Der Held Roms - Douglas Jackson - E-Book
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Der Held Roms E-Book

Douglas Jackson

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Beschreibung

Ein Mann, geboren für die Schlacht. Und dazu bestimmt, ein Held zu werden  Britannia, 60 nach Christus. Schon lange hat Kaiser Nero den Blick vom weit entfernten Außenposten Britannia abgewendet. Doch römische Gräueltaten wecken den Unmut der Britonen. Gleichzeitig erstarken die Druiden und rufen zum Widerstand gegen Rom auf. Es kommt, wie es kommen muss: Die kriegerische Königin Boudicca führt die britonischen Stämme in den Krieg. Der Tribun Gaius Valerius Verrens, Befehlshaber der Veteranenlegionen im Lager Colonia, stellt sich der wachsenden Gefahr. In einem erbittert geführten Gefecht kämpft Valerius Seite an Seite mit seinen Veteranen gegen Boudiccas Horden – und droht zu verlieren. Unter hohen Verlusten ziehen die Legionäre sich in den Tempel des Claudius zurück. Hier, in den heiligen Mauern, entscheiden allein die Götter über Sieg oder Niederlage, Leben oder Tod.

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Der Held Roms

Der Autor

DOUGLAS JACKSON wurde in Schottland geboren. Die Leidenschaft des gelernten Journalisten gehört der Antike, genauer gesagt, dem alten Rom. In Großbritannien ist seine Serie um den römischen Tribun Valerius mittlerweile eine der erfolgreichsten des Genres. Douglas Jackson lebt mit seiner Familie in der Nähe von Stirling, Schottland.

Das Buch

Britannia, 60 nach Christus. Kaiser Nero hat den Blick vom weit entfernten Außenposten Britannia abgewendet und römische Gräueltaten wecken den Unmut der Britonen. Gleichzeitig erstarken die Druiden und rufen zum Widerstand gegen Rom auf. Es kommt zum Unausweichlichen: Die kriegerische Königin Boudicca führt die britonischen Stämme in den Krieg.Der Tribun Gaius Valerius Verrens, Befehlshaber der Veteranenlegionen im Lager Colonia, stellt sich der wachsenden Gefahr. In einem erbittert geführten Gefecht kämpft Valerius Seite an Seite mit seinen Veteranen gegen Boudiccas Horden – und droht zu unterliegen. Unter hohen Verlusten ziehen die Legionäre sich in den Tempel des Claudius zurück. Hier, in den heiligen Mauern, entscheiden allein die Götter über Sieg oder Niederlage, Leben oder Tod.

Douglas Jackson

Der Held Roms

Historischer Roman

Aus dem Englischen von Barbara Ostrop

Ullstein

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Deutsche Erstausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage November 2020© für die deutsche Ausgabe by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020© Douglas Jackson, 2011First published as Hero of Rome by Transworld PublishersUmschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: Gladiator: Arcangel / © COLLABORATION JS; Rüstung, Armschutz: © FinePic®, MünchenKarte: © Dr. Helmut W. PeschE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-8437-2366-4

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

Historische Anmerkung

Prolog

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

XXI

XXII

XXIII

XXIV

XXV

XXVI

XXVII

XXVIII

XXIX

XXX

XXXI

XXXII

XXXIII

XXXIV

XXXV

XXXVI

XXXVII

XXXVIII

XXXIX

XL

XLI

Glossar römischer militärischer Ausdrücke

Dank

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Historische Anmerkung

Widmung

Für Alison

Historische Anmerkung

Der Held Roms ist ein Roman, doch die Geschichte der zweihundert Soldaten, die aus Londinium entsandt wurden, um die Veteranen in Colonia gegen das Racheheer Boudiccas zu verstärken, wurde von dem Historiker Tacitus in seinen Annalen festgehalten.

Prolog

Wie die Arme einer Liebenden reckten sich ihm die Flammen entgegen, als er nackt zwischen den beiden Feuern hindurchging. Er spürte ihre warme Liebkosung auf der Haut, wusste aber, dass sie ihn nicht verletzen konnten, denn es waren die Flammen des Taranis, und er war der Diener dieses Gottes. Ein anderer Mann wäre von ihrer Hitze versengt und verkohlt worden, er jedoch blieb unversehrt.

Als er die gegenüberliegende Seite der Halle erreichte, erwartete ihn dort Aymer, der Hohepriester des Kultes, und reichte ihm die Kleidung, die er auf seiner Reise tragen würde. Auch sie war gereinigt und gesegnet worden. Der Druide war uralt, ein Mann wie eine verdorrte Schote, ausgetrocknet und aufgerieben von den langen Jahren der Mühen, des Studiums und der Enthaltsamkeit in den hohen, eichengetäfelten Räumen von Pencerrig. Aber die Lebenskraft war immer noch stark in ihm, und das spürte Gwlym jetzt deutlich. Gleichzeitig nahm er eine Erweiterung seines eigenen Geistes wahr, als der Druide seine milchigen, erblassten Augen auf ihn richtete und ihn mit seinem Blick bannte. Wortlos gab Aymer ihm das Wissen weiter, das ihn zu seinem Ziel führen würde, und er sah den Weg deutlich vor sich. Die schwarzen Berge mit ihren tiefen Schluchten und schmalen Pfaden entlang schäumender Wildwasser in felsigen Bachbetten. Der große Strom mit seinen Wirbeln, tief und dunkel, den er unbeobachtet überqueren musste. Dann, noch gefährlicher, das flache, grüne Weideland mit seinen ausgetretenen Wegen und neugierigen Bewohnern, bevor er schließlich die Zuflucht der Wälder und des fernen Meeres erreichte.

»Es ist vollbracht«, sagte der Priester mit seiner vom Alter brüchigen Stimme. »Die Reinigung ist vollzogen.«

Gwlym kleidete sich rasch an und folgte dem Druiden in die Dunkelheit, wo die Ponys warteten. Auf versteckten Pfaden gingen sie durch die Nacht, bis sie den Rand einer niedrigen Klippe erreichten, von der aus man auf einen schmalen Strand hinunterblickte. Von unten drang das sanfte Zischeln der Wellen herauf, die sich rhythmisch an den Kieseln brachen, und er bemerkte eine schattenhafte Gestalt, die sich an dem fragilen Boot aus Holz und Tierhäuten zu schaffen machte, das ihn hinübertragen würde. Das Licht oder vielmehr dessen Nichtvorhandensein verlieh dem Meer einen dumpfen, bleiernen Silberton, und dahinter erkannte man den noch dunkleren Umriss des Festlands. Zwischen Mona, der heiligen Insel der Druiden, und dem Land der Deceanglier gab es kürzere Wege, aber sie würden zweifellos bewacht sein.

»Sie werden bald hier sein.« Aymers Worte waren kaum zu hören. »Bis dahin musst du deine Aufgabe vollbracht haben.«

Gwlym nickte. Mehr gab es nicht zu sagen. Er begriff, dass er Aymer nach dieser Nacht nie wiedersehen würde. Bald würden die Legionen Roms durch eben diese Bergschluchten marschieren, um das letzte Bollwerk der Druiden zu zerstören und ihre Macht für immer zu brechen. Er spürte einen dumpfen Schmerz des Bedauerns darüber, dass er das Schicksal der Priester, die ihn ausgebildet und sein unablässiges Streben nach Wissen genährt hatten, nicht teilen würde. Aber er hatte seine eigene Mission, und die war sogar noch wichtiger. Denn noch während die Speere der Legionen über Mona hereinbrachen, würde er die lange vernachlässigte Glut des keltischen Stolzes schüren und einen Feuersturm entfachen, der jeden Römer und jeden Römerfreund auf der britischen Insel verzehren würde. Scham, Groll und Demütigung würden seine gefährlichsten Waffen sein. Nach der sechzehn Jahre währenden Erniedrigung durch die Eroberer waren die Stämme reif für einen Aufstand; sie brauchten nicht mehr als einen Funken und einen Anführer. Gwlym würde der Funke sein, den Anführer würden die Götter ihnen geben.

»Trage das Wort weiter. Trage es weit, aber sei vorsichtig. Man darf dich nicht fassen.« Aymer hielt inne, damit Gwlym Zeit hatte, über die finstere Realität hinter seinen letzten Worten nachzudenken. »Rate den Ungestümen zur Geduld. Wenn die Zeit reif ist, werden die Götter ein Zeichen senden: Der Zorn Andrastes wird vom Himmel regnen, und das Volk Britanniens wird sich aus seinen Fesseln erheben und die Eroberer in einem Wirbel von Blut und Feuer aus unserem Land hinwegfegen.«

»Der Zorn Andrastes.« Der junge Mann flüsterte diese Worte vor sich hin, als wären sie ein Gebet. Dann stieg er vorsichtig über die Klippe zum Strand hinunter, ohne sich noch einmal umzusehen.

I

Gab es einen anderen Grund für den Untergang Spartas und Athens als den, dass diese erfolgreichen Kriegsmächte jene, die von ihnen besiegt worden waren, als Fremde zurückwiesen?Claudius, römischer Kaiser, 48 n. Chr.

