Der Hamelner Raths-Apotheker Joh. Friedr. Westrumb (1751-1819) Leben und Wirken - Georg Schwedt - E-Book

Der Hamelner Raths-Apotheker Joh. Friedr. Westrumb (1751-1819) Leben und Wirken E-Book

Georg Schwedt

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Beschreibung

Der Hamelner Raths-Apotheker Johann Friedrich Westrumb (1751-1819) war vier Jahrzehnte lang auch sehr erfolgreich auf dem Gebiet der angewandten Chemie tätig - zur Bleiglasur von Töpferwaren, zum Branntweinbrennen, zur Glasbereitung und zur Essigherstellung. Die Raths-Apotheke befand sich bis 1864 in dem linken Teil des berühmten Hamelner Hochzeitshauses. Dort nahm auch die Fürstin Juliane von Schaumburg-Lippe an seinen Untersuchungen zur Chlorbleiche teil. Westrumb führte zahlreiche Analysen von Mineralwässern durch, von Pyrmont, Driburg, Eilsen und Niederselters. Anerkennung bekam er u.a. durch die Ehrenpromotion zum Dr. med. der Universität Marburg.

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Hameln: Hochzeitshaus mit dem Eingang zur ehemaligenRaths-Apotheke links

INHALT

Vorwort und Einführung

Herkunft, Jugend und Ausbildung

Westrumb und seine Schüler

Analysen von Mineralquellen – Westrumb an berühmten Gesundbrunnen

An der Quellen von Driburg

An den Quellen von Pyrmont

Von der neuen muriatisch-salinischen Mineralquelle zu Pyrmont

Zu Besuch in der Dunsthöhle – im heißen Sommer 1783

Beschreibung des Gesundbrunnens zu Selters

Bad Eilsen, Westrumb und die Fürstin Juliane

Aus den Schriften zur angewandten Chemie

Über die Bleiglasure unserer Töpferwaare und ihrer Verbesserung

Bemerkungen und Vorschläge für Brannteweinbrenner

Westrumb zum Thema

Bleichen

und der Besuch der Fürstin Juliane zu Schaumburg-Lippe in seinem Apothekenlaboratorium zu Hameln im Hochzeitshaus (zugleich ein Plädoyer für die angewandte Chemie)

Renzensionen zur Schrift über das Bleichen

Literaturangaben

VORWORT und EINFÜHRUNG

AUGUST WESTRUMB, der Sohn des Raths-Apothekers Joh. Friedr. Westrumb, wurde am 19. Oktober 1798 in Hameln geboren. Im „Hof- und Staatshandbuch für das Königreich Hannover“ wird er 1846 unter Wunstorf als „Medicinal-Rath D. Westrumb, Landphys. (in d. A. Rehburg, Ricklingen, dem Ger. Loccum u. einem Theil d. A. Blumenau-Bokeloh)“ aufgeführt. Im selben Handbuch wird sein Todestag mit dem 25. April 1856 angegeben. Bekannt wurde er durch seine „Physiologischen Untersuchungen über die Einsaugkraft der Venen“ (Hannover 1825) und seine Arbeiten über Parasiten (Wurmerkrankungen 1821). 1831 veröffentlichte er einen umfangreichen Beitrag zur „Geschichte des Cathetarismus der Eustachischen Trompete“. Er war „Der Medicin und Chirurgie Doctor und der Gesellschaft zur Beförderung der gesammten Natur-Wissenschaften zu Marburg Mitgliede“. Anfänglich soll er in Marburg praktiziert haben; er wurde 1837 Hofmedicus und Landphysikus im Stiftsgericht Loccum und 1843 Medicinalrath in Wunstorf. 1825 – als der Bericht über seinen Vater erschien – gibt er noch als Wirkungsort Hameln an, (1827, s. S. →, ist Hannover genannt).

August Westrumbs Nekrolog (Nachruf) über seinen Vater erschien in „Neues vaterländisches Archiv oder Beiträge der allseitigen Kenntniß des Königsreichs Hannover und des Herzogthums Braunschweig“ (Lüneburg 1825).

