Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Anton Lacroft durchleuchtet das Mysterium des Heiligen Grals. Er verwendet dafür eine neue Leseart der Gralsdichtung, wonach diese verschlüsselt ein sexualmagisches Yoga überliefert. Die Katharer und Templer hüteten dieses uralte Geheimnis, das bereits den Sumerern bekannt war. Es wurde in Uruk jedes Jahr vom Stadtfürsten mit der höchsten Priesterin auf der Zikurrat gefeiert: Die Heilige Hochzeit des Hirten Tammuz mit der nackten Göttin Inanna. Hinter dieser profanen Tradition verbirgt sich das sexualmagische Arkanum der Macht. Im Osten wurde der hieros gamos zum Kern des indischen und tibetischen Tantrismus. Darstellungen buddhistischer Gottheiten beim Geschlechtsakt sind dort keineswegs verpönt sondern sichtbar gemachte spirituelle Unterweisungen. In der westlichen Alchemie wird der magische Koitus diskret in den Bildern der „Chymischen Hochzeit des Christian Rosenkreuz“ ausgestaltet.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 222
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Einführung
I Der Heilige Gral in den literarischen Quellen
1. Die mittelalterliche Gralslegende
2. Chréstien de Troyes: Perceval und die göttliche Liebe
3. Robert de Boron: Geschichte des Heiligen Gral und Trinität
4. Wolfram von Eschenbach: Parzifal und das Kaiserreich
5. Minnedienst und Rittertum
6. Der tantrische Weg des Gral
II Der Heilige Gral und die Blutlinie Christi
1. Der Jesus des Heiligen Grals?
2. Der Heilige Gral und das Blut Christi I
3. Wie der Gral nach Europa kam
III Der Heilige Gral und östliche Lehren
1. Ging Jesus nach der Kreuzigung nach Indien?
2. Thomas, der Zwilling, in Indien
3. Wer war Thomas, der Zwilling?
4. Thomas, der Zwilling und Astralleib
5. Der Gral und die Nephilim
IV Der Heilige Gral und die Katharer
1. Der Kult der Mandäer
2. Die Nazoräer und die Zeloten
3. Die Gnosis und die Mandäer
4. Katharer und Mandäer
5. Das Geheimnis der Katharer
V Der Heilige Gral und Tantrismus
1. Tantrischer Buddhismus
2. Der Adi Buddha als Demiurg der Gnostiker
3. Herrschaft durch Magie im Kalachakra-Tantra
4. Mandalas als Zauberkreise der Weltmacht
5. Tantrisches Gralsyoga und Boddhisattva-tum
VI Der Heilige Gral und Alchemie
1. Tantrismus und Alchemie: Der Gral als Lebenselixier
2. Die Gewinnung der Gynergie in der chymischen Hochzeit
3. Adi Buddha, der Hermaphrodit der Alchemisten
4. Innere Alchemie von Wesensnatur und Lebensenergie
VII Der Heilige Gral und Einweihungsgrade
1. Der Stufenweg in der "Chymischen Hochzeit des Christian Rosenkreuz"
2. Die Transmutation der Alchemisten
3. Der Stufenweg in Eschenbachs Parzifal
4. Der Stufenweg des Kalachakra-Tantras
5. Der Stufenweg im Johannes Evangelium
6. Der Heilige Gral und das Blut Christi II
VIII Bibliographie
Der Heilige Gral ist eines der grössten Geheimnisse der westlichen Kultur. Vieles wurde über ihn gesagt und geschrieben und doch bleibt seine Existenz immer noch rätselhaft. Die einfachste Erklärung besagt, dass der Gral das Gefäß sei, aus dem Jesus Christus den Wein des letzten Abendmahls gespendet habe. Diese Reliquienschale soll heute in der Kathedrale von Valencia aufbewahrt werden. Doch nicht in allen Quellen wird der Gral als Kelch verstanden. Im „Parzifal“ zum Beispiel ist er ein Stein. Wolfram von Eschenbach lenkt damit die Aufmerksamkeit der Gralssucher auf ein anderes Mysterium der Geheimwissenschaften: den Stein der Weisen. Die Alchemisten glaubten, dass dieser eine Universalmedizin sei, die ewiges Leben schenken könne. Die gleiche Wirkung wird dem Gral zugesprochen. Es liegt folglich auf der Hand, dass die Gralsdichtung und die alchemistischen Schriften der Rosenkreuzer im Kern vom Gleichen sprechen. Wir vertreten die These, dass es sich hierbei um eine geheime Geistschulung handelt, die als Ziel einen höheren Bewusstseinszustand lehrt. So gesehen ist der Gral die höchste Stufe dieser Ausbildung. Es lässt sich mit der Erleuchtung östlicher Yogis und Gurus vergleichen. Allerdings ist dieses Wissen nur einer auserwählten Schar von zukünftigen Herrschern vorenthalten. Mit ihren auferweckten übersinnlichen Kräften lenken sie die Geschicke der Völker. Früher oblag diese Aufgabe den Königen und Kaisern. Mittlerweile haben demokratisch gewählte Politiker ihre Aufgabe übernommen. Wir lassen es offen, ob auch sie zum Gral berufen wurden.
