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Geheime Gänge, verdeckte Türen, dunkle Nischen: Als die Waise Varvara als Dienstmädchen in den Winterpalast kommt, lernt sie schnell, sich ihre Verschwiegenheit und ihren aufmerksamen Blick zunutze zu machen. Keine Intrige, die ihr entginge, kein Getuschel, das ihren Ohren verborgen bliebe. Schnell wird sie zu einer der wichtigsten »Spioninnen« im Palast. Als die junge Sophie von Anhalt-Zerbst – die spätere Katharina die Große – an den Hof kommt und auf dem Weg zur Macht eine Verbündete braucht, wird Varvara ihre engste Vertraute. Schließlich erklimmt Katharina den Zarenthron – aus der unerfahrenen Fremden wird eine der mächtigsten Frauen ihrer Zeit. Eva Stachniaks opulenter Roman über die ungewöhnliche Freundschaft zweier Frauen führt den Leser in eine Welt, in der Leidenschaft und Vertraulichkeit auf Heimtücke und Verrat treffen – in die abgründig-geheimnisvolle Welt des russischen Zarenhofs, gehüllt in schweren Brokat und knisternde Seide.
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Seitenzahl: 723
Geheime Gänge, verdeckte Türen, dunkle Nischen: Als die Waise Warwara als Dienstmädchen in den Winterpalast kommt, lernt sie schnell, sich ihre Verschwiegenheit und ihren aufmerksamen Blick zunutze zu machen. Keine Intrige, die ihr entginge, kein Getuschel, das ihren Ohren verborgen bliebe. Schnell wird sie zu einer der wichtigsten »Spioninnen« im Palast. Als die junge Sophie von Anhalt-Zerbst – die spätere Katharina die Große – an den Hof kommt und auf dem Weg zur Macht eine Verbündete braucht, wird Warwara ihre engste Vertraute. Schließlich erklimmt Katharina den Zarenthron – aus der unerfahrenen Fremden wird eine der mächtigsten Frauen ihrer Zeit.
Eva Stachniaks opulenter Roman über die ungewöhnliche Freundschaft zweier Frauen führt den Leser in eine Welt, in der Leidenschaft und Vertraulichkeit auf Heimtücke und Verrat treffen – in die abgründig-geheimnisvolle Welt des russischen Zarenhofs, gehüllt in schweren Brokat und knisternde Seide.
Eva Stachniak, geboren im polnischen Wrocław, lebt seit 1981 in Kanada. Sie hat für Radio Canada International gearbeitet und als Dozentin für Englisch und Geisteswissenschaften am Sheridan College gelehrt. Mit ihrem Debütroman Necessary Lies
EVA STACHNIAK
DER WINTERPALAST
Roman
Die Originalausgabe erschien erstmals 2011unter dem Titel The Winterpalace bei Doubleday,
an imprint of Transworld Publisher's, London.
Umschlagfotos: Mark Seelen/Corbis
Cavan Images/Getty Images
Der Verlag dankt dem ›Canada Council for the Arts‹
für die freundliche Unterstützung der Übersetzung.
We acknowledge the support of the Canada Council for the Artswhich last year invested $20.1 million in writing and publishingthroughout Canada.
eBook Insel Verlag Berlin 2012
© der deutschen Ausgabe Insel Verlag Berlin 2012© 2011 Eva StachniakAlle Rechte vorbehalten, insbesondere das des
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durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form
(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)
ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert
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SANKT PETERSBURG, 17. OKTOBER 1756
Drei Personen, die immer um sie sind und nichts voneinander wissen, berichten mir, was vorgeht, und werden mich unfehlbar davon in Kenntnis setzen, wenn der entscheidende Moment da ist.
Aus einem Brief der Großfürstin und späteren KaiserinKatharina der Großen an Sir Hanbury-Williams,
Spione bleiben normalerweise unsichtbar, außer sie werden enttarnt, oder sie treten freiwillig ans Licht der Öffentlichkeit. Die Ersteren waren so töricht, verräterische Spuren zu hinterlassen, die Letzteren haben ihre eigenen Gründe, sich zu offenbaren.
Vielleicht drängt es sie, ihre Geheimnisse zu beichten, weil sie die öde Bedeutungslosigkeit eines Lebens, von dem niemand etwas weiß als sie allein, nicht ertragen.
Oder vielleicht, weil sie warnen möchten.
Ich war das, was man eine »Zunge« nannte, eine wohlinformierte Quelle, die Geheimnisse preisgab, eine Informantin, der keine noch so leise geflüsterte Wahrheit entging. Ich wusste von ausgehöhlten Büchern, von doppelten Böden in Koffern, von Geheimgängen und Tapetentüren, ich verstand mich darauf, raffiniert versteckte Fächer in Schreibtischen zu finden, versiegelte Briefe zu öffnen und wieder so zu verschließen, dass sie vollkommen unversehrt aussahen. Wenn ich in ein fremdes Zimmer einbrach, bemerkte ich das Haar, das am Schloss klebte, und brachte es nachher wieder genau so an, wie ich es vorgefunden hatte. Kein Geheimnis der dunkelsten Nacht war vor mir sicher.
Ich bemerkte es, wenn Ohren und Wangen erröteten, wenn jemand bei einem Ball am Orchester vorbeischlenderte und ganz unauffällig ein Zettelchen in den Schalltrichter der Tuba fallen ließ, wenn Hände zu nervös in Taschen fassten, wenn zu häufig ein Juwelier oder eine Schneiderin in ein Haus kam. Ich wusste von den ledernen Unterröcken, die prächtige Roben vor tröpfelndem Urin schützten, von Dienstmädchen, die blutige Lumpen im Garten vergruben, von Erstickungsanfällen und Todesängsten.
Ich konnte Angst nicht riechen, aber ich erkannte ihre Symptome: Herzrasen, geweitete Augen, zitternde Hände, aschfahle Haut. Ich bemerkte es, wenn das Gespräch ins Stocken geriet, wenn Schweigen eintrat. Ich hatte die Angst immer stärker werden sehen in Räumen, wo jedes leise Wort Argwohn erregte, wo jede Veränderung des Gesichtsausdrucks oder das Ausbleiben solcher Veränderungen beobachtet und vermerkt wurde.
Ich hätte sie warnen können, als sie in Russland ankam, diese kleine Prinzessin aus Zerbst, einem deutschen Städtchen, das gerade mal so groß ist wie der Sommergarten von Sankt Petersburg, dieses schmächtige Mädchen, das zur Kaiserin Katharina werden sollte.
Dieser Hof wird eine neue Welt für Sie sein, hätte ich ihr sagen können, schlüpfriger Boden. Lassen Sie sich nicht täuschen von freundlichen Blicken und schmeichelnden Reden, von all den großartigen Verheißungen. Es ist ein Ort, an dem Hoffnungen verkümmern und sterben, wo Träume zu Asche werden.
Sie hatte Sie auf Anhieb für sich eingenommen, unsere Kaiserin. Ihr ungekünsteltes Wesen, ihr freundlicher Händedruck, die Tränen, die sie abwischte, als sie Sie sah. Die Lebhaftigkeit ihrer Worte und Gesten, ihre erfrischende Art, sich über die Zwänge der Etikette hinwegzusetzen. »Wie freundlich und geradeheraus die Kaiserin Elisabeth Petrowna ist«, sagten Sie. Auch andere fanden das, viele andere. Aber Offenheit kann auch eine Maske sein, wie Ihre Vorgängerin viel zu spät erkannte.
Drei Jahre zuvor war unsere bezaubernde Kaiserin noch eine unverheiratete Prinzessin am Hof Iwans VI. und seiner Mutter gewesen, die als Regentin die Reichsgeschäfte führte, denn der Kaiser lag noch in Windeln gewickelt. Ein Verlobter Elisabeths war an den Pocken gestorben, andere Pläne waren durch politische Intrigen vereitelt worden, und es sah ganz so aus, als wären die Chancen der jüngsten Tochter Peters des Großen, auf den Thron zu gelangen, für alle Zeiten dahin. Die Einunddreißigjährige galt als oberflächliches, flatterhaftes Geschöpf, dessen Gedanken ganz den Tanzschritten und Garderoben der jeweils aktuellen Ballsaison gewidmet waren, nur wenige setzten auf die Macht des väterlichen Bluts in ihren Adern und behielten sie im Blick.
Die Franzosen nennen sie auch »Elisabeth die Sanftmütige«, denn an dem Tag, bevor sie Iwan VI. den Thron raubte, schwor sie auf die Ikone des heiligen Nikolaus, des Wundertäters, dass unter ihrer Herrschaft kein Todesurteil vollstreckt werde. Und ihrem Wort getreu trat sie an dem Tag des Staatsstreichs den Soldaten der Garde, die drauf und dran waren, dem kleinen Zaren die Kehle durchzuschneiden, in den Weg. Sie nahm den greinenden Säugling aus seiner Wiege und küsste seine rosigen Wangen, bevor sie ihn seiner Mutter übergab und die beiden ins Gefängnis bringen ließ.
Sie hatte es gern, wenn immer wieder daran erinnert wurde, dass seit ihrer Machtergreifung keinem ihrer Untertanen der Kopf abgeschlagen worden war, aber von abgeschnittenen Zungen und Ohren, von den zerfleischten Rücken derer, die mit der Knute gepeitscht wurden, durfte niemand reden. Auch nicht von den Delinquenten, die an ein Brett genagelt und ins eisige Wasser von Flüssen geworfen wurden. O ja, auch die Sanftmut ist eine trügerische Maske.
