Der Gärtner war's nicht! - Tatjana Kruse - E-Book
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Der Gärtner war's nicht! E-Book

Tatjana Kruse

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Beschreibung

Konny und Kriemhild, beide über sechzig, führen nicht sonderlich erfolgreich eine Pension in der Provinz. Eines Tages wird die Idylle durch einen Mord gestört und die Schwestern entpuppen sich als wahre Meisterdetektivinnen …

In die Beschaulichkeit der Bed & Breakfast-Pension der Schwestern Konny und Kriemhild platzt eine Band junger Musiker, die den Haushalt ordentlich auf den Kopf stellen – bis einer von ihnen tot aufgefunden wird.

Hat der Gärtner den Gast versehentlich mit seinem Aufsitzrasenmäher umgefahren? War es wirklich ein Unfall? Oder nicht doch Mord? Kurzentschlossen nehmen die Schwestern die Ermittlungen selbst in die Hand – ihr Haus, ihre Regeln.

All das vor den Augen eines zufällig anwesenden Hotelkritikers. Und der Pensionskatze: dem unsäglich hässlichen Sphynx-Kater Amenhotep.

Das Chaos ist perfekt!

»Wenn Tatjana Kruse über ältere Damen schreibt, dann ist das, als würde Guy Ritchie auf Agatha Christie treffen. Einzigartig in der deutschen Krimiszene und sowas von hinreißend!« Simone Buchholz, ›Blaue Nacht‹

»Gib dem Leben einen Gin: Wenn ich tauschen dürfte für eine Nacht, dann käme nur Tatjana Kruse als Körper- Geist- und Schreibtauschpartnerin in Frage.« Nina George, ›Das Lavendelzimmer‹

»Tatjana Kruse ist mit so viel Humor gesegnet, dass ich mich auf jedes Treffen mit ihr mordsmäßig freue.« Ingrid Noll, ›Die Apothekerin‹

»Tatjana Kruse ist der Champagner unter den deutschen Krimiautoren.« Bernhard Aichner, ›Die Totenfrau‹

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Seitenzahl: 346

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Konny und Kriemhild, beide über sechzig, führen nicht sonderlich erfolgreich eine Pension in der Provinz. Eines Tages wird die Idylle durch einen Mord gestört – und die Schwestern entpuppen sich als wahre Meisterdetektivinnen …

In die Beschaulichkeit der Bed-&-Breakfast-Pension der Schwestern Konny und Kriemhild platzt eine Band junger Musiker, die den Haushalt ordentlich auf den Kopf stellen – bis einer von ihnen tot aufgefunden wird.

Hat der Gärtner den Gast versehentlich mit seinem Aufsitzrasenmäher umgefahren? War es wirklich ein Unfall? Oder nicht doch Mord? Kurzentschlossen nehmen die Schwestern die Ermittlungen selbst in die Hand – ihr Haus, ihre Regeln.

All das vor den Augen eines zufällig anwesenden Hotelkritikers. Und der Pensionskatze: dem unsäglich hässlichen Sphynx-Kater Amenhotep.

Das Chaos ist perfekt!

Tatjana Kruse, Jahrgangsgewächs aus süddeutscher Hanglage, wuchs in einem reinen Frauenhaushalt auf – das erklärt sicher manches. Zudem befand sich dieser Frauenhaushalt in einem Kleinstadthotel, das von ihrer Mutter geleitet wurde. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Tatjana Kruse das literarisch aufarbeitete. Mittlerweile ist sie von Beruf Kriminalschriftstellerin. Mehr unter www.tatjanakruse.de

TATJANA KRUSE

DER GÄRTNER WAR'S NICHT!

Die K&K-Schwestern ermitteln

eBook Insel Verlag Berlin 2017

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 4565.

© Insel Verlag Berlin 2017

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Umschlag: zero-media.net, München

Umschlagfoto: FinePic©, München

eISBN 978-3-458-75198-4

www.insel-verlag.de

In 29 Schritten zur Lösung

Akt eins: Trügerische Idylle

1.  Idylle … [Substantiv, feminin], trügerische … [Adjektiv]

2.  Willkommen im Paralleluniversum … in dem sich Dinosaurier und Homo musicus dieselbe Welt teilen

3.  Kurzer Zwischeneinschub: Wie man sich als Pensionswirtin nicht verhalten sollte

4.  90-60-90, aus Silikon

5.  Stern oder nicht Stern … das ist hier nicht die Frage

6.  Das Fleischesser-Manifesto (Hohepriesterin Kriemhild hält das Wort zum Sonntag)

7.  Liebe – so sauber, wie in Sagrotan gebadet

8.  Trösterchen I

9.  Trösterchen II

10. Zoff und Zeitzeugnisse (Ein Morgen im Leben der K&K-Schwestern)

11. Knüpft ihn auf, den Hund!

12. Der Tod & andere ungebetene Gäste (Vier Leichen, ohne Dessert)

Des Grauens zweiter Akt

13. Wie die Sardinen, nur ohne Öl

14. Kapitel 14 … bei dem Leute, die ständig Cat Content in den Sozialen Medien posten, gaaanz breit grinsen werden, weil: Cat Content!

15. Hütet euch vor der dunklen Seite der Macht!

16. Zwischenspiel mit Leiche

17. Ein Zombie namens Gabi

18. Hochnotpeinliche Befragung mit Nacktschnecke

19. Voll enthemmt auf Kukident

20. Leben ist das, was passiert, während du dabei bist, andere Pläne zu schmieden

21. Impuls-Kontroll-Störung für Fortgeschrittene (Die Schnüffelschwestern in Aktion)

22. J'accuse!

Sind wir schon im dritten Akt?

23. Wenn du über jemanden nichts Gutes sagen kannst, dann halt die Klappe … und schreibe alles, alles auf!

24. Frau Klum, Herr Hirsch und die Beißhemmung der Geißeltierchen

25. Die fünf Tode des Herrn B.

26. Ein Wort mit 32 Buchstaben

27. Shaun, Dolly und das wollige Grauen

28. Vom Leben durchgekaut und ausgespuckt …

29. Die Geister, die ich nicht rief …

Das letzte Ahoi des Kommodore – Epilog

Akt eins: Trügerische Idylle

Liebe Kummerkasten-Konny,

eines Morgens, ich war 45, bin ich in die Küche gegangen, um mir einen Kaffee aufzubrühen, und als ich wieder herauskam, war ich 59. Das habe ich mal wo gelesen, und es trifft voll auf mich zu. Wo sind die Jahre geblieben? Ich war immer sehr stolz auf mein Aussehen, jetzt aber habe ich – trotz Sport! – Hängewangen. Als Nächstes dann Hämorrhoiden, Inkontinenz und Krampfadern, oder? Ich kann ins Wasser gehen. Wofür lohnt es sich noch zu leben?

Fragt sich Regina (ehemalige Weinkönigin)

Liebe Regina,

lassen Sie einen alten Menschen nicht Ihren Körper entern! Ja, ja, das Altwerden ist nichts für Schwächlinge, aber he, was ist die Alternative?! Es gibt ja Leute, die sagen: »Eigentlich wollte ich die Welt erobern. Aber es regnet.« Lassen Sie sich von Kleinigkeiten wie Brustlappen, die Sie sich über die Schultern werfen können, nicht die Freude daran verderben, dass Sie immer noch da sind! Sie können nicht verhindern, dass Sie alt werden. Aber Geburtstage sind noch lange kein Grund, älter zu werden. Erst mal dankbar sein: Alt zu werden ist ein Privileg, in dessen Genuss nicht alle von uns kommen. Wobei natürlich nicht jeder wie Wein altert … manche altern auch wie Milch. Aber Sie, als ehemalige Weinkönigin, werden das schon meistern. Prösterchen!