Wunstorf in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Merian-Stich)

Ich haben seinen Text behutsam der Sprache unserer Zeit angepasst und in die persönliche Form, d.h. mit dem Gebrauch „mein Vater“ umgewandelt.

Über die Herkunft, Jugend und Ausbildung des Hamelner Ratsapothekers hat sein Sohn ihn selbst aus dem „Handbuch der Apothekerkunst“ zitiert – diesen Text schicke ich voran – mit Ergänzungen, die sich aus meinen Recherchen ergeben haben.

Aus dem Wirken als Apotheker – auch als Lehrherr im Hinblick auf später bedeutende Apotheker – und vor allem als Chemiker habe ich einige Texte zu den Mineralwasser-Analysen (Pyrmont, Driburg, Eilsen und Selters in Niederselters bei Limburg – heute mit einem sehenswerten Museum), zur Herstellung von Branntwein sowie zum Thema Blei in Glasuren der Töpferware und zum Bleichen von Leinen ausgewählt, die den Stil seiner Veröffentlichungen charakterisieren. Diese Texte wurden überwiegend in der Originalschreibweise wiedergegeben und auch mit Ergänzungen und Kommentaren versehen.

Herkunft, Jugend und Ausbildung

Unter die ausgezeichnetsten Gelehrten, welche Deutschland im achtzehnten Jahrhunderte hervorbrachte, gehört nach der Meinung zahlreicher Kollegen ganz offensichtlich mein verstorbener Vater, der Berg-Commissair Dr. Johann Friedrich Westrumb. Mag nachstehende Skizze seines Lebens hier ihren Platz finden, und dazu beitragen, das Andenken dieses Mannes aufzufrischen, dessen talentvoller Geist hauptsächlich mit die Bahnen eröffnete und ebnete, auf welchen die Pharmazie und die Chemie in den letzteren Jahrzehnten mit Riesenschritten ihrer höheren Entwicklung entgegen geeilt ist.

Über seine Jugend und Lehrzeit hat mein Vater selbst berichtet:

Merian-Stich von Nörten

In dem kleinen Flecken Nörten bei Göttingen kam ich am 2. Dezember 1751 auf die Welt. Mein Vater war Wundarzt in einem kurhannöverschen Dragonerregiment, meine Mutter eine geborene Hantelmann, die leider früh verstarb. Nur wenige Jahre lebte ich bei meiner Familie in Nörten. Ich erinnere mich an die Burgruine oberhalb des Ortes und an das Schloss, das am Fuße des Burgberges entstanden war. Hier wohnte die gräfliche Familie von Hardenberg, die eine berühmte Kornbrennerei betrieb. Die Veredelung des Kornbranntweins sollte mich viele Jahre später auch in der Praxis beschäftigen.

Nach dem Tod meiner Mutter kamen mein Bruder und ich zu unserem Onkel Heinrich Hantelmann in Dannenberg, der dort Vorsteher des Kirchensprengels, Archidiakon genannt, geworden war. Der strenge und fromme Mann unterrichtete uns vor allem in Religion, aber lernte ich von ihm auch so viel Latein, dass ich später mit erweiterten Kenntnissen sogar ein in Latein geschriebenes botanisches Werk übersetzen konnte. Dort beeindruckte mich der große Fluss Elbe. Der Ort bestand nur aus einem einzigen Straßenzug mit einem Marktplatz. Sonntags besuchten wir den Gottesdienst in der St.-Johannis-Kirche im Stadtzentrum. In der Nähe der Kirche befand sich die Ratsapotheke und dort wohnte auch der Arzt der Stadt, Landphysikus genannt. Das Schloss der Braunschweiger Herzöge war 1720 abgebrannt und dessen erhalten gebliebenen Teile wurden nur noch als Amtshaus genutzt, bis auch diese 1776 endgültige abgerissen wurden – auf dem Merianstich von 1654 ist das Schloss noch zu sehen.

