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Er tastete nach dem Lichtschalter, und im nächsten Moment flammten die elektrischen Birnen auf.
Das Bild, das sich nun seinen Blicken bot, hatte er freilich nicht zu sehen erwartet. In der entferntesten Ecke stand ein bleiches, zartes Mädchen, das sich dort offenbar verbergen wollte. Donald stellte fest, dass es sehr schön war. Es hatte eine etwas kurze Oberlippe, eine kleine Nase, und in seinen großen dunklen Augen flackerte Angst. Ein wunderbares Gesicht für den Film schoss es ihm durch den Kopf, vorausgesetzt, es kann diesen Blick voll wilder Angst auch spielen...
Herbert Adams (* 1874 in Dorset, South West England; † 1958) war ein englischer Schriftsteller. Adams veröffentlichte beinahe sechzig Kriminalromane; viele unter seinem eigenen Namen, einige unter dem Pseudonym Jonathan Gray. Seine Leser – wie auch die Literaturkritik – verglichen Adams oft mit seiner Kollegin Agatha Christie.
Der Roman Der Goldene Affe erschien erstmals im Jahr 1930; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1958.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
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HERBERT ADAMS
Der Goldene Affe
Roman
Apex Crime, Band 179
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
DER GOLDENE AFFE
ERSTER TEIL
ZWEITER TEIL
DRITTER TEIL
Er tastete nach dem Lichtschalter, und im nächsten Moment flammten die elektrischen Birnen auf.
Das Bild, das sich nun seinen Blicken bot, hatte er freilich nicht zu sehen erwartet. In der entferntesten Ecke stand ein bleiches, zartes Mädchen, das sich dort offenbar verbergen wollte. Donald stellte fest, dass es sehr schön war. Es hatte eine etwas kurze Oberlippe, eine kleine Nase, und in seinen großen dunklen Augen flackerte Angst. Ein wunderbares Gesicht für den Film schoss es ihm durch den Kopf, vorausgesetzt, es kann diesen Blick voll wilder Angst auch spielen...
Herbert Adams (* 1874 in Dorset, South West England; † 1958) war ein englischer Schriftsteller. Adams veröffentlichte beinahe sechzig Kriminalromane; viele unter seinem eigenen Namen, einige unter dem Pseudonym Jonathan Gray. Seine Leser – wie auch die Literaturkritik – verglichen Adams oft mit seiner Kollegin Agatha Christie.
Der Roman Der Goldene Affe erschien erstmals im Jahr 1930; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1958.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
Erstes Kapitel
Was sollte er tun? Vor der Tür seines eigenen Hauses warten zu müssen, ist kein Vergnügen.
Doch Donald Wade war ein Mann der Tat. Er war jung - noch nicht fünfundzwanzig Jahre alt - und schnell entschlossen. Die Wohnungstür seiner Tante Veronica sollte für ihn nicht lange ein Hindernis bilden. Der Schlüssel, den er von ihr erhalten hatte, passte nicht. Es gibt jedoch Türen, die geradezu zum unberechtigten Eindringen aufzufordern scheinen. Sie haben mehrere bleigefasste Scheiben, die selbst einem ganz gewöhnlichen Taschenmesser nur wenig Widerstand entgegensetzen.
Donald schob die Klinge seines Messers unter den Rand des weichen Metalls. Sehr sorgfältig, um einen Bruch zu vermeiden, entfernte er die Bleieinfassung einer farbigen Glasscheibe, und in einem kurzen Augenblick war eine Öffnung entstanden, die groß genug war, um die Hand hindurchzulassen. Tante Veronica hätte sich vielleicht geärgert, wenn sie das gesehen hätte, aber er würde dafür sorgen, dass der Schaden ausgebessert war, bevor sie zurückkam.
Er drückte also auf die Klinke und öffnete die Tür. Der kleine Flur war dunkel, aber als er eintrat, schien es ihm, als würde gerade die Tür zum Wohnzimmer geschlossen und das Licht ausgedreht.
Was hatte das zu bedeuten? Tante Veronica konnte doch unmöglich zurückgekehrt sein. Sie würde ihn vorher benachrichtigt haben. Mrs. Chipper konnte es ebenso wenig sein. Mrs. Chipper war die Haushaltshilfe, die vormittags das Haus seiner Tante in Ordnung brachte. Dass sie zur Nachtzeit kam, war ausgeschlossen. Er durchschritt schnell den Flur und stieß die Wohnzimmertür auf. Das Zimmer war dunkel. Er tastete nach dem Lichtschalter, und im nächsten Moment flammten die elektrischen Birnen auf.
Das Bild, das sich nun seinen Blicken bot, hatte er freilich nicht zu sehen erwartet. In der entferntesten Ecke stand ein bleiches, zartes Mädchen, das sich dort offenbar verbergen wollte. Donald stellte fest, dass es sehr schön war. Es hatte eine etwas kurze Oberlippe, eine kleine Nase, und in seinen großen dunklen Augen flackerte Angst. Ein wunderbares Gesicht für den Film schoss es ihm durch den Kopf, vorausgesetzt, es kann diesen Blick voll wilder Angst auch spielen.
