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Jim hatte die feste Absicht, das erhaltene und noch zugesagte Geld gewissenhaft zu verdienen. Lord Wantage hatte von einer Wette gesprochen. Zweifellos bedeuteten vierzig oder sechzig Pfund für einen Mann, der wahrscheinlich mit Tausenden zu rechnen pflegte, sehr wenig. Vielleicht hatte er sogar ein kleines Vermögen darauf gewettet, an zwei Stellen zu gleicher Zeit gesehen zu werden. Gut, er, Jim, konnte ihm dabei behilflich sein.
Natürlich spielte ein nicht ganz einwandfreier Trick eine Rolle dabei, aber wenn andere Menschen ihren Irrtum nicht erkennen sollten - wessen Fehler war es dann? Er hatte seinen Teil der Arbeit auszuführen, und das Geld kam ihm außerordentlich gelegen. Der Wunsch, ihn mit weiteren zwanzig Pfund aus London zu entfernen, war jedenfalls eine Vorsichtsmaßregel, um jeder Möglichkeit der Entdeckung eines zweiten Lord Wantage vorzubeugen...
Herbert Adams (* 1874 in Dorset, South West England; † 1958) war ein englischer Schriftsteller. Adams veröffentlichte beinahe sechzig Kriminalromane; viele unter seinem eigenen Namen, einige unter dem Pseudonym Jonathan Gray. Seine Leser – wie auch die Literaturkritik – verglichen Adams oft mit seiner Kollegin Agatha Christie.
Der Roman Zwischen 10 und 12 erschien erstmals im Jahr 1935; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1952.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
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HERBERT ADAMS
Zwischen 10 und 12
Roman
Apex Crime, Band 174
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
ZWISCHEN 10 UND 12
ERSTER TEIL
ZWEITER TEIL
DRITTER TEIL
Jim hatte die feste Absicht, das erhaltene und noch zugesagte Geld gewissenhaft zu verdienen. Lord Wantage hatte von einer Wette gesprochen. Zweifellos bedeuteten vierzig oder sechzig Pfund für einen Mann, der wahrscheinlich mit Tausenden zu rechnen pflegte, sehr wenig. Vielleicht hatte er sogar ein kleines Vermögen darauf gewettet, an zwei Stellen zu gleicher Zeit gesehen zu werden. Gut, er, Jim, konnte ihm dabei behilflich sein.
Natürlich spielte ein nicht ganz einwandfreier Trick eine Rolle dabei, aber wenn andere Menschen ihren Irrtum nicht erkennen sollten - wessen Fehler war es dann? Er hatte seinen Teil der Arbeit auszuführen, und das Geld kam ihm außerordentlich gelegen. Der Wunsch, ihn mit weiteren zwanzig Pfund aus London zu entfernen, war jedenfalls eine Vorsichtsmaßregel, um jeder Möglichkeit der Entdeckung eines zweiten Lord Wantage vorzubeugen...
Herbert Adams (* 1874 in Dorset, South West England; † 1958) war ein englischer Schriftsteller. Adams veröffentlichte beinahe sechzig Kriminalromane; viele unter seinem eigenen Namen, einige unter dem Pseudonym Jonathan Gray. Seine Leser – wie auch die Literaturkritik – verglichen Adams oft mit seiner Kollegin Agatha Christie.
Der Roman Zwischen 10 und 12 erschien erstmals im Jahr 1935; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1952.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
Erstes Kapitel
Er eilte den abfallenden Weg zur kleinen Station hinunter, flog durch die Fahrkartenhalle in Richtung Bahnsteig, sprang auf das Trittbrett des schon anfahrenden Zuges, drückte eine Klinke herunter und kletterte in ein Abteil hinein.
»Gerade noch geschafft«, stieß er hastig hervor. »Die halbe Meile in Rekordzeit gelaufen... war ja der letzte Zug heute Abend...«
Er nahm den Hut ab, zog ein Taschentuch hervor und fuhr sich über die Stirn. Der Mann ihm gegenüber, der einzige Insasse des Abteils, der sonst wenig Interesse für Fremde hatte, beobachtete ihn unauffällig.
Zweierlei fiel ihm auf. Abgesehen von den etwas hastigen Atemstößen war dem Eindringling nicht anzusehen, dass er soeben eine halbe Meile in Rekordzeit durchlaufen hatte. Er musste über gutes Training und ausgezeichnete Konstitution verfügen. Und dann das Taschentuch! Es war nicht direkt schmutzig, aber auf jeden Fall nicht so frisch wie sein Besitzer. Die leicht bräunlich-graue Farbe ließ auf eigenhändiges Waschen und längere Abwesenheit von einer ihres Namens würdigen Wäscherei schließen. Wäsche dieser Art kann einem verwöhnten Menschen unendlich viel erzählen, und wenn der Mann auf dem Fensterplatz nicht verwöhnt sein sollte, dürfte es wohl schwerfallen, jemand zu finden, auf den dies Eigenschaftswort besser passen würde. Aber jetzt fiel ihm noch etwas anderes auf, und sein bisher gleichgültiger Blick verriet mit Interesse gepaartes Erstaunen.
