Der Garten der Venus - Eva Stachniak - E-Book
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Der Garten der Venus E-Book

Eva Stachniak

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Beschreibung

Bursa in der Türkei, 1760: Die junge Sophie ist von außergewöhnlicher Schönheit, und schon bald merkt sie, dass diese Schönheit ebenso nützlich wie gefährlich für sie ist. Nach dem Tod ihres Vaters landet sie als Konkubine einer Sultana in Istanbul. Doch Sophie ist nicht nur charmant, sondern auch gewitzt, kann aus dem Harem fliehen, und schließlich verschlägt es sie in die Arme eines polnischen Grafen, den sie heiratet. Als Gräfin de Witt erobert sie die europäischen Salons im Sturm, Männern stockt bei ihrem Anblick der Atem, zwischen St. Petersburg und Paris folgt eine Affäre auf die andere, sie bringt mehrere Kinder zur Welt, heiratet ein zweites Mal und lässt sich in der Ukraine einen Landschaftspark anlegen. Ihr turbulentes Leben endete schließlich im Jahr 1822 in Berlin.

Ein opulenter, vielschichtiger historischer Roman der Bestsellerautorin, inspiriert vom Leben der Sophie Potocka, eine außergewöhnliche Frau, die zu ihrer Zeit als schönste Frau Europas galt und nicht nur durch ihre Schönheit zu bezaubern wusste, sondern auch durch Charme und Witz.

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Seitenzahl: 672

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Titel

EVA STACHNIAK

Der Garten der Venus

Roman

Aus dem Englischen von Peter Knecht

Insel Verlag

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Die Originalausgabe erschien erstmals 2006 unter dem TitelGarden of Venus bei HarperCollins, Toronto.

eBook Insel Verlag Berlin 2022

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 4636.

Erste Auflage 2022insel taschenbuch 4636Deutsche Erstausgabe© der deutschsprachigen Ausgabe Insel VerlagAnton Kippenberg GmbH & Co. KG, Berlin, 2022© Eva Stachniak, 2006Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns aucheine Nutzung des Werks für Text und Data Miningim Sinne von § 44b UrhG vor.

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg

Umschlagfotos: Trevillion Images, Brighton:Frau, Garten (Ilina Simeonova), Haus (Lee Avison)

eISBN 978-3-458-77495-2

www.suhrkamp.de

Widmung

Für Zbyszek

Leben ist die Gesamtheit der Funktionen, die sich dem Tod widersetzen.

Marie François Xavier Bichat (1771-1802), französischer Arzt

Der Garten der Venus

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Inhalt

Informationen zum Buch

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Erster Teil. Berlin, 1822

Wasser

Rosalia

Sophie

Thomas

Sophie

Rosalia

Sophie

Rosalia

Sophie

Thomas

Sophie

Rosalia

Sophie

Thomas

Sophie

Thomas

Sophie

Rosalia

Sophie

Rosalia

Sophie

Rosalia

Sophie

Thomas

Zweiter Teil. Berlin, 1822

Laudanum

Thomas

Sophie

Sophie Kisseljow

Sophie

Der Graf

Sophie

Rosalia

Sophie

Rosalia

Sophie

Die deutschen Musiker

Sophie

Olga

Sophie

Rosalia

Sophie

Thomas

Sophie

Rosalia

Sophie

Thomas

Dritter Teil. Berlin, 1822

Opium

Rosalia

Sophie

Thomas

Sophie

Rosalia

Sophie

Thomas

Sophie

Olga

Sophie

Thomas

Sophie

Rosalia

Sophie

Thomas

Sophie

Olga

Sophie

Rosalia

Sophie

Sophie Kisseljow

Vierter Teil. Berlin, 1822

Morphin

Sophie

Sophie Kisseljow

Sophie

General Kisseljow

Sophie

Thomas

Sophie

Rosalia

Sophie

Thomas

Sophie

Thomas

Sophie

Die Musiker

Sophie

Pawel Dmitrijewitsch Kisseljow

Sophie

Pawel Dmitrijewitsch Kisseljow

Sophie

Rosalia

Sophie

Thomas

Nachwort

Danksagung

Fußnoten

Informationen zum Buch

An Seine Majestät Stanislaw August, König von Polen

Eure Majestät,

beiliegend eine Abschrift des Manuskripts, nach dem Eure Hoheit letzten Sonntag verlangt haben – das Original kann ich aus Gründen, die zu offenbaren mir nicht möglich ist, nicht herausgeben.

Euer gehorsamer Diener bittet Eure Majestät um Nachsicht, wenn einige Passagen in dem Manuskript – das nie für die Augen der Öffentlichkeit bestimmt war – allzu freimütig und vielleicht frivol erscheinen, erst recht im Hinblick auf die Person, deren Besuch in der Hauptstadt wir freudig erwarten. In der Hoffnung, dass die beschriebenen amüsanten Geschehnisse Eure Majestät erheitern werden, bitte ich meinen königlichen Herrn, nicht zu vergessen, dass der Unterzeichnete Eurer Hoheit und Polen immer mit allen seinen Kräften treu gedient hat.

Gestattet mir schließlich, darauf hinzuweisen, dass ich entgegen früherer Gepflogenheiten in den letzten zwei Jahren keine Bezüge aus der Kasse Eurer Majestät mehr erhalten habe. Ich bitte Euch zu bedenken, dass Euer Diener laufende Ausgaben hat und für die Zukunft seiner Kinder sorgen muss, deren eines – nach Eurer Hoheit Stanislaw genannt – das Patenkind Eurer Majestät ist. Möge Eure Majestät in Ihrer Güte Ihren ergebenen Diener nicht unbelohnt lassen.

Charles Boscamp

Geschrieben Sonntag, 20. September 1789

Mes amours éphémères avec la belle Phanariote[1] 

Bursa, wo unsere Geschichte beginnt, liegt am Fuß des Moundagnà, des Bithynischen Olymp, nur eine Tagereise von Istanbul entfernt. Früher waren dort die drei Gottheiten Mars, Neptun und Venus verehrt worden, und diese könnten auch heute noch Ansprüche auf dieses Land erheben, das berühmt ist für seine kriegerischen Helden in griechischer und byzantinischer Zeit, für seine tüchtigen Seeleute und für seine modernen Hetären, die die Cafés und Bordelle Istanbuls bevölkern. Und die Verehrung der Liebesgöttin, so beeile ich mich hinzuzufügen, ist nicht nur beim weiblichen Geschlecht weit verbreitet, denn die Knaben, die den Lüsten der Byzantiner dienen, sind nicht weniger schön als die Mädchen.

Wenn man all die schönen Gesichter in dieser bergigen und gesunden Gegend sieht, ist man versucht zu sagen, dass Aphrodite, als sie in ihrer Muschel von Kythera nach Paphos segelte, hier einiges von ihrer kostbaren Fracht, dem aphros, Inbegriff aller Lust und Schönheit und Quelle unserer Existenz, abgeladen haben muss. Denn diese Region hat immer bedeutende Talente auf dem ureigenen Gebiet der Venus hervorgebracht, Naturtalente, die ohne jede Anstrengung die Herzen von Höflingen und Königen erobern. Kein Wunder, dass in Istanbul die Ausdrücke »ein Mädchen vom Moundagnà« und »ein Mädchen, das wunderbare Freuden zu spenden versteht und reich dafür belohnt wird« nahezu gleichbedeutend sind.

In dieser Stadt Bursa wurde die schöne Phanariotin im Jahr 1760 geboren, und in ihren Adern fließt kein besonders edles Blut, denn sie ist die Tochter eines Viehhändlers, und zu ihrer Verwandtschaft gehören ein Fährmann, Handwerker und Krämer.[2] Ihre Kindheit verbrachte sie auf den Feldern und Wiesen rund um ihre Heimatstadt und führte dort jenes freie und unverdorben einfache Leben, das einige rückwärtsgewandte Philosophen so über die Maßen preisen.

Erster Teil

Berlin, 1822

Wasser

Rosalia

Am Ende fiel es Rosalia zu, dafür zu sorgen, dass die Abreise der Gräfin Sophie Potocka, begleitet von ihrer Tochter Olga und ihrer Gesellschafterin Mademoiselle Rosalia Romanowicz, via Paris zur Badekur in Spa drei Mal in der Sankt Petersburger Zeitung angekündigt würde. Erst dann konnten die vom Generalgouverneur unterschriebenen Pässe und die Padrogna – die behördliche Erlaubnis, unterwegs Pferde zu mieten – abgeholt werden.

Die Gräfin verließ Sankt Petersburg am 12. Juli 1822 (am 30. Juni nach dem russischen Kalender). »Paris, ich rate Ihnen unbedingt zu Paris«, sagte Doktor Horn, die Stimme erhoben, als müsste er sich verteidigen. »Die französischen Chirurgen sind sogar noch besser als die englischen.« Vor der Abfahrt saßen alle, die Dienerschaft eingeschlossen, um den Frühstückstisch und beteten für eine sichere Reise. Alle waren bei der Beichte gewesen, hatten einander um Verzeihung ihrer Sünden gebeten und Abschiedsgeschenke ausgetauscht, mit Lavendel gefüllte Duftkissen, Bänder, Heiligenbilder, Kästchen aus Birkenrinde. Es war ein kalter, regnerischer Morgen, aber das Unwetter war zum Glück vorbei, und niemand redete mehr von bösen Vorzeichen, obwohl Marusja geträumt hatte, dass ihr die Zähne ausfielen und sich mit leisem Klicken über den Marmorboden verstreuten. (»Warum haben Sie nicht dafür gesorgt, dass sie aufhört mit diesem dummen Geschwätz?«, hatte Olga gefaucht. Als ob Rosalia etwas dagegen hätte tun können.)