Ihre Konny

Idylle … [Substantiv, feminin], trügerische … [Adjektiv]

Großer Gott, was für ein Gesülze, dachte Konny und schüttelte sich innerlich. Nicht wegen der Message. Sie stand voll hinter jedem einzelnen Wort. Nur wegen der blumig-braven Ausformulierung. Am liebsten hätte sie dieser jammerlappigen Barbie eine virtuelle Ohrfeige versetzt. Das sahen allerdings die Redaktionsvorgaben nicht vor. Bis Redaktionsschluss musste Konny zweihundert Wörter liefern, und Redaktionsschluss war in zehn Minuten. Also war's das jetzt. Konny drückte auf »senden«.

Im Grunde war es ihr, der ehemals investigativen Journalistin, peinlich, für eine Frauenzeitschrift zu schreiben. Happy 50+ – das Lifestylemagazin für aktive Best Agers. Zielgruppenunabhängig gingen Frauenzeitschriften ja immer nach demselben Schema vor, kennt man ja: auf Seite eins bis zehn: Akzeptiere dich so, wie du bist! Seite elf bis zwanzig: Verliere fünfzehn Kilo in vier Wochen. Seite einundzwanzig bis dreißig: Leckere Tortenrezepte.

Hallo?

Aber mit dem Honorar unterhielt Konny sich, ihre Schwester und ihren Gärtner. Die Pension warf nichts ab. Noch nicht, wie Konny inständig hoffte. Ihre Schwester Kriemhild sah das skeptischer.

Wenn man an den Teufel denkt …

»Konniieeee!«, rief Kriemhild mit ihrer durchdringenden Stimme von unten aus dem Keller. Durchdringend und in einer Frequenz, die knapp davor war, dass nur noch Fledermäuse sie hören konnten und sie den Putz von der Decke rieseln ließ.

»Waaas?«, brüllte Konny zurück.

Draußen vor dem offenen Fenster schreckte ein Spatz aus dem Efeu hoch.

»Was ist das für ein Fleck auf deiner Leinenbluse?«

Seit sie vor einem Jahr aus ihrem ehemaligen Elternhaus eine Pension gemacht hatten, teilten sie die Arbeit strikt untereinander auf. Kriemhild kochte, wusch und putzte, Konny erledigte die Reservierungen und – wegen ihrer größeren sozialen Kompetenz – die Gästebetreuung.

Gäste, die es im Moment nicht gab.

Konny seufzte. Wegen der fehlenden Gäste. Und wegen des Flecks.

»Keine Ahnung«, brüllte sie zurück.

Obwohl eine innere Ahnung, die man durchaus auch als zarte Gewissheit bezeichnen könnte, ihr sagte, es müsse sich um einen Rotweinfleck handeln. Hatten sie nicht vorgestern Abend draußen auf der Terrasse noch einen Schlummertrunk zu sich genommen? Kriemhild hatte wie immer – und trotz des lauen Sommerabends – an einer heißen Schokolade genippt, Konny an einem kräftigen Franzosen. Leider keinem aus Fleisch und Blut, sondern aus vergorenen Trauben. Vielleicht hatte sie daneben genippt. Konny war in solchen Dingen nicht penibel. Das überließ sie Kriemhild.

»Die Bluse muss in die Reinigung«, dröhnte Kriemhild. Auf dem langen Weg vom Waschkeller ins Büro verloren ihre Schallwellen nicht an Wucht. Beinahe das Gegenteil war der Fall. Kriemhild hatte ihre Schallwellen unter Kontrolle. Wie sonst auch alles. »Obwohl es humaner wäre, das Teil einfach zu verbrennen!«

»Untersteh dich!«, brüllte Konny, die schon heiser wurde, weil ihr das nötige Brüllaffentraining fehlte. Sie hatte eben nie einen schwerhörigen Seebären geheiratet.

Konny war die jüngere der beiden Schwestern. Um exakt vierzehn Minuten jünger. Sie war drall, hatte eher eine Hummelhüfte als eine Wespentaille, und sah immer erst mal das Gute in allem. Eine Seele von Mensch.

Ganz anders Kriemhild. Fast einen Kopf größer als ihre Schwester und nur halb so breit, mit stets fest zusammengepressten Lippen. Konny, die sie schon ihr ganzes Zwillingsleben lang kannte, wusste, dass die nach außen sichtbare Grundmissbilligung von allen und allem nichts damit zu tun hatte, dass Kriemhild vom Leben unbotmäßig gebeutelt worden wäre, obwohl sie das war. Nein, sie hatte schon als Embryo im Mutterbauch die Lippen zusammengepresst und immer ein wenig unzufrieden geguckt.

Das war über sechzig Jahre her.

Wer an sie beide dachte, dachte aber nicht: »Was für zwei süße, alte Damen«, er dachte: »Großer Gott, was haben sie jetzt wieder angestellt?«

Konny war immer schon ein verrücktes Huhn gewesen, hatte als Kind ständig irgendeinen Schabernack getrieben, liebte es auch später noch, Regeln zu brechen und als freiberufliche Journalistin beispielsweise über das zu schreiben, was andere gern zugedeckelt hätten. Sie hatte zahlreiche Affären gehabt und sich den Wind des Lebens um die Nase wehen lassen – was nach Freiheit und Abenteuer klang, und das zu Recht, was aber auch bedeutete, dass sie mit über sechzig unverheiratet war und mehr oder weniger mittellos dastand. 

Kriemhild hatte dagegen regelkonform gelebt, war Lehrerin geworden, ohne je in ihrem Beruf zu arbeiten, weil sie mit Kindern ebensowenig konnte wie mit Erwachsenen, hatte bei einer Hamburg-Reise einen sehr viel älteren, ehemaligen Hochseeschifffahrtskapitän kennen- und lieben gelernt, der aber auf seinen Fahrten ebenfalls nicht reich geworden war. 

So gesehen, traf es sich gut, dass vor zwölf Monaten ihre alte Lieblingstante Barbara gestorben war. Mit 102. Da war die Hebamme auch nicht mehr schuld. Einhundertundzwei ist ein gesegnetes Alter, da darf man ruhig mal einschlafen und nicht mehr aufwachen. Was Konny und Kriemhild in ihrer Kindheit nicht gewusst hatten und erst nach dem Unfalltod ihrer Eltern erfuhren, als beide schon lange aushäusig lebten und liebten und arbeiteten: Das Haus ihrer Kindheit, ihr Elternhaus, gehörte in Wirklichkeit Tante Barbara. Und die zog dann auch bis zu ihrem eigenen Ableben ein. Mit Gudrun, der Nenn-Tante von Konny und Kriemhild, mit der Barbara fast sechzig Jahre liebevoll zusammengelebt hatte, ein Fakt, der in der Familie nie thematisiert worden war. Die beiden hatten keine Kinder, und Gudrun war wenige Monate vor Barbara gestorben. So fiel das Haus an Konny und Kriemhild, die spontan beschlossen, für ihre eigene Altersabsicherung eine Bed-&-Breakfast-Pension daraus zu machen. Eine Villa im Grünen, in der Nähe einer süddeutschen Kleinstadt, in einer touristisch bestens erschlossenen Gegend – da hatte auch die Bank ein Einsehen und finanzierte den Einbau von sieben Nasszellen in den Zimmern des ersten Stocks. So weit, so gut. Wenn jetzt nur noch mehr Gäste kämen … 

Konny klappte ihren Laptop zu. Wie aufs Stichwort rollte ein Fleischball heran und ließ sich auf dem noch warmen Elektronikteil nieder. 

