Der Geist der Llano estakata - Karl May - E-Book

Der Geist der Llano estakata E-Book

Karl May

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Beschreibung

Der Geist der Llano estakata reitet durch die Llano und verschwindet wieder. Er lässt Männer mit einem Loch in der Stirne zurück. Immer waren es sogenannte Pfahlmänner, die Reisende in die Irre führten und ausraubten. - Zufällig kommen Winnetou und Old Shatterhand einer grossen Gruppe von Geiern des Llano (Pfahlmännern) auf die Spur. Diese wollen sich an einer Gruppe von Auswanderern bereichern.

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Titel

Karl May

Der Geist der Llano Estakata

behutsam bearbeitet

Basel, 2015

[email protected]

Bloody-fox

Zwei Männer kamen am Wasser dahergeritten, ein Weißer und ein Neger. Der erstere war sehr eigentümlich gekleidet. Er trug indianische Schuhe und Lederhosen, dazu einen einst dunkelblau gewesenen, jetzt aber sehr verschossenen Frack, mit Patten, hohen Achselpuffen und blank geputzten Messingknöpfen. Die langen Schöße hingen flügelartig rechts und links an den Seiten des Pferdes hernieder. Auf dem Kopfe saß ein riesiger, schwarzer Amazonenhut, welchen eine gelb gefärbte, unechte Straußenfeder schmückte. Bewaffnet war der kleine schmächtige Mann mit einer Doppelbüchse, welche ihm über die Schulter hing, mit einer Messer und zwei Revolvern, die er im Gürtel trug. An dem letzteren hingen mehrere Beutel, wohl zur Aufnahme der Munition und allerhand notwendiger Kleinigkeiten bestimmt; jetzt aber schienen sie ziemlich leer zu sein.

Der Schwarze war eine riesige, breitschulterige Figur. Auch er trug Mokassins und dazu indianische Leggins von jener Art, welche aus zwei voneinander getrennten Hosenbeinen bestehen, so daß man eigentlich Haut gegen Haut auf dem Pferde sitzt. Das ist aber freilich nur dann von Vorteil, wenn man ohne Sattel reitet. Zu dieser Bekleidung des Unterkörpers wollte freilich diejenige des Oberkörpers nicht recht passen, denn sie bestand aus dem Waffenrocke eines französischen Dragoneroffiziers. Dieses Kleidungsstück war wohl bei der französischen Invasion nach Mexiko gekommen und hatte sich dann auf unbekannten Umwegen auf den Leib des Schwarzen verirrt. Der Rock war dem herkulischen Neger viel zu kurz und viel zu eng; er konnte nicht zugeknöpft werden, und darum konnte man die breite, nackte Brust des Reiters sehen, welcher wohl deshalb kein Hemd trug, weil es im Westen keine Wäscherinnen und Plätterinnen gibt. Dafür aber hatte er ein großes, rot und weiß kariertes Tuch um seinen Hals gebunden und vom zu einer riesigen Schleife zusammengezipfelt. Der Kopf war unbedeckt, damit man die unzähligen kleinen, fettglänzenden Löckchen, die er sich anfrisiert hatte, sehen und bewundern könne. Bewaffnet war der Mann auch mit einem Doppelgewehre, außerdem mit einem Messer, einem irgendwo entdeckten Bajonette und einer Reiterpistole, deren Geburtsjahr jedenfalls auf Anno Tobak zu setzen war.

Beritten waren beide gut. Es war den Pferden anzusehen, daß heute ein weiter Weg hinter ihnen liege, und doch schritten sie noch so munter und kräftig aus, als ob sie ihre Reiter kaum stundenlang getragen hätten.

Die Ufer des Baches waren saftig grün bewachsen, doch nur in einer gewissen Breite. Über dieselbe hinaus gab es dürre Yuccas, fleischige Ajaren und vertrocknetes Bärengras, dessen wohl 15 Fuß hohe Stengel verblüht waren.

»Schlechte Gegend!« sagte der Weiße. »Im Norden hatten wir es besser. Nicht wahr, Bob?«

»Yes,« antwortete der Gefragte. »Massa Frank haben recht. Hier es Masser Bob nicht sehr gefallen. Wenn nur bald an Helmers Home kommen, denn Masser Bob haben Hunger wie ein Walfisch, welcher Haus verschlingt.«

»Der Walfisch kann kein Haus verschlingen,« erklärte Frank dem Schwarzen, »denn seine Gurgel ist zu eng dazu.«

»Mag Gurgel aufmachen, wie Masser Bob sie aufmacht, wenn er ißt! Wie weit es noch sein bis Helmers Home?«

»Das weiß ich nicht genau. Nach der Beschreibung, welche uns heute früh gemacht wurde, müssen wir bald am Ziele sein. Schau, kommt dort nicht ein Reiter?«

Er deutete nach rechts über das Wasser hinüber. Bob hielt sein Pferd an, legte die Hand über die Augen, um sie gegen die im Westen tiefstehende Sonne zu beschatten, öffnete nach seiner Weise den Mund sehr weit, um noch besser sehen zu können, und antwortete nach einer Weile:

»Ja, es sein ein Reiter, ein kleiner Mann, auf großem Pferd. Er kommen hierher zu Masser Bob und Massa Frank.«

Der Reiter, von welchem die Rede war, kam in scharfem Trabe herbei, hielt aber nicht auf die beiden zu, sondern schien ihnen vom quer über ihre Richtung kommen zu wollen. Er tat gar nicht so, als ob er sie sehe.

»Sonderbarer Kerl!« brummte Frank. »Hier im wilden Westen ist man doch froh, einen Menschen zu sehen; diesem scheint aber gar nichts an unserer Begegnung zu liegen. Entweder ist er ein Menschenfeind, oder hat er kein gutes Gewissen.«

»Soll Masser Bob ihn einmal rufen?«

»Ja, rufe ihn. Deine Elefantentrompete wird er eher hören, als mein Zephyrsäuseln.«

Bob hielt beide Hände hohl an den Mund und schrie aus vollem Halse:

»Hallo, hallo! Halt, warten! Warum ausreißen vor Masser Bob!«

Der Neger hatte allerdings eine Stimme, welche ganz geeignet war, einen Scheintoten in das Leben zurückzubringen. Der Reiter parierte sein Pferd. Die beiden beeilten sich, ihn zu erreichen.

Als sie in seine Nähe gelangten, erkannten sie, daß sie keinen Mann von kleiner Statur, sondern einen kaum dem Knabenalter entwachsenen Jüngling vor sich hatten. Er war genau so wie die bekannten kalifornischen Cow-boys ganz in Büffelkuhleder gekleidet, und zwar in der Weise, daß alle Nähte mit Fransen versehen waren. Auf dem Kopfe trug er einen breitkrempigen Sombrero. Eine breite, rotwollene Schärpe umschlang statt des Gürtels seine Hüften und hing an seiner linken Seite herab. In dieser Schärpe steckten ein Bowiemesser und zwei mit Silber ausgelegte Pistolen. Quer vor sich auf den Knien hielt er eine schwere, doppelläufige Kentuckybüchse, und vorn zu beiden Seiten des Sattels waren nach mexikanischer Weise Schutzleder angebracht, um die Beine zu bedecken und vor Pfeilschüssen oder Lanzenstößen zu bewahren.

