Der geheimnisumwobene Rudi Schlinke - Friedrich von Schilbach - E-Book

Der geheimnisumwobene Rudi Schlinke E-Book

Friedrich von Schilbach

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Beschreibung

"Nichts ist so verrückt, um nicht gemacht zu werden. Es gibt diese Dinge, die der Verstand als Unsinn abtut, als Hirngespinste oder flüchtige Träume, zu gross, zu kühn, zu abwegig, um ihnen nachzugehen. Aber ist es nicht genau das, was das Leben ausmacht? Die leise Ahnung, dass es vielleicht gerade die verrücktesten Ideen sind, die uns dorthin führen, wo das gewöhnliche Leben nicht hinreicht?" Friedrich von Schilbach

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“And I think it's gonna be a long, long time

'Til touchdown brings me 'round again to find

I'm not the man they think I am at home

Oh, no, no, no

I'm a rocket man

Rocket man

Burning out his fuse up here alone”

……….

(„Rocket Man“, Elton John / Bernie Taupin, 1972)

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

1

In der sanft geschwungenen Hügellandschaft des Hegaus, im tiefsten Süden Deutschlands, wo saftige Weiden und dichte Wälder die weiten Felder umarmen, liegt das kleine Dorf Benzingen. Der Blick schweift über malerische Anhöhen, auf denen verstreute Bauernhöfe und Obstbäume in der Sonne ruhen. Im Hintergrund zeichnen sich die schroffen Silhouetten der Vulkanberge ab, wie erstarrte Eiterbeulen, die in die Höhe streben, als wollten sie den Himmel berühren. Die Nähe des beschaulichen Bodensees ist spürbar, und nur das Summen der nahen Autobahn, die an den Wochenenden Menschenmassen aus dem Schwäbischen an seine Ufer bringt, trübt die Ruhe.

Mitten in dieser idyllischen Kulisse stand eine stattliche weiße Villa, die durch ihre strahlende Fassade fast wie ein Fremdkörper in der rustikalen Umgebung wirkte. Ein mächtiges schmiedeeisernes Tor führte zu einem weitläufigen Garten, der von hohen Hecken und alten Nussbäumen gesäumt wurde. Im Sommer blühten hier Lavendelbüsche und Jasminsträucher, und die Beete waren voll von Rosen, deren Duft sich in der warmen Luft ausbreitete. Ein gepflegter Weg aus Kies führte durch den Garten, vorbei an einem kleinen Teich, in dem Libellen sanft auf der Wasseroberfläche landeten, bis hin zur großen Eingangstür der Villa.

Vor einigen Jahren war diese imposante Residenz von einem Mann gekauft worden, dessen Name in Benzingen zunächst niemand kannte. Herr Schlinke, wie er sich nannte, war eine rätselhafte Figur, die nur selten in dem Anwesen zu sehen war. Manchmal fuhr ein schwarzer Wagen die Auffahrt hinauf, und dann konnte man den Eigentümer, einen Mann fortgeschrittenen Alters, dabei beobachten, wie er im Garten stand und lange über die Landschaft hinweg in die Ferne und in den Himmel starrte. Meistens war er jedoch nur gekommen, um einige Handwerker zu beaufsichtigen, die an seinem Haus arbeiteten. Eine Solaranlage war kürzlich auf dem Dach installiert worden – ein moderner Kontrast zu der eher historischen Architektur der kleinen Ortschaft.

Es ging das Gerücht, Herr Schlinke arbeite in den USA oder an einem anderen entfernten Ort irgendwo in der Welt. Aber niemand wusste es genau. Die Dorfbewohner flüsterten leise über ihn, wenn sie ihn erwähnten, als sei er ein Geist, der nur selten auftauchte, um sicherzustellen, dass sein Anwesen in Ordnung war, bevor er wieder in die Ferne verschwand.

Nach seinem aktiven Berufsleben zog Rudi Schlinke schließlich in die Villa in Benzingen, die jahrelang unbewohnt geblieben war. Es war eine eher stille Ankunft, keine großen Umzüge, keine lauten Begrüßungen. Die Nachbarn bemerkten ihn nur durch das gelegentliche Klicken des Gartentors und das leise Brummen seines Wagens, der nun regelmäßig in der Einfahrt stand. Schlinke hatte einen dichten weißen Bart, schütteres Haar und scharfe, durchdringende Augen, die so wirkten, als könnten sie mehr sehen als bloß das Offensichtliche.