»Amenhotep, mein Schöner«, gurrte Konny. 

Schönheit lag ja bekanntermaßen im Auge der Betrachterin. Im alten Ägypten hielt man Katzen für Götter. Die Katzen haben das nicht vergessen. Amenhotep schon gar nicht. Auch wenn er für Außenstehende nichts weiter war als ein fetter Sphynx-Kater mit Mundgeruch und permanent schlechter Laune. Ja, genau, ein Sphynx-Kater, im Volksmund auch gern »Nacki« genannt. Ein Kater ohne Fell. Das beleidigte das Schönheitsempfinden mancher Ästheten, war aber positiv, weil selbst katzenallergische Pensionsgäste gut mit ihm klar kamen und seine Nacktheit ihn nicht daran hinderte, als fleißiger Soldat durch die Villa zu patrouillieren und jede Maus zu killen, der er ansichtig wurde. Und er war ein verdammt guter Mäusejäger, wie Konny in diesem Moment feststellen musste. 

»Igitt, Amenhotep!« 

Nonchalant hatte er gerade einen abgebissenen Mäusekopf auf die Schreibtischplatte gespuckt. Seine riesigen, leicht schräg stehenden, türkisblauen Augen blickten stolz. Ich bin der Beste, der Größte, der Schönste!

Konny wickelte ein Papiertaschentuch um die Beute ihres Inhouse-Raubtieres und trug sie in die Küche. 

Wo sie schon da war, konnte sie sich auch gleich eine Tasse Tee machen. 

In der Spüle türmte sich das dreckige Geschirr. Es gab ja immer zwei Sichtweisen auf das Leben. Konny sah das Geschirr und hielt es für eine sensibel angelegte Installation mit dem Titel »Das Gesicht des Alltags – im Spannungsfeld zwischen Intimität und Spröde des Daseins«. Eine andere, reaktionäre Lesart des Kunstwerks wäre natürlich: »Keiner hat Bock auf Abwasch.« Konny sortierte ein paar Teller neu, damit sie den altmodischen Wasserkessel unter den Wasserhahn halten konnte. 

Die wenigen Gäste, die sie bisher gehabt hatten – die meisten waren durch Mund-Propaganda auf sie aufmerksam geworden –, fanden den altmodischen Charme des Hauses unwiderstehlich. Einer hatte das sogar auf TripAdvisor geschrieben: Bezauberndes B&B, von außen wie die Villa aus Psycho, innen liebevoll bis ins letzte Detail eingerichtet – mit knarzenden Dielen, Kronleuchtern, Himmelbetten und Meißner Porzellan. Geführt von zwei reizenden, alten Ladys. Altmodischer Charme vom Feinsten. Ich gebe fünf Sterne.

In Wirklichkeit hatten sie einfach kein Geld, um sich neu auszustatten. Was sie nicht geerbt hatten, stammte vom Flohmarkt. 

»Konniieeee!«, brüllte Kriemhild. »Schick Herrn Hirsch runter, die Waschmaschine zickt!« 

»Ist guuuut.« 

Herr Hirsch fuhr am anderen Ende des Grundstücks, dort, wo der Wald anfing, sehr vergnügt auf seinem Aufsitzrasenmäher herum. Die Waschmaschine musste warten. Hoffentlich gelang es ihm, sie wiederzubeleben. Bettwäsche und Handtücher der Gäste wurden vom Wäscheservice der Adretta-Reinigung professionell und porentief gesäubert, aber ihre Privatwäsche wuschen sie natürlich hier im Haus. Und weil Konny Vorratshaltung jedweder Art abging, hatte sie – sollte die Waschmaschine den Geist aufgeben – ab morgen nichts mehr anzuziehen und müsste sich neue Unterwäsche kaufen.

Konny warf einen Teebeutel in eine der Porzellantassen, die zu angeschlagen waren, um sie den Gästen vorzusetzen. Es war feinster Schwarztee aus Kenia, von einem Exil-Briten nach London exportiert, dort in formschöne 3D-Beutel portioniert und per online-Bestellung zu ihr weitergeleitet. Nicht billig, aber »bestes Tee von Welt«, wie ihr indischer Paketbote zu sagen pflegte, wenn sie ihm eine Tasse davon anbot. Wobei Konny schwer davon ausging, dass er ihn für indischen Tee hielt. Dieser Tee war derzeit ihr einziger Luxus. Ja, das Leben war schön. Aber teuer. Man konnte es natürlich auch billiger haben, aber dann war es nicht so schön. 

Das Telefon klingelte. 

»Ich geh schon«, rief Konny. 

»Was?«, dröhnte es aus dem Waschkeller. 

Amenhotep lag immer noch auf dem zugeklappten Laptop. Er schaute Konny aus halb geschlossenen Augen an. Wer wagt es, mich in meinem Schönheitsschlaf zu stören?

Konny setzte sich auf ihren Schreibtischstuhl. Vermutlich war das die Redaktion der Frauenzeitschrift. Wenn gekürzt werden musste, wurde das wegen der Dringlichkeit am Telefon geklärt. 

»Ja?«, meldete sie sich daher wortkarg an dem alten Bakelit-Teil, das vermutlich so alt war wie sie selbst, aber immer noch treu seinen Dienst versah. Tonnenschwer lag der Hörer in ihrer Hand. 

»Äh … bin ich da richtig? Bed-&-Breakfast K & K?« 

Huch, potenzielle Gäste! 

»Ja, da sind Sie richtig. Entschuldigen Sie bitte. Ich hatte jemand anderen erwartet.« 

»Kein Problem. Guten Tag. Ich war mir nur unsicher … ich hatte bei Google Bed-&-Breakfast in einem Umkreis von hundert Kilometern von Stuttgart eingegeben und bin auf Ihre Homepage gestoßen, aber ich war mir gar nicht sicher, ob Sie noch … äh … aktiv sind. Es gab auch gar keine Fotos.« 

Die Homepage. Konny nahm sich vor, endlich mal Bilder einzustellen und die Seite grundsätzlich etwas aufzupeppen. »Wie schön, dass Sie trotzdem angerufen haben.« 

»Sie sind nicht meine erste Wahl«, räumte die Stimme ein. »Eher meine letzte Hoffnung.« 

Konny schürzte die Lippen, sagte aber nichts. Sie war mit Beten beschäftigt. Bitte lass sie ein Zimmer reservieren, bitte lass sie ein Zimmer reservieren … 

»Also … ich rufe wegen einer Reservierung an.« 

Yessss! Konny nickte dankbar in Richtung Decke und rotierte fröhlich mit den gerundeten Hüften. 