Ich hätte der hübschen Kleinen aus Zerbst sagen können, dass das Leben am russischen Hof ein Spiel ist, und zwar eines, bei dem alle Tricks erlaubt sind. Jeder beobachtet jeden. Es gibt keinen einzigen Raum in diesem Palast, wo Sie wirklich allein sein können. Hinter den Wänden verlaufen Geheimgänge, ein labyrinthisches System von Korridoren, durch die man, wenn man sich auskennt, ungesehen in jedes Zimmer gelangt. Wandvertäfelungen klappen auf, Regale lassen sich zur Seite schieben, versteckte Röhren leiten den Schall: Sie müssen immer damit rechnen, dass jemand Sie belauscht, jedes Wort, das Sie sprechen, kann vielleicht früher oder später gegen Sie verwendet werden. Jeder Mensch, dem Sie vertrauen, kann Sie verraten.
Man wird Ihre Schränke durchsuchen. Auch unter doppelten Böden und in ausgehöhlten Büchern sind Ihre Geheimnisse nicht sicher. Man wird Ihre Briefe kopieren, bevor man sie auf den Weg bringt. Wenn Ihre Kammerjungfer Ihnen meldet, dass ein Stück Ihrer Unterwäsche abhanden gekommen ist, so befindet es sich vielleicht in einer sorgsam verkorkten Flasche, die irgendwo in einem Magazin aufbewahrt wird für den Fall, dass man eines Tages vielleicht eine Geruchsprobe von Ihnen braucht, damit ein Spürhund Ihre Witterung aufnehmen kann.
Nehmen Sie sich in Acht! Lernen Sie die Kunst der Täuschung! Wenn man Sie ins Verhör nimmt – und mag es auch nur wie ein belangloser oder scherzhafter Wortwechsel wirken –, haben Sie nur wenige Sekunden Zeit, Ihre Gedanken zu verbergen, Ihr wahres Ich zu unterdrücken, damit Sie sich nicht verraten. Den Augen und Ohren eines Inquisitors entgeht nichts.
Hören Sie auf mich.
Ich weiß, wovon ich spreche.
Die Person, gegen die Sie keinen Argwohn hegen, ist am gefährlichsten.
Sobald sie auf den russischen Thron gelangt war, machte Kaiserin Elisabeth deutlich, dass sie entschlossen war, allein, ohne einen Ehemann an ihrer Seite, zu herrschen. Da sie keine Kinder haben würde, musste das Problem der Thronfolge auf andere Weise gelöst werden, und sie entschied sich dafür, den verwaisten Sohn ihrer Schwester, Karl Peter Ulrich, Herzog von Holstein, nach Sankt Petersburg kommen zu lassen. Als der Junge vor ihr stand, schlaksig und mager, die Augen blutunterlaufen vor Erschöpfung nach der langen Reise, drückte sie ihn an ihren wogenden Busen. »Das Blut der Romanows«, verkündete sie, »der Enkel Peters des Großen.« Sie sorgte dafür, dass er zum orthodoxen Glauben übertrat, gab ihm den Namen Peter Fjodorowitsch und machte ihn zum Kronprinzen. Er war vierzehn Jahre alt. Sie fragte ihn nicht, ob er bei ihr leben und später einmal Herrscher über das russische Reich werden wollte. Und dann, nachdem er eben fünfzehn geworden war, fragte sie ihn auch nicht, ob er eine Braut haben wollte.
Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst. Zuerst kam ihr Porträt nach Russland – ich erinnere mich noch gut an den großen Moment, als es enthüllt wurde. Solche Porträts sind nicht dafür da, eine Person möglichst wahrheitsgetreu abzubilden, vielmehr sollen sie ihre Reize ins rechte Licht setzen.
»Was?«, hörte ich den Reichskanzler Bestuschew sagen, als die Kaiserin Sophie zum ersten Mal erwähnte. »Wieso ausgerechnet sie?« Er verwies darauf, dass man durch eine wohlüberlegte Heiratspolitik russische Interessen sichern müsse. Und man müsse auch an das Machtgleichgewicht in Europa denken – Preußen werde zu stark. »Majestät sollten eine sächsische Prinzessin in Erwägung ziehen.«
Die Kaiserin unterdrückte ein Gähnen. »Ich habe noch nichts entschieden«, sagte sie. Ihr Neffe Peter saß zu ihren Füßen, seine langen weißen Finger drehten seinen mit einem Türkis besetzten Ring, als zöge er eine Schraubenmutter fest.
In den folgenden Wochen hörte ich harsche Urteile über Sophies Vater: Der Fürst sei ein Schwachkopf, ein preußischer General, der unter dem Pantoffel seiner anmaßenden Ehefrau stehe, für die der armselige Hof von Braunschweig der Inbegriff von Pracht und Herrlichkeit sei. Die Familie Anhalt-Zerbst habe gute Verbindungen, sei aber arm und versuche nun schamlos, die Aufmerksamkeit der Kaiserin auf sich zu lenken, indem sie daran erinnerte, dass Elisabeth selbst einmal beinahe einen aus diesem Haus geheiratet hätte. Diese brüchige Beziehung zu Russland sei aber auch das Einzige, worauf sich ihre ehrgeizigen Hoffnungen stützen könnten.
Als ein Lakai den roten Samtvorhang aufzog, sahen wir das Porträt einer schlanken, anmutigen Vierzehnjährigen, die vor dem offenen Kamin eines Salons stand. Das Mieder ihres Kleids war blassgrün, sie hatte die schlanken Hände in Höhe des Magens aufeinandergelegt. Entgegen allen Gerüchten, die zu uns gedrungen waren, war Prinzessin Sophie ganz offensichtlich nicht verkrüppelt, keine Kinderkrankheit hatte ihre Wirbelsäule verformt. Eine Aura von Leichtigkeit umgab sie, als setzte sie gerade zu einem heiteren Tanz an. Ihr Kinn stand deutlich hervor, sie hatte schmale, aber schön geformte Lippen. Sie war nicht eigentlich hübsch, aber frisch und munter, ein Kätzchen, das zusieht, wie ein Wollknäuel über den Boden rollt. Der Maler hatte dafür gesorgt, dass man die feine Blässe ihres Teints wahrnahm und die sanften Augen, deren Blau in so auffallendem Kontrast zu dem rabenschwarzen Haar stand. Und wir sahen in dem Gesicht den sehnlichen Wunsch gespiegelt, den Betrachtern zu gefallen.
Zögerndes Gemurmel erfüllte den Saal, undeutliche Kommentare, deren Richtung nicht klar festzulegen war: genuscheltes Lob, von dem man wieder abrücken konnte, Tadel, der sich zu einem verschleierten Kompliment umbiegen ließ – die Höflinge waren auf der Hut. Die Kunst der Täuschung, dachte ich, der Schmetterling, der die Augenflecken auf seinen Flügeln aufblitzen lässt, um sein Leben zu retten, Heuschrecken, die im Lauf des Sommers ihre Färbung verändern und sich ihrer Umgebung anpassen.
Die großen Herren und Damen des Hofs blickten immer noch auf das Bild, aber ich hatte etwas sehr viel Wichtigeres im Blick: das Gesicht der russischen Kaiserin, die das junge Mädchen musterte, das, wenn sie es wünschte, die Braut ihres Neffen werden würde. Das Gesicht, das ich zu lesen gelernt hatte.
Ein leises Seufzen war zu hören, die Unterlippe von Elisabeth Petrowna zuckte ganz leicht. Sie war ganz in sich versunken, ähnlich wie im Gebet. Über ihre rosig gepuderte Wange rollte langsam eine Träne.
Ich wandte mich wieder dem Porträt zu, und da erkannte ich, was die Kaiserin gesehen hatte. In den Zügen des Mädchens lag etwas Männliches, nur eine Andeutung, aber klar genug, ein ferner Reflex eines anderen, älteren Gesichts. Des Gesichts des längst verstorbenen Verlobten. Eine Erinnerung, die sie bewahrt hatte und die sie immer noch zu Tränen rührte.
»Herr, sei seiner Seele gnädig …«
Als ich hörte, wie die Kaiserin von Russland dieses Gebet flüsterte, wusste ich, dass die Anhalt-Zerbsts einen ersten Sieg errungen hatten.
Der Chor der Stimmen wurde lauter, aber sie waren immer noch unentschieden. Kein Höfling wollte das Risiko eingehen, das Missfallen Elisabeths zu erregen. Alle hatten wie ich schon gesehen, wie sie im Zorn den nächstbesten Gegenstand gepackt und durch den Raum geschleudert hatte, eine Puderdose, die in einer weißen Staubwolke explodierte, eine Silberplastik von Amor und Psyche, die eine hässliche Schramme im Parkett hinterlassen hatte. Alle hatten ihren Mund stumm beben sehen, als wäre ihr die Zunge abgeschnitten worden.
»Sie hat ein grünes Kleid an«, sagte der Großfürst Peter. Wenn er deutsch sprach, hatten die Laute etwas hübsch Melodisches, nur sein Russisch klang unbeholfen und harsch.
Alle Augen wandten sich ihm zu.
Der Großfürst selbst war in grünen Samt mit Goldstickereien gekleidet. Sein Gesicht war damals noch nicht von Pockennarben entstellt, es war schmal und blass, aber nicht unansehnlich. Am Tag zuvor hatte ich ihn dabei beobachtet, wie er seine Hand angestarrt hatte, als enthielte sie irgendein tiefes Geheimnis, das er angestrengt zu enträtseln versuchte.