Der Küchenwagen mit Lebensmitteln, Kochgerät und einem Klapptisch fuhr zuerst los – den Gasthäusern auf der Route mit ihren rußgeschwärzten Decken und schmutzigen Wänden war nicht zu trauen. Zwei Kutschen waren mit Gepäck beladen, darunter ein Schrankkoffer, der sich aufklappen und in ein weich gepolstertes Bett verwandeln ließ, in dem die Gräfin während der Fahrt ruhen konnte.

Rosalia war eigentlich als Gesellschafterin der Gräfin engagiert worden, aber es hatte sich schon bald gezeigt, dass sie mehr dafür zuständig war, ihrer Herrin Umschläge zu machen und sie mit allerlei Salben zu behandeln, als die tägliche Korrespondenz zu erledigen, Gäste zu begrüßen oder nach dem Essen vorzulesen. Dass es so kommen würde, hatte Tante Antonia in einem ihrer Briefe triumphierend betont, war nicht schwer vorherzusehen gewesen.

Tante Antonia, die Rosalia gerne daran erinnerte, dass sie ihre einzige lebende Verwandte war und darum das Recht hatte, ihrer Besorgnis so offen Ausdruck zu verleihen, hätte es vielleicht Jakub Romanowicz noch vergeben können, dass er eine mittellose Jüdin geheiratet hatte, nur um jung zu sterben und die Sorge um seine Witwe und sein Kind ihr, Antonia, aufzubürden, doch es war ihr ganz unmöglich, Maria Romanowicz zu verzeihen, dass sie Gräfin Potocka geschrieben und sie gebeten hatte, ihr einziges Kind bei sich aufzunehmen. In Zierniki, dem Haus der Familie bei Posen, stand ein Zimmer für Rosalia bereit. Ein Zimmer mit Blick auf den Obstgarten, mit einem eisernen Bett, das jedes Frühjahr von den Dienstmädchen mit heißem Wasser gründlich gewaschen wurde. Ein Zimmer, in dem noch die alte Kommode stand, deren Schubladen nach Rosmarin und Minze rochen.

Immer wieder auf dieser langen Reise bat Rosalia die Gräfin anzuhalten. Die Kranke brauchte Ruhe, um sich zu erholen, aber wie konnte sie Ruhe finden, wenn auf jeder Station ständig gepackt und ausgepackt werden musste, wenn um sie herum Mägde mit Putzeimern hektisch zugange waren (denn die Zimmer der Gasthäuser mussten erst gründlich saubergemacht werden, bevor man die Betten aufstellen konnte)? Auch Rosalia war mit ihren Kräften am Ende, das tägliche Hin und Her all der Koffer und Taschen und Kisten, der Ärger mit Dienstboten, die achtlos mit dem Gepäck umgingen und allerlei Schäden verursachten, das vergebliche Suchen nach Dingen, die da sein sollten, aber nirgends zu finden waren, zehrten an ihren Nerven. (Dreimal vergaß man die bestickten Schals und die Öllampen für die Ikone des heiligen Nikolaus und musste einen Diener zum Gasthaus zurückreiten lassen, um sie zu holen.) Im August und im September reisten sie, um der Hitze zu entkommen, immer nur in den Morgenstunden von vier bis zehn und allenfalls noch zwei Stunden am späten Nachmittag. Und oft hatte die Gräfin trotz der heißen Umschläge, die Doktor Horn verschrieben hatte, so starke Schmerzen, dass sie gar nicht reisen konnte.

Es war schon Anfang Oktober, als sie Berlin erreichten, wo Graf Alfred von Haefen dem Irrsinn ein Ende machte. Er verhehlte nicht, wie entsetzt er beim Anblick der Gräfin war, als er sie am Stadttor begrüßte. »Ich verbiete Ihnen, auch nur eine Stunde länger in dieser Kutsche zu verbringen«, sagte er. »Ich werde keine Einwände gelten lassen, Sie werden sich fügen müssen, das sind Sie unserer Freundschaft schuldig.« Sein Palais in Berlin stehe ihr zur Verfügung, ebenso sein Arzt Doktor Ignacy Bolecki, einer der besten Ärzte von ganz Berlin. Er sei Pole, habe aber in Paris studiert. Falls tatsächlich eine Operation notwendig sei, bemerkte der Graf noch, werde man sogleich einen französischen Chirurgen kommen lassen.

Als die Kutsche auf den Hof des gräflichen Palais einfuhr, war die Reisegesellschaft bereits stark reduziert. Fünf Dienstboten wurden mit dem Küchenwagen zurück nach Polen zur Sommerresidenz der Gräfin in Uman geschickt, übrig blieben noch Rosalia mit den beiden Dienstmädchen Olena und Marusja, die Köchin Agafja und der Stallbursche Pietka. Mademoiselle Collard, die französische Zofe der Gräfin, hatte sich in Posen ohne Vorankündigung aus dem Staub gemacht. »Ich muss mich um mich selbst kümmern«, hatte sie zu Rosalia gesagt, bevor sie ging. »Wenn ich es nicht tue, wer dann?« Sie fand, dass die Gräfin Potocka keinen sehr raffinierten Geschmack hatte, und versäumte nicht, Rosalia daran zu erinnern, dass die eleganten weißen Samtpolster und die grünen Ledersitze der Kutsche nicht von ihr, sondern von Gräfin Josephine, der ersten Frau des Grafen, ausgewählt worden waren.

»Sie sind meine Gefangene, mon ange«, sagte Graf von Haefen, als er den Wagenschlag öffnete, um seinem Gast beim Aussteigen behilflich zu sein. Er küsste zweimal ihre Hand und drückte sie an seine Brust. »Sie können nichts dagegen tun.«

Zu Rosalias Erleichterung erhob die Gräfin keinen Widerspruch. Während ihre Herrin im Obergeschoss ruhte, bis ihr Krankenzimmer bezugsfertig war, rechnete Rosalia noch einmal nach: Ihre Reise hatte 3 Monate, 3 Tage und fünf Stunden gedauert.

Sophie

Die Hitze hat nachgelassen. Es ist September. Der Monat der Pocken. Und dieses Mal ist sie an der Reihe. Sie ist alt genug, und sie wird nicht allein sein. Sechs ihrer Cousins und Cousinen werden auch geimpft werden.

»Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott«, sagt Mana.

Sophie hält ihr mati in der Hand, einen blauen Stein, den sie zur Geburt geschenkt bekommen hat. In der Mitte ist ein schwarzes Auge darauf zu sehen, das – wie das rote Band in Manas Haar – den bösen Blick abwehrt, die Macht der Bosheit und des Neids. Jedes Mal, wenn Maria Glavani jemanden sagen hört, ihre Tochter wachse zu einer Schönheit heran, spuckt sie dreimal auf den Boden.

»Meine süße Dou-Dou.«

Dou-Dou bezeichnet einen kleinen Papagei. Ein nettes zwitscherndes Vögelchen, das alle mögen, das alle anfassen und streicheln wollen. Ihr wirklicher Name ist Sophie oder Sophiza. Er bedeutet Weisheit.

Mana kocht für drei Tage, damit genügend Essen da ist bei dem Fest. Sie brät in Scheiben geschnittene Auberginen und legt sie in Öl und Zitronensaft ein, kocht ihr bestes Lammragout mit Koriander. Das Fleisch wird so zart sein, dass es sogar in zahnlosen Mündern zergeht. Es muss lange simmern und nimmt dabei die Aromen der Gewürze in sich auf. Es gibt auch einen großen Topf Suppe mit Linsen und Kardamom. Und Pilaw, bestreut mit Zimt. In dem Tontopf, der nur selten benutzt wird, wird in Würfel geschnittener Feta in dem besten Olivenöl mariniert, das Mana sich leisten kann. Große Krüge mit Landwein stehen in der Ecke am Fenster, wie dickbäuchige Zwerge sehen sie aus. Schnüre mit Quitten und Granatäpfeln, Salbei, Minze, Rosmarin und Bohnenkraut hängen von den Deckenbalken. Das Wasser in dem Krug an der Tür zur Begrüßung der Gäste ist noch kühl, Mana hat es gerade erst vom Brunnen geholt. Die Hennen sind im Hühnerstall eingesperrt, die Ziege ist am Zaun festgebunden.

»Wir sind noch keine Bettler«, sagt Mana. Maria Glavanis Tochter würde es an nichts fehlen. Es wird vier Arten von süßem Gebäck geben, und mit Honig beträufeltes Baklava liegt bereits auf dem Teller, der mit dem Bild eines gelben Hahns bemalt ist.

Bereits der Gedanke an solche Genüsse ist eine Versuchung. Dou-Dou hat schon den Rand des Tellers berührt und will eben ihre Fingerspitzen ablecken, um wenigstens eine Spur Süßigkeit zu kosten, da sagt Mana streng: »Du bist kein Waisenkind. Du hast eine Mutter, die dir anständiges Benehmen beigebracht hat.«

Das Pockenfest bei den Glavanis wird in Bursa wegen des guten Essens und der fröhlichen Stimmung unvergessen bleiben. Auch wegen der Lieder, die gesungen wurden.