Aber nicht nur das Mädchen sah er in diesem kurzen Augenblick, er sah auch die wüste Unordnung im Zimmer. Ein Wandschrank war aufgerissen, Schubladen waren herausgezogen, überall lagen Bücher und Papiere herum.
»Sie sind also nach Hause gekommen«, keuchte das Mädchen, das sich mühsam ein wenig zu fassen suchte.
»Es scheint so«, lächelte er.
»Ich habe nichts genommen. Lassen Sie mich gehen«, sagte sie.
»Nichts genommen?« Er blickte auf die wüste Unordnung. »Sie haben offenbar Ihre Zeit nutzlos vergeudet.«
»Ich habe Sie nicht so früh erwartet.«
»Sie haben mich also erwartet?« Er hätte beinahe laut gelacht, als er die Frage an die ertappte Sünderin richtete.
Sie gab keine Antwort. Sie blickte ihn prüfend an. Wahrscheinlich überlegte sie, was sie tun oder sagen könnte, um ihn zu veranlassen, sie freizugeben. Ihre Angst schien langsam zu schwinden. Vielleicht war sein Auftreten nicht so bedrohlich, wie sie befürchtet hatte.
»Sie scheinen mich zu kennen«, fuhr Donald fort, da sie nicht antwortete. »Ich glaube nicht, dass wir uns schon einmal begegnet sind.«
»Das ist wohl richtig. Aber ich weiß, dass Sie Mr. Mallow sind und dass Sie bei Mr. Greenwell wohnen.«
»So, so! Vielleicht sagen Sie mir auch, wer Sie sind?«
»Ich heiße Nancy Trevor.« Stolz, fast herausfordernd nannte sie ihren Namen, als müsste ihm nun alles klar sein.
»Ein entzückender Name«, sagte er mit einem belustigten Augenzwinkern. »Aber ich fürchte, Ihr Name sagt mir nicht viel.«
»Ja, dann... ich glaubte, Sie teilten nicht nur Mr. Greenwells Wohnung, sondern auch seine schändlichen Geheimnisse. Er sagte doch, Sie wüssten alles.« Die Verzweiflung schien sie mutig zu machen.
»Da tun Sie mir unrecht. Mr. Greenwell behält seine schändlichen Geheimnisse für sich - jedenfalls was meine Person betrifft.«
»Dann lassen Sie mich gehen.«
»Das kann ich doch wohl nicht, meinen Sie nicht auch?« Er deutete auf die Papiere und Bücher, die auf dem Fußboden herumlagen, und auf den offenstehenden Schrank.
»Sie können sich überzeugen, dass ich nichts fortgenommen habe. Und wenn ich alles wieder in Ordnung bringe, lassen Sie mich gehen, nicht wahr?«
Er schwieg einen Augenblick. Dann sagte er mit einem jungenhaften Lächeln: »Wir wollen uns ein paar Minuten hinsetzen und die Sache besprechen. So sehr eilig haben wir es ja wohl nicht, Miss Trevor? Setzen Sie sich dort im Erker nieder, und ich bleibe bei der Tür. Man muss ja schließlich etwas vorsichtig sein.«
Sie setzte sich und blickte ihn aufmerksam an, wie wenn sie aus seinem Benehmen nicht recht klug werden könnte. War er so gutmütig, wie man es dem Klang seiner Stimme nach annehmen musste, oder spielte er nur mit ihr wie die Katze mit der Maus? Er erwiderte schweigend ihren Blick und studierte sie ebenso aufmerksam wie sie ihn.
»Sie befinden sich in einem kleinen Irrtum«, begann er endlich. »Ich bin nicht Mr. Mallow, und ich kenne Mr. Greenwell nicht. In gewisser Weise haben wir beide, fürchte ich, uns des gleichen Vergehens schuldig gemacht. Ich bin in diese Wohnung eingebrochen, weil mein Schlüssel die Tür nicht öffnen konnte, und nun muss ich feststellen, dass es gar nicht meine Wohnung - oder vielmehr die Wohnung meiner Tante - ist. Ich habe meinen Irrtum erst erkannt, als ich das Licht anknipste und dieses Zimmer sah. Diese Wohnungen sehen eine wie die andere aus. Niemand kann sie im Dunkeln auseinanderhalten.«
»Dann will ich gehen, Sie haben kein Recht, mich zurückzuhalten.« Sie stand auf und ging auf die Tür zu.
