Der Verteidiger Roms - Douglas Jackson - E-Book

Der Verteidiger Roms E-Book

Douglas Jackson

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Beschreibung

Nach dem erfolgreichen Feldzug gegen Boudicca in Britannien kehrt der Tribun Gaius Valerius Verrens zurück nach Rom. Doch ebenso wie Valerius nicht mehr der ist, der er einst war, so hat sich auch Rom verändert: Kaiser Nero leidet zusehends unter wahnhaften Vorstellungen und hört auf Männer, die ihm düstere Dinge zuflüstern. So besagt eins dieser Gerüchte, dass eine neue Sekte - Anhänger des Christus - Neros Göttlichkeit leugnet und die Menschen im Reich aufwiegelt. Der Kaiser ist beunruhigt. Er beauftragt Valerius damit, die Sekte aufzuspüren und den Anführer festzunehmen. Versagt der Tribun, droht ihm der Tod. Valerius bleibt keine Wahl. Er begibt sich auf die gefährliche Suche. Eine Suche, die ihn bis an die Grenzen des Reichs führt.

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Der Verteidiger Roms

Der Autor

DOUGLAS JACKSON wurde in Schottland geboren. Die Leidenschaft des gelernten Journalisten gehört der Antike, genauer gesagt dem alten Rom. In Großbritannien ist seine Serie um den römischen Tribun Valerius mittlerweile eine der erfolgreichsten des Genres. Douglas Jackson lebt mit seiner Familie in der Nähe von Stirling, Schottland.Von Douglas Jackson ist in unserem Hause bereits erschienen:Der Held Roms

Das Buch

Rom, 63 nach Christus. Nach dem erfolgreichen Feldzug gegen Boudicca in Britannien kehrt der Tribun Gaius Valerius Verrens zurück nach Rom. Doch Valerius ist nicht mehr derselbe, und auch Rom hat sich verändert: Kaiser Nero leidet zusehends unter wahnhaft en Vorstellungen und hört auf Männer, die ihm düstere Dinge zuflüstern.Eins dieser Gerüchte besagt, dass eine neue Sekte − Anhänger des Christus − Neros Göttlichkeit leugnet und die Menschen im Reich aufwiegelt. Der Kaiser ist beunruhigt. Er beauftragt Valerius damit, die Sekte aufzuspüren und den Anführer festzunehmen. Versagt der Tribun, droht ihm der Tod. Valerius bleibt keine Wahl. Er begibt sich auf die gefährlicheSuche, die ihn bis an die Grenzen des Reichs führt.

Douglas Jackson

Der Verteidiger Roms

Historischer Roman

Aus dem Englischen von Barbara Ostrop

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Deutsche Erstausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Februar 2021© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021© Douglas Jackson, 2011Die Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel Defender of Rome bei Transworld Publishers, London.Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®, MünchenKarte: © Dr. Helmut W. PeschAutorenfoto: © Alex Hewitt/Writers PicturesE-Book powered by pepyrus.com978-3-8437-2369-5

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

Karte

I

Rom, 63 n. Chr.

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

XXI

XXII

XXIII

XXIV

XXV

XXVI

XXVII

XXVIII

XXIX

XXX

XXXI

XXXII

XXXIII

XXXIV

XXXV

XXXVI

XXXVII

XXXVIII

XXXIX

XL

XLI

XLII

XLIII

XLIV

XLV

XLVI

XLVII

Historische Anmerkungen

Danksagung

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Karte

Widmung

Für Bill Jackson1929–2010

Karte

III

Was er für gedämpftes Stimmengewirr gehalten hatte, entpuppte sich als eine Art leiser, rhythmischer Singsang, der aus dem hinteren Bereich des Gebäudes drang. In einer Nische beim Eingang flackerte eine einzelne Öllampe, die ein trübes Licht von sich gab und übel riechenden Qualm verbreitete, der den oberen Bereich des Raums vernebelte. An den Wänden waren Säcke und Kisten gestapelt, und mitten auf dem Boden stand eine Messingwaage neben einer Truhe, die mit einem weißen Tuch bedeckt war.

Dieses Gebäude war eine der älteren insulae in Rom; es war vor vielleicht fünfzig Jahren errichtet worden. Immerhin war es ein stabiles Bauwerk, nicht so wie die minderwertigen dünnwandigen Gebäudeskelette neuerer Zeit, aber wo der Verputz von den gekalkten Wänden geplatzt war, sah man, dass es ein altes Haus war. Hinten links öffnete sich ein Durchgang nach innen, und von dort drang der Gesang heraus, aber nicht direkt, wie ihm schien. Erneut zögerte er, weil er weder ein Familientreffen noch eine religiöse Zeremonie stören wollte, wie barbarisch sie auch sein mochte. Aber das Leben seiner Schwester stand auf dem Spiel.

»Hallo.« Das Wort hallte von den nackten Wänden wider.

Stille. Eine plötzliche vollkommene Stille, die ihn fast auf den Gedanken brachte, dass er sich den Gesang nur eingebildet hatte.

»Hallo«, rief er ein zweites Mal. Inzwischen kam er sich töricht vor und war durchaus in Versuchung, sich einfach umzudrehen und zu gehen.

Gleich darauf wich das Schweigen einem eigenartigen grollenden Geräusch, das wie ferner, gedämpfter Donner klang, und ein kleiner rabenschwarzer Lockenschopf lugte um die Ecke des Durchgangs. Zwei walnussbraune Augen musterten ihn mit unverhohlener Neugier.

»Sei gegrüßt.« Er schätzte das Mädchen mit dem dunklen Teint auf etwa sechs und schenkte ihr sein freundlichstes Lächeln. »Ich suche den Arzt, der in eurem Haus wohnt.«

Sie nahm ihn wortlos bei der Hand und führte ihn durch die innere Türöffnung in einen schmalen Gang. Am Ende des Gangs kamen sie in einen dürftig erleuchteten Raum, in dem ein magerer, graubärtiger Mann auf einer Holzbank kauerte und in einem groben Mörser Kräuter zerstieß. Er hatte die rauen Hände eines einfachen Bauern oder Fischers, nicht die eines Gelehrten. Jedes Kreisen des schweren Steinstößels wurde von dem Grollen begleitet, das Valerius vorhin gehört hatte. Der Mann blickte mit einem Nicken auf, und das Mädchen eilte davon.

Sie musterten einander eine ganze Weile, so wie Männer es tun, die sich zum ersten Mal begegnen. Der ältere Mann suchte nach Anzeichen von Bedrohung oder Gefahr, und Valerius versuchte, die zusammengesunkene Gestalt am Tisch mit den widersprüchlichen Geschichten in Einklang zu bringen, von denen Metellus geplappert hatte.

