Der Geldverteiler vom Mirabellplatz - Stefan Selke - E-Book

Der Geldverteiler vom Mirabellplatz E-Book

Stefan Selke

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Beschreibung

Der ehemalige Banker und Mönch Max Luger verwirklicht seinen Traum einer gerechteren Gesellschaft auf ganz individuelle Weise. In einem Container vor dem Schloss Mirabell, mitten in Salzburg, verteilt er in Sichtweite des Bürgermeisteramts gespendetes Geld an die Bedürftigen der Stadt. Seine Utopie nennt er FAIRSHAR€. Damit handelt er aktiv vor dem Hintergrund des immer weiter schrumpfenden Sozialstaates und hält unserer Gesellschaft einen Spiegel vor. Der Autor, Stefan Selke, begleitet das Projekt seit Oktober 2013 und skizziert die zahlreichen Höhen und Tiefen. Die soziale Utopie des Geldverteilers erzählt der Autor aus verschiedenen Perspektiven basierend auf einem Erfahrungsbericht von Max Luger, der die entscheidenden ersten Jahre des Projekts und die eigene Biografie zusammenfasst, sowie auf zahlreichen persönlichen Begegnungen und Gesprächen. Hinzu kommen eigene Beobachtungen im Container und rund um den Mirabellplatz in Salzburg. Auf diese Weise entsteht ein komplexes Bild dieses Experiments, welches uns zu einer eigenen Bewertung einlädt: Können wir selbst für eine gerechtere Welt sorgen?

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Stefan Selke

Der Geldverteiler vom Mirabellplatz

Stefan Selke

Der Geldverteiler vom Mirabellplatz

Eine soziale Utopie

Tectum Verlag

Stefan Selke

Der Geldverteiler vom Mirabellplatz

Eine soziale Utopie

© Tectum – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2018

E-Pub 978-3-8288-7025-3

(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Werk unter der ISBN 978-3-8288-4169-7 im Tectum Verlag erschienen.)

Umschlaggestaltung: Tectum Verlag, unter Verwendung des Bildes#3644672 von pr2is |www.shutterstock.com

Abbildungen im Innenteil und Autorenportrait: © Stefan Selke

Alle Rechte vorbehalten

Besuchen Sie uns im Internet:

www.tectum-verlag.de

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Inhalt

Prolog: „Ich habe eine Vision …“

1 Jede Utopie braucht einen Ort

2 Das Leben ist unschön

3 Injektion in die Aorta

4 Feuerwehr statt Pfadfinder

5 Mehr Pflicht als Euphorie

6 Geschichten gegen Geld

7 Armut nach System

8 Der Markt regelt alles

9 Das weite Herz

10 Gönner und Geizhälse

11 Kontrollierte Armut

12 Wenn der Brunnen versiegt

13 Gehen Sie doch zum Container!

14 Visionen lassen sich nicht teilen

15 Signale für den Ballastabwurf

16 Das dritte Herz

Epilog: Der Weg ins Freie

Danksagung

Quellenverzeichnis

Prolog: „Ich habe eine Vision …“

Wenn Bücher ihre Besitzer wechseln, geschehen manchmal merkwürdige Dinge. So beginnt diese Geschichte mit der schönen Geste eines Geschenks. Eine Salzburger Theologieprofessorin gibt eines meiner Bücher an einen Laientheologen und ehemaligen Mönch weiter, der versucht, mitten in der Festspielstadt seine persönliche Utopie einer gerechteren Welt in die Praxis umzusetzen. Im Buch Schamland schreibe ich über die allgegenwärtige Armut mitten unter uns. Und ich nenne mich zum ersten Mal einen wütenden Wissenschaftler. Dem Mann mit der Utopie muss beides gefallen haben. Als Reaktion auf die Lektüre des Buches erhalte ich am 6. April 2014 folgende Mail aus der Mozartstadt:

„Sehr geehrter Herr Selke! Ich bin 64Jahre alt und habe die Vision, dass eine wohlhabende Stadt wie Salzburg ihre Armen mittragen können müsste. Meine Initiative ist ein Experiment. Ich habe im Zentrum der Stadt, beim Schloss Mirabell, einen Container mit der Schriftskulptur aufgestellt. Menschen, die mehr haben, als sie brauchen, können Geld abgeben und jene, die in großer Not sind, können Geld bekommen. Was ich mache, gibt es nirgendwo auf der Welt. Ich gehe jeden Tag mit Freude in den Container und jeden Tag wieder zufrieden nach Haus. Die Stadt hat mir diese Initiative vorläufig bewilligt, ich werde aber um zwei Jahre verlängern lassen. Es sollte eigentlich eine Dauereinrichtung werden. Was ich mache ist total hemmschwellenfrei sowohl für FAIRSHAR€ Spender wie Empfänger. Wenn Sie Interesse haben, würde ich gerne meine Initiative von Ihnen wissenschaftlich begleiten lassen. Bin schon neugierig auf Ihre Reaktion! Mit freundlichen Grüßen, Max Luger“

Seit dieser ersten Mail ist nun einige Zeit vergangen. Es waren turbulente Jahre sowohl für das Projekt FAIRSHAR€ als auch für mich selbst. Ich selbst brauchte diese Zeit, damit mir nach und nach klar werden konnte, was es eigentlich mit diesem Container beim Schloss Mirabell auf sich hat. Der erste Blick reicht dafür, wie so oft, nicht aus. Nach all dieser Zeit habe ich nun viel verstanden. Aber verstehen heißt nicht automatisch einverstanden zu sein. Weil das so ist, schreibe ich dieses Buch, auch als Auseinandersetzung mit mir selbst. Nur schreibend kann ich klären, was der Fall ist und warum. In dieser Geschichte bewerte ich nichts, dafür lasse ich vieles aussprechen. So bekommt die Krankheit der Gesellschaft ein Gesicht und so zeichnen sich vielleicht auch die Konturen einer Heilung ab.