Er war stets freundlich, aber distanziert. Obwohl er die Menschen zu grüßen pflegte, wenn er durch das Dorf ging, führte er keine längeren Gespräche. Er zog es vor, allein in seinem Garten zu sitzen, als würde er in der Ruhe etwas suchen, das er einst verloren hatte. Die Nachbarn fingen bald an zu flüstern, neugierig über die mysteriöse Vergangenheit des Mannes. Wilde Annahmen gingen umher. Es hieß – gar nicht einmal so abwegig – er sei ein Undercover-Polizist, ein Geheimagent oder vielleicht sogar ein ausländischer Spion gewesen. Keiner wusste es genau, denn Schlinke verriet nichts über seine frühere Tätigkeit. Sein ruhiger, aber zugleich wachsam wirkender Blick ließ die Fantasie der Dorfbewohner weiter sprießen.

Herr Schlinke lebte allein. Niemand sah je eine Frau oder Kinder ein- oder ausgehen. Er hatte auch sonst nie Besucher. Er wirkte scheinbar zufrieden in seiner Abgeschiedenheit. Doch der Hauch von Geheimnissen, der ihn umgab, machte ihn zu einer ständigen Quelle des Spekulierens in der kleinen Gemeinde.

Rudi Schlinke war ein Mann, dessen äußere Erscheinung nicht sofort auffiel, aber bei genauerem Hinsehen spürte man die Aura eines Lebens, das mehr gesehen hatte, als es preisgab. Mit einer mittleren Größe und einer drahtigen, dennoch leicht gebeugten Statur strahlte er eine unaufdringliche Präsenz aus. Sein Gesicht war, soweit man dies unter dem flauschigen Bart erkennen konnte, kantig, mit scharf geschnittenen Wangenknochen. Sein Haar, einst wohl dunkel, war licht geworden und durchzogen von silbernen Strähnen, die ihn älter wirken ließen, als er vermutlich war. Eine kleine Narbe, kaum sichtbar, zog sich von seiner Schläfe bis knapp hinter das Ohr – ein Relikt aus einer Zeit, über die er nie sprach.

Seine Augen waren jedoch das Auffälligste an ihm. Tief in den Augenhöhlen liegend, blitzten sie manchmal auf, als könnten sie jedes Detail erfassen, jedes Geheimnis ergründen. Die blaugrauen, fast stählernen Augen wirkten oft kühl und distanziert, als ob sie mehr nach innen als nach außen blickten. Doch gelegentlich, wenn er an einem sonnigen Morgen seinen Kaffee im Garten trank, war ein sanfter, fast melancholischer Glanz in ihnen zu erkennen – ein Hauch von etwas, das die Jahre in ihm zurückgelassen hatten.

Schlinke war ein Mann weniger Worte, aber seine Stille war nie unangenehm. Es schien, als würde er jeden Moment beobachten und analysieren, als hätte er es sich zur Gewohnheit gemacht, alles um ihn herum zu hinterfragen. Trotz seiner Verschlossenheit war er höflich, manchmal sogar fast schon charmant, wenn auch auf eine zurückhaltende Art. Er schien geprägt durch eine tiefe Disziplin und Gelassenheit, die er sich über lange Jahre angeeignet hatte. Er wirkte ruhig und besonnen, doch unter der Oberfläche lag eine immense Wachsamkeit, die stets bereit schien, auf Veränderungen oder Gefahren zu reagieren. Man konnte sich vorstellen, dass er vor irgendetwas oder irgendwem Angst haben musste.

Geduld war eine Tugend, die ihm offensichtlich nicht fremd war. Er konnte stundenlang reglos auf seiner hölzernen Gartenbank sitzen, ein Buch in der Hand, aber seine Augen folgten oft nicht den Zeilen. Es war, als würde er auf etwas warten – auf einen Anruf, ein Zeichen, vielleicht auf die Rückkehr eines längst vergangenen Lebens, oder einer bestimmten Person.

2

Eines Tages betrat Herr Schlinke das Büro der Gemeindeverwaltung mit jener kühlen Zurückhaltung, die ihm eigen war. Das gedämpfte Summen des Neonlichts und das sanfte Rascheln von Papier formten die monotone Hintergrundmusik, als er auf den Beamten des Bauamtes zuging, der hinter einem Schreibtisch saß und seine Brille zurechtrückte.

