Der fliegende Eisvogel - Richard Henry Savage - E-Book

Der fliegende Eisvogel E-Book

Richard Henry Savage

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Beschreibung

Ein spannendes Abenteuerbuch auf den Spuren Karl Mays. Basil Goodloe und Harry Wainright gehen auf die Suche nach einem sagenhaften Goldschatz, der sich in Mexiko in einer Höhle befinden soll. Pauline Delmar, die Witwe des Mannes, der ihn fand, und ihre Tochter Anita wollen nicht nur den Schatz finden, sondern dort auch den Mann befreien, der ein Freund der Familie war: Senor Pesquiera. Durch Intrigen des neuen Gouverneurs geriet er in Gefangenschaft. Zunächst müssen aber die wilden Stämme der Yaquis dazu gewonnen werden, bei der Suche zu helfen. Harry und Basil machen die Höhle ausfindig, alles scheint zu gelingen. Wenn da nicht die beiden Schurken Obed Lake und Jörgensen wären. Und zu allem Überfluss mischt sich noch Wong Lees Opiumschmugglerbande ein ...-

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Richard Henry Savage

Der fliegende Eisvogel

Auf der Fährte von Karl May

Saga

Vorwort

In Nummer 50 des Jahrgangs XXII (1895/96) des „Deutschen Hausschatz“ künden Redaktion und Verlag unter der Rubrik „Was wir im nächsten Jahrgang bringen“ unter anderem an:

„Richard Henry Savage, einen der hervorragendsten Romanschriftsteller Amerikas, führen wir durch den Seeroman „Der fliegende Eisvogel“ beim Deutschen Hausschatz ein. Unsere Leser werden hier einen Roman kennenlernen, wie er ihnen noch nicht geboten worden ist: eine überaus spannende, im besten Sinne abenteuerliche Handlung verbindet sich mit feinster Charakterzeichnung, tief sittlichem Ernst und katholischer Gesinnung.“

Einige Zeilen weiter wird der Reiseroman „Im Reiche des silbernen Löwen“ des „allbeliebten, unermüdlichen Erzählers Karl May“ angezeigt. –

Im Jahrgang XXIII erscheint in den ersten beiden Nummern ein Beitrag „Freuden und Leiden eines Vielgelesenen“ von Dr. Karl May; seine angekündigte Reiseerzählung beginnt jedoch erst ab Nummer 22 und endet bereits nach der 18. Fortsetzung in Nummer 40 mit der „Einleitung“. (Die Erzählung wird erst wieder weitergeführt in Band XXIV, Heft 7; von da an regelmäßig.)

Der „Fliegende Eisvogel“ hingegen beginnt in der Nummer 1 und endet mit der 14. Fortsetzung in Nummer 15. Dieser Roman bleibt die einzige bisher bekannte Veröffentlichung in deutscher Sprache des Richard Henry Savage. Die Nachfrage in Amerikahäusern, Deutsch-Amerikanischen Instituten, Universitäts- und anderen Bibliotheken, ob es einen amerikanischen Schriftsteller namens Savage tatsächlich gegeben habe, brachte ein negatives Ergebnis. Ein englischer Dichter gleichen Namens dagegen ist nachweisbar und sein Leben (Anfang 17. Jahrhundert – natürlicher Sohn einer Gräfin und eines Lords – bei einer armen Frau aufgezogen usw. usw.) erschien geeignet, einem Karl May vorübergehend eine Art geistiger Unterschlupf zu sein.

Die bisher genannten Fakten ließen den Amateurforscher jubeln und er vermeinte, einen apogryphen Karl May ausfindig gemacht zu haben, zumal eine der Hauptfiguren der Erzählung ein Phil May ist. Forscher-Vater Claus Roxin goß zwar – und mit Recht – Wasser der Skepsis in den Wein der Entdeckerfreude (s. Nachwort zu Band 1 dieser Reihe), aber die Fährte wurde trotzdem munter weiter verfolgt und im Geiste bereits ein phantastisches Vorwort entworfen. Leider führte die Spur dann doch nicht in die Villa Shatterhand. Das Buch war bereits in Satz, da kam aus Washington die Nachricht, daß nach langem Suchen tatsächlich ein Richard Henry Savage ausfindig gemacht werden konnte, der von 1846 bis 1903 gelebt hätte. Und dessen Erzählung „The Flying Halcyon, a Mystery of the Pacific Ocean“ war zum ersten Mal 1894 in einer monatlich erscheinenden Zeitschrift in Philadelphia veröffentlicht worden. Wie die Redaktion des Hausschatz zu diesem Roman kam, ist uns nicht bekannt. Obwohl im Hausschatz bereits 27 Werke von Karl May erschienen waren, behauptete jedenfalls die Redaktion, daß den Lesern ein solcher Roman noch nicht geboten worden wäre. Ob Karl May hierüber verärgert war und deshalb die Redaktion vorerst nicht mehr mit Manuskripten versorgte? Oder war es „die Empörung“, die Karl May wegen Manuskriptveränderungen durch den Hausschatzredakteur Heinrich Keiter äußerte die den vorübergehenden Veröffentlichungsstop seiner Erzählungen zur Folge hatte und Pustet junior nach Radebeul führte, worüber noch ein anderes Mal zu berichten sein wird?

Wie dem auch sei, „Der fliegende Eisvogel“ – auch wenn er diesmal erwiesenermaßen nicht aus der Feder Karl Mays stammt – ist so spannend geschrieben, daß er sicher auch alle Freunde von Kara Shatterhand voll und ganz zufriedenstellen wird, so wie vor 80 Jahren die Leser des Hausschatz.

Herbert Meyer

Das Geheimnis des Seemanns

Also morgen geht’s fort, Harry?“ fragte Basil Goodloe, seinem Gast die Zigarren reichend.

