Der Gladiator - Philipp Vandenberg - E-Book

Der Gladiator E-Book

Philipp Vandenberg

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Beschreibung

Ein farbenprächtiger Roman um ein Thema, das Millionen in die Kinos lockte und seit jeher fasziniert

Vandenberg erzählt die Geschichte des beispiellosen Aufstiegs des Kesselflickers Gaius Vitellius zum gefeierten Idol seiner Zeit. Ein Drama am Rande der Weltgeschichte, ein Roman um die zarte Liebe zweier junger Menschen und um die Ausschweifungen von mächtigen Senatoren, die ihre Frauen vernachlässigen und sich mit Kurtisanen vergnügen. "Der Gladiator" ist ein aufwühlendes Sittengemälde des ersten nachchristlichen Jahrhunderts: vor dem Hintergrund des Brandes von Rom, der Zerstörung Jerusalems und der letzten Tage von Pompeji.

Ein packender Roman über das alte Rom von Bestsellerautor Philipp Vandenberg.

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Inhalt

Cover

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Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Zitat

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

Über dieses Buch

Vandenberg erzählt die Geschichte des beispiellosen Aufstiegs des Kesselflickers Gaius Vitellius zum gefeierten Idol seiner Zeit. Ein Drama am Rande der Weltgeschichte, ein Roman um die zarte Liebe zweier junger Menschen und um die Ausschweifungen von mächtigen Senatoren, die ihre Frauen vernachlässigen und sich mit Kurtisanen vergnügen.

»Der Gladiator« ist ein aufwühlendes Sittengemälde des ersten nachchristlichen Jahrhunderts: vor dem Hintergrund des Brandes von Rom, der Zerstörung Jerusalems und der letzten Tage von Pompeji.

Ein packender Roman über das alte Rom von Bestsellerautor Philipp Vandenberg.

Über den Autor

Philipp Vandenberg wurde am 20. September 1941 in Breslau geboren. Er wuchs nach dem Zweiten Weltkrieg bei einer Pflegemutter und im Waisenhaus auf und kam 1952 ins oberbayrische Burghausen. Er besuchte dort dasselbe Gymnasium wie Ludwig Thoma und flog, eigenem Bekunden zufolge, wie dieser von der Schule. Er kehrte »reumütig« zurück und konnte in der Folge die mangelhaften Leistungen in Griechisch sowie Mathematik durch hervorragende Leistungen in Deutsch und Kunst ausgleichen. 1963 machte er am humanistischen Gymnasium Burghausen/Salzach Abitur und studierte anschließend an der Universität München Kunstgeschichte und Germanistik (ohne Abschluss). Ein Volontariat machte Vandenberg 1965/1967 bei der Passauer Neue Presse, die ihn 1967 zum Redaktionsleiter des Burghauser Anzeigers machte.

Anschließend wurde er Nachrichtenredakteur bei der Münchener Abendzeitung. 1968–1974 arbeitete er für die Illustrierte Quick. Dann war Vandenberg bis 1976 als Literaturredakteur für das Magazin Playboy beschäftigt. Seither ist er als freier Autor tätig.

Vandenbergs Karriere als Sachbuchautor begann 1973, als er seinen Jahresurlaub nahm und begann, über den »Fluch des Pharao« zu recherchieren. Über den rätselhaften Tod von dreißig Archäologen veröffentlichte er das Buch »Der Fluch der Pharaonen« (1973), das ein Weltbestseller wurde. Quick hatte das Manuskript als Serie abgelehnt. Auf den Bestsellerlisten platzierten sich auch Vandenbergs weitere Publikationen wie die archäologische Biographie »Nofretete« (1975).

1977 wechselte Vandenberg seinen Verlag, blieb aber der kulturgeschichtlichen Thematik treu und war in der 80er Jahren als Autor historischer Sachbücher wie »Cäsar und Kleopatra« (1986) erfolgreich. Mitunter versuchte die Fachkritik, seine populären Sachbücher als »Archäo-Krimis« abzutun. Vandenbergs 30 Bücher, mit einer weltweiten Gesamtauflage von über 24 Millionen, erschienen bisher in 34 Sprachen übersetzt, darunter, neben allen Weltsprachen, ins Türkische, Bulgarische, Mazedonische und Rumänische.

Vandenberg hat aus erster geschiedener Ehe einen Sohn Sascha (geb. 1965). Seit 1994 ist er mit Evelyn, geb. Aschenwald, verheiratet, beide leben in Baiernrain, in einem tausend Jahre alten Dorf zwischen Starnberger- und Tegernsee. Sein Hobby ist das Sammeln von Oldtimern und Phonographen.

Philipp Vandenberg

DER GLADIATOR

Roman

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2004/2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Gisela Kullowatz

Titelbild: Gemälde von Jaques Louis David, 1748–1825,

»Kampf zwischen Sabinern und Römern«, Artothek

Datenkonvertierung E-Book:

hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-1218-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Fortuna treibt ihr launisch Spiel mit allen

Ob gnädig sie, ob sie sich grausam zeigt.

Erhebt den einen, lässt den andern fallen,

Ist heute mir und morgen dir geneigt.

Horaz

KAPITEL 1

An der Mulvischen Brücke, wo tagtäglich eine Flut von Geschäftsreisenden, zwielichtigem Gesindel und jungen Leuten, die ihr Glück machen wollten, in die Stadt Rom strömte, machte Vitellius halt. Er wischte sich mit dem nackten Arm über die Stirn, die letzten drei Tage des Monats April waren schwül; dann spuckte er in weitem Bogen in den Tiber, der braun und träge dahinzog, und stellte sein Bündel auf das warme Pflaster der Via Flaminia.

»Du suchst ein Vergnügen, schöner Jüngling?«

Vitellius griff erschreckt nach dem Bündel, in das seine ganze Habe geschnürt war, und drehte sich um. Vor ihm stand ein Mann, vornehm gekleidet, er mochte im vierten Jahrzehnt seines Lebens sein.

»Vergnügen?«, sagte Vitellius schüchtern, der mit Befremden wahrnahm, dass Augenbrauen und Wimpern des Fragestellers schwarz getuscht und die rotblonden Haare mit Goldpuder bestäubt waren. »Ich suche Arbeit und ein Dach über dem Kopf! Mögen die Götter mir gnädig sein!«

»Arbeit!« Der andere lachte. »Arbeit!« Sein Gelächter wurde immer lauter, schließlich prustete er heraus, dass es die Umstehenden hören konnten: »Da sucht einer Arbeit, Ar-beit, Ar-beit!« Dabei tänzelte er mit zierlichen Schritten von einem Bein auf das andere.

Als er sich etwas beruhigt hatte, trat er einen Schritt näher und sagte, während er die linke Schulter vorschob: »Ich bin Cäsonius. Jeder in der Stadt kennt mich, nicht nur die Nomenklatoren«, und unvermittelt fragte er: »Du kommst vom Land?«

Vitellius nickte. »Aus Bononia, ich heiße Gaius Vitellius.«

»Du bist doch ein entlaufener Sklave, ein Fugitivus!«, bohrte Cäsonius weiter und trat noch näher an Vitellius heran. »Nimm dich in Acht.« Doch der protestierte entrüstet, während er auf die runde Bürgerrechtsmedaille an seinem Hals zeigte: »Bei allen Göttern und bei meiner rechten Hand, nein! Zwar bin ich keiner von den bürgerlichen Honestiores, aber wir aus der Plebs sind auch Freie, auch wenn es uns am Geld fehlt. Mein Vater war ein rechtschaffener Schuhmacher. Als er mich vor 17 Jahren, wie viele Kinder in dieser Zeit, auf dem öffentlichen Dunghaufen aussetzte, handelte er im Rahmen der Gesetze. Die Not zwang ihn dazu. Für mich als fünftes Kind war weder Raum noch Nahrung vorhanden. Dass ich nicht verhungert bin, verdanke ich der Gunst der Götter. Ein Kesselflicker hörte mein Wimmern und holte mich aus dem stinkenden Abfall. Nun bin auch ich ein Kesselflicker und …«

»… und hoffst, mit römischen Kesseln dein Glück zu machen«, fiel Cäsonius dem Jungen ins Wort und lächelte mitleidsvoll.

»Ja«, sagte Vitellius überzeugt.

Cäsonius machte ein ernstes Gesicht. »Aus Bononia kommst du, wie du sagtest. Wie viele Menschen leben in den Mauern dieser Stadt?«

Vitellius hob die Schultern: »25 000 vielleicht. Warum fragst du?«

»Und wie viele Kesselflicker gibt es in Bononia?«

»Fünf oder sechs.«

»Gut«, meinte Cäsonius; dann zeigte er mit dem linken Arm nach Süden: »Rom birgt zwar mehr als eine Million Menschen in seinen Mauern, aber dafür gibt es ganze Straßenzüge, in denen ein Kesselflicker neidvoll auf die Arbeit des anderen blickt. Jede Insula, jeder Wohnblock, hat eigene Handwerker. Von den herumziehenden Handwerkern, die in den vornehmen Stadtbezirken am Esquilin und Aventin nach Löchern in den Töpfen der Reichen suchen, ganz zu schweigen. Kurz, in Rom gibt es Tausende Kesselflicker.«

Vitellius sah betroffen vor sich hin. Die Stadt, auf die er seine ganze Hoffnung gesetzt hatte, diese Stadt unbegrenzter Möglichkeiten, sie schien ihm auf einmal abweisend und unfreundlich. Am liebsten hätte er sein Bündel gepackt und kehrtgemacht; doch dann hörte er die schmeichelnde Stimme des Cäsonius: »Du musst keine Furcht haben. Ein Jüngling, kraftstrotzend wie Herkules und schön wie Hyacinthus, ist in Rom allemal auf Fortunas Pfaden gewandelt. Der weise Cato sagte einmal, ein schöner Jüngling bringe mehr ein als die Ernte eines Feldes. Glaube mir, er hatte recht.« Dabei fasste Cäsonius dem Jungen an den Oberschenkel. Instinktiv wich Vitellius zurück. Cäsonius tat so, als merkte er es nicht, er stellte sich neben ihn, so dass beide in eine Richtung blickten.

