Der heilige Erwin - Jasna Mittler - E-Book

Der heilige Erwin E-Book

Jasna Mittler

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Beschreibung

Es ist 2000 Jahre her, seit Gott zum letzten Mal auf der Erde nach dem Rechten gesehen hat. Da Jesus damals von den Menschen nicht sehr freundlich behandelt wurde, beschließt Gott, sich dieses Mal selbst hinunter zu begeben. In Köln schlüpft er in den Körper des obdachlosen Erwin und gerät in unerwartete Schwierigkeiten ...

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Ungekürzte Ausgabe im List Taschenbuch List ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 12. Auflage November 2021 © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2005/ List Verlag Umschlaggestaltung: RME Roland Eschlbeck und Kornelia Rumberg (nach einer Vorgabe von Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, München – Zürich) Titelabbildung: © Vivien Thiessen Satz: LVD GmbH, Berlin eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-8437-0356-7

1

Hinter den verschlossenen Toren des kleinen Sitzungssaals hält die Dreifaltigkeit ein Arbeitstreffen ab. Der Heilige Geist hat das Wort. Bereits seit Stunden berichtet er über seine Arbeit als Außenminister und über die neuesten Probleme, die beim Kontakt mit der Schöpfung aufgetreten sind. Ihm gegenüber thront Gott an seinem mächtigen Schreibtisch und hört aufmerksam zu. Jesus, der auf der Tischkante sitzt und die Beine baumeln lässt, träumt vor sich hin. Endlich beendet der Heilige Geist seine Ausführungen und sinkt erschöpft in sich zusammen: »Und das alles muss ich jetzt innerhalb der nächsten zwei Wochen erledigen. Ich weiß wirklich nicht, wo mir der Kopf steht!« Dabei hat er gar keinen, denkt Jesus und grinst. Jetzt ist Gott an der Reihe. Er räuspert sich und lässt seine Stimme ertönen: »Schön. Ihr habt wirklich gut gearbeitet. Aber eine Sache gibt es noch zu erledigen. Erinnert ihr euch an das Projekt ›Erde‹?« Jesus schaut auf, hellhörig geworden. »Wir haben da wohl ein bisschen geschludert in den letzten, hm, zweitausend Jahren. Die Menschheit hat sich ausgebreitet. Es geht dort unten ziemlich chaotisch zu. Um es kurz zu machen: Ich möchte einen Bericht über die aktuelle Lage – in welchem Zustand ist der Planet, wie geht es den Bewohnern, das Übliche eben. Schaffst du das noch bis zum nächsten Mal?« Er richtet einen durchdringenden Blick auf den Heiligen Geist, der energisch abwinkt. Da meldet Jesus sich zu Wort: »Aber Vater, ich könnte doch …« – »Nix da. Du gehst mir da nicht mehr hin. Keine Widerrede!« Jesus verdreht die Augen. Dass der Alte immer so nachtragend sein muss. Dabei war es doch gar nicht seine Schuld, dass die Sache damals so schief gegangen ist! Aber Gott hat entschieden: »Dann muss ich die Arbeit wieder mal allein machen. Na schön. Ich werde versuchen, Kontakt mit den Menschen aufzunehmen. Und wenn alles nichts hilft, reise ich eben hinunter. In dem Fall wirst du, mein Sohn, hier meinen Platz einnehmen und die Neuankömmlinge begrüßen. Das nächste Mal zeige ich euch dann, was ein Bericht ist! So, hiermit erkläre ich die heutige Dreifaltigkeitssitzung für beendet. Auf zu neuen Taten,AMEN.« – »AMEN«, antworten die beiden anderen wie aus einem Mund, und die Versammlung löst sich in Luft auf.

Gott macht sich unverzüglich an die Arbeit. Er meditiert ein wenig und lenkt dabei seine Aufmerksamkeit in Richtung Erde. Mit Freude entdeckt Er, dass die Menschen in der Zwischenzeit ein Kommunikationsmittel entwickelt haben, das es ihm erlaubt, ohne die Hilfe von Engeln mit ihnen in Kontakt zu treten.T-E-L-E-F-O-Nnennt sich das Ding. Gott malt sich aus, wie er damit die ganze Arbeit bequem von zu Hause aus erledigen kann. Jesus und der Heilige Geist werden staunen, wenn Er ihnen so schnell Ergebnisse präsentiert! Bloß ein Problem gibt es noch: Wen um Himmels willen soll Er anrufen bei einer Bevölkerungsdichte von, Pi mal Daumen, acht Milliarden? Da muss Er eine Entscheidung fällen!

Gott begibt sich in die Werkstatt und öffnet den großen, alten Wandschrank, in dem Er die Modelle seiner Schöpfungen aufbewahrt. Ganz hinten im Fach mit den Planeten, eingekeilt zwischen einer etwas verblichenen Miniaturausgabe des Mars und dem ramponierten Modell der Venus wird Er fündig. Vorsichtig zieht Er eine kleine Kugel hervor und pustet die Staubschicht ab, sodass der »blaue Planet« seinem Namen wieder gerecht wird. Er legt den Globus auf seine Handfläche und stößt ihn an, dass er sich um die eigene Achse dreht. Nun wird es spannend. Bei geschlossenen Augen lässt Gott den Zeigefinger der anderen Hand auf die Kugel herabfahren und bringt sie dadurch zum Stillstand. Er schlägt die Augen auf, um zu sehen, welches Land Er getroffen hat. Seine Fingerspitze liegt auf … Deutschland!