Tal der Sabrina, Land der Silurer, September 59 n. Chr.War bisher wirklich erst so kurze Zeit vergangen? Gaius Valerius Verrens biss die Zähne zusammen und heftete den Blick auf die Augen seines Gegners, aber die Botschaft, falls diese verhangenen Lider überhaupt eine Botschaft übermittelten, war das Gegenteil dessen, was er sehen wollte: Der Drecksack verspottete ihn. Mit einem kräftigen Atemzug sog Valerius den würzigen Kiefernholzduft des frisch abgesägten Baumstumpfs ein, auf dem sein rechter Ellbogen auflag. Gleichzeitig spürte er, wie der brennende Schmerz, der seinen großen Oberarmmuskel peinigte, ein wenig nachließ. Er lenkte diese Erleichterung in seinen Unterarm und an der Innenseite des Handgelenks hinunter bis in die Finger der rechten Hand. Der Zuwachs an Kraft mochte verschwindend gering sein – er nahm ihn selbst kaum wahr –, aber er bemerkte das winzige Zucken von Crespos Augenbrauen, und so wusste er, dass der Zenturio es ebenfalls gespürt hatte. Die Hand, die die seine gepackt hielt – der Ellbogen lag genau links neben dem seinen auf –, war verhornt, schwielig und so unnachgiebig wie der Ziegel eines Hypokaustums. Finger wie Klauen umklammerten seine Hand mit einer Kraft, die imstande war, Knochen zu brechen, aber Valerius widerstand der Versuchung, dieser Herausforderung auf ebensolche Weise zu begegnen. Stattdessen setzte er seine ganze eigene Kraft dafür ein, Crespos Faust nach links zu drücken; jedes Nachgeben, selbst nur um Haaresbreite, würde ihm genügen. Doch bisher hatte Valerius noch nicht einmal so viel erreicht. Crespo allerdings auch nicht. Bei diesem Gedanken musste er grinsen, und angesichts dieses Anzeichens von Selbstvertrauen jubelte die Schar von Legionären, die sich um den Baumstumpf drängte, ihm ermutigend zu. In der Ersten Kohorte der Zwanzigsten Legion war Armdrücken ein beliebter Sport. Man brauchte nicht mehr als eine ebene Fläche und zwei Männer, die sich messen wollten. Manchmal maßen die Legionäre sich aus Spaß. Manchmal, um Wetten abzuschließen. Und manchmal, weil sie sich gegenseitig nicht ausstehen konnten.

Im Windschatten eines Hügels lag die Erste Kohorte seit sechs Tagen in Silurien im Marschlager. Als zwei Wochen zuvor die Reiterpatrouille nicht zurückgekehrt war, hatte der Legat sofort reagiert. Entschlossene Vergeltung. Dreitausend Mann – fünf Kohorten Legionäre und eine gemischte Einheit von auxiliares, Hilfstruppen, aus Fußsoldaten und Reiterei, bestehend aus Galliern und Thrakern – waren hinter ihren Standarten den Fluss Sabrina hinuntermarschiert und dann westwärts in das angrenzende raue Bergland vorgedrungen. Sie hatten die abgeschlagenen behelmten Häupter ihrer Kameraden gefunden, zwanzig an der Zahl, aufgestellt wie zur Markierung eines Wegs. Einige unterwegs aufgelesene, unglückselige Bauern waren verhört worden und hatten sie hergeführt. Sie hatten fünf oder sechs Tage gebraucht, um Graben und Erdwall um den Fuß des felsigen Festungshügels auszuheben, und damit waren die Bewohner der Feste nun vollständig von jeder Hilfe oder einem Fluchtweg abgeschnitten. Wenn die Legionäre nicht gruben, verbrachten sie ihre Zeit mit Wachdienst, Waffenübungen, Exerzieren oder Patrouillengängen, doch während der gelegentlichen Ruhezeiten konnten sie vor ihren ledernen Acht-Mann-Zelten sitzen und das tun, was Soldaten nun einmal machen: die Ausrüstung reparieren und pflegen, den Sold verspielen und über Offiziere meckern. Oder einfach dasitzen und auf den Himmel und den blaugrauen Dunst der fernen Berge schauen.

Valerius konzentrierte sich auf seinen rechten Arm und versuchte, ihn durch schiere Willenskraft stärker zu machen. Unterhalb des kurzen Ärmels seiner Tunika wölbte sich sein kräftiger Bizeps, als wollte er aus der gebräunten Haut herausplatzen, unter der sich ein Geschlängel dunkler Adern abzeichnete. Der Muskel war zur Größe einer kleinen Melone angeschwollen und stand dem von Crespo, der als der stärkste Mann der Kohorte galt, in nichts nach. Der Unterarm war mächtig und lief zum Handgelenk, dessen Sehnen herausstanden wie Baumwurzeln, schmaler zu. Die Handgelenke der beiden Männer waren mit einem Streifen roten Tuchs fest aneinandergebunden. So konnte keiner von ihnen seinen Griff verrücken und durch einen Trick gewinnen. Aber Valerius wusste, dass Crespo es versuchen würde, denn Crespo war ein Betrüger, ein Lügner und ein Dieb. Außerdem war er allerdings ein hochrangiger Zenturio, was ihn unangreifbar machte. Beinahe.

Valerius hatte mitbekommen, wie Crespo einen der neuen Rekruten, den jungen Quintus aus Ravenna, mit dem knorrigen Rebstock schlug, den er als sein traditionelles Rangabzeichen bei sich trug. Jeder Zenturio züchtigte seine Männer, denn Disziplin war das, was eine Legion zur Legion machte. Doch Crespo verwechselte Disziplin mit Brutalität, oder vielleicht genoss er die Brutalität auch um ihrer selbst willen, denn er hatte Quintus halb totgeprügelt. Als Valerius ihm befahl, damit aufzuhören, hatte Crespo ihn mit seinen ausdruckslosen, eiskalten Augen von Kopf bis Fuß gemustert. Zwischen den beiden Männern gab es schon eine Art Vorgeschichte, doch die bestand eher aus einer instinktiven Wachsamkeit als aus körperlichen Feindseligkeiten. Ihre erste Begegnung hatte der von zwei Hunden geglichen, die auf einem schmalen Pfad aneinander vorbeimüssen: ein Sträuben der Nackenhaare, ein Einschätzen von Stärken und Schwächen, ein kurzes Schnüffeln und dann weiter; auseinander, aber keineswegs vergessen.

Jetzt starrte er aus zwei Fuß Abstand in Crespos Gesicht. Spürte er Unsicherheit? Bei den Göttern, er hoffte es. Das Feuer, das in seiner Ellenbeuge begonnen hatte, wanderte zu seiner Schulter hinauf und bis zu seinem Halsansatz. Einen solchen Schmerz hatte er noch nie erlebt. Crespos wasserhelle Augen starrten ihn aus einem langen, schmalen Gesicht entgegen, das irgendwie blass geblieben war, obgleich die Sonne die meisten Männer walnussbraun färbte. Valerius erkannte ein Muster einzelner Pockennarben auf der Stirn und am Kinn seines Gegners, die auf eine Krankheit in seiner Kindheit deuteten, welche er unglückseligerweise überlebt hatte. Seine Nase war lang und scharf gebogen wie die Klinge der Axt eines Soldaten der Pioniertruppe, und der schmale Mund darunter erinnerte Valerius an das Maul einer Viper. Oh, er war durchaus ein gut aussehender Mann, dieser Crespo. Aber gut aussehend oder nicht, er war die Länge eines Schwertgriffs größer als Valerius, und auch wenn dieser eine breitere Brust und mächtigere Schultern hatte, besaß der Zenturio die drahtige Kraft von fünfzehn Jahren in der Legion. Doch Valerius war auf dem Landgut seines Vaters aufgewachsen, und das hatte ihm seine eigene Kraft verliehen. Und er besaß das Selbstvertrauen, sie zu nutzen.

An Crespos Haaransatz sammelte sich jetzt der erste Schweiß: winzige, nahezu unsichtbare Perlen zwischen den ungepflegten, schwarzen Stoppeln, die der Barbier der Einheit ihm gelassen hatte. Valerius beobachtete fasziniert, wie sie langsam wuchsen, bis zwei oder drei sich zu einem Tropfen vereinigten, der sanft über die Stirn des Zenturios bis zur Nasenwurzel rann. Dort blieb er hängen. Valerius war frustriert. Der Tropfen war ihm wie ein Omen erschienen. Wäre er weitergelaufen, über die gebogene Nase bis zu ihrer Spitze, hätte das mit Sicherheit einen Sieg für ihn, Valerius, vorhergesagt. Jetzt war er sich nicht mehr so sicher. Doch immerhin war es ein Vorzeichen für irgendetwas. Hatten die Klauen ihren Griff gelockert, gab es einen Hinweis, dass die gegnerische Kraft, mochte sie sich auch noch so unerbittlich anfühlen, tatsächlich ihren Höhepunkt überschritten hatte? Oder lockte Crespo ihn in eine Falle? Wiegte er Valerius in dem Glauben, gewonnen zu haben, nur um ihn dann mit einem Energieschub zu überrumpeln, den er sich für den Moment aufgespart hatte, in dem sein Gegner minimal aus dem Gleichgewicht geriet? Nein. Abwarten. Geduld.

»Tribun?«

Valerius erkannte die Stimme, bemühte sich aber, sich durch sie nicht aus der Konzentration bringen zu lassen.

»Tribun Valerius?« Der Tonfall war ein wenig aufdringlicher, als es für einen Doppelsoldmann, der einen römischen Offizier ansprach, angemessen erschien, aber da dieser Doppelsoldmann der Schreiber des Kommandanten der Zwanzigsten war, erschien es Valerius vernünftig, die eventuelle Kränkung zu ignorieren.