Sein Gesicht war von der Sonne tief gebräunt und trotz seiner Jugend von Wind und Wetter gegerbt. Von der linken Seite der Stirn ging ihm eine blutrote, zwei Finger breite Wulst quer bis auf das rechte Auge herab. Das gab ihm ein äußerst kriegerisches Aussehen. Überhaupt machte er keineswegs den Eindruck eines jungen, unerwachsenen und unerfahrenen Menschen. Die schwere Büchse so leicht in der Hand, als ob sie ein Federkiel sei, das dunkle Auge groß und voll auf die beiden gerichtet, saß er stolz und fest wie ein Alter auf dem Pferde, welches sich unter ihm nicht bewegen zu können schien.

»Good day, my boy!« grüßte Frank. »Bist du in dieser Gegend bekannt?«

»Very well,« antwortete er, indem er ein leises, ironisches Lächeln sehen ließ, wohl darüber, daß der Frager ihn du genannt hatte.

»Kennst du Helmers Home?«

»Ay!«

»Wie lange reitet man noch bis hin?«

»Je langsamer, desto länger.«

»Zounds! Du scheinst sehr kurz angebunden zu sein, mein Junge!«

»Weil ich kein Mormonenpfarrer bin.«

»Ach so! Dann entschuldige! Du zürnst mir wohl, daß ich dich du genannt habe?«

»Fällt mir nicht ein! Mit der Anrede mag es ein jeder halten, wie er will, nur muß er sich dann auch die meinige gefallen lassen.«

»Schön! So sind wir also einig. Du gefällst mir sehr. Hier ist meine Hand. Nenne mich auch du und antworte mir nun aber, wie es sich schickt und gehört. Ich bin hier fremd und muß nach Helmers Home. Hoffentlich zeigst du mir nicht einen falschen Weg.«

Er reichte dem Jünglinge die Hand hinüber. Dieser drückte sie ihm, überflog Frack und Amazonenhut mit einem lächelnden Blicke und antwortete:

»Ein Schuft, wer andere in die Irre führt! Ich habe es an mir erfahren! Ich reite soeben nach Helmers Home. Wenn ihr mir folgen wollt, so kommt!«

Er setzte sein Pferd wieder in Bewegung und die beiden folgten ihm, vom Bache abbiegend, so daß der Ritt nunmehr nach Süd gerichtet war.

»Wir wären dem Wasser gefolgt,« bemerkte Frank.

»Es hätte euch auch zu dem alten Helmers geführt,« antwortete der Knabe, »aber in einem sehr weiten Bogen. Anstatt in drei Viertelstunden wäret ihr in zwei Stunden bei ihm angekommen.«

»So ist es ja sehr gut, daß wir dich getroffen haben. Kennst du den Besitzer dieses Settlements?«

»Sogar sehr gut.«

»Was ist er für ein Mann?«

Die beiden Reiter hatten ihren jungen Wegweiser in die Mitte genommen. Er warf einen forschenden Blick auf sie und antwortete:

»Wenn ihr kein gutes Gewissen habt, so geht nicht zu ihm, sondern kehrt lieber um.«

»Warum?«

»Er hat ein sehr scharfes Auge für jede Schuftigkeit und hält sehr streng auf ein reines Haus.«

»Das gefällt mir von dem Manne. Wir haben also nichts von ihm zu befürchten.«

»Wenn ihr brave Kerls seid, nein. Dann ist er ganz im Gegenteile euch zu jedem Dienste erbötig.«

»Ich höre, daß er einen Store führt?«

»Ja, aber nicht um des Gewinnes halber, sondern nur um den Westmännern, welche bei ihm verkehren, gefällig zu sein. Er führt in seinem Laden alles, was ein Jäger braucht, und er verkauft es zum billigstmöglichen Preise. Aber einer, der ihm nicht gefällt, wird selbst für teures Geld nichts von ihm erhalten.«

»So ist er ein Original?«

»Nein, aber er bemüht sich auf alle Weise, jenes Gelichter von sich fern zu halten, welches den Westen unsicher macht. Ich brauche ihn euch gar nicht zu beschreiben. Ihr werdet ihn schon kennen lernen. Nur eins will ich euch noch von ihm sagen, was ihr freilich nicht verstehen und worüber ihr sogar wohl lachen werdet: Er ist ein Deutscher von echtem Schrot und Korn. Damit ist alles gesagt.«

Frank stand in den Bügeln auf und rief:

»Was? Das soll ich nicht verstehen? Darüber soll ich sogar lachen? Was fällt dir ein! Ich freue mich sogar königlich darüber, hier am Rande der Llano estakata einen Landsmann zu finden.«

Das Gesicht des Führers war ein sehr ernstes; selbst sein zweimaliges Lächeln war so gewesen, als ob er wirklich zu lachen gar nicht verstehe. Jetzt blickte er mit milden, freundlichen Augen zu Frank herüber und fragte:

»Wie? Ein Deutscher bist du? Ist's wahr?«

»Jawohl! Natürlich! Siehst du mir das denn nicht sofort an?«

»Nein! Du sprichst das Englische nicht wie ein Deutscher und hast ganz genau das Aussehen eines Yankee-Onkels, welcher von seinen sämtlichen Neffen zum Fenster hinausgeworfen worden ist.«

»Heavens! Was fällt dir ein! Ich bin ein Deutscher durch und durch, und wer das nicht glaubt, dem renne ich die Flinte durch den Leib!«

»Dazu genügt das Messer auch. Aber wenn es so ist, so wird der alte Helmers sich freuen, denn er stammt auch von drüben herüber.«

»Aus Deutschland?«

»Ja, und er hält gar große Stücke auf sein Vaterland und seine Muttersprache.«

»Das glaube ich! Ein Deutscher kann beide nie vergessen. Nun freue ich mich doppelt, nach Helmers Home zu kommen. Eigentlich konnte ich mir denken, daß er ein Deutscher ist. Ein Yankee hätte sein Settlement Helmers Range oder so ähnlich genannt; aber Helmers Home, dieses Namens wird sich nur ein Deutscher bedienen. Wohnst du in seiner Nähe?«

»Nein! Ich habe weder eine Range noch eine Home als mein Eigentum. Ich bin wie der Vogel in der Luft oder wie das Tier im Walde.«

»Also ein armer Teufel?«

»Ja!«

»Trotz deiner Jugend! Hast du keine Eltern?«

»Keinen einzigen Verwandten.«

»Aber einen Namen besitzest du!«

»Ja freilich. Man nennt mich Bloody-fox.«

»Bloody-fox? Das deutet auf ein blutiges Ereignis.«

»Ja, meine Eltern wurden mit der ganzen Familie und der sämtlichen Gesellschaft ermordet, drin in der Llano estakata; nur ich allein bin übrig geblieben. Man fand mich mit klaffendem Schädel. Ich war ungefähr acht Jahre alt.«

»Herrgott! Dann bist du wirklich das, was ich sagte, ein armer Teufel. Man überfiel euch, um euch auszurauben?«

»Ja, natürlich.«

»So rettetest du nichts als das Leben, deinen Namen und die schreckliche Erinnerung!«

»Nicht einmal das. Helmers fand mich im Kaktus liegen, nahm mich auf das Pferd und brachte mich heim zu sich. Ich habe monatelang im Fieber gelegen, und als ich erwachte wußte ich nichts mehr, gar nichts mehr. Ich hatte selbst meinen Namen vergessen, und ich kann mich selbst heute noch nicht auf denselben besinnen. Nur der Augenblick des Überfalls ist mir klar im Gedächtnisse geblieben. Ich wäre glücklicher, wenn auch das mir entschwunden wäre, denn dann würde nicht das heiße Verlangen nach Rache mich wieder und immer wieder durch die schreckliche Wüste peitschen.«

