Der Hauptmann von Köpenick - Carl Zuckmayer - E-Book

Der Hauptmann von Köpenick E-Book

Carl Zuckmayer

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Beschreibung

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Wer kennt sie nicht: die Verfilmung des ›Hauptmann von Köpenick‹ mit Heinz Rühmann in der Titelrolle. Schon auf der Bühne war Zuckmayers Theaterstück mit seiner Mischung aus Komik und Sozialkritik ein großer Publikumserfolg. Der Film aber aus dem Jahr 1956 hat das Drama so populär gemacht wie kein anderes aus dem 20. Jahrhundert. Bis heute weckt es unsere Sympathie für all die Schelme und Ganoven, die den großen Staatsapparaten mit ihrer Respektlosigkeit und List immer wieder ein Schnippchen schlagen.

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Seitenzahl: 203

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Carl Zuckmayer

Der Hauptmann von Köpenick

Ein deutsches Märchen in drei Akten

FISCHER E-Books

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.

Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.

Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.

Inhalt

HauptgestaltenSzenenfolgeErster AktZweiter AktDritter Akt»Kommt mit«, sagte der [...]AnhangDaten zu Leben und WerkCarl Zuckmayer, ›Der Hauptmann von Köpenick‹Carl Zuckmayer

»Nein«, sagte der Zwerg, »laßt uns vomMenschen reden! Etwas Lebendiges ist mirlieber als alle Schätze der Welt!«

 

BRÜDER GRIMM, RUMPELSTILZCHEN

Hauptgestalten

WILHELM VOIGT

FRIEDRICH HOPRECHT

FRAU MARIE HOPRECHT

BÜRGERMEISTER OBERMÜLLER

FRAU MATHILDE OBERMÜLLER

ADOLF WORMSER, Uniformschneider

ZUSCHNEIDER WABSCHKE

HAUPTMANN VON SCHLETTOW

Zeitgenossen aller Art

 

Ort: Berlin und Umgebung

Zeit: Vor dem [Ersten] Weltkrieg

Der erste Akt spielt etwa um die Jahrhundertwende, der zweite und dritte zehn Jahre später.

Die tatsächlichen Begebenheiten bilden nur den Anlaß zu diesem Stück. Stoff und Gestalten sind völlig frei behandelt.

Szenenfolge

Erster Akt

1. Szene: Uniformladen in Potsdam2. Szene: Polizeibüro in Potsdam3. Szene: Café National in der Friedrichstraße4. Szene: Personalbüro der Engrosschuhfabrik ›Axolotl‹5. Szene: Möbliertes Zimmer in Potsdam6. Szene: Herberge zur Heimat im Berliner Norden7. Szene: Uniformladen in Potsdam

Zweiter Akt

8. Szene: Zuchthauskapelle in Sonnenburg9. Szene: Bürgerliche Wohnstube in Rixdorf10. Szene: Schlafzimmer des Bürgermeisters Obermüller in Köpenick11. Szene: Gang vor dem Polizeibüro in Rixdorf12. Szene: Stube mit Bett13. Szene: Festsouper bei Dressel14. Szene: Bürgerliche Wohnstube in Rixdorf

Dritter Akt

15. Szene: Kleiderladen in der Kanonierstraße16. Szene: Allee im Park von Sanssouci17. Szene: Halle und Gang mit Abort im Schlesischen Bahnhof18. Szene: Vorhalle mit Treppen im Rathaus zu Köpenick19. Szene: Amtszimmer des Bürgermeisters Obermüller in Köpenick20. Szene: Aschingers Bierquelle in der Neuen Friedrichstraße21. Szene: Im Polizeipräsidium Alexanderplatz

Erster Akt

Erste Szene

Personen: Adolf Wormser, sein Sohn Willy, Zuschneider Wabschke, Hauptmann von Schlettow, Wilhelm Voigt