2

Gott nimmt in seinem Lieblingssessel Platz und bereitet sich auf sein erstes Telefonat vor. Er ist etwas auf geregt. Wie sich die Menschheit wohl entwickelt hat? Er wandelt seine Energien in elektromagnetische Strahlen um und schleust sich damit ins irdische Funknetz ein.

Ein Tuten, dann meldet sich eine brüchige Frauenstimme: »Hallo?« – »Guten Tag, meine Dame, hier spricht Gott.« – »Wer ist da, bitte?« – »Gott!« – »Entschuldigen Sie, ich höre so schlecht. Könnten Sie etwas lauter sprechen?« – »Gott, meine Dame, Gott. G-O-T-T. Gott!!!« Sie zögert einen Augenblick, dann sagt sie: »Nein, da sind Sie aber falsch verbunden. Den haben wir hier nicht« … und legt auf.

Zweiter Versuch. Diesmal ist ein Kind am Apparat. »Hallo, meine Kleine. Hier ist der liebe Gott. Sind deine Eltern zu Hause?« – »Ja, Mama ist in der Küche.« – »Kannst du sie bitte ans Telefon holen?« – »…« – »Na, wird’s bald?« – »Machst du mir zu Weihnachten ein Pferd?« – »Wie bitte?!« – »Du bist doch der liebe Gott. Mach mir ein Pferd!« – »Hör mal, sei jetzt bitte ein braves Mädchen und hol deine Mami ans Telefon!« – »Es soll ganz rosa sein und Cindy heißen, und nachts soll es in meinem Bett schlafen!« – »Ich will, dass du jetzt endlich deine Mutter an den Apparat holst!!« Heftiges Schluchzen am anderen Ende. Im Hintergrund hört Er eine Stimme: »Nadine! Kann man nicht einen Moment seine Ruhe haben?« – »Mamaaaa! Der liebe Gott ist am Telefon und macht mir kein Pferd!« Gott vernimmt ein klatschendes Geräusch, das Kind weint lauter. Die Mutter schreit: »Ich habe dir tausendmal gesagt, du sollst nicht allein ans Telefon gehen. Warte nur, bis der Papa nach Hause kommt!« Dann ist die Frau selbst am Apparat, aber Gott hat genug gehört und verabschiedet sich mit einem Klicken in der Leitung.

Das ist schwieriger, als Er erwartet hat. Gott atmet tief durch und versucht es noch einmal. Ein Mann hebt ab, und Er stellt sich seinem Gesprächspartner vor. »Gott? Wirklich wahr? Der echteGott? Der einzige –« –»Jajaja, genau der. Dürfte ich Ihnen ein paar Fragen stellen?« – »O mein Gott! Äh, ich … Ogottogott!« – »Es ist nämlich so, ich arbeite gerade an einem Projekt über die Lage der Mensch …« – »Vergib mir, Herr, denn ich habe gesündigt!« – »Hä?« – »Bitte verzeih mir, Herr! Ich tue es auch nie wieder!!« – »Hören Sie auf, Mann! Beruhigen Sie sich doch! Ich möchte einfach nur wissen, wie es Ihnen so geht, als Mensch, auf Erden …« Aber der andere wimmert nur noch unverständliches Zeug, und Gott wird es zu bunt. Er bricht den Kontakt ab und lässt sich ermattet in den Sessel zurücksinken. Na dann eben nicht!, denkt Er ärgerlich und reibt sich die Schläfen. Sollen sie doch selber zusehen, wie sie da unten zurechtkommen! Und Er beschließt, nie wieder mit den Menschen in Verbindung zu treten.

Wenig später begegnet Gott dem Heiligen Geist, der wie immer außer Atem ist. »Ich komme gerade zurück vom Planeten Xyphüs und muss gleich los zur Besprechung mit den Krosspisianern«, ruft er. Schon will er vorbeieilen, da hält er einen Augenblick inne: »Apropos: Wie läuft’s denn so mit dem ›Projekt Erde‹?« Gott senkt peinlich berührt den Blick. »Ach, die Erde …«, Er zögert einen Moment, ehe Er fortfährt: »Sehr gut! Ich habe schon einiges herausgefunden. Morgen früh werde ich mich auf den Weg machen, um meine bisherigen Erkenntnisse vor Ort zu vertiefen.« Der Heilige Geist nickt ihm zu und hastet weiter. Gott ärgert sich über seine eigene Geschwätzigkeit. Aber Er darf ja nicht lügen, und gesagt ist gesagt. Nun bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Reise vorzubereiten, seinem Sohn die Amtsgeschäfte zu übertragen, die nächsten Chorproben der Engel abzusagen und zur Erde hinabzufahren.

3