»Sieh nur das muntere Treiben!« Cäsonius machte eine einladende Handbewegung. »Noch bevor auf dem Palatin der Tempel der Luna Noctiluca beleuchtet wird, treffen sich hier im Ager Romanus an der Neige des Tages all jene, denen Jupiter und Venus das Glück der Liebe versagt haben. Und wie du siehst, sind es vor allem wohlhabende Leute, die sich die Liebe kaufen müssen, Equites mit schmalen Purpurstreifen an der Tunika, ja sogar Senatoren, kenntlich am breiten Purpur ihrer Toga. Wer zur Mulvischen Brücke kommt, will kaufen oder gekauft werden.«

Cäsonius bemerkte die Betroffenheit im Gesicht des jungen Vitellius. »Du«, fragte er vorsichtig, »du bist noch nicht eingeweiht in die Freuden von Venus und Cupido, noch nie von den schlanken Beinen einer Frau umschlossen worden? Hast noch nie die harten Schenkel eines Mannes auf den deinen gespürt?«

Vitellius schüttelte den Kopf, während er mit den Augen neugierig das pittoreske Treiben um sich aufsog. Da standen Frauen herum, deren Schönheit den Tag blenden konnte. Eine hatte offene rote Haare, sie trug eine seidene Tunika, deren Faltenwurf ihre Weiblichkeit noch hervorhob. Kam ihr ein Mann entgegen, stützte sie beide Arme an den Hüften ab und drehte sich mit einem Lächeln nach allen Seiten. Ein rundlicher Römer, der gewiss mehr als zwei Pferde sein Eigen nennen konnte, trat an die Schöne heran und öffnete ihr ausladendes Dekolleté, als wollte er kontrollieren, ob sie hielt, was ihr Seidengewand versprach.

»Das ist Cynthia«, raunte Cäsonius dem Jungen zu, »sie verlangt zwei Aurei, davon könntest du ein Jahr lang leben. Unglaublich, aber die dummen, dummen Männer zahlen das auch noch gerne. Nicht etwa wegen ihrer Schönheit, schöne Frauen gibt es genug in Rom, und du kannst sie schon für ein As haben, nein, sie zahlen, weil Cynthia die Frau eines einflussreichen Senators ist. Aber Frau ist doch Frau. Glaubst du, dass sie besser ist?«

Vitellius schwieg; dann meinte er: »Hat denn in Rom die Lex Julia keine Gültigkeit?«

Cäsonius lachte: »Teurer Freund, in Rom ist alles erlaubt, was gefällt. Und ist es mit einem ausdrücklichen Verbot belegt, so findet sich immer ein passendes Gesetz, das dieses außer Kraft setzt. So wie der göttliche Kaiser Caligula seine Schwester Drusilla ehelichen durfte, obwohl das Gesetz dem entgegenstand, so kann Cynthia öffentlich die Ehe brechen und sich dafür sogar entlohnen lassen. Um der Verfolgung durch die Behörden zu entgehen, ist sie beim Ädil als Prostituierte gemeldet, sie zahlt die offizielle Dirnensteuer, das tun viele vornehme Frauen. Man erzählt sich, sogar ihr Mann müsse bezahlen, wenn er mit ihr schlafen will.«

»Bei der Gottheit der Venus und Roma«, sagte Vitellius beeindruckt, »noch nie habe ich eine so begehrenswerte Frau gesehen.«

»Zügle dein Herz und nimm es an die Leine!«, lachte Cäsonius, »es ist nicht Sache eines Mannes, in den ersten besten Apfel zu beißen. Vor allem aber, Freund, sei dir bewusst, nicht grell bemalte Weiber verschaffen dir die höchste Sinneslust, nein, unser eigenes Geschlecht ist’s, das Cupido, der Venus Sohn, uns nahebringt. In jeder Frau steckt eine Danaide, bereit, den Mann noch in der Brautnacht zu ermorden. Die wohlfeilen Töchter der Venus freilich, die du hier siehst, zücken keine Dolche, obwohl manch eine solch ein Silberspielzeug unterm Gürtel trägt – sie morden dich nach erbrachter Leistung mit Verachtung. Bezahle eine Frau, sie wird dich mitleidig belächeln, ein Mann, den du entlohnst, wird dir ein Freund fürs Leben sein.«

Während Cäsonius redete, schaute Vitellius in die käufliche Runde. Es waren mindestens ebenso viele Jünglinge und Knaben wie Frauen, die sich hier feilboten. Männer des Staates oder einträglichen Handels kamen, flankiert von zwei, manchmal sogar vier Sklaven. Mit dem Ruf: »Platz da für den großen Pansa!«, boxten sie ihren Herrn durch das Menschengewühl. Ein anderer machte auf der steinernen Brücke halt, musterte Cäsonius und Vitellius mit verächtlichen Blicken, drehte sich um und sagte, an einen seiner Sklaven gewandt: »Schaff mir Erleichterung!« Der Angesprochene verneigte sich kurz, raffte die Tunika seines Herrn, zog vorsichtig dessen Männlichkeit hervor und hielt sie in den warmen Frühlingsabend. Ein weiter Strahl ergoss sich in den Tiber. Außer Vitellius nahm kaum jemand Notiz von dieser Handlung.

Sklaven lenkten hochgeräderte Wagen durch die Menge. Die meisten waren einachsig und maultierbespannt, ein Baldachin ersetzte das Dach, Vorhänge die Seitenwände. Wurden die Vorhänge beiseitegezogen, so konnte man mit schnellem Blick den nackten Körper einer Frau erkennen, die sich in lasziven Bewegungen den Gaffern preisgab.

»Das sind die teuersten Huren Roms«, sagte Cäsonius, der Vitellius’ neugierige Blicke verfolgte. »Eine jede findet es unter ihrer Würde, auch nur den Fuß auf das staubige Pflaster der Via Flaminia zu setzen, du triffst sie auch nicht in einem der billigen Lupanare beim Circus maximus, jede von ihnen hat mehrere Apartmenthäuser in den vornehmen Stadtvierteln, wo Ein- und Ausgang an einer anderen Straße liegen.«

Während er redete, verneigte Cäsonius sich ständig nach allen Richtungen, warf Kusshände auf die andere Straßenseite, und ab und zu sprach er ein ehrerbietiges »Ave!« Einen schwarz gelockten Jüngling, der aus einem Ziegenschlauch roten Falerner ausschenkte, küsste er auf die Wange. Er scheint in der Tat ein sehr bekannter Mann zu sein, dachte Vitellius, als plötzlich ein Schatten die Strahlen der untergehenden Sonne verdeckte. Vitellius blickte auf.

Bei der Gottheit des Pan, der solch bukolische Abende werden lässt, über seinem Kopf thronte in einer Sänfte eine blond gelockte Frau – eine zauberhafte Erscheinung, als wäre sie einer Elegie des großen Ovid entstiegen. Acht rot gekleidete Sklaven trugen das luftige Transportgerät mit goldglänzenden Stangen auf ihren Schultern. Die Schöne saß auf einem großen blauen Kissen aus Samt, das mit goldenen Bordüren verziert war. Sie trug eine amethystfarbene ärmellose Tunika, aus deren Dekolleté die nackten prallen Brüste ragten, größer und erregender als Vitellius sie je bei einer griechischen Aphrodite-Statue gesehen hatte. Die Brustwarzen der Schönen blinkten vergoldet, und an ihren Spitzen funkelte je ein Diamant. Als wollte sie diese übernatürliche Pracht noch mehr zur Geltung bringen, lehnte sie sich auf den rechten Unterarm gestützt mit einem Lächeln aus der Sänfte, so dass die herrlichen Gaben der Venus wie reife glänzende Trauben dicht vor seinen Augen hingen. Vitellius fühlte, wie das Blut in seinen Schläfen hämmerte.