»Hast schon genug, hübscher Junge?« Crespos Lippen bewegten sich kaum, als er die Worte zwischen zusammengepressten Zähnen hervorzischte. Der starke sizilianische Akzent war für Valerius’ Ohren nicht weniger unangenehm als die Beleidigung.

»Was ist, Soldat?« Valerius wandte sich an den Mann hinter ihm, hielt den Blick aber auf Crespo gerichtet und sprach mit ruhiger Stimme. Die ineinandergeklammerten Fäuste verharrten so reglos, als wären sie aus Stein gemeißelt.

»Du sollst zum Legaten kommen, Herr.« Die Mitteilung löste bei dem Dutzend Legionäre, die sich um den Baumstumpf drängten, ein Stöhnen der Enttäuschung aus. Valerius hätte mit ihnen stöhnen können. Er spürte, dass der Wettkampf zu seinen Gunsten stand. Aber man ließ den Legaten nicht warten.

Das stellte ihn jedoch vor ein Problem: Wie sollte er sich von Crespo lösen, ohne diesem einen Triumph zu gönnen? Er wusste, im selben Moment, in dem er sich entspannte, würde der Zenturio seinen Arm nach unten zwingen und den Sieg für sich beanspruchen. Eine Kleinigkeit, eine winzige Niederlage, die ein Mann leicht ertragen konnte und die nicht mehr kosten würde als ein wenig verletzten Stolz. Aber er war nicht bereit, Crespo auch nur diese Befriedigung zu gewähren. Er dachte ein paar Sekunden nach, die Crespo gestatteten, sich der Vorfreude auf seinen Triumph hinzugeben. Dann stand er, ohne seinen Griff zu lösen, in einer gleitenden Bewegung auf und zog den verblüfften Zenturio mit sich hoch.

Crespo unterdrückte einen Fluch und starrte Valerius an, als der junge Tribun das Tuch um ihre Handgelenke mit der Linken löste. »Das nächste Mal kommst du mir nicht so leicht davon.«

Valerius lachte. »Du hattest deine Chance, Zenturio, und ich habe Besseres zu tun.« Während er sich im Gefolge des Boten durch die grinsende Menge dienstfreier Legionäre schob, hörte er, wie Crespo vor seinen Kumpanen prahlte, den höherrangigen Soldaten, die er sich gewogen machte, indem er ihnen leichte Pflichten zuschanzte: »Alles Schwächlinge. Diese reichen Jungs sind doch alle gleich. Sie sind nur kurze Zeit hier und spielen Soldaten.«

Valerius brauchte zwanzig Minuten, um sich den Schweiß abzuwaschen und seine Uniform über die Tunika und die braccae zu ziehen, die wadenlangen Hosen, die die Legionen sich nach dem ersten Winter in Britannien zugelegt hatten. Als Erstes die dunkelrote Übertunika, dann das cingulum, den Gürtel mit dem dekorativen Schurz aus metallbesetzten Lederstreifen, der die Lenden schützen sollte, aber in Wirklichkeit nicht einmal eine Gänsefeder aufhalten würde, geschweige denn einen Speer. Sein Bursche half ihm, die lorica segmentata über seine Tunika zu schnallen, den Plattenpanzer, der seine Schultern, seine Brust und seinen Rücken bedeckte und der tatsächlich einen Speer aufhalten würde, aber auch leicht genug war, um ihn bei seinen Bewegungen und im Kampf nicht zu behindern. Der gladius, sein Kurzschwert, den er anders als die einfachen Legionäre auf der linken Seite trug, bildete ein angenehmes Gewicht an seinem Oberschenkel. Es wurde mit der rechten Hand gezogen und erzeugte dabei ein melodisches Zischen, von dem sich ihm immer die Nackenhaare aufstellten. Zum Schluss kam der schwere, glänzende Helm mit dem Nackenschutz und den Wangenklappen, gekrönt von einem steifen, scharlachroten Kamm aus Pferdehaar. Er wusste, dass er die Geduld des Legaten auf die Probe stellte, aber Marcus Livius Drusus war ein General nach dem Vorbild des großen Gaius Marius und würde jede Schlamperei bemerken und in Erinnerung behalten.

Als Valerius zufrieden war, marschierte er die kurze Strecke von der Unterkunft, die er mit einem weiteren der sechs Militärtribunen teilte, zu dem Zeltpavillon, der gleichzeitig als Wohnquartier des Kommandanten und als principia, als Nervenzentrum der Legion diente. Die Umgebung war beruhigend vertraut: ordentliche, den Einheiten der Zenturien und Kohorten entsprechende Zeltreihen, zwischen denen sich die via praetoria bis zu dem Punkt erstreckte, wo sie unmittelbar vor der principia von der via principalis geschnitten wurde. Dahinter lagen die Vorratslager sowie die Zelte mit den Werkstätten, und dort waren auch die Pferde untergebracht. Glevum, das dauerhafte Hauptquartier der Zwanzigsten, lag vierzig Meilen nordöstlich, aber seit Valerius vor all diesen Monaten als unerfahrener und nervöser Frischling im Hafen des Flusses Tamesa in Britannien eingetroffen war, hatte er mehr Zeit auf Märschen oder unterwegs mit Pioniertrupps verbracht als in der Festung. Marschlager wie dieses, die immer gleich angeordnet waren, waren ihm inzwischen fast vertrauter als die Villa seines Vaters. Von Anfang an war ihm der Dienst im Militär zwar nicht unbedingt leichtgefallen, hatte aber doch einer natürlichen Neigung entsprochen. In jenen frühen Tagen hatte er oft abends nach einem langen Tag der Patrouillengänge erschöpft in seinen Mantel gehüllt dagelegen und über das Schicksal gestaunt, das ihn hierhergebracht hatte, wohin er gehörte. Er wusste instinktiv, dass seine Vorfahren an Romulus’ Seite gekämpft hatten, mit Scipio marschiert waren und mit Caesar bei Pharsalus gestanden hatten. Es war da, in ihm drin, in jedem Nerv und jeder Faser.

Er erkannte die beiden Legionäre, die vor der principia als dauerhafte Angehörige der Leibgarde des Legaten Wache standen. Der Mann zu seiner Rechten zog die Augenbrauen hoch, eine Warnung vor dem Empfang, der ihm vermutlich blühte. Valerius lächelte dankbar und setzte vor dem Eintreten sein ausdrucksloses Soldatengesicht auf. Im hinteren Bereich des Zeltes stand der General zwischen zwei Ordonnanzoffizieren über einen Sandkasten gebeugt. Valerius nahm seinen Helm ab und stand ein paar Sekunden da, bevor er sich laut krachend mit der Faust gegen den Brustpanzer schlug.

»Tribun Gaius Valerius Verrens meldet sich zur Stelle.«

Livius drehte sich langsam zu ihm um. In der Nachmittagshitze war das Innere der principia stickig und schwül, dennoch trug er über der vollständigen Uniform noch den schweren, scharlachroten Umhang, der seinen Rang kenntlich machte. Sein von der Wärme aufgedunsenes Patriziergesicht und der fast kahle Schädel hatten inzwischen fast denselben Farbton angenommen.

»Ich hoffe, ich habe dich nicht bei deinen Spielen gestört, Tribun Valerius.« Die Stimme war übertrieben kultiviert, und der Tonfall klang nahezu besorgt. »Vielleicht sollten wir unsere Tribune jeden Morgen mit den gemeinen Soldaten im Schlamm ringen lassen? Es würde deren Moral erheblich heben, könnten sie ihren Offizieren ein paar Beulen beibringen. Vielleicht würden wir sogar einige der Letzteren verlieren, aber Tribune sind ohnehin für fast nichts zu gebrauchen. Ja, es wäre gut für die Moral. Aber … nicht … gut … für … die … Disziplin!« Den letzten Satz blaffte er mit aller Giftigkeit heraus, deren Livius fähig war. Valerius fixierte eine abgenutzte Stelle an der Zeltwand hinter der rechten Schulter des Legaten und machte sich auf das unvermeidliche Gewitter gefasst, das ihm bevorstand.

Der Legionskommandant spie seine Worte heraus wie eine Salve von Ballistenbolzen. »Disziplin, Valerius. Nur sie hat es Rom ermöglicht, alle lohnenswerten Gegenden dieser Welt zu erobern und sich den Rest gefügig zu machen. Disziplin. Nicht Mut. Nicht Organisation. Nicht einmal die unermesslichen Reichtümer des Imperiums. Sondern Disziplin. Die Art von Disziplin, die einen Legionär dazu bringt, in seiner Reihe die Stellung zu halten, obwohl neben ihm einer seiner Kameraden nach dem anderen fällt. Die Disziplin, die ihn weiterkämpfen lässt, bis er keinen Tropfen Blut mehr zu geben hat. Genau die Art von Disziplin, die du, Gaius Valerius Verrens, durch dein kindisches Verlangen, Eindruck zu schinden, gefährlich zu schwächen drohst. Denkst du, indem du Crespo herausforderst, machst du dich beliebter? Möchtest du gemocht werden? Zeige mir eine Legion, deren Offiziere von ihren Soldaten gemocht werden, und ich zeige dir eine Legion, die reif für eine Niederlage ist. Dies ist die Zwanzigste Legion. Dies ist meine Legion. Und ich erwarte Disziplin. Das Einzige, was du erreicht hast, Tribun, war die Minderung der Autorität eines Zenturios.«