Lass es regnen, liebe Jungfrau,

schicke Schnee und Wasser,

gieße unsere Weinberge

und unsere Gärten …

Die alte Frau, die die Pocken in einer Nussschale mitbringt, heißt Agalia und riecht nach Seife und getrockneter Minze. Ihre eigenen Kinder sind längst aus dem Haus, aber ihre Töchter lassen sie rufen, wenn die Enkel alt genug sind.

»Es sind die besten Pocken, die es gibt«, versichert Agalia und lächelt befriedigt. »Frisch wie der junge Morgen.« Zustimmendes Murmeln ist im Raum zu hören, gefolgt von Seufzern der Erleichterung. Maria Glavani hat eine gute Wahl getroffen.

Dou-Dou kichert. Ihr Lieblingscousin Diamandi hat sie angestupst und zeigt auf Agalias graue Haare. Sie sind so dünn, dass ihr Zopf wie ein Rattenschwanz aussieht.

»Du bist fröhlich«, sagt Agalia. »Das ist gut. Lachen ist wie die Sonne, die alles wachsen lässt. Wer lacht, den lieben die Menschen.«

Der Brauch verlangt, dass vier Venen geöffnet werden: auf der Stirn, an beiden Armen und auf der Brust – so wie man sich bekreuzigt. Aber Mana hat Dou-Dou gesagt, sie soll auf ihren Oberschenkel zeigen: »Du willst doch keine Narbe auf der Stirn haben, oder? Du willst doch nicht, dass dein Gesicht verunstaltet wird.«

Die anderen Kinder wollen alle das Kreuzzeichen, doch Sophie tut, was ihre Mutter ihr empfohlen hat. Sie deutet auf eine Stelle an der Innenseite ihres rechten Oberschenkels. Agalia zögert einen Moment, als wartete sie, dass das Mädchen seine Meinung ändert. Dann sticht sie die Vene an und reibt eine kleine Menge Pockengift – so viel, wie auf dem Kopf einer Stecknadel Platz hat – in die Wunde. »Es tut nicht weh«, murmelt sie, aber es tut weh.

Sophie beobachtet Agalias Hände, während die Alte eine Muschelschale über die Wunde legt und sie behutsam mit einem Streifen Stoff festbindet. Es sind knochige, mit Altersflecken gesprenkelte Hände, die Haut dünn wie Papier.

Ein Kind nach dem anderen wird behandelt, die Mütter und Nachbarinnen sehen zu. Sophie hat bemerkt, dass einige die Stirn runzelten, weil sie sich nicht in die Stirn und die Arme stechen ließ, aber ihre Mutter lacht und teilt ihr Ragout aus, und so löst sich die Spannung schnell wieder. Die Frauen essen mit Genuss, loben das zarte Fleisch und die köstliche Soße. Maria Glavani kann ausgezeichnet kochen.

Man wird singen und tanzen, und die Frauen werden einander Geheimnisse zuflüstern, damit die Kinder sie nicht hören können. Im Hof unter dem Olivenbaum werden sie neuen Wein trinken und lachen, bis sie ganz heiser sind. Mana wird für sie singen, und sie werden tanzen, sich wiegen zum Rhythmus der klatschenden Hände.

Die Kinder werden spielen, Verstecken und Fangen, bis ihre Mütter ihnen sagen, dass es jetzt genug ist. Wenn sie zu viel herumrennen, gehen vielleicht die Verbände auf. Sieben Tage werden vergehen, ohne dass etwas passiert. Am achten werden sie alle Fieber bekommen.

»Diamandi ist schon krank«, flüstert Mana. »Und Costa und Attis auch.«

Zwei Tage bleibt Sophie wie all die anderen Kinder, die bei dem Fest waren, im Bett, das Fieber steigt und fällt, und sie hat Kopfschmerzen. Mana, die nach Zitronenblüten und Lorbeeröl duftet, wischt ihr mit einem feuchten Tuch über die Stirn. Kühle Wassertropfen rinnen ihr übers Gesicht und aufs Kissen.

Mana singt für sie lustige Lieder über Ziegen, die gerne Kamele wären, und über Fliegen, die voller Neid Adler am Himmel fliegen sehen. Manas kühle Hand streichelt sie in den Schlaf. Mit der Fingerspitze reibt sie Mekkabalsam rund um die Pockenwunde. Er wird dafür sorgen, dass Dou-Dou schön bleibt, sagt sie. Ihre elpida. Ihre Hoffnung. Ihre einzige Hoffnung.

Thomas

Berlin, fand Doktor Thomas Lafleur, war eine trostlose Stadt, daran änderten auch all die Öllampen nichts, die an Ketten über den Straßen hingen und nachts für Beleuchtung sorgten. Vielleicht waren für diese Trostlosigkeit auch ein Stück weit all die Armeen verantwortlich, die durch das Land marschiert waren, aber Thomas neigte mehr zu der Ansicht, dass es ganz allgemein im Wesen des Menschen lag, seinen Mitmenschen das Leben zur Hölle zu machen. Er glaubte nicht, dass Amerika ihn von seinem Abscheu vor dem Menschengeschlecht befreien würde, aber immerhin war es doch eine Chance.

Bitte beeile dich, mein lieber Thomas, hatte Ignacy geschrieben. Die chirurgische Kunst, wie wir sie im Dienst des Großen Mannes gelernt haben, ist hier noch wenig entwickelt. Ich brauche dich unbedingt, und ebenso braucht dich meine neue Patientin. Amerika kann warten. Ohnehin vermag ich deine Überzeugung, dass du dort von allem Übel erlöst sein wirst, nicht zu teilen, denn die menschliche Natur ist überall dieselbe. Mir scheint eher, dass es nur eine Flucht ist. Graf von Haefen schickt dir seine schnellste Kutsche, woraus du ersehen kannst, wie dringend du hier gebraucht wirst.

Die Erwähnung des Honorars, das er für die Operation bekommen sollte (50 Louisdor – und mehr, wenn mein Eindruck mich nicht täuscht, schrieb Ignacy), hatte genügt, um Doktor Thomas Lafleur dazu zu bewegen, die Strapazen der Reise auf sich zu nehmen. Wie viele seiner Kollegen hatte er auf den Schlachtfeldern Europas Tausenden von Verwundeten das Leben gerettet, aber der Lohn, den er dafür erhielt, war mager. Eine kleine Pension von dreitausend Francs, eine Anstellung an der Charité, anatomische Vorlesungen am Val de Grâce.

»Manchmal ist mir, als hätte ich das alles nur geträumt«, hatte er oft zu Ignacy gesagt. »Borodino, Beresina, Kowno, Waterloo. Als wäre es nur eine Fata Morgana.«

Ignacy hatte in Alt-Berlin eine passende Wohnung für seinen Freund gefunden. Sie lag in der Rosenstraße und bestand aus einem Schlafzimmer und einem kleinen Salon, der auch als Arbeitszimmer dienen konnte. Eine billige und bequeme Unterkunft. Frau Schmidt, die Vermieterin, wollte eine Magd zur Bedienung stellen, für Frühstück sorgen und auch für Heizung, falls der französische Doktor länger in Berlin zu tun hatte. »Genau das Richtige für dich«, hatte Ignacy bemerkt, »eine Höhle, in der du dich verkriechen kannst.«

Dass die Wohnung karg und ärmlich wirkte mit ihren schlechten Möbeln aus Pappelholz und dass das Bett schmal war, machte Thomas nichts aus. Nachdem er so lange auf holprigen Landstraßen in der Kutsche durchgeschüttelt worden war, fand er jeden Aufenthaltsort akzeptabel, wenn er sich nur nicht bewegte. Im Übrigen war er lange genug Militärarzt gewesen, um nicht allzu anspruchsvoll zu sein.

Sophie

Diamandis Haut ist glatt wie die einer frischen Feige. »Fang mich!«, schreit Sophie und zieht sich an einem Ast der Eiche am Rand der Wiese hoch, auf der die Schafe grasen. Er steht immer noch da, unsicher, was er tun soll. Schließlich ist sie bloß ein Mädchen mit aufgeschlagenen Knien. Sie kratzt den Schorf immer ab, weil sie es nicht erwarten kann, dass die neue rosa Haut darunter zum Vorschein kommt. Sie ist bloß ein Mädchen, auch wenn sie schwimmen kann wie ein Fisch und ein kaíki besser steuern als viele Jungen. Auch wenn sie schneller rennen kann als er. Er bekommt keine Luft mehr, wenn er mit ihr Schritt zu halten versucht. Er hechelt wie ein Hund.

»Fang mich, Diamandi.«

Zögernd macht er einen Schritt auf den Baum zu, greift nach dem untersten Ast. Er hört über sich einen Zweig knacken, einen Fluch. Rascheln von Laub. Sie ist schon ziemlich weit oben, wo die Äste dünner sind. Sie tastet sie ab, ob sie stark genug sind, ihr Gewicht zu tragen. »Wie ein Eichhörnchen«, hat Mana gesagt, in einem halb ärgerlichen, halb bewundernden Ton. Eichhörnchen sind flink und frech. Sie graben Blumenzwiebeln aus und fressen junge Triebe im Garten ab. Sie foppen den fetten Kater, der sie zu jagen versucht.

Von hoch oben auf dem Baum sieht Bursa klein und verloren aus. Sogar die großen Häuser der Reichen wirken unscheinbar, ihre Gärten sind bloß grüne Flecken, nichts anderes als der kleine Nutzgarten von Sophies Mutter, wo Blumen nur an den Rändern wachsen, denn die Erde ist zu wertvoll, um Dinge darauf zu pflanzen, die nur zur Zierde da sind.