Der Eindringling steckte das verräterische Taschentuch ein, seine Augen begegneten denen des anderen - und auch er starrte verblüfft sein Gegenüber an.
Von Männern wird im Allgemeinen behauptet, dass sie weniger Zeit vor dem Spiegel verbringen als ihre eitleren Schwestern. Bei einigen ist das sicherlich der Fall, aber kein Mann kann Tag für Tag beim Rasieren sein Spiegelbild betrachten, ohne nicht schließlich genau zu wissen, wie er aussieht, und wenn er dann auf einmal anstatt in einem Spiegel sein eigenes Gesicht auf dem Eckplatz eines Eisenbahnabteils sich gegenübersieht, ist es wohl begreiflich, dass sein Blick von ungläubigem Erstaunen spricht.
Im Äußeren gab es so manchen Unterschied. Der eine trug einen tadellos gearbeiteten dunkelbraunen Anzug. Das gestreifte Hemd, die Krawatte, die seidenen Socken und die Wildlederschuhe waren in ihren Farben harmonisch aufeinander abgestimmt. Dazu trug er elegante Handschuhe und eine beinahe weibisch anmutende Platin-Armbanduhr. Alles verriet ausgezeichneten Geschmack und die Mittel, ihn zu befriedigen.
Der andere war gleichfalls sorgfältig gekleidet, doch war sein blauer Anzug etwas abgetragen und das staubige Schuhwerk noch mehr. Der weiche Hut neben ihm hatte kaum noch seine ursprüngliche Form bewahrt, und seine Hände sprachen von harter Arbeit. Aber er war es, der als erster das Schweigen brach.
»Eigentlich unglaublich!«
Und es war unglaublich! Kein anderes Wort konnte die Situation so gut beschreiben. Das eine Gesicht war das getreue Spiegelbild des anderen. Braune Augen unter dichten Brauen, zwei starke, völlig gleich geformte Nasen, die gleiche Form des Kopfes, der Stirn, der Wangen, das gleiche Grübchen im Kinn und der gleiche militärisch gestutzte Schnurrbart... es war verblüffend.
»Stehen Sie auf«, sagte der Mann in Braun und erhob sich selbst.
Der Mann in Blau gehorchte, und wieder sahen die beiden einander an. Ein kaum merkbarer Unterschied in der Höhe der Figur, der Breite der Schultern.
Und das Alter?... Das war schwer zu sagen. Möglicherweise war Braun einige Jahre älter als Blau, aber sein gepflegteres Äußeres glich diesen Unterschied aus. Beide würde man auf dreißig Jahre schätzen.
»Ja, Sie haben recht«, sagte Braun und setzte sich.
»Es ist wirklich unglaublich. Sähe ich Sie nicht so vor mir sitzen, würde ich es für unmöglich halten.«
Sogar der Tonfall ihrer Stimmen war ähnlich, wenn auch Blau lebhafter sprach und Braun ein wenig näselte.
»Ab und zu glaube ich«, begann Blau, »dass sich die Natur wiederholt. Ist ja auch schließlich nicht allzu erstaunlich, wenn man bedenkt, wie viele Millionen Menschen es gibt. Meine Vorfahren waren, wie ich annehme, ehrenhafte Menschen, und Sie werden zweifellos das gleiche von den Ihrigen behaupten können...«
»Das kommt ganz darauf an, wie man die Verhältnisse der vergangenen Jahrhunderte beurteilen will«, erwiderte Braun mit leichtem Lächeln. »Aber - wie heißen Sie? Wo stammen Sie her?«
Sein Ton klang etwas herablassend, doch Blau war nicht der Mann, sich Vorschriften machen zu lassen.
»Vielleicht stoßen wir auf überraschende Enthüllungen«, entgegnete er schnell. »Fangen Sie an! Wie ist Ihr Name?«
Braun starrte ihn an. Diese wie selbstverständlich betonte Gleichstellung schien ihn unangenehm zu berühren. »Ich heiße Wantage«, versetzte er kühl.
»Und ich Flower - Jim Flower«, gab Blau zurück. »Erst jetzt aus Australien zurück. Ich befürchte, auch entfernte Verwandtschaft wird nicht festzustellen sein. Eigentlich bedauerlich«, fügte er mit einem sprechenden Blick auf Wantages elegante Kleidung und seine eigenen abgetragenen Schuhe hinzu. Er lächelte bei diesen Worten, und das humoristische Aufflackern seiner Augen machte sein Gesicht besonders anziehend. Bevor Wantage antworten konnte, öffnete sich die Tür nach dem Gang, und ein Beamter erschien.
»Die Fahrkarten, bitte.«
Beide reichten ihm die Karten, und der Mann sah Flower ernst an.
»Sie haben dritte Klasse und reisen in der ersten! Die Differenz beträgt sieben Schilling... und er zog seinen Fahrscheinblock heraus.