„Jawohl, der Befehl lautet so“, antwortete ihm Harry Wainright, Kommandant der Vereinigten-Staaten-Flotte und reichte ihm das offizielle Schreiben hinüber. Die beiden jungen Leute saßen an einem der großen Parterrefenster im Hotel Athenée, welches vis-à-vis der großen Oper lag. „Weißt du, Kamerad, deine Privatangelegenheiten müssen wirklich sehr wichtig sein, denn sonst hättest du doch wahrhaftig nicht verzichtet. Der Admiral sagte mir, als er mir vor vierzehn Tagen das Patent aushändigte, daß ich mein Kommando nur deinem Urlaubnehmen verdanke!“

„Ach Gott, ja! Wichtig genug sind meine Sachen schon. Ich war zuerst so glücklich darüber, daß ich den „Ranger“ haben sollte, kam ich doch dadurch endlich aus dem nun schon vierzehn Jahr dauernden Frontdienst heraus, aber – na, ’s geht eben nicht! Es läßt sich nun einmal nicht ändern. Stolz wie ein Fürst wäre ich, schlimmstenfalls sogar auf einem Wachtkreuzer, in den Golf von Kalifornien eingelaufen. Doch ... laß das. Ich freue mich übrigens wirklich herzlich, daß gerade du an meine Stelle trittst.“

„Ja, aber wie kannst du nur wirklich den Gedanken fassen, jetzt gerade abzuklappen? Die Beförderung hat doch wahrhaftig lange genug auf sich warten lassen, und außerdem, wie willst du, die richtige Seeratte, fortdauernd auf dem Land leben! Überleg dir die Sache nur noch mal, ich will dir wahrhaftig nicht im Wege stehen.“

„Ach Gott, mach mir doch die Sache nicht noch schwerer. Ich weiß sowieso nicht, was ich tun soll, obgleich ich doch gerade alt genug dazu wäre. Was hilft mir denn meine ganze sogenannte Tüchtigkeit, wenn ich sie nicht anwenden kann! Ich kann nicht! kann nicht! Kein Mensch kann mir helfen! Aber eins kann ich dir nur sagen, der Abschied und das Scheiden vom Dienst wird mir sehr schwer.“

Ein kurzes Schweigen. Die kunstvoll sich emporringelnden blauen Wölkchen des aromatischen Havannakrautes schienen alles Interesse zu absorbieren.

„Ach, jetzt weiß ich, was dir ist“, rief plötzlich Harry aus. „Aber warum sagtest du mir das nicht gleich! Ich, als einziger Sproß des pennsylvanischen Kohlenbarons hab doch wahrhaftig genug, um auch dich aus der Klemme zu ziehn. Bitte, disponiere ganz ruhig über mich, das geniert mich gar nicht.“

„Bist ein guter Kerl und ich danke dir“, entgegnete Goodloe. „Aber ich brauche momentan wirklich kein Geld. Das wär mir nichts Ungewohntes, da wüßte ich ein sehr einfaches, aber probates Mittel. Auf’s Wasser schwimmt mir kein Manichäer nach.“

Der Pennsylvanier wurde ernster. „Na, dann ist’s eine Liebelei, dann steckt ein Weib dahinter.“

„Ja ... es ... handelt ... sich um eine Frau!“ Langsam und zögernd klang die Antwort Goodloes.

„Bist du etwa gar heimlich verheiratet?!“

„Nein, noch nicht und werde es wohl auch nie sein, trotzdem sie das entzückendste Geschöpf der Erde ist.“

„Gottlob! Dann geht’s noch!“ Wainright atmete sichtlich erleichtert auf. „Dann heißt’s lavieren, ehe ein Sturm aufkommt. Das ist was für mich. Paßt in mein Fahrwasser.“

„Ja, du gehst immer mit Volldampf drauflos, und weißt dein Herz vorsichtig frei zu halten. Ich bin aber zu schwerfällig dazu. Hast du mich schon jemals auf solchen Exkursionen getroffen?“

„Eben gerade deshalb hatte ich ja Angst, daß du dich kopfüber in eine Heirat stürzen würdest! Euch guten, harmlosen Burschen kann man so etwas schon zutrauen. Unsereins segelt einfach ab. So ein paar Seemeilen sind ’ne famose Sache.“

„Ja, ja, du bist eben ein Schwerenöter. Ich kann aber nicht einfach fortsegeln.“

„Na, und warum nicht? Sag mir das wenigstens. Ich habe heute abend Zeit. Der „Ranger“ liegt schon auf Mare-Island. Hätt’s mir wahrhaftig nie träumen lassen, das Schiff zu bekommen! Man scheint jedoch oben der Ansicht zu sein, daß ich, weil ich einst als Wachtoffizier das Deck der Pensacola zierte, jede Klippe und jede Strömung im Golf kennen müsse. Du wärst wahrhaftig viel mehr der Mann dazu.“

„Vielleicht! Doch wer weiß! Ich kann dir freilich nicht alles erzählen, aber das Wichtigste sollst du erfahren, dann wirst du schon selbst einsehen, daß ich in großer Verlegenheit bin.“

Basil Goodloe war eine echte Seemannsgestalt. Der offene Blick, das dichte braune Haar und die stattliche, männlich schöne Figur machten ihn gemeinsam mit feinen gewinnenden entgegenkommenden Manieren zum Liebling der Kameraden. Hervorragende Begabung für den Beruf und unermüdliche Pflichttreue brachten ihm verhältnismäßig jung ein Kommando als „Stabsoffizier“ unter Boanerges, einem der schneidigsten Admirale. Dieser, ein alter Grobian, war über sein Urlaubsgesuch für ein ganzes Jahr so ungehalten, daß er ihm einfach ins Gesicht sagte: „Goodloe, seien Sie doch nicht solch ein Dummkopf! Bleiben Sie an Bord. Unsere Jungens kommen im Zivilleben alle auf den Hund.“ Trotzdem kam weder der alte Seebär noch irgendeiner der Kameraden hinter Goodloes Geheimnis. Man zerbrach sich vergeblich den Kopf, weshalb dieser wohl die so bevorzugte Stellung plötzlich aufgab und ohne jeden ersichtlichen Grund nach Paris übersiedelte.