»Heil dir, Cäsonius!«, rief die Schöne über seinen Kopf hinweg. »Gruß und Kuss, schöne Lycisca!«, erwiderte Cäsonius, »die Kraft und Schönheit deiner Brüste wird noch einmal die Pax Romana ins Wanken bringen!« Lycisca lachte: »Vorausgesetzt, die Feldherren der Feinde sind nicht so wie du geartet.« Und mit dem Kopf auf Vitellius weisend, meinte sie: »Die schönsten deiner Freunde hast du mir bisher wohl verheimlicht …«

»Mercurius soll mich Lügen strafen«, fiel ihr Cäsonius ins Wort, »kaum mehr als Augenblicke sind’s, seit ich diesen Jüngling sah. Er heißt Vitellius, zählt gerade 17 Lenze und kommt aus Bononia. Als Kesselflicker will er sich in Rom verdingen.«

»Arbeit suchst du, schöner Jüngling? Mich dünkt wohl eher, die Lust am Vergnügen treibt dich nach Rom. Die Stadt ist voll von Reisenden aus allen Provinzen. Die Floralien, das Fest der Blütengöttin Flora, haben ihren Ruf bis in die letzten Winkel des Reiches getragen. Doch scheint mir, schöner Bononier, nicht der Hasen- und Ziegenhetzen wegen hast du den weiten Weg gemacht, die Tänzerinnen im Theater sind es wohl, die sich vor den Zuschauern so kunstvoll ihrer Kleider entledigen.«

Vitellius errötete. Nein, nein, ganz gewiss nicht, wollte er sagen; doch er brachte keinen Ton hervor. Die Erscheinung dieser Frau hatte ihn verhext. Wie in Trance hörte er Lycisca sagen: »Sieh da, Cäsonius, ein schüchterner Jüngling, der erste, welcher mir in meinem Leben begegnet. Sprich, ist er überhaupt ein Mann? Oder ist er auch aus deiner Zunft?«

»Das wissen die Götter«, antwortete Cäsonius mit erhobenen Schultern, »am besten wird wohl sein, du fragst ihn selbst.«

Da streckte Lycisca die Hand nach Vitellius aus. Mit gespreizten Fingern fuhr sie ihm durch den borstigen Lockenkopf. Vitellius blickte auf. Diese Frau, kaum zehn Jahre älter als er, weckte in ihm nie gekannte Gefühle. »Du gefällst mir, schöner Bononier«, sagte sie, während sie in seinen Haaren kraulte, und als Vitellius ein schüchternes Lächeln hervorbrachte: »Komm mit mir!«

Wie auf ein Kommando trat einer der Sklaven neben Vitellius, formte die Hände zu einer Art Steigbügel und bedeutete ihm, hineinzusteigen. Vitellius sah Cäsonius an, der nickte aufmunternd, griff nach dem Bündel des Fremdlings und warf es in die Sänfte. Mit einem Satz sprang Vitellius hinterher, und schon saß er Lycisca gegenüber. Die machte eine Handbewegung in Richtung Stadt, und die Sänfte setzte sich lautlos in Bewegung. »Salve, schöne Lycisca«, rief Cäsonius hinterher, »möge Flora Blüten über deine Wege streuen.«

Die Frau in der Sänfte sah ihr Gegenüber eine Weile wortlos an. Endlich fragte sie: »Du bist ein römischer Bürger?«

»Gewiss«, beeilte Vitellius sich zu antworten, und ehrfürchtig fügte er hinzu: »Herrin. Ich wurde registriert bei der Volkszählung im vergangenen Jahr.«

»Nenn mich Lycisca«, erwiderte die Schöne.

»Gewiss, Herrin«, sagte Vitellius. Lycisca lachte: »Du bist zum ersten Mal in Rom?«

»Ja«, erwiderte Vitellius, »Lycisca.«

Vitellius war nicht nur zum ersten Mal in Rom, er hatte auch zum ersten Mal in seinem Leben Bononia verlassen, war zum ersten Mal allein in der Fremde, ganz auf sich gestellt. Zum ersten Mal saß er in einer Sänfte, und das Sitzen in dem schwankenden Transportmittel machte ihm Schwierigkeiten. Zum ersten Mal sah sich Vitellius einer Frau gegenüber, wie sie ihm noch nie begegnet war. Schön wie die schaumgeborene Aphrodite, bot sie ihm ihre Reize dar, ihm, dem Kesselflicker Vitellius, der noch nie mit einer Frau geschlafen hatte.

Als hätte sie seine Gedanken erraten, sagte Lycisca, während sie ihre Hand auf seinen Unterarm legte: »Die Situation ist dir wohl fremd. Ich glaube fast, du hast noch nie eine Frau in ihr Cubiculum begleitet, noch nie gesehen, wie sie sich ihrer Tunika, des Caputiums und Strophiums entledigt.«

»Bei allen Göttern, nein«, fiel ihr Vitellius ins Wort.

»Du musst dich nicht fürchten«, meinte Lycisca beschwichtigend, »es ist die natürlichste Sache der Welt.«

»Ja, Herrin«, sagte Vitellius und fügte hinzu: »Lycisca.«

»Wenn du willst, schöner Bononier, werde ich dich heute Nacht zum Manne machen.«

Der Satz traf Vitellius wie der Trommelwirbel eines Herolds, der auf dem Marktplatz die Eroberung neuer Provinzen verkündet. Während er auf den milchig weißen Busen vor seinem Gesicht starrte, liefen Fantasiebilder vor ihm ab, die ihm oft in den letzten Jahren den Schlaf geraubt hatten.

Lycisca schob den Vorhang der Sänfte beiseite und blickte verträumt in die Dämmerung. Prachtvolle Gärten und Parkanlagen zogen an ihnen vorüber, mit Efeu behangene künstliche Grotten luden zum nächtlichen Spiel, Rosenspaliere bekränzten verschwiegene Wege, eingesäumt von dunklen Pinien und Zypressen, silberhellen Ölbäumen und Oleander. Leise rezitierte Lycisca Verse des Horaz:

»Wie bald, o Freund, entflieht die Jugendzeit,

Die Kraft, die Schönheit und des Alters Leid.

Mit grauem Haar und Runzeln wartet schon

Der Schlaf, der Liebe Freuden fliehn davon.«

Ein gewaltiges Bauwerk zur Rechten erregte das Interesse von Vitellius, ein mächtiges Rund, vielleicht hundert Meter im Durchmesser, von spitzen Zypressen umstanden; auf der Spitze des Bauwerkes thronte eine goldblinkende Figur.»Das Mausoleum des göttlichen Augustus«, erklärte Lycisca. Vitellius war beeindruckt, und Lycisca fuhr fort: »Hier gegenüber dem Eingang ist die Urne des Göttlichen bestattet. Aber auch Gaius und Lucius, die Neffen des Augustus, sind hier beigesetzt, Livia, seine Frau, Octavia, seine Schwester, die tapferen Drusus und Germanicus, die Kaiser Tiberius und Caligula«, und nach einer Pause des Nachsinnens fügte sie hinzu: »Und die Asche des Claudius wird hier ebenfalls einmal aufbewahrt werden.«

»Die Götter mögen ihm gnädig sein«, sagte Vitellius.

»Du bist ein Parteigänger des Imperators?«, erkundigte sich Lycisca.

»Er ist der Kaiser«, sagte Vitellius.

»Er ist 58 Jahre alt und sabbert wie ein Greis.«

»In Bononia erzählt man sich«, begann Vitellius vorsichtig, »der Prinzeps sei nicht mehr Herr seiner Sinne, und die Lenkung des Reiches liege in den Händen seiner Freigelassenen Narcissus, Callistus und Pallas, vor allem aber stehe er unter dem Pantoffel seiner Frau Messalina …«

»Was erzählt man über Messalina?«, wollte Lycisca wissen.

»Sie soll ebenso schön wie gefürchtet sein. Man sagt, sie sei gleichzeitig die meistgeliebte und meistgefürchtete Frau in Rom.«

Vitellius bemerkte, dass Lyciscas Augen aufleuchteten. Jung und naiv, wie eben ein Siebzehnjähriger aus der Provinz, begann er, da er Lyciscas Interesse spürte, weiterzuplaudern: »Sie soll mehr Männer aufreiben, als sie die Eroberung der Provinzen Britannien und Mauretanien gefordert hat.« Er lachte. »Und die 7000 Bediensteten der römischen Feuerwehr sollen geschlossen hinter ihr stehen wie ein Mann, samt ihrem Kommandanten Calpurnianus.«

»Fahre fort«, sagte Lycisca, »berichte, was man in Bononia noch alles erzählt über Messalina.«

»Nun, viel mehr kam mir bisher nicht zu Ohren. Ich hörte nur, was die Weiber sich erzählten, wenn sie mit Geschirr und Töpfen in die Werkstatt kamen. Halt – von Messalinas Todfeindschaft mit Agrippina wird auch noch geredet. Es heißt, sie habe es auf Kaiser Claudius abgesehen, wolle gar seine Frau werden und Messalina verstoßen. Zwar ist sie seine Nichte, aber beide sind der letzte Spross des julisch-claudischen Geschlechts, und Agrippina hat einen Sohn …«

»Schweig!«, unterbrach Lycisca. »Das Volk redet viel, ohne etwas Rechtes zu wissen!«

Der Straßenverkehr wurde nun immer dichter, aber bald würde die Dunkelheit ihm ein Ende setzen. Die Portale vor den öffentlichen und privaten Parkanlagen waren aus Anlass der Floralien mit Blüten und Zweigen geschmückt. Blumenteppiche mit mythologischen Szenen boten Menschentrauben Anlass zu Bewunderung oder Kritik. Am Horologium des Augustus, einer in ihren Ausmaßen riesigen Wasseruhrenanlage, brannten bereits Fackeln. Auch des Nachts sollte jeder Römer wissen, wie spät es war. Zur Linken lagen die Thermen des Agrippa, des Schwiegersohnes des göttlichen Augustus, der für diese seine Badeanlage eine 22 Kilometer lange Wasserleitung legen ließ. Ihre mächtigen Aquädukte hatten Vitellius auf den letzten Meilen seines Weges nach Rom geleitet.