Ausschnitt der Merianstichs von Dannenberg

In meiner Schulzeit, die nur bis in das 14. Lebensjahr währte, las ich eine Unmenge an Büchern. Meine schon früh erkannten Neigungen zur Natur und speziell auch zum Apothekenwesen veranlassten meinen Vater, mir eine Lehrstelle in einer Apotheke zu verschaffen.

Und so gelangte ich 1764 in das Kurhannover, in dem weder ein Kurfürst noch der eigentliche Herrscher König Georg III. residierten. Seit 1714 bestand eine Personalunion Hannovers mit Großbritannien. Das deutsche Stammland der Dynastie Hannover war ein selbständiges Kurfürstentum im deutschen Reichsverband. Georg III. wurde in England geboren und kam nie nach Hannover. Sein Großvater Georg August dagegen, als englischer König Georg II., besuchte seine Stammlande Hannover noch häufig. Nach ihm wurde die 1737 gegründete Universität in Göttingen benannt.

Als ich 1764 als Apothekerlehrling nach Hannover kam, war die Siebenjährige Krieg gerade mit dem Frieden von Hubertusburg 1763 beendet worden. 1757 wurden auch die Hannoverschen Lande von den Franzosen angegriffen. Dem Prinzen Ferdinand von Braunschweig war es jedoch gelungen, die Kurlande von der französischen Besetzung zu befreien. Drei Jahre nach dem Regierungsantritt von König Georg III. 1760 war für Hannover der territoriale Vorkriegszustand wieder hergestellt.

Ich kam in die Hofapotheke, die 1680 gegründet worden war, als Herzog Ernst August von Braunschweig-Calenberg den Apotheker Christian Jäger nach Hannover berief. Der Herzog war 1662 Fürstbischof von Osnabrück geworden und residierte wie seine Vorgänger auch im südlich der Stadt gelegenen Schloss von Osnabrück, das ihm für seine Ansprüche aber offensichtlich nicht genügte. Er kaufte 1667 ein Gelände in der Neustadt von Osnabrück und begann mit dem Bau eines vierflügeligen Schlosses im Stil des Barock. In dieser Zeit betrieb der Apotheker Jäger auf Schloss Iburg bei Osnabrück die dortige Hofapotheke. Als Ernst August die Nachfolge seines älteren, 1679 verstorbenen Bruders Johann Friedrich im Herzogtum Calenberg mit der Residenz in Hannover, antreten musste, verließ die Herzogsfamilie Osnabrück und auch der Apotheker zog nun nach Hannover. Als später der Sohn von Ernst August, Kurfürst Georg Ludwig, in Folge der Personalunion mit England 1714 König in England wurde, erhielt Jäger den Titel Königlich Großbritannischer und Churfürstlich Braunschweig Lüneburgischer Hofapotheker. Als nächste Generation führten die Söhne der Schwester Jägers, Adriane Wilhelmine, die in die in Hamm ansässige Apothekerfamilie Brande eingeheiratet hatte, Christian Heinrich und August Hermann Brande die Hofapotheke weiter. Und zu der Zeit von August Hermann Brande kam ich in die am Steinweg, in der Calenberger Neustadt angesiedelten Apotheke als Lehrling. Der Apotheker Brande wurde jedoch von einem Provisor vertreten, da er in der Londoner Apotheke tätig war. 1766 hieß er Zimmermann, danach Stuhr.

Ich war in meiner Lehrzeit doppelt übel dran. Als Knabe von 13, noch nicht 14 Jahren, trat ich in die Lehre. Meine Vorgesetzten verstanden selbst äußerst wenig. Es fehlte ihnen an der Kunst, das Wenige mitzuteilen, und den armen Boden, den sie bei mir antrafen, zu bebauen und fruchtbar zu machen. Der Unterricht, den ich lange Zeit hindurch genoss, war erbärmlich, und die Bücher, die ich zu lesen bekam, bestanden in der Arznei-Taxe und der Flora francica.