„Guten Tag,“ begann Schlinke in seinem üblichen, ruhigen Ton. Der Beamte blickte auf, mit einer Mischung aus Routine und Neugier. „Schlinke mein Name.“

„Grüß Gott. Was kann ich für Sie tun?“ Der Beamte, auf dessen Türschild „Hr. Knobel“ stand, ein Mann mittleren Alters mit leicht silbernem Haaransatz, setzte sein professionelles Lächeln auf und deutete auf den freien Stuhl.

Schlinke setzte sich, nahm sich einen Moment, um das Büro genau zu mustern, bevor er sein Anliegen vorbrachte. „Ich habe vor, in meinem Garten ein Loch zu graben.“

Der Beamte Knobel zögerte einen Augenblick, bevor er seinen Stift zur Seite legte. „Ein Loch?“ Er klang weder überrascht noch unhöflich, aber seine Stirn legte sich in leichte Falten. „Wie groß und wie tief soll das Loch denn sein?“

„Ungefähr zwanzig Meter tief und mit einem Durchmesser von fünf Metern,“ antwortete Schlinke sachlich, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

Der Beamte schob seine Brille auf die Nasenspitze, als ob ihm das beim Verstehen der Worte helfen könnte. „Zwanzig Meter tief?“ Seine Stimme hatte einen verwirrten Ton angenommen. „Was haben Sie denn damit vor?“

Schlinke, in seiner unnahbaren Art, erwiderte den Blick des Beamten ruhig, fast erwartungsvoll, als ob er genau diese Frage vorausgesehen hätte. „Das möchte ich nicht näher erläutern. Es ist ein persönliches Vorhaben.“

Der Beamte lehnte sich langsam zurück, musterte den Mann vor sich, als würde er abschätzen, wie ernsthaft diese Anfrage war. „Nun, Herr Schlinke,“ begann er vorsichtig, „das Graben ohne Genehmigung ist nur bis zur nutzbaren Erdtiefe erlaubt. Diese Tiefe hängt von den Gegebenheiten Ihres Grundstücks ab und kann nicht pauschal festgelegt werden. Was Sie da vorhaben, klingt allerdings mehr nach einem Bauvorhaben als nach einem normalen kleinen Aushub.“

Schlinke nickte knapp, als hätte er diese Antwort erwartet. „Welche Genehmigungen wären erforderlich?“

Der Beamte zog eine Akte aus dem Schrank hinter sich und begann, routiniert durch die Seiten zu blättern. „Für das Graben in solchen Tiefen, wie Sie es planen, könnten mehrere Genehmigungen notwendig sein. Je nach Vorhaben kann es sich um baurechtliche, naturschutzrechtliche oder sogar bergrechtliche Genehmigungen handeln.“

Schlinke blieb stumm, hörte aufmerksam zu, als würde er die Informationen wie ein Schwamm aufsaugen.

„Ein Vorhaben in dieser Größenordnung könnte – wie gesagt – durch das Bundesberggesetz betroffen sein. Gerade bei einer Tiefe von zwanzig Metern – das ist wirklich eine ungewöhnliche Anfrage eines Privatmanns. Da könnte es Überschneidungen mit Grundwasserleitern oder sogar Bodenschätzen geben, was zusätzliche Prüfungen erfordern würde.“ Der Beamte machte eine Pause und schaute prüfend auf Schlinke. „Ich muss ehrlich sein, Herr Schlinke, ohne zu wissen, wofür Sie diesen tiefen Aushub benötigen, ist es schwer, Ihnen genauere Angaben zu machen.“

Schlinke erwiderte den Blick Herrn Knobels mit unveränderter Miene. „Und wenn ich mich nicht äußern möchte, wofür ich das Loch benötige?“

Der Beamte hob eine Augenbraue. „Nun, in diesem Fall würde es sehr schwierig, die notwendigen Genehmigungen zu erhalten. Jede Genehmigung ist an ein bestimmtes Bauvorhaben gebunden. Wenn Sie beispielsweise einen Brunnen bauen möchten oder eine Art unterirdischen Raum – für welchen Zweck auch immer – dann müssen entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen und die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Sie können nicht einfach so graben, ohne dass wir wissen, was Sie vorhaben.“

„Verstehe.“ Schlinke lehnte sich leicht zurück. „Können Sie mir zumindest die Kontaktstellen nennen, bei denen ich diese Genehmigungen beantragen kann?“

