelium an – er schreibt nichts über die Geburt Jesu oder seine Jugendzeit. Stattdessen konzentriert er sich auf einen Zeitraum von drei Jahren und verwendet fast die Hälfte seines Evangeliums darauf, die letzten Lebenstage Jesu zu schildern. Wie erklären Sie sich das?“
Blomberg hob zwei Finger. „Es gibt zwei Begründungen“, erwiderte er. „Eine literarische und eine theologische.
Die literarische Begründung ist, dass man in der Antike Biografien auf diese Weise schrieb. Damals hatte man nicht wie heute das Gefühl, dass es wichtig sein könnte, gleichermaßen auf alle Perioden im Leben eines Menschen einzugehen, seine Geschichte in chronologischer Reihenfolge zu erzählen oder jemanden wörtlich zu zitieren, statt nur sinngemäß wiederzugeben, was er gesagt hatte. Im Altgriechischen und Hebräischen gibt es nicht einmal ein Symbol für direkte Rede.
Man sah damals nur einen Grund für die Aufzeichnung von Geschichte: Man konnte etwas von den Menschen lernen, deren Leben beschrieben wurde. Deshalb gingen die Biografen vor allem auf die Lebensabschnitte ausführlich ein, die Vorbildcharakter hatten, besonders anschaulich waren, anderen Menschen helfen oder einer Epoche Sinn geben konnten.“
„Und wie lautet die theologische Begründung?“, fragte ich.
„Sie folgt aus dem Punkt, den ich gerade genannt habe. Christen glauben, dass das Leben und die Wunder Jesu zwar ganz toll waren, dass sie aber bedeutungslos sind, wenn Tod und Auferstehung Jesu nicht geschichtlich belegt sind und dadurch Sühne oder Vergebung für die Verfehlungen der Menschen nicht möglich ist.
Aus diesem Grund widmet wohl auch Markus, der Autor des ältesten Evangeliums, annähernd die Hälfte seines Berichtes der letzten Lebenswoche Jesu, die in Tod und Auferstehung gipfelt.
Wenn man die Bedeutung der Auferstehung bedenkt“, schloss er, „passt das perfekt zum antiken Geschichts- und Literaturverständnis.“
Das Geheimnis von Q
Zusätzlich zu den vier Evangelien verweisen Wissenschaftler oft auf die sogenannte Logienquelle „Q“.4 Wegen Ähnlichkeiten in Sprache und Inhalt nimmt man gewöhnlich an, dass Matthäus und Lukas das Evangelium von Markus als Vorlage nahmen, als sie ihre eigenen Evangelien schrieben. Außerdem gehen die Wissenschaftler davon aus, dass Matthäus und Lukas Material von dieser geheimnisvollen Quelle „Q“ übernommen haben, Material, das bei Markus nicht zu finden ist.
„Was genau ist ‚Q‘?“, fragte ich Blomberg.
„Genau genommen nur eine Hypothese“, antwortete er und lehnte sich wieder gemütlich in seinem Stuhl zurück. „Mit wenigen Ausnahmen besteht sie einfach aus Reden und Lehren Jesu, die in einem unabhängigen, separaten Dokument zusammengefasst gewesen sein könnten. Wissen Sie, es war damals gängige Praxis, die Reden geachteter Lehrer zu sammeln, so wie wir heute die besten Songs eines Musikers in einem ‚Best of‘-Album zusammenstellen. Die Quelle ‚Q‘ könnte so etwas gewesen sein. Zumindest sieht so die Theorie aus.“
Doch wenn Q schon vor Matthäus und Lukas existiert hatte, würde sie frühes Material über Jesus enthalten. Vielleicht, dachte ich, wirft das ein neues Licht auf Jesus.
„Noch eine Frage“, sagte ich. „Was für ein Bild von Jesus bekommt man, wenn man das Material von Q isoliert betrachtet?“
Blomberg strich über seinen Bart und starrte einen Moment lang an die Decke, während er über die Frage nachdachte. „Nun, Sie müssen berücksichtigen, dass Q eine Sammlung von Zitaten Jesu war und ihr deshalb das narrative Material fehlt, das uns ein vollständigeres Bild von Jesus geben könnte“, erwiderte er. Er sprach langsam und wählte jedes Wort sorgfältig.