»Nein, bitte, Miss Trevor«, erwiderte er, ihr den Weg versperrend, »so geht die Sache nicht. Ich gebe gern zu, dass Sie nicht so aussehen, wie ich mir eine Einbrecherin vorgestellt habe, aber Sie müssen vernünftig sein. Wenn der Mann mit den schändlichen Geheimnissen - Mr. Greenwell nannten Sie ihn, nicht wahr -, also wenn Mr. Greenwell nach Hause kommt, muss ich ihm eine Entschädigung für den von mir angerichteten Schaden anbieten. Wenn er aber die Bescherung da auf dem Boden sieht, wird er vielleicht nicht glauben wollen, dass ich nur aufgrund eines kleinen Versehens in seine Wohnung gelangte. Würden Sie es denn glauben?«
»Dann gehen Sie«, sagte das junge Mädchen, »und ich nehme die beschädigte Tür auf mein Konto.«
»Sehen Sie, man hat doch seinen Nachbarn gegenüber eine Art Verpflichtung. Ob ich in einem falschen Haus oder in einem falschen Stockwerk bin, weiß ich nicht. Meine Tante wohnt hier, und vielleicht ist Greenwell ihr bester Freund. Sie halten ihn für einen Schurken, aber vielleicht denkt meine Tante anders über ihn. Vielleicht hat er in der Kirche seinen Stuhl neben ihr-?«
»Wenn er überhaupt in die Kirche geht, dann tut er es sicher nur, um die Kollekte zu stehlen«, unterbrach ihn das junge Mädchen.
»So? Gehört er zur Verbrecherzunft? Aber, wie dem auch sei, wenn ich Sie hier verlasse, vernachlässige ich meine Pflicht dem Nachbarn meiner Tante gegenüber, und wenn ich Sie gehen lasse, verletze ich Pflichten, die ich gegen mich selber habe. Wenn man mich einsperrt, so wäre mir das gerade jetzt ganz besonders unangenehm, weil ich dringende Verpflichtungen habe.«
Wieder betrachtete ihn das Mädchen schweigend. Dann nahm sie eine gekränkte Miene an und sagte: »Ich verstehe nicht. Für Sie ist die ganze Sache nichts weiter als ein unterhaltsamer Zufall. Für mich aber ist sie die ernsteste Sache auf der Welt. Ich bin nicht hergekommen, um Mr. Greenwell zu bestehlen. Ich kam her, um ein Papier zu suchen, das er besitzt, aber das zu besitzen er kein Recht hat.«
»Weshalb wollen Sie das Papier haben?«
»Weil er meinen Vater und mich damit ins Unglück stürzen will.«
Der Ton, in dem sie das sagte, überzeugte Donald beinahe, dass sie die Wahrheit sprach - oder wenigstens zu sprechen glaubte. Er war jung und leicht zu beeindrucken, aber er war auch klug genug, um zu wissen, dass jemand durchaus aufrichtig und doch in einem großen Irrtum befangen sein kann.
»Wie kann ich wissen, dass Sie mehr Recht auf das Papier haben als er?«, fragte er.
»Wissen können Sie das nicht - Sie können es mir nur glauben.«
»Wollen Sie mir nicht erklären, um was für ein Papier es sich handelt, und was Sie damit zu schaffen haben?« Donald Wade war ernst geworden. Kein Lächeln mehr und kein Augenzwinkern. Wenn das, was sie da sagte, wahr war, dann hätte er ihr gern geholfen. Aber sprach sie die Wahrheit, oder war es nur eine plötzliche Erfindung, ein geschickter Appell an sein Mitgefühl, damit er sie gehen ließ?
Sie zögerte mit der Antwort. Entweder erdachte sie sich schnell eine Geschichte, oder sie überlegte, wie weit sie ihm trauen konnte.
»Es ist ein Papier, das mein Vater vor Jahren unterzeichnet hat.« Die Worte sagte sie langsam mit einer gewissen Anstrengung. »Mr. Greenwell hat es gestohlen. Er hatte kein Recht darauf. Es hat mit ihm nichts zu tun. Er verlangt eine große Summe Geld dafür.«
»Er ist ein Erpresser?«
»Ja. Wir haben gezahlt und gezahlt. Aber er forderte immer mehr. Deshalb entschloss ich mich, das Papier zu suchen und zu vernichten.«
Sie sah ihn verzweifelt an, während sie sprach. Sie musste furchtbar gelitten haben, bevor sie sich zu dem Wagnis entschloss, bei dem er sie gestört hatte. Aber Donald war noch nicht völlig überzeugt. Die Geschichte, die sie ihm erzählt hatte, klang nicht erdacht. Sie klang wie der Bericht einer Tatsache. Aber was für ein Papier mochte es sein? Und warum überließ man ihr die Aufgabe, es wieder zu beschaffen?
»Konnte denn nicht Ihr Herr Vater-?«
»Mein Vater ist alt und krank«, unterbrach sie ihn, »Greenwells Drohungen bringen ihn noch um. Er weiß nicht, dass ich hier eingebrochen bin.«
Donald blickte wieder auf die Unordnung auf dem Fußboden. Sollte er ihr seine Hilfe anbieten und mit ihr gemeinsam das Papier suchen, das so viel für sie bedeutete? Sicher verdiente sie und nicht der Erpresser seine Hilfe. Aber die Sache war nicht unbedenklich. Durfte er ihr helfen, die Wohnung eines Fremden zu durchstöbern?
»Wie sind Sie hereingekommen?«, fragte er, um Zeit zur Überlegung zu gewinnen.