»Komm schon, Diamandi.«

Ihr Cousin wird schneller, er holt auf. Er ist drahtig und stark, stärker als sie, aber nicht so flink. Er ist Fährmann und Schafhirte, vierzehn Jahre alt, sieben Monate älter als Sophie, die erst dreizehn ist und noch nicht geblutet hat wie eine Frau.

Er ringt mit anderen Jungen, zwingt sie zu Boden und atmet ihnen ins Gesicht, bis sie sich verzweifelt winden. In seinen Augen blitzt Triumph. Er wird Sophie nicht so leicht gewinnen lassen. Er wird sie festhalten, wenn es nicht anders geht.

»Dou-Dou!«

In seiner Stimme ist etwas Bittendes und die Verheißung von Zärtlichkeit. Der Geschmack von Honig mit Koriander, der Geruch von Heu.

»Dou-Dou!«

Erst als sie fast ganz oben bei den Zweigen angekommen ist, die so dünn sind, dass sie ihr Gewicht gerade noch tragen, macht sie Halt. Sie wartet, bis Diamandi da ist und ihr befiehlt, abzusteigen. »Sofort«, sagt er, seine Hand auf ihrem Hintern. Nur einen Moment lang, den Bruchteil einer Sekunde, aber ihre Haut wird heiß und prickelt.

»Du bist verrückt«, sagt er. »Deine Mutter kratzt mir die Augen aus, wenn dir etwas passiert.«

»Also gut. Schauen wir, wer zuerst unten ist.«

Sie spürt seinen Blick, während sie hinunterklettert. Es ist ein tückischer alter Baum. Sie kennt die morschen Äste, auf die sie treten darf. Sie vertraut ihren starken Händen. Sie kann die Beine um einen Ast schlingen und sich so festhalten. Kratzer auf ihrer Haut, blutige Schrammen, blaue Flecken machen ihr nichts aus. »Ein bisschen Schmerz versüßt die Lust«, sagt Mana und lacht, dass ihre kleinen ebenmäßigen Zähne blitzen. Die Augen von Sophies Vater werden in solchen Momenten schmal. Seine Finger trommeln auf der Tischplatte einen sonderbaren Rhythmus, ein Staccato, das ebenso plötzlich endet, wie es angefangen hat. Die Luft ist drückend schwer wie vor einem Gewitter. Sie hat oft Leute sagen hören, dass ihr Vater ein eifersüchtiger Mann ist und dass ihre Mutter nur bekommt, was sie verdient.

»Mach das nie wieder«, sagt Diamandi. Was für eine Stimme er hat, dieser junge Mann. Er tut so, als wäre er wütend auf sie, und doch will er, dass sie ihm trotzt. Er riskiert es, dass sie ihm ins Gesicht lacht, dass sie ihm sagt, er ist nur ein kleiner Junge.

Er ist vom letzten Ast auf die Erde gesprungen, hat Sophie gepackt und hält sie nieder. Seine Hände sind kühl und trocken. Er riecht nach Heu und frischer Milch. Sie reißt sich los.

Diesem schlanken sonnengebräunten Jungen ist sie ein Rätsel, ein halbwildes Phantasiegeschöpf. Sie spürt den Wind kühl auf ihren Wangen. »Du kriegst mich nicht«, ruft sie und rennt los. Am Olivenhain holt er sie ein, zieht sie hinunter auf das weiche Gras, küsst sie, drängt seine Zunge in ihren Mund. Die Luft ist wieder voller Blütenduft, schmeckt feucht nach dem Meer und seinen salzigen Tiefen. Ein Schauder durchläuft sie.

»Ich liebe dich mehr als meine eigene Seele«, flüstert er, und in diesem Moment glaubt sie ihm.

Rosalia

Die zwei deutschen Hausknechte, die das große Empirebett mit den weißen Satinbezügen gebracht hatten, fragten Rosalia, wo sie es hinstellen sollten. »An die Wand«, sagte sie und zeigte auf eine Stelle, die weit genug weg vom Fenster war, dass das einfallende Licht die Kranke nicht stören konnte. Die Männer nickten und trugen das Bett an seinen Platz. Die persischen Teppiche hatten sie bereits weggeräumt, jetzt mussten sie noch den roten Samtvorhang anbringen, der bei Bedarf quer durchs Zimmer gezogen werden konnte.

Gräfin Potocka ruhte, während der Salon für sie hergerichtet wurde – das Blaue Zimmer, das der Graf ihr ursprünglich zugedacht hatte, war zu zugig. Im Licht des Nachmittags trat ihre Blässe noch stärker hervor, ihre Augen waren groß und voller Schmerz. Rosalia kam herein und stellte eine Schale mit frischen Feigen auf das Tischchen neben dem Bett. Die Gräfin fasste ihre Hand.

»Merci, ma fleur«, hauchte sie.

Graf von Haefen hatte eine Menge Delikatessen von seinem Landgut bei Potsdam bringen lassen, Feigen, Ananas, Orangen aus seinen Gewächshäusern, Fisch aus seinen Teichen, Wild aus seinen Wäldern. »Madame wird nicht einmal davon kosten«, hatte Marusja gesagt. Rosalia musste zugeben, dass ihre Herrin sich über Blumen mehr gefreut hätte, besonders über Rosen und Orchideen.

Erst wenige Tage zuvor in einem der Gasthäuser an ihrem Weg hatte die Gräfin noch Kraft genug gehabt, um einige längst fällige Entscheidungen hinsichtlich Sofiewkas, ihres geliebten Gartens bei Uman, zu treffen. Da Doktor Horn eine Operation dringend empfohlen hatte, konnte sie den Sommer nicht wie sonst in Uman verbringen (eine weitere Enttäuschung, die sie hinnehmen musste). Sie bat Rosalia, Kopien von Abbildungen der Bergesche anzufertigen, die im nächsten Frühjahr gepflanzt werden sollte. Sie ist sehr robust und wird auch harten Frost ohne Schaden aushalten, diktierte sie. Um die Marmorbüste von Fürst Joseph Poniatowski herum sollten Schwertlilien gepflanzt werden. Sie gab auch Anweisungen, wie neue Wege anzulegen waren. Sie sollen zu einem Aussichtspunkt oder einem Gebäude führen, damit der Spaziergänger nicht enttäuscht wieder umkehrt. Die riesige Eiche am Fluss durfte nicht angetastet werden. Sie soll nicht geschnitten werden, keines Menschen Hand hat das Recht, eine solche Schönheit zurechtzumodeln. Eine Eiche, die einmal verstümmelt wurde, verliert ihre urtümliche Kraft und wird nur mehr langsam wachsen.

»Ihr Zimmer wird bald bereit sein«, sagte Rosalia, aber die Gräfin reagierte nur mit einem leichten Nicken.

Vom Hof war Hufgeklapper zu hören, die Räder eines Wagens quietschten. Bald, dachte Rosalia, wird man Pietka befehlen, Stroh über dem Pflaster zu verteilen, damit die Geräusche gedämpft werden. Und er wird nicht mehr singen dürfen, so wie er es jetzt tut.

In Winnyzja an der Grenze,

vor einem Grabhügel am Ufer des Bug,

unter den Mauern der Kartause …

In diesem Palais mitten in Berlin würde alles leichter werden. Der Haushalt war offensichtlich bestens geordnet. Seit sie hier angekommen waren, hatten Dienstmädchen die Eingangshalle bereits geputzt und trockengewischt. Sie hatte erwähnt, dass man Scharpie brauchen würde, um die Wunden zu verbinden, und dass der französische Chirurg wahrscheinlich nach einer alten Matratze verlangen würde, und man hatte ihr versichert, dass alles unverzüglich besorgt werde. Frau Kohl, die Haushälterin, hatte auch eine Anzahl alter, aber makellos sauberer Bettlaken gebracht.

Mit einem Schwamm und warmem mit Lavendel parfümiertem Wasser wusch Rosalia ihrer Herrin Schweiß und verkrusteten Puder vom Gesicht. Die Unterwäsche der Gräfin war wieder voller Blut, das teils dunkel geronnen war und gemischt mit etwas, das aussah wie gehackte Leber. Mademoiselle Collard hatte oft geklagt, sie sei als Zofe engagiert worden und nicht als Krankenpflegerin. »Und du auch nicht«, hatte sie zu Rosalia gesagt. Wenn auch die Ländereien ihrer Familie vom Zaren beschlagnahmt worden seien, bleibe Rosalia gleichwohl die Tochter eines polnischen Edelmannes, und es sei ihre Pflicht, ihre Würde zu wahren. Man stürze nur zu leicht vollends ab, wenn man nicht auf sich achte. Rosalia konnte alldem nicht widersprechen, aber, so dachte sie, während sie frische Wäsche aus einem der Koffer nahm und der Gräfin half, ihr fliederfarbenes, mit Rosenknospen besticktes Kleid anzulegen, die Frage war doch: Wer sonst würde der Kranken helfen, wenn sie es nicht tat? Die Dienstmädchen hatten alle Hände voll damit zu tun, die Sachen ihrer Herrschaft auszupacken, auszubessern und zu bügeln. Und Mademoiselle la Comtesse war diese Arbeit keinesfalls zuzumuten – ihr wurde vom Geruch des Waschwassers jedes Mal so übel, dass sie erbrechen musste (»Sie kann nichts dafür, Rosalia, sie hat eben die Konstitution ihres Vaters«, sagte die Gräfin). Erst an diesem Morgen hatte der Anblick der blutigen Wäsche, die von den Mädchen weggetragen worden war, sie derart aufgewühlt, dass Rosalia ihr eine doppelte Dosis Laudanum hatte geben müssen, um sie ruhigzustellen.