„Doch trotzdem sind sehr starke Behauptungen Jesu dort aufgezeichnet, etwa, dass er die personifizierte Weisheit sei und derjenige, durch den Gott die Menschen richten werde, je nachdem, ob sie sich zu ihm bekennen oder ihn ablehnen würden. Der Autor eines wichtigen wissenschaftlichen Werkes zog vor Kurzem den Schluss, dass man dasselbe Bild von Jesus wie in den Evangelien findet, wenn man die Zitate aus Q isoliert betrachtet: Man findet jemanden, der sehr kühne Behauptungen über sich selbst aufstellt.“
Ich wollte es noch genauer wissen. „Würde man ihn auch als einen Wundertäter sehen?“, fragte ich weiter.
„Auch hier gilt wieder“, antwortete er, „dass man nicht viele Wundererzählungen an sich findet, weil sie eher narrativ sind und Q eben überwiegend eine Liste aus Zitaten ist.“
Er hielt inne, griff über seinen Schreibtisch, nahm eine in Leder gebundene Bibel in die Hand und blätterte durch ihre abgegriffenen Seiten.
„Aber im Lukas-Evangelium, Kapitel 7, Verse 18 bis 23 und im Matthäus-Evangelium, Kapitel 11, Verse 2 bis 6 heißt es, dass Johannes der Täufer seine Boten sandte, um Jesus zu fragen, ob er wirklich der Christus war, der Messias, auf den sie warteten. Jesus antwortete ihnen in etwa: ‚Sagt ihm, dass er auf meine Wunder achten soll. Sagt ihm, was ihr gesehen habt: Die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Tauben hören, den Armen wird die gute Nachricht gepredigt.‘
Selbst in Q findet man also ein klares Bewusstsein der Wunder Jesu“, schloss er.
Als Blomberg Matthäus erwähnte, erinnerte mich das an eine andere Frage. Wie passten die Evangelien zusammen?
„Warum“, fragte ich, „sollte Matthäus – von dem behauptet wird, dass er Augenzeuge war – Teile eines Evangeliums von Markus, der kein Augenzeuge war, in sein Evangelium integrieren? Wenn das Evangelium von Matthäus wirklich von einem Augenzeugen geschrieben wurde, dann sollte man doch annehmen, dass er sich auf seine eigenen Beobachtungen verlassen würde.“
Blomberg lächelte. „Das macht nur Sinn, wenn man davon ausgeht, dass Markus auf die Erinnerungen von Petrus zurückgreift“, sagte er. „Wie Sie selbst gesagt haben, gehörte Petrus zum inneren Kreis um Jesus und konnte auf diese Weise Dinge sehen und hören, die den anderen Jüngern verschlossen blieben. Also würde es auch für Matthäus Sinn machen, sich auf Petrus’ Version der Ereignisse zu verlassen, wie sie durch Markus überliefert wird.“
Ja, dachte ich bei mir, das machte Sinn. Aus meinen Jahren als Zeitungsreporter fiel mir sogar eine Analogie ein. Ich erinnerte mich, wie ich einmal zusammen mit vielen anderen Journalisten den berühmt-berüchtigten politischen Patriarchen von Chicago, den verstorbenen Bürgermeister Richard J. Daley, umringt und mit Fragen zu einem Polizeiskandal bombardiert hatte. Er hatte ein paar Bemerkungen gemacht, bevor er in seine Limousine flüchtete.
Obwohl ich Augenzeuge des Geschehens war, wandte ich mich sofort an einen Radioreporter, der näher bei Daley gestanden hatte, und bat ihn, sein Band zurückzuspulen, damit wir noch einmal hören konnten, was Daley gesagt hatte. Nur so konnte ich sichergehen, dass ich seine Worte korrekt aufgeschrieben hatte.