Was ist der Heilige Gral? Das ist die Frage, die wir hier erörtern. In den mittelalterlichen Ritterromanen wird er von einigen gesucht und von andern gesehen. Er wird von geheimnisvollen Rittern bewacht und von jungfräulichen Trägerinnen herbeigebracht. Bald ist er fassbar, bald ist er ätherisch und entzieht sich unseren Sinnen, oder er wird mit Jesus Christus gleichgesetzt. Auch seine Namen lauten unterschiedlich: Graal, Saint Graal, Seynt Grayle, Sangréal, Sankgreal, Sangrail, Sank Ryal, Holy Grail oder Heiliger Gral. Eine zeitgenössische Definition des Wortes „Gral“ lautet: „eine Wunder wirkende Schale im höfischen Roman“. Etwas davon abweichend besagt die etymologische Erklärung, dass im Mittelhochdeutschen der „grāl“ ein „heiliges, wundertätiges Ding, ein heiliger Stein“ ist. Das Wort „Gral“ kommt aus dem Altfranzösischen „graal“ und bedeutet „Gefäß“. Davon ausgehend lässt es sich auf die lateinische Wendung „crātālis“ für „Schüssel, Topf“ oder den mittellateinischen Ausdruck „gradālis“ für „Stufenkelch“ zurückführen. Fazit: Es gibt kein einheitliches und genaues Verständnis für die Bedeutung des Begriffs „Gral“. Die verschiedenen Erklärungen sind zu vage.
Wie wird der Gral in den mittelalterlichen Romanen beschrieben? Beim jüdischen Dichter Chrétiens de Troyes, der das erste Werk der Gralsliteratur publiziert, finden wir folgenden Bericht über den Gral: „Eine schöne, edle und wohlgeschmückte Jungfrau, die mit den Knappen hereintrat, hielt einen Gral zwischen ihren beiden Händen. Als sie mit dem Grale, den sie trug, eingetreten war, da kam damit ein so großer Glanz herein, dass die Kerzen ihre Helligkeit ebenso verloren, wie die Sterne, wenn die Sonne und der Mond aufgeht. Hinter dieser Jungfrau kam eine andere, die einen silbernen Teller trug. Der Gral, der vorausging, war aus reinem, feinem Golde. Kostbare Steine der verschiedensten Art waren an dem Grale, die reichsten und teuersten und kostbarsten, die es im Meer und in der Erde gibt: Die Steine am Gral übertrafen ohne Zweifel alle anderen Steine.“1 In dieser Darstellung Percevals erscheint der Gral als ein kostbarer Gegenstand aus Feingold, der reich mit Edelsteinen geschmückt ist. Er ist vielleicht eine Reliquie oder ein magischer Fetisch. Perceval sieht einen strahlenden Glanz von ihm ausgehen, erläutert aber nicht, woher dieses Licht stammt.
Beim burgundischen Autor Robert de Boron, dessen Versroman "Joseph d'Arimathia - Roman de l'Estoire dou Saint Graal”, 1190 erscheint, steht über den Gral geschrieben: „Unser Herr hob empor das kostbare und edle Gefäß, worin das allerheiligste Blut war, das Joseph aufgefangen hatte, als er ihn vom Kreuze abnahm und ihm die Wunden wusch.“2 Hier wird der Gral mit der Passionsgeschichte verflochten. Es heißt von ihm analog zu Matthäus Kap. 26, Vers 27, er sei das Gefäß mit dem vergossenen Blut Christi. Weiter unten lässt der Dichter Jesus selbst erklären, dass das Gefäß „Kelch“ genannt werden soll und die Platte, die darauf liege, den „Stein“ bedeute, mit dem sein Grabmal versiegelt wurde.3 Im weiteren Verlauf des Textes gibt uns de Boron aber ein neues Rätsel auf, als er selbst erklärt, was der Gral ist. Da bezieht er sich nicht auf den Kelch sondern auf etwas anderes: „Ich wage nicht zu erzählen noch zu berichten noch könnte ich es tun, selbst wenn ich es wollte, hätte ich nicht das große Buch, worin die Geschichten von den großen Gelehrten verzeichnet, erzählt und aufgeschrieben sind, darin die großen Geheimnisse geschrieben, die man den Gral nennt.“4 In dieser Passage ist der Gral nicht ein Gegenstand sondern vielmehr eine Sammlung von Geheimnissen, welche Gelehrte in einem Buch aufgeschrieben haben. Mit anderen Worten, der Gral, ist eine geheime Lehre.