»Und warum hat man dir den Namen Bloody-fox gegeben?«

»Weil ich über und über mit Blut bedeckt gewesen bin und während meiner Fieberphantasien oft den Namen Fuchs genannt habe. Man hat daraus schließen zu müssen geglaubt, daß er der meinige sei.«

»So wären deine Eltern also Deutsche gewesen?«

»Jedenfalls. Denn ich verstand, als ich wieder zu mir kam, kein englisches und auch kein deutsches Wort. Ich konnte mich überhaupt gar keiner Sprache bedienen. Aber während ich das Englische eben langsam lernte, wie einer, der es noch nicht kann, wurde mir das Deutsche so schnell, ja so plötzlich geläufig, daß ich es unbedingt schon vorher gesprochen haben mußte. Helmers ist mir wie ein Vater gewesen. Er wohnte damals noch nicht in seinem jetzigen Settlement. Aber es hat mich nicht bei ihm gelitten. Ich habe hinaus gemußt in die Wildnis wie der Falke, dem die Geier die Alten zerrissen haben, und der nun um die blutige Stätte kreisen muß, bis es ihm gelingt, auf die Mörder zu stoßen. Sein scharfes Auge muß und wird sie entdecken. Mögen sie hundertmal stärker sein als er, und mag er sein Leben geben müssen, er wird es gern verlieren, denn sein Tod wird auch der ihrige sein!«

Er knirschte hörbar mit den Zähnen und nahm sein Pferd so scharf in die Zügel, daß es hoch empor stieg.

»So hast du die Schmarre auf der Stirn von damals her?« fragte Frank.

»Ja,« antwortete er finster. »Doch, sprechen wir nicht weiter davon! Es regt mich zu sehr auf, und dann müßt ihr gewärtig sein, ich stürme von euch fort und lasse euch allein nach Helmers Home reiten.«

»Ja, sprechen wir lieber von dem Besitzer desselben. Was ist er denn drüben im alten Lande gewesen?«

»Forstbeamter. Ich glaube, Oberförster.«

»Wie – wa – wa – was!« rief Frank. »Ich auch!«

Bloody-fox machte eine Bewegung der Überraschung, betrachtete sich den Sprecher abermals genau und sagte dann:

»Du auch? Das ist ja ein höchst erfreuliches Zusammentreffen!«

»Ja, ich habe ganz dieselbe Karriere gehabt. Aber wenn er die schöne Anstellung eines Oberförsters gehabt hat, warum hat er sie denn aufgegeben?«

»Aus Ärger. Ich glaube, die betreffende Waldung befand sich im Privatbesitz, und sein Patron war ein stolzer, rücksichtsloser und jähzorniger Herr. Beide sind auf- und auseinander geraten, und Helmers hat ein schlechtes Zeugnis erhalten, so daß er keine Wiederanstellung fand. Da ist er denn so weit wie möglich fortgegangen. Siehst du da drüben das Rot- und Schwarzeichengehölz?«

»Ja!« antwortete Frank, indem er in die angegebene Richtung blickte.

»Dort treffen wir wieder auf den Bach, und hinter dem Walde beginnen Helmers Felder. Bisher hast du mich ausgefragt; nun will einmal ich einige Erkundigungen aussprechen. Wird nicht dieser brave Neger Sliding-Bob genannt?«

Da tat Bob im Sattel einen Sprung, als ob er sich vom Pferde schnellen wolle.

»Ah! oh!« rief er. »Warum schimpfen Massa Bloody-fox gut, brav Masser Bob?«

»Nicht schimpfen und nicht beleidigen will ich dich,« antwortete der Jüngling. »Ich glaube, ich bin ein Freund von dir.«

»Warum da nennen Masser Bob grad so, wie haben Indianer ihn genannt, weil Masser Bob damals immer rutschen von Pferd herab! jetzt aber Masser Bob reiten wie ein Teufel!«

Um zu zeigen, daß er die Wahrheit gesagt habe, gab er seinem Pferde die Sporen und galoppierte davon, gerade auf das erwähnte Gehölz zu. Auch Frank war über die Frage des jungen Mannes erstaunt.

»Du kennst Bob?« sagte er. »Das ist doch beinahe unmöglich!«

»O nein! Ich kenne auch dich.«

»Das wäre! Wie heiße ich denn?«

»Hobble-Frank.«

»Good lack! Das ist richtig! Aber, Boy, wer hat dir das gesagt? Ich bin doch all mein Lebtag noch nicht hier in dieser Gegend gewesen.«

»O,« lächelte der Jüngling, »man wird doch einen so berühmten Westmann kennen, wie du bist.«

Frank blies sich auf, daß ihm der Frack zu eng werden wollte, und sagte:

»Ich? berühmt? Auch das weißt du schon?«

»Ja!«

»Wer hat es dir gesagt?«

»Ein früherer Bekannter von mir, Jakob Pfefferkorn, welcher gewöhnlich nur der ›dicke Jemmy‹ genannt wird.«

»Alle Wetter! Mein Spezial! Wo hast du den getroffen?«

»Vor einigen Tagen eben am Washita Fork. Er erzählte mir, daß ihr euch verabredet habt, euch hier in Helmers Home zu treffen.«

»Das ist richtig. Kommt er denn?«

»Ja! Ich bin eher aufgebrochen und komme direkt von oben herunter. Er wird jedenfalls bald nachfolgen.«

»Das ist herrlich; das ist prächtig! Also er hat dir von uns erzählt?«

»Er hat mir eueren ganzen Zug nach dem Yellowstone berichtet. Als du mir vorhin sagtest, daß du auch Forstmann gewesen seist, wußte ich sogleich, wen ich vor mir habe.«

»So wirst du mir nun glauben, daß ich ein guter Deutscher bin?«

»Nicht nur das bist du, sondern ein guter, herzensbraver Kerl überhaupt,« lächelte der junge Mann.

»So hat der Dicke mich also nicht schlecht gemacht?«

»Ist ihm gar nicht eingefallen! Wie könnte er seinen braven Frank verleumden!«

»Ja, weißt du, wir haben uns zuweilen ganz außerordentlich über Dinge gestritten, welche zu begreifen eine Gymnasialbildung nicht ganz hinreichend ist. Er hat aber glücklicherweise eingesehen, daß wir einander überlegen sind, und so kann es nun auf der ganzen Welt keine besseren Freunde, als uns, geben. – Aber da ist Bob, und da ist das Gehölz. Wie nun weiter?«

»Über den Bach hinüber und zwischen den Bäumen hindurch; das ist die genaue Richtung. Reiter, wie Bob einer ist, brauchen keinen gebahnten Weg.«

»Ja, richtig!« stimmte der Neger stolz bei. »Massa Bloody-fox haben sehen, daß Masser Bob reiten wie ein Indianer. Masser Bob machen mit durch dick und dünn.«

Sie setzten über das Wasser, ritten durch das Wäldchen, woran kein Unterholz sie hinderte, und kamen dann zwischen eingezäunten Mais-, Hafer- und Kartoffelfeldern hindurch.

Hier gab es stellenweise den fruchtbaren, schwarzen Sandboden des texanischen Hügellandes, welcher reiche Ernten gibt. Das Wasser des Baches erhöhte den Wert des Settlementes und floß ganz nahe an dem Wohnhause vorüber, hinter welchem sich die Stallungen und Wirtschaftsgebäude befanden.

Das Haus war aus Stein gebaut, lang, tief und ohne Oberstock, doch enthielten die Giebelseiten je zwei kleine Dachstuben. Vor der Türe standen vier riesige Postoaks mit bis zur Spitze kerzengeraden Stämmen, von welchen weitschattende Äste ausgingen, unter denen mehrere einfache Tische und Bänke angebracht waren. Man sah es auf den ersten Blick, daß rechts vom Eingange der Wohnraum, und links von demselben der von Bloody-fox erwähnte Laden lag.