»Platz da für die Sänfte der göttlichen Augusta!«, hörte Vitellius einen der Sklaven rufen. Vitellius starrte Lycisca an. Die lächelte beschwichtigend: »Die Sklaven treiben manchmal ihre Scherze, so kommen sie jedenfalls schneller vorwärts!« Lycisca hatte die blauen Samtvorhänge herabgelassen, um sich und ihren Gast vor neugierigen Blicken zu schützen; doch ein schmaler Spalt in der Mitte gab den Blick frei auf das vorbeiziehende Getümmel der Großstadt. Am Forum Julium mischte sich der Klang von Zimbeln und Harfen in das lauter werdende Geschwätz der Massen. Gegenüber die Basilica Aemilia, Roms älteste Markt- und Gerichtshalle, quoll über von Menschen und Gepäckbündeln. Besucher der Floralien fanden hier ein kostenfreies Dach über dem Kopf. Der dunkelrote Marmor speicherte die Hitze des Tages vortrefflich. Vitellius fielen vor allem Hunderte weißer Marmorstatuen auf, mit denen verdienstvolle Männer des Staates geehrt wurden.

Nur mühsam konnten die Sänftenträger sich einen Weg an der Kurie vorbei zum Forum Romanum bahnen, wo zwischen qualmenden Ölpfannen und prasselnden Fackeln jenes Leben pulsierte, das der Stadt Rom in der ganzen Welt den Beinamen Babylon eingebracht hatte. Hier ließ vor mehr als hundert Jahren der göttliche Cäsar dreihundertzwanzig Gladiatorenpaare zum Kampf antreten. Und über neunzig Jahre waren es her, seit Cäsar nach seiner berühmten Eilbotschaft ›Veni, vidi, vici‹ hier zwanzigtausend Kostgänger für mehrere Tage bewirtete. Seither kamen die ›Forenses‹, die Strolche und Müßiggänger, die Prahler und Zeitvergeuder, die Wucherer und Bettler, die Dirnen und Spieler tagtäglich hierher, mischten sich unter ehrwürdige Senatoren und hoch bezahlte Redner, Bankiers und Rechtsanwälte, Makler und Vestalinnen.

Vorbei an der Basilica Julia, wo bisweilen hundertachtzig Richter die großen Prozesse Roms führten, drängten sich die Sklaven mit der Sänfte mühsam durch die Volksmassen, als plötzlich von außen ein Arm unter dem Vorhang hindurchlangte, nach dem Körper Lyciscas tastete und mit breiten Fingern ein Detail zu erhaschen suchte. Lycisca ließ es geschehen, ja es schien ihr sogar Genuss zu bereiten. Als die unbekannte Hand ihre großen Brüste betastete, erscholl von draußen eine heisere Stimme: »Lycisca!«, und der Vorhang wurde beiseitegerissen.

»Sulpicius Rufus!«, rief Lycisca sichtlich erfreut, »ich wusste es, das konnte nur der Griff eines Gladiators sein.«

Sulpicius grinste breit über das ganze Gesicht, als er den jungen Vitellius erblickte. Mit seiner Fackel leuchtete er in die Sänfte. Ohne das geringste Anzeichen von Verlegenheit sagte Lycisca: »Das ist Vitellius. Er kommt aus Bononia. Ich habe ihn auf der Mulvischen Brücke aufgelesen.«

»Sei gegrüßt, schöner Jüngling«, sagte Sulpicius mit einer ausladenden Handbewegung, und an Lycisca gewandt, fuhr er fort: »Alle Welt strömt heute nach Rom, die Hallen und Foren platzen aus den Nähten. Glücklich, wer noch ein Dach über dem Kopf fand. Die meisten werden unter freiem Himmel nächtigen müssen.«

»Daran bist du nicht ohne Schuld«, antwortete Lycisca, »deine Gladiatorenkämpfe ziehen immer größere Volksmassen an«, und zu Vitellius gewandt, bemerkte sie: »Mein treuer Freund Sulpicius Rufus ist Leiter der größten Gladiatorenschule Roms, seine Retiarier sind im ganzen Reich berühmt. Niemand kämpft mit Netz und Dreizack so gekonnt wie sie.«

Sulpicius Rufus trat einige Schritte zurück und hielt die Fackel an eine Mauer, auf die mit roter Farbe eine Anzeige gepinselt war. Lycisca las langsam: »50 Gladiatoren des Sulpicius Rufus, des Leiters der Gladiatorenschule des Tiberius Claudius Nero Germanicus, und deren Ersatzmänner werden am ersten Tag der Floralien im Circus maximus gegen ebenso viele des Cn. Alleius Nigidius Maius antreten. Hoch, Sulpicius Rufus!«

Lycisca klatschte in die Hände: »Wir alle werden anwesend sein und die Todgeweihten mit lauten Rufen anfeuern.«

Rufus trat näher an die Sänfte heran: »Willst du nicht zur Cena libera kommen? Ich bin gerade auf dem Weg dorthin. Du kannst den Jüngling ja mitbringen. Es wäre eine Ehre für uns alle.«

Lycisca zögerte. Die Cena libera fand am Abend vor großen Gladiatorenauftritten statt. Im Angesicht des nahen Todes, aber möglicherweise auch eines großen Sieges, der ihnen Reichtum oder die Freiheit bescherte, feierten die Gladiatoren nach Wochen und Monaten des Darbens und der Entbehrungen ein Fress-, Sauf- und Liebesgelage, zu dem die Öffentlichkeit Zutritt hatte. Diese Veranstaltung fand zunehmende Beliebtheit, schon allein deshalb, weil es nichts Besonderes war, einen Gladiator sterben zu sehen. Aber ihn saufen oder in seiner Verzweiflung eine Frau lieben zu sehen, das war ein ganz besonderer Nervenkitzel. Da wollte auch Lycisca nicht nein sagen. »Nun gut«, meinte sie und streckte Vitellius die Hand entgegen, »wir kommen.«

Die kaiserliche Gladiatorenschule lag am Fuße des Aventin. Rufus ging mit seinen beiden Sklaven vor der Sänfte Lyciscas. Die Sklaven bahnten sich mit ihren Fackeln den Weg durch die Menge. Viele erkannten Sulpicius Rufus und klopften ihm im Vorbeigehen auf die Schulter: »Mögen Mars und Fortuna dir gnädig sein!« – »Zeig’s ihnen, den weichlichen Pompejanern!« – Oder: »Wir wollen Blut sehen!« Der Chef der Gladiatoren bedankte sich, indem er die ineinander verschränkten Hände über den Kopf hob. Er war ein populärer Mann in Rom, wenngleich vom Ansehen nicht mehr als ein Schauspieler oder Bordellwirt, denen städtische Ämter versagt blieben.

Vor der Gladiatorenschule, einem lang gestreckten, zweistöckigen Bau, der zur Straße nur wenige kleine Fenster hatte, drängten sich Hunderte von Menschen. Vor allem Frauen und Mädchen, grell geschminkt und in aufreizender Garderobe, versuchten lärmend und aufgeregt, die Namen von Gladiatoren schreiend, Zugang zu erhalten. Zwei kahlgeschorene dunkelhäutige Sklaven, jeder fast so groß wie ein Memnonkoloss, wehrten mit regungslosen Gesichtern die Zudringlichkeit der enttäuschten Römerinnen ab.

Von Weinkrämpfen geschüttelt, kreischte eine etwa Vierzigjährige, die ihren Ehemann gewiss schon zu Grabe getragen hatte, mit erhobenen Händen: »Nimm mich, Pugnax, solange du noch unter den Lebenden weilst!« Eine andere wimmerte, während ihr die Schminke über das Gesicht rann: »Cycnus, Cycnus, du Gebieter der Frauen, stoße mir deinen Dreizack in den Leib, bevor ein anderer dich niedersticht!« Und eine Dritte – sie mochte zwanzig Jahre alt sein und hatte ihre Löckchen turmartig hochdrapiert – seufzte hinter vorgehaltenen Händen: »O Murranus, du Medizin für die Nachtpüppchen. Nie wieder werde ich Schlaf finden.«

In der sensationsgierigen Menge sah man zahlreiche Streuner und Müßiggänger, die überall auftauchten, wo kostenlos gezecht und gefeiert werden durfte. Vor allem aber waren es Frauen, die ihre Idole ein letztes Mal sehen, sie aufrichten, sich ihnen hingeben wollten. Der Kampf um Leben und Tod, vor den Augen der Massen vieltausendmal veranstaltet, wirkte auf Frauen auf seltsame Weise sexuell stimulierend. Das Nachtlager mit einem erfolgreichen Retiarier oder Thraker geteilt zu haben, war der Lebenstraum nahezu jeder Römerin und vieler Römer. Ein Putzkommando der Gladiatorenschule musste jede Woche einmal die obszönen Schmierereien beseitigen, die liebeshungrige Frauen nächtens an die Außenwände der Kaserne gemalt hatten.

»Platz da, ihr Säufer und Huren«, schrie Sulpicius Rufus, als sie vor dem säulenumrahmten Portal ankamen. Die Menge stob vor den Fackeln der Sklaven auseinander. Die Sänfte wurde abgesetzt. Lycisca schob die Vorhänge zurück. Ein Raunen ging durch die Reihen der Wartenden. Vitellius blickte neugierig um sich. »Komm«, sagte Lycisca und fasste den Jungen am Oberarm.

In der Eingangshalle, die festlich erleuchtet und mit roten Blumen geschmückt war, sprengten Haussklaven mit Safran vermischtes Wasser auf die Eintretenden. Alexandrinische Tafelsklaven gossen an der Schwelle zum Innenhof Schneewasser über die Hände der Gäste. Vitellius machte nach, was Lycisca vormachte, streckte seine Hände aus, schüttelte das Wasser ab und trocknete die Hände im Lockenkopf eines herbeigelaufenen kleinen Alexandriners von dunkler Hautfarbe.