Und das, so grübelte ich, war vermutlich genau das, was Matthäus mit Markus getan hatte. Obwohl er seine eigenen Erinnerungen als Jünger Jesu hatte, veranlasste ihn sein Wunsch nach korrekter Darstellung der Ereignisse dazu, auf Material zurückzugreifen, das direkt von Petrus aus dem inneren Kreis um Jesus kam.
Die besondere Perspektive bei Johannes
Ich war mit Blombergs Antworten zu den ersten drei Evangelien zufrieden, die man wegen ihres ähnlichen Aufbaus und der Beziehung untereinander auch die „Synoptiker“ nennt, was so viel bedeutet wie „gleichzeitig zu betrachten“.5 Nun wandte ich meine Aufmerksamkeit dem Johannes-Evangelium zu. Jeder, der alle vier Evangelien liest, wird sofort bemerken, dass es offenkundige Unterschiede zwischen den Synoptikern und dem Johannes-Evangelium gibt. Ich wollte wissen, ob dies bedeutete, dass es zwischen ihnen unvereinbare Widersprüche gab.
„Könnten Sie die Unterschiede zwischen den synoptischen Evangelien und dem Johannes-Evangelium näher erläutern?“, fragte ich Blomberg.
Seine Augenbrauen schossen nach oben. „Zu diesem Thema könnte man ein ganzes Buch schreiben!“
Nachdem ich versichert hatte, dass ich nur an den wesentlichen Punkten interessiert wäre und nicht an einer erschöpfenden Diskussion, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück.
„Nun, es ist richtig, dass das Johannes-Evangelium zu den anderen Evangelien mehr Unterschiede als Ähnlichkeiten aufweist“, begann er. „Nur eine Handvoll von den großen Geschichten aus den drei Synoptikern erscheint im Johannes-Evangelium. Das ändert sich aber merklich, wenn man zu der letzten Lebenswoche Jesu kommt. Ab diesem Punkt sind die Parallelen deutlicher.
Außerdem scheint der linguistische Stil anders zu sein. Im Johannes-Evangelium verwendet Jesus eine andere Terminologie, er spricht in langen Predigten und es scheint eine höhere Christologie zu geben. Das heißt, dass Jesus direkter und deutlicher behauptet, dass er mit dem Vater eins ist, dass er der Weg, die Wahrheit und das Leben und dass er die Auferstehung und das Leben ist.“
„Wie erklärt man sich diese Unterschiede?“, fragte ich.
„Man ging sehr lange davon aus, dass Johannes alles kannte, was Matthäus, Markus und Lukas geschrieben hatten, und keine Notwendigkeit sah, es zu wiederholen. Also habe er beschlossen, ihre Aufzeichnungen zu ergänzen. In jüngerer Zeit nahm man aber auch an, dass Johannes von den drei anderen Evangelien völlig unabhängig ist. Für diese These sprechen nicht nur die Unterschiede in der Materialauswahl, sondern auch die unterschiedliche Sicht von Jesus.“
Die kühnste Behauptung Jesu
„Es gibt auch einige theologische Unterschiede zwischen den Synoptikern und Johannes“, stellte ich fest.
„Das will ich nicht abstreiten, aber muss man sie gleich als Widersprüche bezeichnen? Das glaube ich nicht und ich sage Ihnen auch, warum. Zu fast jedem großen Thema oder Unterschied in Johannes können Sie Parallelen in Matthäus, Markus oder Lukas finden, auch wenn sie nicht gerade im Überfluss vorhanden sind.“
Das war eine kühne Behauptung. Ich entschloss mich umgehend, sie auf die Probe zu stellen und das vielleicht wichtigste Thema in Bezug auf die Unterschiede zwischen den Synoptikern und dem Johannes-Evangelium anzusprechen.