Was diese Geheimlehre beinhalten könnte, lässt sich am ehesten bei Wolfram von Eschenbachs „Parzifal“, der 1210 herausgegeben wurde, erahnen. Bei ihm wird der Gral in einer Prozession von wunderschönen Jungfrauen in Saal der Gralsburg hereingetragen. Während er über den Gral kaum drei Sätze verliert, lässt er sich ausgiebig über diese Mädchen aus. Über den Gral steht: „(…), die anderen vier aber trugen achtsam einen kostbaren Stein, durch den am Tag Sonnenlicht durchscheinen konnte. Darnach war sein Name geheißen, es war Granathyazinth, der lang und breit war.“5 Weiter erzählt Wolfram, dass er dem kranken Meister als Speise dient. Der Gral ist hier ganz anders als bei den französischen Vorbildern kein Gefäß, sondern ein Stein, der darüber hinaus verzehrt werden kann. Damit liefert der deutsche Dichter eine neue Definition des Grals, welche ganz in der Nähe der Alchemisten- und Rosenkreuzerlehren anzusiedeln ist. Der Gral ist vielleicht der Stein der Weisen oder das Lebenselixier. Weitere Schlüsse über die „Geheimlehre“ lassen sich aus der Beschreibung der Gralsbegleiterinnen ziehen: „(…); es waren klare Jungfrauen. Zwei Kränze auf dem offenen Haar, schmückten ihre Häupter, (…) Ihr Haar war lockig, lang und blond. Sie trugen brennende Lichte. (…) Danach kam eine Herzogin mit einer Begleiterin. Sie trugen zwei Bänklein von Elfenbein. Ihr Mund leuchtet wie Feuer so rot. (…) Seht inzwischen waren vier weitere Frauenpaare herangetreten. Die waren dazu bestimmt, dass vier von ihnen große Kerzen trugen.“6 Ausgehend von dieser ins Erotische tendierenden Darstellung der weiblichen Gralsentourage, leiten wir unsere Interpretation ab, wonach verschlüsselt in der Gralsdichtung eine sexualmagische Lehre überliefert wird. Diese Geheimlehre steht in direktem Zusammenhang mit dem Wissen der Alchemisten und dem indischen und tibetischen Tantrismus.
Unsere Leseart der Gralstexte zielt darauf, die darin verborgenen tantrischen Unterweisungen zum Vorschein zu bringen. Wir gehen davon aus, dass der Gral ein sexualmagischer Einweihungsweg ist, um die feinstofflichen Energiezentren der Gralssucher zu aktivieren und ihre übersinnlichen Kräfte zu erwecken. Ravenscroft legt dem Kapitel, in welchem die Stadt Patelamunt von sechzehn Rittern belagert wird, eine solche Deutung zugrunde. Die Stadt hat sechzehn Tore, wobei vor acht Toren schwarze und vor den andern acht weiße Ritter stehen. In dieser Passage geht es um das Hals-Chakra, welches bei den Buddhisten als sechzehnblättrige Lotusblüte in der Nähe des Kehlkopfes verstanden wird.7 Eschenbach wiederholt die Zahl Sechzehn noch einmal in der Kapitelunterteilung seines Epos. Entsprechend kann der Kampf um die Stadt Bearosche mit ihren sechs Toren als Erweckung des Herz-Chakras gedeutet werden. Den Kelch schließlich sieht Ravenscroft als Sinnbild des Kopfes und die Hostie darin sowohl als das Gehirn wie auch als Zirbeldrüse, die zu den innersekretorischen Drüsen zählt. Sie ist ein erbsengroßer, rundlicher und länglicher Körper in der Mitte des Gehirns und wird für die sexuellen Vorgänge verantwortlich gemacht, da ihr Hormon eine übermäßige geschlechtliche Entwicklung hemmt. Indische Meister nennen sie "das Auge Shivas". Das Streben der Yogis zielt darauf hin, dieses Auge zu öffnen um erleuchtet zu werden. Der Heilige Gral ist demnach ein ekstatischer Bewusstseinszustand, der von den Eingeweihten angestrebt wird. Bei den Techniken, die dabei angewendet werden, handelt es sich um sexualmagische Methoden, die aus dem antiken Sumer stammen. Dazu passend leitet Ravenscroft die Herkunft des Grals vom sumerischen Gott Marduk, dem Herrscher der kosmischen Intelligenz ab. Eine ähnlich lautende Legende besagt, dass der Gral ein Smaragd sei, der sich von der Stirn Luzifers löste, als der Erzengel Michael ihn schlug.8 Auch sie weist auf ein machtvolles geistiges Zentrum in der Stirnmitte hin.