»Ich gehe in den anderen Wagen«, sagte Flower und griff nach seinem Hut. »Auf dem letzten Bahnhof konnte ich gerade noch den Zug erreichen und achtete nicht auf die Wagenklasse. Hätte ich mir eigentlich denken können.« Er lächelte seinem eleganten Gegenüber zu.
»Lohnt es sich denn, für sieben Schilling einen anderen Wagen aufzusuchen?« näselte Wantage.
»Sehr sogar - für mich wenigstens.«
»Dann lassen Sie mich die Differenz bezahlen. Ein Zusammenreisen mit einem so vollendeten zweiten Ich ist mir viel wertvoller als die paar Schillinge.«
»Ein zweites Ich in sehr minderwertiger Fassung«, bemerkte Flower, während Wantage bezahlte. Der Schaffner sah die beiden so völlig gleichen Männer erstaunt an, nahm aber das Geld und verschwand.
»Vielleicht würden Sie mir jetzt etwas mehr über sich selbst erzählen«, begann Wantage.
»Das dürfte wohl kaum sieben Schillinge wert sein«, erwiderte Flower ironisch. »Für Gunstbezeugungen bin ich gewöhnlich nicht sehr empfänglich, und dritte Klasse ist gut genug für mich. Vierte gibt’s ja leider nicht. Aber die Umstände sind hier so eigenartig, dass ich... Was wollen Sie wissen?«
»Wovon leben Sie?«
»Von - der Hoffnung!«
Wantage sah ihn prüfend an. »Hm... hoffen Sie schon lange Zeit?«
»Seit ich wieder in England bin. Habe drüben mein Geld in einer Schafzucht verloren. Die Lage wurde täglich kritischer, und so brach ich kurz entschlossen meine Zelte ab. Aber hier in England ist es noch schlechter...«
»Was hatten Sie denn in - wie hieß das Nest, wo Sie einstiegen?... Forover glaube ich - verloren?«
»Ein Gutsbesitzer suchte einen...« - er grinste wieder - »...Direktor für seinen Hundezwinger. Als ich hinkam, war die Stelle gerade besetzt worden.«
»Pech! Was werden Sie nun machen?«
»Ich nehme, was sich mir bietet. Am liebsten habe ich mit Tieren zu tun, aber ich bin nicht wählerisch - ich kann es nicht sein.«
Wantage blickte nachdenklich vor sich hin.
»Gesetzt den Fall, ich finde etwas für Sie - wohin kann ich Ihnen Nachricht geben?«
Jetzt überlegte Flower eine Zeit lang. Die Art Unterkunft, die sich ihm in letzter Zeit geboten hatte, konnte als ständige Adresse kaum angegeben werden; wo er morgen hausen würde, falls sich das Schicksal ihm nicht freundlicher zeigte, wusste er selbst noch nicht. Seine noch verhältnismäßig gute Garderobe - die beste Chance, eine annehmbare Stellung zu erhalten - war Flowers Hauptsorge, aber auch die kleine Summe, die er von Australien mit herüber gebracht hatte, schrumpfte in beängstigender Weise zusammen.
»Lambeth Bridge Road 427«, sagte er schließlich. Er erinnerte sich an den kleinen Tabakladen in der Nähe seiner jetzigen Wohnung, dessen Besitzer Briefe für seine Kunden in Empfang nahm. Gelegentlich könnte er, Jimmy, dort nachfragen. »Glauben Sie, dass sich eine Aussicht für mich bieten wird?«
»Möglich«, war die Antwort, als ein kleines Notizbuch aus der Tasche hervorgezogen und die Adresse aufgeschrieben wurde. »Aber nehmen Sie... hm... keine Änderung in Ihrem Äußeren vor.«
»Ich denke nicht daran«, lachte Flower. »Ich habe mich jetzt sehr deutlich davon überzeugen können, dass ich mich deswegen gar nicht zu schämen brauche.«
»Wantage griff wieder in die Tasche.
»Wenn ich Ihnen jetzt fünf Pfund anbiete, damit Sie über die nächste Zeit hinwegkommen können... würde Sie das beleidigen?«
»Als - Darlehen?«
»Nennen Sie es so, wenn Sie wollen.« Wantage lächelte etwas ironisch. »Sie können das Geld aber auch als Sühnezahlung eines Menschen betrachten, der nicht an derartige Zufälle glaubte und sich eines Besseren belehren lassen musste«
»Darlehen wäre mir lieber, wenn auch der Himmel wissen mag, wann ich es je zurückzahlen kann.«
»Und der Himmel pflegt seine Geheimnisse für sich zu behalten«, war die Antwort, als das Geld hinübergereicht wurde.