„Johannes stellt sehr explizit die Behauptung auf, dass Jesus Gott ist, was viele der Tatsache zuschreiben, dass er sein Evangelium so viel später als die anderen schrieb und damit begann, die Ereignisse auszuschmücken“, warf ich ein. „Findet man dieses Thema der Gottheit Jesu auch bei den Synoptikern?“
„Ja, kann man“, entgegnete er. „Das Thema findet sich eher implizit, aber es ist vorhanden. Denken Sie an die Geschichte im Matthäus-Evangelium, Kapitel 14, Verse 22 bis 33 und im Markus-Evangelium, Kapitel 6, Verse 45 bis 52, als Jesus auf dem Wasser geht. In den meisten Übersetzungen geht die Bedeutung des griechischen Urtextes verloren. In den Übersetzungen heißt es meistens: ‚Fürchte dich nicht, ich bin es.‘ Doch im Griechischen heißt es wörtlich: ‚Fürchte dich nicht, ich bin.‘ Diese letzten beiden Worte sind identisch mit dem, was Jesus im Johannes-Evangelium, Kapitel 8, Vers 58 sagt, als er den göttlichen Namen ‚Ich bin‘ auf sich bezieht, mit dem sich Gott Mose am brennenden Dornbusch offenbart hatte. Jesus offenbart sich hier also als derjenige, der dieselbe göttliche Macht über die Natur hat wie Jahwe, der Gott des Alten Testamentes.“
Ich nickte. „Das ist ein Beispiel. Gibt es noch andere?“
„Ja. In den ersten drei Evangelien ist beispielsweise ‚Menschensohn‘ der Titel, den Jesus am häufigsten für sich selbst verwendet, und –“
Ich hob meine Hand, um ihn zu unterbrechen. „Warten Sie einen Augenblick“, sagte ich. Ich zog ein Buch aus meiner Tasche und blätterte es durch, bis ich die Stelle gefunden hatte, die ich suchte. „Karen Armstrong, eine ehemalige Nonne, schreibt in ihrem Bestseller ‚A History of God‘, dass der Titel ‚Menschensohn‘ einfach die Schwachheit und Sterblichkeit des Menschen betonen will. Indem Jesus also diesen Titel für sich verwendete, wollte er hervorheben, dass er ein schwacher Mensch war, der eines Tages leiden und sterben würde.6 Wenn das stimmt“, sagte ich, „dann klingt das nicht unbedingt wie der Anspruch, Gott sein zu wollen.“
Blomberg schaute verdrießlich. „Wissen Sie“, sagte er in entschiedenem Ton, „entgegen der landläufigen Meinung bezieht sich der Titel ‚Menschensohn‘ in erster Linie nicht auf die Menschlichkeit Jesu. Stattdessen ist er eine direkte Anspielung auf Daniel, Kapitel 7, Verse 13 bis 14.“
Mit diesen Worten öffnete er das Alte Testament und las diese Worte des Propheten Daniel vor:
„Immer noch hatte ich die nächtlichen Visionen: Da kam mit den Wolken des Himmels einer wie ein Menschensohn. Er gelangte bis zu dem Hochbetagten und wurde vor ihn geführt.
Ihm wurden Herrschaft, Würde und Königtum gegeben. Alle Völker, Nationen und Sprachen müssen ihm dienen. Seine Herrschaft ist eine ewige, unvergängliche Herrschaft. Sein Reich geht niemals unter.“
Blomberg schlug seine Bibel zu. „Überlegen Sie sich also, was Jesus tat, als er den Begriff ‚Menschensohn‘ auf sich bezog. Der Menschensohn ist jemand, der sich Gott in seinem himmlischen Thronsaal nähert und dem universale Herrschaft und Macht gegeben werden. So wird ‚Menschensohn‘ zu einem Titel, der hohe Erhabenheit und nicht bloße Menschlichkeit ausdrückt.“
Später fand ich einen Kommentar von einem anderen Wissenschaftler, William Lane Craig, den ich auch noch für dieses Buch interviewen wollte. Er hatte eine ähnliche Beobachtung gemacht:
„Man denkt oft, dass der Begriff ‚Menschensohn‘ die Menschlichkeit Jesu ausdrücken soll, so wie der Begriff ‚Gottessohn‘ seine Göttlichkeit ausdrückt. Doch in der Tat gilt genau das Gegenteil. Der Menschensohn war eine göttliche Figur im alttestamentlichen Buch Daniel, die am Ende der Welt kommen, die Menschen richten und für immer regieren sollte. So war die Behauptung, der Menschensohn zu sein, in Wirklichkeit die Behauptung, ein göttliches Wesen zu sein.“7
Blomberg fuhr fort: „Außerdem behauptet Jesus in den synoptischen Evangelien, dass er Sünden vergeben kann. Das ist etwas, das nur Gott kann. Jesus nimmt Gebet und Anbetung an. Jesus sagt: ‚Wer sich nun vor den Menchen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen.‘ Das letzte Gericht, um das es ja hier geht, ist abhängig von der Reaktion eines Menschen auf wen? Auf ein menschliches Wesen? Das wäre eine sehr anmaßende Behauptung. Das letzte Gericht ist abhängig von der Reaktion eines Menschen auf Jesus als Gott.