Bei geschlossenem Vorhang erschallt, von einer marschierenden Militärkapelle gespielt, der Armeemarsch Nr. 9 – mächtig anschwellend, dann allmählich mit dem Taktschritt der abziehenden Truppe verklingend. Ferne Militärmusik begleitet die ganze Szene. Inzwischen hat sich der Vorhang gehoben: die Bühne zeigt das Innere von A. Wormsers Uniformladen in Potsdam. Im Vordergrund der Ladentisch und der Raum für die Bedienung der Kunden. Im Hintergrund die großen gläsernen Schaufenster, durch die man die Straße und gerade noch die Queue der unter Musik vorbeiziehenden Gardekompanie erblickt. Die Schaufenster sind mit einzelnen Uniformstücken, auch Helmen, Mützen, Säbeln, Lackreitstiefeln dekoriert. Komplette Offiziersuniformen stehen auf Holzpuppen ohne Kopf. In der Mitte hinten eine Doppelglastür mit Klingel. Die Glasscheiben tragen in verkehrt zu sehenden Goldbuchstaben die Aufschrift der Firma: »A. Wormser, Kgl. Preuss. Hoflieferant«. Auf dem Ladentisch Stoffballen, Uniformknöpfe, Epauletten, Handschuhe, Feldbinden und dergleichen. An der Wand ein Bildnis der kaiserlichen Familie und die Photos höherer Offiziere mit Unterschrift. Auch ein gerahmtes Ehrendiplom und eine Aufnahme des Herrn Wormser in studentischer Couleur. Eine Seitentür führt zu Wormsers Privatkontor.

Zuschneider Wabschke – klein, bucklig – steht auf einem Schemel und hilft dem Hauptmannn von Schlettow in seinen neuen Uniformrock.

V. SCHLETTOW

Nee, nee, Wabschke, mit der Uniform da stimmt was nicht. Da is was nich in Ordnung. Das hab ich im Gefühl.

WABSCHKE

Herr Hauptmann – mit det Jefühl, det is so ne Sache. Wenn ick mal in en Paar neie Buxen steige – selbst zujeschnitten, akkurat jenau uff jeden Hosenknopp – da hab ick ooch immer son komisches Jefiehl. Un denn komm ick hinter: det is gar keen Jefühl – det is nur de Neuheit.

V. SCHLETTOW

Nee, nee, Wabschke, machense mir nichts vor. Sehnsemal, ich kann mir als Hauptmann nich jeden Tach ne neue Uniform leisten. Gardeleben kost ja sowieso ’n tollen Stiefel. Aber – wenn ich mir eine leiste, denn muß nu alles tadellos in Ordnung sein, darin bin ich komisch, was? Er lacht.

WABSCHKE

zieht ihm die Rockschöße herunter Det sitzt nu alles wie de eigne Haut.

V. SCHLETTOW

Sagen Sie! – Besieht sich von allen Seiten im Spiegel – Na ja, von vorne is ja nischt zu wollen. Aber hinten! Hinten! Sehnse sich mal die Gesäßknöppe an! Die sitzen bestimmt nich vorschriftsmäßig!

WABSCHKE

Aber, Herr Hauptmann: ick sage Ihnen, wie anjewachsen! Man kennte meinen, Sie wären mit Jesäßkneppen uff de Welt jekommen!

V. SCHLETTOW

Sechsenhalb Zentimeter Abstand! Sechsenhalb Zentimeter is Vorschrift! Das da sin mindestens achte, widersprechense nicht, das hab ich im Gefühl!

WABSCHKE

Na, Herr Hauptmann, so jenau wird’s Ihnen keener nachmessen.

V. SCHLETTOW

Das hab ich im Gefühl, da is nischt dran zu klimpern. Die Gesäßknöppe werden geändert, Wabschke.

WABSCHKE

Da mißten wa nu de janze Schoßfalte ufftrennen, un denn stimmt det wieder in de Tallje nich.

V. SCHLETTOW

Sehnse, Wabschke, bei Ihnen merkt man auf Schritt und Tritt, daß Se nich gedient haben. Wennse beim Kommiß so viel widersprechen, denn kommense ausm Kasten gar nich raus.

WABSCHKE

Deshalb hab ick mir ooch lieber ’n Puckel jezüchtet. Finger lang und Luftklappe jeschlossen – det wär keen Sport vor meines Vaters Kleensten.

V. SCHLETTOW

Das fehlt Ihnen, Wabschke, das fehlt Ihnen! Als Schneider sinse vielleicht tipptopp, aber als Mensch, da fehlt Ihnen der Schliff, der Schnick, der Benimm, die ganze bessere Haltung!

WABSCHKE

Na, Herr Hauptmann, ick kann ja ooch de Knochen zusammenreißen un det Kinn uff de Krawatte dricken! Er markiert stramme Haltung.

V. SCHLETTOW

halb lachend, halb empört Hörnse auf, Wabschke, hörnse auf, das kann ich gar nich sehn!!