Dann wurde sein Tonfall übergangslos milder. »Du bist kein schlechter Soldat, Valerius, und eines Tages wirst du vielleicht ein sehr guter werden. Dein Vater hat mich gebeten, dich in meinen Stab aufzunehmen, damit ich dir die militärische Erfahrung vermittele, die du brauchst, um in der Politik Karriere zu machen. Ich bin dieser Verpflichtung nachgekommen, weil unsere Familien seit zehn Generationen auf dem Marsfeld Seite an Seite ihre Stimme abgeben. Aber wenn ich in unserer gemeinsamen Zeit etwas gelernt habe, dann, dass du kein Politiker bist. Schmeichelei und Verstellung liegen nicht in deiner Natur, und du hast auch kein natürliches Verlangen danach, dir jemandes Wohlwollen zu erwerben. Dir fehlt echter Ehrgeiz, der die Voraussetzung dafür wäre, und du bist ehrlich, was definitiv nicht hilfreich ist. Wenn du eine politische Laufbahn einschlägst, wirst du scheitern. Das habe ich deinem Vater bereits gesagt, aber vielleicht war ich dabei übertrieben vorsichtig, denn er sieht dich noch immer eines Tages im Senat. Wie alt bist du jetzt? Zweiundzwanzig? Dreiundzwanzig? In drei Jahren wirst du als quaestor auf irgendeinem Misthaufen in der Wüste landen. Zwölf Monate wirst du mit dem Bemühen verbringen, deinen habgierigen Statthalter oder Prokonsul daran zu hindern, die Provinz und ihre Bewohner wie eine Zitrone auszuquetschen.« Valerius war überrascht genug, um die Augen zu senken und dem Blick des Legaten zu begegnen. »Oh ja, Tribun, ich weiß, wovon ich rede. Ich habe jeden sestertius gezählt, fassungslos angesichts der Habgier dieses Mannes. Dann habe ich sie erneut gezählt, nur um mich zu vergewissern, dass er nicht schon wieder welche gestohlen hatte. Und danach? Noch einmal ein Jahr in Rom, vielleicht mit einem Amt, vielleicht auch nicht. Zu diesem Zeitpunkt wird sich deine Zukunft entscheiden, und dann liegt der Rest bei dir.«

Valerius sah, dass die beiden Ordonnanzoffiziere noch immer das Modell im Sandkasten betrachteten und sich bemühten, so auszusehen, als hörten sie nicht zu. Der Legat folgte seinem Blick.

»Lasst uns allein.« Die beiden Männer salutierten und begaben sich eilig zur Tür.

»Komm.« Valerius folgte seinem Kommandanten über den Boden aus gestampfter Erde zum Sandkasten. »Der Tag wird kommen, Valerius, an dem deine Soldaten für dich nicht mehr sein werden als Münzen, die du einsetzen kannst. Was wirst du tun, wenn du ihnen den Gang in den Abgrund befehlen musst? Die Wahrheit ist, dass sie nicht deine Freundschaft brauchen, sondern deine Führung. Hier.« Er deutete auf den Sandkasten, der ein genaues Modell des Bergs und der britischen Festung enthielt.

»Herr?«

»Es wird Zeit, das hier zu Ende zu bringen.«

II

Der silurische Stammesfürst blickte von seiner hölzernen Palisade zu den symmetrischen Reihen des römischen Lagers und kämpfte gegen eine ungewohnte Panik an. Er war verwirrt und, ja, auch von Angst erfüllt. Nicht um sich selbst fürchtete er oder um die ungestümen Krieger, die dies hier über ihn gebracht hatten, sondern um die Menschen, die auf der Suche nach einem Zufluchtsort hierhergekommen waren, aber stattdessen der Vernichtung entgegensahen. Innerhalb der Wälle der Festung standen vielleicht hundertfünfzig strohgedeckte Rundhäuser, teils zusammengedrängt im Windschatten der Befestigungen und teils rund um den kleinen Tempel im Zentrum, der dem Gott Teutates geweiht war. Die Bewohner bewirtschafteten die Felder des umliegenden Landes, jagten und fischten und benutzten die Überschüsse zum Handel mit den weniger begünstigten Dörfern in den zerklüfteten Bergen im Westen, deren Stammesfürst er ebenfalls war. Normalerweise bot die Festung weniger als fünfhundert Menschen Raum – heute aber drängten sich alle Krieger, die er hatte sammeln können, und zusätzlich tausend Flüchtlinge zwischen den Hütten und stritten sich um Wasser aus dem einzigen Brunnen.

Der Überfall auf die römische Reiterpatrouille war auf Befehl des Hochkönigs der Silurer ausgeführt worden, der seinerseits ›Anleitung‹ von seinem Druiden erhalten hatte. Dieser wiederum war zweifellos in ähnlicher Weise von den Führern seines Kultes im fernen Mona angeleitet worden. Der Stammesfürst selbst war dagegen gewesen, aber wie konnte er, ein geringes Stammesoberhaupt der Grenzregion, sich seinem König verweigern? So oder so waren seine jungen Männer darauf erpicht, ihren Mut an dem Feind zu erproben, der über ihre Hügel und in ihren Tälern einherzog, als wäre er hier Herr und Meister. Aber der Hochkönig war weit weg von den Belagerern, die jetzt die Festung des Stammesfürsten bedrohten. Ein Stamm würde die Wucht der römischen Rache zu spüren bekommen, und das war der seine.

Er hatte immer vorgehabt zu kämpfen; seine Ehre und seine Machterhaltung hingen davon ab. Aber ursprünglich hatte er beabsichtigt, nach dem Kampf die Flucht zu ergreifen. Es war nicht das erste Mal, dass er eine römische Legion bei den Vorbereitungen auf eine Schlacht beobachtete. Zehn Jahre zuvor hatte er in einem keine drei Tagesritte entfernten Tal neben dem catuvellaunischen Anführer Caratacus gestanden, als die lange Reihe der bunt bemalten Schilde den Fluss überquerte und das große Bündnis der britischen Stämme sich gegen die feindliche Armee warf wie eine Welle, die sich an einer Felsenküste bricht. Er wusste, wozu die Römer fähig waren. Seine Verwunderung hatte begonnen, als die Legionäre zu graben begannen, und als er endlich begriffen hatte, wozu sie das taten, war es für die Flucht zu spät. Jetzt befanden sich seine Leute in einer Festung innerhalb der Festung. Sie saßen in der Falle. Doch erst als die Boten, die er losschickte, um sich nach Bedingungen zu erkundigen und Geiseln anzubieten, nicht zurückkehrten, verwandelte seine Verwunderung sich in Furcht. In der Vergangenheit waren solche Angebote immer akzeptiert worden. Warum es diesmal nicht so war, wurde ihm klar, als die Anführer des Überfalls ihm das Schicksal der römischen Reiter erklärten, und noch klarer, als die Römer ihm die Köpfe seiner beiden Boten per Katapult zurückschickten.

»Vater?« Zunächst reagierte er nicht auf den melodiösen Ruf der hohen Stimme, weil er jedes Quäntchen seines Mutes brauchte und wusste, dass schon der Anblick seiner Tochter seine Entschlossenheit schwächen würde. »Bitte, Vater.« Nun drehte er sich doch um. Gilda stand neben ihrer Mutter: noch halb Kind und halb schon Frau, feuchte Reh­augen unter den zerzausten Fransen von rabenschwarzem Haar. Für einen Augenblick vertrieb die Schönheit der beiden den dunklen Schatten, der seine Stimmung verdüsterte. Aber nur für einen Augenblick. Der Gedanke an das, was ihnen in den nächsten Stunden zustoßen mochte, schnürte ihm die Kehle zusammen, und er erkannte seine eigene Stimme fast selbst nicht mehr.

»Ich habe dir doch gesagt, dass ihr zum Tempel gehen sollt«, wandte er sich an seine Frau, die aus Gründen, die nur eine Frau verstand, ausgerechnet heute ihr bestes graues Kleid angezogen hatte. »Dort seid ihr in Sicherheit.« Er sah, dass sie ihm nicht glaubte, aber was hätte er ihr sonst sagen sollen? Ein anderer Mann hätte ihr einen Dolch gegeben und sie angewiesen, ihn zu benutzen. Aber diese Art von Mann war er nicht. Er hatte schärfer gesprochen als beabsichtigt, und Gilda warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, als sie Hand in Hand mit ihrer Mutter wegging. Als er sich erneut der Palisade und den Vorbereitungen der Römer dort unten zuwandte, war sein Blick merkwürdig verschwommen.

Valerius starrte zu der Festung empor, die die flache Kuppe des Bergs krönte. Solche oppida der Einheimischen hatte er schon oft gesehen, doch diese hier war bei Weitem die größte und die am geschicktesten angelegte. Er studierte sie sorgfältig, beeindruckt von dem kunstvollen Festungsbau. Angreifer konnten sich den von Palisaden gekrönten Wällen nur von unten nähern, sodass sie den Schleudergeschossen und Speeren der Verteidiger ungeschützt ausgesetzt waren. Er konnte diese Verteidiger jetzt sehen, eine stumme Reihe von Köpfen, die sich als Silhouetten über dem äußeren von drei Befestigungswällen vor dem Himmel abzeichneten. Die ganze von den Wällen umschlossene Anlage nahm eine Fläche ein, die der Größe von zwei Legionslagern entsprach.