Das ersehnte Eintreffen des Patents gab ihm einen plausiblen Vorwand fürs erste nach Maryland, seiner Heimat, wo er jahrelang nicht gewesen war, zu gehen.

„Glaube mir, Harry“, fuhr Goodloe nach einer ganzen Weile fort, „ich ginge sehr gern mit dir, schon um dir alle die herrlichen Plätze an der Ostküste, an der sich’s so herrlich träumen läßt, zu zeigen. Ihre unentweihte hundertjährige Gastfreundschaft zählt zu meinen schönsten Erinnerungen – doch – ich muß hierbleiben.“

„Und die Geliebte bewachen“, spöttelte Wainright.

„So ist’s, du Quälgeist!“ entgegnete Goodloe. Hierauf fuhr er fort: „Du weißt, daß ich der Letzte meiner Familie bin, und mein Lebtag mehr Zeit auf die Beachtung des Kompasses und des ewigen Firmamentes verwendet habe, als auf das Studium jener trügerischen oft wandelbaren Sterne, die man „Frauenaugen“ nennt. Ich habe eigentlich bis jetzt niemals an „mein Schicksal“ gedacht, bis es sich eines Tages von selbst meldete. Ich sah mich entweder als Klubmensch, Gourmand oder Witzeerzähler enden oder so eine richtige „Dienstmaschine“ werden, wie der alte Holmes, Dellington und Preston, jene leuchtenden Vorbilder im Dienst; ganz plötzlich habe ich nun bemerkt, daß es auch „Frauen“ gibt.“

„Aha, immer dieselbe Melodie“, sagte der erfahrene Freund, sich eine neue Zigarre anzündend, „und natürlich ist’s immer die Frau, die eine, einzige. Aber weißt du, das ist ein etwas unsicherer Barometer, der steigt und fällt ohne Grund.“

„Scher dich zum Henker, mit deinem Barometer“, rief Goodloe, „die Sache ist ernsthaft; ich kann überhaupt nur weiter kommen, wenn ich hierbleibe.“

„So, so, nun kann ich mir deine Absichten ungefähr zusammenreimen“, lachte Wainright. „Du pflanzest dich selbst als Posten, als Sicherheitswache auf und wehe dem, der den Jordan überschreitet und auf dasselbe Ziel lossteuert.“

„Genau so will ich’s machen“, fiel ihm Goodloe ins Wort. „Außerdem ... sie hat eine Mutter und die muß man doch auch mit in Erwägung ziehen.“

„Aber sehr“, rief Wainright, unwillkürlich eine Grimasse schneidend, aus, „künftige Schwiegermutter, sehr wichtige Partei, na – und der Vater?“

„Ist tot!“

„Das ist sehr vernünftig von ihm, notabene wenn er seiner Tochter genügend Besitz und was man so braucht hinterlassen hat.“

„Mehr als genug, das ist ja gerade eine von meinen Sorgen. Große Ländereien, und die Damen wissen nicht einmal unter welchem Breitengrade sie liegen, um das auszukundschaften muß ich schließlich doch noch den Dienst quittieren.“

„Zum Henker auch! Gottlob, daß mein Vater mich mit solchen wilden Sachen verschont hat, d. h. ich glaube beinah, du tätest am besten, wenn du dir einen Arzt kommen ließest und ein Brausepulver oder irgend solch Beruhigungsmittel nähmst. Wie willst du denn die Güter finden, wenn die Damen nicht einmal wissen, wo sie liegen?“

„Das ist’s ja gerade, was mich verstimmt“, rief Goodloe. „Womöglich ist alles umsonst, ohne jeden Nutzen.“

„Nun, da will ich dir einen vernünftigen Vorschlag machen. Du kommst ganz einfach heute abend mit mir und kabelst an die zuständige Behörde um Annullierung deines Urlaubs. Wenn du dich rasch entschließest, können wir den Amerikaner noch zusammen besteigen. Ich gebe dir natürlich das Kommando zurück und wenn du als mein Vorgesetzter die Sache arrangierst, kann ich ja unter dir bleiben. Beim Neptun, du bist zu gut, um dich einer Idee willen, um ein Nichts zu opfern. Eine Heirat muß eine gesunde Basis haben, unter allen Umständen eine solidere, als eine einfache Liebe“, sagte sehr entschieden der vielbewunderte Offizier der Mittelmeerflotte.

„Was nennst du eigentlich eine solide Basis?“

„Geld, Gut, Wertpapier, wirklich existierender Grundbesitz, keine Luftschlösser“, lachte Wainright.

„Na weißt du, Minen in Mexiko sind eigentlich keine Luftschlösser.“

„Da magst du wohl recht haben, trotzdem für mich ein Rittergut im Mond ungefähr den gleichen Wert hat wie eine Mine in Mexiko. Ich kann die Hoffnung noch nicht aufgeben, daß du wieder zur Vernunft kommst und deine Karriere keiner flüchtigen Laune zum Opfer bringst.“

„Die Sache ist ja verwickelt genug und es mag ja sonderbar klingen, daß weder ich noch Anita Delmar irgendwelche Aufklärungen darüber geben können.“

„Also Anita Delmar! Dann hat ja der Engel wenigstens einen Namen. Ist sie Amerikanerin?“

„Nein, ihr Vater war ein Franzose, Gelehrter und Mineningenieur, und ihre Mutter eine bekannte Schönheit aus Louisville. Der Vater, der vor mehreren Jahren starb, ließ seine ganze Hinterlassenschaft drüben unter der Verwaltung eines sehr hochgestellten, angesehenen Partners. Die Damen leben schon lange in Paris.“

„Im ganzen genommen scheinst du wirklich herzlich wenig über sie zu wissen“, meinte Wainright etwas sarkastisch.