Sie sehen also, dass es bei den Synoptikern eine ganze Menge Material zur Gottheit Jesu gibt, das im Johannes-Evangelium expliziter dargestellt ist.“
Das theologische Programm des Evangeliums
Beim Abfassen des letzten Evangeliums hatte Johannes den Vorteil, dass er sich die theologischen Themen über einen längeren Zeitraum hinweg durch den Kopf gehen lassen konnte. Also fragte ich Blomberg: „Kann man aus der Tatsache, dass Johannes eine stärkere theologische Neigung hat, schließen, dass sein historisches Material beeinträchtigt und daher weniger verlässlich ist?“
„Ich glaube nicht, dass Johannes theologischer ist“, betonte Blomberg. „Er hat lediglich einen anderen theologischen Blickwinkel. Matthäus, Markus und Lukas hatten jeweils unterschiedliche theologische Standpunkte, die sie besonders hervorheben wollten. Lukas als Anwalt für die Armen und sozial Benachteiligten, Matthäus, der die Beziehung zwischen Christentum und Judentum verstehen will, und Markus, der Jesus als den leidenden Diener zeigt. Sie können eine lange Liste mit den Unterschieden in der Theologie bei Matthäus, Markus und Lukas aufstellen.“
Ich unterbrach ihn, weil ich fürchtete, er würde am entscheidenden Punkt vorbeireden. „Gut, aber lassen diese theologischen Motive nicht Zweifel an ihrer Fähigkeit und Bereitschaft zur akkuraten Berichterstattung der Ereignisse aufkommen?“, fragte ich. „Ist es nicht wahrscheinlich, dass ihr theologisches Programm sie dazu verführte, die Geschichte zu färben und zu verdrehen, so wie es in ihre Interessen und Ziele passte?“
„Das gilt hier sicher genau wie bei jedem anderen ideologischen Dokument. Natürlich müssen wir diese Möglichkeit ins Auge fassen“, gab er zu. „Es gibt Menschen, die die Geschichte bewusst verdrehen, um sie den Zielen ihrer Ideologie zunutze zu machen. Doch leider kam man zu dem Schluss, dass das immer geschieht, was aber eine Fehleinschätzung ist.
In der Antike war es einfach nicht üblich, leidenschaftslos, objektiv und ohne ideologische Absichten Geschichte zu schreiben, einfach, um die Ereignisse aufzuzeichnen. Niemand würde Geschichte schreiben, wenn es nicht eine Lektion gab, die man daraus lernen konnte.“
Ich lächelte. „Ich vermute, man könnte sagen, dass deshalb alles irgendwie verdächtig ist.“
„Ja, bis zu einem gewissen Grad ist es das tatsächlich“, erwiderte er. „Doch wenn es uns möglich ist, aus allen möglichen anderen historischen Quellen Geschichte genau zu rekonstruieren, dann sollte uns das auch bei den Evangelien gelingen, wenn sie ideologisch gefärbt sind.“
Blomberg suchte nach einem passenden Beispiel, mit dem er sein Argument illustrieren konnte: „Es gibt eine moderne Parallele aus der Geschichte der Juden, die verdeutlichen könnte, was ich meine. Manche Menschen leugnen die Grausamkeiten des Holocaust oder spielen sie herunter. Das geschieht normalerweise im Zuge antisemitischer Propaganda. Doch es waren jüdische Wissenschaftler, die Museen aufgebaut, Bücher geschrieben, Kunstgegenstände gesammelt und Augenzeugenberichte dokumentiert haben, die den Holocaust betreffen. Auch sie verfolgen ein ideologisches Ziel: Sie wollen sicherstellen, dass so etwas Schreckliches nie wieder geschehen kann. Doch gleichzeitig waren sie in ihrer Berichterstattung der Geschehnisse sehr objektiv und wahrheitsgetreu.