Der Beamte, der Schlinkes Reaktion inzwischen mit zunehmender Neugier beobachtete, nickte langsam. „Ja, natürlich. Ich kann Ihnen die zuständigen Behörden für bergrechtliche, naturschutzrechtliche, wasserschutzrechtliche und baurechtliche Genehmigungen nennen. Sie sollten aber bedenken, dass solche Anträge nicht leicht durchgehen, wenn nicht alle diese rechtlichen und sicherheitstechnischen Aspekte berücksichtigt werden. Und – ehrlich gesagt – zwanzig Meter sind eine erhebliche Tiefe.“

Schlinke bedankte sich kurz, stand auf und verließ das Büro, ohne weitere Details preiszugeben. Der Beamte sah ihm nach, während Schlinke durch die Tür verschwand, und konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass dies nicht das letzte Mal sein würde, dass dieser Mann mit einem ungewöhnlichen Anliegen in der Gemeinde vorstellig wurde.

3

Das Leben gleicht einer flüchtigen Flamme, die in einem kurzen Moment auflodert, warm und hell, nur um dann langsam zu erlöschen, kaum spürbar in der endlosen Dunkelheit des Universums. Es ist ein flüchtiger Wimpernschlag, kaum mehr als ein Hauch in der Ewigkeit. Doch in dieser winzigen Spanne, in der wir atmen, fühlen und träumen, liegt die unendliche Möglichkeit, etwas Echtes zu erschaffen – etwas, das bleibt, wenn der Rauch sich verzogen hat.

Es gibt keinen Tag, der wiederkehrt, keine Stunde, die noch einmal durchlebt werden kann. Die Zeit, die einmal vergangen ist, rinnt uns durch die Finger wie Sand, den kein Mensch aufhalten kann. Und doch gibt es in jedem Augenblick, so kurz er auch sein mag, die Chance, etwas Bedeutendes zu tun. Ein Traum, der uns wach hält, eine Sehnsucht, die das Herz schneller schlagen lässt. Wie oft warten wir, verschieben das Leben auf später, vertröstet auf die Zukunft, als gäbe es unbegrenzt Zeit? Doch es gibt keine Garantie für ein Morgen.

Es ist nicht die Länge des Lebens, die zählt, sondern die Tiefe, mit der es gelebt wird. Jeder Traum, der Wirklichkeit wird, jedes Risiko, das gewagt wurde, all die Momente, in denen das Herz klopfte, weil man sich nicht fürchtete zu scheitern – das ist es, was am Ende zählt. Wer kann am Ende seines Weges wirklich behaupten, gelebt zu haben, wenn die kühnsten Träume unerreicht blieben, die tiefsten Sehnsüchte unerfüllt?

Denn was bleibt, wenn die letzten Stunden gekommen sind und der Atem sich verlangsamt? Nicht die Sicherheit, die wir suchten, nicht der Komfort, den wir festhielten. Es sind die Erinnerungen an die Höhen und Tiefen, die Abenteuer, die uns zu dem machten, was wir sind. Es ist der Stolz darauf, dass wir nicht gezögert haben, sondern sprangen, auch wenn der Boden weit entfernt schien.

Das Leben ist kurz, und es schuldet uns nichts. Doch wir schulden uns selbst den Mut, es in all seiner Intensität zu erleben – mit all seinen Farben, seinen Schmerzen und seinen Freuden. Am Ende, wenn das Licht verblasst und die Dunkelheit hereinbricht, bleibt nur die Frage: Habe ich wirklich gelebt?

4

Es vergingen mehrere Wochen. Plötzlich trat Herr Schlinke mit festen Schritten erneut in das schlichte Büro der Gemeindeverwaltung ein. Der Raum war spartanisch eingerichtet: ein Schreibtisch, ein Computer, einige Aktenstapel, die den pragmatischen Alltag der Verwaltung spiegelten. Hinter dem Schreibtisch saß der ihm bereits bekannte Herr Knobel, der nicht sehr erstaunt aufblickte, als Schlinke näher trat.

„Guten Tag“, sagte Schlinke knapp und setzte sich, ohne den Stuhl angeboten zu bekommen. Knobel blätterte noch rasch eine Akte zu Ende, bevor er Schlinkes Anliegen hören wollte.