An einem der Tische saß ein ältlicher Mann, welcher, die Tabakspfeife im Munde, den drei Ankömmlingen forschend entgegenblickte. Er war von hoher, derber Gestalt, wetterhart im Gesicht, welches ein dichter Vollbart umrahmte, ein echter Westmann, dessen Händen es anzusehen war, daß sie wenig geruht, aber viel geschafft und gearbeitet hatten.

Als er den Führer der beiden Fremden erkannte, stand er auf und rief ihm bereits von weitem entgegen:

»Welcome, Bloody-fox! Lässest du dich endlich wieder einmal sehen? Es gibt Neuigkeiten.«

»Von woher?« fragte der Jüngling.

»Von da drüben.«

Er deutete mit der Hand nach Westen.

»Was für welche? Gute?«

»Leider nicht. Es hat wahrscheinlich wieder einmal Hyänen in den Plains gegeben.«

Die Llano estakata wird nämlich von dem englisch sprechenden Amerikaner Staked Plain genannt. Beide Bezeichnungen haben aber ganz denselben wörtlichen Sinn.

Diese Nachricht schien den jungen Mann förmlich zu elektrisieren. Er schwang sich aus dem Sattel, trat schnell auf den Mann zu und sagte:

»Das mußt du mir sofort erzählen!«

»Es ist wenig genug und läßt sich sehr bald sagen. Vorher aber wirst du doch so höflich sein, diesen beiden Gentlemen mitzuteilen, wer ich bin.«

»Das ist ebenso bald gesagt. Du bist Master Helmers, der Besitzer dieser Farm, und diese Herren sind gute Freunde von mir, Master Hobble-Frank und Masser Sliding-Bob, die dich aufsuchen wollen, um vielleicht etwas von dir zu kaufen.«

Helmers betrachtete die beiden Genannten und bemerkte:

»Will sie erst kennen lernen, ehe ich mit ihnen handle. Habe sie noch nie gesehen.«

»Du kannst sie ruhig bei dir aufnehmen; ich habe sie ja meine Freunde genannt.«

»Im Ernste oder aus Höflichkeit?«

»In vollem Ernste.«

»Nun, dann sind sie mir willkommen.«

Er streckte Frank und auch dem Neger die Hand entgegen und lud sie ein, sich niederzusetzen.

»Erst die Pferde, Sir,« sagte Frank. »Ihr wißt ja, was die erste Pflicht eines Westmanns ist.«

»Wohl! Aus eurer Sorge für die Tiere ersehe ich, daß ihr brave Bursche seid. Wann wollt ihr wieder fort?«

»Wir sind vielleicht gezwungen, einige Tage hier zu bleiben, da wir gute Kameraden erwarten.«

»So führt die Pferde hinter das Haus, und ruft nach Herkules, dem Neger. Der wird euch in allem gern zu Diensten sein.«

Die beiden folgten dieser Aufforderung. Helmers blickte ihnen kopfschüttelnd nach und sagte zu Bloody-fox:

»Sonderbare Kerle hast du mir da gebracht! Einen französischen Rittmeister mit schwarzer Haut und einen Gentleman von vor fünfzig Jahren mit ostrich-feather-hat. Das fällt selbst hier im fernen Westen auf«

»Laß dich nicht irre machen, Alter! Ich will dir nur einen einzigen Namen nennen; dann wirst du ihnen trauen. Sie sind gute Bekannte von Old Shatterhand, den sie hier erwarten.«

»Was? Wirklich?« rief der Farmer. »Old Shatterhand will nach Helmers Home kommen?«

»Ja, gewiß!«

»Von wem hast du das? Von den beiden?«

»Nein, sondern von dem dicken Jemmy Pfefferkorn.«

»Auch den hast du getroffen? Ich bin ihm nur zweimal begegnet, möchte ihn aber gern einmal wiedersehen.«

»Das wirst du bald. Er kommt auch hierher. Er gehört zu der Gesellschaft, welche die beiden bei dir erwarten.«

Helmers sog schnell einigemal an seiner Pfeife, die ihm ausgehen wollte; dann rief er, indem sein Gesicht vor Freude glänzte:

»Welch eine Nachricht! Old Shatterhand und der dicke Jemmy! Das ist eine Freude und eine Ehre, die ich zu würdigen weiß. Ich muß nun gleich zu meinem alten Bärbchen laufen, um ihr mitzuteilen, daß –--«

»Halt!« unterbrach Bloody-fox den Farmer, indem er ihn, der forteilen wollte, am Arme festhielt, »erst will ich hören, was sich dort auf den Plains begeben hat!«

»Ein Verbrechen natürlich,« antwortete Helmers, indem er sich wieder zu ihm wandte. »Wie lange warst du nicht bei mir?«

»Fast zwei Wochen.«

»So hast du auch die vier Familien nicht bei mir gesehen, welche über die Llano wollten. Sie sind seit über einer Woche fort von hier, aber nicht drüben angekommen. Burton, der Trader, ist von drüben herüber. Sie müßten ihm begegnet sein.«

»Sind die Pfähle in Ordnung gewesen?«

»Eben nicht. Hätte er die Wüste nicht seit zwanzig Jahren so genau kennen gelernt, so wäre er verloren.«

»Wo ist er hin?«

»Er liegt eben in der kleinen Stube, um sich auszuruhen.

Er war bei seiner Ankunft halb verschmachtet, hat aber trotzdem nichts genossen, um nur gleich schlafen zu können.«

»Ich muß zu ihm. Ich muß ihn trotz seiner Müdigkeit wecken. Er muß mir erzählen!«

Der junge Mann eilte ganz erregt fort und verschwand im Eingange des Hauses. Der Farmer setzte sich wieder nieder und rauchte seine Pfeife weiter. Mit der Verwunderung über die Eilfertigkeit des Jünglings fand er sich durch ein leichtes Kopfschütteln ab; dann nahm seine Miene den Ausdruck behaglicher Genugtuung an. Der Grund derselben war sehr leicht aus den Worten zu erkennen, welche er vor sich hin murmelte:

»Der dicke Jemmy! Hm – – – ! Und gar Old Shatterhand! Hm – – – ! Und solche Männer bringen nur tüchtige Kerls mit! Hm – – – ! Es wird eine ganze Gesellschaft kommen! Hm – – – ! Aber ich wollte es doch meinem Bärbchen sagen, daß – – –«

Er sprang auf, um die erfreuliche Neuigkeit seiner Frau mitzuteilen, blieb aber doch stehen, denn soeben kam Frank um die Ecke des Hauses auf ihn zu.

»Nun, Master, habt Ihr den Neger gefunden?« fragte ihn Helmers.

»Ja,« antwortete Frank. »Bob ist bei ihm, und so kann ich ihnen die Pferde überlassen. Ich muß vor allen Dingen wieder zu Euch, um Euch zu sagen, wie sehr ich mich freue, daß ich einen Kollegen gefunden habe.«

Er sprach englisch. Es war überhaupt bisher alles in englischer Sprache gesprochen worden.