»Ich habe einen Schlüssel. Es sind ganz gewöhnliche Schlösser. Es ist nicht so schwierig, hereinzukommen wie Sie dachten.«
»Dann habe ich wohl etwas übereilt gehandelt«, sagte er, wieder lächelnd. Das junge Mädchen trat schnell an das Fenster und blickte auf die Straße hinunter. Sie hatte ein Geräusch gehört. Vor dem Haus war ein Taxi vorgefahren.
»Mr. Greenwell!«, rief sie erschrocken. »Ich hatte nicht gedacht, dass er so früh kommen würde. Nun ist es zu spät. Ich kann nicht mehr fort. Sie haben Ihre Pflicht als Nachbar erfüllt.« Die letzten Worte klangen bitter.
»Welche Nummer hat diese Wohnung?«, fragte Donald schnell.
»Neunundzwanzig.«
»Dann sind wir ja im richtigen Block! Meine Wohnung hat die Nummer einunddreißig. Ein Stockwerk höher. Schnell - kommen Sie!«
Er handelte in einer plötzlichen Eingebung. Er wandte sich zur Tür, und das junge Mädchen folgte ihm. Sie brauchten nicht mehr Zeit dazu, das Licht auszudrehen, durch den Flur zu schlüpfen, die Wohnungstür zu öffnen und wieder zu schließen, als der Mann unten, um den Chauffeur zu bezahlen, sich das Wechselgeld herausgeben zu lassen und die Treppe heraufzukommen.
Donalds Schlüssel öffnete das richtige Schloss ohne jede Schwierigkeit. Dabei schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, was wohl Tante Veronica sagen würde, wenn sie ihn jetzt sehen könnte, wie er ein fremdes junges Mädchen zu nächtlicher Stunde in ihre Wohnung hineinließ und noch dazu eine Einbrecherin! Aber auf Tante Veronicas Türmatte stand Willkommen! Ganz leise schloss er die Tür und blieb einen Augenblick lauschend stehen. Er hörte eine Uhr schlagen - die Uhr im Wohnzimmer seiner Tante - und dann das Zuschlagen der Wohnungstür unten.
Er drehte das Licht an und sah sich nach seiner Begleiterin um. Nancy Trevor lehnte mit leichenblassem Gesicht an der Wand. Er fürchtete, sie könnte im nächsten Augenblick ohnmächtig werden. Er legte seinen Arm um sie, um sie zu stützen.
»Ich werde Ihnen etwas zur Stärkung holen.«
Zweites Kapitel
»Ich fühle mich wieder ganz wohl.«
Donald betrachtete sie und stellte fest, dass sie sich in keiner Weise wohlfühlte. Ihr Gesicht war erschreckend blass.
»Setzen Sie sich eine Minute. Wie wäre es mit einem Schluck Brandy? Ich denke, Tante Veronica hat welchen im Haus - selbstverständlich nur als Medizin.«
»Wenn ich um ein Glas Wasser bitten darf.«
Sie folgte ihm in das Wohnzimmer. Es glich dem Zimmer unten, hatte aber keinen Erker, sondern stattdessen einen winzigen Balkon, auf dem Tante Veronica ein paar Pflanzen zu ziehen versuchte. Die Einrichtung hatte natürlich einen mehr weiblichen Charakter und war im Stil vergangener Tage gehalten. Wo nur irgendwie die Möglichkeit bestand, eine Borte anzubringen, war sie angebracht, und alberne, völlig wertlose kleine Nippes standen herum. Auf einem Tischchen zeugten fünf Sammelbüchsen verschiedener Wohltätigkeitsvereine von den guten Werken, die Miss Briggs - das war Tante Veronicas richtiger Name - Zeit und Interesse in Anspruch nahmen.
Nancy Trevor sank in einen Stuhl, und Donald brachte ihr ein Glas Wasser.
»Eine Zigarette?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Darf ich?«
»Bitte.«
Er tat schweigend ein paar Züge und schaute sie aufmerksam an. Sie war noch schöner, als er gedacht hatte. Ihre Augen waren von dem tiefsten Blau, dunkler als die Blüte des Enzians, aber ein Schimmer lag darin, der an das Licht der Sterne erinnerte. Sicher musste es wundervoll aussehen, wenn Nancy lächelte. Ihr Haar war dunkel und hatte einen kupfernen Glanz. Ihre Augenbrauen waren fein geschwungen, und die Wimpern waren lang.
»Seltsam, dass ich so hereinplatzte«, sagte er. »Ich kann gar nicht begreifen, wie ich mich so irren konnte. Es muss wohl daran liegen, dass ich an Mietshäuser nicht gewöhnt bin. Sie sind wie Taubenschläge, finden Sie nicht auch? Wenn wir alle nachts zu Hause sind, müssen unsere Schutzengel sich sehr erleichtert fühlen.«
Das Mädchen blickte ihn schweigend an. Ob ihr Schutzengel wohl aufgepasst oder ob er seine Pflicht versäumt hatte? Sie trank das Wasser, und er sprach weiter. Er dachte, es würde ihr guttun, wenn er so plauderte, als wäre gar nichts Besonderes passiert.