Der Säulenhof, der sonst als Exerzierplatz und Übungsarena diente, war in ein riesiges Triclinium unter freiem Himmel verwandelt. Lange, mit weißen Tüchern verhangene Tische standen hufeisenförmig angeordnet. Gebannt starrte Vitellius in die grölende Runde der meist bärtigen, muskelbepackten Gestalten – es mochten wohl weit über hundert sein –, und ein Schauer überkam ihn bei dem Gedanken, dass morgen um diese Stunde der größte Teil von ihnen nicht mehr am Leben sein würde, erdolcht, zerstückelt, erschlagen, zu Tode geschleift. Vitellius schluckte.

»Heda, ihr Gerstenfresser«, brüllte Rufus in das Rund, »seht her, ich bringe euch die schönste Frau Roms.« Allmählich wurde es still. Alle gafften auf Lycisca, die diese Art von Anbetung sichtlich genoss. Auf einmal begann einer mit seinem Trinkbecher auf den Tisch zu schlagen, ein zweiter folgte, dann mehrere, und plötzlich prasselten hundert Becher auf die Tischplatten. Wein spritzte über die Tische, Obstschalen und Krüge mit roten Blumen stürzten um, Teller gingen zu Bruch. Langsam ebbte die Ovation ab. Rufus geleitete Lycisca und Vitellius zu einer Liegebank an der Frontseite der Tische, mit der Rechten gab er ein Zeichen, eine Musikkapelle begann zu spielen. Rot gekleidete Sklaven bliesen die Tabiae, doppelzüngige Rohrblattinstrumente, die einen oboenhaften Klang hervorbrachten, rhythmisch untermalt von Sistren, die ähnlich wie ein Xylophon tönten. Im Takt der Musik tänzelten aus dem Dunkel des Säulenumganges anmutige Römerinnen, die sich geehrt fühlten, die letzten Stunden im Leben eines Gladiators versüßen zu dürfen.

Lycisca lag, eingerahmt von Sulpicius Rufus zur Rechten und Vitellius zur Linken, auf dem Sofa. »Das Übliche«, stellte Rufus gelangweilt fest, »die meisten von ihnen haben seit den letzten Iden keine Frau mehr gesehen. Sie werden das zu spüren bekommen.« Einige küssten den Todgeweihten ehrfürchtig die Hände, andere umarmten demütig die Beine. Die Todgeweihten reagierten unterschiedlich: Einer machte Anstalten, seiner Verehrerin die dünne Tunika vom Leib zu reißen, während er sich in ihren Hals verbiss, andere betasteten wollüstig die ihnen dargebotenen Körperformen, nur einige wenige reagierten geistesabwesend oder hielten sich ihre Verehrerinnen mit Stößen und Püffen vom Leib. Einer schlug einer bildschönen Römerin brutal ins Gesicht, ein roter Faden Blut rann aus ihrer Nase. Manche nahmen ihr Liebchen wie einen Getreidesack auf die Schulter und trugen es über eine schmale Holztreppe hinauf zu einer Veranda, von wo zahlreiche Türen zu den engen Zellen führten, die jeweils zwei Gladiatoren bewohnten. Dies war offiziell erlaubt und wurde von der grölenden Meute im Innenhof jeweils mit Beifall und Anfeuerungsrufen begleitet.

Das Lustgestöhn der Männer, das Kreischen und Seufzen der Frauen wirkte abstoßend auf Vitellius. Lycisca amüsierte sich. Rufus bemerkte lakonisch: »Wartet, bis Bacchus seine Wirkung getan hat und das Mahl aufgetragen wird. Die Kerle haben doch seit Wochen nur Gerstenbrei gefressen; aber seht sie euch an, diese Muskeln!«

Erst jetzt erkannte Vitellius, dass sich im schützenden Dunkel des Säulenumganges noch Hunderte von Menschen aufhielten, die dieses Gelage sensationsgierig verfolgten. Sie tuschelten und drängten und zeigten mit Fingern auf die Todgeweihten, unter denen auf diese Weise deutlich Favoriten zu erkennen waren. Andere wiederum erregten nur hämisches Mitleid. Für sie stand schon heute fest, wie bei einer Niederlage die Entscheidung des Publikums in der Arena aussehen würde: Daumen nach unten, Tod. Die Wettannahmestellen um den Circus maximus herum nahmen seit Tagen Wetten auf das Leben der einzelnen Kämpfer an. Favorit war Scylax mit einer Quote von 1 : 20 fürs Überleben, er hatte bereits 29 Siege errungen, 25 Gegner getötet, drei hatte der Kaiser, einen das Publikum begnadigt. Die Römer setzten auf ihn, die Römerinnen bewunderten ihn.

Ein schrilles Trompetensignal. Aber nicht ein Kampf Mann gegen Mann wurde angekündigt, sondern der Beginn des Gelages. Dem jungen Bononier gingen die Augen über: Ägyptische Sklaven trugen ein Tablett herein, größer als ein Tisch, in der Mitte kniete eine Frau als radschlagender Pfau verkleidet. Die Platte wurde abgesetzt, der schöne Pfau hob die Flügel, und unter dem blau schimmernden Federwerk kamen Schalen von Silber zum Vorschein, belegt mit den appetitlichsten Köstlichkeiten der römischen Provinzen: Lebern von Papageifischen, garniert mit Wachteleiern, Flamingozungen in Milch von Muränen, Hirn von Pfauen und Fasanen garniert mit schwarzen Oliven, gebratene Haselmäuse mit heißem Honig begossen und mit Mohn bestreut und roter Rogen von Fischen, die Neptun zwischen dem Partherreich und den Säulen des Herkules hatte heranwachsen lassen. Das waren aber nur die Vorspeisen des Gelages.

Vitellius kostete mehr mit Neugierde denn mit Appetit. Wann je im Leben hatte er Gelegenheit zu solchen Tafelrunden gehabt? Rufus verscheuchte einen Tischsklaven, der sorgsam darauf achtete, dass ein leerer Teller sofort gegen einen vollen ausgetauscht wurde, und zu Vitellius und Lycisca gewandt meinte er: »Haltet ein, denn das ist nur der erste von sieben Gängen.«

»Eine würdige Cena libera, fürwahr!«, meinte Vitellius, bemerkte aber sofort, dass seine Rede deplaciert wirkte.

Unterschiedlich wie ihr Charakter gaben sich die Gladiatoren der Völlerei hin. Einige stopften die Delikatessen hastig in die bärtigen Münder, schneller als sie ihre Kauwerkzeuge verarbeiten konnten, sie würgten und rülpsten, ohne zu wissen, was sie überhaupt vertilgten. Andere kosteten die köstlichen Dinge nur mit spitzen Fingern, der Gedanke an das bevorstehende Ereignis nahm ihnen jeden Appetit, deshalb versuchten sie, ihre angstvolle Erwartung mit Unmengen von Wein hinunterzuspülen.

Die Musikkapelle versuchte mit immer schnelleren und schrilleren Melodien die Stimmung auf zu putschen. Inzwischen wurde der nächste Gang aufgetragen, ein auf dem Holzkohlefeuer goldbraun gegrillter riesiger Eber. Zur Dekoration steckte in seinem Rücken ein Dreizack, wie er von den Netzkämpfern benutzt wurde. Der Koch trat hinzu, zog ihn heraus, so dass heiße Luft aus dem Braten zischte, schließlich griff er nach einem Schwert, holte aus wie ein Henker und schlug den Eber in der Mitte entzwei. Es dampfte und brodelte, und aus der einen Hälfte quollen glänzende Blut- und Leberwürste, gebratene Granatäpfel und gekochte Damaszenerpflaumen. Die Männer an den Tischen johlten. Einige erinnerte der Anblick jedoch deutlich an das, was jedem einzelnen morgen bevorstand, sie erbrachen das Gegessene in weitem Bogen auf die Tische oder husteten das Erbrochene in den Schoß ihrer Begleiterin. Auf solche Fälle war man jedoch vorbereitet. Sklaven rannten mit Schüsseln herbei und reichten in Minze getränkte Tücher. Die anderen ließen es sich ungeniert schmecken.

Vitellius gegenüber saß ein Bär von einem Mann auf seiner Liege wie zur Salzsäule erstarrt. Er blickte ausdruckslos vor sich hin. Über seine Wangen rannen Tränen. Ein Tischsklave servierte den nächsten Gang, Geflügel; er stellte einen Teller mit ausgelöstem Hühnerbein und Feigendrosseln in gepfeffertem Eidotter vor ihn hin. Doch der Mann wischte das Essen, ohne einen Blick darauf zu werfen, mit einer Armbewegung vom Tisch, während ihm die Tränen über das Gesicht rannen. Die Umsitzenden grölten.