…Georg Franck von FRANCKENAU (1644-1704) war Mediziner und Botaniker, Professor an der Universität Heidelberg und Leibarzt der pfälzischen Kurfürsten. Von ihm stammt das Werk Flora francica rediciva oder Kräuter-Lexicon (1713).„

Mein wissbegieriger Geist war damit nicht zufrieden. Ich verfiel auf Abwege und las, was ich schon als Schulknabe gern getan hatte, Reisebeschreibungen, Gedichte, Komödien, Romane und zwar, weil man mir diese Leserei untersagte, jetzt heimlich. Vielleicht liebte ich das Lesen solcher Bücher auch heute noch und triebe es mit demselben Eifer, hätte nicht die gütige Vorsehung, kurz vor Ablauf meiner Lehrzeit, einen äußerst geschickten und fleißigen Mann, den jetzigen Professor Martin Heinrich Klaproth zu Berlin, in unser Haus geführt. Klaproth stammte aus Wernigerode am Harz, hatte in Quedlinburg in der Rats-Apotheke gelernt und kam als Apothekergeselle nach Hannover. In Berlin hat er dann ab 1789 bis heute sieben chemische Elemente entdeckt – darunter das Uran.

Das Beispiel dieses mir werten Mannes, der sich mit dem Studium der lateinischen Schriften des Pharmazeuten Johann Friedrich Cartheuser, Professor an der Universität in Frankfurt an der Oder, des Mediziners, Apothekers und Chemikers Jacob Reinbold Spielmann, Eigentümer der berühmten Hirsch-Apotheke in Straßburg u.a. beschäftigte, und manchen Versuch machte, den die sogenannte Defekttafel nicht gerade vorschrieb, reizte mich zur Nachfolge. Unter Defekttafel verstanden wir in der Apotheke eine Schiefertafel im Vorratsraum oder Laboratorium zum Anschreiben der eine Ergänzung durch Einkauf bzw. Zubereitung benötigten Arzneien, bevor sie verbraucht waren. Auch wurden alle Arbeiten im Laboratorium in ein besonderes Journal, das Defektbuch, eingetragen und dabei zugleich die Quantität der verfertigten Präparate vermerkt.

…Johann Friedrich CARTHEUSER (1704-1777), Professor für Chemie, Pharmazie – materia media (1740-1759), dann für Pathologie und Therapie an der Universität Frankfurt/Oder, veröffentlichte 1753 sein Werk: Elementa chymiae dogmatico-experimentalis in usum acedimcum. (2. Aufl., u.a. in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.)

Jacob Reinhold SPIELMANN (1722-1781), Apothekerlehrling bei seinem Vater in der Hirsch-Apotheke (gegenüber des Münsters) in Straßburg 1735-1740, studierte Medizin in Straßburg (Dr. med. 1748), wurde 1749 Professor der Medizin und erhielt 1759 den Lehrstuhl für Medizin, Chemie, Botanik und Arzneilehre, mit praktischen Übungen in der Hirsch-Apotheke verbunden.„

Ich befleissigte mich nun emsig mit dem Lesen dieser und anderer wissenschaftlicher Werke. Leider verstand ich sie nicht. Denn teils mangelte es mir an der nötigen Sprach- und Sachkenntnis, teils erhielt ich auch keine Anleitung zu ihrem richtigen Gebrauch. Ich las indessen viele chemische, auch alchemistische, und physikalische Schriften, glaubte durch das viele Lesen ein nicht bloß brauchbarer, sondern hochgelehrter Apotheker zu werden, und hielt mich am Ende für ein neues Licht.