»Schade, dass Tante Veronica nicht hier ist. Sie ist die beste Seele auf der Welt, aber vor zwei Dingen hat sie Angst - vor Fleisch und vor dem Teufel. Vor dem Teufel meinetwegen und vor Fleisch ihretwegen. Sie ist nämlich ziemlich rundlich.
Als sie hörte, ich würde nach London kommen, um ein Examen zu bestehen, das die ganze Woche dauert, bestand sie darauf, ich sollte bei ihr wohnen, damit sie mich vor den Versuchungen der bösen Stadt bewahren könnte. Als es so weit war, dass ich herkommen sollte, fügte es aber der Zufall, dass sie gerade zur selben Zeit nach einem Ort in Cheshire fahren musste, wo man Körperfülle mit Autosuggestion und Diät behandelt. Gebet und Fasten, so viel ich weiß. Aber damit die Sache Erfolg hat, muss der Professor höchstpersönlich die Übungen überwachen. Er hat einen so großen Zulauf, dass meine Tante, wenn sie die ihren Termin versäumt hätte, vielleicht Monate auf einen neuen Termin hätte warten müssen. So kommt es, dass ich allein hier wohne und nur tagsüber von der Haushaltshilfe meiner Tante betreut werde.«
Während er so sprach, zog sich ein schwaches Lächeln um die Lippen des jungen Mädchens, aber ihre Augen blieben traurig.
»Und um nun auf die Geschichte zu kommen, die Ihnen Kummer macht«, sagte er plötzlich, »so müssen wir uns darüber klar werden, was nun geschehen soll. Haben Sie einen Vorschlag?«
Sie schüttelte traurig den Kopf.
»Wie wäre es, wenn wir wieder hinuntergingen? Ich könnte Mr. Greenwell festhalten, während Sie seine Papiere durchsehen. Ich glaube, ich würde mit ihm fertig werden.«
»Das glaube ich auch«, erwiderte Nancy. »Aber es würde nichts nützen. Vielleicht ist das Papier gar nicht da, und wir würden dann nichts weiter erreichen, als dass er noch rachsüchtiger wird.«
»Aber Sie müssen erlauben, dass ich Ihnen helfe. Bei Erpressern hat man nur eine Pflicht: sie unschädlich zu machen. Sie verdienen es nicht besser.«
»Das ist wahr, aber es ist nicht immer möglich.«
»Wollen Sie mir nicht etwas mehr von der Geschichte erzählen? Vielleicht finde ich heraus, wie wir ihm beikommen können. Ich könnte meine Tante fragen, was für ein Mann er eigentlich ist. Vielleicht bekommen wir auf diese Weise eine Handhabe gegen ihn. Gute Frauen wie meine Tante wissen immer das Schlechteste von ihren Nachbarn.«
»Das Schlechteste von ihm kann sie nicht wissen.«
»Wollen Sie es mir nicht erzählen? Ich frage nicht aus Neugierde. Es muss eine Fügung des Schicksals gewesen sein, dass ich in eine falsche Wohnung einbrach. Vielleicht bin ich dazu ausersehen, Ihnen zu helfen.«
»Das können Sie nicht«, sagte sie verzweifelt. Aber noch während sie das sagte, entschloss sie sich, ihm alles zu erzählen. Vielleicht dachte auch sie, dass das Schicksal seine Hand im Spiel hätte.
»Vor fünfundzwanzig Jahren unterschlug mein Vater Geld, um einem anderen zu helfen, der in Not war. Dieser andere, sein - Freund -, hatte gestohlen und brauchte fünfzig Pfund, um eine Entdeckung zu verhüten. Mein Vater hatte sie nicht und nahm daher Geld, das seinem Arbeitgeber gehörte. Die Not schien so groß, und er wollte es ja nur auf kurze Zeit borgen. Aber es wurde entdeckt. Hätte er alles erklärt, dann hätte er seinen Freund bloßgestellt. Sein Chef zwang ihn, ein Geständnis zu unterschreiben, und entließ ihn dann, ohne ihn bei Gericht anzuzeigen. Mein Vater wechselte seinen Namen. Er fing von vorn an und hatte Erfolg. Er genießt jetzt Ansehen und Vertrauen, aber...«
Sie konnte vor Aufregung nicht weitersprechen. Donald wartete, ohne ein Wort zu sagen, bis sie sich etwas gefasst hatte und fortfahren konnte.
»Edward Greenwell arbeitete in der gleichen Firma wie mein Vater und war auf irgendeine Weise - wahrscheinlich durch Diebstahl - in den Besitz des Geständnisses gelangt. Er nahm unsere Spur auf. Obgleich so viele Jahre vergangen waren, und obgleich mein Vater seinen Namen geändert hatte, machte Greenwell uns ausfindig. Er drohte mit einer Enthüllung, sofern er nicht gut bezahlt würde. Er hat sehr viel Geld bekommen. Jetzt verlangt er weitere tausend Pfund und sagt, wenn er die bekommt, will er uns das Papier übergeben. Eine so große Summe können wir nicht bezahlen.«
»Und wenn Sie es auch könnten, so dürften Sie es nicht«, rief Donald. »Ihr Vater sollte doch zur Polizei gehen und die ganze Geschichte erzählen. Und seinem jetzigen Chef soll er nur ruhig die Wahrheit sagen. Er braucht diese Geschichte, die vor fünfundzwanzig Jahren passiert ist, nicht zu fürchten. Es gibt auch keinen Grund, sich ihrer zu schämen.«
»Nein, er hat keinen Grund, sich zu schämen«, sagte das junge Mädchen. »Aber Sie verstehen die Situation nicht ganz richtig. Die Summe, die mein Vater unterschlug, war klein, aber wenn seine Vergangenheit bekannt wird, wird er als Dieb gebrandmarkt.