In diesem Buch erzähle ich also die Geschichte der gelebten Utopie FAIRSHAR€ aus Salzburg. Zugleich ist das aber auch die Geschichte eines Mannes, der seine Idee privater Umverteilung trotz vieler erlittener Widerstände stets mit neuem Leben füllt. Seine Utopie erwächst aus personifizierter Beharrlichkeit. Salzburg ist für mich inzwischen weit weg – beruflich und auch privat. Viel ist von der Zeit, die ich dort verbringen durfte, nicht geblieben. Geblieben ist einzig der leicht muffige Geruch des Treppenaufgangs im Café Bazar, gleichzeitig aber auch die weitaus positivere Erinnerung an die feinen Torten, denen ich so selten wiederstehen konnte, sowie der Respekt vor einer ungemein aufmerksamen Kellnerin. Was sonst noch geblieben ist, bildet den Stoff für dieses Buch.

Ich erinnere mich an den letzten Besuch im zurückliegenden Sommer, es waren schwüle Tage. In der Luft lag einzig die Hoffnung auf ein klärendes Gewitter. Die Hotels verlangten das Dreifache für ein Bett. Einfach wegen der Festspielzeit. Wer Salzburg sagt, meint immer auch Mozart und damit Kommerz. Mitten hinein in diesen Wahn wollte ich, nein, musste ich mich begeben, um mit den Menschen zu sprechen, die in diesem Buch zu Wort kommen werden. Nachdem ich letztlich doch noch eine bezahlbare Unterkunft am Rande der Stadt gefunden hatte, begannen Tage, die mit intensiven und zugleich ermüdenden Beobachtungen bis zum Rand gefüllt waren. Nur, weil für mich zum Innendienst des Wissenschaftlers auch Soziologie im Außendienst gehört, war ich hier. Augenschein und Analyse, so mein Motto. Aber anders, als es sich Max Luger in seiner ersten Mail gewünscht hatte, entstand am Ende dieser Begegnungen gerade keine wissenschaftliche Begleitforschung. Jedenfalls keine im üblichen Stil eines brav gegliederten Berichts, dazu vielleicht noch ein paar Grafiken und Balkendiagramme. Diesen Wunsch konnte ich ihm nicht erfüllen. Denn am Anfang stand für mich schnell die Frage im Mittelpunkt, wie ich der Falle entkommen kann, diese Utopie zu erklären. Vielmehr entstand der Impuls, sie nach und nach von allen nur möglichen Seiten her einzukreisen und so nach Gründen für deren Existenz zu suchen. In anderen Worten: Schnell war mir klar geworden, dass es weitaus zielführender ist, über FAIRSHAR€ zu erzählen und erzählen zu lassen, anstatt den Versuch zu unternehmen, dieses Projekt – wie auch immer – zu bewerten.

Berichten oder Erzählen – das macht einen großen Unterschied. Beim Erzählen tauchen immer wieder neue Fragen auf, Fragen, auf die es nicht immer eine Antwort gibt. Ein Bericht suggeriert eine abgeschlossene Wahrheit, die es so nicht gibt. Jedenfalls glaube ich nicht daran. Wer erzählt, stellt sich seinen eigenen Zweifeln. Auch deshalb wühlt mich die Geschichte vom Geldverteiler am Mirabellplatz noch heute auf. Ich suche Antworten auf Fragen, aber mein abstraktes Wissen erweist sich bei dieser Suche nur als bedingt hilfreich. Das Buch ist daher der Versuch, aus möglichst vielen Perspektiven ein plastisches Bild abzuleiten, dass sich im besten Fall einer Antwort annähert. Diese Geschichte bildet einen Suchraum ab, der, einmal eröffnet, Wege zu zahlreichen Wahrheiten ermöglicht. Die Schlüsse, die aus den Schilderungen und Dialogen gezogen werden können, hängen stark von den persönlichen Voraussetzungen des Lesers ab. Nur so viel kann ich sagen: Während ich mich in den letzten Jahren mit diesem Projekt beschäftigt habe, mussten meine Gedanken mehrmals die Richtung wechseln. Beinahe hätte ich mich dabei verlaufen. Es ist wenig hilfreich, die eigene Meinung zu schnell in Stein zu meißeln. In diesem Sinne macht die Geschichte vom Geldverteiler sowohl individuelle als auch kollektive Lernprozesse möglich.

Nun sitze ich an meinem Schreibtisch im Schwarzwald, draußen lockt eine sonnige Winterlandschaft. Ich lese nochmals die Mail von Max Luger, mit der alles begann. Letztlich wundere ich mich kaum, dass ich auf die darin enthaltenden Codeworte ansprang. Was konnte das wohl sein, ein Experiment gegen Armut? Ein Container mitten im öffentlichen Raum von Salzburg, dieser reichen Stadt? Ein Mann sammelt Geld ein und verteilt es an Arme. Er spricht von einer Vision. Verrückter geht es kaum. Vor allem interessierte mich die Frage, was diesen Mann antreibt und was sein Projekt mit ihm macht. Und mit der Stadt. Lässt sich eine solche Utopie leben?

Mein Blick schweift ab und wandert von den Unterlagen auf dem Schreibtisch zu den Wolken draußen. Erinnerungen drängen sich in mein Bewusstsein. Nach der ersten Mail brauchte ich nicht lange, um zu einem Entschluss zu kommen. Am Anfang war der Wunsch, diesen Mann kennenzulernen. Mein soziologischer Instinkt sagte mir, dass es dabei viel zu entdecken gäbe. So war es dann auch. Zudem wurde mir schnell klar, dass kein Bericht und keine Statistik das Ergebnis dieser Erkundungen würde wiedergeben können. Ich erinnerte mich an das, was Martín Caparrós über Fachbegriffe und Zahlen schreibt: Fachbegriffe haben nur einen Vorteil, sie wecken keine Emotionen. Und Zahlen sind bloß das Alibi eines armseligen Relativismus. Ich wollte aber das emotionale Spannungsfeld sichtbar machen, dass dieses Projekt umgibt. Ich wollte mich nicht hinter langweiligen Fakten verstecken. Eine wütende Wissenschaft braucht die Empörung über das Unhaltbare als Unterscheidungskriterium zwischen Wichtigem und Unwichtigem. Auch, weil ich gar nicht mehr anders kann, beschloss ich daher, lieber Stimmen zu sammeln und diese für sich selbst sprechen zu lassen. Herausgekommen ist eine Geschichte vom seltenen Glück, eine Geschichte voller Zweifel, nichts Abschließendes, ein ewiges Kippbild, mal positiv, mal negativ.