Die Lehrzeit in einer Apotheke im 18. Jahrhundert war eine Zeit der Prüfung, worüber viele meiner Kollegen übereinstimmend berichten. Man musste eine mehrjährige Knechtschaft mit mancherlei Demütigungen ertragen. Nicht alle Beispiele, über die ich hier berichte, habe ich in gleicher Weise erleben müssen, aber doch oft in ähnlicher Form. So sprachen Lehrherren mit uns Lehrlingen nicht anders an als Ihr. Bei Tisch erhielten wir selbstverständlich keine Serviette und schon gar nicht einen silbernen Löffel. Unser jugendliches Haupt war noch nicht würdig, Haarpuder, das Symbol des freien Menschen, zu empfangen. Wenn wir in Diensten des Hauses ausgeschickt wurden, durften wir die Schürze, die wir in der Apotheke trugen, nicht ablegen – sie bezeichnet uns als Lernende und Dienende. Unser Dienst verlangte zunächst lauter mechanische Arbeiten, wie Stoßen, Wurzeln schneiden und dergleichen. Den wissenschaftlichen Teil musste auch ich weniger durch persönliche Unterweisung als durch sorgsames Zusehen und Aufmerksamkeit auf die Handgriffe und Handlungsweisen der übrigen Mitarbeiter erlernen. Der Arzneischatz war damals noch reicher als jetzt. Der Lehrling hatte also viel zu tun, um sich mit der deutschen und lateinischen Nomenklatur so zahlreicher Rohstoffe und zusammengesetzter Arzneien vertraut zu machen. Zu diesem Ende gab man mir einige Arzneitaxen in die Hand, wo (die) ich schon erwähnt habe. Um mich in die Geschäfte des Rezeptarius einzuüben, musste ich demselben als Handlanger dienen. Auch war diesem schon deswegen ein Gehilfe notwendig, weil er manchmal in einem Rezept zehn bis zwanzig Ingredienzien vereinigen musste; diese also hatte ich zusammenzutragen.

So ausgerüstet mit einem Schwall von Worten und den heterogensten Dingen im Kopfe, ohne alle wahre und eigentliche Kenntnis von Warenkunde, Pharmazie, Naturgeschichte und Naturlehre, und ohne etwas mehr, als ein mittelmäßiger praktischer Arbeiter zu sein, ging ich als achtzehnjähriger Mensch ins Ausland, womit vor allem Preußen gemeint ist. Hier fand ich es nicht um ein Haarbreit besser, als zu Hause im Kurfürstentum Hannover. Ich lernte wenig dazu, weil mich das Schicksal nie mit Männern in Verbindung brachte, die weiter waren als ich, oder die eine wahrhaft wissenschaftliche Bildung genossen hatten, und die Ausbildung ihres Geistes, so wie die Vermehrung ihrer Kenntnisse, dem Zeitvertreiben und Totschlagen der Zeit, vorgezogen hätten. Leider verhinderte auch die zu oft ungeheure Menge an Geschäften, die mir an zwei Orten zuteil wurden, und die handwerksmäßige, hier und da nur sklavische Behandlung, unter der ich ungeachtet alles Fleißes leben musste, mich am Fortschreiten, und nahm mir die Zeit und Lust zur Erlernung der höheren Teile unserer Kunst.

Am weitesten trieb es mich von Hannover, wo ich weniger als drei Jahre neben dem verehrten, späteren Professor Klaproth tätig sein konnte, etwa 1770 nach Frankfurt an der Oder. Von dort ging meine Reise zurück nach Westen in die Stadt Brandenburg, wo ich als Geselle in der bereits 1517 gegründeten Raths-Apotheke tätig wurde. 1742 hatte der Apotheker August Büttner diese Apotheke gekauft. 1797 ging sie dann in den Besitz des Apothekers Heinrich Moering aus Stendal über. Weiterhin war ich in der Hofapotheke Zum goldenen Hirsch in Potsdam und in der Alten Apotheke am Markt beim Apotheker Oncken in Peine tätig, bis ich 1773 wieder nach Hannover kam.

Und so hatte mich nun das Schicksal auch für einige Jahre in Häuser geführt, wo mir zum Teil eine weit bessere Behandlung, nebst mehr Muße zuteil geworden war, und wo ich junge wissbegierige Männer fand. Jene Muße nutzte ich, die jungen Männer zu unterweisen, und weil ich die Eingeschränktheit meines Wissens so wie den traurigen Gang meiner pharmazeutischen Ausbildung immer mehr einsehen lernte, legte ich mich mit allem Eifer auf die Erlernung solcher Kenntnisse. Ich wurde zu einem Autodidakten. Was ich heute lernte, das lehrte ich meinen jungen Freunden morgen wieder, bildete mich so selbst, und – wie es seit langer Zeit meine heißester Wunsch gewesen war – half mehreren jungen Männern sich zu bilden oder führte sie wenigstens auf einem kürzeren Wege als der meinige es gewesen war ihrem Ziel näher. Ehrgeiz lag hier freilich, das muss ich gestehen, mit im Spiele. Ich wünschte bei meinen Vorgesetzten und Untergebenen für einen sehr brauchbaren Mann, d.h. Pharmazeuten, zu gelten. Aber dieser Ehrgeiz war wohl verzeihlich, da er niemandem schadete, vielmehr Gutes zur Folge hatte.