Ich sagte ihm genau dasselbe, was Sie sagen. Aber er ist überzeugt, dass seine Firma ihn nicht behält, wenn sie diese Geschichte hört - ganz gleich ob von ihm selbst oder von jemand anderem. Er kennt seinen Chef. Er ist gerecht, aber streng. Es ist eine Diamantenfirma. Steine im Wert von vielen Tausend Pfund, die anderen Leuten gehören, gehen durch ihre Hände - durch die Hände meines Vaters. Er sagt, die Firma würde eine geschäftlich unverantwortliche Handlung begehen, wenn sie das Eigentum ihrer Kundschaft einem geständigen Dieb anvertraute..., sie müsste ihn entlassen. Alle seine Ersparnisse sind verbraucht. Greenwell will ihn zwingen, die tausend Pfund, die er verlangt, zu stehlen. Er hat uns eine Woche Frist gegeben. Mein Vater sagt, er würde sich eher das Leben nehmen, als sich das Geld auf diese Weise zu verschaffen.«
»Zweckmäßiger wäre es, er würde Greenwell umbringen!«, sagte Donald grimmig. »Und was hat dieser andere Mann, ich glaube, Mallow nannten Sie ihn, mit der Sache zu tun?«
»Mallow und Greenwell wohnen zusammen. Greenwell sagt, er müsste mit Mallow die Summe teilen, die er bekommt, und wenn er herzlos und grausam sei, so gibt er Mallow die Schuld.«
»Ein alter Kniff. Sie haben Mallow nie gesehen?«
»Nein.«
»Aber Greenwell haben Sie gesehen?«
»Mehrere Male. Ich suchte ihn vor einer Woche in seiner Wohnung auf und flehte ihn an, doch menschlich zu sein. Er lachte mich aus. Er deutete auf den Wandschrank und sagte: Weder für Tränen, noch für Küsse, gebe ich das Papier da heraus, nur für Geld.«
»Es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe. Es ist freilich noch die Frage, ob es überhaupt im Wandschrank ist. Aber unangenehmer wäre es doch gewesen, wenn Greenwell Sie dabei überrascht hätte. Und was sollen wir nun beginnen?«
»Das weiß ich nicht. Ich muss meinem Vater alles erzählen. Wir müssen um Aufschub bitten.«
»Übrigens, Sie sagten, Sie hießen Nancy Trevor. Das ist natürlich nicht Ihr richtiger Name?«
»Doch. Wir leben jetzt unter einem anderen Namen, aber ich nannte den richtigen, weil ich dachte, Mallow - für den ich Sie ja hielt - würde mich dann besser verstehen.«
»Wenn Sie aber unter einem andern Namen leben, wie kann Greenwell dann beweisen, dass Ihr Vater mit dem Trevor, der das Geständnis Unterzeichnete, identisch ist?«
»Er hat viele Beweise. Die Briefe, die mein Vater ihm schrieb, bestätigen es.«
»Und unter welchem Namen leben Sie jetzt?«
Das junge Mädchen stand plötzlich auf. »Ich muss jetzt gehen«, sagte sie. »Ich hätte nicht so lange bleiben sollen. Sie sind sehr gut zu mir gewesen.«
»Unter welchem Namen leben Sie jetzt?«
»Das möchte ich Ihnen nicht sagen. Es würde zu nichts Gutem führen. Sie müssen vergessen, was heute geschehen ist. Wir werden uns schon irgendwie helfen.«
»Aber ich möchte Ihnen doch helfen. Ich werde niemals vergessen, was heute geschehen ist. Heißen Sie wirklich Nancy?«
»Ja, Nancy heiße ich wirklich«, sagte sie mit einem leichten Lächeln.
»Und Sie wollen mir nicht erlauben, dass ich Ihnen helfe - Nancy?«
»Sie können nichts für mich tun. Sie sind sehr freundlich, aber Sie können nichts weiter tun, als alles zu vergessen, was Sie von mir gehört haben.«
»Ich sagte Ihnen doch, dass ich das nicht kann. Wo wohnen Sie?«
»In Chelsea. Aber ich muss jetzt wirklich gehen.«
Sie ging zur Tür, und er konnte sie nicht aufhalten. In dem kleinen Flur reichte sie ihm die Hand.