Als Soziologe bin ich ständig auf der Suche nach den Sollbruchstellen unserer Gesellschaft, die das gute Leben und das gute Zusammenleben bedrohen. Ich folge daher dem Impuls, nach Gründen für das Unerträgliche zu suchen. Manchmal führt mich dabei der Zufall ans Ziel meiner Suche. Diesmal endete die Suche in Salzburg, einer Stadt, deren Bahnhof mich wie eine etwas zu aufgeräumte Apotheke begrüßte. Auf der Vorderbühne empfing mich Salzburg mit auffallender Sauberkeit und äußerst pünktlichen Bussen. Dazu barocke Pracht, die noch im Scherenschnitt gut zu erkennen wäre. Panoramen für die, die gut zu Fuß sind. Aber dafür war ich nicht dort. Welchen Soziologen interessiert schon ausschließlich die Vorderbühne? Ich suchte etwas anderes, den Mirabellplatz.

Als ich das erste Mal vor dem Container stand, war dieser verschlossen. Ein wenig ratlos ging ich ein paar Mal um dieses komische Etwas herum, das da auf einer kleinen Grüninsel neben einer Bushaltestelle stand. Ich stellte mir den Mann vor, der tagein, tagaus dort drinnen sitzt. Mit Freude, wie er in seiner Mail behauptet. Kann das Freude machen? Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie ich mich an seiner Stelle fühlen würde, wahrscheinlich hätte ich einfach nur Platzangst und Atemnot. Je stärker ich wahrnahm, wie die betriebsame Welt um mich herum rauschte und klapperte, desto weniger konnte ich mir vorstellen, dass da im Inneren des Containers jemand eine echte Vision lebt. Freiwillig und glücklich. Wie konnte das sein? Zumindest auf diese Frage würde ich am Ende meiner Recherchen eine zufriedenstellende Antwort finden.

Deswegen macht es mir jetzt Freude, diese Geschichte einer praktischen Utopie zu erzählen. Oder besser: Ich lasse sie von vielen anderen und natürlich auch von Max Luger selbst erzählen. Es ist die Geschichte einer Utopie, die das Erwartbare in Frage stellt und damit die Widersprüche innerhalb der eigenen Gesellschaft sichtbar macht. Das ist besser, als vorschnelle Antworten zu geben, denn nur Narren haben schnelle Antworten parat. Der Wert dieser Geschichte liegt gerade darin, dass sie keine abschließenden Gewissheiten liefern kann. Vielmehr ist sie ein wunderbares Beispiel für das, was ich gerne erzählerische Wahrheit nenne. Was das bedeutet? Die Geschichte ist ein Werkzeug, sie sollte als Werkzeug der Selbstvergewisserung genutzt werden, gerade weil sie keine Fakten bietet, sondern Perspektiven.

Nochmals: Verstehen bedeutet nicht einverstanden zu sein. Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass der Gedanke auch andersherum funktioniert: Gerade, wenn man mit einer Idee nicht einverstanden ist, hilft die Auseinandersetzung mit ihr, etwas an dieser Idee zu verstehen, mit dem man letztlich vielleicht doch einverstanden sein kann. Ich jedenfalls wünsche es dem Geldverteiler vom Mirabellplatz von Herzen, dass seine Utopie nie in Rente gehen muss, auch wenn nicht alle mit ihr einverstanden sind. „Visionen lassen sich nicht teilen.“ Diesen Satz wird Max Luger eines Tages bei einem unserer Gespräche im Café Bazar erwähnen. Was soll ich sagen, es stimmt. Aber sie lassen sich erzählen.

1 Jede Utopie braucht einen Ort

Wir leben in verworrenen Zeiten. Wieder einmal blicke ich melancholisch aus dem Fenster des Café Bazar und überlege, was nun als Nächstes zu tun wäre. Wieder ein einsamer Sonntag in Salzburg, dieser wundervollen und doch so traurigen Stadt. Wir leben in erschöpften Zeiten. Immer häufiger wird von Utopiemüdigkeit geredet. Vielleicht liegt es auch an der abstrakten und blutleeren Sprache, mit der die Probleme der Welt üblicherweise beschrieben werden? Der Essayist Martín Caparrós bringt es auf den Punkt:

„Unterstellen wir mal, es geht den Experten um Professionalität, darum, die Gegenstände ihrer Studien genauer zu definieren. Oder um politische Korrektheit, darum, den Affront zu vermeiden, der entsteht, wenn man einen Hund auch als solchen beim Namen nennt. Unterstellen wir mal, sie tun es aus gutem Willen, um ihre Arbeit richtig zu machen: Am Ende verwandeln sich die Probleme von Milliarden Menschen in einen Text, den nur Eingeweihte verstehen, während die Mehrheit nicht begreift, worum es geht.“

Ich bestelle mir meinen Lieblingskuchen, dazu einen Verlängerten. Die Zeitungen sind voll mit Statistiken, die Bücher sind voll mit Fachdiskursen. Leid in Ziffern, Leid als Text. Aber wer nur wissenschaftlichen Jargon nutzt, braucht sich nicht wundern, dass damit letztlich Müdigkeit und Verdrossenheit erzeugt wird. Sachlichkeit hilft nicht unbedingt dabei, etwas als einen Skandal zu empfinden. Ein Problem ist nicht weg, nur weil es beziffert und beschrieben wird. Vielleicht helfen Metaphern?