„Jedenfalls immer noch mehr, als sie von mir! Du taxierst den Wert der Uniform doch zu hoch. Mein Patent, einige alte Schwerter und Landkarten bilden mit meinen Visitenkarten zusammen meinen einzigen nachweisbaren Besitz. Ich dagegen kenne ihren Bankier, ihr Heim und ihre Stellung in der politischen Welt. Aber es handelt sich doch nicht nur um ein Landgut, sondern um Anita selbst, um meine ganze Zukunft. Ich quittiere den Dienst überhaupt nur, um ganz frei zu sein und um die Damen eventuell beschützen zu können, was ich doch vom Inland aus kaum kann. Hör zu. Vor ungefähr drei Monaten kreuzte ich an einem sehr stürmischen Nachmittag auf der Höhe von Villefranche. Wir hatten steifen Westnordwest und der Wind trieb ein sehr ungeschicktes Segelboot gegen meinen Dampfer an. Die Franzosen verstehen alle nichts vom Segeln, mit Ausnahme der Kanalschiffer; das Boot war auch viel zu schwer beladen. Ich hatte scharf auf mein eigenes Schiff aufzupassen. Plötzlich rief mein Kadett: „Himmel, sie werden überrannt. Zwei Frauen sind an Bord“. Während er noch sprach, hörten wir einen gellenden Hilferuf. Das Schiff war schon halb mit Wasser angefüllt und sank rasch. Der kleine Seymour, der am Steuer saß, drehte bei und wir warfen die Segel. Ich packte das untersinkende Mädchen und unser alter Quartiermeister Bawen die zweite Dame. Im nächsten Moment zogen auch unsere Mannschaften die lamentierenden Franzosen, die sich an den Mast geklammert hatten, heraus; ein armer Teufel ertrank, er war unter das Segel geraten. Ich deckte meinen Mantel über das zitternde Mädchen und ohne weiteren Unfall erreichten wir das Land. Da die Geschichte vom Ufer aus sichtbar gewesen war, hatte sich eine große Menschenmasse angesammelt. Natürlich war ich der Held des Tages. Am nächsten Mittag erkundigte ich mich nach der Villa der Damen und fand diese bereits auf mich wartend. Ich verdanke dieser ganz einfachen Seemannspflicht das Rettungskreuz und den lebhaftesten Dank von Mrs. Pauline Delmar, der Mutter des süßen Geschöpfes, das ich heiraten will, d. h. wenn mir Fortuna lächelt. Der Bruder des verstorbenen Ingenieurs, Kapitän Delmar, der mich auch aufsuchte, um mir seinerseits zu danken, erzählte mir einiges über seinen Bruder. Delmar starb in Mexiko, nachdem er seine Bergbaukenntnisse drüben glänzend verwertet hatte. Der Gouverneur von Sonora, Pesquiera, partizipierte bei seinen Unternehmungen und sicherte ihn durch seine Stellung während der französischen Überfälle. Dann kamen die dortigen Unruhen, Pesquiera übernahm 1865 die Verwaltung, nachdem bereits die Revolution ausgebrochen war und starb schließlich 1877, zwei Jahre nach Achille Delmar; daher kommt es auch, daß Mrs. Pauline Delmar gar keine Details über ihre eigenen Angelegenheiten kennt. Augenblicklich verfügt sie freilich noch über ein beinahe fürstliches Einkommen, aber es sind wiederum Unruhen in Mexiko ausgebrochen, und General Matea Pesquiera, der Sohn des verstorbenen Gouverneurs, ist den Damen völlig fremd. Ihr Vermögen mag gefährdet, wenn nicht schon gar verloren sein, denn der jetzige Gouverneur von Sonora, Josè Marquez, ist ein persönlicher Feind Pesquieras, und ist es doch unter diesen Umständen nur ganz natürlich, daß die Witwe hinüberfahren und versuchen will, zu retten, was noch zu retten ist. Trotzdem raten ihr all ihre hiesigen Freunde von der Reise ab, weil niemand sie den scheußlichen, lebensgefährlichen Zuständen in Guaymas ausgesetzt sehen möchte.“