Der Legat rief seinen obersten Ingenieur, den er mit seiner Mannschaft von Spezialisten von Glevum hatte kommen lassen, als eine Belagerung unvermeidlich wurde. »Die Festung mag eindrucksvoll aussehen«, knurrte Livius. »Aber sie ist kein Alesia, und ich habe nicht die Geduld des vergöttlichten Julius Caesar. Wie lange dauert es, bis die schweren Waffen fertig sind?«

Der Mann kaute auf seiner Unterlippe herum, doch Livius kannte ihn gut genug, um sich sicher zu sein, dass er die Antwort parat hatte. »Eine Stunde für die Onager und Ballisten und vielleicht zwei weitere für die großen Katapulte. Bei der letzten Flussüberquerung hatten wir ein kleines Problem …«

»Du hast zwei Stunden, um alles vorzubereiten.« Livius kannte den Ingenieur außerdem gut genug, um sich sicher zu sein, dass der Mann den nötigen Spielraum eingeplant hatte, um die Vorgaben seines Generals erfüllen zu können. »Zwei Onager, zwei Ballisten und ein Katapult zwischen jedem Wachturmpaar.«

Später rief ihn das schwere, hackende Geräusch, das sofort als Abschuss einer Balliste erkennbar war, vor sein Zelt. Er blickte zur Sonne auf, und ein besonders aufmerksamer Beobachter hätte die Andeutung eines Lächelns bemerken können, die über seine strengen Gesichtszüge huschte. Zwei Stunden oder vielleicht sogar etwas weniger. Gut.

»Ein Orientierungsschuss, Herr, und zwanzig Schritt zu kurz«, verkündete der Ingenieur. »Ein verschwendeter Bolzen, aber nächstes Mal liegen wir besser. Mehr Spannung auf das Seil, Männer!«

Valerius eilte zu ihnen und verfolgte, wie der Ballistenführer die Winde bediente und die beiden vorderen Arme der Konstruktion sich merklich zurückbogen, während die Ratsche sich klackend drehte. Im Grunde war die Balliste nichts anderes als ein großer Bogen, der mächtige, fünf Fuß lange Pfeile mit schweren, nadelspitzen Köpfen verschoss. Ein riesiger mechanischer Bogen, der in einen Holzrahmen eingebaut und auf einen Wagen montiert war, um transportabel zu sein. Man nannte die Pfeile ›Schildspalter‹, und er hatte das Zerstörungswerk gesehen, das sie in den feindlichen Schlachtreihen anrichteten. Genauso verheerend würden sie wirken, wenn sie jetzt unter den britischen Kriegern oder in der Schar der Flüchtlinge einschlugen, die die trügerische Sicherheit der Festungswälle aufgesucht hatten. Diese Wälle waren nun von zwanzig Ballisten und derselben Zahl von Onagern umringt, kleinen, Steine werfenden Katapulten. Die Erfahrung sagte ihm, dass die Onager Mühe haben würden, ihre zehn Pfund schweren Geschosse über den inneren Festungswall zu schleudern, aber sie würden auf jeden Fall das Chaos und die Panik noch vergrößern. Für die großen Katapulte würde es keine derartigen Probleme geben. Der fünfzehn Fuß lange Arm konnte einen Steinbrocken von der fünffachen Größe eines Männerkopfs von einer Seite dieses Hügels auf die andere schleudern.

»Waffe bestückt und abschussbereit, Herr.«

Der Ingenieur eilte zum hinteren Ende der Balliste und spähte über die Abschussrampe zur Festung. »Höheneinstellung justieren.«

Der Ballistenführer hob den zentralen Balken der Waffe um eine Raste an und trat zurück, damit der Ingenieur das Ziel erneut überprüfen konnte. Dessen gerunzelter Stirn sah man an, wie ihm die Berechnungen eine nach der anderen durch den Kopf schossen. Schließlich wandte er sich wieder Livius zu. »Auf deinen Befehl, General.«

Der Legat nickte. »Balliste … Abschuss!«

Vom östlichen Tor seiner Festung vernahm der silurische Stammesfürst einen dumpfen Schlag am Fuß des Hügels und erspürte vor dem Hintergrund des grün-braun gefleckten Hangs eine heranzischende Bewegung. Beinahe gleichzeitig peitschte eine Kraft nahe seiner linken Schulter die Luft auf und rupfte am schweren Stoff seines Umhangs. Unmittelbar darauf hörte er einen Schrei aus dem Inneren der Festung hinter ihm. Er drehte sich um und wusste bereits, welcher Anblick ihn erwartete. Zunächst war er sich nicht sicher, ob es eine einzelne Person war, die sich gequält im Staub wand, oder deren zwei. Sie mussten einander gegenübergestanden haben, als sie getroffen wurden. Mutter und Sohn? Bruder und Schwester? Liebende? Das spielte jetzt keine Rolle mehr. Der Ballistenbolzen, bereits im sinkenden Teil seiner Flugbahn begriffen, war in den Rücken des Mannes eingeschlagen und hatte seine Wirbelsäule durchbohrt. Die Wucht des Schusses hatte den Getroffenen vorwärtsgeschleudert, und die Spitze des fünf Fuß langen Bolzens war in den Unterleib der Frau gedrungen. So wanden die beiden sich nun keuchend und zitternd in einer obszönen Parodie des Liebesakts.

Es hatte angefangen.

Livius bedeutete dem Ingenieur mit einem Nicken, weiterzumachen, und wandte sich Valerius zu. Er musterte den jungen Tribun von Kopf bis Fuß. Ja, der Junge war nicht übel – er machte seinem Vater Ehre, auch wenn der Vater ihm keine Ehre machte. Er war mittelgroß, aber kräftig gebaut. Das rabenschwarze Haar unter dem blank polierten Helm war kurz geschnitten, hinzu kamen eine kantige Kieferpartie und ein wie gemeißelt wirkendes Kinn, das von einem Anflug von Bartstoppeln verschattet war. Ernste Augen von einem tiefen, wasserklaren Grün erwiderten selbstbewusst seinen Blick. Wenn man genauer hinsah, entdeckte man allerdings etwas leicht Verstörendes in diesen Augen, einen Hang zur Gewalt, der einen bestimmten Frauentyp anzog, und in ihren Tiefen verbarg sich zudem eine unnachgiebige Härte, die Valerius zum richtigen Mann für diese Mission machte.

Valerius kannte seine Befehle bereits, aber es schadete nichts, sie ihm noch einmal nachdrücklich zu erläutern. »Rom bringt seine Tribune normalerweise nicht in Gefahr, aber ich habe beschlossen, in deinem Fall eine Ausnahme zu machen. Du greifst in zwei Tagen bei Einsetzen der Morgendämmerung an. Unsere gallischen Hilfstruppen werden am Westtor einen Ablenkungsangriff durchführen. Wenn unsere Feinde sich auf den Kampf eingelassen und auch ihre Reserve dorthin abgezogen haben, greifst du das östliche Tor mit drei Kohorten schwerer Infanterie an – mehr als fünfzehnhundert Mann. Ich habe mir das Osttor genau angesehen. Wenn die Katapulte ihr Werk verrichtet haben, wird es dir keinen großen Widerstand bieten. Vergiss nicht, schlage unerbittlich zu, und höre erst dann auf, wenn kein feindlicher Krieger mehr am Leben ist. Das ist der Preis, den sie für die Ermordung der römischen Soldaten bezahlen. Die Frauen und Kinder nehmen wir als Sklaven gefangen. Wer für einen Marsch zu alt oder zu krank ist … nun, du weißt, was zu tun ist. Für Rom!«

In den nächsten beiden Nächten sah Valerius zu, wie der Beschuss die Verteidigungsanlagen der Aufständischen zertrümmerte. Er hatte gesehen, wozu die Kriegsmaschinen imstande waren – die beiläufige, willkürliche Böswilligkeit, die eine Familie zu blutigen Fetzen zerriss, mit denen allenfalls die Hunde noch etwas anfangen konnten, während der nächsten Schuss ein Dutzend Krieger mit einem Feuerball umfing, der sie in verkohlte, rauchende Zerrbilder der menschlichen Gestalt verwandelte. Es waren natürlich die großen Katapulte, die mit ihren geschleuderten Steinbrocken einen Abschnitt eines Walls oder Tors und jeden dahinter Stehenden vernichteten, während die Brandgeschosse, die nach Pech und Schwefel stanken, Hütten genauso wie lebendige Menschen verzehrten. Der Angriff wurde in Schüben durch die ganze Nacht hindurch fortgesetzt, und dem Einschlag eines jeden Todbringers ging das unverkennbare Geräusch seines Flugs voran: das alles durchdringende, zischende Pfeifen der mächtigen Steinbrocken und das eigentümliche hup-hup-hup, mit dem die Feuerbälle durch die Luft wirbelten. Gegen die Furcht einflößende Gewalt der Katapulte wirkten die zahlreicheren Geschosse der kleineren Waffen nahezu kümmerlich, aber auch sie forderten in den dicht gedrängten Reihen der Flüchtlinge ihren Tribut. Vor allem aber rissen sie die todgeweihten Krieger nieder, die herausfordernd hinter den Schutzwällen standen, als könnten Fleisch und Blut allein den römischen Angriff aufhalten. Valerius versuchte, die Bilder der nackten Knochen zerfetzter Kinder auszublenden, die ihm vors innere Auge traten, und verdrängte den Gedanken an die Schreie der Zerstückelten oder der aufgespießten oder durch Splitter geblendeten Menschen bei der Zertrümmerung der hölzernen Palisaden und der einst mächtigen Tore.