Metaphern sind wirkungsvoll, weil sie zeigen, dass es noch eine hinter den reinen Fakten liegende Begründungsdimension gibt. Sie beschreiben menschliche Grunderfahrungen auf eine ganz eigene Art. Metaphern sind ein unerlässliches Gerüst für die Vorstellungskraft und ein effektives Werkzeug für das Verständnis komplexer Zusammenhänge. Metaphern sind Navigationsinstrumente, wenn es darum geht, in einer sich immer schneller drehenden Welt noch den Überblick zu behalten. Sie sind etwas zwischen abstraktem Wissen und dem konkreten Beispiel. Das ist wohl der Grund dafür, dass ich Metaphern liebe. Das ist der Grund, warum ich lieber vom Monster des Bodenlosen spreche, um damit die allgegenwärtigen Spar-, Disziplinierungs- und Entwürdigungsmaßnahmen zu beschreiben. Maßnahmen, die immer mehr Menschen in existentielle Bedrängnis bringen. Das Monster des Bodenlosen treibt verängstigte Menschen vor sich her. Weg von der Mitte der Gesellschaft, hin zum Rand. Das Monster treibt sie zum Container am Mirabellplatz.

Was macht dieses Monster so erschreckend? Ist es die Abkühlung des Landes, die Verrohung des Umgangs miteinander? Diejenigen, die dem Drill nicht mehr gehorchen wollen oder können, werden immer gnadenloser vom Monster des Bodenlosen angefaucht. Nicht nur in Salzburg, so gut wie überall, entstehen neue Pfade der Ausgrenzung. Sie beginnen mitten im Kern der Gesellschaft, dort wo es noch Menschen gibt, deren Arbeit und Leben als „normal“ etikettiert werden. Aber selbst sie leben auf dünnem Eis. Die neuen Pfade der Ausgrenzung führen von den letzten Zonen der Normalität in die Bereiche dynamisierter Lebensführung. Und von dort mit schier unglaublicher Kraft in den Dschungel der Prekarität. Dort, am Rand der Gesellschaft, versammeln sich die „erschöpften Einzelkämpferinnen“, die „Multiproblemfamilien“, die „Belasteten“, die „verwalteten Armen“ und viele andere Sozialfiguren, denen wir meist gekonnt aus dem Weg gehen.

Max Luger ist die Ausnahme von dieser Regel. Er stülpt den Rand um, so dass die Menschen wieder in die Mitte der Gesellschaft rücken. Sein FAIRSHAR€-Container bietet Schutz vor dem Monster, wenn auch nur temporär. Der Container ist kein romantischer Ort. Im Gegenteil, er markiert die soziale Erschöpfung der Gesellschaft, in der viele nicht mehr wissen, wann sie eigentlich satt sind, während andere darum kämpfen, überhaupt satt werden zu können. Der Container ist ein Unort, eine Heterotopie. Er zeigt, wohin erschöpfte Sozialpolitik am Ende führt. Die Würde des Menschen gilt in ethischen Freihandelszonen effizienter Armutsverwaltung immer häufiger als verzichtbares Auslaufmodell. Fast täglich müssen Menschen, die mitten im Reichtum arm sind, mit systematischen Kränkungen, tiefgreifenden Pathologisierungen und nachhaltigen Stigmatisierungen umgehen. Der Container ist auch deshalb ein utopischer Ort, weil er Menschen darin unterstützt, wieder Achtung vor sich selbst zu gewinnen. Und das ist eine noch viel wichtigere Ressource als Geld.

Eine sozial erschöpfte Gesellschaft braucht neue Korridore zur Utopie.Während ich meine Schokoladentorte verspeise und die anderen Gäste beobachte, die Zeitung lesen und die neuesten Gerüchte austauschen, frage ich mich, ob der FAIRSHAR€-Container einen solchen Korridor eher eröffnet oder versperrt. Das ist die Frage, die mich in den nächsten Jahren begleiten wird, die mich herausfordert, ja sogar quält. Ich kann diese Frage nicht allein als Wissenschaftler beantworten. Ich muss sie mit meiner ganzen Persönlichkeit beantworten. Doch dazu bedarf es einer Gratwanderung, auf die ich nicht vorbereitet bin. Ich denke darüber nach, wie Max Luger sich Humanismus vorstellt. Bei ihm funktioniert alles immer ganz direkt. Wer Gerechtigkeit will, darf nicht warten, sondern muss selbst handeln. Direkt. Hier und jetzt. Und er muss das letzte Tabu unserer kapitalistischen Gesellschaft brechen. Wer Gerechtigkeit will, muss die wichtigste Ressource umverteilen: Geld. Geld, das niemand gerne freiwillig hergibt. Oder doch?

„Jede humane Gesellschaft besitzt dieses Umverteilungspotenzial.“

Diesen Satz werde ich noch öfter aus dem Mund von Max Luger hören. Ja, es stimmt: Die Idee versteht jeder. Aber funktioniert sie auch praktisch? FAIRSHAR€ ist kein Resultat eines universitären Oberseminars. Das Projekt folgt dem Prinzip direkter Hilfe.

„Ich möchte Taten setzen, mehr kann ich nicht.“

Ich fasse den Beschluss, die großen Fragen zunächst auszuklammern und mich auf das zu konzentrieren, was beobachtbar ist. Ich werde mich also mit dem Container am Mirabellplatz befassen, einem Ort solidarischen Handelns mitten in Salzburg. Aber an diesem Tag werde ich mit meinen vielen Fragen nicht mehr weiterkommen. Also vergrabe ich mich in die Zeitungen, die aus der Zeit im Kaffeehaus ein Gedankenkarussell machen. Der Sonntag geht vorbei, auch weil es dunkle Kinosäle gibt.

Am nächsten Tag habe ich dann endlich einen ersten Termin mit Max Luger. Er möchte mir seinen Container zeigen und erklären. Also mache ich mich auf den Weg zum Mirabellplatz und freue mich bei dieser Gelegenheit einmal mehr, quer durch die Altstadt zu laufen. Niemand entkommt dem Reiz der Gassen, Kirchen und Plätze, auch ich bin dafür anfällig. Umso mehr, als ich am Rande der Stadt wohne, dort, wo es überhaupt nicht mehr nach Festspielstadt aussieht, wo ein Komplex mit Eigentumswohnungen nach dem anderen gebaut wird. Der erste Laden, der eröffnet, lange bevor überhaupt jemand stolz die eigenen vier Wände beziehen kann, ist eine „Trafik“, in der Rauchwaren angeboten werden. Österreich, „Smoker’s Paradise“. Gegenüber wächst eine riesige Shoppingmall fast organisch in den Himmel. So viel Konsumrausch verdeckt die Tatsache, dass auch hier Armut existiert.