»Einen Moment bitte …« Mit der freien Hand wollte sie Amenhotep vom Laptop heben. Wenn er aber nicht weggehoben werden wollte, machte er auf nasser Sack und wog schlagartig gefühlte zwanzig Kilo mehr. Konny klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter und nahm beide Arme, dann klappte sie den Laptop auf und klickte sich zu der Seite mit den Reservierungen. »So … an welches Datum hatten Sie denn gedacht?« 

»An sofort.« 

»Wie bitte? Jetzt gleich?« 

Die Stimme am anderen Ende klang noch sehr jung, aber schon routiniert. Und ein klitzekleines bisschen peinlich berührt. »Nein, nein, sorry, da habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Erst ab morgen. Wir benötigen sieben Übernachtungen. Für fünf Personen.« 

Jackpot! 

Konny war klar, dass sie eigentlich so tun sollte, als müsse sie mit Gästen und Zimmern jonglieren, um den Nimbus des stets nachgefragten Hauses zu zementieren, aber sie war ein offener, ehrlicher Mensch und zu solchen Spielchen gar nicht fähig. »Kein Problem, das lässt sich einrichten.« 

Vor dem Fenster fuhr Herr Hirsch auf seinem Aufsitzrasenmäher vorbei. Er winkte ihr zu. 

»Echt jetzt?« Die Stimme klang erstaunt. 

»Ja. Wir sind gerade schwach belegt.« 

»Gott sei Dank, ich war echt schon am Verzweifeln. Die anderen Pensionen haben alle abgewunken.« 

Okay, sie waren also die Letzten auf der Liste. Aber wie hieß es doch so schön: Die Letzten werden die Ersten sein … und am besten lachen. 

»Wie schön, dann sind wir jetzt beide glücklich. Und Sie haben die Pension quasi ganz für sich.« 

Das quasi war dem Umstand geschuldet, dass ein Zimmer angefragt worden war, von einem Herrn Bettenberg, aber er hatte sich auf ihre Mail nicht mehr gemeldet. Womöglich kam der gar nicht. Doch selbst wenn, es würde perfekt aufgehen.

»Toll! Dann möchte ich hiermit fest reservieren.« 

»Sie haben ja gar nicht gefragt, was die Zimmer kosten«, sagte Konny. 

»Geld spielt keine Rolle.« 

Konny ging das Herz auf. 

»Ich sollte Ihnen aber sagen, dass ich von der Künstleragentur Brandauer anrufe und die Zimmer nicht für mich, sondern für die Mitglieder der Band Cordt reserviere. Sie haben vielleicht schon von ihnen gehört?« 

»Ja, ich glaube schon«, hörte Konny sich sagen, obwohl sie nicht die leiseste Ahnung hatte, wer oder was Cordt war. Der Name Brandauer kam ihr allerdings irgendwie bekannt vor. 

»Wie Sie sicher verstehen werden, legen wir größten Wert auf Diskretion. Wenn Sie bitte niemand erzählen würden, wen Sie beherbergen werden?« 

»Selbstverständlich!« Fünf Personen für sieben Nächte, das machte summa summarum … Kopfrechnen war nicht Konnys Kernkompetenz. Aber die Summe war jedenfalls bombastisch. Zumal wenn sie für jedes Zimmer den Höchstpreis ohne Rabatt in Rechnung stellte, vielleicht sogar mit einem kleinen Sofortbelegungszuschlag, weil Geld ja offenbar keine Rolle spielte. 

»Perfekt! Ich bestätige Ihnen das gleich noch per E-Mail. Ach, da fällt mir noch ein, die Musiker ernähren sich vegan. Aber das ist ja sicher kein Problem.« 

»Nein, selbstverständlich nicht«, log Konny, ohne mit der Wimper zu zucken. 

»Ab wann stehen die Zimmer zur Verfügung? Die Band wird eventuell etwas früher anreisen. Möglicherweise sogar schon vormittags. Wir bezahlen dann natürlich gern eine zusätzliche Nacht pro Zimmer.« 

Himmel, das wurde ja immer besser! 

»Kein Problem, wann immer die Musiker anreisen, die Zimmer werden bereit sein.« 

»Bestens. Dann bedanke ich mich bei Ihnen.« Die junge Frau klang erleichtert. Sehr erleichtert. Hätte das Konny zu denken geben müssen? 

Konny strahlte. »Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören.« 

Und so war es passiert. Sie waren ausgebucht. Eine ganze Woche lang. 

»Kriemhild! Wir kriegen Gäste!« 

Wenn Konny glücklich war, legte sie immer ein kleines Glückstänzchen aufs Parkett. Eine Mischung aus Line Dancing, Bollywood und Derwischkreiseln. Amenhotep suchte sein Heil in der Flucht. 

»Hurra! Champagner!«, jubilierte Konny. 

Kriemhild kam ins Büro. »Gäste?« Sie klang fast erstaunt. Aber jedenfalls nicht fröhlich. 

»Musiker. Eine Band namens Cordt.« Konny war es völlig egal, welchem Musikstil die fünf frönten – ob sie ein klassisches Quintett oder eine Heavy-Metal-Band waren. Eine Woche lang ausgebucht! Tscha-tscha-tscha! 

»Ach, diese Rip-Ropper.« 

Konny hielt abrupt inne. »Diese was?« 

»Du weißt schon … Rip-Ropper.« Kriemhild hörte Deutschlandradio Wissen. Immer schon. Sogar nach der Verjüngungskur des Senders. Sie fand, dass Wissen gebildet klang, auch wenn man zwischen den intelligenzsteigernden Wortbeiträgen mit Jugendkulturmucke zugedröhnt wurde. 

»Du meinst Hip-Hopper. Oder Rapper.« 

Kriemhild hasste es, wenn sie korrigiert wurde. »Ich meine diese jungen Waldorfschüler, die sich gegenseitig Beleidigungen vortanzen.« 

»Das sind Breakdancer.« 

»Wie auch immer … ich hoffe, sie können sich benehmen.« Wenn es nach Kriemhild ginge, würden sie immer erst Leumundszeugnisse einholen, bevor sie einem Fremden Gastrecht gewährten. »Hast du Herrn Hirsch von der Waschmaschine in Kenntnis gesetzt?« 

Der fuhr gerade in der anderen Richtung wieder am Fenster vorbei und winkte. Er wirkte beschwingt. Andere Männer mochten von einem Ferrari träumen, Herr Hirsch brauchte weiter nichts zu seinem Glück als seinen Aufsitzrasenmäher. 

Kriemhild schnaubte. »Nein, natürlich hast du das nicht. Um alles muss ich mich selber kümmern.« 

»Dafür fahre ich jetzt in die Stadt und kaufe ein. Die Gäste haben diätetische Sonderwünsche.« Vor lauter Freude umarmte Konny ihre Schwester, die ihre Umarmung steif wie ein Bügelbrett über sich ergehen ließ. »Bis später.« 

Dass sie Lebensmittel einkaufen wollte, war frech geschwindelt. Sie hatten alles im Haus, auch Grünzeug. Aber da jetzt wieder Geld in die Kasse kam, konnte sie endlich zum Frisör. Es wurde höchste Zeit, dass sie nicht länger aussah, als hätte sie sich die Haare nach einer Zombie-Apokalypse mit der Machete in Form gesäbelt. 