Den ersten Gralsroman veröffentlicht im Jahre 1180 Chrestien de Troyes unter dem Titel "Perceval ou le Conte du Graal". Welche Quellen ihm bei der Niederschrift zur Verfügung standen, ist bis heute unbekannt geblieben. Möglicherweise hat er sich von den irischen Abenteuergeschichten, den "echtrai", inspirieren lassen. Sie "berichten von phantastischen Reisen der Helden zu Inselreichen und den Palästen der Götter und Unsterblichen. Dort werden die heldenmütigen Krieger mit erlesenen Speisen und Getränken aus niemals versiegenden, goldenen Schüsseln bewirtet."9 Die Tradition der Kelten konnte sich in Irland am unverfälschtesten erhalten. Sie wurden nicht wie die Briten, Waliser und Gallier von den Römern unterjocht. Hohe Würdenträger der Kelten brachten dieses Wissen im siebten Jahrhundert in die Bretagne, als sie vor den einfallenden Angeln und Sachsen ins Exil fliehen mussten. Auf diesem Weg gelangten die irisch-britischen Eingeweihten nach Frankreich, wo ihr Wissen vermutlich mündlich von Generation zu Generation weiter tradiert wurde. Das mag mitunter der Grund dafür sein, dass Chrétiens de Troyes' Gral noch stark von magisch-heidnischen Einflüssen geprägt ist. Lanze und Gral sind wundertätige Gegenstände wie aus einer Märchenwelt. Die Schilderung schöpft sichtbar aus dem Wissen der Druiden. Die großen Sagen um König Artus wurden erstmals um 1135 vom englischen Geschichtsschreiber, Gottfried von Monmouth, in schriftlicher Form erfasst. Die Legenden zeichnen ein hehres Bild der Artusritter, welche den Schwachen und Bedrängten helfen, Frauen, Jungfrauen und Kinder schützen und sich für die Gerechtigkeit einsetzen. Wir erkennen hier bereits das Ideal christlicher Menschlichkeit. Auch Chréstiens de Troyes Werke nähern sich im Verlauf seiner künstlerischen Entwicklung dem Christentum an. Lässt er in seinem „Perceval“ noch viele keltische Elemente einfließen, so orientiert er sich in der Legende von "König Wilhelm von England" deutlich stärker an christlichen Idealen.
Ein wesentliches Merkmal von Chréstiens Erzählung ist ihre duale Struktur, die durch die beiden Helden Perceval und Gauwain vorgegeben wird. Chréstiens schöpft seine Dichtung aus der formenden Kraft der Antithese. Dieses Gestaltungsprinzip benutzt er zum ersten Mal in seinem Werk "Eric", wo die Hauptfigur das Herz seiner Gemahlin durch einen Zweikampf gewinnt. Am Ende der Geschichte verknüpft er auf geniale Weise den in seinem Liebesglück gefangenen Eric mit seinem Spiegelbild, dem Ritter Mabonagrain, der den Zaubergarten nicht verlassen darf. Indem Eric den Ritter besiegt, erlöst er sich selbst. Dieses Prinzip bestimmt auch den "Perceval", wo sich die Abenteuer der beiden Freunde Perceval und Gauwain spiegelsymmetrisch zueinander verhalten.10 Die beiden Ritter repräsentieren unterschiedliche seelische Bereiche: Gauwain steht für die Bewusstseinsseite, während Perceval mit einer traumartigen Dimension verbunden ist. Im fünfzehnten Kapitel wird Perceval durch drei Bluttropfen im Schnee für längere Zeit in einen traumartigen Zustand versetzt. Dabei