Er schätzte das Alter des Judäers auf zwischen fünfundfünfzig und sechzig. Den kräftigen, dicht gelockten Bart würde er bis zu seinem Tod behalten, vielleicht dann ein wenig weißer. Tiefe Falten, die mit einem Messer hätten geschnitten sein können, durchzogen seine eingefallenen Wangen und die hohe Stirn, eine ständige Erinnerung an ein Leben der Mühsal, der Prüfungen und, so vermutete Valerius, körperlichen Entbehrungen. Der Stoff eines dicken Umhangs im östlichen Schnitt umfing seine hagere Gestalt, doch unter diesem Mantel erkannte Valerius eine Ausstrahlung von Macht, bewahrt für wichtigere Tage. Die Augen, ernst, stet und von der Farbe feuchter Asche, hatten etwas Altersloses, und in ihrer Tiefe lagen widersprüchliche Botschaften: Misstrauen, was unter den Umständen nur vernünftig war; Verständnis, aber wofür? Auch Humor lag darin, der für einen passenderen Moment bereitlag, und Wissen um die Zeit, in der er vonnöten sein würde. Doch eine besondere Eigenschaft hob sich von allen anderen ab: Gewissheit. Dieser Mann wusste genau, wer und was er war.

»Salve. Du bist in meinem Heim willkommen.« Es war eine förmliche Begrüßung, und in seinem eigenartigen Akzent sprach er das V wie ein W aus.

Valerius verbeugte sich. »Gaius Valerius Verrens, zu deinen Diensten. Ich entschuldige mich für die späte Stunde und für mein unangekündigtes Kommen, doch ich bin in einer dringenden Angelegenheit hier.«

Der Bart zuckte, doch Valerius konnte sich nicht entscheiden, ob es Verärgerung oder ein bestätigendes Nicken war. »Darf ich dir Wein anbieten?«

»Nein, vielen Dank«, antwortete der Römer, nicht unhöflich, aber in dem Bewusstsein, dass er wohl nichts genießen würde, was in diesem Haushalt ausgeschenkt wurde. Er blickte sich um. Kleine Stoffsäcke, jeder gut lesbar beschriftet, waren entlang der hinteren Wand gestapelt. Auf Wandborden standen mit Stopfen verschlossene Krüge. Dann waren da noch merkwürdig geformte Gegenstände, über deren Herkunft er nicht spekulieren wollte. Der Geruch von Kräutern und Gewürzen füllte seine Nase, aber da war noch etwas anderes, eine Dumpfheit in der Luft, die ihm sagte, dass gerade noch weitere Menschen in diesem Raum versammelt gewesen waren. Er wunderte sich erneut über den Gesang, und ihm wurde bewusst, dass der Judäer keinen Versuch unternommen hatte, sich ihm vorzustellen. Die grauen Augen musterten ihn, und er merkte, dass er diesen offen durchdringenden Blick übel nahm. »Meine Schwester …«, stieß er hervor.

»Ist krank.«

»Ja.«

»Und du suchst Hilfe bei mir … um diese Stunde? Schlafen alle eure römischen Ärzte?« Der Mann lächelte freundlich, um seinen Worten den Stachel zu nehmen.

»Wie schon gesagt, es ist dringend. Olivia …«

»Es tut mir leid.« Der Judäer schüttelte den Kopf. »Leider kann ich dir nicht helfen. Es ist verboten. Ich darf nur innerhalb meiner eigenen Gemeinde arbeiten. Verstehst du? Für Leute meines eigenen Volks.«

Valerius verspürte einen Anflug von Panik. »Bitte«, sagte er. »Hör dir wenigstens an, was ich zu sagen habe.«

Der Arzt wandte sich wieder seiner Arbeit zu, und das Rumpeln des Stößels im Mörser war eine Aufforderung an Valerius zu gehen. Doch er hatte die Entschlossenheit des Römers unterschätzt. Valerius zog sein Schwert halb aus der Scheide, und das unverkennbare metallische Zischen brachte den Judäer dazu, im Mörsern innezuhalten. Er hob den Kopf mit einem Ausdruck bedauernden Abscheus.

»Aha, ein wahrer römischer Krieger. Am besten ist er, wenn sein Gegner unbewaffnet ist. Du bedrohst tatsächlich einen harmlosen alten Mann? Würde das dein Gewissen reinwaschen? Würde es …«, er runzelte die Stirn, »Olivia … wieder gesund machen?« Er schüttelte den Kopf. »Blutvergießen hat noch nie ein Problem gelöst, mein junger Freund.«

Valerius wich seinem Blick nicht aus, nahm aber die Hand vom Schwertgriff. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass er das Schwert gezogen hatte. »Man sagt Dinge über dich. Ich hatte gehofft, dass sie nicht stimmen.«

Der bärtige Mann stieß ein humorloses Lachen aus. »Man fürchtet mich. Es heißt, ich sei ein Betrüger und Mörder. Dass ich Ehemänner im Auftrag ihrer Frauen vergiften würde und Ehefrauen im Auftrag ihrer Männer. Es heißt«, er griff nach einem Krug hinter sich, langte hinein und zeigte seinen Inhalt, ein schleimiges Stück weißlichen Fleischs, »dass ich die Früchte unserer Beschneidungen in meinen Tränken verwende.«

Valerius schluckte.

Der Judäer lächelte. »Der Giftsack einer Meeresschlange. Er ist von medizinischem Wert. Wie du siehst, stimmt alles, was man sagt.«

»Es heißt außerdem auch, du seist ein Magier. Ich hatte gehofft, dass das stimmt.«

Der ältere Mann stieß ein wegwerfendes Schnauben aus. »Betest du? Dann bete zu euren Göttern, sie mögen deiner Schwester helfen.«

Valerius hatte plötzlich die Bronzestatue des vergöttlichten Claudius vor Augen, wie sie damals in dessen pompösem Tempel über den todgeweihten Flüchtlingen aufgeragt war. »Ich bete nicht mehr. Die Götter haben mich verlassen.«

Für eine kleine Weile war das einzige Geräusch im Raum das leise, unregelmäßige Summen des Atems des alten Mannes. »Sprich weiter. Was ist mit deiner Schwester?«

Valerius schloss die Augen, und die Worte kamen in einem Schwall heraus. »Sie ist vor einem Monat morgens aufgewacht und hatte die Gewalt über ihre Arme und Beine verloren.«

»Vollständig?«

»Nein. Nicht vollständig. Sie konnte sie bewegen, aber nicht richtig benutzen. Danach wurde es ein wenig besser, aber vor zwei Wochen konnte sie plötzlich nicht mehr aus dem Bett aufstehen. Seitdem ist sie bettlägerig. Jetzt kann sie nicht einmal mehr den Kopf heben, um etwas zu essen. Sie wird von Tag zu Tag schwächer.«

Der Judäer kaute auf seiner Unterlippe herum. »Hat sie krampfartige Zuckungen gehabt, Anfälle?«

Valerius schüttelte den Kopf.