»Wirst du mich vermissen, du Süßer?«, fragte sie Amenhotep, der mittig in der offenen Haustür lag und ein Sonnenbad nahm. 

Er sah auf und bedachte sie mit einem emotionslosen Blick. Und wer waren Sie gleich noch mal …?

Konny nahm sich fest vor, in ihrem nächsten Leben Hundemensch zu werden. 

Sie lief zum Schuppen, um ihren Roller zu holen, wie sie ihn nannte. Aber natürlich war sie keine stereotype alte Dame, die mit einem Helm mit Blümchenmuster auf einer Vespa im Schneckentempo durch die Landschaft gurkte. Kalt, ganz kalt. 

Keine fünf Minuten später röhrte etwas im Schuppen auf, und Konny kam auf ihrer Harley Davidson Fat Boy FLSTC Custom mit Schaltgetriebe herausgebraust, auf dem Kopf einen schwarzen Helm mit Totenschädel. 

Was auch sonst?! 

Liebe Kummerkasten-Konny,

»sechzig ist das neue vierzig, siebzig ist das neue fünfzig«, kann man heutzutage in jeder Frauenzeitschrift lesen. Strahlende Grauhaarige mit Model-Maßen im Fitnessstudio allüberall. Wahlweise strahlende Grauhaarige beim Abschluss ihres Master-Studienganges. Ich bin aber nicht mehr fit, weder im Kopf noch im Körper. Soll ich mir den Gnadenschuss geben?

Alt und apathisch, Gerda (68 und sieht auch so aus)

Liebe Gerda,

schauen Sie nicht auf andere, konzentrieren Sie sich auf das, was Ihr Leben lebenswert macht: die Menschen, die Sie lieben, Ihre Haustiere, die Natur, Ihr Handicap im Golf. Das reicht vollkommen.

Sie müssen absolut gar nichts erreichen. Seien Sie einfach dankbar, dass es Sie gibt. Sie hätten ja auch als Regenwurm geboren werden können oder als Schüssel Hummus. Aber nein, Sie sind Sie, und das schon so lange, dass Sie genau wissen, was Ihnen gefällt und was nicht. Mit zunehmendem Alter wird das Leben besser – weil Sie sich ein Ei darauf pellen können, was andere denken. Legen Sie Lippenstift auf und gehen Sie den Tag an! Tun Sie, worauf Sie Lust haben. Mit Gusto! Und am Ende des Tages sollten Sie schmutzige Füße vom Barfußlaufen, zerzauste Haare und leuchtende Augen haben.

Ihre Konny

PS: Wenn wir älter werden, sollten wir nicht jünger aussehen, sondern glücklich!

Willkommen im Paralleluniversum … in dem sich Dinosaurier und Homo musicus dieselbe Welt teilen

Kriemhild pflegte jeden Morgen aus dem Bett zu hüpfen wie Toast aus dem Toaster. Konny war eher so die Semmel, die mit der Butterseite nach unten fällt. Und liegen bleibt. 

Bis Amenhotep kam und sich punktgenau so auf ihr Gesicht legte, dass ihr die Luftzufuhr abgeschnitten wurde. Damit sie aufstand und ihn fütterte, wogegen sich Kriemhild mit den Worten »Es ist dein Kater« stets verweigerte. 

Nicht so an diesem Morgen. Zur Amenhoteps Konsternierung, dem Routine in allen Dingen heilig war, saß seine Serviersklavin schon aufrecht im Bett und räkelte sich, als er hereinkam. Sie klopfte neben sich auf die Matratze und gurrte: »Komm her, mein Schöner.« 

Amenhotep hob den Schwanz, drehte sich um und stolzierte davon. So nicht. Nicht mit ihm. Das war die pure Anarchie, und er wollte in Ruhe überlegen, wie er angemessen darauf reagieren sollte. 

Konny sah aus dem Fenster. Draußen schien die Sonne. Ein Omen! 

Ausgebucht. Eine ganze Woche lang. Und wenn sich diese Bandleute nur halbwegs wohl fühlten, würden sie das überall erzählen, vielleicht sogar ins Netz stellen, ganze Busladungen an Fans würden angerollt kommen, und es würde Wartelisten für ein Zimmer in ihrem Bed-&-Breakfast geben. Wahnsinn! 

Die Sache hatte natürlich einen Haken. Und dieser Haken hatte einen Namen. Er hieß Kriemhild. 

Konny war ja auch bisweilen biestig, aber sie kämpfte gegen ihre inneren Dämonen an. Kriemhild dagegen kuschelte mit den ihren. 

Die Devise musste also lauten: Die Gäste von Kriemhild fernhalten! 

Ähem … und von Herrn Hirsch ebenfalls. 

Sie konnte ihn duschen hören. 

Friedrich-Maximilian Hirsch war der Filialleiter gewesen, der ihren Kreditantrag bewilligt hatte. Schon als Kinder hatten sie ihn, den Nachbarsjungen, gekannt, wenn auch nur flüchtig, weil er fünf Jahre jünger war. Ein Altersunterschied, der sich mit der Zeit verwächst, aber damals viel ausgemacht hatte. 

Und dann hatte Herr Hirsch einen Schlaganfall erlitten. Böse, sehr böse. Zumal er ganz allein auf der Welt war. Nach seiner Reha schauten Konny und Kriemhild regelmäßig bei ihm vorbei – mit Ausnahme von Bauer Schober und seiner Frau waren sie schließlich auf mehrere Kilometer seine einzigen Nachbarn –, und als er irgendwann einen grippalen Infekt bekam, boten sie ihm an, so lange in Kriemhilds Zimmer zu schlafen, bis er wieder gesund sei. Kriemhild könne ja oben beim Kommodore schlafen. Das war vor vier Monaten gewesen. Die Grippeviren waren längst weitergezogen, Herr Hirsch wohnte immer noch bei ihnen und erledigte im Gegenzug alle anfallenden Gartenarbeiten. Und ja, sie nannten ihn: Herr Hirsch. 

Er nannte sie »Sandkornpresse« und »Anglerfisch«. Manchmal »Lötkolben« und »Bärlauchbonbon«. Herr Hirsch war nämlich Aphasiker. Genauer gesagt, litt er nach seinem Schlaganfall an einer Sprachstörung. Er konnte alles gut verstehen, sprach aber selbst nur mühsam und stockend. Sätze konnte er gar nicht mehr bilden, nur einzelne Wörter. Und die ohne erkennbaren Sinnzusammenhang. Geistig und körperlich war Herr Hirsch aber fast wieder ganz der Alte. Deshalb ertrug er es auch nicht, wenn seine Umwelt ihn wie ein kleines Kind behandelte, nur weil er statt »Guten Tag« beispielsweise »Grießbrei« sagte. Da konnte er richtig muffig werden! Und nicht jeder kam so ohne weiteres damit zurecht, als »Herpesbläschen« angesprochen zu werden. Darum war es also am besten, ihn von den Gästen fernzuhalten. 

Der Duft nach Kaffee waberte um Konnys Nase. Kriemhild war natürlich schon wach und werkelte in der Küche. 