„Was kann ich dieses Mal für Sie tun?“ fragte Knobel und lehnte sich leicht vor, das Kinn auf die Hände gestützt. „Sind Sie mit Ihren Planungen für den Erdaushub weitergekommen?“, fragte er, fast schon spöttisch.

„Ich möchte in meinem Garten einen Turm errichten“, erklärte Schlinke ruhig, als spräche er vom Bau eines einfachen Gartenhäuschens.

Der Beamte, der ein solches Anliegen nicht erwartet hatte, dachte „Da kackt mir doch der Dackel ins Kraut!“, hob die Augenbrauen und fragte, nur um sich zu versichern, dass er es auch richtig verstanden hatte: „Einen Turm?“

„Ja“, bestätigte Schlinke mit kühler Gelassenheit. „Etwa zwanzig Meter hoch, fünf Meter im Durchmesser.“

Für einen Moment herrschte Stille im Raum, nur das Surren der Klimaanlage war zu hören. Knobel musterte Schlinke, als wollte er erkennen, ob der Mann vor ihm scherzte oder krank war. Doch Schlinkes Gesicht verriet nichts. Der Beamte holte Luft und nahm seine dicke Brille ab.

„Zwanzig Meter hoch?“ wiederholte Knobel bedächtig. „Das ist kein alltägliches Vorhaben. Bei Ihrem letzten Besuch wollten Sie ein zwanzig Meter tiefes Loch graben. Was genau soll denn der Zweck dieses Turms sein?“

Schlinke hielt inne und machte zunächst keinerlei Anstalten, eine Antwort zu geben. „Das möchte ich nicht weiter ausführen“, sagte er schließlich. Sein Ton war ruhig, doch entschlossen. Es war klar, dass er nichts preisgeben würde.

Die Stirn des Beamten faltete sich vor Überraschung und er atmete tief durch. „Nun, Herr Schlinke, ein Bauvorhaben dieser Art unterliegt in Baden-Württemberg natürlich der Baugenehmigungspflicht.“ Er holte ein Formular hervor und schob es in die Mitte des Tisches. „Nach der Landesbauordnung müssen Sie beim zuständigen Bauamt, also bei mir, eine Genehmigung einholen, besonders wenn es sich um einen Turm in dieser Höhe handelt.“

Schlinke nickte stumm, als Knobel fortfuhr. „Die Höhe ist entscheidend. Der Bebauungsplan, der für Ihr Grundstück gilt, weist bestimmte Höhenbeschränkungen auf, um das Gesamtbild des Viertels zu wahren. Zudem müssen Sie Abstandsflächen zu den Nachbargrundstücken einhalten. Je höher der Turm, desto mehr Abstand benötigen Sie.“

Schlinke blieb ruhig und machte keine Anstalten, etwas zu erwidern, doch Knobel fuhr unbeirrt fort. „Dann gibt es natürlich die Frage der Statik“, erklärte der Gemeindebeamte mit einem nachdenklichen Blick. „Ein Turm dieser Höhe muss den relevanten Sicherheitsvorschriften entsprechen. Sie brauchen also auf jeden Fall einen Prüfstatiker, der die Stabilität des Bauwerks bescheinigt. Da Sie außerdem direkt angrenzend an ein landschaftlich geschütztes Gebiet bauen möchten, müssen Sie zusätzliche naturschutzrechtliche Genehmigungen einholen.“

Der Beamte hielt kurz inne, um Schlinkes Reaktion abzuwarten, aber dieser sah ihn nur mit der ruhigen Gewissheit eines Mannes an, der sich nichts anderes als Gründe, die gegen sein Vorhaben sprachen, erwartet hatte.

„Und nicht zu vergessen“, setzte Knobel fort, „Ihre Nachbarn haben das Recht, Einspruch gegen ein solches Bauvorhaben einzulegen. Ein hoher Turm würde mit Sicherheit das Erscheinungsbild der Umgebung verändern und den Lichteinfall auf benachbarte Grundstücke beeinträchtigen.“

Schlinke nickte knapp. „Was muss ich tun, um die Genehmigung zu erhalten?“

„Sie müssen einen Bauantrag stellen“, erklärte Knobel sachlich. „Darin sollten alle Pläne, Bauzeichnungen und die statischen Berechnungen enthalten sein.“

„Ich werde mich darum kümmern“, erwiderte Schlinke, erhob sich und verabschiedete sich mit einem knappen