Ein Schweigen entstand, das sich immer länger dehnte. Schließlich hielt Valerius die Anspannung nicht mehr aus. »Kannst du uns helfen?«

Der Judäer wandte sich ihm zu, der Blick der grauen Augen ernst. »Vielleicht. Bitte Rachel, zu mir zu kommen. Sie befindet sich im Nebenzimmer.«

Als Valerius wieder eintrat, flüsterte der Mann dem Mädchen eine Anweisung ins Ohr. Sie eilte davon und kehrte wenig später mit einem zusammengedrehten Stoffstück zurück, das sie dem Römer reichte.

»Du musst das hier in kochendem Wasser auflösen und deine Schwester dazu bringen, jeden Tropfen zu trinken. Verstehst du? Jeden Tropfen, sonst ist es umsonst.«

»Und dann?«

»Dann wartest du ab.«

Valerius zögerte. Er blickte auf seine Hand hinunter. Deswegen war er gekommen? Wegen ein wenig grauem Pulver? Aber was hatte er sonst erwartet? »Danke«, sagte er und griff nach seinem Geldbeutel.

Der Judäer schüttelte den Kopf. »Wenn der Tag gekommen ist, mir meinen Dienst zu vergelten, wirst du es wissen.« Aus irgendeinem Grund durchlief Valerius bei diesen harmlosen Worten ein Schauder. Er wartete auf weitere Erklärungen, doch der Arzt fuhr fort: »Mach dir keine zu großen Hoffnungen. Das Elixier wird eine Zeit lang helfen, aber die Wirkung wird nicht von Dauer sein.«

Er geleitete Valerius hinaus durch den Gang und in den Raum, der auf die Straße hinausführte. Das weiße Tuch war von der Truhe gerutscht, sodass Valerius nun wusste, wo der Judäer das Pulver aufbewahrte. Er bemerkte ein Symbol, das schwach in das Holz eingeritzt war. Es sah aus wie ein X mit einem langen, senkrechten Strich in der Mitte, der oben in einem kleinen Halbkreis endete.

Der alte Mann bemerkte sein Interesse. »Das Symbol meines Gewerkes«, sagte er wegwerfend. »Interessant, aber in Rom leider wertlos.«

Valerius drehte sich im Eingang noch einmal um. »Wirst du kommen und sie dir ansehen?«

Der Judäer seufzte. »Ich heiße Simon. Ja, ich werde kommen.«

IV

Der Vortragende blickte auf sein Publikum und hielt nach Anzeichen ehrlicher Anerkennung Ausschau. Doch er sah nur das dümmliche, starre Lächeln von Leuten, die zu unkultiviert waren, um die Feinheiten seiner Kunst zu würdigen, und die nur Augen für den Sänger hatten, kein Ohr für das Lied. Das Lied erzählte die Geschichte von Niobe. Er hatte es bei den Neronien vorgetragen, den von ihm gestifteten Wettspielen, und es berichtete von einer Frau, die über ihren Ehrgeiz gestürzt war; einer Königin, die ihre eigenen Kinder an den Platz von Apollo und Diana hatte setzen wollen, sie dadurch aber alle verloren hatte. Er hörte, wie seine Stimme vor Rührung bebte, als er zu der Stelle kam, an der die sieben Söhne und sieben Töchter von den Pfeilen der Götter getroffen wurden und ihre Mutter als Mahnmal ihrer eigenen Vermessenheit zu Stein erstarrte. Eine Träne lief dem Kaiser Nero Claudius Drusus Germanicus über die Wange. Auch seine Mutter Agrippina war an ihrer Vermessenheit gestorben.

Hatte er ihr nicht alles gegeben, Paläste, Gold, Edelsteine und Sklaven? Und sogar Einfluss. Vielleicht zu viel Einfluss. Und noch immer war es nicht genug gewesen; sie hatte unbedingt Macht besitzen müssen. Sie hatte ihn noch immer für ein Kind gehalten.Jetzt starrte das Publikum ihn mit geöffnetem Mund an, und er merkte, dass er seinen Vortrag vor dem Ende des Lieds abgebrochen hatte. Wie eigenartig, dass sie immer noch eine solche Wirkung auf ihn ausübte. Er verbeugte sich lächelnd, und die gerade noch erschlafften Gesichter grinsten erneut. Jubelnder Applaus brach los und schwemmte über ihn hinweg wie ein warmes Meer aus Öl, sinnlich und belebend. Wie er sie alle verachtete!

Ja, sie hatte Macht haben müssen; gerade er konnte das verstehen. Wenn man die ultimative Macht gekostet hat, die Macht zu entscheiden, ob ein Mann – oder eine Frau – am Leben bleiben darf oder sterben muss, ist einem keine andere Macht mehr groß genug. In den ersten Jahren nach seiner Thronbesteigung war er schwach gewesen und sogar gütig. Er hatte auf seine Berater gehört. Doch wenn er selbst gesprochen hatte, hatten die, die ihm nahestanden, ihm weder zugehört noch ihn verstanden. So war es zu einer Zeit gewesen, bevor er bewiesen hatte, dass er wahre Macht ausüben konnte. Nachdem er einige sorgfältig ausgewählte Leute eliminiert hatte, hatte selbst Seneca ihm zugehört, dieser Mann, der nie gewusst hatte, wann man den Mund halten muss, dem es aber trotzdem gelungen war, den Zorn von Onkel Gaius und des hinterhältigen alten Claudius zu überleben. Nero mochte Seneca und hatte ihm sogar einmal vertraut, doch inzwischen war er ihm nur noch lästig. Er hob eine Blume auf, die ihm zu Füßen geworfen worden war. Sie hatte einen langen Stiel und einen Kranz kleiner weißer Blütenblätter, und er riss eines nach dem anderen aus, während er noch immer lächelnd und nickend für den Applaus dankte. Töte ihn, töte ihn nicht, töte ihn, töte ihn nicht … So fuhr er fort, bis er zum letzten Blütenblatt kam und innehielt … töte ihn nicht. Er seufzte. Seneca war seit jeher ein Glückspilz.

Seine Mutter Agrippina dagegen nicht. Er hatte versucht, sie zu warnen, aber wie Niobe hatte sie einfach nicht darauf gehört. Daher hatte er sie beseitigen müssen. Man hätte ihren Tod tausend Jahre lang besingen sollen, einen Tod, der der Götter selbst würdig gewesen wäre. Nur ein wahrer Künstler konnte sich so etwas ausdenken: ein Schiff, das in sich zusammenbrach und dessen Heckbereich davontrieb, noch immer mit der zerquetschten Leiche der armen geliebten Agrippina beladen. Verschollen auf See. Von Neptun in die dunklen Tiefen hinabgerissen, um für alle Ewigkeit an seiner Seite zu sitzen.