Wie immer steige ich am Künstlerhaus aus dem Bus. Ich laufe am Hotel Kasererbräu vorbei, darin befindet sich das älteste Kino Österreichs. In diesem Moment kommt mir eine Idee. Ich erinnere mich daran, dass ich Max Luger einmal gefragt hatte, ob denn sein Container inzwischen eine Tourismusattraktion sei. Ich sollte einfach mal nachfragen.

Ein paar Minuten später stehe ich vor der Tourist-Info, erkennbar an dem charakteristischen „i“ auf blauen Grund. Ich trete ein und schaue mich schnell um. Es ist einiges los und ich will niemandem mit meinen Fragen auf die Nerven fallen. Mein Blick bleibt bei einer jungen Mitarbeiterin hängen. Ohne weiter nachzudenken, gehe ich zielstrebig auf sie zu. Sie wirkt rastlos und schaut mich mit großen, unsicheren Augen an, als ich sie auf das Projekt FAIRSHAR€ anspreche.

„FairShar€, Tschuldigung? Nein, sagt mir jetzt nichts. Aber der Mirabellgarten ist sehr beliebt.“

Entweder denkt sie, dass ich Sightseeing-Tipps suche, oder sie kommt aus ihrer Endlosschleife der Festspielstadtbeweihräucherung nicht mehr heraus. Immer brav das Schöne und Edle anpreisen, eure Gunst, unser Streben. Ich versuche es nochmal, diesmal, indem ich den Container am Mirabellplatz ins Spiel bringe.

„Also bis jetzt hat mich noch nie jemand auf den Container angesprochen.“

Wie denn auch? Die Touristen suchen ja etwas ganz anderes. Sicher, das ist ihr gutes Recht! Wer sucht schon nach Armut in einer Stadt, in der man Urlaub macht. Doch die Mitarbeiterin fängt an zu grübeln, vielleicht nur, weil sie mir einen Gefallen tun will?

„Das wundert mich jetzt auch.“

Also bleibe ich ein wenig dran. Frage, ob es Angebote gibt, die Salzburg jenseits des üblichen Programms zeigen, das Salzburg am Rande, so in diese Richtung? Viel fällt der jungen Frau dazu nicht ein. Ihre Augen sind ein einziges Fragezeichen, ihr Gesicht versucht, das Fragezeichen wegzulächeln. Ich bin mir immer sicherer, dass bei ihr einfach die Platte hängt.

„Wissen Sie, die meisten Sehenswürdigkeiten sind ja geballt auf einem ziemlich kleinen Raum, da verirren sich die meisten Touristen nicht in das normale Bewohnergebiet.“

Aber sie denkt nach, vielleicht ist der Druck einfach zu groß, jedem, der hier als Gast ins Tourist-Office kommt, irgendwie das Gefühl zu geben, dass ihm geholfen wird. Salzburg am Rande?

„Ganz schön sind die Kapuzinermönchberge, unsere Hausberge! Man ist mittendrin in der Stadt, aber auch in der Natur, gleich im Grünen, also am Rande der Stadt.“

Noch ein Versuch. Gibt es vielleicht so etwas wie alternative Stadtführungen? Etwas, das ein anderes Salzburg zeigt als die Geburtsstadt Mozarts. Ich fürchte das Schlimmste – und genau das tritt ein.

„Es wird generell viel angeboten, auch Spezialführungen, so Gruselführungen, Nachtwächter, Salzburg im Zweiten Weltkrieg, also Themenführungen. Oder auch speziell für Gehörlose.“

Also hier komme ich nicht weiter. Wir werden uns niemals verstehen. Ich bedanke mich artig und trete den Rückzug an. Beim Umdrehen höre ich noch einen Satz, den sie mir fast verzweifelt hinterherschreit:

„Also das generelle Feedback von den Gästen war jetzt heuer positiv. Da gab es bis jetzt keine Beschwerden oder Sonstiges. Rein vom Feedback her.“

Rein vom Feedback her bin ich ein wenig enttäuscht. Oder habe ich einfach zu viel erwartet? Ich gehe weiter und fädele mich durch ein paar Altstadtgassen vorbei am Café Tomaselli, das ich wegen seiner arroganten Kellner nur einmal aufgesucht habe und sicher nie mehr betreten werde. Dann quere ich den Fluss und schlendere auf der anderen Salzachseite Richtung Theater. Schließlich erreiche ich den Mirabellplatz. Aber wo ist eigentlich dieser Container? Besser, ich frage mich durch. Eine Kioskbesitzerin weist mir den Weg. Ich bin nicht der Erste.

„Ich verkaufe Souvenirs. Aber immer wieder werde ich gefragt, wo der Container steht. Denen, die fragen, sage ich nur: da drüben.“

Sie zeigt hinter sich, aber dort hängen nur kitschige Postkarten, Schneekugeln und Ölgemälde. Überteuerte Ölgemälde, wie ich finde. Aber was geht mich das an. Also auf der anderen Straßenseite? Ja, so meint sie es wohl. Wie sich später herausstellen wird, weiß die Kioskbesitzerin nicht nur, wo sich der Container befindet, vielmehr ist sie eine ausgezeichnete Beobachterin.