WORMSER

kommt rasch herein. – Er ist rundlich, rosig, graublond, mit nur geringen jüdischen Rassemerkmalen Was is denn nu wieder los. – Wabschke, lassense die Possen! Guten Tach, Herr von Schlettow, ärgernse sich nicht über den Pojazz, er is nich normal, aber ’n besseren Zuschneider findense in ganz Deutschland nich. Wabschke, haltense ’n Rand, ich sage Ihnen immer wieder, bei der nächsten Schnoddrigkeit fliegense raus. Famos sehnse aus, Herr Hauptmann! Schüttelt ihm die Hände Das macht der Dienst, das macht die frische Luft, das macht des Kaisers Garde, was? Na, nu zeigense mal her, lassense sich mal bewundern, wo sitzt der Schaden, wo liegt der Hund begraben, das wolln wa gleich haben – was?

V. SCHLETTOW

Ich weiß nich, Herr Wormser, mit der Uniform is was nich richtig. Ich hab son komisches Gefühl im Genick, un die Gesäßknöppe sitzen auch nich vorschriftsmäßig.

WORMSER

ruft Willy, brings Maßbuch. Ich werde die Sache untersuchen, Herr Hauptmann, Sie sollen sich persönlich überzeugen. Glänzend steht Ihnen der Rock! Willy, mach rasch! ’n wunderschöner Stoff, was? ’n Stöffchen!! Also das Stöffchen, das kriegen von mir nur die Herren von der Garde un die kaiserlichen Prinzen. Sehnsemal – Er fährt mit den Fingerknöcheln übers Tuch – ’n Glanz wie son frisch gewichster Pferdepopo – was?

V. SCHLETTOW

lachend Gottvoll, Wormser! Is ja enorm! Pferdepopo –! Einfälle haben Sie!

WILLY

erscheint mit dem Maßbuch. Er ist sechzehn Jahre alt, schmal, blaß, verpickelt und ungelenk. Die jüdischen Rassemerkmale sind bei ihm stärker ausgeprägt als beim Vater.

WORMSER

Zeig her, Willy, leg’s hin, schlag’s auf, träum nicht, mach e bißje. Sehnse hier, Herr von Schlettow – sehnse selbst: wie steht’s da schwarz auf weiß? Schoßknöpfe Abstand sechseinhalb Zentimeter. Stimmt’s oder hab ich recht? Was wollense mehr.

V. SCHLETTOW

Steht schon da – sitzt aber nich. Messense nur mal nach! Während der letzten Sätze, etwa gleichzeitig mit dem Auftreten Willys, ist im Hintergrund auf der Straße ein Mann erschienen – kurz stehengeblieben, weitergegangen. Nun kommt er langsam zurück, geht bis zur Ladentür, starrt in die Scheiben.

WORMSER

Wabschke, gebense ’s Zentimetermaß. Willy, halt dich grad! Ich kann nicht sehen, wie de rumstehst. Wenn du so weitermachst, kommste nie zum Militär. Was will denn der Mann an der Glastür? Willy, schau mal nach. Na, nu läuft er wieder wech. Er mißt nach Sehnse, Herr Hauptmann, wenn man’s genau nimmt, habense recht. Also von Ihnen möcht ich erschossen werden, Sie treffen ’n Flohstich mittenmang in de Mitte. Die Knöppe sitzen um ’n halben Zentimeter zu weit.

V. SCHLETTOW

Das hab ich im Gefühl. Das hab ich ja gleich gesagt. Lachense nich, Wabschke, Sie denken, das is ne Kleinigkeit. Is auch ne Kleinigkeit. Aber an den Kleinigkeiten, daran erkennt man den Soldaten. Darauf is alles aufgebaut, da steckt ’n tieferer Sinn drin, verstehnse? Genau dieselbe Sache wie mit ’n Stechschritt. Leute glauben immer, is Schikane. Is keene Schikane, steckt auch tieferer Sinn drin, das muß man nur kapieren, verstehnse?

WORMSER

Meine Rede, Herr Hauptmann, meine Rede! Was sag ich immer? Der alte Fritz, der kategorische Imperativ und unser Exerzierreglement, das macht uns keiner nach! Das und die Klassiker, damit hammer’s geschafft in der Welt! Willy, nemm die Händ aus der Tasch un halt dich grad. Schau dir ’n Herrn Hauptmann an, das is e Figur. Woher hat er die Figur? Er hat sich gradgehalten. Die Ladenglocke ertönt Na, das is er ja wieder!