Natürlich hatten sie es vermasselt, diese Idioten von Zimmerleuten, und Agrippina war am Leben geblieben. Er hatte nicht mal gewusst, dass sie schwimmen konnte! Schließlich war die Tat allerdings doch noch vollbracht worden. Und alle, die sie dieser Gelegenheit zur Unsterblichkeit beraubt hatten, würden nie mehr einen Fehler begehen können.

Er stieg die breite Treppe zu der Stelle hinunter, wo ihn unter einem goldenen Baldachin, der von Sklaven gehalten wurde, seine Frau Poppaea erwartete. Sie sah heute wirklich bezaubernd aus; ihr makelloses Gesicht war von dichten, kastanienbraun glänzenden Locken umrahmt. Lächelnd ergriff sie seinen Arm, und gemeinsam gingen sie durch die Menge, die sie mit den Blütenblättern von Rosen bewarf und duftendes Wasser in die Luft stäubte. Bei jedem laut gerufenen Kompliment nickte er: »Ein Triumph, Caesar.« – »Ein herrliches Lied.« – »Kein Vogel sang jemals süßer, Herr.« Dabei wusste er genau, dass das alles gelogen war.

Das wusste er, weil ihm klar war, dass er nicht der große Künstler war, der er gern gewesen wäre. Hielten sie ihn für einen Dummkopf, der sich von solchen Schmeicheleien einlullen ließ? Er, der viele Millionen dafür ausgegeben hatte, etwas zu werden, was er nicht war? Oh, er wurde mit jedem Tutor und jeder Übungsstunde besser, doch er begriff inzwischen, dass das Genie von den Göttern verliehen wurde und niemand von sich aus darüber gebot, nicht einmal ein Kaiser. All die Stunden des Übens und die entehrenden, nervenzerfetzenden Tricks, zu denen er Zuflucht genommen hatte, und doch konnte er noch immer kaum einen Ton halten. Wenn er jedoch auf der Bühne stand, fühlte er sich wie ein Gott, und der Klang des Applauses hob ihn hoch und trug ihn an Jupiters rechte Seite. Auf den Applaus würde er nie verzichten.

Agrippina hätte das verstanden, aber sie hatte ihn verlassen. Manchmal suchte sie ihn nachts heim, klagte über die Gewöhnlichkeit ihres Endes und tadelte ihn noch immer für den Verlust des Schlangenlederarmbands, das sie ihm als Kleinkind im Bettchen ums Handgelenk gelegt hatte. Ihre Besuche ließen ihn vor Entsetzen zitternd zurück, auch wenn er das niemandem verriet. Dass er seine Mutter brauchte, verstand er erst, seitdem sie weg war. Wem konnte er vertrauen, wenn nicht seinem eigenen Blut? Jetzt gab es niemanden mehr.

Er fasste Poppaea fester am Arm, und sie wandte sich ihm mit einem verwirrten Stirnrunzeln zu; ihre klaren grünen Augen waren voller Sorge. Er lächelte sie an, erkannte aber an der nun noch tiefer gerunzelten Stirn, dass sie sich von dieser Maske nicht täuschen ließ. Die liebe Poppaea, intelligent und treu. Octavia, seine erste Frau, hatte sie gehasst. Aber Octavia war nicht mehr da, und jetzt nahm Poppaea ihren Platz ein. Poppaea hatte Octavias Tod verlangt. Wie hätte er ihr diesen Wunsch abschlagen können?

Aber was war mit dem Brief?

Der Brief machte ihm zu schaffen.

Dieser Gedanke rief ihm Torquatus in den Sinn, den gefürchteten Präfekten der Prätorianergarde, dem er vertraute, und von Torquatus war es nur ein kleiner Schritt zu dem einarmigen Tribun, dem Helden Valerius. Nero hatte sich gewünscht, der Freund des jungen Offiziers zu sein, ein echter Freund, und hatte ihn reichlich mit Zuneigung und Gunst bedacht. Doch was hatte er dafür bekommen? Zurückweisung. Glaubte Valerius wirklich, diese Kränkung ließe sich einfach übergehen? Er war nicht einmal so hübsch wie die anderen Jungen, die Wagenlenker und die geschmeidigen jungen Palastdiener, die so köstlich quiekten und so … beweglich waren. Dachte dieser verkrüppelte Mann etwa, ein einfacher Soldat sei zu gut für den Kaiser? Glaubte der Held Roms, er, Nero, könne seiner Tapferkeit nicht gleichkommen? Er spürte, wie Poppaea sich wand, und wusste, dass er ihr wehtat, aber dennoch löste er seinen Griff um ihren Arm nicht. Nun, mit der Zeit würde der Held die Dummheit seines Verhaltens erkennen. Mit der Zeit.

Fürs Erste jedoch, wie Torquatus meinte, könnte sich Valerius als nützlich erweisen.

V

»Merkst du irgendeine Verbesserung?«

Julia, die rothaarige keltische Sklavin, die Olivias engste Vertraute war, schüttelte den Kopf. »Nein.«

Er hörte einen Unterton aus ihrer Stimme heraus. »Du bist mit meinem Vorgehen nicht einverstanden?«

»Ich bin mit allem einverstanden, was sie wieder gesund macht, aber diese Leute … sie sind so anders. Wir sollten unseren eigenen Göttern vertrauen.«

Erneut dieses Wort, »vertrauen«. Valerius wollte an die Götter glauben, aber alles, was er mit seinen eigenen Augen gesehen hatte, ließ ihn zweifeln. Vor einer Stunde hatten sie Olivia den Trunk des Judäers eingeflößt, doch bislang hatte er keine Wirkung gezeigt. Ein Gedanke ließ Valerius erschauern. Vielleicht bestraften die Götter ihn für seinen Mangel an Frömmigkeit, und er selbst war der Grund dafür, dass Olivia dort so hilflos lag, nur noch ein blasser Schatten der fröhlichen jungen Frau, die sie noch vor wenigen Monaten gewesen war. Aber wenn er das glaubte, würde er verrückt werden. »Wir müssen alles tun, was in unserer Macht steht, um welchen Preis auch immer.«

Julia nickte, und als sie das Zimmer verließ, streifte ihre Hand kurz die seine. Er wusste, dass es eine Einladung war, doch das alles lag lange zurück, und sein Leben war schon kompliziert genug. Er schlief eine Weile auf der Couch neben dem Bett seiner Schwester, bis er mit irgendeinem inneren Sinn eine Bewegung wahrnahm. Olivia öffnete die Augen und blickte zu ihm auf. Diesmal erkannte sie ihn auf Anhieb, und er bemerkte das Erstaunen in ihrem Gesicht. Aber es galt nicht nur seiner Anwesenheit.

»Ich fühle mich eigenartig.« Ihre Stimme war rau, weil sie so lange nicht mehr gesprochen hatte, und schnell schenkte er aus einem Krug in der Ecke des Zimmers einen Becher Wasser ein. Einen Moment lang überkam ihn Panik. Eigenartig? Hatte der Judäer sie vergiftet? Als er den Becher an ihre Lippen führte, hob sie ihm zu seiner Überraschung den Kopf entgegen. Dazu war sie schon eine Woche nicht mehr imstande gewesen.