Meine Kenntnisse blieben jedoch, aller angewandten Mühe ungeachtet, noch immer mangelhaft, einseitig und unzusammenhängend. Denn obwohl ich in dieser Zeit sieben Jahre, von 1773 bis 1779, die Leitung der großen und angesehen Brandeschen Apotheke in Hannover hatte, in der ich zuvor meine Lehrzeit absolviert hatte, und nun mit Männern aus allen Ständen umging und umgehen musste, so hatte ich doch von diesen allen weniger Vorteil für meine wissenschaftlichen, als merkantilischen Kenntnisse. Im Wissenschaftlichen machte ich nämlich, da ich immer noch zu Vieles und zu viele Bücher untereinander las, und fast keines eigentlich studierte – eine Kunst, die ich damals noch gar nicht verstand – nur geringe, im Merkantilischen meines Faches aber, weil mir alles oblag, ziemlich beträchtliche Fortschritte. Ich bildete mich jedoch insgesamt immer mehr aus und lernte nach und nach den einzigen und wahren Weg kennen, den man wählen muss, wenn man sich zu einem brauchbaren Apotheker ausbilden will.

Gegen Ende dieser meiner Laufbahn lernte ich einen der würdigsten Menschen, den ich je gekannt habe, den mir ewig unvergesslichen Botaniker Jakob Friedrich Erhardt kennen. Ihm verdanke ich außerordentlich viel, vor allem die Kunst, die Schriften anderer mit Nutzen zu lesen, seine eigenen Gedanken richtig zu ordnen und anderen wieder mitteilen zu können. Erhardt hatte in der Nürnberger Kugel-Apotheke gelernt und trat 1770 in die Andreä‘sche Apotheke, die zweite Apotheke in Hannovers Neustadt ein, auch Hirsch-Apotheke genannt. Sie wurde nach der Rats-Apotheke 1636 in der Calenberger Neustadt an der sogenannten Kloppenburg gegründet und 1645 von der Familie Andreae übernommen. 1657 wurde sie auf herzoglichen Wunsch verlegt und befand sich in direkter Nachbarschaft zur herzoglichen Hof-Apotheke, in der ich gelernt und nun als Provisor tätig wurde. Ehrhardt wurde vom Apotheker Johann Gerhard Reinhard Andreae, der bereits 1793 verstorben ist, sehr gefördert. Er konnte ab 1774 bei dem berühmten Botaniker und Naturforscher Carl von Linné sowie dem Chemiker Torbern Bergman in Stockholm studieren. Beide sind bereits 1778 bzw. 1784 verstorben. 1776 kehrte Ehrhardt nach Hannover zurück und wurde Hofbotaniker in Herrenhausen. Auch er ist leider schon 1795 verstorben.

Jakob Friedrich EHRHAR(D)T (1742-1795) war schweizerischer Herkunft. Er studierte Naturwissenschaften, absolvierte ab 1765 eine Apotheker-Lehre in Nürnberg und war als Apothekergehilfe in Erlangen, Hannover und Stockholm tätig. Von 1774 bis 1776 war er in Uppsala auch Schüler von Carl von Linné. Ab 1778 begann er in Hannover die Pflanzen-Sammlungen des Apothekers Johann Gerhard Andreae (1724-1793) zu ordnen. 1780 wurde er zum „Königlich Großbritannischen und Churfürstlich Braunschweig-Lüneburgischen Botaniker“ ernannt und ab 1780 mit der Erarbeitung einer „Hannoverischen Pflanzengeschichte“ beauftragt. 1779 entdeckte er im Limmerholz bei Hannover eine Schwefelquelle. Er wurde Leiter der Herrenhäuser Gärten.