„Bist du auch sicher, daß die ganze Sache wahr ist und sich so verhält?“

„Ganz sicher“, nickte Goodloe seinen Burgunder austrinkend. „Du meinst wohl, Anita Delmar und ich hätten andere Themen, als „Silberminen“ zu besprechen? Eine dreimonatliche Bekanntschaft, die sich noch dazu auf offizielle Besuche beschränkt, ist freilich eine kurze Zeit, trotzdem bin ich, ohne einen formellen Antrag gewagt zu haben, Anitas Liebe sicher; außerdem ist sie erst achtzehn Jahre alt. Da sich ihre Mutter aber ernste Sorgen wegen der Zukunft macht, müssen sie unbedingt einen Sohn und Gatten haben, der sich ihrer Interessen annimmt. Achille Delmar starb ganz plötzlich am Klimafieber, während seine Frau und Anita, die im „Sacré Coeur“ erzogen wurde, schon lange in Paris weilten. Infolgedessen weiß niemand etwas Genaues über die ziemlich verwickelten Verhältnisse. Heute hängt nun alles von Matea Pesquiera ab. Aber Pesquiera kann vertrieben werden, kann das Opfer einer List oder einer Blutrache werden, wer kann so etwas wissen? Aus all diesen Gründen muß ich mich Mrs. Delmar zur Verfügung stellen, sonst würde mir der Gedanke, meinem Beruf untreu zu werden, nie gekommen sein. Nun weiß ich aber noch nicht, wie ich mich Mrs. Delmar gegenüber stellen muß, ich traue mich noch nicht ihr meinen Rat aufzudrängen und nehme deshalb Mittelkurs, d. h. ich lasse mich zur Disposition stellen. Ich mußte freilich mein erstes Kommando, das langersehnte Ziel meiner stillen Wünsche opfern, aber ich kann doch nicht anders. Jetzt wünsche ich nur, daß die Damen mich hinüberschicken, dann könnte ich dich auf deinem Schiff nach Kalifornien begleiten. Matea Pesquieras Gastfreundschaft und herrliche Besitzungen sind weit und breit bekannt, und es ist doch immerhin möglich, daß er allem trotzt und sich hält. Zu fürchten ist eigentlich nur Josè Marquez persönliche Rachsucht. Hast du einmal etwas vom „Prestamos“, dem Schuldgefängnis, gehört? Jemanden dort, besonders einen reichen oder angesehenen Mann, während eines Aufstandes verschwinden zu lassen, ist eine Kleinigkeit. Solch ein Damoklesschwert hängt über Pesquiera, der eine sehr hübsche Tochter haben soll. Schließlich werde ich doch noch Anitas wegen quittieren müssen, trotzdem der Gedanke, die Uniform ganz auszuziehen, mir das Herz zerreißt, aber der Verlust Anitas würde es brechen. Weiter kann ich dir wirklich nichts sagen, Harry. Ich hätte dich gern noch bei Delmars eingeführt, aber deine Zeit ist ja zu knapp bemessen. Ich werde dir nach San Franzisko schreiben, und bitte dich den Damen beizustehen, wenn du je nach Guaymas kommen solltest, ganz gleich, ob meine Werbung vom Glück begünstigt sein wird oder nicht. Zum Dank dafür will ich dir ihr Bild zeigen.“

Wie zärtlich Basils Stimme klang, als er, dem Freund eine Photographie hinreichend, fragte:

„Begreifst du, daß man für eines solchen Engels Liebe den Beruf opfert?“

„Wenn dies Mädchen mir Liebe schwörte, würde ich, wenn es sein müßte, das Kommando über das Flottengeschwader aufgeben!“

Goodloes Gesicht strahlte. „Dann gefällt sie dir also“, worauf der sachverständige Wainright erwiderte:

„Wenn Herz und Verstand nur annähernd dem Gesicht gleichen, muß sie ja ein wahres Prachtexemplar sein!“

„Oh, sie ist wahr und treu, und ebenso gut und klug. Sie ist das aufrichtigste, zuverlässigste Geschöpfchen, das die frommen Schwestern des Sacré Coeur je in ihrer Hut gehabt haben!“

„Und trotzdem ist’s ein Jammer, daß die Flotte den schneidigsten Offizier verlieren soll“, brummte Harry. „Laß mich ihr süßes Gesichtchen schnell noch einmal sehen.“

Es war wirklich ein Bild des holdesten Frühlingszaubers. Süßer Duft lagerte auf diesen reinen Zügen und aus den sehnsüchtig träumenden Augen sprach aufkeimende Liebe. Ihr wundervolles Haar lockte sich um eine hohe, stolze Stirn, noch völlig unberührt von dem Ernst und den qualvollen Sorgen des Lebens.

„Höre Basil, mir kommt ein Gedanke. Wir sind beide Seeleute und verstehen eigentlich gar nichts von der ganzen Sache. Ich will Phil May, der vor ungefähr zwei Jahren die Kommandobrücke mit dem Kontorbock vertauschte, in San Franzisko aufsuchen. Er ist jetzt Geschäftsführer von Battles und Kompanie, der ersten dortigen Maklerfirma. Ich korrespondiere mit ihm, seit er von der Pazifik Station fortgegangen ist. Damals hörte ich auch irgendeine Liebesgeschichte, die ihn in den Steinkolossen der Pine Street seinem Glück nachjagen ließ; er hat entschieden Erfahrungen in beiden Berufen gemacht, und mir im Zivilleben auch immer die Freundschaft bewahrt. Ich werde ihm schreiben, ohne ihm dein Geheimnis preiszugeben, und ihn bitten, dir mit Rat und Tat beizustehen. Er ist unbedingt zuverlässig, du kennst ihn doch auch, wie jede Wasserratte ihn kennt, da er drei Jahre die„Thetis“ als kommandierender Offizier gefahren hat. Seine Kenntnis der mexikanischen Gewohnheiten, Gesetze und Schliche kann dir nur zustatten kommen, drum folge seinem Rat. Laß mich aber auch öfter mal was von dir hören; was ich für deine schöne Fee und ihre Mutter tun kann, wird getan werden. Dein Ziel ist ja eure gemeinsame Zukunft; aber woher der Wind auch wehen mag, du weißt, wir Seeleute sind oft ungelenk und rauh, aber anhänglich und treu, und sollten wir dich auch als Kameraden verlieren, dein Platz an unserem Tisch wird stets für dich bereit sein.“

„Du bist der beste Kamerad und Freund“, sagte Goodloe ganz gerührt. „Ich werde über deinen Vorschlag nachdenken. Jedenfalls magst du an Phil May schreiben, ich werde ihn dann später auf dem laufenden halten und ihm, wenn ich hinausgehen sollte, depeschieren.“

„Dann ist die Sache in Ordnung“, meinte Harry, sich zum Aufbruch rüstend.