Sie überraschte ihn ein weiteres Mal, als sie behutsam den Arm hob, selbst erstaunt über ihre Fähigkeit, diese einfache Aufgabe zu vollbringen. Und erneut, indem sie ihn anlächelte. Die alte Olivia.

»Ist Vater da?«, fragte sie. »Ich dachte, ich hätte seine Stimme gehört.«

Er schüttelte den Kopf. »Er hat auf dem Landgut zu tun. Sie bereiten sich auf die Ernte vor.«

»Ich wünschte, ich könnte wieder so wie früher bei der Ernte helfen«, sagte sie, und dieser einfache Satz brach ihm fast das Herz.

»Das wirst du auch bald können. Wenn du wieder richtig gesund bist.«

»Ich fühle mich jetzt schon gesund«, beharrte sie und versuchte, sich zum Sitzen aufzurichten.

Er drückte sie sanft zurück. »Immer eins nach dem anderen, Schwesterchen.« Olivia lächelte über das alte Kosewort. »Erst einmal musst du Kraft schöpfen. Du musst etwas essen.« Sie sah ihn an, als wäre das ein nie dagewesener Gedanke. Er gab nach. »Na gut. Dann vielleicht ein bisschen Brühe?«

»Nein. Bitte. Es ist nur …« Sie schüttelte den Kopf. »Es kommt mir so lange vor, seit ich etwas Richtiges gegessen habe. Ich habe Heißhunger.«

Er rief nach Julia, die in Tränen ausbrach, als sie sah, dass Olivia erwacht war.

Valerius sah seiner Schwester beim Essen zu – ein wenig gekochte Hühnerbrust und ein reifer Pfirsich aus dem Garten – und musterte sie dabei aufmerksam. Die Veränderung machte ihn staunen. Noch vor wenigen Stunden war sie ein Pflegefall gewesen; jetzt dagegen sah sie beinahe so aus, als könnte sie tanzen. Seine Freude wurde jedoch von Simons Warnung gedämpft: Die Wirkung wird nicht von Dauer sein. Trotzdem gab es jetzt Hoffnung, und Hoffnung war etwas, das er seit vielen Wochen nicht mehr empfunden hatte.

Als sie gegessen hatte, bestand sie darauf, dass Valerius ihr beim Aufsetzen half. »Ich möchte mich wie ein normaler Mensch unterhalten«, sagte sie. »Ich habe es satt, als Leiche herumzuliegen.« Sie musterte ihn so, wie er eben sie gemustert hatte. »Du bist unglücklich, Valerius. Das sehe ich in deinen Augen.«

Er zuckte mit einem angedeuteten Lächeln die Schultern, fand aber nicht die Worte, um seine Gefühle auszudrücken.

»Meinetwegen?«, fragte sie, da sie seine Gedanken las. »Lass dich nicht durch mich belasten, Bruder. Ich weiß, dass ich sterbe.« Er öffnete den Mund, um zu widersprechen, doch sie legte ihm den Finger auf die Lippen. »Nein, streite es nicht ab. Auch wenn du heute dieses magische Kunststück bewirkt hast, spüre ich doch, dass ich dahinschwinde. Aber sei nicht traurig. Ich habe keine Schmerzen, sondern fühle mich nur schwach. Die Götter rufen mich zu sich, und wenn die Zeit da ist, gehe ich bereitwillig. Ich bitte dich nur, dass du bei den Lemurien meiner gedenkst. Ich würde Vater gern noch einmal sehen, aber … ich verstehe. Es geht hier jedoch nicht nur um deine kleine Schwester. Ich habe es gleich nach deiner Rückkehr aus Britannien gespürt.« Sie streichelte seine hölzerne Hand. »Etwas hat dich dort verändert, und nicht nur das hier.«

Sie hatten nie darüber gesprochen, aber ein hohles Gefühl in seinem Inneren sagte ihm, dass dies die letzte Gelegenheit sein mochte. »Ich habe ein Mädchen kennengelernt, aber sie ist … nicht mehr da. Ich habe als Soldat ein neues und anderes Leben geführt und vermisse es.«

»Dann werde doch wieder Soldat. Du bist noch jung. Noch immer stark.« Sie griff nach seiner linken Hand und strich über die Schwielen, die die langen Stunden des Trainings mit dem gladius ihm eingebracht hatten. »Du warst ein guter Soldat?«

»Ja, das war ich.«

»Dann werden sie einen Platz für dich finden.«

»Vater möchte mich im Senat sehen.«

Sie lachte, und es war wie das Klingeln eines zarten Silberglöckchens. »Du wirst niemals ein Politiker, Valerius. Wenn dich das erste Mal ein schmieriger Ädil, der befördert werden möchte, zu bestechen versucht, wirst du ihn in den Tiber werfen.« Ihr Gesicht wurde wieder ernst. »Du kannst dein Leben nicht für Vater leben. Du musst deinen eigenen Weg finden.«

Sie ließ sich zurücksinken, und er legte die Hand auf ihre. Er erinnerte sich daran, wie sie an dem Tag gewesen war, als sie den Heiratskandidaten ihres Vaters zurückgewiesen hatte. Ihre Augen hatten gelodert, und die Luft hatte vor höhnischer Verachtung geknistert. Kein Wunder, dass der alte Mann sie nicht sehen wollte.

»Erzähl mir von Britannien«, sagte sie. Die Bitte ließ ihn kurz zögern. Er hatte niemandem je die Wahrheit über seine Erfahrungen in Britannien enthüllt, nicht einmal Fabia. Aber als gute Schwester, die sie war, ebnete Olivia ihm den Weg. »Aber nur von den glücklichen Zeiten.«

Und so erzählte er ihr von dem schönen Land, den Wäldern und Wiesen mit ihren unzähligen Grünschattierungen, dem reichlich vorhandenen Jagdwild und dem Stolz der Legionen; von seiner wunderschönen Maeve und ihrem leichtsinnigen Vater Lucullus, von Falco und den Verteidigern des Claudiustempels und von Cearan und den furchterregenden icenischen Kriegern in seinem Gefolge.