»Ich möchte niemanden sehen, ausgenommen Graf von Haefen«, flüsterte die Gräfin und schloss die Augen. »Lassen Sie die anderen Besucher von meiner Tochter empfangen.«

»Der französische Arzt wird bald kommen«, sagte Rosalia. Sie überlegte, was er wohl noch für seine Arbeit brauchte. Vermutlich hatte er keinen Assistenten dabei. Doktor Bolecki konnte ihm zur Hand gehen, aber wahrscheinlich würde das nicht ausreichen. Sie fragte sich, ob die beiden Hausknechte stark genug waren, die Gräfin festzuhalten. Und ob sie es aushielten, all das Blut zu sehen, und dazu die Schmerzensschreie.

»Ich bin so erschöpft, Rosalia«, hauchte die Gräfin.

Der Schmerz in ihrem Inneren war immer präsent, aber er war nicht so stark, dass er ihr den Atem nahm. Vielleicht konnte sie sogar ein wenig schlafen. »Sie sollten versuchen, ihre Gedanken vom Tod abzulenken, Mademoiselle«, hatte Graf von Haefen ihr eingeschärft, bevor er ging. »Sprechen Sie nur von Dingen, die ihr Freude machen.«

Der Gärtner hatte geschrieben, dass in Sofiewka schon Schnee lag. Von Kiefern und den knorrigen Ästen der Eiche am See hingen Eiszapfen. In den Gewächshäusern blühten Rosen und Orchideen; er wünschte, er könnte ihr einige davon schicken, so wie früher, als er oft Blumen in einer mit Kohlebecken beheizten Kutsche nach Sankt Petersburg hatte bringen lassen. Der Zürgelbaum gedieh gut, ebenso die Baumhasel aus dem Kaukasus. Er hatte sie, wie befohlen, an einem schattigen Platz gepflanzt.

»Man hat mir versichert«, bemerkte die Gräfin, »das Holz des Zürgelbaums sei so schwer, dass es im Wasser untergeht.«

Als ihre Herrin angekleidet war, kämmte Rosalia ihr das Haar, das grau und von der Krankheit spärlich war. Dann nahm sie eine Perücke mit dichten schwarzen Locken aus einem Karton, setzte sie der Gräfin auf und steckte sie behutsam mit Haarnadeln fest.

»Nächsten Sommer wird es Ihnen wieder bessergehen. Dann fahren wir zusammen hin.«

Die Gräfin lächelte strahlend.

Vielleicht, dachte Rosalia, entsteht Glück nur aus solchen einfachen Dingen. Aus dem Bewusstsein, dass eine sanfte Berührung der Hand Kranke beruhigt und ihre Schmerzen lindert. »Ebendas ist der Grund, warum sie dich so leicht ausnutzen kann«, würde Mademoiselle Collard sagen. »Bist du vielleicht ihre Tochter?« Rosalia neigte dazu, sich immer neue Pflichten aufbürden zu lassen, sich für alle möglichen Kleinigkeiten verantwortlich zu fühlen. Etwa dafür, dass die Holzkohle nicht mehr aufzufinden war. Olena, die beim letzten Halt das Speiseservice eingepackt hatte, behauptete steif und fest, sie habe die Schachtel in die Kiste mit dem Silberbesteck getan. Wenn Mademoiselle Collard da gewesen wäre, hätte sie nur Hohn für Rosalia übriggehabt. »Was regst du dich so auf? Madame kann es sich leisten, eine Schachtel Holzkohle zu verlieren, sie hat Geld genug.«

Mit geschlossenen Augen sah die Gräfin mehr wie eine Wachsfigur als wie ein lebendiger Mensch aus. Nur die Wärme ihrer Haut verriet Rosalia, dass ihre Herrin noch am Leben war.

Sophie

Ihre Wangen brennen noch von den Schlägen ihrer Mutter. Wie kann man nur so dumm sein! Sie ist eine dumme Gans. Oder eine Hure. Was hat sie sich dabei gedacht? Hat sie nicht das kleinste Fünkchen Verstand im Kopf? Hat sie nie gesehen und gehört, was für ein Unheil böse Zungen anrichten können?

Der salzige Geschmack von Blut in ihrem Mund erschreckt sie. Das Gefühl von Glück und Leichtigkeit ist verschwunden. Jetzt muss sie den Zorn ihrer Mutter über sich ergehen lassen.

»Was hast du getan?«, schreit Mana und stößt sie auf das Bett. Wieder schlägt sie zu, nicht so hart wie vorher. Ihr Rock ist hochgeschlagen, ihre Beine sind gespreizt. Sie ist beschädigt, angebissen und ausgespuckt worden. Er hat von ihr probiert und sie dann liegenlassen. Wer will eine so beschädigte Ware kaufen? Welcher Mann, der bei Verstand ist, wird für etwas zahlen, was er umsonst haben kann? Wer schafft sich eine Kuh an, wenn die Milch nichts kostet?

Mana fingert in ihr, erkundet den Schaden. Wie grausam sie ist, wie grob.

»War er steif?«, fragt sie. »Hat er ihn ganz reingesteckt?

Dou-Dou, ich rede mit dir. Antworte mir gefälligst.

Du musst mir alles erzählen. Ich bin deine Mutter.

Es ist zu deinem eigenen Besten.

Die Küche ist voller schmutziger Töpfe, die geschrubbt werden müssen. Das Mädchen kann gehen, das schmuddlige Ding. Du willst Dreck? Kannst du haben, du kannst die Töpfe mit Asche schrubben. Du kannst krebsrote Hände haben mit wundgescheuerten Knöcheln und blutigen Schrammen.

Ist es das, was du willst? Habe ich dir dafür das Leben geschenkt? Habe ich dafür zwölf Stunden lang vor Schmerzen geschrien, als du geboren worden bist? Und mich so schlimm zugerichtet hast, dass ich nie wieder ein Kind bekommen kann?

Und wofür? Damit du dich von dieser Missgeburt bespringen lässt? Von diesem Nichtsnutz, diesem Hallodri, der sich Wunder was einbildet und doch nichts hat als ein großes Maul und einen kleinen Schwanz. Der jetzt durch die Stadt stolziert und überall herumerzählt, dass du ihn rangelassen hast.«

Am Ende sind Manas Tränen schwerer auszuhalten als ihr Zorn. Zu sehen, wie sie voller Scham die Hände vors Gesicht schlägt, ihr Schluchzen zu hören.

»Alles, was ich mir für dich gewünscht habe, ist hin.«

Dou-Dou möchte schreien, dass das nicht wahr ist. Ist sie von einem Tag auf den nächsten nicht mehr die geliebte Tochter ihrer Mutter? Aber Mana sieht sie nur mit blicklosen Augen an.

»Du weißt nicht, welche Macht das Geschwätz der Leute hat.«

Ein Sonnenstrahl fällt auf Manas rabenschwarzes Haar. Wenn Engel Gesichter haben, dann müssen sie so aussehen wie ihres. Brauen, deren Schwung die Augen groß macht, volle glatte Wangen. Die Lippen wie Kirschen, glänzend von den Tränen, die darübergeflossen sind.

»Ich habe mir immer gewünscht, dass meine Tochter es einmal besser hat als ich. Dass sie ihre Gottesgaben nicht ungenutzt verkommen lässt. Sie nicht wegwirft. War das zu viel verlangt?«

Konstantin Glavani kommt von der Taverne nach Hause. Schon das Geräusch seiner Schritte verrät Dou-Dou, dass er Bescheid weiß. Das Knallen seiner Absätze auf dem Boden. Mit dumpfem Krachen landet seine Faust auf der Tischplatte. Sein Zorn ist schrecklich. Etwas fällt polternd hinunter.

Dann ein Klatschen, noch eines, ein schriller Aufschrei. »Wie die Mutter so die Tochter«, brüllt er. »Ist es das, was du ihr beibringst. Die Beine breit zu machen für jeden Taugenichts in Bursa? Sich in der ganzen Stadt in Verruf zu bringen?«

Die Tür geht auf, und Sophies Körper wird weich. Ein Kätzchen vor einem Sturz. Sie liegt auf dem Bauch, schluchzt in ein Kissen, ihr Vater steht neben dem Bett. Sie hört nur sein Schnaufen. Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen. In seiner großen Hand sieht sie den Griff einer Peitsche, die er benutzt, um die Schafe in den Pferch zu treiben.

Sein Schweigen macht ihr mehr Angst als Manas Geschrei.

Er hebt ihren Rock hoch, ihr Hintern liegt frei. Wenn sie die Muskeln nicht anspannt, wird es weniger weh tun. Zuerst hört sie den Riemen in der Luft pfeifen, dann spürt sie den Krampf und warm ihr Pipi, das in die Matratze rinnt. Als der Riemen auftrifft, fühlt sie wieder einen Krampf. Und noch einen, und dann nur noch glühenden Schmerz.

Sie schreit nicht. Sie hat ihr Gesicht im Kissen vergraben. Tränen versickern im Stoff, in den Stickereien. Mana hat diese Vögel gestickt, die auf Zweigen sitzen und mit weit offenen Schnäbeln singen. Diese hohen Zypressen, die sich im Wind wiegen. Das war in einer anderen Zeit, als Sophie noch ein Kind war und viele Fragen stellte. Wie man es schafft, dass so ein Vogel echt aussieht. Wie man das Garn durch das Öhr der Nadel fädelt.