WILHELM VOIGT

schmächtige Gestalt, mager und etwas gebückt, leicht angedeutete O-Beine, hohles Gesicht mit starken Backenknochen, grauer Schnurrbart, fahle Hautfarbe. Er trägt einen alten, aber nicht zerlumpten dunklen Anzug, Hemd ohne Kragen, steifen Hut, grobe Stiefel, in der Hand ein verschnürtes Paket. Er hält den Türgriff fest und schaut wie erstaunt in den Laden.

WORMSER

Was wollense denn? Habense was abzugeben?

VOIGT

– Nee. Er schließt die Tür, geht weiter.

V. SCHLETTOW

Was will denn der, sieht ja aus wie ne Leiche auf Urlaub.

WORMSER

Ich weiß nich – vielleicht will er sich ne Gardeuniform bestellen!

V. SCHLETTOW

Tadellos, Wormser! Einfach zum Piepen!

WABSCHKE

zu Wormser Det is neemlich so, det wa mißten de janze Schoßfalte ufftrennen, an der de Gesäßkneppe anjesetzt sind, und denn stimmt det wieder in de Tallje nich.

WORMSER

Also, Herr Hauptmann, wegen der paar Millimeter werdense sich den schönen Stoff nich verschnipseln lassen. Vorschrift is Vorschrift – aber damit kann Ihnen ja nu wirklich nichts passieren.

V. SCHLETTOW

So, kann mir nischt? Jovial Na, und wenn ich nu Untern Linden Majestät begegne, und Majestät zieht Zollstöckchen aus der Tasche und mißt mir Gesäßknöppe nach – na und was dann? Lacht.

WORMSER

Was dann? Ich wer Ihnen mal was sagen: dann fragt er natürlich, von wem hamse den Rock, sagen sie: von Adolf Wormser aus Potsdam. Was, wird er rufen, von meinem lieben Wormser!! Bei dem laß ich ja selbst arbeiten! Also dann sind de Knöppe richtig, und mein Zollstock is falsch!! Hier habense ’n Orden, da die geflochtenen Achselstücke, machense so weiter, Herr Major – Sprudelnd – Sehnse, wennse beim Wormser arbeiten lassen, da sinse schon befördert!!

V. SCHLETTOW

wiehernd Tadellos, Wormser! Is ja enorm! Also einfach gottvoll! Von meinem lieben Wormser! Gottvoll!! Gelächter. Die Ladenklingel ertönt.

WORMSER

Da is ja der Mensch schon wieder –

VOIGT

steht in der Ladentür, betrachtet interessiert die im Schaufenster ausgestellten Lackstiefel.

WORMSER

geht auf ihn zu Was wollense denn?!

VOIGT

sieht ihn an.

WORMSER

Wollense was? Was habense denn hier zu suchen?!

VOIGT

Ick wollte mir nur mal erkundigen –

WORMSER

Raus!! Hier wird nich gebettelt!!

VOIGT

schließt rasch die Tür, trollt sich.

WORMSER

Das wäre gelacht. Am hellen Tag in mein Geschäft! Die Kerle sin heutzutage so frech, so frech wie die Schmeißfliegen.

V. SCHLETTOW

Regense sich nich auf, Wormser, lassense lieber die Gesäßknöppe versetzen.

WORMSER

Erledigt, Herr von Schlettow. Erledigt. Wenn Sie wünschen – wird gemacht. Willy, helf ’n Herrn Hauptmann in sein Rock. Am Montag habense die neue Uniform – mit vorschriftsmäßigen Gesäßknöppen. Sinse nu zufrieden?

V. SCHLETTOW

Danke, Herr Wormser, vielen Dank, Herr Wormser! Wenn ich mir ne neue Montur bauen lasse, denn muß nu alles tadellos in Form sein, da hab ich meine Freude dran, verstehense? Dunkel.

Zweite Szene

Personen: Oberwachtmeister, Wachtmeister, Wilhelm Voigt

Polizeibüro in Potsdam. Geschlossene Fenster, muffige Luft, viel Papier, Akten- und Kassenschrank. An der Wand Kaiserbild, Verordnungstafeln, Gendarmeriesäbel und Pickelhauben an Kleiderhaken.

Oberwachtmeister und Wachtmeister sitzen einander gegenüber an Schreibtischen. Wilhelm Voigt, Hut und Paket in der Hand, steht dicht beim Oberwachtmeister hinter einer niedrigen hölzernen Schranke. Der Oberwachtmeister schreibt mit kratzender Feder, der Wachtmeister klebt Marken auf Stempelpapier.

Aus der Ferne erklingt das Potsdamer Glockenspiel.