In diesem Augenblicke brachte der Kellner Goodloe zwei Briefe, die dieser hastig öffnete.

„Hoffentlich Segelordre“, dachte Wainright.

„Hurra, Harry, ich gehe mit dir. Die Pflicht ruft, während wir noch hier sitzen und gern die Zukunft entschleiern möchten, hat das Schicksal schon alles entschieden. Alle Dispositionen werden hierdurch umgestoßen.“

„Was gibt’s denn?“

„Mrs. Pauline Delmar schreibt: „Ich möchte Sie gern so schnell als möglich sprechen, wenn Sie uns noch mit Ihrem Rat beistehen wollen“, während Anita mich bittet: „Kommen Sie sofort, wir reisen umgehend nach Mexiko, da heute ein Bote mit äußerst wichtigen Depeschen eingetroffen ist. Wir sind in der größten Aufregung und Sie unsere einzige Hoffnung!“

„Da komme ich also dir bald nach auf mein geliebtes, weites Meer“, rief Goodloe, nachdem er schleunigst Mantel und Mütze von der Wand genommen hatte.

„Bist du denn schon entschlossen, mit den Damen zu reisen?“

„Natürlich, mein Urlaub hat begonnen, ich bin ja frei. Wenn Anita will, kann sie über meine ganze Zukunft verfügen.“

Die beiden jungen Männer umarmten sich brüderlich, herzlich und verließen dann, jeder einen anderen Weg einschlagend, das Lokal.

Wainright sah nach der Uhr und an seine nahe Abreise denkend, sagte er zu sich selbst: „Wenn ich in Goodloes Haut steckte, würde ich mich auch nicht einen Moment besinnen, wenn diese Augen mich riefen, noch dazu wenn sie ebenso gut als schön ist und diese geheimnisvollen Minen auf irgendeiner Landkarte aufzufinden sind.“

Während der Offizier sich an Ort und Stelle begab, um sein erstes selbständiges Kommando unter dem geliebten Sternenbanner zu übernehmen, richtete Goodloe seine Schritte nach dem Heim der Geliebten.

Er ging einer unbekannten Zukunft entgegen. Sollte er sich blindlings Cupido anvertrauen, der ihn über die geheimnisvoll rauschenden, perlenbesäten Tiefen des Stillen Ozeans, bis zu den fernen Ebenen Kaliforniens, vielleicht sogar bis an die Zelte der wilden, gänzlich unkultivierten Eingebornen führen würde?

Zwei strahlende Sterne, die Augen Anitas, schienen ihm leuchtend die Zukunft zu erhellen und so brach Goodloe mit dem treuen Herzen und felsenfesten Vertrauen des Seemanns auf Gott entschlossen mit der Vergangenheit.

Matea Pesquieras Botschaft

Basil ließ seine Blicke ziemlich gleichgültig über die Menge hinschweifen, die in die eleganten Lutetiahallen am Opernplatz flutete, während sein Herz der nahen Zukunft fast hörbar entgegenschlug. Der Wagen flog über den strahlend erleuchteten „Vanity fair“ und hielt vor dem eleganten Hause der Mrs. Delmar auf dem Boulevard Haußmann.

Beim Eintritt drängt sich die Vergangenheit ihm noch einmal mächtig auf. Er glaubt den schlanken „Ranger“, auf dem das Sternenbanner lustig und stolz weht, vor sich zu sehen. Er hört ein Kommando, ist es nicht seine eigene Stimme, die es erteilt? Ganz deutlich glaubt er den donnernden Gruß der Kanonen zu vernehmen, die auf den Forts so ruhig und anmutig hinter Gras und Moos versteckt liegen. Jedes einzelne Gesicht seiner strammen, gebräunten Mannschaft möchte er zeichnen; jetzt taucht ein Dampfer am fernen Horizont auf, sogar den köstlich erfrischenden Salzgeruch eines aus Japan herkommenden Windes glaubt er zu verspüren.

Rasch fährt er mit der Hand über die Augen, das Zauberbild ist verwischt. Die letzte Erinnerung geht in dem Gefühl der Befriedigung und Freude darüber unter, daß gerade sein Freund Harry sein Nachfolger ist. Die Vergangenheit ist versenkt; die Gegenwart umfaßt ihn, umfaßt ihn mit festen Banden und die – Zukunft? Wer hätte wohl je ihren Schleier gelüftet?

Der devote Concierge reißt die Türen weit auf, die goldgestickte blaue Uniform ist ihm wohl bekannt. Lassen sich doch auch andere ihrer jungen Träger gar häufig bei Mrs. Pauline Delmar sehen, um ihre Huldigungen sowohl der Gattin des einflußreichen Kapitäns Delmar, die häufig im Hause ihrer verwitweten Schwägerin weilt, als auch der schönen Miß Anita darzubringen. Die lebhafte französische Phantasie hat sich nicht umsonst mit Anita beschäftigt und deren Besitzungen ins riesenhafte, schier unmögliche vergrößert und in irgendein sagenumwobenes Land verlegt.

Als Goodloe in den großen Salon eintrat, fand er Mrs. Pauline Delmar bereits ungeduldig auf ihn wartend. Die Hand der Dame respektvoll an seine Lippe führend, glitten seine Augen auf die jetzt eintretende Gestalt, die im Augenblick das einzige ist, was für ihn auf der Welt existiert.