Die Aufzeichnungen meines Vaters zeigen mit seinen eigenen Worten, wie und auf welche Weise sein talentvoller Geist alle Schranken, die sich ihm als Autodidakten entgegen stemmten, zu durchbrechen wusste.

In Hameln fand mein Vater seine Wünsche selbst über seine Erwartung befriedigt. In der Witwe des vorigen Pächters eine liebe, tugendhafte Gattin findend, ward er glücklicher Gatte und Hausvater, und Inhaber einer Apotheke, erwuchs ihm die schönste Gelegenheit, seine festen Vorsätze, Ansichten und Pläne, und die Ratschläge seines treuen Ehrhardt’s ausführen und befolgen zu können. Mit ratslosem Eifer und unermüdeter Tätigkeit begann er das Werk, allen handwerksmäßigen Schlendrian aus seiner wichtigen Kunst zu entfernen, seinen Mitarbeitern und Zöglingen väterlicher Freund zu sein, und sich ihre wahre wissenschaftliche Bildung angelegen sein zu lassen. Er scheute keine Mühe, Anstrengung und Kosten, bei den jungen, ihm zur Bildung anvertrauten, Männern wahre Liebe für die ergriffene Kunst zu erwecken, und ihnen einen gründlichen Unterricht in den pharmazeutischen Warenkunde, der Pharmazie, Chemie, Botanik, Mineralogie und Physik erteilen zu können.

Wohl wissend, wie viel eine genaue Kenntnis der in der Pharmazie gebräuchlichen Waren einem Apotheker wert sei, bestrebte er sich, vor allen Dingen seinen Zöglingen eine genaue Kenntnis der pharmazeutischen Warenkunde zu verschaffen. Mit den einzelnen rohen Arzneimitteln in der Hand, lehrte er ihnen Namen, Vaterland, Einsammlungs-Art und –Ort, die Zeichen der Güte und Echtheit, so wie der etwa gebräuchlichen Verfälschungen kennen, und ruhte nicht eher, bis seine Schüler diese erfasst hatten, und im Stande waren, jedes rohe Arzneimittel sogleich zu bestimmen und dessen Güte zu schätzen. Waren seine Zöglinge dieses im Stande, dann ging er zur Lehre der Zoologie, Botanik und Mineralogie über, machte ihnen häufige botanische Exkursionen und benutzte die Abendstunden zum Unterricht in diesen Wissenschaften, wobei ihm seine trefflichen Bücher- und Mineralien-Sammlungen sehr zu Hilfe kamen. Indessen waren diese Wissenschaften für meinen Vater keineswegs die Hauptsache, sondern er betrachtete sie als Sache der Erholung und des Vergnügens.

Hauptsache war ihm der Unterricht der pharmazeutischen Scheidekunst, d.h. der Analyse, und hier ließ er seine Zöglinge, ohne auf die ihm dadurch erwachsenden Kosten zu sehen, einen vollen pharmazeutisch-chemischen Kursus machen, und ohne Unterschied alle Präparate darstellen, wobei er bemüht war, seinen Zöglingen nicht nur den Gang der einzelnen chemischen Prozesse zu erklären, sondern auch die allgemeinen Grundsätze der Chemie zu lehren. Hatte der Schüler diesen Kursus vollendet und zeigte er Lust, noch weiter in der Chemie fortzuschreiten, dann stand es ihm frei, in dem Mußestunden zu feineren chemischen Operationen und Analysen überzugehen, wozu sich fast immer Gelegenheit fand, wegen der vielen von meinem Vater angestellten Analysen und weil er gerne seine feineren chemischen Apparate und Instrumente herlieh. Über diesen Unterricht versäumte mein Vater indessen keineswegs, seinen Zöglingen in den übrigen Arbeiten praktische Anweisung zu geben, sondern auch hier ließ er es sich besonders angelegen sein, die jungen Männern an die größte Pünktlichkeit und Genauigkeit zu gewöhnen. – Doch sein Bestreben ist auch nicht unbelohnt geblieben; ein günstiges Geschick führte fast nur äußerst fleißige, wissbegierige Männer in sein Haus, und erleichterte ihm so das schwierige Werk. Männer, die sich in ihrer Kunst und ihrem Berufe auf die vorteilhafteste Art auszeichnen, bildeten sich unter seinen Augen aus oder vollendeten ihre Bildung, und geben gewiß gern Zeugnis seines rastlosen Eifers und seiner Anstrengung.