»Ich danke Ihnen, aber ich liebe keine Almosen. Wohin kann ich das Geld senden? Ich werde es sicher nicht anrühren, wenn ich nicht unbedingt dazu gezwungen bin.«
Zweites Kapitel
»Hallo, Jim! Glück gehabt?«
»Nein. Die Stellung war schon drei Stunden vor meiner Ankunft besetzt.«
»Aber das Fahrgeld hat man dir doch ersetzt?«
»Auch nicht. Ich versuchte so eine kleine Andeutung, musste mir aber erzählen lassen, dass mein Kommen ohne vorheriges Schreiben ganz allein meine Angelegenheit gewesen sei...«
»Gemein! Diese verd... Arbeitgeber sind doch überall gleich. Kümmern sich den Teufel um alles andere.«
»Na, so schlimm ist das nun doch nicht. Ich konnte dem Mann eigentlich nicht unrecht geben...«
»Du - natürlich! Dir ist es auch jetzt noch nicht schlecht genug gegangen, Jim. Wie denkst du über Abendessen? Ich kann dir und mir kostenlos etwas zu essen verschaffen.«
»Hört sich gar nicht übel an. Hast du Freundschaft mit einer Millionärsköchin geschlossen?«
»Komm mit und überzeuge dich selbst.«
Als Jim Flower in einer der ärmlichen Seitenstraßen von Lambeth das Haus erreicht hatte, in dem sich seine bescheidene Unterkunft befand, war er vor der Haustür auf Dick Calder gestoßen, mit dem er sich angefreundet hatte.
Dick Calder war von Beruf Journalist, vierzig Jahre alt, hatte sich aber bei seinem stark entwickelten Unabhängigkeitsgefühl nie dazu entschließen können, eine Dauerstellung anzunehmen, die ihm oft genug von den großen Tageszeitungen angeboten wurde. Mit seiner Fähigkeit, Dinge und Menschen in packender Weise zu schildern, war es ihm immer möglich, Kurzgeschichten oder Artikel unterzubringen, die gut honoriert wurden. Er studierte das Leben, wie er sagte, aber es war das Leben in den Armutsvierteln der Großstadt, in den gewöhnlichsten Schenken, in der Unterwelt, das ihn interessierte und seine scharfen, geistreichen Artikel veranlasste.
Freunde hatte er überall, und bereitwilligst teilte er den letzten Schilling in seiner Tasche mit einem weniger glücklichen Menschen. Calder führte Jim durch zahllose kleine Straßen und erzählte dabei von seinen Erfahrungen in diesen Kreisen. Jim hielt es für richtiger, sein eigenartiges Erlebnis im Zuge für sich zu behalten. Der Gedanke an die fünf Pfund in seiner Tasche war ihm nicht angenehm. Er wusste, Dick Calder würde mit seinen eigenartigen Anschauungen dies Geld als ein »Geschenk des Himmels« betrachten, das möglichst schnell vergeudet werden müsste. Keine Schwierigkeit für Dick, ein halbes Dutzend gleich gestimmter Seelen zusammenzufinden... eine tolle Nacht würde folgen, die sehr wahrscheinlich auf der Polizeiwache ihr Ende finden würde. Dick war nun einmal so!
Jim war nicht geizig oder engherzig, aber von Natur aus überlegend und - hatte seinen Stolz. Das Geld war geliehen. Vielleicht würde er es nie zurückzahlen können, aber auch sicherlich nicht anrühren, wenn er nicht unbedingt musste. Irgendwie hatte ihn Wantages überlegenes, zynisches Lächeln verstimmt.
Vor der Tür neben einem kleinen Laden machten sie halt. Calder klopfte kurz, und die Tür öffnete sich. Sie gingen einige Stufen hinunter und fanden sich in einem langen, kellerartigen Gewölbe, in dem an kleinen Tischen eine ganze Anzahl Menschen saßen. Die Luft war erdrückend. Tabakswolken, Geruch von ranzigem Fett und gekochtem Gemüse. Dick schob sich durch die Menge und fand in der einen Ecke noch einen unbesetzten Tisch, an dem die beiden Platz nahmen.
»Hat keinen Zweck, Kaviar oder frischen Hummer zu bestellen«, lachte Dick. »Du wirst einen Teller Gemüse mit einem Stückchen Fleisch und eine dicke Scheibe Brot erhalten und dasselbe noch einmal, wenn du darum bittest.«
»Was ist denn das hier?«, fragte Jim. »Eine Art Heilsarmee-Küche?«
»Ja, aber das Heil wird hier unter anderem Titel serviert«, grinste der Journalist. »Das ist mein Club, und einmal wöchentlich gibt es Freiessen, wenn man einen Gast mitbringt, dessen Seele vielleicht noch gerettet werden kann.«
»Und der Grundgedanke ist?«
»Ja, alter Junge, das lässt sich schwer beantworten. Der Gründer des Clubs, sicherlich ein Mann mit besten, idealen Absichten - ich kenne ihn selbst nicht - hat es sich in den Kopf gesetzt, den Ärmsten der Armen dieses Viertels einen Platz zu schaffen, wo sie warm und ruhig sitzen können, wo sie freie oder sehr billige Mahlzeiten erhalten - so eine Art Asyl weißt du - und wo ab und zu Vorträge von Menschen gehalten werden, die ebenso harmlos und lebensfremd sind wie der Gründer selbst. Aber warte mal einen Augenblick...«
Dick verschwand hinter einem Vorhang und erschien bald mit zwei gehäuften Tellern. Die Speise roch stark nach Zwiebeln, war aber für einen hungrigen Menschen verlockend genug. Beinahe hundert Männer und vielleicht zehn Frauen speisten in dem langen Gewölbe. Die meisten machten keinen vertrauenerweckenden Eindruck und sahen heruntergekommen aus. Alle waren emsig mit ihrer Mahlzeit beschäftigt; Sprachen aller möglichen Länder ließen sich hören. Im Hintergrund des Raumes erhob sich eine niedrige Plattform.