„Ich bat meine Schwägerin, sich ein Weilchen Señor Andrès Vargas, dem Boten Matea Pesquieras, zu widmen, bis ich Ihnen die höchst befremdlichen Nachrichten, die der Señor uns überbrachte, mitgeteilt habe.“ Die Witwe wies dabei einladend auf den Sessel an ihrer Seite und fuhr dann fort: „Ihr rasches Erscheinen ist äußerst liebenswürdig, und verpflichtet mich zu größtem Dank, noch dazu, wo mein Schwager, an den ich ebenfalls sofort depeschierte, seine Division im Flottenmanöver augenblicklich nicht verlassen darf.“

„Ich stehe den Damen vollkommen zu Diensten und ersehne die Gelegenheit, meine Bereitwilligkeit beweisen zu können.“

Ich danke Ihnen, und werde Ihnen sofort Matea Pesquieras Brief vorlesen. Es ist freilich nur ein Fragment, da der Schreiber ja nicht alles der Feder anvertrauen durfte. Er fürchtete auch, daß man uns sogar hier mit Spionen umgeben hätte, trotzdem nicht einmal eine mexikanische Gesandtschaft in Paris vertreten ist. Schließlich wäre es ja immerhin möglich, daß man uns überwachte, denn der Einsatz des Streitobjektes, der, wie ich erst heute erfuhr, nach Millionen zählt, wäre wohl der Mühe wert.“

Mrs. Delmar erhob sich und ging ins Nebenzimmer. Ihr nachblickend, konnte Goodloe sich wohl vorstellen, daß ihre unvergleichliche Schönheit einst alle anderen Sterne Louisvilles erbleichen ließ. Die Jahre hatten ihrer herrlichen Figur wohl die volle Reife gebracht, waren aber sonst spurlos an der Witwe des Ingenieurs vorübergegangen. Die Tochter ähnelte der Mutter, mit ihr unterhielt sich der entzückte Goodloe in der beredtsten Augensprache, als die Witwe wieder mit einem Brief in der Hand eintrat, und sich anschickte, ihn vorzulesen:

Guaymas, den 15. März 1881.

Hochverehrte Frau!

Dies Schreiben wird Ihnen durch Señor Andrès Vargas, meinen Milchbruder, überbracht werden. Sein Vater, Colonel Vargas, erster Befehlshaber der Truppen, fiel in einem Gefecht gegen die feindlichen Yaquis. Durch ihn erhielt einst mein Vater die erste Kunde von jenem Schatz, den Ihr Gatte mit seiner Hilfe vor unbefugten, habgierigen Blicken verbarg. Andrès würde ein willkommenes Opfer für Marquez sein, wenn er diesem in die Hände fiele, denn der Tyrann würde kein Mittel scheuen, um ihm das Geheimnis, das doch nur ich kenne, zu entreißen. Er wird Ihnen die wertvollen Depots, von denen ich letzthin schrieb, ausliefern, anbei folgt eine versiegelte Liste. Die eine Hälfte gehört Ihnen, während ich Sie ersuche, die andere Hälfte auf Dolores, meiner Tochter Namen, in der Bank von Frankreich zu hinterlegen. Señor Vargas kennt keine weiteren Details, weder über die Lage der Minen, noch über die Höhe der ihm anvertrauten Summe. Ich habe für alle Fälle einen alles aufklärenden Brief unter Ihrem Namen bei dem Erzbischof von San Franzisko versiegelt niedergelegt; im Falle meines Todes, wird er Ihnen unverzüglich zugestellt werden. Außerdem sandte ich seiner bischöflichen Gnaden, der immer ein treuer, aufrichtiger Freund und Berater meines armen Vaters gewesen ist, Ihr und Ihrer Fräulein Tochter letzte Bilder. Ich rate Ihnen, falls es irgend angängig, sofort herauszukommen. Bei Ihrer Ankunft in Mexiko instruieren Sie sich vorsichtig über alle Begebenheiten in Sonora, hüten Sie sich aber dabei vor dem intriganten mexikanischen Konsul. Meine Stellung ist durch Intrigen in der Hauptstadt selbst sehr gefährdet, und ich kann mich selbst nur durch Vorsicht und Klugheit halten. Ich würde fliehen, wenn ich nicht hierdurch unser ganzes Vermögen verlieren würde, eventuell muß ich mich entschließen, mich in Unterhandlungen mit meinem Todfeind Marquez einzulassen. Sollte ich trotzdem in Gefangenschaft geraten, so versuchen Sie schleunigst mit allen erdenkbaren Mitteln eine Verbindung mit mir herzustellen, und schlimmstenfalls mit Hilfe meines eigenen Kerkermeisters mein Entweichen zu ermöglichen.

In diesem Fall disponieren Sie getrost über mein ganzes Vermögen bei der Bank von Frankreich. Hören sie alles genau an, was Andrès Ihnen erzählen wird und dann überlegen Sie. Andrès darf keinesfalls jetzt zurückkehren, nicht einmal nach San Franzisko, denn er ist dort eine zu bekannte Persönlichkeit, da er im Santa Clara College erzogen wurde. Seine Anstrengungen würden durch Marquez Agenten und Spione vereitelt werden. Sie und Ihr Fräulein Tochter sind jedoch allen hier unbekannt, der größeren Sicherheit wegen würde ich auch noch einen Namenswechsel vorschlagen. Sie gehen, wenn Sie nach Guaymas kommen, einer großen Gefahr entgegen und ich mache mir ernstliche Vorwürfe über diesen Rat, andrerseits entschuldigt aber der Verlust Ihres ganzen Vermögens, der Sie durch meinen Tod treffen würde, meinen Vorschlag. Suchen Sie den Rat und die Hilfe eines klugen, treuen und zuverlässigen Freundes, der in Guaymas ganz fremd sein muß, zu gewinnen. Andrès wird Ihnen die hiesigen Zustände schildern.