Der Mirabellplatz als Wimmelbild

Der Mirabellplatz wirkt zunächst wie eine große Bushaltestelle für Sightseeing-Busse. Der Schlossgarten versteckt sich hinter einer Mauer, dahinter konservierte Kontemplation, davor erste Betriebsamkeit. Denn eigentlich ist der Mirabellplatz ein einziges Wimmelbild. Morgens um neun führen ältere Damen ihre zu klein geratenen Hunde über den Platz. Es ist noch recht frisch, selbst für diesen Sommertag. Rucksacktouristen mit den obligatorischen Wasserflaschen, die außen am Rucksack angebracht sind, suchen erste Orientierung auf dem Pfad des Fremden. Später erwacht der Platz langsam zum Leben. Rollkoffer werden von asiatischen Touristen klackernd über das Pflaster gezogen. Der Blick ist schon auf die nächste Sehenswürdigkeit gerichtet. Die Dieselmotoren der Busse laufen, damit die Klimaanlage das Innere kühlt. Grüppchen warten auf die Abfahrt zur „Old Town Tour!“. Das Reisebüro gleich nebenan bietet zahlreiche weitere Trips an: „Mozart City Tour“, „Salzkammer Lake Tour“ und, als Höhepunkt, „The Most Unique Sound of Music Tour“.

Einige der Touristen bleiben vor dem Container stehen, der mitten auf einer kleinen Grüninsel unter einer schattenspendenden Kastanie steht. Auf den ersten Blick wirkt er wie ein Fremdkörper, wie ein vergessener Baucontainer oder eine provisorische Bankfiliale. Am Rande der Grüninsel ein gelbes Bushalteschild mit der Aufschrift „Mirabellplatz“. Vielleicht lesen einige der Touristen sogar den Text auf dem Aufsteller vor dem Container? Denken Sie, dass es sich um eine Wechselstube handelt? Oder wie ordnen sie den Container ein, auf dessen Dach das Logo in großen silbern glänzenden Buchstaben prangt: FAIRSHAR€. Das „E“ in der Form eines Eurozeichens.

Es sieht aus, als stünde der Container auf einer kleinen Drehbühne. Im Vordergrund der Mirabellplatz, so, wie er von der Dame in der Tourist-Info angepriesen wurde, rein vom Feedback her ganz schön. Im Hintergrund Salzburg mit den Gässchen durch die Altstadt. Das ist das offizielle, das gut sichtbare Bühnenbild. Nicht so sichtbar sind hingegen die Menschen auf der Hinterbühne, die nach und nach erscheinen werden. Vorhang auf.

„Das ist ein wunderbarer Platz. Er gehört noch zur Altstadt und befindet sich direkt vor dem Schloss. Also zwischen Schloss Mirabell und Mozarteum-Universität, um genau zu sein.“

Max Luger begrüßt mich und stellt sich vor. Ein großer weißhaariger Mann mit dicken Augenbrauen, der sanftmütig wirkt und eine beruhigende Ausstrahlung hat. Ich bin an dem Ort angekommen, an dem ich erkunden möchte, was Armut mit Menschen macht und was dagegen getan werden kann. Luger öffnet die Tür und lädt mich in seinen Container ein. Er nimmt hinter einem Tisch Platz auf einem einfachen Bürostuhl und beginnt, seine Utopie zu erläutern.

Die Wunde mitten in der Stadt

Jede Utopie braucht einen Namen. Luger nennt seine FAIRSHAR€. Das faire Teilen von Geld, diesem ach so zentralen Tauschmedium unserer Zeit. Teilen meint hier: umverteilen. Von denen, die haben, zu denen, die brauchen. Private Umverteilung von Geld im öffentlichen Raum. Ist das neu oder die älteste Sache der Welt? Jede Utopie braucht ihren Ort. Deshalb stand am Anfang die Frage, wo denn der Container aufgestellt werden soll. Verschämt am Rande der Stadt oder als Provokation mitten im öffentlichen Raum?

„Der Bürgermeister schlug zunächst einen Ort am Rande der Stadt vor. Ganz am Anfang meinte er, ich solle mir doch irgendwo im Hintergrund, in irgendeiner Straße, ein Zimmer mieten.“

Aber mit dieser Randexistenz wollte sich Luger nicht abfinden. Seine Utopie besteht ja gerade darin, den Rand umzustülpen.

„Da wären keine Leute gekommen.“

Der Ort der Utopie ist ja viel mehr als nur ein Aufstellplatz für einen zweckentfremdeten Container. Er ist ein Symbol. Luger lehnt sich in seinem Stuhl zurück und erinnert sich:

„Er sollte in der Mitte der Stadt sein, weil ich die Armut ins Zentrum rücken wollte. Weil ich auch nicht gerne höre, wenn man von Menschen am Rand der Gesellschaft spricht. Die Armen leben doch mitten unter uns!“

Es stimmt, die Menschen leben nicht freiwillig am Rand, sie werden an den Rand gedrängt, existenziell und geografisch.

„Menschen, die arm sind, denken selbst nicht so, weil sie mitten unter uns leben. Man erkennt sie gar nicht.“

Es kommt Luger schlichtweg mittelalterlich vor, arme Menschen an den Rand zu drängen. Im Mittelalter hatte jede Stadt ein Armen- und Siechenhaus außerhalb der Stadtmauern. Die Menschen lebten am Rand, weil von ihnen eine Ansteckungsgefahr ausging. Ist das heute wirklich anders? Noch immer wird gefürchtet, sich sozial anzustecken.

„Vielleicht kommt es wirklich noch aus dieser Zeit. Aber heute ist es wirklich nicht mehr zeitgemäß, von den Menschen am Rand der Gesellschaft zu sprechen.“

Die Wahl des Ortes hat Luger viel Ärger, aber auch viel Sympathie eingebracht. Viele Spender unterstützen das Projekt, gerade weil es sich nicht versteckt. Einer von ihnen ist Herr D., der hervorhebt, warum in seinen Augen die Wahl des Ortes richtig ist:

„Es ist wichtig, dass er sich dort niedergelassen hat. Nicht am Rande der Stadt, sondern mitten im Zentrum. Dort, wo die Galerien sind und viel Tourismus. Um zu zeigen: Das gibt es auch in Salzburg, es gibt auch Armut hier!“–

„Für die Salzburger ist das wichtig. Weil die Getreidegasse früher eigentlich die Flanierzeile war. Und durch die ganzen Souvenirstände und anspruchsvollen Geschäftslokale kommen viele hierher oder in die Linzer Gasse.“