Konny warf sich ihren Satinmorgenmantel über das Satinnegligé und schlappte quer über den Flur in die Küche. Dort stand Kriemhild in ihrem karierten Frotteemorgenmantel und trocknete das frisch gespülte Geschirr. 

»Schon wach?« Sie hob eine Augenbraue und sah ungläubig zur Küchenuhr. Obwohl die schon seit fünfunddreißig Jahren nicht mehr funktionierte und nur noch über der Tür hing, um dem Nagel, der sie trug, eine Daseinsberechtigung zu geben. 

Konny strahlte. An diesem herrlichen Morgen konnte ihr nichts die gute Laune verderben. »Ah, Kaffee. Mein Lebenselixier. O lecker … Eier im Glas!« 

»Finger weg, die sind für Herrn Hirsch!« Kriemhild schlug mit dem Geschirrspültuch nach der Hand ihrer Schwester, die sich begehrlich den Eiern genähert hatte. 

»Bis der fertiggeduscht hat, sind die Eier kalt.« 

»Er bevorzugt kalte Eier.« 

Darauf hätte Konny gern etwas Geistreiches erwidert, aber erstens hatte sie ihren Kaffee noch nicht intus, und ohne Kaffee funktionierten ihre kleinen grauen Zellen nicht, und zweitens hupte es vor dem Eingang. 

»Das wird der Paketbote sein.« Kriemhild hängte das Geschirrspültuch ordentlich ausgebreitet über den Griff am Backofen, damit es trocknen konnte, dann marschierte sie zur Eingangstür. »Ich erwarte das Jahrbuch der Marinekameradschaft.« 

Konny goss sich Kaffee ein. 

»Heiliger Klabautermann!«, hörte Konny sie gleich darauf rufen. 

Mit der dampfenden Kaffeetasse in der Hand lief sie zu ihrer Schwester. 

Herr Hirsch kam, nur mit einem Badetuch um die Altmännerhüfte, aus dem Badezimmer und fragte: »Algengrütze?«

Zu dritt standen sie auf den drei Sandsteinstufen, die zum Eingang der Pension führten – wie die Dienerschaft aus Downton Abbey, die Spalier stand, wenn der Earl of Grantham von einer Reise heimkehrte. 

Sie hatten einen Tourbus erwartet, so ein riesiges Teil mit aufgemaltem Dreizack und Teufelsschädel, aus dessen Eingeweide sich verlebt aussehende, junge Menschen ergossen, bekifft und betrunken wie die Rolling Stones zu ihren besten Zeiten. 

Aber es kamen eine fette, schwarze Audi-Limousine und ein ebenfalls schwarzer Mercedes-Transporter. Seriöser ging's ja wohl kaum. 

Und die zwei Frauen und drei Männer, die ausstiegen, wirkten wie zivilisierte Mitglieder der Gesellschaft. Ganz im Gegenteil zu den drei mangelhaft bis nicht bekleideten Alten vor dem Eingang der Pension. 

Großer Gott, dachte Konny, hoffentlich verschrecken wir sie mit unserem Anblick nicht so, dass sie sofort wieder wegfahren – das muss ich verhindern! 

Sie drückte Herrn Hirsch ihren Kaffeebecher in die Hand und eilte auf den Mann zu, den sie für den Bandleader hielt. Sie hatte ihn gestern Abend extra gegoogelt – ein junger Johnny Depp mit der Stimme des alten Barry White. Er sah den Fotos von sich ähnlich. 

»Guten Tag, ich freue mich sehr, Sie bei uns begrüßen zu dürfen!« 

Für einen jungen Mann Mitte zwanzig, der ohnehin dachte, ab dreißig ginge es nur noch bergab, steckte er den Anblick zweier Über-Sechzigjährigen in Nachtwäsche und eines alten Mannes im Badetuch überraschend ungerührt weg. Dabei waren sie, ganz ehrlich, optisch alle drei keine Vorzeige-Senioren, die Hollywood vom Fleck weg engagiert hätte. Nicht mal, wenn durchgehend mit Weichzeichner gedreht würde … 

»Ja, hallo, ich bin Leon.« Er zeigte mit dem Kopf auf die anderen vier. »Sara, Freddie, Richard und Galecki. Wir wurden angemeldet.« 

»Ja, natürlich. Ich bin Konny …« Sie zögerte kurz, aber wenn sie jetzt mit Nachnamen kam, hätte das alt und spießig gewirkt. »… und das sind Kriemhild und … äh … Herr Hirsch.« 

Nein, es ging nicht, bei Herrn Hirsch verbot es sich, mit Vornamen um sich zu werfen. Er war ein Grandseigneur. 

»Sehr angenehm«, sagte Leon, der offenbar gut erzogen war.

»Gabelstapler«, erwiderte Herr Hirsch. 

»Wie bitte?« 

Rasch erkundigte sich Konny: »Können wir Ihnen mit dem Gepäck helfen?« Sie streckte den Arm aus. Das war natürlich nur eine rhetorische Frage. Welcher durchtrainierte Zwanzigjährige ließ sich von einer Greisin die Taschen tragen? 

Die Antwort musste offenbar lauten: ein durchtrainierter Zwanzigjähriger namens Leon. Er drückte ihr seine Reisetasche in die Hand. »Ja gern, unser Gepäck ist im Mercedes. Aber nicht die Instrumentenkoffer – die tragen wir selbst.«

Herr Hirsch eilte zum Mercedes, um sich des Gepäcks zu bemächtigen. So wie er war, nur mit Badetuch. 

Kriemhild blieb mit verschränkten Armen vor der offenen Tür stehen und wich keinen Millimeter. 

»Sie haben doch hoffentlich niemand erzählt, dass wir bei Ihnen wohnen werden?«, wollte Leon wissen. 

»Aber nein, natürlich nicht.« Konny schüttelte den Kopf. 

»Ich frage nur, weil da draußen einer zeltet.« Er sah zu der Wiese von Bauer Schober. Vor dem Elektrozaun, der die beiden Grundstücke trennte, mitten in einem idyllischen, etwas verloren wirkenden Birkenhain, stand ein Zelt. 

»Da zeltet immer mal wieder jemand, purer Zufall«, erklärte Konny, obwohl seit Menschengedenken noch niemand dort gezeltet hatte. Aber es konnte unmöglich ein Informationsleck geben – sie hatte mit keinem über die Band gesprochen, Herr Hirsch wusste nichts vom Background der Gäste, und Kriemhild redete ohnehin nur das Nötigste mit anderen Menschen. Und ganz ehrlich, so berühmt wie Coldplay oder Helene Fischer war die Band Cordt nicht. Konny konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass irgendjemand das Telefon der Künstleragentur gehackt hatte, um die Übernachtungsdaten als geheime Verschlusssache an die Enthüllungsplattform Wikileaks weiterzuleiten. 

Sie schien überzeugend zu wirken, Leon gab sich mit dieser Auskunft zufrieden. 

»Wir sind doch hoffentlich nicht zu früh dran?«, erkundigte sich die schlanke Schwarze mit dem irrsinnigen Afro, die – wenn Konny sich anhand der Vorstellungsrunde richtig erinnerte – Freddie sein musste. 