Ihr Vater hält inne und dreht sie um. »Schau mich an«, sagt er. »Schau den Mann an, der seinen Freunden nicht mehr in die Augen sehen kann. Der zuhören muss, wenn man den Namen seiner Tochter durch den Dreck zieht. Den Mann, dessen Tochter eine Hure ist.«

Sie schaut ihn an. Er steht da, sein mächtiger Körper schwankt, sein Atem riecht nach Wein und Lammfleisch. Auf seinem Hals haben sich rote Flecken ausgebreitet, sein Mund ist in einer Grimasse des Abscheus verzerrt. Sie denkt daran, dass er mit bloßen Händen ein Hufeisen biegen kann. Er wird sich nicht zum Gespött von Bursa machen. Er wird es nicht hinnehmen, dass seine Tochter seinem Namen Schande macht. Eher will er sie töten und dann sich selbst.

»Eine brünstige Stute.«

Er hebt die Hand. Eine große Hand, schwielig und gerötet, die Haut an den Knöcheln aufgerissen. Wird er ihr den Hals umdrehen wie einem Huhn?

Sie sieht ihn unverwandt an. Jetzt kann alles passieren, alles kann sich in solchen Momenten entladen, Bosheit, Rache, Schmerz. Die Hand sinkt herab und hängt schlaff neben dem Körper. Sie ballt sich zur Faust und entspannt sich dann, besiegt, wieder.

Wie kann man der Macht der bösen Nachrede entkommen?

Sie hat von einem Mann gehört, der das Gesicht seiner Tochter mit einem Rasiermesser zerschnitt, ihre Wangen mit glühenden Kohlen verbrannte, um ihre Schönheit zu zerstören. Sophies Vater blickt sie an, zwingt sich dazu, sie nicht aus dem Blick zu lassen, bis er sich plötzlich auf dem Absatz umdreht und aus dem Zimmer geht. Die Tür schlägt hinter ihm zu, und sie wischt sich die Tränen von den Augen und den Wangen. Eine Waschschüssel und ein Krug mit Wasser stehen da. Sie spritzt kaltes Wasser auf ihr Gesicht, dann hockt sie sich über die Schüssel und wäscht die Stelle zwischen ihren Beinen, die noch feucht ist von Pipi. Wo der Riemen sie getroffen hat, sticht es sie wie tausend Nadeln, die sie an ihre Niederlage erinnern.

Konstantin Glavani kündigt an, dass sie aus Bursa wegziehen werden.

Sie beobachtet seine schnellen, entschlossenen Schritte, lauscht auf das Poltern seiner Absätze auf dem Boden. Draußen riecht es nach Kamille, Zitronenblüte und Lorbeer. Ihre Freunde und Freundinnen treiben sich im Freien herum, reiten oder machen Feuer am Fluss. Auch Diamandi ist dort, aber sie will ihn nicht sehen. Sie darf das Haus nicht verlassen, das ein Haus der Schande ist.

Es wird geredet, immer giftiger wird der Klatsch mit jedem Tag, der vergeht. Leise, mit lüsternem Grinsen tratschen die Männer. Die Frauen keuchen immer wieder ungläubig, wenn sie es weitererzählen. Es wird nie ein Ende nehmen, die Bosheit der verleumderischen Mäuler ist ohne Maß. Sie wird das Geschwätz, das sie verfolgt, nie loswerden bis zu dem Tag, da sie vor Gott treten muss, um sich zu verantworten für ihre Sünden. Ein zerbrochenes Ei kann nicht wieder heil werden.

Konstantin Glavani geht ruhelos auf und ab. Er ist ein schwer geprüfter Mann. Er ist bestraft worden für die Sünden des Fleisches, dafür, dass er unter seinem Stand geheiratet hat. Er war ein Narr und wollte auf den Rat der Weisen nicht hören. Schneid ihr die Kehle durch, sagen einige. Lass deine Tochter im Staub niederknien und töte sie. Brüllen soll sie wie eine Kuh beim Schlachter, wenn sie das Messer über sich blitzen sieht.

Was für ein Narr er war, zu glauben, dass Gott ihn gesegnet habe, als seine Tochter geboren wurde. Zu glauben, seine kleine Dou-Dou werde sein Leben erhellen, die Freude seines Alters sein, er, der Vater eines einzigen Kindes, werde eines Tages in ihrem Garten sitzen, seine Enkel auf seinen Knien.

Aber Gott in seiner Weisheit hat ihm ein anderes Schicksal beschieden. Die sündige Natur der Frauen liegt zuinnerst in ihrem Mark verborgen und verrichtet leise ihr Werk stetig von dem Tag an, da sie das Licht der Welt erblicken, bis zum Tod. Er hätte wissen müssen, dass diese Tochter seine Hölle werden würde. Am Tag ihrer Geburt hätte er sich Asche aufs Haupt streuen sollen.

Frauen sind wie läufige Hündinnen und machen nichts als Ärger, aber Diamandi ist um kein Haar besser. Ein Verräter, ein Mann ohne Ehre, ohne Loyalität zur Familie. Für das, was er seiner Cousine angetan hat, bloß um vor seinen Freunden damit anzugeben, verdiente er den Tod, am nächstbesten Baum sollte man ihn aufknüpfen. Oder ihn auf der Stirn als Lügner brandmarken. Aber Konstantin Glavani ist kein Mörder. Er ist kein Türke, sondern Christ, ein Grieche und Ehrenmann. Wenn er nicht so anständig wäre, könnte er auch einigen Schmutz verbreiten. Jeder weiß ja, was Diamandis älterer Bruder treibt. Barbier ist er, sagt sein Vater. Er arbeitet für einen Türken, einen Mann aus Istanbul, der sich Philosoph nennt. In Wahrheit ist er ein Sodomit, der den zu Pulver zermahlenen Dreck seiner Liebhaber in einer Kapsel um den Hals trägt.

»Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein«, sagt er.

Hat er ihr verziehen?

Mana lauscht auch in düsterem, verstohlenem Schweigen. Sie hat links ein blaues Auge und rote Flecken am Hals. Ihr Blick ruht auf Sophie, ermahnt sie, ruhig zu bleiben, die Sache auszusitzen.

Ja, diese Tochter ist sein Kreuz, aber Konstantin Glavani wird es willig tragen.

Er hat schon all sein Vieh verkauft. Für ein Butterbrot. Für ein Viertel dessen, was die Herde wert ist, aber die Leute wissen, dass er nicht länger warten kann, und sie sind skrupellos. Das Haus wird er an einen entfernten Verwandten vermieten. Einen ehrlichen Mann, auch wenn er nicht der Hellste ist. Sie werden alle drei nach Jerusalem wallfahren zum Heiligen Grab. Um Gott den Allmächtigen um Vergebung ihrer Sünden zu bitten.

Von dort werden sie nicht nach Bursa zurückkehren, sondern nach Istanbul fahren, wo niemand sie kennt. Konstantin Glavani wird sich mit dem Geld, das er für sein Vieh bekommen hat, eine Stellung bei der Polizei von Istanbul kaufen. Er wird für die christlichen Metzger im Distrikt Pera zuständig sein, und niemand wird hinter ihm ausspucken, wenn er durch die Straßen geht.

Rosalia

In dem Zimmer, das Frau Kohl ihr zugewiesen hat, weil es nahe beim Salon liegt, nahm Rosalia ihre Kleider aus dem Reisekoffer, schüttelte jedes kräftig und hängte es dann in den Schrank, der nach frischem Lack roch. Auch nachdem sie ihren dunkelgrauen Mantel aufgehängt hatte, war der Schrank immer noch halbleer. Ihre drei Hüte und zwei Hauben legte sie in das oberste Fach. Ihre Unterröcke und Hemden füllten nur eine der fünf Schubladen.

»Eine Operation«, hatte die Gräfin gesagt, »kann nicht an einem Dienstag stattfinden.«

»Wenn überhaupt eine Operation notwendig ist«, hatte Doktor Bolecki bemerkt. Die Untersuchung hatte nicht lang gedauert, das Lächeln auf seinem Gesicht wirkte etwas gezwungen.

Ganz unten im Koffer lagen die Bilder von Rosalias Eltern Jakub und Maria Romanowicz. Sie nahm sie heraus und stellte sie auf das Tischchen neben ihrem Bett. Die in Silber gerahmten Miniaturen waren kurz vor dem Kościuszko-Aufstand 1794 und der endgültigen Niederlage gemalt worden, nach der die Bezeichnung Polen von den Landkarten Europas getilgt worden war. Der Künstler, der die Bilder gemalt hatte, war kein Meister seines Fachs gewesen: Der Ausdruck der beiden Augenpaare hatte nichts Individuelles, es war, als wäre das eine eine Kopie des anderen. Beide blickten melancholisch geradeaus, als sähen sie bereits, was noch im Schoß der Zukunft verborgen lag.

»Dienstag ist ein Unglückstag«, hatte die Gräfin gesagt.

»Wird es sehr weh tun?«, hatte Olga gefragt. Die Art, wie sie in ihre Unterlippe biss, rührte Rosalia mehr als das Schluchzen, das sie manchmal nachts hörte und das ihr verriet, dass auch Olga das Schlimmste befürchtete.