So sieht es die Kioskbesitzerin von der anderen Straßenseite. Und sie würzt ihren Kommentar gleich noch mit ein wenig Sozialkritik:

„Es passt schon! Es ist schon richtig. Weil da sieht man wieder, dass es nicht ganz so getrennt ist. Armut und Reichtum, das ist nebeneinander. Also, das passt!“

Ein Tourist aus Berlin wundert sich hingegen, weil er nicht erwartet, was er hier zu Gesicht bekommt:

„Gerade in Salzburg, der Stadt der Festspiele. So viele Leute mit viel zu viel Geld.“

Genau das ist es, was Max Luger erreichen will: Die Leute sollen endlich beginnen, nachzudenken. Touristen ebenso wie Einheimische. Max Luger erhebt den Irritationseffekt zum Wesenskern seines Projekts:

„Was passiert, wenn sie den Container sehen? Mir war immer wichtig, dass sie den Container anschauen und sich dann Gedanken machen: Was heißt ‚Fair Share‘ eigentlich? Was ist Umverteilung? Wir leben ja jetzt am Höhepunkt des Wohlstandes und viele könnten es sich leisten, umzuverteilen.“

Es reicht aber nicht aus, einer Utopie einen Namen zu geben und einen Ort zu finden. Mittlerweile braucht jede Utopie auch eine behördliche Genehmigung. Daran erinnert sich Max Luger noch genau. Bevor er 2014 mit der Umverteilung beginnen konnte, musste er zunächst dicke Bretter bohren. Jetzt blickt er gedankenverloren aus dem einzigen kleinen Fenster des Containers und sagt lange nichts. Innere Bilder scheinen ihn zu beschäftigen. Ich warte gespannt.

„Also ich musste mit mehreren Politikern reden. Vom ersten versprach ich mir am meisten Unterstützung. Er bot an, mir diesen Platz zur Verfügung zu stellen. Aber das war halt nicht der Bürgermeister. Der Bürgermeister hat die letzte Entscheidung und der hat zuerst zweimal abgelehnt. Obwohl ich noch gar nicht mit ihm gesprochen hatte.“

So verständlich die Idee ist, so irritierend muss sie auf die örtlichen Behörden gewirkt haben. Dort, wo es kein Vorbild gibt, fehlen die Regeln. Die Nachfrage auf dem Grundamt bringt zunächst Ablehnung. Der Leiter des Amtes holt sich Rückendeckung beim Bürgermeister. Der aber kann oder will keine Bewilligung aussprechen.

„Die Sekretärin hat mich angerufen und mir das mitgeteilt. Ich hatte die Vermutung, dass er einfach Angst hatte, dass vor dem Schloss Mirabell plötzlich Punker oder Drogensüchtige auftauchen. Erst beim dritten Mal, nachdem ich persönlich einen Termin bekommen hatte, hat er dann zugesagt. Ich habe ihn wohl überzeugt.“

Man hört den Stolz des Hartnäckigen und die Freude des Geduldsamen. Das Neue macht ja bekanntlich auch Angst. Eine Genehmigung für etwas, das es so noch nie gab, ist, besonders in Österreich, keine Selbstverständlichkeit. Der Genehmigungsprozess verschlingt viel Überzeugungsarbeit. Und diese Überzeugungsarbeit verbraucht viel Lebenszeit. Wie viele Menschen wären bereit, diese Zeit für eine verrückte Idee zu investieren, Zeit, um Termine bei Ämtern zu erbitten, Zeit, sich mit Sachverständigenkommissionen auszutauschen, und Zeit, um Überzeugungsarbeit zu leisten? Auch der Bürgermeister von Salzburg, Dr. Heinz Schaden, erinnert sich an diese Zeit. In einer Mail schreibt er mir:

„Ich war zunächst durchaus skeptisch, ob diese Idee auch funktioniert. Es gibt ja viele Menschen, die sich sozial engagieren wollen. Herr Luger hat mir dann in einem persönlichen Gespräch sein Vorhaben erläutert.“

Als dann noch ein Mitglied des Stadtrats ein gutes Wort für Luger einlegt, scheint alles auf einem guten Weg zu sein. Auch, weil das heikle Thema „Ortsbildschutz“ geklärt werden kann. Was ist darunter zu verstehen?

„Der Ortsbildschutz geht in erster Linie vom Ansatz aus, ein stimmiges Ensemble zu bewahren, also ein gereiftes und als stimmig erkanntes Bild eines Ortes vor den Zersetzungskräften der Zeit zu bewahren.“

Trifft das auch auf den FAIRSHAR€-Container zu? Repräsentiert dieser etwa ein „stimmiges Ensemble“ zwischen Arm und Reich? Zwar muss Luger auf einen Termin noch bis nach einer Wahl warten. Er erinnert sich genau daran, dass er langsam nervös wurde und erstmals begann, an seiner Idee zu zweifeln. Max Luger ist ein äußerst geduldiger Mensch. Aber selbst dessen Geduld wird mehr als strapaziert. Aber alles geht schließlich gut. Fast zwei Jahre lang muss er auf die Umsetzung seiner Idee warten.

Und dann kommt ihm doch noch der Zufall zu Hilfe, als er vom Bauamt auf die Straße tritt. Er begegnet einem Mann, den er von früher kennt, aber zwanzig Jahre nicht gesehen hatte. Wie sich herausstellt, hat der inzwischen die Baumeisterprüfung gemacht. Was für ein Glück für Luger!

„Ich musste ja noch einen Baumeister suchen, der den Plan für die Aufstellung des Containers macht und der dann den Plan zusammen mit mir einreicht. Und ich treffe den und frage ihn, ob er mir das machen kann. Er hat es kostenlos gemacht. Da ihn alle gekannt haben, waren auf einmal alle meine Probleme gelöst.“

Aber selbst mit Plan ist der FAIRSHAR€-Container zunächst bloß eine fixe Idee. Endlich, im Oktober 2013 wird Luger zu einer Sitzung eingeladen. Dort soll er seine Beweggründe darlegen. Was wohl im Großen und Ganzen gelingt, denn die Sitzung ist nach einer Viertelstunde beendet. Zwei Tage später erhält er eine Mail. Nach elf Monaten ist die Entscheidung für eine Bewilligung gefallen. Ein Wunsch geht in Erfüllung.

