Der Händler von Serdescht - Karl May - E-Book

Der Händler von Serdescht E-Book

Karl May

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Beschreibung

Der Händler von Serdescht auch genannt Der Kys Kaptschiji ist eine Abenteuererzählung von Karl May. Auszug: Wir kamen von Serdascht und ritten am rechten Ufer des kleinen Zab hin, den wir später verlassen wollten, um Arbil, das von Alexander dem Großen her berühmte Arbela, zu erreichen. Wenn ich sage »wir«, so meine ich damit nur zwei Personen, nämlich mich selbst und meinen kleinen tapfern Hadschi Halef Omar, der früher mein Diener und Reisebegleiter gewesen war, jetzt aber, seit er den Rang eines Scheikes aller Haddedihnaraber einnahm, nicht mehr in einem untergeordneten Verhältnisse zu mir stand und mich nur aus treuer Anhänglichkeit, nicht aber für Lohn begleitete. Die Leser meiner Erzählungen werden das liebe, wackere Männchen gewiß noch kennen. Wir wollten in Arbil einige Tage ausruhen und dann über den Tigris setzen, um auf den Weiden der Dschesireh seinen Stamm aufzusuchen.

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Der Händler von Serdescht

Der Händler von Serdescht - Kapitel 1Der Händler von Serdescht - Kapitel 2AnmerkungenImpressum

Der Händler von Serdescht - Kapitel 1

Wir kamen von Serdascht und ritten am rechten Ufer des kleinen Zab hin, den wir später verlassen wollten, um Arbil, das von Alexander dem Großen her berühmte Arbela, zu erreichen. Wenn ich sage »wir«, so meine ich damit nur zwei Personen, nämlich mich selbst und meinen kleinen tapfern Hadschi Halef Omar, der früher mein Diener und Reisebegleiter gewesen war, jetzt aber, seit er den Rang eines Scheikes aller Haddedihnaraber einnahm, nicht mehr in einem untergeordneten Verhältnisse zu mir stand und mich nur aus treuer Anhänglichkeit, nicht aber für Lohn begleitete. Die Leser meiner Erzählungen werden das liebe, wackere Männchen gewiß noch kennen. Wir wollten in Arbil einige Tage ausruhen und dann über den Tigris setzen, um auf den Weiden der Dschesireh seinen Stamm aufzusuchen.

Wir waren nur zwei Tage in Serdascht gewesen und hatten den Ort in sehr großer Aufregung gefunden. Schon im letzten Frühjahre waren drei Mädchen von dort spurlos verschwunden gewesen; man hatte erfahren, daß auch an andern Orten plötzlich welche vermißt worden seien, und da die betreffenden die schönsten ihrer Gespielinnen gewesen waren, so mußte man annehmen, daß ihre Schönheit ihnen verhängnisvoll geworden sei und es sich nicht um ein zufälliges Verschwinden, sondern um einen Raub handle. Man sprach von einem Kys-Kaptschiji der im Lande herumziehe, um für vornehme Harems hübsche, junge Mädchen zusammenzustehlen, und gab sich alle Mühe, eine Spur von ihm oder seinen Opfern zu entdecken, doch vergeblich. Das war nicht bloß verbotener Handel mit Sklavinnen, sondern Frauenraub, ein Verbrechen, welches mit dem Tode bestraft wird. Der Räuber mußte ein außerordentlich verwegener und ebenso listiger und verschlagener Mensch sein und zahlreiche Helfershelfer zur Seite haben, da es einem einzelnen unmöglich war, sich einer ganzen Anzahl von Mädchen zu bemächtigen und den gefährlichen und mühsamen Transport derselben durchzuführen.

Sein verbrecherisches Geschäft war jedenfalls ein sehr einträgliches, denn seit dem Verbote des Handels mit Sklavinnen war der Preis derselben außerordentlich in die Höhe gegangen und die Nachfrage größer als das Angebot geworden. Gefragt nämlich war die Menschenware trotz des strengen Verbotes, und weil die betreffenden Beamten ihren Bedarf selber heimlich und auf ungesetzlichem Wege deckten, fiel es ihnen nicht ein, die Händler zu verfolgen oder gar zu bestrafen.