scheint von der reflektierenden Schneedecke eine ähnliche Wirkung auszugehen wie von einem blendenden Spiegel. Wer lange genug in eine helle Glasfläche starrt, kann sich dadurch in Trance versetzen. Es ist dann so, als ob er mit offenen Augen träumen würde. Der Spiegel wird zur Projektionsfläche der Fantasie. Er zeigt eine innere Realität. Das Magische am Spiegel ist die Projektion, die durch ihn geschieht. Wir identifizieren uns mit einem substanzlosen Bild, das durch eine glänzende Oberfläche zurückreflektiert wird. Die symbolische Bedeutung des Spiegels "wurzelt in dem Glauben an eine Identität des Spiegelbildes mit seinem Urbild. Bereits in der Antike war die Vorstellung vertraut, dass die sichtbare Schöpfung ein Spiegel Gottes sei."11 Aber auch der widerscheinende Glanz, welcher von ihm ausgeht, wenn er das Licht der Sonne auffängt, hat magische Eigenschaften. Ein Hypnotiseur kann eine dazu geeignete Person mit einem glänzenden, lichtreflektierenden Gegenstand in Trance versetzen. Durch den Zustand der Trance entfalten die mongolischen Schamanen ihr magisches Wirken. Auch vom Gral geht ein so großer Glanz aus, dass „die Kerzen ihre Helligkeit ebenso verlieren wie die Sterne, wenn die Sonne oder der Mond aufgeht“.12 Eine symbolische Darstellung dieses Glanzes findet sich bei Anathasius Kircher. In einer Illustration aus der "Ars magna lucis et umbrae" (1665) stellt er eine christusartige Apollogestalt mit einem Merkurstab in der Hand dar, der über einem Doppeladler schwebt. Von ihm geht ein strahlendes Licht aus. Drei Strahlen werden davon herausgehoben. Einer reflektiert in einem Spiegel, der durch die Mondgöttin Diana gehalten wird, und wird auf eine Schale weiter gelenkt. Ein zweiter dringt durch eine Felswand in eine Höhle, wo er auf einen Schild und einen Speer trifft.13 In diesem Bild kommt unserer Ansicht nach die Qualität des Gralslichtes zum Ausdruck. Das Licht des Grals, welches durch die Mondgöttin reflektiert wird, geht vom Sonnengott Apollo aus. Auch wenn Apollo und Diana dem Mythos nach Bruder und Schwester sind, schwingt in der Metaphorik Kirchers eine unterschwellige sexuelle Note mit.
Der Gral symbolisiert in abstrakter Form die weibliche Scham und der Speer den männlichen Phallus. Eine Symbolik, die sich ohne weiteres aus den religiösen indischen Darstellungen der Yoni und des Lighams herleiten lässt. Eine Schale oder ein Gefäß steht für Yoni, den weiblichen Schoss und ein Ligham für die männliche Zeugungskraft. Die Vereinigung beider Symbole im Jungbrunnen gilt in Indien als populärste Darstellung des göttlichen Wesens. Auch in Chréstien de Troyes "Perceval" erscheinen beide Geschlechtssymbole an zentraler Stelle, nämlich im Innern der Gralsburg, wo in einer Prozession den Rittern zuerst die blutende Lanze und anschließend der glänzende Gral vorgeführt wird. Die Trance, die bei der schamanischen Magie von so zentraler Bedeutung ist, kann nicht besser als im Bild geschlechtlicher Vereinigung verdeutlicht werden, wo die Sexualpartner im Orgasmus den gleichen ekstatischen Zustand erreichen.