»Aber nein, Sie waren ja als early arrival angekündigt.« Dass es so early werden würde, hatten die Schwestern allerdings nicht gedacht. Aber was soll's – der frühe Vogel fängt den Wurm. Und nimmt ihn als Geisel. Dann setzt das Stockholm Syndrom ein, und der Wurm und der Vogel bekommen Hybridbabys. Oder so ähnlich. Konny neigte zum gedanklichen Abschweifen. Sie riss sich zusammen. 

»Wir sind direkt vom Gig hierhergefahren«, erklärte die zweite junge Frau. Wie hieß sie gleich wieder? Sara. 

»Dann müssen Sie müde sein. Kommen Sie doch herein.« Konny winkte die jungen Leute an sich vorbei. 

Auch, um sie zu mustern. 

»Können wir vorher die Autos in die Garage fahren?« Leon sah zur Scheune hinüber, in der Konnys Harley wohnte. 

»Tut mir sehr leid, in der Garage ist kein Stellplatz mehr frei.« Konny blieb hart. Es wäre zwar durchaus noch Platz gewesen, zumindest für die Limousine, aber es ging ums Prinzip. Die Scheune gehörte ihrem Fatboy. Sogar Kriemhilds alter Peugeot musste draußen bleiben und schlief unter einer Plastikplane. 

Leon sah sie fest an, erkannte ihre finale Entschlossenheit und ließ es dabei bewenden. Er war eindeutig der Alpha-Rüde. Er trug die dunklen, kinnlangen Haare offen, dazu ein weißes Hemd mit Stehkragen, schwarze Jeans und Flipflops. Lässig elegant. Enorm gut aussehend. Und wissend, wie enorm gut aussehend er war. 

Die beiden anderen Jungmänner, Richard und Galecki – einer groß mit blondem Pferdeschwanz, der andere klein und dunkel gelockt, wer Richard und wer Galecki war, blieb vorerst offen –, trugen verwaschene T-Shirts zu ihren stonewashed Jeans. Hier und da blitzte ein Tattoo auf, aber auch sie sahen aus wie zwei nette Jungs von nebenan. Der Größere trug einen schmalen Saxophonkoffer, der Kleinere einen riesigen Kontrabasskoffer. 

Sara und Freddie wirkten wie eine frische Sommerbrise. Beide in leichten Sommerkleidern und dezent geschminkt. Jede hatte einen Gitarrenkoffer in der Hand, obwohl Konny sich aufgrund ihrer Internetrecherche ziemlich sicher war, dass die Frauen nur sangen. Leon war der Einzige, der Gitarre spielte. Aber was wusste sie schon? 

Jedenfalls waren die fünf der Inbegriff von vorzeitiger Biederkeit. 

Hätten die jungen Leute ohne Voranmeldung an der Tür geklingelt, hätten Konny und Kriemhild angenommen, es seien Zeugen Jehovas, die mit ihnen über Gott reden wollten.

Herr Hirsch kam mit den ersten Taschen an ihnen vorbeigelaufen. 

»Hundehaufen«, rief er, eilte die Stufen hoch und stellte die Taschen im Flur ab. 

Die Bandmitglieder sahen sich bedeutungsvoll an. 

»Äh … Hundehaufen? Hat er Tourette?«, wollte Leon wissen. 

Besser, sie erfuhren es gleich. 

»Nein, Herr Hirsch ist Aphasiker. Seit einem Schlaganfall ist sein Sprachzentrum gestört. Er kann Sie aber ausgezeichnet verstehen, das versichere ich Ihnen.« 

»Aha«, sagte Leon, und dann brüllte er Herrn Hirsch an: »Tut mir echt leid, alter Knabe!« 

Als ob Aphasie mit Taubheit einherginge. Oder vielleicht glaubte er, alle alten Männer seien grundsätzlich schwerhörig. 

Herr Hirsch zuckte zusammen. 

Kriemhild rollte mit den Augen. Bevor sie irgendetwas Ätzendes absondern konnte, rief Konny: »Nach der Tür bitte gleich rechts in den Salon und dann links ins Esszimmer.«

In stummer Prozession zogen sie in die Villa ein. 

»Möchten Sie sich nicht erst anziehen, bevor Sie das restliche Gepäck holen und auf die Zimmer verteilen, Herr Hirsch«, schlug Konny ihm flüsternd vor. 

»Grillhähnchen.« Er nickte und ging zurück ins Badezimmer. 

Konny folgte den anderen in den Salon. 

»Wow«, rief Sara gerade. »Wie in einem Antiquitätenladen! Die Sachen sind bestimmt seit Generationen in Ihrer Familie?« 

»Ja«, log Konny rasch, bevor Kriemhild den Mund aufmachen konnte. Sie erinnerte sich noch deutlich an Kriemhilds Kommentar, als Bernie, ein alter Schulfreund der beiden, nach dem Umbau des Hauses diverses Mobiliar aus dem Sperrmüll vorbeigebracht hatte, das von Konny liebevoll und aufwändig abgebeizt, gestrichen und, wo nötig, neu bezogen worden war. 

Alle Hölzer dunkel, alle weichen Stoffe in Rot und Gold. Sie war stolz auf ihr innenarchitektonisches Gesamtkunstwerk.

Nicht so ihre Schwester. »Wie in einem Bordell im Wilden Westen. Oder in einer Pornovilla«, hatte Kriemhild seinerzeit gelästert. »Nichts, worauf man Flecken sieht, und falls doch kann man sie wegseifen. Und dazu noch roter Plüsch. Sollten uns die Gäste ausbleiben, kontaktieren wir einfach Beate Uhse. Sie soll hier ›Das unartige Zimmermädchen und der strenge Graf‹ drehen …« 

»Die Uhse ist tot!«, hatte Konny beleidigt gepampt. »Und moderne Pornos haben keinen Plot mehr, nur noch Extremgymnastik.« Worauf Kriemhild natürlich eine Erklärung von ihr gefordert hatte, woher sie das wisse … 

Jetzt stand Konny da und strahlte. »Ich freue mich, dass es Ihnen gefällt.« 

»Und wie!«, schwärmte Freddie und schwärmte sich damit in Konnys Herz. 

»Mich erinnert das an ein altes Geisterhaus«, fand Sara. »Spukt es hier?« 

»Es gibt keine Gespenster. Wenn hier nachts etwas knarzt, sind es die Holzdielen, die sich wegen der hohen Temperaturen ausdehnen«, erklärte Kriemhild final. 

»Also gut, wir brauchen nur noch von jedem eine Unterschrift auf den Meldezetteln, dann können Sie es sich in Ihren Zimmern gemütlich machen«, lenkte Konny ab. »Die Zettel und ein paar Stifte liegen auf dem Tisch. Möchte jemand ein Heißgetränk?« 

Alle nickten. Wie Wackeldackel im Fond eines Opels, der mit 120 Sachen über eine gepflasterte Straße fuhr. 

In diesem Augenblick entdeckte Konny aus den Augenwinkeln eine tote Maus – nicht nur ein Schädel, sondern tutti kompletti – neben dem Beistelltisch im Salon. Unauffällig kickte sie die Leiche unter die Couch. 

Amenhotep durfte zwar das Haus nicht verlassen, was er auch gar nicht wollte, aber die Mäuse kamen zu ihm, wie der Berg zum Propheten, wie Eisenspäne zum Magneten. Vermutlich hätte er einfach nur mit offenem Maul im Flur liegen können, und die Mäuse hätten sich suizidal zwischen seine Zähne geworfen. 