Calder unternahm eine zweite Reise und kehrte mit zwei Glas Bier zurück.
»Getränke müssen bezahlt werden«, erklärte er, »aber heute bin ich derjenige, welcher... Prosit!«
Jim war zu hungrig, um sich um die Güte der so freigebig gespendeten Mahlzeit viel zu kümmern.
»Wenn eure Anschauungen hier genau so scharf sind, wie die Gewürze...« - er blickte auf seinen Teller - »...müsst ihr eine ziemlich gefährliche Gesellschaft sein. Erzähle weiter.«
»Warte noch ein paar Minuten, und du wirst vielleicht etwas zu hören bekommen«, erwiderte Calder. »Es ist bedauerlich, dass dieser aus wirklich menschenfreundlichen Motiven gegründete Club so langsam zu einem Treffpunkt von Menschen geworden ist, die nichts mehr zu verlieren haben, und damit zu einem Deckmantel, unter dem sich neben tatsächlich Bedürftigen auch Hochstapler und Verbrecher verstecken. Ich würde im Buckingham Palast oder beim Erzbischof von Canterbury essen, wenn man mich einlädt, aber ich bin vor allem ein Apostel der Neugierde, ich möchte meine Nase überall hineinstecken, und für mein bisschen Geld bekomme ich hier mehr zu sehen und zu hören als sonst wo.«
Jim ließ seine Augen durch den überfüllten Raum wandern, bis sie auf einer Gesellschaft am Nebentisch haften blieben. Der Mittelpunkt dort schien ein kleiner fetter Mann zu sein, dessen Kopf fast ohne Hals auf den breiten Schultern saß, und der mit kleinen verschmitzten Augen um sich sah. Die dicht behaarten Hände der sehr langen Arme lagen grob und stark auf dem schmutzigen Tisch.
»Auf unsere Nachbarn passt deine letzte Bemerkung meiner Ansicht nach ausgezeichnet«, flüsterte Jim und wies unauffällig mit dem Kopfe nach dem Nebentisch. »Du lieber Himmel! Dem Mann und seiner Begleitung möchte ich wirklich nicht in der Nacht begegnen.«
»Da hast du recht«, gab Calder ebenso leise zurück. »Das ist Kamerad Lootz, so nennt er sich wenigstens. Manchmal bringt er sinnlose Phrasen über Verbrüderung und dergleichen Unfug vor, ist aber im Hauptberuf Erpresser und ein ausgekochter Hochstapler. Umsonst bin ich ja nicht Journalist und erfahre manchmal mehr als der ganze Scotland Yard.«
»...ich sage euch, dieser Tatley, dieser Millionär, hat mehr auf dem Gewissen als...« drangen jetzt von dem Nebentisch einige Worte zu den beiden Freunden herüber.
»...man müsste gegen den Kerl mal etwas unternehmen...« Es war Lootz, der diese unvorsichtigen Worte geäußert hatte.
»Vertrauenerweckend klang das ja nun gerade nicht«, sagte Jim halblaut. »Wer ist denn Tatley?«
»Der Mann ist vielfacher Millionär, Besitzer von Fabriken für Haushaltswaren«, erklärte Calder. »Vom Rohstoff direkt zur Hausfrau ist der Wahlspruch, der in seinen unzähligen Filialen angeschlagen ist. Tatley schaltet den Zwischenhändler aus und ist härter als alle seine Waren. Er hat es in ganz verblüffend kurzer Zeit zu der Stellung gebracht, die er jetzt innehat... mit welchen Mitteln? Darüber wollen wir lieber nicht sprechen. Vor kurzem brach in einem seiner Bergwerke ein Tumult aus, der nicht viel zu seiner Beliebtheit beitrug.«
Aber Jims Aufmerksamkeit war abgelenkt worden. Sein Blick traf sich mit dem eines Mädchens an einem der Nachbartische. Keine auffallende Schönheit, - aber der Ausdruck ihrer dunklen Augen und ihres regelmäßigen Gesichtes fesselte ihn. Langsam stand sie auf und schlenderte an dem Tisch vorbei, den Jim und Dick innehatten. Ein einfaches, eng anliegendes Kleid aus billigem Stoff hüllte die schlanke Gestalt ein, ihr Gang und ihre Haltung glichen denen einer selbstbewussten Königin.