Wir haben eine Geheimschrift für Telegramme vereinbart. Wenn man mich einkerkert, so geschieht dies hauptsächlich aus Furcht, daß ich eine organisierte, wohlbewaffnete Revolution in Szene setzen könnte, ich kenne trotzdem kein persönliches Angstgefühl, aber unser beiderseitiges Vermögen wäre unrettbar verloren. Seien Sie klug und vorsichtig und prüfen Sie vor allem den Mann ganz genau, dem Sie sich anvertrauen und verlangen Sie unbedingte Ergebenheit und absolutes Stillschweigen!

Ihr ganz ergebener treuer Partner

Matea Pesquiera.

Das ist der Inhalt des Briefes, dessen mündliche Ergänzung noch sonderbarer klingt, doch lassen Sie mich, ehe ich Sie mit Einzelheiten ermüde, das Hauptsächlichste zuerst erwähnen. Señor Vargas erhielt nämlich, kurz bevor er mich aufsuchte, von dem einzigen treuen Freunde, den er in Guaymas zurückließ, folgendes natürlich chiffriertes Telegramm:

„Matea im Kastel von Ures streng bewacht, doch augenblicklich noch keine Gefahr für sein Leben. Marquez in voller Macht, da er zum Gouverneur ernannt ist. Hilfe dringend notwendig!“

Nach einer kurzen Pause fuhr die Witwe fort:

„Jetzt, mein Freund, suche ich vor allen Dingen jenen treuen, klugen, mutigen Berater; ich erzähle Ihnen dies alles, weil ich weiß, daß ich mich auf Sie verlassen kann, trotzdem Sie mir ja, durch Ihren Beruf gebunden, wenig helfen können. An wen soll ich mich wenden? Ich weiß niemand, ich habe weder Bruder noch Sohn, den treuen Gatten nahm mir der Tod, während der schreckliche Bürgerkrieg alle seine Freunde und Gefährten in den blutgetränkten Ebenen von Kentucky niederwarf. Ich stehe verlassen – einsam in der Welt.“

Die schönen Augen verdunkelten sich durch Tränen, als Mrs. Delmar seufzend fortfuhr: „Jetzt erst fühle ich, was ich durch den Tod meines Mannes verlor.“

Wie rasch vergaß Goodloe alle schlauen Ratschläge Wainrights! Seine Blicke kreuzten sich mit den sehnsüchtig flehenden Augen Anitas, der die Aufregung Purpurrosen auf die Wangen zauberte und rasch entschlossen rief er aus:

„Mrs. Delmar, ich bin weder klüger noch mutiger als andere Männer, aber treu und zuverlässig bin ich, und da ich“, fuhr er leiser fort, „gerade ein Jahr Urlaub genommen habe, darf ich Sie vielleicht nach San Franzisko begleiten. Dort habe ich auch zwei treue erprobte Kameraden, und wir werden Ihnen vereint helfen, Señor Pesquiera zu befreien, damit er Ihre und Ihrer Fräulein Tochter Rechte wahren und seine eigenen Interessen gleichzeitig schützen kann. Erzählen Sie mir, bitte, deshalb alle übrigen Einzelheiten des Berichtes.“

Mrs. Delmar erhob sich und reichte Goodloe hocherfreut ihre Hand: „Mein Freund, wie erleichtern mich Ihre Worte und doch schwanke ich, ob ich Ihre Freundschaft, Ihre liebenswürdige, aufopfernde Freundschaft annehmen darf! Sie haben Freunde, eine Heimat, die sie erst vor kurzem nach jahrelanger Abwesenheit wiedersahen. Wie könnte ich Ihnen Ihr Opfer je vergelten?“

Eine leichte Röte stieg in Goodloes seegebräunten Wangen auf, als er einfach und herzlich sagte: „Mein schönes altes Graystone steht verlassen, auf seinem einsamen Kirchhof schlafen meine Eltern seit langer Zeit. Als mein Vater starb, stand ich in China, meiner lieben Mutter drückte ich zwei Jahre darauf die Augen zu. Ich bin ihr einziges Kind. – Kalt und einsam liegt das Schloß, keine Rauchwolke wirbelt zum Himmel empor, nur die Nachtwinde singen und seufzen erinnerungsvolle Melodien, die mich nicht dauernd fesseln können. Ich bin frei, ganz frei, deshalb verfügen Sie über mich.“

Über Pauline Delmars Züge, die seinen Worten aufmerksam gelauscht hatte, huschte ein Freudenschimmer als er schloß. Sie entgegnete:

„Dann will ich Ihnen alles erzählen; aber Sie müssen sich die ganze Sache doch noch einmal bis morgen ernstlich überlegen. Sollten Sie sich trotz allem entschließen, mein Bevollmächtigter zu werden, so sagen Sie mir bitte, womit ich Ihnen alles, was Sie tun werden, vergelten kann?“

Das überlassen Sie getrost der Zukunft. Ich muß doch überhaupt erst etwas leisten, ehe ich den kleinsten Anspruch an Ihre Güte erheben kann“, sagte Goodloe ernst. „Man muß dem Schicksal nicht vorgreifen. Vorläufig wird meine einzige Sorge darin bestehen, Ihnen zu dienen, und Pesquiera von seinen mächtigen politischen Feinden zu befreien.“

Pauline Delmar entging in ihrer Aufregung der liebevolle Blick, den Anita ihrem Lebensretter zuwarf, und der von diesem gleich einem Treueschwur erwidert wurde.

„Ich werde Señor Vargas gleich morgen nach Toulon senden; auf dem „Insurgente“ unter Kapitän Delmar, meinem Schwager, ist er in Sicherheit. Mein Schwager und meine Schwägerin mögen ihm später ein anderes Heim anbieten, er kann ja überall, wo er will, leben, außer in Mexiko und San Franzisko, wo er als Freund Pesquieras gefährdet wäre. Außerdem wird alles, was von mir abhängt, zur Befreiung Pesquieras geschehen.“