»Was meinst du, Peter?«, fragte die Kaiserin. Sie strich den Ärmel ihres Kleids glatt, ihre Finger spielten mit den Perlen auf dem prächtig burgunderroten Brokatstoff. »Sieht sie wirklich so aus wie auf dem Bild?«
»Ja, sie ist gut getroffen«, sagte der Großfürst. »Genauso habe ich meine Cousine Sophie in Erinnerung.«
»Deine Großcousine, Peter.«
»Ja, meine Großcousine. Sie ist nicht bucklig.«
»Wer hat behauptet, sie sei bucklig?«
»Ich weiß nicht mehr.«
»Wer hat gesagt, dass sie bucklig ist?«
»Ich weiß nicht genau, mein Mohr hat es irgendwo aufgeschnappt. Aber es stimmt nicht. Sophie ist kerngesund. Wenn wir in Eutin im Garten um die Wette gelaufen sind, hat sie immer gewonnen.«
»Das ist vielleicht kein so gutes Zeichen, Euer Hoheit, wenn eine Frau so viel Energie an den Tag legt«, bemerkte Bestuschew.
Ich sah ihn an, seine grau gepuderte Perücke, die buschigen Augenbrauen, die weichen Linien seines glatten Gesichts. Sein Samtjackett war neu, elegant geschnitten, es stand ihm gut. Es hatte die Farbe von getrocknetem Blut. An der Brust trug er ein Medaillon mit dem Bildnis der Kaiserin. Ich hatte ihn mehr als einmal im Morgengrauen aus Elisabeths Schlafzimmer kommen sehen, die Kleidung zerknittert und nicht zugeknöpft, unstete Glut in den schwarzen Augen.
Ein aalglatter Politiker? Ein alter Fuchs?
Hatte er nicht bemerkt, was ich gesehen hatte? Hoffte er immer noch, die Kaiserin habe sich noch nicht für Sophie entschieden?
»Wieso, mein Lieber?« Elisabeth runzelte die Stirn.
»Kräftige Beine? Ein ausgeprägtes Kinn? Solche Frauen sind oft herrschsüchtig, so jedenfalls hat meine eigene Erfahrung mich gelehrt, Euer Hoheit.« Der Kanzler machte eine anmutige Verbeugung. Ein gedämpftes Kichern war im Hintergrund zu hören. Bestuschews Frau, die für ihre häufigen Wutanfälle bekannt war, hatte ein ausgeprägtes Kinn.
Wie ein Schauspieler, der bereits über die nächste Pointe nachdenkt, fügte er hinzu: »Eine Erfahrung, über die ich Eurer Hoheit gern bei besser passender Gelegenheit Näheres berichten will.«
Die Kaiserin wandte sich ab.
»Ich habe beschlossen, Prinzessin Sophie hierher einzuladen«, verkündete sie. »Zusammen mit ihrer Mutter. Nichts Offizielles. Das Haus Anhalt-Zerbst hat genügend Beweise meiner Gunst erhalten, um mir seinen Dank abzustatten.«
Ich sah, wie sich die Spannung bei den Umstehenden löste. Höflinge gaben eifrig ihrer Zustimmung Ausdruck und beeilten sich zu begründen, warum sie die Wahl der Kaiserin ganz ausgezeichnet fanden.
Sie war sehr heiter gestimmt an diesem Tag. Die Stickereien an den Säumen ihres Kleids blitzten bei jeder Bewegung, und ich weiß noch, dass ich mich fragte, wer es wohl bekommen würde, denn Elisabeth trug nie ein Kleid zweimal.
Das Porträt der kleinen deutschen Prinzessin mit dem erwartungsvollen Lächeln wurde zur Seite gestellt. Die Kaiserin streckte sich auf einer Chaiselongue aus, die Lakaien hereingebracht hatten, und bat den Grafen Rasumowski zu singen. In ihren Zügen war kein Zeichen von Ungeduld zu bemerken, während er die Saiten seiner Bandura stimmte. Sie wies den Großfürsten nicht zurecht, als er den Daumen in den Mund steckte und sein Zahnfleisch betastete. Eine Woche vorher war ihm wieder einer seiner verfaulten Zähne ausgefallen.
Wenn der Kanzler Bestuschew mit der kaiserlichen Entscheidung unzufrieden war, so ließ er sich davon nichts anmerken. Ich sah, wie er sich zu Elisabeth hinunterbeugte und ihr leise etwas ins Ohr sagte. Sie schlug ihn neckisch mit dem zusammengefalteten Fächer. Er nahm ihre Hand und küsste sie. Lange schwebten seine Lippen über ihren Fingerspitzen.
Ich schaute nicht weg.
Ich war damals sechzehn, ein flinkes junges Geschöpf mit rosigen Wangen, das bereits alle Illusionen verloren hatte, eines von zahllosen namenlosen Mädchen im russischen Reich, hübsch genug, dass man ihm den Hintern tätschelte oder ihm Obszönitäten zuflüsterte, wenn es vorbeiging. Ich wusste, dass der großartig klingende Ausdruck »ein Mündel der Krone« nur eine Bettlerin bezeichnete, die jederzeit fortgejagt werden konnte.
Es gab so viele wie mich, verwaiste oder verlassene Kinder, die zu Füßen der Kaiserin saßen, die alle auf ein freundliches Nicken oder ein amüsiertes Lächeln von ihr warteten, auf die hauchdünne Chance, dass die Majestät sie für wert erachtete, noch einmal genauer hinzusehen. Dass sie vielleicht auf den Gedanken kam, wir könnten ihr von Nutzen sein.
Graf Rasumowski, einst ein ukrainischer Chorsänger, der mit seinen verschleierten schwarzen Augen und seiner ausdrucksstarken Baritonstimme die Zarin in seinen Bann geschlagen hatte, räusperte sich. Wir nannten ihn den Kaiser der Nacht, und er war der nachsichtigste von allen ihren Liebhabern. Die schweren Vorhänge wurden zugezogen, Kerzen wurden angezündet. Elisabeths Gesicht schimmerte silbern in dem flackernden Licht, und die traurigen, tröstenden Akkorde ihres Lieblingsliedes klangen durch den Saal.
Wenn du jemand Besseren findest, wirst du mich vergessen.
Wenn du jemand Schlechteren findest, werden deine Gedanken mich zurückbringen zu dir.
Mein Vater war Buchbinder. In unserer Heimat Polen gab es nicht genug Arbeit für ihn, einen jungen Mann mit Frau und Kindern, der es in der Welt zu etwas bringen wollte.
Wir wären nach Berlin gezogen, wo mein Vater seinen Beruf erlernt hatte, wäre nicht Fürst Kazimierz Czartoryski, Kastellan von Vilnius, gewesen, der ihm seinen ersten Auftrag gab. Beeindruckt von seiner Handwerkskunst, versprach der Fürst meinem Vater, bei passender Gelegenheit an ihn zu denken, und er hielt Wort: Als Kaiserin Anna von Russland einige kostbare alte Bücher restaurieren lassen wollte, empfahl ihr der Fürst meinen Vater: »Das ist genau der richtige Mann für diese Aufgabe, ein Spezialist für Vergoldungen, ein echter Künstler in seinem Fach mit untrüglichem Geschmack und Phantasie.«
Das war im Frühling 1734. Ich war damals sieben und mein kleiner Bruder war eben erst geboren.
»Schreiben Sie ihm, er soll nach Sankt Petersburg kommen«, sagte die Kaiserin. »Hier hat ein Mann, der sein Handwerk versteht, eine Zukunft.«
Eine Stadt, geschaffen aus dem Willen eines einzigen Mannes, so nannte mein Vater Sankt Petersburg. Die neue Hauptstadt von Russland war den rebellischen Wassern der Newa und der brutalen Finsternis des Winters im hohen Norden abgetrotzt worden.
Wir kamen mit dem Schiff im Herbst 1734 in Sankt Petersburg an. Nur zu dritt – mein kleiner Bruder lag auf dem Friedhof in Warschau. Noch ein Sohn, der nicht groß werden und in die Fußstapfen seines Vaters treten würde.
»Da liegt unser Glück«, sagte Papa und zeigte nach vorn auf die dünne Linie, über der im Morgendunst die schwebenden Umrisse von Gebäuden aufragten wie von Kinderhand gezeichnet. Hinter uns war nur schäumendes Kielwasser zu sehen.
»Gebe es Gott.« In Mamas Stimme klang Hoffnung. In Warschau hatte eine Wahrsagerin ihr prophezeit, dass sie noch die Hochzeit ihrer Tochter mit einem mächtigen Mann erleben werde. »Er ist von Adel«, hatte die Frau gesagt und Mama lange angesehen. Es stand alles im Gewirr von Mamas Handlinien geschrieben, die Verluste, die kommen und gehen sollten, die Freude nach einer langen Reise. Mein Vater runzelte die Stirn, als er davon hörte, aber Mama war so selig, dass sie der Frau eine Silbermünze in die Hand drückte.