Die für unsere Themenstellung mit Abstand wichtigste Charakteristik von Chrétiens Gralsroman, ist seine Aufnahme der höfischen Minnedichtung der Troubadoure und Minnesänger. "Liebe in allen Gestalten ist das innere Thema Chréstiens."14 Sicher hat er den Stoff für seine Liebesszenen durch Ovids Schatz römischer Liebeskunst, seiner "ars amandi" bereichert, mit dem er sich am Anfang seiner Karriere beschäftigt hat. In der unvollendet gebliebenen Geschichte "Lancelot der Karrentreiber" greift der Dichter zum ersten Mal das Thema der "Queste" auf. Schließlich finden wir die Kombination von „Queste“ und „ars amandi“ in seinem Meisterwerk „Perceval“, wo die Gralssuche des Helden dem Suchen nach der erlösenden Sinnlichkeit der Liebe gleicht. Die Geschlechtlichkeit des Grals steht in unmittelbarem Zusammenhang zu den Jungfrauen innerhalb der Gralsgeschichte. Die Beschreibung der Jungfrau Blanchefleur (Weiße Blume) ist voller dezenter Sinnlichkeit: "Wenn ich jemals die Schönheit beschrieb, die Gott in den Körper oder das Antlitz einer Frau gegeben hat, so beschreibe ich diese nun mit Wohlgefallen und will mit keinem Worte lügen: sie trug kein Haargebände, und man konnte glauben, die Haare wären aus feinem Golde, so leuchtend und rotblond waren sie."15 Auch der Gral ist aus "reinem, feinem Golde und leuchtend wie die Haare der Jungfrau”. "Haar gilt auf Grund seines Wachstums als Träger von Lebenskraft, bei den Griechen als Sitz des Lebens."16 Sowohl der goldene Kelch als auch die goldenen Haare der Jungfrau verweisen in ihrer Thematik auf die Sexualkraft. Das strahlende Leuchten des Grals ist die Lichtqualität der Lebensenergie. Die zweite Eigenschaft der Blanchefleur, ihre Unberührtheit, wird mit der wiederholten Verwendung der Farbe Weiß betont: "Ihre Stirne war weiß, hoch und glatt, wie wenn sie mit der Hand geformtwäre, ja als wäre sie von Menschenhand aus Stein oder Elfenbein oder Holz gebildet."17 Die Farbe Weiß, welche für die Jungfräulichkeit im Sinne der "virgina intacta" steht, wird nach der Gralsprozession auf der Gralsburg im Bild des weißen Schnees wieder aufgenommen. Diesmal erscheint sie mit drei Blutstropfen, welche von einer Gans stammen, die durch einen jagenden Falken am Hals verletzt wurde. Aus der Lanze, sie wird im Altfranzösischen mit dem Adjektiv "blanche" beschrieben, quillt ebenfalls ein Blutstropfen. Es scheint evident, dass hier in symbolischer Sprache eine Entjungferung beschrieben wird. Perceval sieht wie der Blutstropfen aus dem Eisen der Lanze bis auf die Hand des Knappen fließt. Aber er enthält sich der Frage, wie dies geschah. Als er die drei Blutstropfen im Schnee sieht, fällt er in eine merkwürdige Trance, da er an das Gesicht seiner Liebsten, an ihre roten Wangen und Lippen und an ihre schneeweiße Haut erinnert wird. Dann besiegt der somnambule Perceval nacheinander zwei von König Artus' Ritter. Erst als der Schnee zu tauen beginnt und sein "Spiegel" Gawain ihn begrüßt, erwacht er wieder und beide Ritter werden von einer brüderlichen Zuneigung zueinander erfasst. Den vorangegangenen Trance-Zustand könnte man auch als Meditation verstehen. Damit wird die Perforation mit einer tiefen Versenkung verbunden, die eine deutliche tantrische Qualität besitzt und mit der Gewinnung der Gynergie, der weiblichen Lebenskraft, zusammenhängt. Das Auftauchen Gauwains am Ende der Meditation verweist ein weiteres Mal auf dessen Bewusstseinsqualität. Das Perceval aus seinem traumartigen Bewusstsein erwacht, zeigt zudem, dass Gauwain in der Alltags-Wirklichkeit verankert ist.