Während Lycisca und Rufus in ein Gespräch vertieft waren, erhob sich Vitellius und ging zu dem weinenden Gladiator hinüber. »Du fürchtest um dein Leben?«, fragte Vitellius. Der Mann reagierte nicht. »Du bist kräftiger als alle anderen«, begann Vitellius von Neuem. »Wovor fürchtest du dich?« Langsam, unendlich langsam drehte der Mann den Kopf zur Seite und sah Vitellius mit feuchten Augen an, er atmete schwer. »Die Kraft ist’s nicht allein«, begann er zögernd, »es sind vor allem die Schnelligkeit und das Glück, die dem Retiarius zum Sieg verhelfen.«

»Warum hegst du Zweifel an Fortunas führender Hand?«

»Warum?«, wiederholte der Gladiator und zeigte in das prassende, grölende Rund. »Deshalb. Jeder von denen da hofft zu überleben. Im besten Fall kommt die Hälfte mit dem Leben davon. Den anderen wird der Dreizack in den Hals gerammt oder das Kurzschwert in die Eingeweide, sie landen im Spolarium, wo man ihre zerfleischten Körper mit glühenden Eisen bearbeitet, um sicherzugehen, dass kein Leben mehr in ihnen ist.«

Vitellius zuckte bei diesen Worten unwillkürlich zusammen, als spürte er das glühende Eisen auf seinem Fleisch; doch er fing sich bald wieder und ermunterte den Gladiator: »Wenn du an dein Glück glaubst, wirst du siegen! – Wie viele Siege hast du schon errungen?«

Der Mann starrte schweigend vor sich hin. Dann wiederholte er bitter: »Siege! Siege! Ich bin neu in dem Geschäft. Ein Kampf. Einmal gefallen. Einmal begnadigt. Eigentlich müsste ich tot sein, verstehst du?«

»Ich verstehe«, sagte Vitellius betroffen.

Der Mann gewann allmählich Zutrauen zu dem Jüngling: »Ich stamme aus Galiläa. Meine Vorfahren sind Juden. Unter Tiberius brachten sie mich nach Rom. Der Kaufmann Hortensius nahm mich als Sklave. Zwei Decennien schleppte ich Fässer, Ballen und Kisten – und stets zur Zufriedenheit meines Herrn. Er erlaubte mir, eine Sklavin aus meinem Geschlecht zu heiraten. Sie starb bei der Geburt meiner Tochter. Aber Hortensius war alt, er musste seine Taberna aufgeben, und weil er Geld für seinen Lebensabend brauchte, hat er das ganze Inventar mitsamt uns Sklaven verkauft. Nur Rebecca hat er behalten, meine Tochter.«

»Und du wurdest dem Sulpicius Rufus verkauft?«, fragte Vitellius.

»Sic«, antwortete der Mann, »so ist es! Rufus meinte, wer solche Bärenkräfte hätte wie ich, der müsste einen guten Gladiator abgeben. Ich hätte ja nichts zu verlieren, ich könnte höchstens die Freiheit gewinnen. Nun, der erste Kampf hätte mich beinahe mein Leben gekostet.«

Beide schwiegen betroffen. Nach einer Weile fragte der Gladiator: »Bist du ein Römer?«

Vitellius antwortete: »Nein, ich stamme aus Bononia, aber ich besitze das römische Bürgerrecht.«

»Kannst du lesen und schreiben?«, wollte der Mann wissen.

»Bei allen Göttern, nein«, lachte Vitellius, »ich bin ein Kesselflicker, der von Pflegeeltern großgezogen wurde, wer hätte es mir je beibringen sollen!«

»Auch gut«, sagte der Gladiator, »aber du hast Verstand und verstehst ihn zu gebrauchen. Ich bitte dich um einen Gefallen. Sollte mich morgen der Dreizack irgendeines dieser Spießgesellen treffen und ich dabei zu Grunde gehen, dann gehe zu Hortensius in die Straße der Gewürzkrämer im vierten Stadtbezirk und frage nach Rebecca. Bringe meiner Tochter die Todesnachricht schonend bei. Sag ihr, dass ich sie über den Tod hinaus liebe und dass sie der Stolz meines Lebens war. Und sag ihr – auch wenn es nicht stimmt –, dass ich ohne Furcht gestorben bin.« Bei diesen Worten rannen wieder Tränen über sein Gesicht.

»Du wirst nicht sterben«, versuchte Vitellius den Gladiator zu trösten. »Du wirst einen glänzenden Sieg erringen, und Rufus wird dir die Freiheit schenken!«

Der Gladiator wischte sich mit dem Unterarm die Tränen von den Wangen. »Mögen die Götter dich schützen! – Wie heißt du eigentlich? – Mein Name ist Verritus.«

»Vitellius«, sagte der Junge, und beide fassten sich am Unterarm.

»Komm herüber, schöner Bononier«, rief Lycisca, die inzwischen von Sulpicius Rufus allein gelassen worden war, »wir wollen uns die syrischen Tänzerinnen ansehen. Schenkt die Becher voll!« Sieben in weiße Schleier gehüllte Mädchen wiegten ihre Hüften im Takt einer klagenden Melodie, eine Vorführung, die nicht einmal den Jüngling aus der Provinz aufzuregen vermochte. »Finis!«, brüllte ein Betrunkener, »Ende!« – Mit einem Mal grölten alle »Finis, Finis, Finis!« Und hämmerten mit ihren Bechern auf die Tischplatten.

Das wirkte wie ein Signal auf Lycisca. Sie sprang auf den Tisch, zerrte an ihrer blonden Lockenpracht, die sich als Perücke entpuppte, darunter kamen lange schwarze Haare zum Vorschein. Das Hämmern der Todgeweihten wurde lauter und schneller. Lycisca wiegte sich im Takt. Mit einer kurzen Handbewegung riss sie sich ihr Kleid vom Leib. Die Gladiatoren stießen Schreie der Begeisterung aus, hämmerten lauter und lauter mit ihren Bechern, brüllten im Rhythmus ein unverständliches Wort. Lycisca, nackt, prall und provozierend, wand sich mit lasziven Bewegungen vor den gierigen Augen der Todgeweihten. Jetzt glaubte Vitellius das rhythmische Brüllen der Gladiatoren zu verstehen: »Mes-sa-lina. Mes-sa-lina. Mes-sa-lina.«

»Bei allen Göttern«, durchfuhr es Vitellius, »Messalina, die Frau des Kaisers!« Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, starrte er diese tanzende Göttin an, sah, wie die langen Haare ihre wogenden Brüste umspielten, die langen weißen Finger, die auf ihren Schamhaaren lagen, und er hörte ihre lachende Stimme aus der Sänfte: »Wenn du willst, schöner Bononier, werde ich dich heute Nacht zum Manne machen.«

Messalina! Da sprang er auf, stieß die Umstehenden beiseite, stürzte durch das erleuchtete Portal der Gladiatorenschule ins Freie und verschwand irgendwo in der lärmenden Menge.

KAPITEL 2

Auf der Suche nach der Straße der Gewürzkrämer gelangte Vitellius nach langem Forschen und Fragen in die Subura, ein sehr dicht besiedeltes und verrufenes Stadtviertel, das nur einen einzigen Glanzpunkt zu verzeichnen hatte: Hier war vor beinahe 150 Jahren der göttliche Cäsar geboren worden. Die Straße der Gewürzkrämer lag östlich der Hauptstraße Clivus Suburanus, sie war schmal, und nicht einmal Eselskarren kamen hindurch, weil die zahllosen kleinen Händler ihre Waren auf den Bürgersteigen und in der schmalen Fahrrinne feilboten. Neben Gewürzen und Kräutern konnte man hier aber auch Linsen und Haselnüsse, Trauben und Pflaumen, Brot und Backwaren, Werkzeuge und Haushaltsgeräte erwerben. Das alles ging unter unsagbarem Lärm vonstatten. Hier in Rom war die Konkurrenz weit größer als in Bononia, und Vitellius registrierte mit Argwohn, wie manche Händler ihre Kunden am Ärmel in die Gewölbe zogen.

»Schöner Jüngling«, trat eine zottelhaarige Frau an Vitellius heran, »in meinem Thermopolium kannst du für ein As trinken, für zwei Asse essen, für drei bekommst du mich und für vier Asse einen funkelnden Falerner dazu.« Vitellius wehrte das Angebot mit einer unwilligen Handbewegung ab, obwohl er Hunger verspürte. Seit dem feudalen Gelage am Abend zuvor hatte er nichts gegessen. Nach einer Nacht unter Tausenden von Pilgern und Touristen auf dem Forum Julium, wobei sein Reisebündel als Kopfkissen diente, hätte es ihn zweifellos gereizt, einmal in einem Thermopolium zu speisen. Diese Art von Schnellimbiss galt in Rom als neueste Errungenschaft, man nahm alles im Stehen entgegen, nicht wie nach römischer Sitte im Liegen, angeblich sogar die frivolen Gunstbezeigungen der Wirtin. Aber Vitellius musste auf jedes As schauen, er hatte gerade 60 Silbersesterzen in seinem Beutel, was dem Wert von 150 bronzenen Assen entsprach. Fürs Thermopolium blieb da kein As übrig.

Vitellius erkundigte sich nach Hortensius, dem früheren Krämer, und erhielt die Auskunft: Gleich da vorne, gegenüber dem Hospitium, der Herberge. Der Caupo vor der Herberge kam Vitellius freundlich entgegen, weil er glaubte, der Jüngling mit dem Bündel wolle bei ihm Logis nehmen; als er jedoch hörte, der Fremde suche Hortensius, deutete er mit einer abfälligen Handbewegung auf das Haus gegenüber, ein schmalbrüstiges, zweistöckiges Gebäude, das im Erdgeschoss gerade einer Türe und einem Fenster Platz bot. Dazwischen war an der Hauswand in verwaschener Schrift die Preistafel des Krämers zu erkennen:

I Modius Roggen

III Sesterzen

I Maß Falerner Wein

I Sesterz

I BrotII AsseI Stück KäseI AsDattelnI AsZwiebelnI As

Die Tür stand offen, wie überall um diese Jahreszeit. In der Dunkelheit des niedrigen Raumes erkannte Vitellius einen alten Mann mit weißem Bart. »Seid gegrüßt«, sagte Vitellius, »Ihr seid gewiss Hortensius, der Krämer«, und als der keine Antwort gab, fuhr er fort: »Ich komme wegen Verritus, Eurem Sklaven.« Der Alte winkte ab: »Ja, wir wissen, dass er tot ist. Die Ergebnislisten der Kämpfe sind überall angeschlagen. Mich trifft keine Schuld.«

»Ihr hättet ihn nicht verkaufen dürfen!«, wandte Vitellius ein.