Max Luger ist mehr als begeistert, als ihm der zuständige Stadtrat in Absprache mit dem Bürgermeister ein Grundstück mitten in der Stadt zuweist. Es soll der Mirabellplatz direkt vor dem Schloss sein. Die Stadtverwaltung befindet sich in unmittelbarer Nähe, am Mirabellplatz 4. Luger nickt kurz in die Richtung:

„Übrigens, der Bürgermeister residiert gleich in der Nähe. Der sitzt da drinnen. Da ist überhaupt der ganze Magistrat versammelt, also diese Gemeindeverwaltung.“

Damit will er es nicht belassen, da ist noch etwas, das raus muss. Luger hat Grund zur Klage:

„Der Bürgermeister geht selten vorbei. Ich hätte mir schon so oft gewünscht, der schaut einmal zu mir rein.“

Herr K., ein Spender, nimmt den Bürgermeister hingegen in Schutz:

„Das ist ja ein reines privates Projekt. Der Bürgermeister hat einiges getan. Er hat dieses Grundstück kostenlos zur Verfügung gestellt. Das ist schon eine Leistung von der öffentlichen Hand.“

Und der Bürgermeister selbst? Was sagt er letztendlich zu Lugers Projekt? Auf Anfrage erhalte ich folgendes Statement:

„Die Festspielstadt Salzburg hat mit FAIRSHAR€ sicher kein Problem. Der Aufstellungsort am Mirabellplatz ist auch von Tagestouristen stark frequentiert.“

Der Ort der Utopie wird also zukünftig mitten in der Stadt sein, in Sichtweite von Bürgerinnen und Bürgern, in Sichtweite der politisch Verantwortlichen. Eigentlich kann niemand sagen, er hätte nichts gewusst oder gesehen. Mitten in Salzburg waren bislang Begegnung von Arm und Reich kein großes Thema, sieht man einmal von den in Salzburg allgegenwärtigen Bettlern ab. Genau das soll sich nun ändern.

„Alle, die vorbeigehen, sollen sich Gedanken machen, was Umverteilung mit ihnen zu tun haben könnte. Sie sollen die Idee der einfachsten Form von Umverteilung in die Welt hinaustragen. Ich will, dass die Menschen nie aufhören, über die Möglichkeit gerechterer Umverteilung nachzudenken.“

Nachdenken sollen sie alle: Passanten, Gäste aus dem Ausland, die örtliche Politik und Prominenz. Das ist anmaßend und richtig zugleich. Sie alle sollen mit einem starken Eindruck in ihre Wohnungen, ihre Milieus oder ihre Heimatländer zurückkehren. Sie sollen von der Erfahrung berichten, dass private Umverteilung im öffentlichen Raum stattfinden kann. Und wie es funktionieren könnte.

Luger kann es nun kaum mehr erwarten, den Container aufzustellen und mit seinem Umverteilungsprojekt zu beginnen. Zuvor müssen aber noch einige Auflagen erfüllt werden, ein Stromanschluss muss außerdem her. Ein benachbartes Büro bietet Hilfe an. Pünktlich bringt ein Transporter den Container. Der wird eingerichtet. Spartanischer geht es nicht: zwei Tische, drei Stühle, ein wenig Büromaterial. Fertig ist die Utopie.

Nur ein paar Quadratmeter Fläche misst der Container neben dem Mozarteum. Gleichwohl soll er das Symbol einer Neuvermessung der Gesellschaft sein. Das provokante „Realexperiment“ im öffentlichen Raum könnte beginnen. Aber ist die Art von Solidarität, die sich Luger vorstellt, überhaupt möglich? Erkennen die Menschen seine Idee überhaupt? Frage also: Wie verpackt man eine Utopie?

Luger findet einen Künstler, der den Container gestaltet. Niemand soll sagen, ein Bauunternehmen hätte einfach einen Container mitten in der Stadt stehen lassen. Max Luger beschreibt seinen Container am besten selbst:

„Er ist umkleidet von zwei Händen. Die eine Hand reicht der anderen Hand ein Brot. Und die eine Hand hat eine Armkette, das soll die reiche Frau symbolisieren. Die andere Hand ist eher eine zerfurchte Hand, das soll die Hand einer armen Frau zum Ausdruck bringen. Darüber steht ‚Fair Share‘ auf der einen Ecke und auf der anderen ‚fair teilen‘. Und diese Bilder sind eigentlich auf allen vier Seiten des Containers. Bei ‚FAIRSHAR€‘ ist das ‚E‘ in Form des Eurozeichens und das Eurozeichen soll ausdrücken, dass es hier im Container um Euros geht und nicht um irgendwelche Lebensmittel, die man hier abgeben kann. Es sollen wirklich Geldspenden gemacht werden.“

Der Schriftzug als Programm, das Bildmotiv als Symbol! Aber verstehen das die Menschen auf Anhieb?

„Ganz am Anfang war ja nur dieser Container, da war er noch nicht verkleidet. Da hat man sich gedacht, ja, wird da was gebaut? In Salzburg wird ja so viel gebaut. Dann ist diese Verkleidung gekommen und oben das.“

Für Herrn N., einen Spender, macht die Gestaltung des Containers also schon einen Unterschied. Der Container soll eine einzige Einladung sein. Aber für viele Passanten bleibt es beim Rätselraten. Eine Utopie muss erst mal erkannt werden, bevor sie in die Köpfe der Menschen gelangen kann. Das ist nicht immer der Fall, wie bei diesem Touristen aus Deutschland:

„Das Ding fällt überhaupt nicht auf! Null. Ich hätte einfach drüber hinweg geschaut. Ich habe eigentlich den Weg in die Altstadt gesucht, die wollte ich jetzt sehen. Das war im Endeffekt mein Fokus.“