Die geschlechtliche Thematik von der andern Seite "des Spiegels" her gesehen, spielt sich bei Percevals Alter ego, Gauwain, ab. In der materiellen Wirklichkeit vollzieht Gauwain den poetisch verschleierten "Geschlechtsakt" mit der Jungfrau Orgeluse. Als Perceval mit Gauwain zum Artus Hof zurückkehrt, wird ihm zu Ehren ein Festmahl gegeben. Die Ritter feiern drei Nächte durch, bis am Morgen des vierten Tages ein abscheulich hässliches Mädchen auf einem Maultier erscheint und den Anwesenden verkündet, Perceval habe auf der Gralsburg geschwiegen und den Gastgeber nicht nach seinen Wunden befragt. Dadurch habe er dessen Erlösung versäumt. Nun wird die Ritterrunde aufgefordert sich in einem Turnier im Kampf zu messen und zur stolzen Burg Orgeluse zu ziehen. Der Name der Burg bildet ein Homonym zum Namen der stolzen Jungfrau, dessen Liebe Gauwain später gewinnen wird. Orgeluse wird zunächst als Spiegelung in einer Ulme beschrieben, welche nicht mit ihren Reizen zurückhält: "Sie hatte ihren Mantel abgelegt und ihren Brustschleier zu Boden fallen lassen, damit man ihr Angesicht und ihren Körper nach Belieben sehen konnte."18 Hier wird die Fantasie des Lesers mit einem suggestiven, sexuellen Bild angeregt und durch den darauf folgenden zweideutigen Satz Gauwains "Nun kommet herbei, Jungfrau, ich will Euch aufsteigen helfen" noch zusätzlich auf eine erotische Ebene gelenkt. Aber die Jungfrau weist den Ritter hochmütig ab. Sie würde die Berührung durch Gauwain als Entehrung verstehen. Im siebten Kapitel reitet Gauwain kühn auf die Burg und lässt sich auf einem Wunderbett nieder, auf welchem er von hundert Pfeilen beschossen wird und einen menschenfressenden Löwen besiegen muss. In diesem Wunderbett wird wiederum verschlüsselt ein tantrisches Ritual angedeutet. Im Tantrismus, einer östlichen Sexualpraktik zur Erlangung spiritueller Erleuchtung, kontrolliert der Yogi den sexuellen Akt so, dass er nicht zum Samenerguss beim Orgasmus kommt. Wenn er die kostbare Gynergie der Jungfrau gewinnen will, muss er den Pfeilen des Liebesgottes ausweichen. Auf keinen Fall darf er sich in seine Liebesgespielin verlieben, denn dann hätte er versagt. Aber mehr noch muss er sich vor der Sexuallust in Acht nehmen, welche in der Geschichte als menschenfressender Löwe versinnbildlicht wird. Er muss sie zügeln, um ans Ziel zu gelangen. Nur so kann er das Schloss erlösen und den Zauberbann von der Burg wegnehmen. Dann erkennt er, dass die drei Königinnen, die im Schloss gefangen gehalten wurden, seine Großmutter, seine Mutter und seine Schwester sind. Die Befreiung der drei Königinnen bedeutet, dass der Held die Kraft der inneren Weiblichkeit gewinnen konnte, was in der tantrischen Lehre mit einem Zuwachs an magischer Kraft verbunden ist.
Die Zahl Drei, welche mit den drei weiblichen Aspekten Gauwains (Großmutter, Mutter, Schwester) verquickt ist, spielt nicht nur in der griechischen Mythologie sondern auch im Hinduismus eine wichtige Rolle. Der blitzwerfende Zeus regiert den Olymp, Poseidon mit seinem Dreizack das Diesseits und Hades die Unterwelt. Der Schöpfergott Brahma, der Erhalter Vishnu und der Zerstörer Shiva bilden die drei Grundkräfte des Weltalls. Die weibliche Trias des erlösten Schlosses hat engen Bezug zu den drei Mondphasen, Neumond, Halbmond und Vollmond und damit zur griechischen Mondgöttin Persephone. Im Mythos wird die Tochter des Zeus und der Demeter beim Narzissenpflücken von ihrem Onkel Hades geraubt und in die Unterwelt entführt. "Demeter suchte Persephone Tag und Nacht in der ganzen Welt, bis sie von Helios ihr Schicksal erfuhr. Während Demeters Abwesenheit und Trauer verdorrte alles Wachstum, so dass Zeus seinem Bruder Hades befahl Persephone zurückzugeben. Doch Persephone war die Rückkehr verwehrt, weil sie einen Granatapfel gegessen hatte (=Liebesgenuss). So fällt Zeus den Schiedsspruch, das Persephone zwei Drittel des Jahres bei Demeter und den Rest im Schattenreich verbringe."19 Der Mythos der Presephone spiegelt den Wachstumsprozess der Natur. So wie die Blumen im Winter unter der Erde verborgen weilen, so lebt Persephone ein Drittel des Jahres in der Unterwelt als Königin des Hades. Sie wird zur Unterweltgöttin Hekate, die sich die Griechen sowohl dreigestaltig als auch dreiköpfig vorstellten. Die restliche Zeit des Jahres, wenn die Fruchtbarkeitsgöttin Demeter regiert, sprießen die Blumen aus der Erde hervor und Persephone ist wieder mit ihrer Mutter vereinigt. Dieser zyklische Wachstumsprozess korrespondiert mit den zunehmenden und abnehmenden Mondphasen und diese wiederum mit dem Menstruationszyklus und somit mit der Fruchtbarkeit und Schwangerschaft der Frau.