Meine Mutter stammte aus einer adeligen Familie, die aber so arm war, dass ihre gehobene Stellung kaum mehr war als der bloße Titel. »Ein Haus, eine Scheune, ein paar Kühe«, sagte mein Vater immer und lachte. »Man sah ihnen an, dass sie keine gewöhnlichen Bauern waren, denn bevor dein Großvater sein Stückchen Land pflügte, zog er seine weißen Handschuhe an und schnallte sich seinen Säbel um.«
Er erzählte gern von der ersten Begegnung mit meiner Mutter im Wohnzimmer einer Verwandten von ihr, wo sie, eine Nähnadel in der Hand, über ein Stück Spitze gebeugt dasaß, als er überraschend hereintrat. Er war gerufen worden, um ein paar alte Bücher abzuholen, die repariert werden sollten, sie war von ihrer Mutter zu dieser Familie geschickt worden, wo man sich bessere Zukunftsaussichten für sie erhoffte. Mama spürte seinen Blick, zuckte zusammen und stach sich in den Finger. »Sie haben mich erschreckt«, rief sie aus und saugte an der Wunde.
Er verliebte sich auf den ersten Blick in sie.
Als er ein paar Tage später wiederkam, schenkte er ihr ein Buch, das er selbst gebunden hatte, La princesse de Clèves. Nicht ohne Stolz auf ihre Französischkenntnisse zog sie meinen Papa gern ein bisschen auf, weil er ausgerechnet dieses Buch gewählt hatte. Ein Roman von einer Ehefrau, die einen anderen liebt? Von einem Ehemann, der seiner Frau nachspioniert? »Was hast du dir nur dabei gedacht?«, fragte sie.
Er hatte nichts gedacht. Er war verliebt. Er wollte keine andere als sie.
»Ein kluges Mädchen wie du sollte nicht Spitzenkrägen ausbessern«, sagte er.
Sie nahm das Buch, das er ihr geschenkt hatte. Er sah zu, wie sie ehrfürchtig die mit Goldschnitt versehenen Seiten umblätterte. Sie blickte auf und musterte seine gepflegte Erscheinung, die kräftige, aber feingliedrige Figur, die entschlossenen braunen Augen. Die Hände, die einen zerfledderten, schimmligen Band zu neuem Leben erwecken konnten. Sie hörte ihm zu, als er von Berlin erzählte, wo er zum ersten Mal Kameeneinbände gesehen und eine Oper gehört hatte.
»Einen Buchbinder willst du heiraten«, sagte meine Großmutter und seufzte, als mein Vater ein paar Wochen später um die Hand meiner Mutter anhielt. Seine Bildung, seine beruflichen Fähigkeiten interessierten sie nicht, er war ein Handwerker, das genügte ihr: Ihre einzige Tochter heiratete unter ihrem Stand. Um sie zu versöhnen, tauften meine Eltern mich auf Großmutters Namen. Sie starb noch vor meinem ersten Geburtstag.
Meine Mutter nannte mich Barbara oder Basieńka. Im Polnischen wie im Russischen kann ein Name viele verschiedene Formen annehmen. Er kann sich ausdehnen oder zusammenziehen, er kann offiziell und hart oder weich und verspielt klingen. Und mit dem Namen verändert sich die Person, die ihn trägt; er kann sie in ein hilfloses Kind oder in eine Autorität verwandeln, in eine Geliebte oder in eine Dame, in eine Freundin oder in eine Todfeindin.
Im Russischen wurde ich Warwara.
Wenige Tage nach unserer Ankunft in Sankt Petersburg begann mein Vater mit seiner Arbeit für die kaiserliche Bibliothek. »Eine Sammlung, die eines großen Herrschers würdig ist«, sagte er, »lauter Schriften weiser und gelehrter Männer.« Peter der Große hatte von seiner Reise durch Westeuropa fünfzehntausend Bände mitgebracht; viele davon befanden sich mittlerweile in einem traurigen Zustand und mussten dringend restauriert werden.
Mama strahlte vor Stolz. Jetzt zeigte es sich, dass sie den richtigen Mann geheiratet hatte, alle düsteren Prophezeiungen ihrer Mutter waren widerlegt. Was in Polen unmöglich war, würde in Russland möglich werden. Die Kaiserin Anna hatte angekündigt, sie wolle die neu gebundenen Bücher persönlich besichtigen, sobald sie fertig waren. In ihren hochfliegenden Phantasien sah Mama mich bereits als Hofdame, die schon bald die Aufmerksamkeit irgendeines hohen Herrn erregen würde.
»Sie ist doch noch ein Kind«, gab mein Vater ihr zu bedenken.
»Umso besser, denn so hast du genügend Zeit, dir einen Namen zu machen«, antwortete Mama. Die zerfledderten, schimmligen Bände der kaiserlichen Bibliothek waren in ihren Augen die Garanten künftigen Glücks, sie würden ihrem Mann zu der allerhöchsten Gunst verhelfen, die er in so reichem Maß verdiente.
Gegen Ende unseres zweiten Jahres in Sankt Petersburg hatten wir bereits ein Haus ganz für uns. Sicher, es stand in einer etwas verwahrlosten Gegend auf der Wasiljewskiinsel, wo nachts noch Wölfe über die verwilderten Felder streiften, aber wir hatten es doch weit besser als in Warschau.
Es war nur ein Holzhaus, doch es bot viel Platz und hatte einen Keller, in dem mein Vater seine Werkstatt einrichtete. Er stellte Lehrlinge ein, wir hatten Dienstmädchen und Diener, eine Köchin, eine eigene Kutsche und einen Schlitten. Ich wurde von einer französischen Gouvernante und einem deutschen Hauslehrer unterrichtet, später engagierte meine Mutter auch noch einen Tanzmeister, der, wie er ihr versicherte, früher einer Nichte der Gräfin Woronzowa feinen Schliff beigebracht hatte. Mama wollte alles dafür tun, dass ihre Tochter gerüstet war, sobald sich eine gute Partie bot.
Jeden Tag nach dem Unterricht stahl ich mich fort in Papas Werkstatt. Ich setzte mich auf einen Hocker in eine Ecke und sah meinem Vater bei der Arbeit zu, etwa wenn er bedächtig ein passendes Stück Leder aus dem Stapel neben der Tür auswählte. »Das beste Leder ist das vom Rücken«, erklärte er mir. »Das hat einen schön ebenmäßigen Farbton.« Fasziniert beobachtete ich, wie er die Schablone auf das Leder legte, sie so verschob, dass sie nur die weichen Teile ohne störende Unregelmäßigkeiten abdeckte, und schließlich die Einbanddecke ausschnitt.
Er zeigte mir Bücher, die schlecht gemacht waren und die er jetzt reparieren musste. »So etwas darf nicht passieren«, sagte er kopfschüttelnd und deutete auf eine Stelle, wo das Blattgold abgeplatzt oder von zu viel Hitze hässlich verfärbt war. Seine Rezepte für gute Arbeit waren ganz simpel: Das Messer muss scharf sein, sagte er etwa; darauf kommt es an, nicht darauf, wie viel Kraft man in den Händen hat. Genauso wie seine Lehrlinge lernte auch ich, dass man mit einem stumpfen Messer nur das Leder kaputt macht.
»Wirst du dir merken, was ich dir beibringe, Barbara?«, fragte er.
Ich atmete die Gerüche von Essig und Ruß und Leim ein und versprach ihm, dass ich es nie vergessen würde.
»Höhere Ansprüche« nannte es meine Mutter. Sie war eine praktisch denkende Frau, ihre Träume wurzelten immer in der Realität. Besaß ihr Mann nicht außerordentliche Fähigkeiten? Die Kaiserin Anna hatte ihn noch nicht empfangen, aber er war immerhin schon einmal von einer Prinzessin des Hofs in den Winterpalast bestellt worden.
Es war Mamas Lieblingsgeschichte: In einem Zimmer im oberen Teil des Palasts hatte Prinzessin Elisabeth meinem Vater eine Kostbarkeit übergeben, ein abgewetztes und zerlesenes Gebetbuch, gedruckt in großen Lettern, die ihre Augen nicht anstrengten. »Es ist ein Geschenk von einer Person, die mir sehr teuer ist«, sagte sie. »Ich weiß nicht, ob es überhaupt noch zu reparieren ist.«
Sehr behutsam nahm mein Vater das Buch und strich zärtlich über das rissige Leder des Einbands. Er musterte die Rubine und Saphire, die zu einem Kreuz angeordnet waren, und stellte befriedigt fest, dass kein Stein fehlte. Er schlug das Buch auf und blätterte darin. Er sah die losen Blätter und die brüchigen Heftfäden.
»Ja«, sagte er, »ich kann es reparieren.«
Die Prinzessin sah ihn unverwandt an.
»Es bleibt alles vollständig erhalten«, versicherte er, zog ein Taschentuch aus seiner Brusttasche und wickelte das Buch darin ein.
In den nächsten zwei Wochen polierte mein Vater die Steine und befestigte sie sicher in den Fassungen, klebte Risse im Papier und heftete und leimte die nur noch lose zusammenhängenden Lagen wieder zu einem stabilen Buchblock. Als er die Buchdecke gereinigt hatte, zeigte sich, dass das Leder weitgehend unbeschädigt war. Gutes rostfarbenes Kalbsleder, sagte er immer, braucht nur ein bisschen Birkenöl, dann hält es ewig. Am meisten hatten die goldenen Ornamente unter dem langen Gebrauch des Gebetbuchs gelitten, aber auf die Arbeit mit Blattgold verstand sich mein Vater wie kein Zweiter. Als er fertig war, konnte man nicht mehr sehen, welche Partien alt und welche restauriert waren.
Elisabeth nahm das Buch und blätterte behutsam die Seiten um, voller Staunen darüber, wie fest und heil es sich anfasste. Überwältigt von Dankbarkeit legte die Tochter Peters des Großen Papa die Hand auf die Schulter, in ihren Augen schimmerten Tränen.