»Einen Kollegen?« fragte der Farmer. »Wo denn?«

»Hier! Euch meine ich natürlich.«

»Mich? Wieso?«

»Nun, Bloody-fox hat mir gesagt, daß Ihr Oberförster gewesen seid.«

»Das ist richtig.«

»So sind wir also Kollegen, denn auch ich bin ein Jünger der Forstwissenschaft gewesen.«

»Ah! Wo denn, mein Lieber?«

»In Deutschland, in Sachsen sogar.«

»Was! In Sachsen? So sind Sie ein Deutscher? Warum sprechen Sie da englisch! Bedienen Sie sich doch Ihrer schönen Muttersprache!«

Dies sagte Helmers deutsch, und sofort fiel Hobble-Frank ein:

»Mit größtem Vergnügen, Herr Oberförschter! Wenn es sich um meine angeschtammte Mutterschprache handelt, dann mache ich keene Schperrenzien, sondern gehe off der Schtelle mit droff ein. Sie werden es sofort der Reenheit oder der Reinheet meines syntaxischen Ausdruckes anhören, daß ich in derjenigen Gegend Deutschlands existiert habe, in welcher bekanntlich das gelenkigste und hochgeläutertste Deutsch geschprochen wird, nämlich in Moritzburg, bei der Residenzschtadt Dresden, wissen Sie, wo das Schloß mit dem Bildnisse Augusts des Schtarken und den berühmten Karpfenteichen sich befindet. Ich begrüße Sie also im Namen der edlen Forschtkultur und hoffe, Sie sehen es sofort ein, daß Sie es in mir mit eenem hervorragenden ingenium magnam sine mixtura Clementius zu tun haben!«

Sonderbar! Wenn Frank sich des Englischen bediente, so war er ein ganz verständiges und bescheidenes Männchen; aber sobald er begann, sich deutsch auszudrücken, erwachte die Erkenntnis seiner Selbstherrlichkeit in ihm.

Helmers wußte zunächst nicht, was er denken solle. Er drückte ihm die so freundlich dargebotene Hand, gab keine direkte Antwort, lud den Herrn »Kollegen« ein, sich niederzusetzen, und versuchte, dadurch Zeit zu gewinnen, daß er sich in das Haus begab, um eine Erfrischung herbeizuholen. Als er zurückkehrte, hatte er zwei Flaschen und zwei Biergläser in der Hand.

»Sapperment, das ist günstig!« rief Frank. »Bier! Ja, das laß ich mir gefallen! Beim edlen Gerschtenschtoff öffnen sich am leichtesten die Schleusen männlicher Beredsamkeet. Wird denn hier in Texas ooch schon welches gebraut?«

»Sehr viel sogar. Sie müssen wissen, daß es in Texas vielleicht über vierzigtausend Deutsche gibt, und wo der Deutsche hinkommt, da wird sicherlich gebraut.«

»Ja, Hopfen und Malz, Gott erhalt's! Brauen Sie die liebe Gottesgabe selber?«

»Nein! Ich lasse mir, so oft es paßt, einen Vorrat aus Coleman City kommen. Prosit, Herr Frank!«

Er hatte die Gläser gefüllt und stieß mit Frank an. Dieser aber meinte:

»Bitte, Herr Oberförschter, genieren und fürchten Sie sich nich! Ich bin een höchst leutseliger Mensch; darum brauchen Sie mich nich Herr Frank zu titulieren. Sagen Sie ganz eenfach immer nur Herr Kollege! Da kommen wir beede gleich am besten weg. Ich habe die fürschtlich epidemische Hofetikette niemals nich recht leiden gekonnt. Ihr Bier is nich übel. Warum wollen wir uns also den Appetit oder vielmehr den Trinketit mit überschpannten und off die Schpitze geschraubten Neujahrschgratulationen verderben. Meenen Sie nich ooch?«

»Ganz recht!« nickte Helmers lachend. »Sie sind der Mann, der mir gefallen kann.«

»Natürlich! Etwas herablassend und liberal muß jeder sein, der den richtigen, intelligenten Verschtand sich angebildet hat. Was mich betrifft, so is mir das bei meiner fachmännischen Begabung gar nich schwer gefallen; aber wo haben denn Sie eegentlich schtudiert?«

»In Tharandt.«

»Hab' mir's gleich gedacht, denn Tharandt is der Alba Vater für die Forschtpraktikanten der ganzen Welt.«

»Wollten Sie etwa sagen, Alma mater?«

»Nee, ganz und gar nich. Versuchen Sie es nich etwa, mir an meinem klassisch hebräischen Latein herumzumäkeln, wie früher der dicke Jemmy es zu seinem eegenen Schaden tat? Wenn Sie das tun, da könnte unser schönes, penetrantes Verhältnis sehr leicht eene schlimme Wendung nehmen. Unsereener is ja Koryphäe und darf also so etwas nich dulden. Wo schteckt denn eegentlich unser guter Bloody-fox?«

»Er ist zu einem Gast von mir gegangen, um eine Erkundigung einzuziehen. Wo haben Sie ihn getroffen?«

»Draußen am Bache, ungefähr eene Schtunde von hier.«

»Ich dachte, Sie wären längere Zeit beisammen gewesen.«

»Das is nich im mindesten nötig. Ich habe so etwas anziehend Sympathetisches an mir, daß ich immer sehr schnell mit aller Welt befreundet werde. Der Psycholog nennt das die Sympolik der Geschmacks- und der Gefühlsorgane, was leider nich jedermann gegeben is. Der junge Mann hat mir bereits seinen ganzen Lebenslauf off das geheimnisvollste anvertraut. Ich widme ihm die ganze Teilnahme meines öffentlichen Herzens und hoffe, daß unsere junge Bekanntschaft für ihn eene wirkliche Kalospinthechromohelene des Glückes werde. Wissen Sie nichts Näheres über ihn?«

»Wenn er Ihnen seinen ganzen Lebenslauf erzählt hat, nein.«

»Wovon lebt er denn eigentlich?«

»Hm! Er bringt mir zuweilen einige Nuggets. Daraus schließe ich, daß er irgendwo einen kleinen Goldfund gemacht habe.«

»Das will ich ihm gönnen, zumal er een Deutscher zu sein scheint. Es muß schrecklich sein, nich zu wissen, unter dem wievielsten Äquator die erschte Lebenswiege der betreffenden Persönlichkeet geschtanden hat. Wir zwee beede, Sie und ich, kennen dieses hippokratische Leiden freilich nich. Wir wissen glücklicherweise, wohin sich unsere heimatsvolle Sehnsucht zu richten hat, nämlich nach Deutschland – – ›dahin, dahin‹, wie Galilei so schön in seinem Mingnonliede singt.«

»Sie meinen wohl Goethe?«

»Nee, ganz und gar nich! Ich weeß gar wohl zwischen Goethe und Galilei zu unterscheiden. Goethe gehört eener ganz anderen höhern Volksschule an. Er hätte solche gefühlvolle Reime gar nich fertig gebracht. Galilei aber mit seinem Fernrohre und seiner Sehnsucht nach elegischen Kometen hat das richtige Tirolerheimweh getroffen, indem er dichtete:

»Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, Ums Schindeldach die jungen Schtörche ziehn? Der Loobfrosch flötet abends im Geschträuch, Und Lunas Bild schtrahlt aus dem nahen Teich. Dort ist's gemütlich, drum dorthin Schteht mir die Nase und schteht mir der Sinn!«

Er hatte sich von seinem Sitze erhoben, die Verse deklamiert und mit Gesten begleitet. Jetzt sah er den Farmer erwartungsvoll an. Dieser mußte sich die größte Mühe geben, ernsthaft zu bleiben. Da er kein anerkennendes Wort sagte, fragte Frank verdrießlich:

»Es scheint, daß die Poesie keenen Eindruck off Sie macht. Haben Sie denn gar so een nüchternes Temperament?«

»Nein, nein! Ich schwieg nur aus Verwunderung darüber, daß Sie die Worte des Dichters so genau und so lange Zeit behalten können.«

»Das is weiter nichts. Was ich lese, das merk' ich mir. Und habe ich's ja vergessen, so verbessere ich's. Off diese Weise kann der Applaus gar nich ausbleiben.«

»So sind Sie ja ein geborener Dichter!«

»Ja, viel wird nicht daran fehlen!«

»So beneide ich Sie. Ich habe einmal zwei volle Tage lang meinen Kopf gemartert, um zwei Reime zu einem Geburtstagsgedichte fertig zu bringen – vergebens; ich konnte nicht Heureka! rufen.«

»Hören Sie, gebrauchen Sie das Wort nich falsch! Es is eene arabische Beschwörungsformel und bedeutet off deutsch: Der Teufel is los! Mit solchen Zaubereien muß man sehr vorsichtig sein, denn man weeß ja gar nich, was daraus entschtehen kann. Denken Sie nur daran, wie es dem berühmten Dschengischan mit seinen dreihundert Schpartanern ergangen is!«

»Wie denn?« fragte der Farmer, neugierig, was jetzt kommen werde.