Nun waren zwei Tage vor unserm Eintreffen in Serdascht wieder drei Mädchen vollständig spurlos verschwunden und alles Forschen nach ihnen hatte nicht das geringste Resultat ergeben. Wir beiden ahnungslosen und unschuldigen Menschen wurden sofort bei unserer Ankunft überfallen und in das Sindan geschafft, und wenn ich nicht so vortreffliche Legitimationen besessen hätte, wäre es uns wohl nicht möglich gewesen, den Staub dieses Ortes so bald von unsern Füßen zu schütteln.

Mein guter Halef war empört über den Verdacht, mit dem man mich und ihn gekränkt hatte; er konnte unsere Verhaftung gar nicht vergessen, fing immer wieder an, von ihr zu sprechen, und sagte auch jetzt, als wir so nebeneinander dahinritten:

»Du bist so still, Sihdi. Gewiß denkst du an das, was wir in Serdascht erleben mußten, und dein Zorn darüber ist so groß, daß er keine Worte findet. Ich aber muß reden, sonst bekommt meine Seele einen Riß, und mein Körper zerplatzt vor Wut. Wir sollen Frauenräuber sein? Ist nicht Hanneh, mein Weib, die allerschönste der Blumen unter den Gemahlinnen? Kann ich eine bessere finden? Werde ich mir ein Weib stehlen, welches ich gar nicht brauche, eine Gattin, die mir vollständig überflüssig ist? Ich, der berühmte Hadschi Halef Omar, der erste und oberste Scheik der Haddedihn, ein Spitzbube, ein Mädchenräuber! Und du, dessen Seele noch unverheiratet ist, dessen Herz keine Ehe kennt und dessen Verstand lebenslänglich ohne Weib bleiben will, du bist auch mit in das Gefängnis gesteckt worden! Maschallah! Es ist wirklich ein Wunder Gottes, daß wir dieses Serdascht nicht so zugerichtet haben, daß kein Stein mehr auf dem andern liegt! Wir haben den Löwen erlegt und den schwarzen Panther erschossen; wir haben mit Hunderten von Feinden gekämpft und sind stets Sieger geblieben. Wir kennen alle Wissenschaften und Vorteile; in uns beiden wohnen die Begriffe sämtlicher Gelehrsamkeiten; die größten Helden haben uns um Verzeihung gebeten, und die höchsten Beamten der Herrscher uns um unsere Freundschaft ersucht, – und kaum sind wir in diese Stadt der Dummheit, in diesen Aufenthalt der gehirnlosen Köpfe eingeritten, so werden wir nach dem Sindan gebracht! Ich hätte mich bis zum letzten Tropfen meines Blutes dagegen gewehrt; da aber du es für klug hieltest, ruhig zu bleiben, so habe ich mich bemeistert und die Flut meines Zornes nicht überfließen lassen; doch Allah mag dieses Serdascht aus dem Lande der Lebenden streichen und den Bewohnern allen die Schnurr- und auch die Backenbärte verbrennen lassen, daß jeder, der einen solchen Serdaschti erblickt, ihm zuruft: ›Di'eb 'alehk – Schande über dich!‹ Habe ich nicht recht, Sihdi?«

Halef besaß ein außerordentlich empfindliches Ehrgefühl; er hielt mich für den vortrefflichsten von allen Erdenbewohnern und glaubte im stillen, daß er wenigstens ebenso vortrefflich sei wie ich; daher sein Grimm über das uns zugefügte Ungemach. Hätte ich ihm widersprochen, so wäre mir eine schier endlose Ermahnung aus seinem beredten Munde geworden; darum antwortete ich:

»Ja, du hast recht, mein lieber Hadschi, aber du bist doch ein Anhänger des Glaubens, daß alles, was dem Menschen widerfährt, im Buche des Lebens vorausbestimmt sei; wir konnten also der Arretierung nicht entgehen; sie war uns bestimmt und so handeln wir nur nach deinem Glauben, wenn wir das, was nicht zu ändern war, nun unbesprochen hinter uns liegen lassen.«

»Dein Wort ist wahr, Sihdi, und darum soll meine Zunge dieses Serdascht nicht mehr berühren. Mein Pferd scheint zu dürsten, und die Sonne brennt heiß. Wollen wir nicht Halt machen, um die Stunde des Mittags vorübergehen und unsere Tiere trinken zu lassen?«