Er sagte: »Ich heiße Donald Wade. Ich bin in Yorkshire zu Hause, aber ich werde noch einige Tage hierbleiben. Ihre Briefe erreichen mich hier. Bitte vergessen Sie nicht, dass ich Ihnen helfen will, wenn Sie es mir erlauben.«
»Sie sind sehr freundlich, aber es ist besser, wir sehen uns nicht wieder. Ich - danke Ihnen.«
Drittes Kapitel
Donald Wades Vater hatte eine große, landwirtschaftliche Güteragentur in Yorkshire. Wöchentliche Viehverkäufe sicherten seiner Firma ständige, recht beträchtliche Einnahmen, und stets hatte sie das eine oder andere wertvolle Besitztum zu verwalten. Donald, der älteste der drei Söhne, half seinem Vater bereits. Da er Teilhaber der Firma werden sollte, wurde er in jedem Zweig seines Berufes gründlich ausgebildet. Dieser verlangte, dass er ebenso gut Ackerland trockenlegen, wie Bilder alter Meister schätzen, Pferde oder Häuser kaufen und verkaufen konnte. Auch musste er die Probleme alter Rechtsurkunden lösen und Streitigkeiten zwischen Gutsherrn und Pächtern schlichten können. In allen Fragen der Forstkultur, Kanalisation und Handelsgesetzgebung musste er beschlagen sein, und er musste fähig sein, die Echtheit von Chippendale-Möbeln und altem Porzellan zu beurteilen.
Donald hatte fleißig studiert, und er glaubte, in den ersten Examenstagen auch ganz gut abgeschnitten zu haben, aber es kann nicht weiter überraschen, dass er es nach seinem Erlebnis in Mr. Greenwells Wohnung und seinem Zusammentreffen mit Nancy Trevor äußerst schwer fand, seine Gedanken auf das Examen zu konzentrieren.
Es würde gewiss sehr romantisch klingen, wenn man behaupten wollte, er hätte die ganze Nacht von Nancy geträumt. Aber es würde nicht der Wahrheit entsprechen. Donalds letzter bewusster Gedanke mag ihr gegolten haben, aber dann schlief er den ruhigen, ungestörten Schlaf der Jugend. Als er aufwachte, dachte er jedoch sogleich wieder an Nancy. Sie hatte gesagt, sie würden sich nicht wiedersehen. Er kannte den Namen nicht, unter dem sie und ihr Vater lebten. Es würde also nicht möglich sein, sie ausfindig zu machen. Aber was Tante Veronica von den erpresserischen Nachbarn im unteren Stockwerk wusste, wollte er jedenfalls in Erfahrung bringen.
Donald ließ sich Zeit beim Aufstehen. Er hatte es nicht eilig, am Vormittag wurde er nicht geprüft. Erst um zwei Uhr nachmittags sollte er nachweisen, was er von polizeilichen Bauvorschriften und dergleichen wusste. Als er sich angezogen hatte, war Mrs. Chipper, die Haushaltshilfe, noch immer nicht erschienen. Sie verspätete sich sonst nie. Den Vormittag widmete sie Tante Veronica, den Nachmittag einer anderen Dame. Sie pflegte sich in ihrem sauberen schwarzen Kleid Punkt sieben Uhr einzustellen. Sie ging immer in Schwarz, weil sie glaubte, dies dem Andenken ihres verstorbenen Mannes schuldig zu sein.
Als Donald schon anfing, sich über Mrs. Chippers Ausbleiben Gedanken zu machen, kam sie hereingestürmt. Ihre schwarze Haube saß schief, und ihr Gesicht verriet, dass sie sehr aufgeregt war.
»Ist es nicht schrecklich, Mr. Wade?«, rief sie. »Wer hätte geglaubt, dass so etwas möglich wäre? Was wird Ihre Tante dazu sagen!«
»Darüber, dass Sie zu spät gekommen sind?«, fragte Donald. »Ich werde ihr nichts davon sagen.«
»Mein Gott, nein! Davon spreche ich nicht. Entschuldigen Sie, dass ich mich verspätet habe, aber Mrs. Ackett erzählte es mir und ich konnte kaum die Treppe heraufkommen. Der arme Mr. Greenwell!«
»Wovon reden Sie denn nur?«, rief Donald erstaunt und etwas erschrocken.
»Haben Sie es denn noch nicht gehört, Mr. Wade? Ich dachte, jeder wüsste es. Die Polizei ist schon da. Mrs. Ackett sagte, der Pförtner hätte erzählt...«
»Was ist denn geschehen?«, schrie Donald sie an.
»Ich wollte es doch gerade sagen, Mr. Wade. Der arme Mr. Greenwell! Da liegt er nun, erschossen und erstochen. Er hat furchtbar geblutet! Und so was ist in unserem eigenen Haus passiert!«
Er blickte sie an, als könnte er nicht den vollen Sinn ihrer Worte erfassen.