»Wer ist das?«, flüsterte Jim seinem Begleiter zu.
»Adona«, war die kurze Antwort.
»Frau oder Fräulein? Ist Adona ein Vorname oder...?«
»Kann ich dir nicht sagen«, lachte Calder. »Auch nicht ob es ihr richtiger oder ihr Familienname ist. Auf jeden Fall ist sie eine bemerkenswerte Frau. Sie ist Modell und hat es fertigbekommen, sich in dieser Umgebung hier« - er blickte um sich - »Respekt zu verschaffen. Niemand würde es wagen, zudringlich zu werden - oder er hätte die ganze Horde gegen sich. Ja, sie ist Modell, und die besten Künstler reißen sich um sie. Fast alle hübschen Gesichter, die du auf Aktgemälden siehst, haben sich Adonas wundervollen Körper geliehen... aber niemand kann ihr auch nur das Geringste nachsagen.«
Das junge Mädchen kam langsam an ihren Tisch heran und nickte Calder freundlich zu.
»Sie sind fremd hier?«, wandte sie sich an Jim.
Eine sanfte, nicht ganz englische Stimme, vor allen Dingen nicht das Englisch dieser Spelunke.
»Ja... das ist mein erster Besuch«, entgegnete Jim.
»Kommen Sie öfter mit Ihrem Freund hierher?«
»Das hängt von Calder ab«, entgegnete Jim etwas verlegen.
»Nun, ich werde Sie wiedersehen«, murmelte das Mädchen.
Drittes Kapitel
Erst am folgenden Dienstag kam Jim Flower auf den Gedanken, in dem Tabakladen nach einem Brief nachzufragen, dessen Anschrift er seinem Doppelgänger auf der ereignisreichen Rückfahrt nach London gegeben hatte. Hätte er am Dienstag dort nicht vorgesprochen, würde er eine Verabredung versäumt haben, die sein Leben und das anderer Menschen in bemerkenswerter Weise beeinflussen sollte.
Nach jenem mit Calder verlebten Abend waren seine Tage mit Suchen nach einer Stellung ausgefüllt. Alle Bemühungen waren umsonst. Zwei- oder dreimal traf er mit dem Journalisten zusammen, der wiederholt auf die kurze Unterhaltung mit dem hübschen Modell anspielte.
»Du bist tatsächlich der erste Mann, dem gegenüber Adona ihre Zurückhaltung etwas lockerte«, sagte Dick. »Ich kenne sie lange genug, um das behaupten zu können. Du hättest wirklich etwas entgegenkommender sein können,... das Mädel verdient es wirklich.«
»Ich bin nun mal kein Freund von derartigen Bekanntschaften«, war Jims Antwort, »und die Frau interessiert mich nicht.«
»Aber sie schien für dich Interesse zu haben!«
Doch der Zufall brachte in den folgenden Tagen die beiden Freunde wiederholt mit dem jungen Mädchen zusammen, und es war Jim unmöglich, Unterhaltungen aus dem Wege zu gehen, die allmählich eine persönlichere Note annahmen. Adona ließ ihn einen Blick in ihr nicht leichtes, allen möglichen Anfechtungen ausgesetztes Leben werfen, konnte dabei aber das Interesse, das sie für Jim empfand, nur schlecht verbergen. Und Jim hatte als australischer Hinterwäldler so ernste Anschauungen, dass es ihm unmöglich war, mit den Gefühlen einer Frau zu spielen. Er wollte nicht unhöflich werden, hatte auch keine Veranlassung dazu, - aber die Situation fing an, ihm peinlich zu werden.
Die Leere seines Tabakbeutels trieb ihn zur Lambeth Bridge Road 427. Er war schon im Begriff, den Laden zu verlassen, als ihm der Gedanke kam, nach einem Brief zu fragen.
»Name, bitte?«, fragte der Tabakhändler und öffnete ein Schubfach.
»Jim Flower.«
»Zwei Pence«, sagte der Mann und reichte ihm einen Briefumschlag.
Jim zahlte und riss ihn hastig auf. Er enthielt nur wenige Zeilen in fester, energischer Handschrift.
Wenn Mr. Flower eine kurze, gut bezahlte Arbeit übernehmen will, möchte er sich am Dienstag um vier Uhr nachmittags am Kriegerdenkmal, Hyde-Park-Ecke, gegenüber dem St.-Georg-Krankenhaus einfinden. Wantage.
Kein Datum und keine nähere Adresse. Nach dem Poststempel war das Schreiben am letzten Sonntag aufgegeben worden. Also war die Verabredung für heute festgesetzt. Sicherlich verlangte Jim nach einer gut bezahlten Arbeit, ob lang oder kurz, und er war neugierig, welche Art Arbeit sein eleganter Doppelgänger ihm vorschlagen würde. Auch die Unterschrift - ohne Vorname - war merkwürdig. Möglicherweise war Wantage nur ein für die Gelegenheit gefundener Name. Aus eigener Erfahrung wusste Jim sehr gut, dass man fremden Menschen nicht immer seinen eigenen Namen mitteilt.