Die Dreiheit ist aber auch im Christentum von zentraler Bedeutung. Hier begegnen wir der Vorstellung von Gott als dreigegliederter Einheit: Vater, Sohn und Heiliger Geist sind zugleich Dreiheit und Einheit. Das christliche Dreifaltigkeitsdogma, durch welches sich das Christentum am meisten vom Judentum und Islam unterscheidet, wurde auf den ökumenischen Konzilien von Nicàa (325 n. Chr.) und Konstantinopel (381 n. Chr.) festgelegt. Im vierten und fünften Jahrhundert wird sie zum ersten Mal "auf frühchristlichen Grabsteinen in Verbindung mit dem Christusmonogramm symbolisch dargestellt. Das Christusmonogramm kann dabei an der oberen Spitze des Dreiecks stehen."20 Augustinus hat vieles unternommen, um die Symbolisierung der Trinität als Dreieck, wie es vor allem bei den Manichäern der Brauch war, zu verhindern. Wie wir noch erläutern werden, ist mit dem Dreieck im manichäischen Kult eine tantrische Geschlechtersymbolik gemeint. Die Vereinigung von Shiva und Shakti wird im Tantrismus als das Bild zweier ineinander verflochtener Dreiecke dargestellt.
Als wesentliche Neuerung der Gralslegende bezieht Robert de Boron in "Die Geschichte vom heiligen Gral" eine starke Betonung der Trinitätslehre ein. Bereits am Anfang der Geschichte kommt er auf die Taufe des Heiligen Johannes im Jordanfluss zu sprechen. Im Namen des Vaters des Sohnes und des Heiligen Geistes werden diejenigen aus der Macht des Widersachers erlöst, die an ihn glauben.21 Die neuen Elemente in Borons Verarbeitung der Sage legen insgesamt ein viel stärkeres Gewicht auf die christlichen Einflüsse. Und so wird auch der Gral im Namen der Dreifaltigkeit eingesetzt: Als Joseph von Arimathia das kostbare und edle Gefäß erblickte, worin das allerheiligste Blut war, hörte er die Stimme Gottes aus dem Gral sprechen: "Du musst es mir hüten und auch die, denen du es anvertrauen wirst. Joseph, Du musst treu im Herzen bewahren, dass du es nur drei Personen anvertrauen darfst, die es bekommen sollen. Sie sollen es nehmen im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, und sie sollen glauben, dass diese drei Personen eine Person sind, und jede eine ganze Person."22 Auf geheimnisvolle Art verwebt de Boron das hochheilige Gefäß mit der Zahl Drei, welche auf die drei Tage zwischen Tod und Auferstehung Christi Bezug nimmt. Nach drei Tagen ist Christus wieder auferstanden von den Toten. Nun besteht auch eine Dreiheit zwischen dem Vater, der göttlichen Sphäre, der Jungfrau Maria, welche die materielle, fleischliche Ebene verkörpert und dem Gottessohn, der zu Fleisch wird. Dies wird von de Boron so aufgefasst: "Unser Herr, der in der Jungfrau die Menschheit annahm, zeigte uns große Demut, da Er uns die Gunst erwies, auf die Erde zu kommen, um den Tod zu erleiden."23
Indirekt wird in der Ehe zwischen Gott und Maria ein Hieros gamos (griech. Hl. Hochzeit) vollzogen, eine Vereinigung von Göttlichem und Irdischem, wie sie sich zum Beispiel in der indischen Mythologie zwischen Shiva und Shakti abspielt. "Der oft als Blitz verstandene Lingam dringt bei der heiligen Hochzeit in die Yoni, den durch eine Lotusblume symbolisierten Schoss der Erde, ein."24 In verschiedenen Kulten wurden solche magischen Vereinigungen im Tempelbereich im Zusammenhang mit der sakralen Prostitution durchgeführt. Der Ursprung aller dieser Kulte liegt mit Sicherheit in Sumer, wo die Heilige Hochzeit auf der Zikkurrat stellvertretend zwischen Herrscher und Priesterin vollzogen wurde. Im Mittelmeerkreis gehörten zu den so verehrten weiblichen Gottheiten Ishtar, Mylitta, Anaïtis, Aphrodite, Innini und Athagartia. Die Tempelprostitution wurde aber auch mit profanen Männern ausgeführt. Noch in der Antike war es Brauch den Geschlechtsakt gegen Geldspenden im Tempel der Venus zu vollziehen. So zum Beispiel auf dem "monte erice" in Westsizilien, wo ein Heiligtum der Göttin stand. Die Jungfrauen, die ihre Unschuld im Tempel opferten, fasste man dabei in einem gewissen Masse als Verkörperung der Göttin auf. "Der Sexualakt erfüllte so einerseits die allgemeine Funktion einer Opferhaltung, durch die die Anwesenheit von Gottheiten beschworen und wiederbelebt wurde; eine zweite Funktion war strukturell mit der Eucharistie identisch."25