Die bloße Ausführung dieser Pläne beschäftigte meinen Vater jedoch nicht allein, sondern kühn auf der sich selbst gebrochenen Bahn fortschreitend, gelang es auch hier seinem hellen und umfassenden Geiste, die sich ihm entgegen stemmenden Schranken zu durchbrechen, und durch seine, den baldigen Meister beurkundenden Schriften und Abhandlungen seinen Ruf als trefflicher Chemiker und Gelehrter zu begründen. Innigst erfreut über die vorteilhafte Aufnahme seiner vielen, aus dem lebhaften Anteile an den gelehrten Verhandlungen in der Chemie hervorgehenden, Schriften und geehrt durch die ihm von mehreren gelehrten Gesellschaften und Akademien werdende Aufnahme unter die Zahl ihrer Mitglieder, und besonders geschmeichelt durch seine Ernennung zum Königl. Berg-Commissair und Mitglied des Commerz-Collegiums in Hannover, ging meines Vaters einziges Streben dahin, sich dieser Auszeichnungen auch fernerhin würdig zu erweisen.

So verlebte mein Vater, von seinen Mitbürgern geehrt, geliebt und geachtet, und selbst im Jahre 1790 zum Senator der Stadt erwählt, von den vaterländischen und fremden Regierungen mehrmals durch Erteilung wichtiger Kommissionen ausgezeichnet, mit Deutschlands Gelehrten befreundet und korrespondierend, dreiundzwanzig glückliche und zufriedene Jahre, bis 1803 durch die Invasion der Franzosen und das Einrücken französischer Truppen in Hameln, sein bis dahin ungetrübtes Glück den ersten, dafür aber auch um so stärkeren und noch bis zu seinem Ende fortwirkenden Stoß erhielt. Als wahrer Patriot und für seine Wissenschaft glühender Mann, war es ihm höchst unangenehm, durch seine öffentlichen Ämter gezwungen, mit den französischen Behörden in weitläufige, zeitraubende Verbindungen treten zu müssen. Gern hätte er sich in der Stille seines geschäftsreichen Privatlebens zurückgezogen, allein sein biederer Bürgersinn litt dieses nicht, und so höchst unangenehm es ihm auch war, unterzog er sich denn mit Eifer den öffentlichen Geschäften.

Auf diese Art jedoch von seiner bis dahin mit dem glühendsten Eifer verfolgten Bahn abgebracht, wollte es mein Vater, dessen Gesundheit überdies seit den chemischen Bleichversuchen wankend geworden war, und fortan durch übergroße Anstrengungen, häufige Nachtwachen und mannigfachen Verdruss und bittere Kränkungen erschüttert wurde, nicht recht gelingen, in der durch die 1805 erfolgte Abtrennung Hannovers an Preußen, seinem Leben gegebenen Ruhe, nur für seine Wissenschaft wieder leben und weben zu können. Überdies war diese Zeit zur kurz und die darauf folgende traurige Katastrophe in jenen unglücklichen November-Tagen des Jahres 1806, wo Hannover ohne Schwertschlag in die Hände der Franzosen überging, mehr als hinreichend, um Jeden aus seiner Ruhe aufzuschrecken und für die Zukunft besorgt zu machen. Ein finsteres lebenssattes Wesen bemächtigte sich seiner, und trübte nur zu sehr den hellen Spiegel seiner Seele, wodurch selbst seine Liebe für die Wissenschaft, wo nicht erstarb, doch erkaltete. –