OBERWACHTMEISTER

zieht seine Taschenuhr, kontrolliert Zwölfe. Er löscht ab, klappt Aktendeckel zusammen.

VOIGT

Pardong, Herr Wachtmeester, ick wollte mir nur mal erkundigen –

OBERWACHTMEISTER

Erstens ist von zwölf bis zwei geschlossen, das könnense draußen an der Türe lesen. Zweitens bin ich kein »Wachmeester«, sondern Oberwachtmeister und Reviervorsteher, das erkennt man an den Knöpfen und am Portepee.

VOIGT

Na, denn vazeihnse mal, Herr Kommissär, ick warte nu schon seit halber zwelfe –

OBERWACHTMEISTER

Drittens tretense mal ’n halben Schritt zurück. In einem Amtsraum hat ein Unbefugter so viel Abstand zur diensttuenden Behörde zu wahren, daß er die Aufschrift auf den Aktendeckeln mit bloßem Auge nicht erkennen kann. Da kann ja jeder kommen und uns einfach über die Schulter kucken. Habense noch nie was vom Amtsgeheimnis gehört?

VOIGT

Pardong, Herr Oberwachtmeester, ick hab ja ’n kurzes Ooge, zum Lesen da brauch ick ne Brille. Und mitn Amtsjeheimniss, da mecht ick mir jahnich inkrimmenieren, bei sowat seh’ck ieberhaupt lieber wech. Ick wollte mir nur mal heflichst erkundigt haben, wie det mit meine nachjesuchte Aufenthaltserlaubnis bestellt is, ick warte ja nu schon –

OBERWACHTMEISTER

Sie heißen?

VOIGT

Voigt, Wilhelm.

OBERWACHTMEISTER

Schlickmann, mal rasch die Personalakten U–Z. Alter?

VOIGT

Sechsundvierzig Jahre.

OBERWACHTMEISTER

Beruf?

VOIGT

Schuster.

OBERWACHTMEISTER

Geboren in?

VOIGT

Klein-Pinchow.

OBERWACHTMEISTER

Wo is denn das?

VOIGT

Da hintenrum, bei de Wuhlheide.

OBERWACHTMEISTER

Wo wohnen Sie jetzt?

VOIGT

Jarnirgends.

OBERWACHTMEISTER

Wieso? Sie müssen doch einen Wohnort angeben können.

VOIGT

Nee, kann ick nich.

OBERWACHTMEISTER

Na, wo sindse denn gemeldet?

VOIGT

Ooch jarnirgends. Ick stehe nämlich unter Polizeiaufsicht. Deshalb bin ick ja hier, weil ick mir hier anmelden mechte, und dafor brauch ick zunechst mal de Aufenthaltserlaubnis.

OBERWACHTMEISTER

Wo warense denn zuletzt gemeldet?

VOIGT

Wieder jarnirgends. Ick komme gradewegs aus de Strafanstalt Plötzensee.

OBERWACHTMEISTER

hat sich in den Akten zurechtgefunden Aha! Vorbestraft. Sogar im Wiederholungsfall. Sie sind ja ’n ganz schwerer Junge.

VOIGT

Ick weeß nich, Herr Kommissär, ick werde in letzter Zeit immer leichter. Besonders seit ick aus de Plötze raus bin, da ha’ck fast nur noch Luft in de Knochen.

OBERWACHTMEISTER

Quasselnse nich. Sie haben wohl auch Luft im Kopp, was? Was wollense denn hier in Potsdam?

VOIGT

Arbeeten will ick.

OBERWACHTMEISTER

Das kann jeder sagen. Warum habense denn früher nicht gearbeitet? Fuffzehn Jahre Zuchthaus, wegen Posturkundenfälschung!

VOIGT

Det is lange her, Herr Kommissär.

OBERWACHTMEISTER

Desto schlimmer, desto schlimmer! Mit achtzehn Jahren!! Wie habense das denn angestellt?

VOIGT

Na da war’ck n junger Dachs, Herr Kommissär. Und es hat sich ja alles in allem nur um dreihundert Märker jehandelt.

OBERWACHTMEISTER

Das ist gar keine Entschuldigung.

VOIGT

Ick will mir auch garnich entschuldigen, Herr Kommissär, det war nu mal so. Ick bin da mit’n jungen Meedchen gegangen, aus de Hotelkichenbrangsche. Da war’ck janz wech von. Ick konnte ihr nie wat spendieren, vastehnse, un de Spendierer, die hamse mir einfach abjespannt.