»Es klingt so, als wäre er sehr gut aussehend«, sagte sie. »Für einen Barbaren.«

»Das war er. Und ein anständiger Mann.«

»Falls du noch einmal in den Legionen dienen würdest, wo wäre das? Wieder in Britannien?«

Er schüttelte den Kopf. »Lieber nicht. Britannien birgt zu viele Erinnerungen für mich. An der Grenze des Rhenus gibt es immer Probleme, und einen guten Offizier würde man dort willkommen heißen, selbst jemanden mit nur einem Arm. Oder ich gehe hinauf nach Illyrien und kämpfe gegen die Barbaren am Danuvius. Das wahrscheinlichste Einsatzgebiet wäre allerdings Armenien im Osten, wo General Corbulo einen Feldzug gegen die Parther führt.«

»Dann also Armenien, mein Heldenbruder. Morgen musst du Nero ersuchen, dir eine Position in General Corbulos Stab zu geben, und« – mit ihrer schönen Stimme ahmte sie den wichtigtuerischen Tonfall ihres Vaters nach – »kehre nicht zurück, ohne dem Namen der Valerii neue Lorbeeren hinzugefügt zu haben.«

Er hätte ihr geantwortet, doch sie schmiegte sich ins Kissen und schloss die Augen. Wenig später war sie tief und fest eingeschlafen. Er machte es ihr so bequem wie möglich und küsste sie sanft auf die Stirn. Unter seinen Lippen fühlte sich ihre Haut fiebrig heiß an.

Auf dem Weg in sein Zimmer begegnete er im Flur Julia.

»Ist sie …«

»Sie schläft, aber ich glaube, die Wirkung des Medikaments lässt bereits nach.«

Der jungen Sklavin stiegen die Tränen in die Augen. »Bitte den Barbarenarzt, meiner Herrin zu helfen. Falls …«

Er berührte sie am Arm. »Du kannst ihn selbst bitten. Er hat versprochen, sie zu besuchen, aber nenne ihn nicht einen Barbaren. Sonst verwandelt er uns noch alle in Frösche.« Der alte Scherz brachte sie zum Lächeln. »Ach ja, Julia?«

»Ja, Herr?«

»Deine Herrin Olivia sagte, sie habe heute eine Männerstimme gehört. War ein Besucher da, von dem du mir nichts erzählt hast?«

»Nein, Herr«, antwortete sie. Doch diese Antwort ließ lange auf sich warten.

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I

Rom, 63 n. Chr.

Sie stürmten in Wellen über das zertretene Sommergras auf ihn zu, hochgewachsen, schlank und für den Krieg geschaffen. Ihre Speerspitzen blitzten im Licht der noch tief am Himmel stehenden Morgensonne, und ihr Kommen wurde vom Donnern ihrer Schritte begleitet. Und so, wie sie kamen, erschlug er sie.

Er war dafür geboren, Tod zu bringen. Er zersprang fast von der wilden, atavistischen Freude des Kriegers, während die Spitze seines gladius, geführt von seinem starken rechten Arm, Kehlen zerschnitt und Bäuche aufschlitzte. Jeder Hieb oder Stoß wurde von einem roten Nebel begleitet, der die einzige wahre Signatur der Schlacht ist.

Einen nach dem anderen sah er sie sterben, und er zählte seine Opfer nach den Namen der Römer, die er rächte. Für Lunaris. Für Saulus. Für Messor. Für Falco.

Für Valerius.

Beim nächsten Hieb zauderte er, und um ihn her erstarrte die Schlacht. Die Schreie der Sterbenden waren gefangen wie Fliegen in einem Netz; Speere stockten mitten im Flug, und miteinander kämpfende Feinde verharrten auf Messers Schneide zwischen Leben und Tod. Nein, nicht: »Für Valerius.« Gaius Valerius Verrens lebt. Ich bin Gaius Valerius Verrens. Die Worte hallten in seinem Kopf wider, und er fragte sich, ob er sich zu den Göttern in ihrer elysischen Feste gesellt hatte.

In diesem Augenblick spürte er, dass sie da war. Ein flammendes Rotbraun am Rande seines Gesichtsfelds. Durchdringend grüne Augen, die sich in seine Seele bohrten. Boudicca. Seine Feindin. Auf ihren unausgesprochenen Befehl hin lebte der Kampf erneut auf. Die Speere flogen wieder. Männer blieben am Leben oder starben. Doch jetzt hatte das Tempo sich verändert. Bisher hatte immer er den Vorsprung an Geschwindigkeit und Weitblick gehabt. Andere Männer waren zu langsam oder zu blind gewesen. Andere Männer waren gestorben. Jetzt aber war es anders.

Gefangen in seiner eigenen Falle, bewegte Valerius sich so benommen wie jemand, der durch einen brusthohen See watet. Das Schwert lag drückend schwer in seiner Hand, und er musste sich anstrengen, um den großen Schild mit dem geschwungenen Rand hochzuhalten. Die Waffen seiner Feinde schossen aufblitzend auf ihn zu, ein Sturm glänzender Eisenklingen, die die Schwachstellen seines Panzers und das weiche Fleisch seiner Kehle durchbohrten, ohne dass er sich dagegen wehren konnte. Der Biss der scharfen Schneiden ließ ihn vor Schmerz und Wut aufschreien, und zum ersten Mal erlebte er die Verzweiflung des Besiegten. Er rief seine Götter an, wusste aber, dass sie ihn verlassen hatten.

»Valerius?«

Eine Frauenhand hielt das Schwert auf, das bereit war, ihn zu töten.

»Valerius!«

Er schlug die Augen auf. »Fabia?«

»Du hast geträumt. Und laut geschrien.«

Er brauchte ein wenig, um den vertrauten Anblick und Geruch des Schlafzimmers mit dem in Einklang zu bringen, was er gerade erlebt hatte. Sein Körper zitterte vor Anspannung, und die zerknüllten Bettlaken unter ihm waren feucht von Schweiß. Dabei war es ganz anders gewesen. Damals hatte er Abstand zur Schlacht gewahrt wie ein Feigling, denn er war ein frisch verkrüppelter Mann gewesen. Männer waren zu Tausenden und Zehntausenden gestorben, doch er hatte keinen Einzigen von ihnen getötet.

Fabia beugte sich über ihn, golden und schön, ein sicherer Hafen. Sie legte ihm die kühle Hand auf die Stirn. Ihre Augen von der Farbe und dem Facettenreichtum eines geschliffenen Saphirs waren von Sorge erfüllt und noch von etwas anderem. Ein Nadelstich von Schuldgefühl durchfuhr ihn, und instinktiv griff er nach dem Anhänger, der an seinem Hals hing. Es war ein kleiner goldener Keiler, das Symbol der Zwanzigsten Legion.

»Du musst sie sehr geliebt haben.« Es war eine Feststellung, keine Frage.

Ich habe sie getötet. Das stimmte nicht. Er hatte Maeve verraten, aber das Schwert, das ihr in Boudiccas letzter Schlacht das Leben genommen hatte, hatte ein anderer Mann geführt.

Fabia beugte sich über ihn und küsste den marmorierten Stumpf seines rechten Arms, ihre Brust streifte leicht über seinen Bauch. Der Verlust seiner Hand war der Preis für sein Leben gewesen. Jeden Tag war er beim Aufwachen verblüfft, dass sie nicht mehr da war. Jeden Tag ertrug er einen Schmerz, für den es kein Heilmittel gab. Es war seine Bürde, und er würde sie sein Leben lang tragen. Wie seine Schuldgefühle.