»Er lag mit ihnen hinter dem Engpaß von Gibraltar, den die Tscherkessen erschtürmen wollten. Weil er so wenig Leute hatte, ließ er die berühmte Hexe von Endor kommen, um ihm zu helfen. Er setzte sich mit ihr und seinen Schpartanern um den Kessel herum, in welchen allerlee Kräuter und Elefantenfüße geworfen wurden. Jedenfalls is da een Versehen vorgekommen, denn plötzlich zerschprang der Kessel und Dschengischan flog mit sämtlichen Schpartanern in die Luft. Er war der Höchste von allen und sah bei dieser Gelegenheet, daß die Erde sich unter ihm um ihre Achse drehte. Da rief er off hebräisch aus: O sancta Complicius, zu deutsch: Und sie bewegt sich doch!«

Da konnte Helmers sich nicht mehr halten. Er sprang empor und stieß ein schallendes Gelächter aus. Daß der Hobble-Frank in seinem Fracke und dem Amazonenhute diesen Gallimathias mit solchem Ernste vorbrachte, war gar zu spaßhaft.

»Was lachen Sie denn?« fragte Frank beleidigt. »Glooben Sie denn etwa, weil ich Ihr Kollege bin, können Sie mir ungeschtraft – – –«

Er wurde glücklicherweise unterbrochen, sonst hätte er eine donnernde Philippika losgelassen. Bloody-fox trat nämlich jetzt wieder aus dem Hause und kam auf die beiden zu. Er blickte dem Hobble-Frank in das vor Zorn hochrote Gesicht und fragte:

»Was gibt es denn? Worüber räsonnierest du?«

Er sprach deutsch, weil er hörte, daß Frank sich derselben Sprache bediente. Dieser antwortete:

»Worüber ich zürne? Darüber, daß dieser mein Kollege mich auslacht. Und warum lacht er mich aus? Weil er nichts von der sekundären Weltgeschichte verschteht. Ich gebe mir die schönste antike Mühe, ihm die antediluvianischen Konschtellationen der tscherkessischen Kriegsgeschichte zu erklären, aber er hat nich den mindesten Sinn für das Verhältnis zwischen der Taktik und Schtrategie des Mittelalters.«

»Taktik? Strategie?« fragte der junge Mann ganz verblüfft.

»Jawohl! Natürlich! Kennst du es?«

»Nein!«

»So will ich es dir erklären. Die richtige Taktik schteht zur richtigen Schtrategie grad in demselben Verhältnisse wie die Geometrie zur Archimetik, nämlich Radius mal Radius minus ix is gleich dem Quadrate der Hippodromuse mit zwee Kathedern im Lehrzimmer der Obersekunda. Kannst du das begreifen?«

»Nein,« antwortete Bloody-fox, sehr der Wahrheit gemäß.

»Schön! Ich werde es mir sehr gern überlegen,« unterbrach ihn Bloody-fox. »Jetzt aber habe ich keine Zeit dazu. Ich kann jetzt nur an die armen Menschen denken, welche in der Llano estakata ermordet worden sind.«

Er hatte wohl von dem dicken Jemmy genug erfahren, um zu wissen, wie der Hobble-Frank zu behandeln sei. Darum hütete er sich, demselben zu widersprechen und brachte einen Gegenstand zur Sprache, welcher ihn interessieren und von der Strafpredigt abbringen mußte. Er erreichte seine Absicht, denn Frank vergaß sofort seinen Zorn und fragte:

»Menschen sind ermordet worden? In der Llano? Wann denn?«

»Das weiß man nicht. Sie sind vor über acht Tagen von hier fort, aber nicht jenseits der Wüste angekommen. Folglich sind sie zu Grunde gegangen.«

»Vielleicht doch nicht. Sie werden wohl in anderer Richtung geritten sein, als sie ursprünglich beabsichtigt haben.«

»Eben das ist es ja, was ich befürchte. Von hier aus ist es nur in einer einzigen Richtung möglich, über die gefährlichen Plains zu gelangen. Diese Strecke ist ebenso gefährlich wie zum Beispiele die Sahara oder die Wüste Gobi. Es gibt in der Llano estakata keine Brunnen, keine Oasen und auch keine Kamele, welche viele Tage lang zu dürsten vermögen. Das macht diese Strecke so fürchterlich, obgleich sie kleiner ist als die große afrikanische oder asiatische Wüste. Es gibt keinen gebahnten Weg. Darum hat man die Richtung, in welcher der Ritt allein möglich ist, mit Pfählen abgesteckt, wovon die Wüste ihren Namen erhalten hat. Wer über diese Pfähle hinausgerät, der ist verloren; er muß den Tod des Verschmachtens sterben. Hitze und Durst verzehren ihm das Hirn; er verliert die Fähigkeit des Denkens und reitet so lange im Kreise herum, bis sein Pferd unter ihm zusammenbricht und er dann nicht weiter kann.«

»So darf er nicht den abgesteckten Weg verlassen, meinst du wohl?« fragte Helmers, welcher sah, daß Frank den Kopf schüttelte.

»Ja, das wollte ich sagen,« antwortete dieser.

»Diese Vorsicht beobachtet auch jedermann. Es gibt nur sehr, sehr wenige, welche die Llano so genau kennen, daß sie sich auch ohne Pfähle zurecht zu finden vermögen. Aber wie nun, wenn von schlechten Menschen die Pfähle falsch gesteckt werden?«

»Das wäre ja teuflisch!«

»Gewiß, aber dennoch kommt es vor. Es gibt Verbrecherbanden, deren Mitglieder die Pfähle aus der Erde ziehen und in falscher Richtung wieder befestigen. Wer ihnen nun folgt, der ist verloren. Die Pfähle hören plötzlich auf; er befindet sich inmitten des Verderbens und kann keine Rettung finden.«

»So reitet er längs der Pfähle zurück!«

»Dazu ist's zu spät, denn er befindet sich bereits so tief in der Estakata, daß er das Grasland nicht mehr zu erreichen vermag, bevor er verschmachtet. Die Räuber brauchen ihn gar nicht zu töten. Sie warten einfach, bis er verschmachtet ist, und rauben dann seinen Leichnam aus. So ist es bereits oft geschehen.«

»Aber kann man sie denn nicht unschädlich machen?«

Eben, als Helmers antworten wollte, wurde seine Aufmerksamkeit durch einen sich langsam nähernden Mann in Anspruch genommen, dessen Ankunft erst jetzt, als er um die Ecke des Hauses trat, bemerkt wurde. Er war durchaus in schwarzes Tuch gekleidet und trug ein kleines Päckchen in der Hand. Seine lange Gestalt war sehr schmal und engbrüstig, sein Gesicht hager und spitz. Der hohe Chapeau claque, welcher ihm tief im Nacken saß, gab ihm, zumal er eine Brille trug, im Verein mit dem dunklen Anzuge das Aussehen eines Geistlichen.