»Du Grünschnabel«, polterte Hortensius los, »ich habe 3000 Sesterzen für ihn bekommen und seiner Tochter Rebecca nach meinem Ableben die Freiheit versprochen. Verritus war damit einverstanden. Mit dem Geld muss ich den Rest meiner Tage leben.« Nach einer Weile fügte er hinzu: »Wer bist du eigentlich. Was willst du?«

»Ich heiße Vitellius und komme aus Bononia. Durch einen Zufall geriet ich gestern Abend in die Cena libera der Gladiatoren und lernte Verritus kennen. Er bat mich, für den Fall seines Todes seine Tochter aufzusuchen und ihr eine Mitteilung zu machen.«

Der Alte musterte den Fremdling mit Misstrauen, dann ging er zur Tür, die in einen hinteren, noch dunkleren Raum führte und rief: »Rebecca!«

Im nächsten Augenblick stand ein zierliches, schwarz gelocktes Mädchen in der Tür. Sie mochte etwa so alt sein wie Vitellius. Ihre Augen waren niedergeschlagen. Sie zeigte keine Tränen, aber man sah, dass sie geweint hatte. Vitellius schluckte.

»Rebecca«, begann er vorsichtig, »du hast schon vom Tod deines Vaters in der Arena gehört. Fortuna fügte es, dass ich gestern, am Vorabend der Floralien, das Vertrauen deines Vaters gewann, obwohl wir uns nie zuvor begegnet waren. Wir waren gemeinsam bei der Cena libera, und er erzählte von dir.«

Rebecca sah Vitellius an. Der Blick des Mädchens raubte ihm fast den Verstand. Es war schön wie die trauernde Muse Melpomene, und sein Redefluss geriet ins Stocken. »Dein Vater«, stammelte Vitellius, »lässt dir sagen, er werde dich über den Tod hinaus lieben, und du seiest der Stolz seines Lebens gewesen. Ich soll dir auch sagen, dass er ohne Furcht gestorben ist.«

Für ein paar Augenblicke standen sich die drei in dem düsteren Raum wortlos gegenüber. Vitellius bemühte sich, seine Tränen zurückzuhalten. Rebecca blickte starr und ausdruckslos vor sich hin. Schließlich sagte sie ruhig: »Sei bedankt, Fremder, ich wünschte, wir wären uns aus freudigerem Anlass begegnet, aber da es die Götter nun einmal so gefügt haben, berichte mir über die letzten Stunden meines Vaters.«

Der Alte fuhr dazwischen: »Saturns Trauergestirn stand über ihm. Sein Tod war vorgezeichnet, was nützt jetzt langes Lamentieren. Geh an deine Arbeit, Rebecca.«

Rebecca sah Vitellius Hilfe suchend an. Dieser blickte in das strenge Gesicht des Alten, dann sagte er zu dem Mädchen gewandt: »Wir können uns treffen, wenn du dein Tagwerk vollbracht hast«, und zu dem Alten, »da habt Ihr sicher nichts dagegen.« Rebecca empfand das Schweigen ihres Herrn als Zustimmung. »Ich danke Euch«, sagte sie demütig, »dann wollen wir uns vor Einbruch der Dämmerung auf dem Forum Boarium treffen, vor dem Standbild der Pudicitia. Salve.« Sie sprach’s und verschwand. Vitellius verabschiedete sich von dem Alten.

Auf dem Weg zum Forum Boarium begegnete Vitellius einem der zahlreichen Bettelpropheten, die sich mit einem Taubenkäfig in der Hand anboten, den Passanten die Zukunft vorherzusagen. Dabei gingen sie mit gezielter, oft erprobter Raffinesse ans Werk, erkundigten sich nach dem Weg, fragten, ob er etwa ein Verwandter des Sowieso sei – »Nein, diese Ähnlichkeit« – oder traten an ihr Opfer heran mit den Worten: »Ihr werdet noch heute Fortuna begegnen, ich weiß nur noch nicht, wo.«

Vitellius war schnell überredet. Sein Schicksal, das ungewiss war wie nie zuvor in seinem Leben, machte ihn neugierig. Das Verhältnis der Römer zu ihren Haruspices war gespalten. Cicero hatte einmal gefragt, ob die Zukunftsdeuter und Eingeweideschauer nicht lachen müssten, wenn einer dem anderen begegne. Von Kaiser Tiberius wurde gar eine Verordnung erlassen, wonach Haruspices nur in Begleitung eines Zeugen befragt werden durften. Claudius hingegen war ein gläubiger Anhänger der Zukunftsdeutung, und inzwischen gab es in ganz Rom keinen höheren Beamten mehr, der nicht auf seinen eigenen Haruspex zurückgreifen konnte, wenn es darum ging, eine politische Entscheidung zu treffen. Und auch die römischen Feldherren ließen sich bei ihren Entscheidungen von Eingeweideschauern leiten.

Vitellius zahlte eine Sesterz. Der Haruspex griff in seinen Käfig, holte ein Täubchen hervor und schnitt ihm mit einem scharfen Messer den Kopf ab. Das Blut spritzte, der Haruspex hielt das kopflose, zuckende Tier in die Höhe, damit es ausblutete. Mit gekonntem Griff rupfte er der Taube an der Bauchseite die Federn aus, schlitzte sie auf und holte mit blutigen Fingern die Innereien hervor, die Exta. Dann setzte er sich auf eine Stufe am Straßenrand, Vitellius blickte mit Ekel, aber auch gespannt auf die blutverschmierten Hände des Wahrsagers.

»Was siehst du?«, fragte er ungeduldig.

Der Haruspex blickte auf, zögerte eine Weile und sah den Jüngling mit zusammengekniffenen Augen an: »Blut erkenne ich, viel Blut.« Vitellius zuckte zusammen. »Aber es ist nicht dein Blut, es ist das Blut anderer – wenngleich du in naher Zukunft nahe am Tod vorbeigehst. Aber die Hand einer Frau wird dich retten, und du wirst beinahe ein halbes Hundert Lenze zählen.«

»Keine schlechten Nachrichten«, freute sich Vitellius, »was siehst du noch, mein Alter?«

Der Wahrsager hielt ein kleines rotbraunes Klümpchen zwischen Daumen und Zeigefinger. »Das ist die Leber«, erklärte er dem angewidert dreinblickenden Jungen. »Sie ist prall und hat zwei Kerben an der Unterseite. Das bedeutet: Du hast ein prall gefülltes Leben zu erwarten, reich an Erlebnissen und wohl versehen mit irdischen Gütern. Die beiden Kerben weisen auf zwei Frauen hin, die deinen Lebensweg bestimmen.«

»Ein gutes Orakel, fürwahr«, strahlte Vitellius.

»Gewiss«, antwortete der Haruspex, »so gute Kunde konnte ich lange nicht mehr geben.«

Vitellius dankte dem Wahrsager, dann schlug er die Richtung zum Forum Boarium ein. Das Forum Boarium, am linken Tiberufer gelegen, Marktplatz für landwirtschaftliche Produkte und Vieh, war an Feiertagen Treffpunkt der unteren Schichten, der Plebs und der Sklaven. Selten, dass sich ein Bankier, ein Rechtsanwalt oder ein Senator hierher verirrte. Und anders als bei den ausgelassenen Saturnalien, bei denen an sieben Tagen und Nächten alle Standesunterschiede zwischen Patriziern, Plebejern und Sklaven aufgehoben waren, feierte man die Floralien, das Fest der Blumen und Quellen, zwar ausschweifend und ekstatisch, aber streng getrennt nach Stand und Vermögen. Solche ›Feriae‹ gab es über hundert im Jahr. An den Floralien fanden überall Trinkgelage statt, die meist in orgiastischen Massenbeischlafszenen endeten, an denen niemand Anstoß nahm.

Vitellius schlenderte durch das Velabrum, ein Geschäftsviertel, das an gewöhnlichen Wochentagen dem Handel von Fleisch, Fisch, Backwaren, Wein und Öl diente und gelangte schließlich nahe der Stelle, an der die Cloaca maxima in den Tiber mündet, zum Forum Boarium. Der Rindermarkt mit seinen weiträumigen Anlagen quoll über von Menschen, die sich schon von ihrer grobschlächtigen Kleidung her als weniger begütert auswiesen. Auf der Suche nach dem Standbild der Pudicitia stieß Vitellius auf ein repräsentatives Gebäude, das sich nach Befragen der Umstehenden als das Amt für die Getreideversorgung der Stadt erwies, angebaut an einen Tempel der Ceres, der Schutzgöttin des Getreides. Das Standbild der Pudicitia stehe hundert Schritte weiter.