Er ließ sich zurücksinken und starrte an die bemalte Decke. Unter dem wohlwollenden Blick der Göttin Diana jagten mollige, fröhliche Nymphen Rehe und Antilopen über üppige Wiesen. Mit einem Seufzer legte Fabia sich halb auf ihn, ihr Körper schmiegte sich weich an seine kantige Härte. Er stand drei Wochen vor seinem sechsundzwanzigsten Geburtstag, und es war beinahe zwei Jahre her, seit er aus dem von der römischen Rache ausgebluteten Britannien zurückgekehrt war. Man hatte ihn zum Helden Roms erklärt, und die Corona aurea war ihm von Nero persönlich aufs Haupt gesetzt worden. Diese Ehre hatte ihm einen Ruhm eingetragen, den er weder wollte noch verdient hatte, und außerdem Neros Gunst. Da man sich auf diese nicht verlassen konnte, war das eine recht zweischneidige Sache, wie er bald feststellen sollte.

Zunächst war der junge Kaiser entzückt gewesen, einen Altersgenossen – und Kriegshelden – an seiner Seite zu haben. Valerius musste jeden Tag den vergoldeten Palast auf dem Palatin aufsuchen und bei Hof anwesend sein, um Neros Versammlungen zu schmücken und ihn mit Geschichten von Schlachten, Kameradschaft und Opfermut zu begeistern. Natürlich hatte er sich geschmeichelt gefühlt: Welchem Soldaten, selbst einem so versehrten Soldaten wie ihm, wäre es anders ergangen? Zwischen den Marmorsäulen und bemalten Statuen verbeugten sich große Männer, Konsuln und Generäle vor ihm. Und schöne Frauen kamen zu ihm und führten ihn in schattige Winkel, wo sie auf ihn einflüsterten, als wäre das Unwahrscheinlichste möglich oder sogar gewiss. Die ganze Zeit spürte er dabei, wie die harten, kleinen, fiebrig glänzenden Augen des Kaisers ihm auf Schritt und Tritt folgten und immer leidenschaftlicher wurden. Er war kein Dummkopf. Er hatte die Geschichten gehört. In der Legion hatte er sein Leben mit Männern geteilt, guten und schlechten, und er wusste, dass mancher einen Geschmack hatte, der nicht der natürlichen Richtung folgte, und dass manche Männer überhaupt keine Grenzen kannten. Als Junge hatte er etwas erlebt, was er für Liebe gehalten hatte, doch was zwischen Knaben hinnehmbar war, musste zwischen Männern nicht richtig sein. Bevor ihm das Angebot gemacht wurde, ließ er erkennen, dass er es ablehnen würde.

Um dem Sturm auszuweichen, der daraufhin unvermeidlich losbrechen musste, war er ein Jahr nach Griechenland gegangen und hatte gehofft, vergessen zu werden. Das selbst auferlegte Exil verschaffte ihm die Möglichkeit, seine philosophischen Studien wieder aufzunehmen, unter dem großen Apollonius, der seine Wanderschaft für eine Weile in Athen unterbrochen hatte. Aber als Valerius zurückkehrte, stand sein Name noch immer auf der Liste mancher Höflinge. Er wurde weiterhin in den Palast eingeladen. Man beobachtete ihn. Doch jetzt war es eine andere Art von Beobachtung. Sie war gefährlich. Wenn er früher die Taktik des britischen Statthalters gelobt hatte, hatten seine Zuhörer stets Zustimmung bekundet. Jetzt dagegen wandten sie sich kopfschüttelnd ab und murmelten Worte wie »Despot« und »Schlächter«. Paulinus sei zu weit gegangen, sagten sie; er habe die Provinz ausgeplündert, wo er sie hätte wiederbeleben müssen. Seine Abberufung stand bevor. Wenn Valerius jetzt Zuhörer hatte, lauschten sie ihm nicht dankbar, das begriff er, sondern merkten sich das, was er sagte, für später, wenn …

Ein schlanker Finger wischte durch den kühl gewordenen Schweiß, der sich zwischen den Wölbungen seiner Brustmuskeln angesammelt hatte. »Wir sollten baden.«

Valerius verjagte die Melancholie aus seinem Kopf und lächelte Fabia an, die sich von seinem Körper löste und ihm in das kleine Badehaus voranging. Nachdem sie abwechselnd das caldarium und das tepidarium genossen hatten, hüllte Fabia sich in ein Tuch und führte ihn zu einem glatten Steintisch, wo sie seinen Körper mit geübter Hand einölte, jeden Muskel seiner Schultern, seines Rückens und seiner Beine ausstrich und ihn dann umdrehte, um dasselbe mit seiner Brust und seinem Bauch zu machen. Unter ihren starken Fingern spürte er erneut, wie das heiße Blut der Begierde wieder in ihm aufstieg.

Bevor er reagieren konnte, ließ sie das Tuch fallen und schwang sich zu ihm hinauf, um sich in einer einzigen gleitenden Bewegung auf ihm niederzulassen.

Die Intensität ihrer Wärme ließ ihn nach Luft schnappen.

»Das bedeutet wohl, dass ich mehr zahlen muss«, brummte er in dem Versuch, sich auf irgendetwas zu konzentrieren, was nicht unterhalb seiner Taille geschah.

»Oh nein, Valerius.« Fabias Stimme hatte ein Timbre, als würde Rohseide über raues Holz gezogen. »Das ist ein Geschenk an mich selbst. Bleib einfach so liegen, wie du bist.«

Viel später begleitete sie ihn zur Tür und hob die Lippen, um ihm ein schickliches Abschiedsküsschen zu gestatten. Fabia Faustina, erlesene Kurtisane, Freundin der Kaiserin Poppaea Augusta Sabina und wahrscheinlich die schönste Frau in Rom. Sonderbar, dass sie so viel für ihn empfand, obwohl sie wusste, dass er ihre Gefühle niemals erwidern konnte.

»Und was hält das Gericht heute für dich bereit? Bist du Verteidiger oder Ankläger oder beides?«, fragte sie leichthin.