Auf dem Bild trug Rosalias Vater die Uniform der Aufständischen, eine weiße bäurische sukmana, dazu ein zu einer Schleife gebundenes Halstuch, Symbol der Gleichheit und Freiheit aller Polen. Er war glattrasiert und trug wie Kościuszko keine Perücke. Das schwarze Haar der Mutter war in der Mitte gescheitelt. Es umrahmte ihr porzellanweißes Gesicht und verschmolz mit dem Hintergrund. In ihr Haar war eine Perlenschnur eingeflochten, und sie hielt einen Fächer vor der Brust. Rosalia konnte sich an diesen Fächer noch gut erinnern. Wenn man ihn auffaltete, sah man die Gestalt der Artemis. Die Göttin trug ein Leopardenfell über den Schultern, die Tatzen des Tiers hingen wie eine Schleppe hinter ihr auf den Boden herab. Wo war der Fächer wohl hingekommen? Hatte ihre Mutter ihn bei einem ihrer zahlreichen Umzüge verloren, oder lag er vielleicht in einer der Truhen, die Tante Antonia auf ihrem Dachboden in Zierniki für Rosalia aufbewahrte?

Du bist jetzt schon achtundzwanzig, Rosalia, und ich kann nicht glauben, dass du so töricht bist, die weltfremden Hoffnungen deiner Mutter zu teilen. Hat sie wirklich geglaubt, nur weil Graf Potocki ihr Taufpate war, würde die Gräfin sich in besonderer Weise für dein Wohlergehen verantwortlich fühlen? Manchmal denke ich, es ist gut, dass dein lieber Vater das alles nicht mehr miterleben musste.

Vor zwei Jahren in einer Oktobernacht wie dieser hatte Rosalia den Geräuschen gelauscht, die aus dem Schlafzimmer ihrer Mutter drangen. Bodendielen knarzten, Schubladen wurden aufgezogen und wieder geschlossen. Und dann war der Geruch von verbranntem Papier durchs Haus geweht. Einen Moment lang war ihr gewesen, als hörte sie leises Schluchzen, aber dann hatte sich gezeigt, dass es nur das Pfeifen des Winds im Kamin war.

»Die Sache ist sehr ernst zu nehmen, Madame Romanowicz«, hatte der Chirurg gesagt. Er wirkte bleich in seinem schwarzen Anzug, auf seiner Stirn standen Schweißperlen. Er wischte sie mit einem karierten Taschentuch ab. »Sehr ernst, Madame.« In den Augen ihrer Mutter lag ein Ausdruck von Leere, der Rosalia unangenehm war. Die Untersuchung hatte nicht lang gedauert. Die Brust war geschwollen, der Tumor hatte mittlerweile die Größe einer Pflaume. Man hatte schon viel Zeit verloren, zu viel Zeit. Der Chirurg erzählte von Frauen, die sich von der Welt zurückzogen und nur eine vertraute Krankenschwester zu sich ließen, die ihre übelriechenden Geschwulste wusch, während ihre Brüste vom Krebs weggefressen wurden.

Er verriet nicht, wann er operieren würde. Das tat er nie. Er kündigte es frühestens zwei Stunden vorher an, damit sich die Patientinnen nicht unnötig lange ängstigen mussten. Er brauchte alte Leintücher, Scharpie, frisch gewaschene alte Unterwäsche. Einen alten Sessel. Keinen Teppich. Nichts, was mit Blut bespritzt werden konnte und nicht leicht zu reinigen war. »Aber zuerst, Madame Romanowicz, brauche ich Ihre schriftliche Einwilligung, sonst kann ich nicht operieren.«

Die Nachricht vom Chirurgen kam, als sie beim Frühstück saßen. Heute um zehn Uhr. Das Mädchen brachte die Karte auf dem Tablett, auf dem auch die Kaffeekanne stand.

»Ich habe meinen Frieden mit Gott gemacht. Du kannst nichts weiter für mich tun«, sagte Maman. Sie hatte gebeichtet, die Kommunion empfangen und verlangte nach der Letzten Ölung. Man nenne das Sakrament auch Krankensalbung, erklärte sie, als sie den Schrecken in Rosalias Augen sah: Es komme vor, dass es Kranke wieder gesund mache.

Sie wird nicht sterben, sagte sich Rosalia immer wieder im Stillen, um gegen ihre wachsende Furcht anzukämpfen. Im Winter hatte sie in Zierniki Enten gesehen, die im Eis des Teichs gefangen wurden. Zuerst konnten sie sich noch bewegen, aber dann wurde das Eis dicker, und sie konnten sich nicht mehr befreien. Um sie zu retten, schickte man einen Stallburschen zum Teich, der mit einem Beil das Eis aufhackte und die Vögel in die warme Küche schaffte.

Ich werde es nicht zulassen, sagte sich Rosalia. Ich werde es nicht zulassen.

Als der Arzt mit drei Helfern, alle in Schwarz gekleidet, da war, kam Maman in einem Nachthemd aus Batist aus ihrem Zimmer. Wenn sie Angst hatte, konnte Rosalia es ihr nicht ansehen. Ihre Stimme war fest, ihre Augen trocken.

»Ich möchte, dass alle Frauen den Raum verlassen«, sagte der Chirurg. Das Dienstmädchen huschte hinaus in Richtung Küche und schloss die Tür. Kurz darauf hörte man ihr ersticktes Schluchzen.

»Ich bin die Tochter eines Soldaten«, sagte Rosalia. »Lassen Sie mich hierbleiben.«

Der Arzt sah sie gereizt an, aber sie hielt seinem Blick stand, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Wenn Sie ohnmächtig werden, können wir uns nicht um Sie kümmern«, knurrte er.

»Ich werde nicht ohnmächtig«, antwortete sie. Maman sah sie erleichtert an.

Man hatte alle Möbel aus dem Wohnzimmer geschafft, nur der Sessel stand da, darüber waren weiße, frisch gewaschene Leintücher gebreitet. Der kahle Raum wirkte übergroß und viel zu hell. Die Tapete war an den Stellen, wo das Bild und der Spiegel gehangen hatten, dunkler. Rosalia sah, dass die Decke einen neuen Anstrich nötig hatte. Die Hand ihrer Mutter in der ihren war kühl und trocken, aber dann brach ihr plötzlich der Schweiß aus.

»Als Sie Ihr Kind geboren haben, Madame«, fragte der Arzt, »haben Sie da geschrien?«

»Ja.«

»Gut, dann schreien Sie. Schreien Sie so laut Sie können.«

Die Operation ging in absoluter Stille vor sich. Der Arzt wies Maman an, im Sessel Platz zu nehmen, ließ sie ein Gläschen Likör trinken und legte ihr ein Taschentuch aus Batist übers Gesicht. Dann winkte er einem seiner Assistenten, der Maman ein Kissen unter den Kopf schob und hinter dem Sessel Aufstellung nahm, bereit, sie festzuhalten. Die beiden anderen Helfer standen links und rechts von dem Sessel, um ihre Arme festzuhalten. Maman gab ihnen mit einer Geste zu verstehen, dass das nicht nötig sei, aber als sie durch das feine Gewebe des Taschentuchs Stahl blitzen sah, versuchte sie aufzustehen. Die Männer packten so fest zu, dass sie zusammenzuckte.

Nichts, woran Rosalia sich erinnerte, kam an Intensität der Liebe jenem Moment gleich, in dem sie fühlte, wie die Finger ihrer Mutter die ihren umklammerten, mit solcher Kraft, dass die Knöchel weiß hervortraten. Es kam ihr nicht seltsam vor, dass ihr eigener Körper die Schmerzen ihrer Mutter empfand. Dass dieser Schmerz sie zu einem einzigen Wesen werden, miteinander verschmelzen ließ. Dass sie gemeinsam, sie mit klarem Auge, ihre Mutter durch das Gewebe des Taschentuchs, zusahen, wie der Chirurg in der Luft über der Brust Schnitte andeutete, eine gerade Linie von oben nach unten, ein Kreuz, einen Kreis. Dass sie gemeinsam schauderten, als die Klinge waagrecht etwas unterhalb der Brustwarze durchs Fleisch schnitt. Dass der Schrei, der ertönte, von ihnen beiden kam.

Die zwei Helfer an den Seiten drückten mit den Fingern auf die Arterien, während der Operateur sich daranmachte, den Tumor herauszuschneiden. Seine Hände und Arme waren voller Blut, ein paar Tropfen spritzten ihm ins Gesicht. Rosalia hörte die Klinge über Brustknochen schaben, und in diesem Moment spürte sie, wie die Hand ihrer Mutter schlaff wurde: Maman hatte das Bewusstsein verloren. Panik überkam Rosalia, aber dann sagte sie sich, dass die Ohnmacht ihre Mutter vom Schmerz erlöste.

Die Prozedur dauerte zwanzig Minuten. Das befallene Gewebe musste restlos entfernt werden, nichts davon durfte im Körper der Patientin zurückbleiben. »Ich kann eine Brust in weniger als zwei Minuten amputieren«, sagte der Chirurg später, »aber in diesem Fall muss man gründlich arbeiten. Wenn man verhindern will, dass das Übel bald wieder von neuem beginnt …«

Rosalia war voller Hoffnung. Der Arzt versicherte, dass die Operation gut verlaufen war, und zeigte ihr, wie sie die Wunde verbinden musste: Sie sollte eine dicke Kompresse aus Scharpie auflegen, die von einer Flanellbinde festgehalten wurde. Es dauerte nicht lang, bis das Blut den Verbandsstoff durchdrungen hatte. Mamans Gesicht war totenbleich, ihr Körper kraftlos. Die Helfer brachten sie zu Bett. Rosalia sollte alle zwei Stunden den Verband erneuern und auf Anzeichen einer Infektion achten.