Mama machte sich die schönsten Hoffnungen. Wer sich im Dienst des Zaren auszeichnet, kann in der offiziellen Rangordnung des Reichs bis ganz nach oben aufsteigen, so etwas ist schon vorgekommen, versicherte sie uns. Wenn ein Bürgerlicher in den Rang eines Hofbeamten vierzehnter Klasse erhoben wurde, durfte er sich adelig nennen, und wenn ein solcher Staatsdiener die achte Klasse erreichte, wurde ihm sogar der erbliche Adel verliehen.
»Und dann?«, fragte ich.
»Eine Prinzessin bei Hof braucht immer schöne und kluge Mädchen, die ihr dienen, Barbara. Wenn du erst einmal im Winterpalast bist, ist nichts mehr unmöglich.«
Die kaiserliche Bibliothek war im Westflügel der Kunstkamera untergebracht, in der auch die Kuriositätensammlung Peters des Großen zur Schau gestellt wurde. Es gab dort Edelsteine und Fossilien zu bestaunen, Herbarien mit Pflanzen aus der Neuen Welt und eine Sammlung von anatomischen Präparaten, die allerlei monströse Missbildungen bei Mensch und Tier für die Nachwelt bewahrten. Der Zar hatte sie aus ganz Russland zusammentragen lassen.
»Ein Museum ist ein Tempel der Wissenschaften«, sagte mein Vater, »ein Licht, das die Dunkelheit erhellt, ein Ort, an dem man die unendliche Vielfalt des Lebens studieren kann.«
Denn Peter der Große hatte eine historische Mission, und zwar die, seinem Volk das Licht der Vernunft zu bringen. Es gab keinen bösen Blick, keinen Hexenzauber, der bewirkte, dass ein gesunder Fötus sich zu einem widernatürlich missgebildeten Wesen entwickelte, vielmehr galt, was der Zar auf eine Wand der Kunstkammer hatte schreiben lassen: Der Schöpfer allein ist der Herr über alle Geschöpfe, nicht der Teufel.
Unseren Dienstmädchen freilich war das Museum nicht geheuer, und sie bekreuzigten sich jedes Mal, wenn sie an den mächtigen Türen der Kunstkamera vorbeigingen. Ihnen graute vor diesen Räumen, in denen Augen von Toten auf die Lebenden starrten, wo – wie sie glaubten – in Alkohol eingelegte menschliche Körperteile darauf warteten, dass ihre rechtmäßigen Besitzer kamen, um sie zu holen und christlich zu bestatten, wie es sich gehörte.
Jahrelang fuhr mein Vater jeden Montagmorgen zur Kunstkamera, um die Bücher auszuwählen, die in dieser Woche restauriert werden sollten. Wenn er nach Hause kam, rochen seine Kleider nach Staub und Schimmel. Die Dienstmädchen weichten sie vor dem Waschen über Nacht ein, und trotzdem, behaupteten sie, verfärbte sich am nächsten Tag das Waschwasser schwarz. Ich sah, wie sie das Kreuzzeichen schlugen – mit drei Fingern, die linke Schulter zuerst, wie es bei den Orthodoxen üblich ist –, bevor sie die Kleider meines Vaters anfassten. »Vom Teufel ist noch nie etwas Gutes gekommen«, sagten sie.
»Machen dir diese grausigen Missgeburten keine Angst?«, fragte ich Papa einmal.
Er antwortete mit einer Gegenfrage: »Sind die nicht auch natürliche Wesen – wie kann irgendetwas auf der Welt nicht nach den Gesetzen der Schöpfung geschaffen sein?« Ich sah in seinen Augen etwas wie Enttäuschung aufflackern. »Du solltest das Wort Missgeburt niemals verwenden, Barbara.«
Das hat mir zu denken gegeben bis heute. Ich achte auf Wörter, die unsere Gedanken lenken, unser Schicksal.
Eine Zunge.
Eine Informantin.
Eine Kaiserin.
Eine Spionin.
Sechs Jahre nach unserer Übersiedlung nach Sankt Petersburg starb Kaiserin Anna. Sie hatte den erst wenige Wochen alten Iwan VI. zu ihrem Nachfolger bestimmt und ihren deutschen Minister Biron zum Regenten. Die Garderegimenter waren damit nicht einverstanden: Intrigante Ausländer, so wurde gemurrt, rissen die Macht an sich und plünderten Russland aus. Was würden sie als Nächstes tun? Würden sie den orthodoxen Glauben unterdrücken? Schon bald ging die Regentschaft von Biron auf die Mutter des Säuglings Anna Leopoldowna über, doch die Klagen darüber, dass Fremde das Reich beherrschten, hörten nicht auf. Als ein Jahr später, am 25. November 1741, ein Garderegiment, an seiner Spitze Prinzessin Elisabeth, die einzige noch lebende Tochter Peters des Großen, den Winterpalast stürmte, jubelte ganz Russland. Es war höchste Zeit, so die allgemeine Meinung, dass endlich eine durch und durch russische Prinzessin das, was von ihrem Erbe noch übrig war, in Besitz nahm.
Sobald die Prinzessin an der Macht war, ließ sie die deutschen Berater der gestürzten Regentin verbannen. Ein triumphierendes Dekret verkündete das Ende der »entwürdigenden Fremdherrschaft«. Ein weiterer Ukas verbot es, den Namen Iwans VI. zu nennen. Alle Münzen mit seinem Bildnis wurden eingeschmolzen. Jedem, der sich den Befehlen der neuen Herrscherin widersetzte, sollte die rechte Hand abgehauen werden. Im April 1742 wurde die Prinzessin, die meinen Vater gebeten hatte, ihr kostbares Gebetbuch neu zu binden, zur Kaiserin des russischen Reichs gekrönt.
»Geh zu ihr«, drängte Mama meinen Vater. »Bring dich ihr in Erinnerung. Biete ihr deine Dienste an.«
Mein Vater zögerte. Er hatte nach dem Tod von Kaiserin Anna keine Aufträge mehr von der kaiserlichen Bibliothek erhalten, aber er war mittlerweile etabliert und hatte mit Arbeiten für private Kunden immer reichlich zu tun. »Es geht uns gut«, hörte ich ihn zu Mama sagen. »Wir sind glücklich und zufrieden, was willst du mehr?«
»Tu es für deine Tochter«, erwiderte sie. »Damit wir uns um ihre Zukunft keine Sorgen zu machen brauchen.«
Papa weigerte sich nicht, ihre Bitte zu erfüllen, aber er fand immer Gründe, die Sache aufzuschieben. Die Kaiserin wollte in wenigen Tagen eine Wallfahrt antreten. Es war Fastenzeit, und die Kaiserin war geschwächt. Es war kurz vor Ostern. Der Hof erwartete die Ankunft des Neffen der Kaiserin. Die Vorbereitungen für die Krönung waren in vollem Gange. Zu viele Bittsteller standen vor dem Audienzsaal Schlange.
Und dann, an einem schönen Morgen im April, als Mama in mein Schlafzimmer kam, um mich zu wecken, sah ich, wie sie die Hand auf ihren Bauch drückte und sich krümmte. »Es ist nicht so schlimm, Basieńka«, versicherte sie mir und zwang sich zu einem Lächeln. »Wahrscheinlich war eine von den Austern schlecht, die wir gegessen haben.« Sie hatte rote Flecken in den Augäpfeln.
»Es geht mir schon wieder besser«, sagte sie, als sie mir in das Kleid half, das das Mädchen zurechtgelegt hatte. »Beeil dich, Papa wartet auf uns.«
Unser Osterfest war vorbei, aber das der orthodoxen Kirche stand noch bevor; nach dem alten Kalender sollte es noch eine Woche dauern bis Karfreitag. Wir setzten uns an den Frühstückstisch, das russische Personal fastete.
An diesem Aprilmorgen roch es in der Küche nach frischem Kaffee und verbranntem Brot. Das Küchenmädchen hatte einen Laib auf die Herdplatte gelegt, um ihn zu wärmen, aber sie hatte ihn anbrennen lassen, und die Kruste der dicken Scheibe Brot auf meinem Teller war schwarz verkohlt. Papa meinte, ich sollte das Verbrannte mit dem Messer abkratzen. Ich tat es, aber das Brot schmeckte trotzdem bitter.
Nach dem Frühstück ging Papa hinunter in seine Werkstatt, und ich wartete darauf, dass Mama mich bat, ihr aus einem der französischen Romane, die sie so liebte, vorzulesen, während sie Stickarbeiten machte. Aber sie blieb stumm. Ein Schatten ging über ihr Gesicht. Sie stöhnte.
»Es ist nichts.« Sie brachte die Worte kaum heraus vor Schmerzen.
Ich erinnere mich an das leise Quietschen der Tür des Raums, in dem auf einem Regal Fläschchen mit Kräuteressenzen standen, alle ordentlich von meiner Mutter beschriftet. Ich erinnere mich an den scharfen Minzegeruch des Glasstöpsels, den meine Mutter mich zu halten bat. Sie zählte dreißig Tropfen ab, die den Zuckerwürfel in ihrer Hand grün verfärbten. Dann steckte sie den Zucker in den Mund, wartete eine Weile, bis er sich auflöste, und schluckte ihn hinunter. Sie zupfte das goldene Kettchen mit einem Medaillon der Jungfrau Maria um meinen Hals zurecht, dabei bemühte sie sich zu lächeln. Als sie mich ins Wohnzimmer führte, dachte ich daran, wie weich und warm ihre Hand sich anfühlte und dass ihre Finger genauso spitz zuliefen wie meine.