Das Christentum basiert auf der historischen Behauptung, dass Gott auf einzigartige Weise in der Person Jesu von Nazareth in Zeit und Raum gekommen ist. Diese Ideologie erforderte so sorgfältige historische Arbeit wie möglich.“
Er ließ dieses Beispiel auf mich wirken. Dann schaute er mich direkt an und fragte: „Verstehen Sie, was ich meine?“
Ich nickte.
Sensationelle Neuigkeiten aus der Geschichte
Es ist eine Sache zu sagen, dass die Evangelien direkt oder indirekt auf Augenzeugenberichten basieren. Doch es ist etwas anderes zu behaupten, dass diese Informationen zuverlässig bewahrt worden sind, bis sie schließlich viele Jahre später aufgezeichnet wurden. Dies war, wie ich wusste, ein großer Streitpunkt, und ich wollte Blomberg auf dieses Thema so direkt wie möglich ansprechen.
Wieder nahm ich Armstrongs populäres Buch A History of God zur Hand und las einen Abschnitt daraus vor.
„Wir wissen sehr wenig über Jesus. Der erste Bericht über sein Leben, das Markus-Evangelium, wurde etwa im Jahr 70 geschrieben, etwa 40 Jahre nach seinem Tod. Zu dieser Zeit waren die historischen Fakten bereits von mythischen Elementen überlagert, die der Bedeutung entsprachen, die Jesus für seine Nachfolger erlangt hatte. Markus überliefert in erster Linie diese Bedeutung statt ein verlässliches Porträt zu liefern.“8
Ich steckte das Buch zurück in meine Tasche, wandte mich wieder Blomberg zu und fuhr fort: „Einige Wissenschaftler vertreten die Meinung, dass die Evangelien so lange nach den eigentlichen Ereignissen geschrieben wurden, dass sich Legenden gebildet und die Geschichte verzerrt haben. So wurde Jesus schließlich vom weisen Lehrer zum mythologischen Sohn Gottes hochstilisiert. Ist das eine vernünftige Hypothese oder gibt es Beweise, die belegen, dass die Evangelien bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgefasst wurden, bevor Legenden zerstören konnten, was letzten Endes berichtet wurde?“
Blombergs Augen verengten sich und seine Stimme bekam einen unnachgiebigen Ton. „Es geht hier um zwei verschiedene Themen und es ist wichtig, sie voneinander zu trennen“, sagte er. „Ich denke, dass es stichhaltige Beweise für die frühere schriftliche Abfassung der Evangelien gibt. Aber selbst dann greift Armstrongs Argumentation nicht.“
„Warum nicht?“, fragte ich.
„Auch in sehr liberalen Kreisen datieren Wissenschaftler das Markus-Evangelium in die Siebzigerjahre des ersten Jahrhunderts, Matthäus und Lukas in die Achtzigerjahre und Johannes in die Neunzigerjahre. Doch beachten Sie: Das alles liegt immer noch innerhalb der Lebensjahre verschiedener Zeitgenossen Jesu, inklusive einiger feindlich eingestellter Augenzeugen, die garantiert Einspruch erhoben hätten, wenn falsche Lehren über Jesus verbreitet worden wären.
Folglich sind auch diese späten Daten für die Abfassung der Evangelien gar nicht so spät. Ich kann Ihnen dazu zwei sehr aufschlussreiche Vergleiche nennen.
Die zwei frühesten Biografien über Alexander den Großen wurden von Arrian und Plutarch verfasst, und zwar mehr als 400 Jahre nach dem Tod Alexanders des Großen im Jahr 323 vor Christus. Und trotzdem halten die Wissenschaftler sie im Allgemeinen für glaubwürdig. Natürlich entwickelten sich im Laufe der Zeit Legenden um Alexander den Großen, doch erst in den Jahrhunderten nach Arrian und Plutarch.