OBERWACHTMEISTER

Und da sind Sie einfach hingegangen und haben einfach die Reichspost betrügerisch ausgeplündert.

VOIGT

Ick dachte, det spürense da jarnich, bei son großen Betrieb. Aber denn habense mir jeschnappt und haben mir gleich fuffzehn Jahre injespunnen. Det is doch’n bisken ville forn junges Blut.

OBERWACHTMEISTER

Darüber steht Ihnen kein Urteil zu. Das Strafmaß entspricht immer ganz genau der Schwere des Delikts.

VOIGT

Meintswegen. Et is ja nu lange vorbei.

OBERWACHTMEISTER

So was ist nie vorbei, merkense sich das. Was in Ihren Personalakten steht, das ist Ihnen so festgewachsen wie die Nase im Gesicht. Wer einmal auf die schiefe Bahn gerät –

VOIGT

Stimmt.

OBERWACHTMEISTER

Wieso »stimmt«. Was stimmt?

VOIGT

Das mit de schiefe Bahn. Da hamse janz recht. Det is, wie wennse ne Laus uff ne Glasscheibe setzen. Da kannse nu krabbeln und krabbeln un rutscht ejal immer wieder runter.

OBERWACHTMEISTER

Das sind so Redensarten, die kennt man. Liest in den Akten Nach Verbüßung Ihrer Strafe sind Sie ins Ausland gegangen.

VOIGT

Jawoll, nach Böhmen und denn nach Bukarest.

OBERWACHTMEISTER

Was habense denn dort getrieben?

VOIGT

Da ha’ck jearbeetet.

OBERWACHTMEISTER

So. Bei wem denn?

VOIGT

Bein Schuhfabrikanten namens Wonkrowitz. Det war ’n Jude.

OBERWACHTMEISTER

Aha! Macht sich eine Notiz Und warum sindse dann zurückgekommen?

VOIGT

Det kann man schwer sagen, Herr Kommissär. Ick hatte mir da neemlich recht scheen rinjesetzt.

OBERWACHTMEISTER

Warum sindse dann nicht bei Ihrem Juden geblieben?

VOIGT

Weil ick – ick habe mir eben so sehr zu Hause jesehnt. Det war dumm von mir. Bei dem Juden, da war’ck neemlich jut unter.

OBERWACHTMEISTER

Habense denn in Deutschland noch Familie?

VOIGT

Nee, det heißt, haben tu’ck schon noch, ne Schwester zum Beispiel, die is verheiratet. Da trau ick mir aber mit all meine Vorstrafen aufn Puckel jarnich rauf.

OBERWACHTMEISTER

Dann möcht ich nun wirklich wissen, warum Sie wieder nach Deutschland zurückgekommen sind.

VOIGT

Ick sage ja, det war dumm von mir. Aber ick habe mir heimjesehnt. Da unten, da sinse alle janz anders, und da redense ooch janz anders. Und da hat nu schließlich der Mensch seine Muttersprache, und wenn er nischt hat, denn hat er die immer noch. Det glaubense jarnich, wie scheen Deutschland is, wenn man weit wech is und immer nur dran denkt. Aber ick sage ja, det war dumm von mir.

OBERWACHTMEISTER

liest in den Akten, ohne zuzuhören Zuletzt hattense nun wieder eine Freiheitsstrafe zu verbüßen – fünfzehn Monate Gefängnis, wegen Melde- und Paßvergehen, Irreführung der Behörden und versuchter Urkundenfälschung.

VOIGT

Da wollt ick mir nu de Neese aus det Jesichte reißen. Aber det hat nich jegangen.

OBERWACHTMEISTER

Was redense da?

VOIGT

Ick meine, wat Sie vorhin jemeint haben, sone Vorstrafe, die schleppt eener mit rum wie de Neese ins Jesicht. Als Willem Voigt, da hab ick nischt zu jewinnen in de Lotterie. Nu hab ick mir jesacht: Schluß mitn Willem Voigt, fängste als Friedrich Müller von vorne an. Det war doch jar nich so iebel.

OBERWACHTMEISTER

Blödsinn. Sie sehen ja, was dabei rausgekommen ist.

VOIGT

Ick hab mir halt nich ausjekannt.

OBERWACHTMEISTER

Also hoffentlich kennense sich jetzt aus: was ’n Gesetz is, und was ’n Vergehen is, und was ’n Gefängnis is. Lang genug habense ja studiert.