Sie sagte, sie müsse sich hinlegen, nur ganz kurz. Ich solle Papa nicht stören, er habe zu arbeiten. Wenn er nicht aufpasse, würde der Lehrling bestimmt alles verderben.
»Es lohnt sich auch gar nicht: Bevor am Mittag die Kanone auf der Festung abgefeuert wird, werde ich mich schon wieder besser fühlen«, flüsterte sie. »Ich verspreche es dir.«
»Darf ich mich neben dich legen?«, fragte ich.
»Ja.« Sie machte Platz für mich auf dem Sofa. Offenbar sah sie mir an, wie verängstigt ich war, denn sie streichelte meine Wange und ließ mich schwören, dass ich mir keine Sorgen machen würde. Ich war fünfzehn und wusste noch nichts von Versprechen, die nicht zu halten waren, von schlotternder Angst, die sich nicht vertreiben ließ.
Gegen Abend starb sie.
In den Tagen danach wankte ich durch die schweigenden Räume, voller Schrecken und Verzweiflung. Nichts als Stille war zu hören, aber ich war besessen von dem Gedanken, ich könnte Mama immer noch zu fassen bekommen, wenn ich mich beeilte. Manchmal spürte ich ihre Gegenwart, ihren seidigen Kuss, einen zärtlichen Händedruck. »Ich muss dir noch etwas sagen, Basieńka«, raunte ihre sanfte Stimme. »Etwas Wichtiges. Etwas, das du wissen musst.«
Ich drehte mich nicht nach der Stimme um, ich wollte nicht sehen, dass da nichts war.
In den langen leeren Tagen nach Mamas Tod lernte ich das Lauschen.
»Nimm sie dir«, hörte ich ein Dienstmädchen zu einem anderen sagen. Sie zeigte auf ein Paar mit Rosen bestickte Seidenstrümpfe, die meiner Mutter gehört hatten. »Der Herr merkt es nicht.«
In den Ecken sammelten sich Staubflusen, während Mädchen miteinander schwatzten, als wäre ich gar nicht da. Auf der Straße sah ich eine Frau, die eine Haube und eine Schärpe meiner Mutter trug. Auch zwei silberne Krüge fehlten.
Vor Kindern nehmen sich die Leute weniger in Acht. Sie lassen verräterische Hinweise fallen, die wie die Brotkrumen im Märchen den Weg weisen. Manchmal flüstern sie, aber ich hatte schon immer ein ausgezeichnetes Gehör. Manchmal wechseln sie die Sprache, aber in Fremdsprachen war ich schon immer gut.
»Was soll das bringen?«, sagte Papa, als ich ihn bat, den Schrank des Dienstmädchens zu durchsuchen. »Deine Mutter wird davon nicht wieder lebendig.«
Das Mädchen, das sich die Seidenstrümpfe genommen hatte, war die Erste, die krank wurde. Sie klagte über Bauchschmerzen, und ihr Gesicht war feuerrot vom Fieber. »Ich hab es schon immer gesagt: Es kommt nichts Gutes dabei raus, wenn man sich mit Ausländern einlässt«, murmelte ihr Vater, als er mit einem Karren kam, um ihre Leiche abzuholen. Bevor er ging, spuckte er aus und schüttelte drohend die Faust. Das nächste Opfer war der Lehrling des Metzgers in unserer Straße: Als er am Morgen aufwachte, war sein ganzer Rücken von einem Ausschlag wund, als hätten ihn nachts Dämonen gegeißelt.
Es sei alles unsere Schuld, hörte ich in den folgenden Tagen immer wieder Leute sagen. Die giftig zischelnden Stimmen verfolgten mich auf Schritt und Tritt, in der Küche, im Schlafzimmer, im Garten.
Wir waren Fremde, Katholiken, Polen. Wir ernährten uns nicht von vergammeltem Fleisch und Biberschwänzen, wie es andere Ausländer angeblich taten, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass wir angeblich Böses im Schilde führten. Wir waren mit dem tückischen Vorsatz in dieses Land gekommen, die Russen zu unserem lateinischen Glauben zu bekehren.
Die Dienstmädchen erinnerten an die Sünden meiner Mutter. Hatte sie nicht gesagt, es sei nichts Schlimmes dabei, wenn man das Antlitz Gottes auf Bildern darstellte? Hatte sie nicht mich zurechtgewiesen, als ich mich gedankenlos auf die orthodoxe Art bekreuzigt hatte mit drei Fingern, zuerst die linke Schulter, dann die rechte? Kein Wunder, dass sie so plötzlich gestorben war. »Kaum hat sie die Hand nach dem Brot ausgestreckt, da hat es sie getroffen«, hörte ich die Mädchen flüstern. »Natürlich – an unserem Fastentag!«
Ich weiß nicht mehr genau, wann ich das Wort Cholera zum ersten Mal hörte, aber plötzlich war es in aller Munde. Ein tückisches, bedrohliches Wort, das einen Kreis um Papa und mich zog, eine Grenzlinie, die kaum mehr jemand zu überschreiten wagte. Bevor die Köchin das Haus verließ, bat sie mich, ihren noch ausstehenden Lohn ihrem Schwager zukommen zu lassen. Am selben Tag packte der Kutscher seine Sachen und ging davon. Zwei Dienstmädchen folgten seinem Beispiel. Dann verschwand der älteste und tüchtigste von Papas Lehrlingen. Lieferanten kamen nicht mehr ins Haus, sondern legten ihre Ware auf den Eingangsstufen ab. Bekannte wechselten die Straßenseite, sobald sie uns sahen. Viele Kunden sprangen ab, und so musste mein Vater bald den letzten noch verbliebenen Lehrling entlassen.
»Die Leute haben eben Angst«, sagte Papa. »Wir müssen es durchstehen, Barbara. Es wird vorbeigehen.«
Ich versuchte ihm zu glauben.
Allen Prophezeiungen der Dienstmädchen zum Trotz verschonte uns die Cholera, und die Krankheit entwickelte sich nicht zu einer Epidemie. Niemand starb mehr in den folgenden Wochen. Der Sommer kam, und die Leute redeten wieder von anderen Dingen, aber unsere Lage besserte sich nicht. Da wir uns keine Hauslehrer mehr leisten konnten, unterrichtete mich jetzt mein Vater: Er ließ mich, während er arbeitete, aus seinen deutschen Fachbüchern vorlesen und korrigierte meine Aussprache. Die Texte waren ermüdend – es wurden darin etwa Präzisionswerkzeuge oder die Unterschiede zwischen Ledersorten und -qualitäten beschrieben –, aber ich beklagte mich nicht. Wenn ich mit meiner Lektion fertig war, brachte er mir Buchführung bei, und ich war froh darüber, etwas zu lernen, das mich in die Lage versetzte, mich nützlich zu machen.
»Ein paar schlechte Monate noch, dann geht es wieder aufwärts«, sagte er immer, wenn ich die spärlichen Einkünfte zusammengezählt hatte. Am Abend, wenn er seine heiße Milch mit Honig und zerlaufener Butter, garniert mit ein bisschen zerquetschtem Knoblauch, trank, versicherte er mir, er werde bald wieder auf die Füße kommen, schließlich wusste jeder, dass er sein Handwerk verstand, oder nicht? Die neue Kaiserin war eine Tochter Peters des Großen. Bald würden in Russland Bücher wieder etwas Wichtiges sein.
Eines Morgens im Oktober, nachdem ich meine tägliche Deutschlektion hinter mich gebracht hatte, sah ich meinem Vater zu, wie er, schweigend über seinen Arbeitstisch gebeugt, mit Blattgold den Rückentitel auf einem Einband anbrachte. Er hatte mich schon öfter auf die Schattenlinien beiderseits des gerundeten Buchrückens aufmerksam gemacht. Die Schrift durfte nicht über diese Linien hinausreichen, sonst platzte das Gold ab, sobald das Buch einige Male aufgeklappt worden war.
»Ich war im Winterpalast«, sagte Papa plötzlich. Er machte eine kleine Pause, bevor er fortfuhr. »Wie deine Mutter es wollte.«
Ich hielt den Atem an.
»Es waren viele Bittsteller da. Ich musste stundenlang anstehen, bevor ich zur Audienz vorgelassen wurde. Ich habe dir nichts davon erzählt, weil ich nicht wusste, ob es überhaupt etwas bringt. Aber deine Mutter hatte recht: Die Kaiserin hatte nicht vergessen, dass ich damals, als sie noch eine Prinzessin war, dieses Gebetbuch restauriert habe.«
Er erzählte Elisabeth von Mamas Tod und wie die Cholera sein Geschäft ruiniert hatte, sodass mittlerweile fast all seine Rücklagen aufgezehrt waren. »Aber das hat meinen Mut nicht gebrochen, Majestät, und auch nicht meinen Glauben an Russland.«
Das gefiel der neuen Kaiserin. Es freute sie so sehr, dass sie den Hof-Fourier anwies, meinem Vater die Hofjournale zum Binden zu schicken. Und sie hatte ihn nach mir gefragt.
»Bringen Sie Ihre Tochter her, ich möchte sie sehen«, hatte sie gesagt.
Mein Vater wandte sich ab, als er mir das erzählte, darum konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht sehen, aber seine Bewegungen waren unnatürlich langsam und verhalten.
Ich erinnere mich noch an den Titel des Buchs, an dem mein Vater arbeitete. Es waren Die Annalen und die Historien des Tacitus. Es war das einzige Mal, dass ich ihn gegen die Regel verstoßen sah, derzufolge die Schrift nicht über die Schattenlinien hinausreichen durfte.