»Ich bin einverstanden. Während der Ruhe können wir versuchen, für das heutige Abendmahl einige Fische zu fangen, denn ich glaube nicht, daß uns heute eine Ghazahl vor die Gewehre kommt.«

Wir fanden bald eine schattige, für unsern Zweck passende Uferstelle und stiegen ab. Halef schnitt eine lange Rute aus dem Gebüsch, befestigte seine Ssunnara daran und gab sich dem von ihm leidenschaftlich betriebenen Fischfange hin, bei welchem er heute Glück hatte; denn er brachte es in kurzer Zeit zu einem Vorrate, welcher mehr als ausreichend für heute abend war.

Während wir die ausgenommenen Fische der Hitze wegen in saftige Wildkürbisblätter einschlugen, hörten wir Hufschritte, welche am Flusse aufwärts kamen, und gleich darauf bog ein Reiter, welcher ein Packpferd bei sich führte, um das vorstehende Gesträuch. Er hatte jedenfalls nicht erwartet, in dieser einsamen Gegend auf Menschen zu treffen, und schien über unsern Anblick nicht bloß betroffen, sondern sogar erschrocken zu sein. Er faßte sich aber rasch, hob die rechte Hand bis zur Höhe der Brust und grüßte:

»Sabahüniz hajr ola – guten Tag, meine Herren! Allah schenke euch Ruhe und neue Kräfte der Glieder.«

Wir erwiderten seinen Gruß in türkischer Sprache, deren er sich bedient hatte. Er musterte uns mit scharf forschendem Blicke und fuhr dann fort:

»Mein Herz ist über euern Anblick erfreut. Wie heißt der Ort, von welchem ihr kommt?«

»Serdascht,« antwortete ich.

»Und wo wollt ihr hin?«

»Nach Arbil.«

»Das ist ein weiter Weg, und ihr thut wohl, euch auszuruhen. Ich will nach Serdascht, woher ihr kommt, und meine Pferde sind ermüdet. Würdet ihr mir erlauben, hier bei euch abzusteigen?«

»Jeder gute Mensch ist uns willkommen.«

»So will ich hoffen, daß ihr mich nicht für einen schlechten haltet.«

Er stieg vom Pferde und setzte sich zu uns. Ich hatte ihm auf seine Frage absichtlich die letztere Antwort erteilt, denn er gefiel mir nicht. Er war ein langer, hagerer, aber starkknochiger Mann, der sich wie lauschend vornübergebeugt hielt. Er trug als Kopfbedeckung nur einen Fez, welcher so weit zurückgeschoben war, daß man die schmale, sehr niedrige Stirn vollständig sehen konnte. Ein sehr dünner, fast ruppiger Bart hing über seine blutleeren Lippen herab; darüber ragte eine starkgebogene, breitflügelige Habichtsnase, zu deren beiden Seiten zwei kleine, listige Augen unter den weit und vorsichtig herabfallenden Lidern nur halb zu sehen waren. Die stark entwickelten Kauwerkzeuge und das breit vortretende Kinn ließen auf Egoismus, Rücksichtslosigkeit und überwiegend tierische Affekte schließen, während die obere Hälfte des Gesichtes eine bedeutende, absichtlich verborgene Verschlagenheit verriet. Wenn dieser Mann nicht ein Armenier war, so gab es überhaupt keine Armenier!

Ein Jude überlistet zehn Christen; ein Yankee betrügt fünfzig Juden; ein Armenier aber ist hundert Yankees über: so sagt man, und ich habe gefunden, daß dies zwar übertrieben ausgedrückt ist, aber doch auf Wahrheit beruht. Man bereise den Orient mit offenen Augen, so wird man mir recht geben. Wo irgend eine Heimtücke, eine Verräterei geplant wird, da ist sicher die Habichtsnase eines Armeniers im Spiele. Wenn selbst der gewissenlose Grieche sich weigert, eine Schurkerei auszuführen, es findet sich ohne allen Zweifel ein Armenier, welcher bereit ist, den Sündenlohn zu verdienen. Sind die sogenannten Levantiner überhaupt und im allgemeinen berüchtigt, so ist unter ihnen der Armenier derjenige, der sie alle übertrifft.