Mit anderen Worten: Alexanders Geschichte blieb die ersten 400 Jahre lang nahezu unbeschadet. Die Legenden entstanden erst in den nachfolgenden 500 Jahren. Im Vergleich dazu spielt es eigentlich keine Rolle, ob die Evangelien nun erst 60 oder schon 30 Jahre nach dem Tod Jesu geschrieben wurden. Diese Zeitspanne kann man nach meiner Überzeugung nahezu völlig vernachlässigen.“
Ich konnte nachvollziehen, was Blomberg sagen wollte. Und gleichzeitig hatte ich einige Vorbehalte dagegen. Für mich schien es logisch zu sein, dass Aufzeichnungen umso weniger in der Gefahr standen, Opfer von Legenden oder schlechtem Gedächtnis zu werden, je kürzer der Abstand zwischen tatsächlichem Geschehen und schriftlicher Abfassung des Geschehens war.
„Ich möchte Ihren Punkt erst mal so stehen lassen, aber kommen wir noch einmal auf die Datierung der Evangelien zurück“, sagte ich. „Sie haben angedeutet, dass Sie glauben, die Evangelien seien vor dem von Ihnen erwähnten Zeitpunkt geschrieben worden.“
„Ja, früher“, entgegnete er. „Und wir können diese Annahme stützen, indem wir einen Blick in die Apostelgeschichte werfen, die ebenfalls von Lukas geschrieben wurde. Die Apostelgeschichte endet offensichtlich unvollendet – Paulus ist eine zentrale Figur des Buches und befindet sich unter Hausarrest in Rom. Damit hört das Buch abrupt auf. Was passiert mit Paulus? Aus der Apostelgeschichte erfahren wir das nicht, vermutlich, weil das Buch vor dem Tod von Paulus niedergeschrieben wurde.“
Blomberg geriet etwas mehr in Fahrt, als er fortfuhr: „Das bedeutet, dass man die Apostelgeschichte nicht später als 62 nach Christus datieren kann. Wenn man diesen Zeitpunkt festgelegt hat, kann man von hier aus weiter zurückgehen. Da die Apostelgeschichte der zweite Teil eines zweiteiligen Werkes ist, wissen wir, dass der erste Teil – das Lukas-Evangelium – vorher geschrieben sein muss. Und da Lukas Teile aus dem Markus-Evangelium integriert, bedeutet das, dass Markus noch früher da gewesen sein muss.
Wenn Sie für die Entstehung jedes Evangeliums etwa ein Jahr rechnen, dann wurde das Markus-Evangelium nicht später als etwa 60 oder vielleicht Ende der Fünfzigerjahre nach Christus geschrieben. Wenn Jesus im Jahr 30 oder 33 unserer Zeitrechnung zu Tode kam, dann geht es hier um einen zeitlichen Abstand von maximal 30 Jahren oder so.“
Er lehnte sich mit einem leicht triumphierenden Gesichtsausdruck in seinem Stuhl zurück. „Historisch gesprochen, vor allem im Vergleich mit Alexander dem Großen, ist das wie eine brandaktuelle Nachrichtenmeldung.“
In der Tat war es sehr eindrucksvoll zu sehen, wie sich die zeitliche Kluft zwischen dem Leben Jesu und der schriftlichen Abfassung der Evangelien so stark schloss, dass man sie nach historischen Standards vernachlässigen konnte. Doch ich wollte noch mehr. Ich wollte die Uhr so weit wie möglich zurückdrehen, um die frühest möglichen Informationen über Jesus zu bekommen.
Zurück zu den Anfängen
Ich stand auf und spazierte zu den Bücherregalen hinüber. „Können wir noch weiter zurückgehen?“, fragte ich und wandte mich wieder zu Blomberg um. „Wie früh können wir die ältesten schriftlichen Zeugnisse für den Glauben an das Sühneopfer Jesu, seine Auferstehung und seine einzigartige Verbindung mit Gott ansetzen?“