VOIGT

Jawoll, det kann ick wohl flüstern. Aber deshalb brauch ick nu jetzt meine Aufenthaltserlaubnis. Ohne der bin ick ja uffjeschmissen. Ick mechte mir hier in de Schuhfabriken vor Militärstiefel betätigen, det is neemlich meine Spezialität, de Zuchstiebeln un de langen Schefte, und ins Jefängnis da habense mir ooch in de Maschinenarbeet ausjebildet.

OBERWACHTMEISTER

Habense sich denn schon nach Arbeit umgesehen?

VOIGT

Det mach ick ’n janzen Tach, seit ick raus bin. Ick hab mir schon ’n Paar Sohlen kaputtjeloofen. Die Jefängnisleitung hat mir ja ne Empfehlung mitjegeben – Er kramt sie aus der Tasche – aber ick komme jarnich dazu, det ick se vorzeichen kann. Iberall wollense Meldepapiere sehn, und wenn ick in son besseres Jeschäfte fragen will, da glaubense, ick will betteln, da haunse mir gleich raus.

OBERWACHTMEISTER

hat kaum zugehört, ordnet die Akten ein Also kommense mal wieder, wennse Arbeit haben. Dann können wir weiter sehn.

VOIGT

Ick bekomm ja keene Arbeet ohne de Anmeldung. Ick muß ja nu erst mal de Aufenthaltserlaubnis –

OBERWACHTMEISTER

Das schlagense sich mal ausm Kopp. Einem stellungslosen Zuchthäusler können wir hier keine Aufenthaltserlaubnis geben. Nachher denken Sie ja gar nicht mehr dran zu arbeiten und treiben sich hier rum.

VOIGT

Ick muß doch arbeeten. Von wat sollt ick denn leben?

OBERWACHTMEISTER

Das ist Ihre Sache. Sehnse zu, daß Sie ’n ordentlicher Mensch werden. Wenn einer arbeiten will, denn kriegt er auch Arbeit.

VOIGT

schüttelt den Kopf Nee, nee, det is nu ’n Karussell, det is nu ne Kaffeemihle. Wenn ick nich jemeldet bin, krieg ick keene Arbeet, und wenn ick keene Arbeet habe, da darf ick mir nich melden. Denn will ick wieder raus. Denn jebense mir ’n Paß mit ’n Grenzvisum, det ick rieber kann.

OBERWACHTMEISTER

Dafür sind wir hier nicht zuständig.

VOIGT

Se haben doch jetzt mein ganzes Vorleben da in de Hand, un wennse mir hier nich haben wollen, denn jebense doch bein Alex ein, det ick ’n Paß kriege!

OBERWACHTMEISTER

Ich sage Ihnen doch, dafür sind wir nicht zuständig. Wenn Sie ’n Paß wollen, müssense sich an Ihre Heimatbehörde wenden.

VOIGT

Da war’ck jrade jewesen! Aber da habense mir jar nich anjehört. Du bist bei uns abjehängt, habense jesacht. Hier kenn wa dich nich mehr, seit zwanzich Jahren biste jestrichen. Jeh mal ne Ortschaft weiter, die Heimat schämt sich deiner, habense jesacht. Na ja, sach ick, ick will ja nu hier ooch keen Denkmal jesetzt kriegen, ich will ja nur meine Zuständigkeit. Da habense mir rausjeflammt. Nee, nee, da jeh’ck nich mehr hin.

OBERWACHTMEISTER

Na, regense sich mal nicht auf hier.

VOIGT

Ick reg mir jarnich uff, ick will nur ’n Papier haben. ’n Papier, det is doch mehr wert als de janze menschliche Konstitution, det brauch ick doch neetijer als det tägliche Brot!

OBERWACHTMEISTER

schnallt um, setzt seinen Helm auf Jetzt machense mal ’n Punkt.

VOIGT

Nee, nee, ick reg mir jarnich uff, aber’t muß ja nu ’n Platz geben, wo der Mensch hingehört! Wenn ick keene Meldung kriege und nich hier bleiben darf, denn will’ck wenigstens ’n Paß haben, det ick raus kann! Ick kann ja nu mit de Füße nich in de Luft baumeln, det kann ja nur’n Erhenkter!

OBERWACHTMEISTER

Ich werde Ihr Gesuch um Aufenthaltserlaubnis weitergeben.

VOIGT

Jebense mir lieber ’n Paß! Ick will ja wieder raus. Ick will ja nu gerne wieder raus, und ick komme ooch so bald nich wieder, da kennse janz ruhig sind, da kennse Jift druff nehmen! Ick weiß ja nu Bescheid, mir hamse jebrannt, det langt forn Rest!