Am Morgen des dritten Tages nahmen die drei Kohorten der Angriffstruppe eine Stunde vor Tagesanbruch im flackernden Fackelschein auf dem Exerzierplatz Aufstellung. Valerius stand stumm in der Mitte des Platzes neben der Adlerstandarte und den Standarten der jeweiligen Einheiten. Sie wurden von den signiferi gehalten, den Feldzeichenträgern, deren Rang und Rolle durch ihre Wolfspelzumhänge unterstrichen wurde. Jeder Soldat hatte sich für fünfundzwanzig Jahre bei den Legionen verpflichtet. Als Militärtribun musste Valerius nur sechs Monate Dienst leisten, war aber jetzt bereits sechzehn Monate dabei, weil das soldatische Leben ihm zusagte. Spätestens in weiteren acht Monaten würde man ihn nach Hause schicken. Er blickte sich langsam auf dem Platz um und versuchte, die Stimmung einzuschätzen, aber in der Dunkelheit waren die vom Helm beschatteten Gesichter nicht zu erkennen. Ich führe eine Armee von Toten. Der Gedanke war in seinem Kopf, bevor er ihn unterdrücken konnte, und ihn schauderte. War er ein böses Omen? Er machte das Zeichen gegen das Böse und holte tief Luft.

»Ihr kennt mich alle.« Seine feste Stimme hallte über den Exerzierplatz. »Und ihr wisst, dass ich nur deshalb hier bin, weil euer Primus Pilus sich neulich den Fuß verstaucht hat. Er bedauert seine Abwesenheit, aber nicht so sehr wie ich.« Einige wenige Soldaten lachten über den Scherz, aber nicht viele. Manche von ihnen freuten sich gewiss, dass der gefürchtete oberste Zenturio der Legion nicht da sein würde, um sie den Berg hinaufzuscheuchen, doch den Veteranen war klar, dass das Fehlen seiner Erfahrung manchen Soldaten das Leben kosten konnte. »Das, was wir vorhaben, habt ihr schon Hunderte Male zuvor getan, und auf diesem Hügel gibt es nichts, was ihr fürchten müsstet. Wenn wir vorrücken, marschieren wir schnell und halten vor nichts an. Wer unterwegs verwundet wird, wird zurückgelassen, und das schließt die Offiziere mit ein. Bleibt dicht zusammen, denn je geschlossener unsere Reihen sind, desto sicherer sind wir. Ich bin mit der Ersten Kohorte ganz vorn, und wo ich vorangehe, da werdet ihr folgen. Der Feind wird nicht damit rechnen, dass wir an seine Vordertür klopfen, daher sollte es einfach sein.« Diesmal lachten sie, weil sie wussten, dass es eine Lüge war. Die Berghänge waren zu steil für einen direkten Angriff auf die Befestigungswälle. Schwachstellen waren nur die beiden Tore im Osten und Westen, und der Feind würde sie hinter beiden erwarten. »Wenn wir erst mal durch das Tor sind, haben wir es geschafft«, endete er in entschlossenem Tonfall. »Diese Leute verstehen sich vielleicht aufs Kämpfen, aber nicht aufs Siegen. Wir aber wissen, wie man siegt.«

Sie jubelten ihm zu, und Stolz stieg in ihm auf wie Wasser aus einer Quelle. Er fühlte sich diesen Männern auf eine Weise verbunden, die stärker war als Familienbande; eine Kameradschaft des Geistes, gehärtet in der Hitze der Schlacht. Sie waren zusammen marschiert und hatten zusammen gekämpft, und es bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie bei Sonnenaufgang zusammen sterben würden und ihr Blut sich im Schlamm eines britischen Grabens vermischte. Sie alle wussten, dass einige der Männer, die diesen Hügel hinaufmarschierten, ihn nicht wieder hinuntersteigen würden. Doch dieses Wissen schwächte sie nicht, sondern verlieh ihnen Kraft. Genau das war es, was sie zu dem machte, was sie waren: Soldaten Roms.

Danach gab er jedem Kommandanten einer Einheit einzeln detaillierte Anweisungen und trat schließlich zu Crespo, der die Zweite Kohorte anführen würde. Er fand es schwierig, seine Abneigung gegen diesen Mann zu verbergen, doch die Stunde vor einem Angriff war nicht die Zeit für kleinliche Rivalitäten. Er sah seine blassen Augen im Dunkeln glitzern, doch er konnte nicht deuten, was in ihnen stand.

»Möge dein Gott dich beschützen, Crespo.« Der Zenturio war ein Anhänger des Mithras, und irgendwo im Lager befand sich ein verborgener Schrein, in dem er sicherlich ein Opfer für den Stiertöter gebracht hatte. Es war ein geheimniskrämerischer Kult, aber wer die Initiation überlebt hatte, verdiente Respekt – zumindest für seinen Mut. Soldaten taten gut daran, sich die Gunst der Götter nicht zu verscherzen, aber Valerius betete sie an wie die meisten Männer, indem er gerade genug tat, um sie bei Laune zu halten, und sie anrief, wenn er sie brauchte. »Bleib auf dem Weg nach drinnen dicht hinter uns. Wenn wir am Tor vorbei sind, bindet die Erste den Feind an Ort und Stelle, während du mit der Zweiten eine Bresche in die Verteidigungsreihen schlägst. Wenn ihr hinter den Feinden seid, macht ihr kehrt, und wir reiben sie zwischen uns auf.« Es war ein guter Plan, doch sein Erfolg hing von vielen verschiedenen Faktoren ab. Valerius hatte bereits gegen die keltischen Krieger des westlichen Britannien gekämpft, und trotz seiner forschen Rede über ihre Schwächen kannte er sie als tapfere Kämpfer, die bereit waren, für die Verteidigung der Ihren zu sterben. Zudem würde ihnen heute gar keine andere Wahl bleiben, da es keine Fluchtmöglichkeit gab.

Er bemerkte, dass der Zenturio unter seinem markanten Helm mit dem gebogenen, querstehenden Kamm finster das Gesicht verzog. »Wir sollen also kämpfen und sterben«, knurrte Crespo, »während ihr euch hinter euren Schilden versteckt, hinterher aber den ganzen Ruhm kassiert?«

Valerius spürte, wie Zorn in ihm aufstieg, doch er schluckte die Worte herunter, die ihm auf der Zunge lagen. Es war sinnlos, sich auf einen Streit mit dem verbitterten Sizilianer einzulassen. »Fürs Sterben werden wir bezahlt, Zenturio«, sagte er und wandte sich ab, bevor Crespo etwas erwidern konnte.

III

Der Geschosshagel setzte aus, und für ein paar Augenblicke wurde das sanfte, trügerische Licht der grauen Morgendämmerung von einer überirdischen Ruhe begleitet, die nur vom Knistern der Brände auf der Hügelkuppe durchbrochen wurde. Valerius, der wartend in vorderster Reihe seiner Männer stand, schloss die Augen und versuchte, die Geräusche zu deuten. Anfangs war da gar nichts. Doch gleich darauf hörte er das gedämpfte Getöse, das den Angriff der Hilfstruppen begleitete. Er hielt die Augen noch ein klein wenig länger geschlossen, um einen letzten Moment der Ruhe zu genießen, und als er sie aufschlug, schoss ein brennender Pfeil im hohen Bogen wie eine Sternschnuppe über den Himmel.

Jetzt!

Er führte die Legionäre im Trab an, und sie folgten ihm in Achterreihen, nach Zenturien geordnet. Links und rechts der Angriffsspitze hatte der Legat eine Schutzmannschaft von Bogenschützen aufgestellt. Als die Sturmtruppe an ihnen vorbeieilte, ließen die Schützen eine Pfeilsalve los, die die Verteidiger vom vordersten der drei Festungswälle wegpflückte. Valerius hatte die letzten beiden Tage mit der Vorbereitung des Angriffs verbracht und jeden Fingerbreit des östlichen Hangs genau in Augenschein genommen. Dabei war ihm etwas aufgefallen, das wie eine Made in seinem Gehirn wühlte. Der scheinbar offensichtlichste Weg zum Tor wies einen offenkundigen Anfang auf, aber kein erkennbares Ende. Natürlich mochte der Weg in die Festung verdeckt liegen, vielleicht in einem Tunnel, doch selbst bei einer Anlage dieser Größe wäre das ein enormer Aufwand für einen sehr geringen Vorteil. Je länger er dies betrachtete, desto weniger gefiel es ihm. Die Anomalität mochte eine vollkommen harmlose Erklärung haben, aber nach Valerius’ Erfahrung war im Krieg niemals etwas harmlos. Jetzt traf er seine Entscheidung und wusste dabei, dass der Einsatz bei dieser Wette das Leben seiner Soldaten war. Er führte seine Männer rasch an der Öffnung im ersten Wall vorbei auf eine leicht geneigte Rampe, die parallel zu den Festungswällen verlief. Auch als sie steil anzusteigen begann, folgte er ihr weiter. Dieser Weg brachte die ersten Legionäre in Reichweite der Speere, die von der Palisade des zweiten Walls nach ihnen geschleudert wurden.

»Testudo bilden!«

Auf diesen Befehl hin hob jeder Mann der Ersten Zenturie den Schild flach über den Kopf und vereinigte ihn mit dem seiner Nachbarn. Nur wer in der ersten und letzten Reihe und an den Seiten der Formation ging, hielt den Schild weiter vertikal. Das Ergebnis war ein solider Panzer, der die achtzig Männer im Inneren der testudo gegen Angriffe von oben nahezu unverwundbar machte. Valerius wusste, dass alle Zenturien der angreifenden Kohorten seinem Beispiel folgen würden. Jetzt verließ er sich ganz auf seinen Instinkt, folgte dem ausgetretenen Weg nach oben und hoffte, dass die Silurer nicht noch weitere falsche Ausgänge oder versteckte Fallen eingerichtet hatten. Ein Dutzend knietiefe Gruben konnten eine testudo schneller sprengen, als er brauchte, um sein Schwert zu ziehen. Nein. Eine Festung dieser Größe diente mit Sicherheit auch dem Handel und nicht nur der Zuflucht, und Handel bedeutete, dass der Zugang gangbar sein musste. Wer immer die Verteidigungsanlagen entworfen hatte, musste diesen Kompromiss eingegangen sein.