Das Kriegerdenkmal an der Hyde-Park-Ecke war ihm bekannt, und pünktlich um vier Uhr bewunderte er es von neuem. Viele Menschen gingen an ihm vorbei, langsam oder eilig, aber niemand erinnerte an seinen Gefährten in der Eisenbahn. In ununterbrochenem Strom zogen Autobusse und Motorwagen an ihm vorüber. Der Zeiger der Uhr über dem Parkeingang hatte die Vier bereits überschritten. Wantage musste sich verspätet haben. Jim war überzeugt, dass er der Verabredung nachkommen werde.
Jetzt hielt ein eleganter dunkelblauer Zweisitzer dicht vor ihm an. Wantage saß am Steuer, und Jim lächelte ihm zu.
»Steigen Sie ein«, war die kurze Begrüßung.
Kaum hatte Jim Platz genommen, als sich der Wagen in Bewegung setzte und in den Park einbog.
»Sie haben meinen Brief erhalten?«
»Sonst wäre ich doch nicht hier.«
»Geben Sie ihn mir.«
Jim zog das Schreiben hervor, das sofort in der Innentasche des eleganten Jacketts verschwand. Diesmal ein graues Jackett.
»Immer noch auf der Arbeitssuche?«
»Ja.«
Die Antworten waren genau so kurz wie die Fragen, und erst als sie die Baracken in Kensington erreichten, fuhr Wantage fort:
»Unsere Ähnlichkeit ist zu groß, als dass man sie nicht verwenden sollte. Sie sollen mich eine Stunde lang vertreten.«
Jim antwortete nicht. Dass er den Auftrag erfüllen konnte, bezweifelte er nicht. Der beinahe lächerlichen Ähnlichkeit mit Wantage war er sich völlig bewusst, und außerdem besaß er ein ausgezeichnetes Nachahmungsvermögen. Aber eine so kurze Maskerade musste einen sehr wichtigen Grund haben, namentlich, wenn er gut dafür bezahlt werden sollte.
»Gehen Sie darauf ein?«, war die kurze Frage.
»Warum nicht?-Wenn Sie mir erzählen wollen: Wie? Wann? und Wo?«
»Sie fragen nicht: Warum?« stieß sein Begleiter hervor.
»Auch das möchte ich erfahren«, versetzte Jim kühl.
»Natürlich auch, was man Ihnen dafür zahlt«, war die ironische Antwort.
»Sie sagten gut bezahlte Arbeit. Ihr Wort genügt mir.«
»Es handelt sich um eine Wette. Sie sollen eine Dame zum Souper begleiten.«
»Das klingt ganz nett«, sagte Jim, »aber ich kann kaum annehmen, dass mich die betreffende Dame länger als ein paar Minuten für Sie halten wird - vorausgesetzt, sie kennt Sie sehr gut. Im Laufe des Gespräches würden sicherlich Angelegenheiten erwähnt werden, die mir fremd sind.«
»Sie werden nicht mit ihr soupieren, sondern Sie nur empfangen und dann wieder verschwinden. Ich nehme dann Ihren Platz ein.«
»Das ist leider weniger nett«, lächelte Jim, »aber sicherlich einfacher. Dürfte aber kaum eine Stunde beanspruchen.«
»Besitzen Sie einen Abendanzug?« Wantage ließ Jims letzte Worte unbeachtet.
»Es ist der gleiche, den ich am Morgen trage.«
»Sie werden zu einem Kostümverleiher gehen - Namen und Adresse gebe ich Ihnen nachher - und sich für einen Abend einen erstklassigen Frackanzug mit weißer Weste, gestärktem Oberhemd mit Perlenknöpfen und so weiter leihen. Hier ist ein dunkler Mantel und weicher Hut, den Sie gebrauchen können. Am Freitagabend, genau zehn Uhr dreißig, gehen Sie nach dem Supreme-Restaurant und fragen, ob der für Lord Wantage bestellte Tisch reserviert ist. Ein Tisch für zwei Personen. Sie wünschen ihn zu sehen..., vielleicht haben Sie eine Änderung vorzuschlagen...«
»Sind Sie - Lord Wantage?«, fragte Jim, nicht besonders überrascht und keineswegs durch den Titel seines Gefährten beeindruckt. Im gewissen Sinne fand er es belustigend, dass sein Doppelgänger eine so vornehme Persönlichkeit war.