Die tote Maus brachte Konny auf den Gedanken, dass ihre Gäste nach der nächtlichen Fahrt womöglich ausgehungert sein könnten. 

»Wie wäre es mit Frühstück? Selbstgebackenes Brot? Eierspeisen? Waffeln?«, bot Konny an. Kriemhild hob ihre ungezupften Augenbrauen. Hast du sie noch alle? Ich stelle mich doch jetzt nicht hin und zaubere mal eben ein Fünf-Sterne-Luxushotel-Frühstück! Konny klimperte ihrer Schwester mit den Wimpern zu. Wir investieren hier in unsere Zukunft – zufriedene Gäste empfehlen uns weiter, und wir brauchen dringend Weiterempfehlungen! Die Zwillinge verstanden sich ohne Worte, allein mit Hilfe von Augenbrauenheben und Wimpernklimpern. 

Weil aber Kriemhild unfair kämpfte, brummte sie auch noch ungnädig. Hörbar. 

Ihr Brummen verfehlte seine Wirkung nicht. Vier der fünf schüttelten verneinend die Köpfe. 

»Für mich auch kein Frühstück, aber vielleicht irgendeine eine Kleinigkeit zum Knabbern?«, meldete sich Sara zu Wort.

»Aber natürlich, meine Liebe, wonach gelüstet es Ihnen denn?«, fragte Konny und wähnte sich in Sicherheit, weil sie nach ihrem gestrigen Einkaufstrip alles im Haus hatte, was sie unter ›Knabbereien‹ verstand – ihre Schokoladen-, Chips-, Cracker- und Hartkäse-Dauerwurst-Vorräte konnten ein ganzes Regiment locker zwölf Monate lang versorgen.

»Ganz egal. Eine Karotte? Eine Gurke? Oder eine Selleriestange?« 

Offenbar gab es mehrere Definitionen von Knabberkram.

»Ach, wie schade. Wir haben nur Süßes, Zuckerhaltiges ohne jedweden Nährwert.« 

Scherz. Sie hätte definitiv SCHERZ rufen sollen. Kinnladen klappten nach unten. 

»Natürlich haben wir auch Gemüse als kleinen Snack für zwischendurch. Vielleicht mit einem Dip? Oder mit Hüttenkäse?«, beeilte sich Konny zu sagen, bevor ihr die Mädels, die sichtlich bleich geworden waren, vor Schreck ohnmächtig zu Boden sanken. 

»Wer von Ihnen wird uns bekochen?«, wollte Leon wissen.

»Ich.« Kriemhild verschränkte die Arme. Sie wusste, worauf das hinauslaufen würde. 

»Hier die Liste mit unseren Ernährungsbedürfnissen. Wir sind da sehr strikt. Ich hoffe, das stellt kein Problem dar.« Es war keine Frage, es war mehr so eine Drohung. 

»Aber nein. Wir sind es gewohnt, auf die speziellen Bedürfnisse unserer Gäste einzugehen«, erklärte Konny rasch, bevor ihre kostbare Wochenbuchung eine Kehrtwende einlegte und wieder abreiste. Wie schlimm konnte es schon sein? Vermutlich irgendwas Fleisch-, Gluten-, Kohlehydrat-, Kalorien- und Geschmacksfreies. Die fünf waren ja keine Vampire, die Blutkonserven verlangten, aber nur das leckere AB negativ. Und selbst wenn, Konny wäre durchaus bereit gewesen, in die Blutbank des örtlichen Diakonissenkrankenhauses einzubrechen. Sie brauchten diese Gäste! 

Kriemhild sagte nichts, presste nur die Lippen noch fester aufeinander. 

»Möchten Sie denn wenigstens Kaffee oder Tee?« 

»Haben Sie keine Wasserkocher auf den Zimmern, damit wir uns selbst versorgen können?« Leon klang schon einen Tick ungnädig. 

»Äh … nein.« Das stand ganz oben auf der Liste der Dinge, die sie anschaffen wollten. »Aber wir bringen Ihnen gern Ihr Wunschgetränk aufs Zimmer.« 

Es wurden ein Café Latte mit Sojamilch, ein Earl Grey mit Zitrone, ein grüner Tee (bei 75 Grad aufgebrüht), eine Cola light und ein stilles Wasser. 

Kriemhild marschierte in die Küche. Sie hatte sich nichts notiert. Das brauchte sie auch nicht, ihr Gedächtnis war einwandfrei. Mehr noch – es war elefantös. Sie vergaß nie etwas. Aber sie würde dennoch Filterkaffee mit Dosenmilch, schwarzen Tee mit gar nichts und Sprudelwasser in die Zimmer im ersten Stock tragen, da war sich Konny sehr sicher. Kriemhild hatte keine Geduld mit dem modernen Individualismus. 

»Soll ich Ihnen schon mal Ihre Zimmer zeigen, während meine Schwester die Getränke zubereitet?«, sagte Konny, weil jetzt alle die Meldezettel ausgefüllt hatten, und zeigte zur Treppe. 

»O wie schön, eine Wendeltreppe!«, freute sich Freddie und lief in fast kindlicher Begeisterung voraus. 

Die aufwändig geschnitzte Holzwendeltreppe war in der Tat das Highlight des Hauses. 

»Gibt es keinen Aufzug?« 

Konny konnte förmlich spüren, wie Leon bereits eine negative Bewertung für TripAdvisor formulierte. Nein. Wir haben uns für Atmosphäre und gegen Komfort entschieden. Das sagte sie natürlich nicht, das dachte sie nur. Stattdessen ging sie zügig voran. 

»Wir haben drei große Eckzimmer und zwei schöne Mittelzimmer für Sie reserviert«, schnaufte sie, oben angekommen. 

Hinter ihr erklommen die Bandmitglieder leichtfüßig die Wendeltreppe – bis auf den Kontrabassisten, der an seinem Instrumentenkoffer sichtlich zu wuchten hatte. 

Die Türen zu den Zimmern standen offen und erlaubten vom Flur aus Einblicke in die wirklich sehr heimeligen Räume.

»Ich nehm das Große mit dem Blick nach hinten.« Leon spazierte schnurstracks in das ›Herrenzimmer‹ – viel dunkles Holz, viel Leder. 

»Ich nehme das Mittelzimmer direkt daneben«, rief Freddie und wollte hineinlaufen, aber Sara warf sich ihr förmlich in den Weg. »Die vorderen Eckzimmer sind doch viel größer. Und auch heller und überhaupt schöner.« 

Da hatte sie nicht ganz unrecht. Die Eckzimmer hatten tatsächlich eine größere Fensterfront und waren in hellen Farben dekoriert, eins in Gelbtönen, das andere in Hellblau. 

»Danke, ich nehme das Zimmer neben Leon.« Freddie schubste Sara beiseite. 

Sara krallte sich von hinten in Freddies Arm. »Das entscheidest nicht du«, fauchte sie. 

»Nicht schon wieder ein Bitchfight.« Galecki klang angenervt. 

Leon, um den es hier offenbar ging, kümmerte das nicht weiter. Er schlug hinter sich die Tür zu. 

»Was soll der Stress? Die Zimmer haben doch eh' keine Verbindungstüren, oder? Es ist also egal, wer wo pennt«, meldete sich der große Blonde zu Wort.