Seine Brust hob und senkte sich, sein Arm schmerzte vom Hochhalten des schweren Schildes, und der Atem rasselte in seiner Kehle. In dem Brutkasten seines Eisenhelms mit den großen Wangenklappen, die seine Sicht einschränkten, ihn aber nicht vor einem Hieb gegen den Hals schützen würden, lief ihm der Schweiß in die Augen und blendete ihn. Fast ununterbrochen prasselten Speere und Pfeile auf den Panzer der testudo nieder wie ein heftiger Regenschauer. Um ihn herum war der Tod, doch noch nie hatte er sich lebendiger gefühlt.

Er dachte an seinen Vater, der mehr oder weniger im Ruhestand in einem hübschen bewaldeten Tal nahe Fidenae auf seinem Landgut vor sich hin moderte und Pläne schmiedete, wie das politische Geschick der Familie wieder zu wenden wäre; Pläne, in deren Zentrum sein Sohn stand. Nächstes Jahr würde Valerius zurückkehren müssen, um seine juristische Tätigkeit wiederaufzunehmen und vor der Basilica Julia auf Klientenfang zu gehen. Er würde nur kleine Fälle bekommen, die Krumen, die klügere Köpfe ihm ließen. Dabei schätzte er die Juristerei durchaus; einem der berühmten Anwälte dabei zuzuhören, wie dieser Logik und Rhetorik so geschickt handhabte wie ein sieggewohnter retiarius Netz und Dreizack, war eine großartige Sache. Doch wenn Valerius selbst vor einem Gericht plädierte, entzündete das keine Flamme in seinem Inneren, wie es bei einem Cicero oder einem Seneca der Fall sein musste. Das schaffte bei ihm nur der Kampf, und … Das Tor! Sie waren vor dem Tor angelangt!

»Rammbock vor!«

Die Geschosse hatten das Tor in Trümmer zerlegt, doch die Briten hatten aus den geborstenen Brettern und Balken eine improvisierte Barrikade errichtet. Es würde nicht lange dauern, sie aus dem Weg zu räumen, doch es würde den Vormarsch verzögern, und er hatte gesehen, was geschehen konnte, wenn ein Angriff ins Stocken geriet. Der Rammbock befand sich bei der zweiten Zenturie, aber die Legionen übten regelmäßig, die testudo unter Beschuss neu zu bilden, und so fügten die Soldaten die großen, rechteckigen Schilde rasch zu einem Tunnel zusammen, der die Bedienungsmannschaft des Rammbocks auf dem Weg nach vorn schützte.

Die meisten Legionäre waren kleine Männer, hart wie Eisen, aber eher sehnig als muskulös. Im Vergleich zu ihnen waren die Soldaten, die den Rammbock der Legion bedienten, Riesen mit breiter Brust; das mussten sie auch sein, um den metallverstärkten Eichenstamm zu schwingen, der ihr Handwerkszeug war. Trotzdem brauchten sie zu lange, und Valerius hörte das unvermeidliche Krachen und die Schreie. Offensichtlich setzten die Briten die Steinbrocken, die die Katapulte auf sie geschleudert hatten, nun ihrerseits gut ein. Sie warfen diese Steine, die teilweise so viel wie ein kleiner Ochse wogen, auf die testudines, die Valerius folgten. Die Schilde boten sicheren Schutz vor leichten Waffen, doch ein großer Steinbrocken riss zwangsläufig eine klaffende Lücke in den Schildwall, und dann fanden Speere und Pfeile die Soldaten, die sich darunter verbargen. Die testudo würde sich sehr schnell neu zusammenfügen, doch Valerius wusste, dass hinter ihm Männer starben.

Endlich! Er trat rasch beiseite, um dem Rammbock freie Bahn für sein Werk zu geben. Der schwere Kopf aus gemeißeltem Stein schwang, von der Kraft von zwanzig Männern geführt, vor, um die jämmerliche Blockade zu zerschmettern. Eins. Zwei. Drei. Ja, drei, das würde reichen.

»Erste Kohorte, mir nach. Für Rom!«

Als er sich in Bewegung setzte, um durch die Bresche in der Verteidigungsanlage voranzumarschieren, erhaschte er zwischen den Wangenklappen seines Helms hindurch einen Blick auf eine Reihe zähnefletschender, schnauzbärtiger Gesichter. Ein Regen von brennendem Fett, das links von ihm herabgegossen wurde, spritzte auf sein Bein, und er stieß einen Fluch aus. Jetzt befand er sich im Inneren der Festung, und seine Männer marschierten an ihm vorbei, um die Angriffsfront zu bilden. Er hörte auf zu denken und überließ sich ganz seinen antrainierten Reflexen.

»Vorwärts.«

Die Schilde der ersten und zweiten Zenturie der vordersten Kohorte vereinigten sich mit ihren abgerundeten Ecken zu einem einzigen, soliden Schutzwall, und die Wucht des Angriffs wurde durch die beiden nachrückenden Reihen noch verstärkt. Am äußeren rechten Rand der vordersten Reihe packte Valerius den Holzgriff hinter dem Schildbuckel fester, spannte die Muskeln im Armriemen an und drückte den Rand seines Schildes gegen den des Mannes zu seiner Linken. Er wusste, dass die Männer hinter ihm ihre Schilde flach nach oben ausstrecken würden, um die Frontreihe vor den Speeren und Pfeilen der Verteidiger zu schützen. Die Römer hatten ihren eigenen Speer, das pilum, einen vier Fuß langen, am Ende mit Blei beschwerten Eschenschaft mit einer armlangen Spitze aus gehärtetem Eisen. Aber heute führte kein Soldat einen mit sich, weil die Speere lang, schwer und unhandlich waren und den Angriff nur verlangsamt und damit mehr eigene als fremde Verluste zur Folge gehabt hätten. Dies war ein Tag für das Schwert.

Die Wucht des ersten Durchbruchs hatte die Verteidiger ein Dutzend Schritte zurückgetrieben, doch jetzt stürzten sie sich in einer einzigen, heulenden Schar von vier- oder fünfhundert Mann zum Gegenangriff vor. Valerius zuckte zusammen, als ein Pfeil seinen Helm einen Fingerbreit über seinem rechten Auge einkerbte. Während er sich auf die Wucht des keltischen Gegenschlags vorbereitete, suchte er mit dem Blick die Schar der Barbaren nach dem Mann ab, der ihn töten wollte. Es gab immer diesen einen: jene eine Person, die mehr als jeder andere nach deinem Blut lechzte und in deinemGesicht alles sah, was sie auf der Welt am meisten hasste. Er brauchte einen Moment, weil sein Blick zunächst auf die britischen Recken fiel, auf jene hochgewachsenen Krieger, die noch größer wirkten, als sie ohnehin schon waren, weil sie das Haar mit Kalkwasser zu Stacheln und Hörnern geformt hatten. Sie waren die Elite ihres Stammes und mit langen Eisenschwertern oder Eschenspeeren mit breiter Klinge bewaffnet. Sie kämpften mit nacktem Oberkörper, um ihren Mut zu beweisen, und schmückten ihre Haut mit blauen Tätowierungen, die die Geschichte ihrer Abstammung und ihrer Heldentaten in der Schlacht erzählten.

Doch der Mann, der ihn töten wollte, war keiner dieser Recken. Klein und schmächtig, mit strähnigem, schmutzig blondem Haar, bekleidet mit einem zerlumpten Hemd, wirkte er im Gedränge der Krieger nahezu harmlos, denn er trug weder Schwert noch Speer, sondern nur einen geschwungenen Dolch, dessen Schneide vom vielen Wetzen blau glänzte. Doch seine Augen erzählten eine andere Geschichte. Sie brannten von einer Feindseligkeit, die mehr war als Hass: In ihnen stand das blindwütige Versprechen eines gewaltsamen, schmerzhaften Todes. Das alles erkannte Valerius in der Zeit, die sein Feind brauchte, um einen einzigen Schritt zu tun. Im Nahkampf konnte die geringe Größe des Mannes sich als Vorteil erweisen und machte ihn doppelt gefährlich. Denn die Schlacht wurde oberhalb der Gürtellinie ausgefochten, dieser Kerl aber würde von unten kommen und unter dem großen Schild hindurchschlüpfen. Seine schimmernde Klinge würde er gegen Valerius’ ungeschützte Geschlechtsteile richten oder versuchen, ihm die Kniesehne zu durchschneiden. Ein Schauder zog Valerius den Magen zusammen. Ja, der Krieger würde sich auf seine Hoden stürzen. Die gequälten Augen erzählten von einem unerträglichen Verlust. Um ihn zu rächen, musste er denen, die ihn verursacht hatten, Grauenhaftes zufügen.