Vitellius sah das Mädchen schon von Weitem. Jetzt, im Licht der goldglühenden Nachmittagssonne, erschien sie ihm noch schöner, noch liebenswerter als in dem dunklen Zimmer des alten Krämers. »Sei gegrüßt, Rebecca«, sagte Vitellius. »Ave«, sagte das Mädchen schüchtern. Und der Bononier meinte: »Nenn mich Vitellius. Ich bin dein Freund.«

Erst jetzt, als er vor ihr stand, bemerkte Vitellius, wie klein und zerbrechlich dieses Kind war. Dass es Sklavenarbeit verrichten musste, konnte man kaum glauben. »Oh, wie traurig ist der Anlass unseres Zusammentreffens«, sagte Vitellius. Rebecca starrte vor sich hin auf das Pflaster. Sie trug eine rauhe braune Tunika, die kaum die Oberschenkel bedeckte, ihre zierlichen Füße steckten in leichten Ledersandalen, deren dünne Riemen um die Waden geschnürt waren.»Du musst es meinem Herrn nicht übel nehmen, dass er so abweisend war«, begann Rebecca schüchtern. »Er ist kein schlechter Herr. Er hat ein gutes Herz, auch wenn es bisweilen aus Stein zu sein scheint.«

»Musste er deinen Vater den Gladiatoren verkaufen. Er ging gewiss nicht freiwillig.«

»Er tat es um meinetwillen. Mein Herr versprach mir dafür in seinem Testament die Freiheit. Stirbt er, so erhalte ich den Status einer Freigelassenen. Ich kann eine Ehe eingehen, und meine Kinder werden frei sein.«

»All das ist teuer genug erkauft«, meinte Vitellius.

»Wer konnte ahnen, dass er als Gladiator scheitern würde. Er war stärker als jeder andere in unserer Regio.«

»Aber er war über vierzig Jahre alt, nahe dem Alter, in dem man nicht einmal mehr als Soldat eingezogen wird.«

Rebecca schwieg. Dann sagte sie: »Er hat es für mich getan. Er hat meine Freiheit mit seinem Leben bezahlt.«

»Freiheit«, wiederholte Vitellius, »was bedeutet sie schon, wenn du arm bist. Sieh mich an. Ich bin ein frei geborener römischer Bürger. Ich darf die Toga tragen, was einem Sklaven verwehrt ist, nur habe ich keine Toga, weil ich mir keine leisten kann. Fünfzehn Sesterzen waren mein Verdienst für einen Monat Arbeit. Dafür musste ich meinen Lebensunterhalt bestreiten. Ein Sklave braucht sich darum nicht zu kümmern; denn der Herr ist verpflichtet, für seinen Sklaven aufzukommen.«

»Aber du kannst über dich selbst verfügen, du konntest deine Heimatstadt verlassen und nach Rom gehen, dir eine neue Existenz suchen, wir Unfreien müssen tun, was unserem Herrn gefällt. Gefällt es ihm, uns zu züchtigen, müssen wir ihm den gewünschten Körperteil darbieten, gefällt es ihm, uns ad metalla, in die Bergwerke, zu verkaufen, können wir uns nicht wehren. Unser Leben besteht, von den wenigen Sklavenfeiertagen abgesehen, aus Arbeit und Demütigung, aus Demütigung und Arbeit. Wir leben nicht wie ihr für die Zukunft, unsere Hoffnungen sind in die Wolken gerichtet, und viele treffen sogar Vorkehrungen für ein Leben nach dem Tode.«

»Wer im Dreck liegt, kann gut in die Wolken schauen«, sagte Vitellius.

»Du hast ihn sterben sehen?«, fragte Rebecca unvermittelt. Vitellius schüttelte den Kopf. »Aber du weißt mehr, als du mir erzählst. Ich will die ganze Wahrheit wissen.« Rebecca sah ihn bittend an. Der Junge senkte den Blick. »Bitte«, sagte Rebecca, »ich kann die Wahrheit ertragen.«

»Ich habe dich belogen, als ich dir sagte, dass dein Vater keine Angst gehabt hätte. Er machte bei der Cena libera einen verstörten Eindruck und weinte«, sagte Vitellius. »Deshalb machte ich mich schon am Morgen auf den Weg zum Circus, fand aber keinen Einlass mehr. Die Türsteher verwehrten mir den Zutritt, weil die Ränge bereits überfüllt waren. Ich glaube, die Römer streben schon um Mitternacht zum Circus. Aber ich wollte unbedingt Gewissheit haben, denn ich ahnte nichts Gutes. Ich begab mich dann zu einer der Menschentrauben, die sich um die Wettbüros unter den Arkaden des Circus bildeten. Um die Mittagsstunde rief der Buchmacher: ›Kampf 16 – Retiarier Pugnax gegen Retiarier Verritus – Sieger Pugnax – Verritus erstochen.‹ Zuerst war ich wie gelähmt. Dann wollte ich auf die johlenden Schreihälse einschlagen, sie anbrüllen, dass da zum Gaudium der Massen ein Mensch umgebracht wurde, der das Leben genauso geliebt hat wie sie, aber da wurde schon ein weiteres Ergebnis verkündet. An der Porta libitinensis, dem Tor im Circus, durch das die getöteten Gladiatoren herausgetragen werden, habe ich dann seine Leiche gesehen, Einstiche an beiden Oberschenkeln, ein Auge aufgequollen und blutverkrustet und im Bauch eine tiefe, klaffende Wunde.«

»Hör auf!«, schrie Rebecca, drehte sich um, schlug den Unterarm vor die Augen und lehnte sich schluchzend an die Sockelmauer des Standbildes. Schauer von Schmerz schüttelten den kleinen Körper. Vitellius strich Rebecca über das Haar. »Verzeih!«, sagte er, »aber ich dachte, du wolltest die ganze Wahrheit erfahren.«

»Die Wahrheit ist grausam«, stammelte Rebecca, »zu grausam.«

Vitellius legte seine Hand auf Rebeccas Schulter. »Ich möchte dir helfen, dein schweres Los zu ertragen«, sagte er. »Zwar kann ich dir den Vater nicht ersetzen, aber ich möchte dir ein Freund sein – wenn du willst …«

Das Gespräch wurde jäh unterbrochen. Ein Trupp von vier wie Gladiatoren gekleideten Männern bahnte sich lautstark einen Weg durch die Volksmenge und stieß Männer und Frauen rücksichtslos zur Seite, die ihnen im Wege standen.

Dabei rief einer von ihnen in die Menge: »Hat jemand einen jungen Bononier gesehen, ein Bononier namens Vitellius wird gesucht!«

Vitellius erschrak. Was hatte das zu bedeuten? Auch Rebecca ahnte nichts Gutes. Sie fasste den Jungen an der Hand. Beide sahen sich an. Einen Augenblick dachten wohl beide das Gleiche: weglaufen. Doch dann wurde ihnen sehr schnell bewusst, dass sie sich damit nur verdächtig machen würden.

»Ein Vitellius aus Bononia wird gesucht!« Die vier kamen immer näher, Menschen stoben auseinander, jetzt gingen sie geradewegs auf Vitellius zu. Der stand wie angewurzelt da, starrte dem ersten Gladiator ins Gesicht und sagte schließlich: »Ich bin Vitellius aus Bononia.«

»Vitellius aus Bononia?«, fragte der Erste zurück und drehte sich um, ohne die Antwort abzuwarten. »Heda, Männer, wir haben ihn!«

Die anderen drei kamen angelaufen, einer trat an Vitellius heran, drehte ihm den rechten Arm auf den Rücken und rief: »Vorwärts!«

»Was wollt ihr von mir?« Vitellius versuchte, sich zu wehren. »Ich bin mir keiner Schuld bewusst.« Er warf einen Hilfe suchenden Blick zu Rebecca, dann wurde er weggestoßen, und das Mädchen entschwand seinen Blicken. Die Gladiatoren riefen: »Vorwärts, vorwärts!«

»Es besteht kein Zweifel«, sagte Messalina, »der Kaiser ist beim Volk beliebter als je zuvor. Der Bau der neuen Wasserleitung von den simbruinischen Hügeln, das Gesetz gegen die Zügellosigkeit der Geldverleiher, die Erfindung neuer Buchstaben für unsere Schrift, all das hat Claudius sehr viel Sympathie eingebracht. Unsere Lage wird immer schwieriger.«

Die Männer um Messalina, allesamt ihre Liebhaber, nickten. Sie standen um das silberne Bett der Kaiserin, das sechs Leuten Platz bot und verschlangen die Frau mit den Augen. Dabei gab sich ein jeder sichtlich Mühe, Gelassenheit zur Schau zu tragen, als wäre es selbstverständlich, dass die Kaiserin, dieses Lust und Begierde versprühende Weib, sich halb nackt vor ihnen rekelte und mit gespielter Hilflosigkeit an den Spitzen eines kleinen Schleiers zupfte. Der sollte wohl dazu gedacht sein, ihre rosigen Blößen zu bedecken, in Wirklichkeit aber bereitete es Messalina sichtliches Vergnügen, das obere und das untere Ende des Tüchleins abwechselnd über ihre wogenden Brüste und die schwarzen Schamhaare zu ziehen, wobei sie jedes Mal oben oder unten etwas von ihrem Körper preisgab.

Titius Proculus, Ehrenwächter und engster Vertrauter, hatte sich am besten in der Gewalt. »Seit dem göttlichen Augustus«, sagte er etwas theatralisch, »starb kein Cäsar eines natürlichen Todes. Jedem kam das Schwert zu Hilfe. Auch Claudius wird ein vorzeitiges Ende finden.«

»Gewiss«, meinte Juncus Vergilianus, ein Mitglied des römischen Senates, »nur waren Tiberius und Caligula zum Zeitpunkt ihres Todes beim Volke verhasst.«