OBERWACHTMEISTER

Sie haben immer noch unklare Vorstellungen über die Zuständigkeitsgrenzen. Für ihre Paßangelegenheit kommen wir hier nicht in Frage, merken Sie sich das, is gänzlich ausgeschlossen. Ihr Gesuch um Aufenthaltserlaubnis geb ich weiter, aber befürworten kann ich’s nicht, dafür ist Ihr Vorleben zu fragwürdig. Wir haben genug unsichere Elemente in der Stadt. Schluß jetzt.

VOIGT

Da mecht ick Ihnen ’n Vorschlag machen – da mecht’ck Ihnen vorschlagen, det se mir gleich expreß wieder in de Plötze zuricktransportieren lassen!

OBERWACHTMEISTER

Raus!!! Jetzt wird er auch noch frech! Scherense sich raus!!

VOIGT

Na, nu nich. Ick geh ja schon. Jesegnete Mahlzeit. Ab.

OBERWACHTMEISTER

Dummer Kerl! Stiehlt mir ne Viertelstunde von mein Mittach. Zum Schluß schimpft er noch. Naja. Dem trau ich nicht übern Weg.

WACHTMEISTER

Ich auch nicht, Herr Kommissär.

OBERWACHTMEISTER

Ich geh jetzt essen. Um halb zwei lös ich Sie ab. Tach, Schlickmann. Dunkel.

Dritte Szene

Personen: Gäste und Kellner im Café National, darunter Hauptmann v.Schlettow, Dr.Jellinek, ein betrunkener Gardegrenadier, Paul Kallenberg, genannt Kalle, Wilhelm Voigt

Café National in der Friedrichstraße. Sonntag vormittag, wenig Gäste, keine Musik. Im Hintergrund, über einer breiten Portierentür, ein Schild:

ZUM BILLARD-KLUB »BONNE QUEUE« GESCHLOSSENE VEREINIGUNG

Von dort hört man das klickernde Geräusch der Billardkugeln, dann und wann gedämpfte Rufe der Spieler.

Einige umfängliche Damen sitzen stur und gelangweilt an Marmortischen, der frühen Stunde zum Trotz, wie Soldaten, die auch bei ungünstigster Gefechtslage ihren Posten nicht verlassen.

Die Kellner lackeln müde am Büfett.

Im Vordergrund rechts sitzen Wilhelm Voigt und Paul Kallenberg, genannt Kalle. Kallenberg ist bedeutend jünger als Voigt, mit kleinem, verkniffenem Gesicht, entzündeten Augenlidern, Gefängnisblässe. Er trägt Kragen und grelle Krawatte.

KALLE

Wo hastn heite Nacht jepennt?

VOIGT

Bein Bahnhof Wannsee, und denn uff ne Bank im Jrienen. Wie’s kalt jeworden is, bin ick bis Zoo jefahren und hab mir in Wartesaal jesotzen.

KALLE

Ick hab in ’n Bett jelegen. Piekfein.

VOIGT

Wieso denn? Wie hastn det jeschafft?

KALLE

Ick hab ne Visite jemacht, bein Schmittchen, weeßte, den Anstaltsgeistlichen von Moabit, den mit de Plüschaugen, den wa imma det Riehr-Ei jenannt hahm. Der hat uns ma seine Adresse jejeben, det wa ihm sollten vont neie Leben und von unsre Besserung ’ne Ansichtskarte schreiben. Ick schelle so jejn achte, det Meechen macht mir uff, ick rasch ’n Stiebel in de Türspalte: und rin!! Da sitzense umn Tisch rum und labbern rote Gritze. Nu ha’ck mir an de Wand jelehnt un de Hende vort Jesichte jeschlagen und habe jeweint, det ma de Tränen nur so in de Stoppeln jekullert sind. Det kann ick neemlich jetzt prima mit meine vakiehlten Knalloogen. »Son trauliches Familienleben«, ha’ck jewimmert – »Jottachjott, wer det ooch mal hette!« Da hat er mir jleich ne Suppe jejeben, und denn noch ’n Ende Wurst mit sone mehligen Kartoffeln zu, un in sein Sohn sein Bette hat er mir jelegt, un der mußte auft Kanapee pennen. »Joachim«, hat er zu sein Sohn jesacht – »übe dir mal wieder in de christliche Nächstenliebe.« Son Schmußlappen.

VOIGT

Na un denn?

KALLE