Ein mächtiges Krachen verkündete, dass die ersten Briten auf das Zentrum des römischen Schildwalls gestoßen waren. Valerius spürte, wie der Aufprall sich bebend entlang der Reihe fortpflanzte, begleitet vom lauten Donnern, mit dem Hunderte von Schwertern auf die bemalten Eichenschilde einschlugen. Es war, als könnten sie durch das Ausradieren des Wappenzeichens der Zwanzigsten, eines angreifenden Keilers, auch die Männer dahinter vernichten. Über den Schildrand hinweg beobachtete Valerius, wie sein besonderer Feind sich ihm auf der äußersten linken Seite der angreifenden Briten näherte. Zur Rechten des Mannes kämpften größere und besser bewaffnete Krieger, doch Valerius’ Instinkt sagte ihm, dass die wahre Gefahr bei dem Näherkommenden lag. Als der Mann so dicht bei ihm war, dass Valerius’ Schild seine brennenden Augen verdeckte, zählte der Römer seine Herzschläge: Eins, sein Gegner musste einen weiteren Schritt gelaufen sein. Zwei, der Feind kauerte sich nieder, um sich unter dem Schild hindurchzuwälzen, aufwärts zu stechen und mit der Klinge die große Arterie in der Leiste zu finden. Und drei. Mit der ganzen Kraft seiner Schulter stieß Valerius seinen Schild nach vorn und unten, sodass der eiserne Schildbuckel den angreifenden Briten gegen die Nasenwurzel traf. Der Hieb zermalmte das Fleisch zu Brei und trieb seinem Feind die Augäpfel aus den Höhlen und rammte ihm die splitternden Schädelknochen tief ins Gehirn. Nach diesem Schlag fühlte sich Valerius’ linker Arm taub an, doch schon fuhr seine rechte Hand vor, und ein blitzartiger Streich des gladius riss dem Feind in einem scharlachroten Sprühregen die Kehle auf.

Valerius spürte, wie eine Flamme der Ekstase in ihm aufloderte, wie immer, wenn er jemandem das Leben nahm, und er versuchte, dieses Gefühl zum Schweigen zu bringen, weil er sich durch die wilde, primitive Freude beschämt fühlte. Außerhalb der Bruderschaft der Kämpfenden würde er diese Empfindung niemals jemandem enthüllen oder zu erklären versuchen. Nur wer sie selbst erfahren hatte, konnte diese elementarste aller menschlichen Reaktionen auf die grundlegendste menschliche Erfahrung begreifen: Überleben und Töten. Das innere Feuer loderte auf und erlosch gleich darauf, von kalter Berechnung ersetzt. Ein Silurer links von ihm suchte mit seinem Speer die Schwachstelle unterhalb seines Panzers. Er fegte die Waffe mit der beschlagenen Kante des scutum beiseite und nahm mit einem Zähnefletschen erneut seinen Platz in der Frontreihe ein, Schild an Schild mit seinem Nachbarn.

Der Atem rasselte in seiner Brust, und er nahm sich einen Augenblick Zeit, auf den Kampflärm zu lauschen, um einzuschätzen, wie die Schlacht stand. Zum ersten Mal fiel ihm jetzt auch der erstickende Gestank auf, der von den brennenden Hütten und Kornspeichern aufstieg und den die Abfallgruben, der Tiermist und die überall verstreuten menschlichen Exkremente verströmten. Die Hauptwucht des britischen Angriffs hatte sich gegen das Zentrum der römischen Reihen entladen, und von dorther konzentrierten sich das ohnmächtige Zorngeheul und die Schreie der Verwundeten und Sterbenden. Vorläufig war Valerius damit zufrieden, dass die Legionäre den Feind in Schach halten konnten. Crespo war gewiss nicht mehr fern.

Valerius hörte den Ruf, auf den er gewartet hatte. »Cornicen!« Der Hornbläser, der sich hinter den Reihen bereitgehalten hatte, tauchte neben ihm auf. Valerius wandte sich an den Mann zu seiner Linken und schrie, um sicherzugehen, dass er im Schlachtlärm verstanden wurde. »Von mir, zehn nach rechts schwenken beim Signal!« Er ließ genug Zeit, damit der Befehl den Schildwall entlang weiterwandern konnte. »Signal geben!« Der Bläser spitzte die Lippen und ließ einen Augenblick verstreichen, bevor er in das gebogene Horn blies.

Das Manöver, das Valerius angeordnet hatte, war kompliziert und nicht ungefährlich, und diesen Befehl würde er nur Männern erteilen, denen er sein Leben anvertrauen konnte. Er sah vor, dass die gesamte römische Linie sich ein Stück um Valerius als Angelpunkt drehte, wie wenn eine Tür sich öffnet. Für den Legionär, der nur zwei oder drei Positionen von seinem Kommandanten entfernt stand, war das einfach, denn er brauchte nur einen halben Schritt vorzutreten. Für den armen Soldaten am äußersten linken Rand der Linie sah das jedoch anders aus, denn er würde, von den beiden Männern hinter ihm unterstützt, seinen Schild mit der Schulter vorschieben und sich zehn Schritte vorwärtsbewegen müssen, und das alles, ohne die Formation aufzubrechen. Zehn Schritte schienen nicht viel zu sein, aber sie konnten den Unterschied zwischen Sieg oder Niederlage ausmachen.

Denn wenn Valerius den Zeitpunkt richtig berechnet hatte, würde nun Crespo mit seinen Zenturien in Keilformation durch die entstandene Lücke vorstoßen. Die Zenturien würden sich wie ein aus Menschen gefügter Rammbock in Form einer Pfeilspitze einen Weg durch die feindlichen Reihen bahnen, die Formation der Verteidiger aufbrechen und sie von hinten in die Zange nehmen.

Als Valerius hörte, wie das Kampfgetümmel an Intensität noch zunahm, wusste er, dass er richtig gehandelt hatte. Er trat zurück und gestattete dem Mann hinter ihm, seinen Platz in der vordersten Reihe einzunehmen. Ein paar Schritte entfernt, boten ihm die Ruinen eines zerstörten Rundhauses einen Aussichtspunkt, von dem aus er die ganze Länge der britischen Festung überblicken konnte. Als er die in Rauch gehüllte Hügelkuppe musterte, sah Valerius, dass Crespo seinen Plan noch verfeinert oder vielleicht auch absichtlich gegen seinen Befehl gehandelt hatte. Zwei seiner achtzig Mann starken Keile waren bis zum Westtor vorgestoßen, und von dort strömten jetzt die Hilfstruppen herein, die den Ablenkungsangriff durchgeführt hatten, und töteten, was ihnen vor die Schwerter kam, ohne die Krieger von den Frauen und Kindern zu unterscheiden, welche laut Befehl des Legaten eigentlich gefangen genommen werden sollten.

Jetzt steckten die Briten, die Valerius gegenübergestanden hatten, in der Falle; Hunderte von Kriegern waren zwischen den beiden römischen Kräften und den Festungswällen eingekesselt. Einige versuchten über den Wall zu klettern, um zu entkommen, doch die Bogenschützen, die am Fuß des Hügels aufgestellt waren, warteten nur darauf. Laute Schreie ertönten aus der Mitte der verbliebenen Krieger, und Valerius wusste, dass sie um Gnade riefen. Doch Gnade würde es nicht geben. Nur den langen Schlaf des römischen Friedens.

Eine römische Legion war eine Tötungsmaschine, und jetzt beobachtete er diese Maschine bei der Arbeit. Kein noch so großer Mut der Silurer würde etwas an dem Ergebnis ändern. In der Enge hatten die Briten kaum Raum, ihre langen, gekrümmten Schwerter zu schwingen, wenn sie es aber taten, verausgabten sie ihre Kraft an den drei Lagen Hartholz, aus denen der Schild eines Legionärs bestand. Mit dem gladius sah es anders aus. Die kurzen Schwerter mit den rasiermesserscharfen Klingen schossen zwischen Lücken im Schildwall vor, gruben sich in Bäuche und Lenden, wurden wieder herausgerissen und hinterließen eine klaffende Wunde, die einen Mann den Tod erflehen ließ. Dann schwangen die großen Schilde mit einem Ruck ein Stück vor, und erneut zuckten die Schwerter. Die Legionäre der Ersten Kohorte verrichteten ihr Werk mit einer eingeübten Konzentration, die nicht zwischen Jung und Alt, Tapferen oder Ängstlichen unterschied. Die Kelten waren Bestien, die man abschlachten musste. Anfangs war Valerius fasziniert von diesem absolut disziplinierten Fehlen jeder Menschlichkeit, dem gnadenlosen Rhythmus des Tötens, der die Opfer mit staunendem Entsetzen erfüllte und ihnen den Willen raubte, sich auch nur zu verteidigen. Doch die Faszination verblasste, als die Einzelheiten des Gemetzels sich tiefer in sein Bewusstsein einbrannten. Sobald er spürte, dass eine fragile Barriere in seinem Inneren zu zerbröckeln drohte, drehte er sich um und ging durch das Chaos des Sieges davon.

Überlebende Frauen und Kinder kauerten zwischen den schützenden Überresten der lehmbestrichenen Flechtwerkhütten am Südwall. In ihrer Nähe türmten sich die Leichen der Ältesten, die gerade noch bei ihnen gestanden hatten, zu einem wirren Haufen, in dem noch Gliedmaßen zuckten. Valerius musterte die Gefangenen, aber keine begegnete seinem Blick. Sie erinnerten ihn an Rinder, die zur Schlachtung vorgesehen sind: Sie riechen den verstörenden Blutgeruch derer, die ihnen vorangegangen sind, bleiben aber trotzdem ihrem Schicksal hilflos ausgeliefert.