Mitte November, sieben Monate nach dem Tod meiner Mutter, fuhr ich mit meinem Vater zum kaiserlichen Hof. Es war ein düsterer Tag, verschleiert von feuchtem Dunst und vom Rauch der Kamine. Die Kutsche fuhr über die Isaaksbrücke, eine Pontonbrücke, die alljährlich Ende Dezember durch die Eisbahn über die Newa ersetzt wurde. Ich schmiegte mich an meinen Vater und stellte mir vor, wie die Kaiserin mir lächelnd die Hand zum Kuss hinstrecken würde. Die Pelzdecke über unseren Knien roch leicht nach Birkenteer und Kwass. Bevor wir ausstiegen, nahm mein Vater mich auf seinen Schoß und küsste mich auf die Stirn. Er sagte, er wolle meine Zukunft sichern für den Fall, dass ihn Gott ebenso wie meine Mutter plötzlich zu sich riefe.
»Du hast niemanden, der für dich sorgt, außer mir. Ich kann nicht mehr ruhig schlafen, wenn ich daran denke, dass ich sterben könnte und dich alleinlassen müsste«, sagte er leise.
Er hielt mich ganz fest. Er roch anders als sonst, nicht nach Essig und Leim, sondern nach Eau de Cologne und Schnupftabak.
Kaiserin Elisabeth. Ich musste an die Engel denken, als ich sie zum ersten Mal sah, an lichtumflutete Boten Gottes, die ihre Flügel schützend über heimatlose Kinder ausbreiten und sie in Sicherheit bringen. Sie trug ein silbern schimmerndes Kleid, der Duft von Orangenblüten und Jasmin umwehte sie.
»Komm her, mein Kind«, sagte sie freundlich.
Ich zögerte. Einem Engel nähert man sich nicht ohne Furcht.
»Geh schon.« Ich spürte die Hand meines Vaters im Rücken, die mich mit sanftem Druck vorwärts schubste.
Zögerlich trat ich auf die Kaiserin des russischen Reichs zu, den gesenkten Blick starr auf den mit Gold und Perlen bestickten Saum ihres Rocks gerichtet. Ich betete, dass mein Knicks, den ich tagelang geübt hatte, nicht verriet, wie unwohl mir war.
Die Kaiserin fasste mir unters Kinn und hob es etwas an, sodass ich ihr direkt in die Augen sah. »Was für ein hübsches Lächeln«, murmelte sie.
Ich fühlte ihre Finger auf meinen Wangen, eine sanfte Liebkosung. Ich ließ mich von ihren Worten einhüllen, wie von der Wärme der blau-weißen Kachelöfen, die im Saal standen. Mein Vater hatte mir gesagt, die Kaiserin habe ein gutes Herz, auch sie wisse, wie es ist, wenn man seine Mutter verloren hat und mit Angst in die Zukunft blickt. Hatte sie nicht den verwaisten Sohn ihrer Schwester an den Hof geholt und ihn zum Kronprinzen gemacht?
»Wie heißt du, mein Kind?«
»Barbara«, sagte ich.
»Warwara Nikolajewna, Euer Hoheit«, verbesserte mein Vater. Es war die russische Form meines Namens, kombiniert mit dem Vatersnamen.
»Dein Vater hat mich gebeten, dich in meine Obhut zu nehmen, falls er stirbt, Warwara. Willst du das auch?«
»Ja, Euer Hoheit.«
»Schön.« Die Kaiserin sah meinen Vater an und tupfte ihm mit ihrem zusammengefalteten Fächer auf die Schulter. »Ich werde gut auf sie achtgeben, das verspreche ich Ihnen.«
Mein Vater stand etwas gebeugt und bewegungslos da, während die Kaiserin davonschritt, umringt von Höflingen, die ihre Güte priesen. Er senkte den Blick, als einige vor mir stehenblieben und mich durch ihre Monokel musterten wie einen Vogel im Käfig. Seine Hand drückte die meine; sie war kalt und verschwitzt.
Ahnte er, wie es mir ergehen würde?
Ich stand stumm und zitternd da, bis der letzte Höfling weg war und die vergoldeten Türen geschlossen wurden. Ich hätte gerne gewusst, wer von all den feinen Herrschaften der Großfürst Peter war, aber ich wagte nicht zu fragen.
Es begann zu schneien, als wir den Palast verließen. Die Kutsche wartete auf uns, der Kutscher begrüßte uns mit einem breiten Grinsen. Sein Atem stank nach Wodka. Am Ufer der Newa spielte der Wind mit losem Kehricht, einem kaputten Strohhut und einem Fetzen Sackleinwand.
Eine Gruppe Sträflinge mit kahlrasierten Schädeln, immer zwei aneinandergekettet, wurde am Fluss entlanggetrieben. Viele hatten aufgeschlitzte Nasenflügel, einigen, die wie Tataren aussahen, fehlte die Nase oder ein Ohr. Die weichen, nassen Schneeflocken fielen immer dichter, die kahlen Köpfe wurden weiß.
Unsere Kutsche bog zur Isaaksbrücke ab.
Jetzt, nachdem ich den Palast von innen gesehen hatte, kam mir die Pelzdecke noch schäbiger vor und der Kwassgeruch noch aufdringlicher.
»Das bedeutet nicht, dass ich bald sterben werde, Barbara«, sagte mein Vater. »Ich will nur für den schlimmsten Fall vorsorgen.«
An diesem Punkt begann ich zu weinen.
Ich war nicht dabei, als Papa starb. Eines Abends Ende Dezember schob er seine Schüssel Kascha mit saurer Sahne von sich weg. Er hatte keinen Appetit. Nur seine übliche heiße Milch wollte er haben – er würde sie in seinem Schlafzimmer trinken, sagte er.
Hinter uns lag unser erstes Weihnachten ohne Mama, nichts als Scherben, die kein Ganzes ergaben, ein übervoller Teller, ein Schuh, der nicht passte, ein leerer Stuhl. Ein erstickendes Gefühl von Leere überkam mich jedes Mal, wenn ich mir eingestehen musste, dass selbst die Schals in Mamas Schrank nur noch nach trockenem Rosmarin rochen.
Nur noch wenige Tage bis zum neuen Jahr, zu dem Jahr, in dem ich sechzehn werden und kein Kind mehr sein würde.
Ich hörte das neue Dienstmädchen, das mit Papas Milch nach oben gegangen war, entsetzt aufschreien und stürzte hinauf. Sie ließ mich nicht ins Zimmer, sondern machte das Kreuzzeichen über meinem Kopf und umschlang mich mit ihren Armen, dabei murmelte sie Gebete, Beschwörungen des Schicksals, ebenso vergeblich wie jede Hoffnung. In ihrer Schürze hing noch der Duft der Weihnachtsbäckerei, von Rosinen, Vanille und Nelken.
»Ruf euren Priester, Warwara«, sagte sie und verstellte mir den Weg zur Tür. »Um Gottes willen, schnell, lass den Priester holen.«
Ich stieß sie weg.
Als der katholische Priester, begleitet von einem Ministranten, kam, lag Papa auf seinem Bett, das Gesicht bleich und starr. Seine Fingerspitzen waren unnatürlich gerötet, als hätte er sie im Sterben wundgescheuert. Auf dem Tisch lag ein Blatt Papier mit Notizen in seiner Handschrift, daneben eine Schreibfeder, deren Spitze abgeknickt war.
»Ihm ist das Herz gebrochen«, sagte der Priester. Ich stellte mir das Herz meines Vaters vor, lauter ganz feine scharfe Splitter, durchsichtig wie Glas.
Das Blatt Papier enthielt keine Botschaft an mich. Er hatte nur aufgeschrieben, was am nächsten Tag alles zu erledigen war. Es hatte sich herumgesprochen, dass die Kaiserin ihm wohlgesonnen war, und es waren neue Aufträge hereingekommen. Er hatte notiert, dass er Leim bestellen musste, Werkzeuge mussten repariert, Messer geschliffen werden. Die Spitze des Polierstahls, den er am liebsten benutzte, war abgebrochen. Man musste einen anderen Platz finden, um das Leder zu lagern; er hatte Spuren von Schimmel auf einem Stück Schweinsleder entdeckt. Zum Fetten der Oberflächen am besten Mandelöl verwenden, hatte er geschrieben.
Der Priester kniete nieder und stimmte das Totengebet an. Auch ich fiel auf die Knie. Wieczne odpoczywanie, versuchte ich zu sagen, Herr, gib ihm die ewige Ruhe, aber mir blieben die Worte im Hals stecken.
Es ist alles sinnlos, dachte ich. An diesem dunklen Dezemberabend gab es nur Schweigen und Tränen.
Die neuen Aufträge hatten nicht genug Geld eingebracht, die Schulden zu decken, sagte man mir. Unser Haus und das Inventar der Werkstatt wurden versteigert. Ich sah zu, wie ein Käufer den Lieblingsteppich meiner Mutter zusammenrollte und wegtrug, wie ein anderer die Bücher meines Vaters in Kisten packte und auf einen Wagen lud. Am Ende blieben mir nur ein kleines Bündel Kleider und ein paar Rubel.
Die Kaiserin hat versprochen, sich um mich zu kümmern, dachte ich.