Er trat mit eigentümlich schleichenden Schritten näher, griff leicht an den Rand seines Hutes und grüßte:

»Good day, Mesch'schurs! Komme ich vielleicht hier richtig zu John Helmers, Esquire?«

Helmers betrachtete sich den Mann mit einem Blicke, aus welchem zu ersehen war, daß er kein großes Wohlgefallen an ihm fand, und antwortete:

»Helmers heiße ich, ja, aber den Esquire könnt Ihr getrost weglassen. Ich bin weder Friedensrichter, noch liebe ich überhaupt dergleichen Titulaturen. Das sind doch nur faule Äpfel, mit denen sich ein Gentleman nicht gern bewerfen läßt. Da Ihr meinen Namen kennt, so darf ich vielleicht auch den Eurigen erfahren?«

»Warum nicht, Sir! Ich heiße Tobias Preisegott Burton und bin Missionar der Heiligen des jüngsten Tages.« –

Er sagte das in einem sehr selbstbewußten und salbungsvollen Tone, welcher aber keineswegs den beabsichtigten Eindruck auf den Farmer machte, denn dieser meinte achselzuckend:

»Ein Mormone seid Ihr also? Das ist keineswegs eine Empfehlung für Euch. Ihr nennt Euch die Heiligen der letzten Tage. Das ist anspruchsvoll und überhebend, und da ich ein sehr bescheidenes Menschenkind bin und für Eure Selbstgerechtigkeit nicht den mindesten Sinn habe, so wird es am besten sein, Ihr schleicht in Euren frommen Missionsstiefeln sogleich weiter. Ich dulde keinen Proselytenmacher hier im Settlement.«

Das war sehr deutlich, ja sogar beleidigend gesprochen. Burton aber behielt seine verbindliche Miene bei, griff abermals höflich an den Hut und antwortete:

»Ihr irrt, Master, wenn Ihr meint, daß ich beabsichtige, die Bewohner dieser gesegneten Farm zu bekehren. Ich spreche bei Euch nur vor, um mich auszuruhen und meinen Hunger und Durst zu stillen.«

»So! Na, wenn Ihr nur das wollt, so sollt Ihr haben, was Euch nötig ist, vorausgesetzt natürlich, daß Ihr bezahlen könnt. Hoffentlich habt Ihr Geld bei Euch!«

Er überflog die Gestalt des Fremden abermals mit einem scharfen, prüfenden Blicke und zog dann ein Gesicht, als ob er etwas nichts weniger als Angenehmes gesehen habe. Der Mormone erhob den Blick gen Himmel, räusperte sich einigemal und erklärte:

»Zwar bin ich keineswegs übermäßig mit Schätzen dieser sündigen Welt versehen, aber Essen, Trinken und ein Nachtlager kann ich doch bezahlen. Freilich hatte ich nicht auf eine solche Ausgabe gerechnet, da mir gesagt wurde, daß das Haus John Helmers ein außerordentlich gastliches sei.«

»Ah? Von wem habt Ihr das denn erfahren?«

»Ich hörte es in Taylorsville, von woher ich komme.«

»Da ist Euch die Wahrheit gesagt worden; aber man scheint vergessen zu haben, hinzuzufügen, daß ich unentgeltliche Gastfreundschaft nur an solchen Leuten übe, welche mir willkommen sind.«

»So ist das bei mir wohl nicht der Fall?«

»Nein, gar nicht.«

»Aber ich habe Euch doch nichts getan!«

»Möglich! Doch wenn ich Euch genau betrachte, ist es mir, als ob mir von Euch nur Übles geschehen könne. Nehmt es mir nicht übel, Sir! Ich bin ein aufrichtiger Kerl und pflege einem jeden genau nur das zu sagen, was ich von ihm denke. Ihr habt ein Gesicht – – ein Gesicht – – hm, wenn man es erblickt, so juckt es einem in der Hand. Man pflegt das ein – ein – ein Ohrfeigengesicht zu nennen.«

Selbst jetzt tat der Mormone nicht, als ob er sich beleidigt fühle. Er griff zum drittenmal an den Hut und sagte in mildem Tone:

»Es ist in diesem Leben das Schicksal der Gerechten, verkannt zu werden. Ich bin nicht schuld an meinem Gesichte. Wenn es Euch nicht gefällt, so ist das nicht meine, sondern Eure Sache.«

»So! Aber sagen braucht Ihr es Euch nicht zu lassen. Wenn jemand mir so aufrichtig mitteilte, daß mein Gesicht ihm nicht gefalle, so würde er im nächsten Augenblicke meine Faust in dem seinigen fühlen. Es gehört ein großer Mangel an Ehrgefühl oder – wie Ihr vielleicht meint – eine noch größere Verschlagenheit dazu, so etwas ruhig hinzunehmen. Übrigens will ich Euch sagen, daß ich gegen Euer Gesicht an und für sich eigentlich gar nichts habe, sondern nur die Art und Weise, wie Ihr es in der Welt herumtragt, die behagt mir nicht. Und sodann kommt es mir ganz so vor, als ob es gar nicht Euer wirkliches Gesicht sei. Ich vermute sehr, daß Ihr eine ganz andere Miene aufsteckt, wenn Ihr Euch mit Euch allein befindet. Übrigens will mir auch noch anderes an Euch nicht recht gefallen.«

»Darf ich bitten, mir zu sagen, was Ihr meint?«

»Ich sage es Euch, auch ohne daß Ihr mich darum bittet. ich habe nämlich sehr viel dagegen, daß Ihr aus Taylorsville kommt.«

»Warum? Habt Ihr Feinde dort?«

»Keinen einzigen. Aber sagt mir doch einmal, wohin Ihr wollt?«

»Hinauf nach Preston am Red River.«

»Hm! Da geht wohl der nächste Weg hier bei mir vorüber?«

»Nein, aber ich hörte so viel Liebes und Gutes von Euch, daß es mich im Herzen verlangt hat, Euch kennen zu lernen.«

»Das wünscht ja nicht, Master Burton, denn es könnte Euch nicht gut bekommen! Kommt Ihr denn zu Fuß hierher?«

»Ja.«

»Ihr seid nicht im Besitze Eures Pferdes?«

»Meines Pferdes? Ich habe keines.«

»Oho! Versucht doch ja nicht, mir das weiszumachen! Ihr habt das Tier hier irgendwo versteckt, und ich vermute sehr, daß es kein ganz ehrenhafter Grund ist, der Euch dazu veranlaßt hat. Hier reitet jeder Mann, jede Frau und jedes Kind. Ohne Pferd gibt es in dieser Gegend kein Fortkommen. Ein Fremder, welcher sein Pferd versteckt und dann leugnet, eins zu besitzen, führt sicherlich nichts Gutes im Schilde.«

Der Mormone schlug die Hände beteuernd zusammen und rief:

»Aber, Master Helmers, ich schwöre Euch zu, daß ich wirklich kein Roß besitze. Ich gehe auf den Füßen der Demut durch das Land und habe noch nie in einem Sattel gesessen.«

Da erhob sich Helmers von der Bank, trat zu dem Manne hin, legte ihm die Hand schwer auf die Achsel und sagte:

»Mann, das sagt Ihr mir, wirklich mir, der ich so lange Jahre hier an der Grenze lebe? Meint Ihr denn, ich sei blind? Ich sehe ja, daß Ihr Euch die Wolle von den inneren Seiten Eurer Hose geritten habt. Ich sehe die Sporenlöcher in Euren Stiefeln, und – – –«

»Das ist kein Beweis, Sir!« fiel der Mormone ihm in die Rede. »Ich habe die Stiefeln alt gekauft; die Löcher waren bereits darin.«

»So! Wie lange Zeit tragt Ihr sie denn nun bereits?«

»Seit zwei Monaten.«

»Dann wären die Löcher längst mit Staub oder Schmutz gefüllt. Oder macht Ihr Euch etwa das Vergnügen, sie täglich neu auszubohren? Es hat in letzter Nacht geregnet; eine so weite Fußwanderung hätte Eure Stiefel über und über beschmutzt. Daß sie so sauber sind, wie ich sehe, ist ein sicherer Beweis, daß Ihr geritten seid. Übrigens duftet Ihr nach Pferd, und da, da schaut einmal her! Wenn Ihr wieder einmal die Sporen in die Hosentasche steckt, so sorgt dafür, daß nicht ein Rad davon außen am Saume hängen bleibt!«

Er deutete auf das messingene Sporenrad, welches aus der Tasche hervorsah.

»Diese Sporen habe ich gestern gefunden,« verteidigte sich der Mormone.

»So hättet Ihr sie lieber liegen lassen sollen, da Ihr sie ja doch nicht braucht. Übrigens braucht es mich ja gar nichts anzugehen, ob Ihr reitet oder mit Schusters Fregatte segelt. Meinetwegen könnt Ihr auf Schlittschuhen durch die Welt laufen. Wenn Ihr bezahlen könnt, so sollt Ihr Essen und Trinken haben; dann aber macht Euch wieder fort. Über die Nacht kann ich Euch nicht behalten. Ich nehme nur Leute, welche keinen Verdacht erregen, bei mir auf.«

Er trat an das offene Fenster, sagte einige halblaute Worte hinein und kehrte dann wieder an seinen Platz zurück, wo er sich niederließ und sich scheinbar gar nicht weiter um den Fremden bekümmerte.

Dieser setzte sich an den nächsten Tisch, legte sein Bündel auf denselben, faltete kopfschüttelnd die Hände und senkte ergeben das Haupt, ruhig wartend, was man ihm bringen werde. Er hatte ganz das Aussehen eines Mannes, welchem ein unverdienter Schmerz bereitet worden war.

Hobble-Frank hatte der kurzen Unterhaltung mit Interesse zugehört; jetzt nun, da sie beendet war, beachtete er den Mormonen nicht weiter. Ganz anders aber verhielt sich Bloody-fox.

Dieser hatte gleich beim Erscheinen des Fremden die Augen weit geöffnet und dann den Blick nicht wieder von ihm gewendet. Er hatte sich nicht niedergesetzt gehabt und war willens gewesen, die Farm zu verlassen; sein Pferd stand ja noch neben ihm. Jetzt griff er sich nach der Stirn, als ob er sich vergeblich bemühe, sich auf etwas zu besinnen. Dann ließ er die Hand sinken und nahm langsam dem Farmer gegenüber Platz, so daß er den Mormonen genau beobachten konnte. Er gab sich Mühe, sich nichts merken zu lassen; aber ein scharfer Beobachter hätte dennoch bemerken können, daß er innerlich in ganz ungewöhnlicher Weise beschäftigt sei.

Da trat eine ältliche, wohlbeleibte Frau aus der Tür. Sie brachte Brot und ein gewaltiges Stück gebratene Rindslende herbei.

»Das ist meine Frau,« erklärte Helmers dem Hobble-Frank in deutscher Sprache, während er mit dem Mormonen englisch gesprochen hatte. »Sie versteht ebensogut deutsch wie ich.«

»Das freut mich ungeheuer,« meinte Frank, indem er ihr die Hand reichte. »Es is gar lange Zeit her, daß ich zum letzten Male mit eener Lady mich um die deutsche Muttersprache herumbewegte. Seien Sie mir also hoch willkommen und gebenedeiet, meine scharmante Frau Helmers. Hat Ihre Wiege sich vielleicht ooch im Vater Rheine oder in der Schwester Elbe geschaukelt?«

»Wenn auch das nicht,« antwortete sie lächelnd. »Man pflegt selbst drüben in der Heimat die Wiegen nicht in das Wasser zu stellen. Aber eine geborene Deutsche bin ich doch.«

»Na, das mit dem Rheine und der Elbe war natürlich nich so wörtlich gemeent. Sie müssen das als een poetisch humanes Metafferbeischpiel nehmen. Ich hab meinen erschten wonnevollen Atemzug in der Nähe von Elbflorenz getan, was der mathematische Geograph nämlich Dresden nennt. Da is es bei den dortigen Kunstschätzen keen Wunder nich, wenn unsereener sich gewöhnt hat, in der höheren lyrischen Ausdrucksweise zu schweben. Wenn Schiller im ›Gange nach der Hammerschmiede‹ so schön singt, ›der Menschheit Würde ist euch in alle beeden Hände gegeben‹, so sind wir Sachsen ganz besonders gemeent, denn uns hat das Herz des Dichters gehört, weil seine Frau, eene gewisse geborene Barbara Uttmann, ooch eene née Sächsin war. Trotzdem achte ich jede andere Deutsche ebenso, und so bitte ich Sie herzlich, Ihre gastlichen Flügel um mein freundliches Individuum zu schlagen. Den Dank, Dame, vergesse ich nich – -was sich übrigens bei meinem exquisiten Kulturschtandpunkte ganz von selbst verschteht.«

Die gute Frau wußte wirklich nicht, was sie dem eigentümlichen Kerlchen antworten sollte. Sie sah ihren Mann fragend an, und dieser kam ihr in ihrer Verlegenheit zu Hilfe, indem er ihr erklärte:

»Dieser Herr ist ein sehr lieber Kollege von mir, ein brav geschulter Forstmann, welcher drüben sicher eine gute Karriere gemacht hätte.«

»Ganz gewiß!« fiel Frank schnell ein. »Die höhere, intensive Forschtwissenschaft war die Leiter, off welcher ich mit Armen und Beenen emporgeklimmt wäre, wenn mich nich mein Fatum hinten angepackt und herüber nach Amerika gezogen hätte. Ich habe es glücklicherweise nich zu bereuen, daß ich der Schtimme des Schicksales mein musikalisches Gehör geschenkt habe. Ich bin von den zwölf Musen emporgehoben worden off diejenige Zinne der subtellurischen Gesittung, off welcher dem Eingeweihten alles Niedrige wurscht und schnuppe is. Von diesem Standpunkte aus konschtatiere ich, daß die Frauen es sind, die uns den himmlischen Ambrosius im Neckar kredenzen, mit welchem Bilde ich mich natürlich off Ihr Bier und Ihre gebratene Lende beziehe. Darum wollen wir sofort die Klinge ziehen und uns der freundlichen Gaben erbarmen, welche wir Ihrer liebenswürdigen Loyalität zu verdanken haben. Ich hoffe, wir werden uns schnell kennen lernen, meine ergebenste Frau Helmers!«

»Das bin ich überzeugt!« nickte sie ihm zu.

»Jawohl, natürlich! Hochgebildete Leute werden von ihrem angeborenen Inschtinkte sofort zusammengeführt. Was unter den Wolken liegt, das kümmert uns nichts. Übrigens ist mein Bier jetzt alle; könnte ich noch eens bekommen?«