Gegen Mitternacht schlug Maman die Augen auf, aber sie schien nicht recht zu wissen, wo sie sich befand.

»Er steht am Fenster«, sagte sie immer wieder.

»Wer?«, fragte Rosalia. Sie wünschte sich so sehr, sich in die Arme ihrer Mutter zu werfen und ihr Gesicht an ihre Brust zu schmiegen, wie sie es als Kind getan hatte. Stattdessen hörte sie nur immerzu das Messer über den Knochen kratzen.

»Er zeigt auf sein Herz.«

Ihre Lippen waren ganz ausgedörrt; sie trank etwas Wasser. »Ich gehe mit ihm«, sagte sie. »Es muss sein.«

Rosalia versuchte, sie zu beruhigen. Der Chirurg hatte versichert, dass die Operation erfolgreich verlaufen war. Der Krebs war restlos beseitigt worden. »Du musst stark bleiben, Maman«, bat sie. »Du darfst mich nicht allein lassen. Du darfst dein einziges Kind nicht verlassen.«

»Ich muss gehen«, flüsterte die Mutter und schloss die Augen. »Er wartet auf mich. Er will mich mitnehmen.«

Rosalia sah, dass der Verband schon wieder blutig war, und legte eine frische Kompresse auf. Maman öffnete die Augen nicht, aber sie schien keine Schmerzen mehr zu haben. Vielleicht, dachte Rosalia, war sie über den Berg. Sie nahm sich fest vor, wach zu bleiben, aber die Stille und die regelmäßigen, sanften Atemzüge der Kranken schläferten sie ein. Als sie irgendwann aus ihrem Schlummer hochfuhr, war es noch dunkel. Die Fensterscheiben waren mit den feinen weißen Mustern überzogen, die sie in Zierniki, wo die Fenster fast den ganzen Winter hindurch überfroren waren, immer so gern betrachtet hatte. Wunderschöne weiße Farnwedel, spitz zulaufende Blattformen, winzige Blütenkelche, die sie an Skizzen erinnerten, die ihr Vater für sie gezeichnet hatte. Fünfecke, Sechsecke, Achtecke.

Es war ganz still im Zimmer. Still wie der Tod, dachte sie. Ein Moment, erfüllt von einem unfassbar tiefen Gefühl des Verlusts. Ein Moment, in dem Liebe und Leid miteinander verschmolzen. Ein Moment, in dem es keine Gegenwart und keine Zukunft gab. Nur Erinnerungen, die im Lauf der Zeit zerfielen und verblassten.

Sie musste nicht Mamans Gesicht berühren, um zu wissen, dass sie tot war.

Wie an kalten Wintertagen in Zierniki hauchte Rosalia auf die Fensterscheibe. Als die Eisblumen schmolzen, lugte sie durch das Loch und sah einen Jungen vorbeigehen. Er trug eine Laterne, die aus einer ausgehöhlten Rübe bestand, mit Schlitzen an den Seiten, damit Licht auf seinen Weg fiel.

Es lagen noch ein paar andere Dinge in Rosalias Koffer, die sie aber nicht auspackte, schließlich würde sie in diesem Palais in Berlin nur eine kurze Weile bleiben. Ein kleiner aus Holz geschnitzter Stern, den sie bei den Sachen ihrer Mutter gefunden hatte, die Schnupftabaksdose ihres Vaters, auf deren Deckel Artikel 1 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte eingraviert war. Ein Scherenschnitt, der Kościuszkos Profil zeigte, und drei Skizzen von Napoleon, umgeben von einem Kranz aus Eichenblättern. Die Helden ihres Vaters.

Rosalia verwahrte diese Schätze in einem Kästchen aus Mahagoni unter ihren Kleidern im Koffer. Es war kein sehr sicheres Versteck: Es konnte leicht passieren, dass irgendein Dienstmädchen in ihren Sachen herumschnüffelte, ihre Kleider oder Unterröcke anprobierte oder sich etwas von ihrem Rosenwasser oder Jasminöl ins Gesicht tupfte. In Sankt Petersburg waren immer wieder Taschentücher und Schreibpapier verschwunden. Die Köchin verwendete das Papier, um Lockenwickler daraus zu machen. »Wenn man es nicht nehmen darf, warum lassen sie es dann offen herumliegen«, hatte Rosalia einmal Marusja murmeln hören.

Ihr tat der Rücken weh von den Anstrengungen der Reise, vom Kofferschleppen und von den Mühen, der Gräfin aufzuhelfen oder sie zu stützen. Sie zog ihre Schuhe und Strümpfe aus und ging im Zimmer auf und ab: Es tat ihren schmerzenden Füßen gut, den weichen Teppich unter den Sohlen zu spüren. Wenn nur Olga sich auch ein wenig nützlich machen würde! »Sie ist schließlich Ihre Mutter«, hätte Rosalia oft gern zu ihr gesagt, aber sie verkniff es sich. Es gab nun einmal Menschen, die dazu geboren waren, sich bedienen zu lassen, und andere, die dienen mussten.

So prächtig ihr Bett auch war – eines der besten im ganzen Haus, hatte Frau Kohl betont –, fand Rosalia darin keine Ruhe. Es war zu groß, zu ungemütlich, ihr wurde einfach nicht warm. Sie drehte und wälzte sich, überlegte, ob sie sich eine zusätzliche Decke bringen lassen sollte. Geräusche drangen von draußen herein, Stimmen von Hausknechten, Türenschlagen, der Lärm von allerlei Geschäftigkeit in diesem Palais, in dem Gäste eingezogen waren. Ihr fiel ein, dass Marusja sich über merkwürdige Geräusche in der Dienstbotenkammer beklagt hatte – so als klopfte jemand ans Fenster –, und außerdem roch es angeblich nach Mäusen. Vielleicht ist der Graf, Gott hab ihn selig, gekommen, um die gnädige Frau mit sich zu nehmen, hatte die Köchin gesagt.

Sophie

Sie öffnet das Tor. Der Zaun vor ihrem Haus in Istanbul besteht aus Holzlatten, mit Draht verbunden. Ein heftiger Wind schlägt ihr entgegen, erste Regentropfen fallen auf ihr Gesicht. Sie denkt daran, wie weich sich Samt an ihrer Wange anfühlt.

»Geh in dein Zimmer«, schreit Mana, »sofort.«

Die Haustür steht offen. Im Elternschlafzimmer beugt sich ein Arzt über Sophies Vater. Über jemanden, der wie ihr Vater aussieht, obwohl sein Gesicht ganz rot und geschwollen ist, eine grimmige Maske ohne Augen.

»Geh!«, schreit Mana.

Oben in ihrem Zimmer wirft Sophie sich aufs Bett und lauscht. Die Stimme des Arztes klingt streng und herrisch. Er verlangt, dass Wasser gebracht wird, und es sind pochende, stampfende Geräusche zu hören. Er schreit Mana an, die hinausstürzt und nach einer Weile wiederkommt.

Sophie riecht ihren eigenen Körper. Es ist ein säuerlicher Geruch, den sie ein- und ausatmet. Einen Moment ist ihr, als würde sie immer größer, als streckten sich ihre Beine endlos weit bis an den Rand der Welt, aber dann bewegt sie sich, und das Gefühl ist verschwunden.

Sie erinnert sich an die Zeit, als er stolz auf sie war. Als er Mana anwies, seiner Tochter ihr bestes Kleid anzuziehen und Bänder in ihr Haar zu flechten, denn er wollte sie mitnehmen in den Garten, wo seine Freunde unter den blühenden Mandelbäumen bei Kaffee und süßem Gebäck zusammensaßen.

Ein weicher Teppich wurde auf dem Gras ausgebreitet. Ihr Vater stellte sie darauf und klatschte in die Hände. Sie verbeugte sich lächelnd, warf einen schnellen verstohlenen Blick auf die Gesichter der Männer und sah dann wieder ihren Vater an. Von dem mit üppigem Grün überwachsenen Teich neben ihnen wehte ein leicht modriger Schilfgeruch herüber.

Ihr Vater nahm eine Blumengirlande und legte sie ihr um den Hals. Sie war wunderschön rot und gelb, aus Rosen und wilden Narzissen geflochten. Sophie schnupperte an den Blüten und musste niesen. »Das ist ein Zeichen«, sagte ihr Vater. Das Niesen, erklärte er, bedeutete, dass in diesem Augenblick jemand über sie redete.

Der Gedanke gefiel ihr. Das Murmeln der Gespräche um sie herum, die Blicke der fremden Männer.

»Bete zu Gott«, sagte ihr Vater, »dass man immer nur Gutes über dich redet. Ein guter Name, der einmal beschmutzt ist, wird nie wieder rein.«

Die Männer lachten und klatschten Beifall.

Das ist es, was sie in Erinnerung behalten will: wie sie die Weingläser hochhoben und auf ihre Gesundheit tranken. Auf ihre schöne Stimme, die für sie sang. Ein traurig-süßes Lied von der Liebe. Ein Lied, das sie Hirten auf der Weide hatte singen hören.

Ein Kind mit vielen Gaben. Ein Kind, das ein Engel geküsst hat.

Ihr Vater trug sie an diesem Abend nach Hause. Sie erinnert sich, wie sein Atem roch, nach Wein und Kaffee. Er trug sie in seinen Armen wie eine Prinzessin, damit ihre bestickten Pantoffeln ja nicht schmutzig würden. Die weichen Pantoffeln, die Mana aus dem Stoff eines alten Kleids gemacht hatte.