»Man ist bei ihm eingebrochen. In der Türscheibe ist ein Loch, dass man die Hand hindurch stecken kann. Ich habe es selbst gesehen. Die ganze Wohnung ist in schrecklicher Unordnung, und der arme Herr liegt auf dem Fußboden - gesehen habe ich ihn nicht, aber Mrs. Ackett hat es mir erzählt. Sie kommt zu ihm und Mr. Mallow, wie ich zu Ihrer Tante komme. Und als ich heute Morgen etwas später kam als sie...«
»Sie sagen, Mr. Greenwell wurde heute Nacht ermordet?«
»Ja, Mr. Wade. Tot ist er, wie ein Stück Holz, wie mein Mann zu sagen pflegte. Er schwimmt richtig in seinem Blut. Mrs. Ackett sagt...«
»Hat man - hat man eine Vermutung, wer ihn ermordet haben könnte?«
»Mrs. Ackett sagt, wenn man den Mann findet, der das Glas in der Tür herausgeschnitten hat, dann weiß man, wer der Mörder ist. Nicht so schnell - sage ich. Mein Mann pflegte zu sagen, der Schein trügt oft.«
»War Mr. Mallows Bett benutzt?«
»Nein.«
»Und wo ist denn Mr. Mallow?«
»Wenn die beiden nun zusammen nach Hause gekommen sind und Streit gehabt haben? Vielleicht hat Mr. Mallow das Loch in die Tür geschnitten, damit man denkt, es sind Einbrecher gewesen. Er hatte immer so einen falschen Blick. Mr. Greenwell war ein feiner Herr. Und wenn man bedenkt, dass er nun so daliegt! - Was wollen Sie zum Frühstück haben?«
»Ist mir gleich, Mrs. Chipper. Irgend was. Bringen Sie, was Sie wollen.«
Donald hatte allen Appetit verloren. In seinem Kopf kreisten wild die Gedanken. Ob er hinuntergehen sollte, um zu hören, was man sagte? Greenwell war ermordet worden. In diesem Punkt konnte Mrs. Chipper natürlich nicht irren. Aber die Vermutung lag nahe, dass der Mann, der das Glas in der Tür zerschnitten hatte, der Mörder war. Wenn er sagte, dass er das Loch gemacht hatte, dann würde man ihn aller Wahrscheinlichkeit nach verhaften.
Und was wurde aus seinem Examen, wenn man ihn festhielt und verhörte? Das Strafgesetz war eines der wenigen Dinge, die er nicht hatte studieren müssen, aber so viel wusste er denn doch, dass er in eine äußerst peinliche Lage geraten würde.
Da er unschuldig war, konnte es sicher nichts schaden, wenn er noch die zwei Tage wartete, bis sein Examen vorüber war.
Und Nancy Trevor? Würde es ihr und ihrem Vater die große Sorge vom Herzen nehmen, wenn sie hörten, was ihrem Erpresser widerfahren war? Oder würde Mallow, sein Mitwisser und Gehilfe, versuchen, die Erpressung fortzusetzen? Sicher nicht, falls er der Mörder war und geflohen war, wie Mrs. Chipper meinte.
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Er nahm den Hörer ab.
»Ist dort Mr. Donald Wade?«
Er erkannte die Stimme sofort. Es war die sanfte, leise Stimme vom vergangenen Abend.
»Hier ist Nancy Trevor.« Nach einem leichten Zögern fuhr sie fort: »Haben Sie gehört, was geschehen ist?«
»Ja. Es ist schrecklich. Aber ich hoffe, dass Sie nun wenigstens nichts mehr zu fürchten haben.«
»Das weiß ich nicht. Aber - war schon jemand bei Ihnen, um Sie zu verhören?«
»Nein. Noch nicht. Ich hoffe, es wird sich niemand melden!«
»Sicher werden sie zu Ihnen kommen. Wenn Sie verhört werden, wollen Sie dann die Sache mit der Tür erzählen? Müssen Sie sagen, dass Sie in die Wohnung gegangen sind und - mich gesehen haben?«
»Ich hoffe, dass ich nichts zu sagen brauche, solange ich noch im Examen stecke«, begann Donald.
»Im Examen?« Es klang, als wollte Nancy sagen, ein Examen wäre in diesem Augenblick doch wirklich eine sehr unwesentliche Angelegenheit. Sie schwieg einige Sekunden. Dann sagte sie: »Ich habe kein Recht, Sie zu bitten, dass Sie nichts aussagen, aber Sie waren so gut zu mir. Wenn die Sache an die Öffentlichkeit kommt, ist mein Vater geradeso verloren, wie wenn Greenwell...«
Ein Knacken im Hörer, und die Stimme schwieg. Er klopfte auf die Gabel. Keine Antwort. Er klopfte wieder und wartete. Doch keine Antwort kam.
»Hier bring ich das Frühstück, Mr. Wade. Ich hoffe, es wird Ihnen schmecken. Nicht zu lang gebraten und nicht zu kurz. Mein Mann pflegte zu sagen, gebratenen Schinken könnte er immer essen, auch wenn er nicht hungrig wäre. Aber eigentlich war er immer hungrig, so weit ich mich erinnern kann. Mrs. Ackett...«
»Nehmen Sie das Frühstück wieder fort. Ich habe keinen Appetit.«
»Aber Sie müssen etwas essen, Mr. Wade. Ein Tässchen schönen warmen Kaffee...«
»Gut. Lassen Sie das Frühstück also hier.«