»Ja...« - sehr kurz - »...Sie werden um zehn Uhr dreißig in der Halle des gleichen Restaurants einen Vertreter der Firma Fewdle & Holding, Grundstücksmakler, treffen, der Ihnen eine Besitzung in Norfolk verkaufen will.«
»Eigentlich keine Geschäftszeit mehr.«
»Derartige Geschäfte werden häufig genug am späten Abend abgeschlossen. Sie bleiben mit dem Manne in der Halle sitzen, bis die Dame erscheint.«
»Was soll ich denn mit dem Menschen reden?«
»Das wird er schon besorgen. Er ist doch Vertreter! Sie haben nur zuzuhören. Bieten Sie ihm etwas zu trinken an.«
»Wie kann ich den Mann erkennen?«
»Ich habe ihn selbst noch nicht gesehen, nur telefonisch mit ihm verhandelt. Er wird sich schon vorstellen. Gegen elf, oder kurze Zeit später, wird die Dame erscheinen. Sie führen sie zu dem reservierten Tisch und bestellen Cocktails - Martini, vergessen Sie das nicht. Um elf Uhr fünfzehn bemerken Sie, dass Sie Ihr Zigarettenetui im Mantel gelassen haben, und bitten Ihre Begleiterin, Sie einige Minuten zu entschuldigen.
Dann gehen Sie zur Herren-Garderobe. Ich erwarte Sie dort. Sie geben mir Ihre Garderobenmarke für meinen Hut und Mantel und verlassen das Restaurant in den Garderobestücken, die ich Ihnen gebe. Sie erhalten sofort zwanzig Pfund, die Sie als Sicherheit für die geliehene Garderobe zu hinterlegen haben. Die Gebühr wird vielleicht ein Pfund betragen. Weitere zwanzig Pfund erhalten Sie, wenn wir uns treffen und ich den Platz mit Ihnen tausche.«
»Sagen wir fünfzehn. Fünf Pfund habe ich bereits von Ihnen erhalten. Wir wollen das verrechnen.«
Lord Wantage warf ihm einen schnellen Seitenblick zu. »Wie Sie wollen. Haben Sie alles gut verstanden?«
»Ja - und doch nicht ganz. Sie haben vergessen, mir den Namen der betreffenden Dame anzugeben. Wie soll ich sie erkennen?«
»Das kommt jetzt. Die Dame ist Miss Betty Barron. Haben Sie von ihr gehört?«
»Noch nie.«
»Sie ist vielleicht dreiundzwanzig Jahre alt und tritt in einem Stück im Grace-Theater auf. Sie können dort hingehen und sich die Fotos im Vestibül ansehen.«
»Soll ich - ich meine, nennen Sie die Dame Betty oder Miss Barron?«
»Wenn nötig, sagen Sie Betty zu ihr. Fragen Sie, wie die Vorstellung war, und verschwinden Sie dann.«
»Wie wird sie mich - ich meine natürlich Sie - anreden?«
Der Lord warf ihm einen missbilligenden Blick zu.
»Vielleicht wird sie... hm... Minus zu Ihnen sagen - ein Spitzname. Spielt übrigens keine Rolle.«
»Voraussichtlich nicht. Aber Damen pflegen nicht immer pünktlich zu sein. Wenn sie nun zu spät kommt - zu spät, meine ich, dass ich mich mit Ihnen um elf Uhr fünfzehn treffen kann?«
»Sie wird pünktlich kommen. Das Theater ist ganz in der Nähe - und übrigens kann ich auch warten. Sonst noch etwas?«
»Laufe ich nicht Gefahr, dass andere Leute mich erkennen - Sie meine ich natürlich -, zu mir kommen und mit mir sprechen wollen?«
»Glaube ich kaum«, sagte Lord Wantage in seiner etwas überheblichen Weise. »Sie sind ja im Gespräch mit dem Vertreter von Fewdle & Holding. Die Geschäftsleitung kennt mich sehr gut, aber mit dem dort verkehrenden Publikum komme ich im Allgemeinen selten in Berührung. Sollte Sie jemand anreden, so müssen Sie nach eigenem Ermessen handeln. Das Restaurant pflegt sich übrigens erst nach elf Uhr, nach Schluss der Theater, zu füllen.«
»Ich werde tun, was in meinen Kräften steht.«
»Gut! Wollen Sie mir Ihr Ehrenwort geben, dass Sie zu niemandem, weder vor- noch nachher, von unserer Vereinbarung sprechen werden?«
Zum ersten Male wandte sich Lord Wantage direkt seinem Nachbar zu und sah ihm fest in die Augen.
»Gewiss«, lächelte Jim. »Ich werde für eine Stunde ein Lord sein und es dann vergessen.«
»Ich nehme Ihr Versprechen an«, sagte Wantage ernst. Schweigend fuhren sie weiter, kamen am Marble Arch vorbei und näherten sich auf ihrer Rundfahrt wieder der Hyde-Park-Ecke.
»Noch eins«, sagte Wantage schließlich. »Es ist keine Bedingung, aber wenn Sie London am nächsten Tage, also am Sonnabend, verlassen, erhalten Sie noch zwanzig Pfund extra. Es wird jedenfalls leichter für Sie sein, in einem landwirtschaftlichen Zentrum wie Lincoln oder Cheshire die von Ihnen gesuchte Beschäftigung zu finden.«