Im Februar 1743, in der kältesten Zeit des Jahres, begann mein neues Leben. Ein Lakai mit sauer riechendem Atem holte mich ab, brachte mich zum Winterpalast und ließ mich in einem zugigen Flur gleich hinter dem Dienstboteneingang allein. Ich solle warten, sagte er. Niemand nahm Notiz von mir, nur eine Katze, die um meine Knöchel strich. Dienstboten huschten vorbei, sie wirkten gehetzt und verängstigt. Ich hörte klatschende Schläge und Verwünschungen, eilige Schritte trippelten irgendwo auf Hintertreppen. Es war eisig kalt und ich fühlte die Angst wie einen Kloß im Hals.
Ich machte mich ganz klein und wartete.
Es dämmerte schon, als eine silberblonde Frau auftauchte. Ihr Kleid war aus schwerem Stoff und offenbar warm, denn eine Wolke von Schweißgeruch wehte mir in die Nase. Sie warf mir einen gereizten Blick zu und verscheuchte die Katze. Nichts als Ärger hat man mit diesen Tieren, klagte sie, Dreck an den Türen, verschmierte Fensterscheiben, Haare auf den Sofas. Ihr deutscher Akzent verlieh ihren Worten etwas Scharfes, Feindseliges.
»Ich bin Warwara Nikolajewna«, wagte ich zu sagen. »Die Kaiserin hat mich herbestellt.«
Die dunklen Augenbrauen der Frau zogen sich zusammen. »Ich weiß, wer du bist«, fauchte sie mit einem verächtlichen Lächeln. Sie hatte ein Schildkrötengesicht, viel zu klein im Verhältnis zu dem massigen Körper. Später sollte ich erfahren, wer sie war: Madame Kluge, die erste Kammerfrau.
»Komm mit«, befahl sie, und ich folgte ihr, mein Bündel im Arm. Die Dielen unter meinen Füßen waren abgetreten, in den Wandvertäfelungen klafften Risse, in den Ecken sammelten sich Staubflusen. Ich kam mir vor wie eine Fliege, die noch ein paar Schrittchen machen darf, bevor die Klatsche auf sie niedersaust.
Wir hatten nicht weit zu gehen. In der Küche bekam ich einen Teller dünne Suppe und eine Blechtasse Kwass. Ich musste mich mit dem Essen beeilen, denn Madame Kluge hatte es eilig. Ich schwieg, denn ganz offensichtlich interessierte es Madame Kluge nicht, was ich zu sagen hatte. Als ich fertig war, führte sie mich zu meiner Unterkunft im Dienstbotentrakt, die ich mit sechzehn anderen Mädchen teilen sollte. Es roch nach Nachttöpfen und Schimmel. Mäuse huschten unter den Betten umher, versteckten sich in den Schuhen, die dort standen. Die Katzen der Kaiserin, sagte man mir, waren zu gut genährt, um zu jagen.
»Morgen Vormittag hole ich dich ab. Ich erwarte, dass du bereit bist«, sagte Madame Kluge und ging fort.
Ich setzte mich auf das einzige leere Bett im Raum. Es war hart und schmal. Ich küsste das Medaillon mit dem Bild der Jungfrau, das meine Mutter mir geschenkt hatte. Die anderen Mädchen warfen mir neugierige Blicke zu, aber dann bekreuzigte ich mich, und da sahen sie, dass ich eine Ausländerin war, und behandelten mich von da an wie Luft.
Ich schlief schlecht, immer die Geräusche um mich herum im Ohr, das Zähneknirschen und Stöhnen, das Fauchen des Windes, der gegen die überfrorenen Fensterscheiben schlug. Es war eisig kalt. Einmal fuhr ich in panischem Schrecken hoch, weil ich eine tastende Hand fühlte, die sich unter meine Bettdecke gestohlen hatte. Mit wild klopfendem Herzen saß ich eine Weile da und starrte ins Dunkel, aber die anderen schienen alle tief und fest zu schlafen. Das Mädchen neben mir ächzte leise.
Als ich endlich wieder einschlief, kam meine Mutter zu mir und strich mit etwas Warmem und Feuchtem über meine Hand. »Gehen wir, Basieńka, die Kaiserin erwartet dich«, sagte sie, und ich folgte ihrer gespenstisch schimmernden Gestalt durchs Dunkel.
Am Morgen, als ich mich unbeobachtet glaubte, versteckte ich mein Geld unter einer losen Bodendiele neben meinem Bett. Als ich am Abend wieder nachschaute, fand ich in dem Versteck nur noch den Lappen vor, in dem die Münzen eingewickelt gewesen waren; mein Erbe war gestohlen.
Wie angekündigt erschien Madame Kluge am Vormittag. Sie hatte eine Beschäftigung für mich gefunden, in der Kleiderkammer. Meine Mutter hatte mir doch wohl zumindest das Nähen beigebracht, hoffte sie.
Sie wartete nicht auf eine Antwort.
Ich ging hinter ihr her, während sie ohne Unterlass vor sich hin schimpfte. Sie wisse schon, mit wem sie es zu tun habe: streunende Katzen, die den ganzen lieben Tag lang nur Sahne schlecken wollten. Die Leute setzten jede Menge Kinder in die Welt und überließen es den anderen, sich um die Bälger zu kümmern. Überall Schmarotzer, die auf das gute Herz der Kaiserin spekulierten. Die Sorte glaubt, das Geld wächst auf den Bäumen und man braucht nur den Mund aufzusperren, dann kommen die gebratenen Tauben angeflogen.
In der Nähstube wies mir Madame Kluge Arbeit an. »Mach dich nützlich. Ich will keine Klagen über dich hören.«
Meine Stickkünste fanden keine Gnade. Meine Stiche sahen unordentlich aus, und ich verwechselte die Farben. Meine Mutter hatte mich schlecht erzogen, bekam ich zu hören. Dann musste ich Knöpfe sortieren und annähen, aber ich tat mich schon beim Einfädeln schwer, und die Knöpfe hielten nicht.
Man sagte mir, was ich zu tun hatte, aber darüber hinaus redete niemand mit mir. Die anderen Näherinnen arbeiteten flink und geschickt und plauderten dabei über den neuen Kronprinzen. Sie bedauerten den armen Jungen, der ohne Mutterliebe aufwachsen musste. Er sei klug und freundlich, hörte ich, habe ein gutes Namensgedächtnis und könne sich jede Melodie merken, die er einmal gehört habe. Er sei erst ein Jahr hier und spreche schon so gut russisch, dass er Befehle geben und verstehen könne, was die Leute sagten. Peter Fjodorowitsch passe so viel besser zu ihm als sein alter deutscher Name Karl Ulrich. Er mochte gerne Blini und Störsuppe, auch Kascha und Pilze aß er gern. Der Enkel Peters des Großen gedieh ganz prächtig, seit er hier war.
Jetzt, da Russland einen Thronerben hatte, würde es sicher viele Feste und Maskenbälle geben, meinten die Näherinnen. Sie würden alle Hände voll zu tun haben mit der Garderobe der Kaiserin.
Wenn ich einen Vormittag lang gearbeitet hatte, waren meine Füße gefühllos vor Kälte und meine Finger zerstochen. Zum Mittagessen bekam ich eine Scheibe Schwarzbrot mit etwas dünnem Tee.
»Ist das alles, was du geleistet hast?« Madame Kluge hob das Kleid, an dem ich gearbeitet hatte, hoch und schwenkte es wie eine Fahne. Spöttisches Kichern erhob sich im Raum.
Ich senkte den Kopf und weinte stumm. Madame Kluge hielt mir ein Messer hin und sah zu, wie ich die Knöpfe wieder abschnitt, die ich angenäht hatte. Das Abendessen sei gestrichen, sagte sie, ich verdiente keine ordentliche Mahlzeit, solange ich nicht gelernt hätte, ordentlich zu arbeiten.
Auf dem Weg zurück in den Schlafsaal sah ich durch ein Fenster, auf dem Eisblumen glitzerten, hinaus ins Freie. Ein von einem Maultier gezogener Karren mit einer Ladung Fleisch machte gerade einem prächtigen Schlitten Platz, der vor dem Palast vorfuhr. Ein junger Mann stieg aus und schritt eilig auf den Eingang zu. Ich überlegte, ob es vielleicht der Kronprinz war, aber es war niemand da, den ich hätte fragen können.
Ich dachte an Körbe voller Knöpfe, an endlose Reihen von großen Lederkoffern, in denen all die prächtigen Kleider der Kaiserin in ihren seidenen Hüllen lagen, Kleider, die ich nie auch nur anfassen durfte. Ich dachte an die Fältchen um Madame Kluges dünne Lippen, an ihre keifende Stimme, an den Tropfen eitriger Flüssigkeit, die sich in ihrem rechten Augenwinkel sammelte.
Ich legte mich in das schmale Bett. Mein Magen knurrte, ich drückte mit den Fingerspitzen auf meinen Bauch. Eine der Palastkatzen spazierte durch den Raum, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Dann muss ich eingeschlafen sein, denn ich träumte: Ich aß dampfende Klöße von einem Teller, so groß wie der Mond.
Wenn die Kaiserin in der Nacht fror, so behaupteten die Näherinnen, ließ sie zwanzig Mann der Palastgarde in ihr Schlafzimmer kommen, die mit ihrem Atem die Luft wärmten.
Wenn sie einen Maskenball veranstaltete, mussten alle Frauen sich als Männer verkleiden, und die Männer trugen Reifröcke und Damenschuhe mit hohen Absätzen. Und keine Einzige der Hofdamen tanzte so anmutig übers Parkett wie Ihre Hoheit auf ihren wohlgeformten Beinen.