»Weder noch.« Valerius gestattete sich ein trauriges Lächeln. »Ich muss Olivia Beistand leisten.«

Fabia sah ihn an, doch ihre Gedanken blieben in den blau-goldenen Tiefen ihrer Augen verborgen. »Sag ihr, dass ich für sie bete.«

Wo Fabias Schönheit wie ein kaiserlicher Park in voller Blüte erstrahlte, war Olivias Liebreiz ätherischer: ein Schneefeld in den Alpen, das nur vom Wind berührt wird, oder eine Statue aus jungfräulichem Marmor, bevor der Künstler die erste Farbe aufträgt. Valerius blickte auf seine Schwester hinunter, die in dem Haus am Clivus Scauri darniederlag. Das Gesicht war so königlich und blass wie das einer ägyptischen Prinzessin und wurde von langem, fast rabenschwarzem Haar umrahmt, das von ihrer Zofe Julia Strähne um Strähne exakt gelegt worden war. Seine Schwester hatte die wie gemeißelten Gesichtszüge, die an ihrer Familie so bewundert wurden, aber sie waren bei ihr feiner als in der männlichen Linie. Eine schmale, aristokratische Nase, ein Kinn, das von Entschlossenheit und Zielstrebigkeit zeugte, und ein Mund, der vor ihrer Erkrankung immer zum Lächeln bereit gewesen war. Als er sie betrachtete, fiel ihm auf, dass sie sich selbst in der kurzen Zeit, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, verändert hatte, und er ersetzte das Wort »zart« durch »fragil«.

»Sie schwindet dahin.« Er versuchte, nicht anklagend zu klingen.

Der penibel gekleidete Mann neben ihm regte sich unbehaglich. »Wir tun, was wir können. Das Dienstmädchen flößt ihr nach unserer Anweisung dreimal täglich die Arznei ein. Sie badet ihre Herrin nur mit warmem Wasser und gibt ihr dreimal am Tag eine dünne Suppe.«

»Von der mehr verschüttet als gegessen wird«, merkte Valerius an.

Der Arzt Metellus runzelte die Stirn, was seine Hängewangen zum Beben brachte, und zog die wässrigen Augen zusammen. »Wir können ihr nur eine begrenzte Menge aufnötigen, sonst schadet es mehr, als es nützt. Sie ist dünn, aber noch nicht zum Skelett abgemagert. Wenn die Götter wollen, gibt es immer noch Hoffnung. Du hast dem Asklepius ein Opfer dargebracht, wie ich es dir geraten habe?«

Valerius’ Glaube an die Götter war einer harten Prüfung unterzogen worden, als er zwei Tage lang im Tempel des Claudius darauf gewartet hatte, von rachedurstigen britischen Kriegern in Stücke gerissen zu werden. Die Tatsache, dass er überlebt hatte, hatte seinen Glauben nicht wiederhergestellt, doch er würde alles tun, was Olivia vielleicht helfen könnte. »Ich habe heute Morgen das Hospital am Tiber aufgesucht, und der Priester hat dem Gott einen weißen Widder geopfert.« Der Arzt nickte beeindruckt. Ein weißer Widder war mehr als nur ein symbolisches Opfer. Er fragte sich, ob er ein ausreichend hohes Honorar berechnete. »Die Zofe Julia hat außerdem der Guten Göttin ein Opfer dargebracht«, fuhr Valerius fort.

Auch das war nur vernünftig. Bona Dea, die Göttin der Frauen, des Heilens und der Fruchtbarkeit, würde sich bestimmt von ihrem Tempel auf dem Aventin zugunsten Olivias verwenden.

»Dann tust auch du alles, was dir möglich ist.« Er zögerte. »Wenn vielleicht euer Vater …«

Valerius schüttelte den Kopf. »Er wird nicht kommen.« Mehr brauchte er nicht zu sagen. Sein Vater Lucius hatte die Zukunft ihrer Familie auf eine Heirat zwischen Olivia und einem unanständig reichen, aber sehr alten entfernten Verwandten des Kaisers gesetzt. Olivia hatte einen einzigen Blick auf die Glatze und die Runzeln ihres Zukünftigen geworfen, der nur einen letzten schwarzen Zahn sein Eigen nannte, und gelobt, sich auf der Stelle die Pulsadern aufzuschneiden. Lucius’ Ruf hatte mehr darunter gelitten, dass er vor ihrer Drohung kapituliert hatte, als darunter, dass sie Calpurnius Ahenobarbus zurückgewiesen hatte. Nach dem Gesetz hätte er das Recht gehabt, Olivia in die Sklaverei zu verkaufen oder sie sogar zu töten, doch trotz all seines patrizischen Gebarens war er immer ein liebevoller Vater gewesen, und so hatte er sich lieber für die Schande entschieden, als seine Tochter noch tiefer ins Unglück zu stoßen. Seit dem Skandal hatte er sich auf das Familiengut bei Fidenae zurückgezogen und sich seinen Weinstöcken und Olivenbäumen gewidmet. Valerius hatte ihn dreimal mit der Nachricht von ihrer Erkrankung kontaktiert, doch Lucius hatte den Boten jedes Mal weggeschickt. Die Ärzte, die Olivia behandelten, spekulierten, dass die Götter sich für ihren Mangel an Gehorsam gegenüber dem Vater rächten, doch Valerius verwarf diese Theorie als den verzweifelten Versuch, ihr eigenes Versagen zu rechtfertigen. Er hatte den Verdacht, dass Metellus, ein wohlmeinender Säufer, der behauptete, in Smyrna und Alexandria studiert zu haben, sich nun ebenfalls dieser Ansicht angeschlossen hatte.

Unter seinen Blicken schlug Olivia die schiefergrauen feuchten und leicht verwirrt dreinblickenden Augen auf. Sie erkannte ihn nur langsam, doch als sie sich bewusst wurde, dass er es war, öffneten sich ihre blassen Lippen zu einem schwachen Lächeln, und bevor sie die Augen wieder schloss, bewegte sich ihre Hand auf die seine zu. Er setzte sich aufs Bett und ergriff sie; sie war kühl und federleicht. Olivia seufzte leise, und er spürte, wie ihre Finger sich um die seinen schlossen.

So wird es sein, wenn sie stirbt, dachte er, diese hilflose Leere. Ich werde hier sitzen, ihre Hand wird erkalten, im Raum wird es dunkel werden, und ich werde sie anflehen zu bleiben, doch ihr Geist wird entfliehen, wie ich es bei so vielen sterbenden Menschen gesehen habe. Er begann, von Hoffnung, Liebe und der Zukunft zu reden, und er wusste, dass Olivia ihn hörte, aber nicht, ob sie ihn verstand.

Während er sprach, wanderten seine Gedanken zu der Zeit zurück, als ein mageres Mädchen mit schmutzigem Gesicht und zerrissener Tunika ihm auf Schritt und Tritt gefolgt war und ständig dumme Fragen gestellt hatte, die er nicht beantworten konnte. Warum? Und wie? Und was? Endlos lang waren die Tage gewesen an dem schmalen, von Bäumen gesäumten Fluss, der das Landgut mit Wasser versorgte. Zwischen den Wasserpflanzen hatten sie kleine grüne Frösche gejagt und einander mit schleimigem, gesprenkeltem Froschlaich eingeschmiert. An anderen Tagen hatten sie zwischen den Weinstöcken scheue braune Singvögel gejagt und dabei genau gewusst, dass diese zur nächsten Reihe flattern und die Jagd von vorn beginnen würde. Er erinnerte sich an den bitteren Geschmack unreifer Trauben und die Magenkrämpfe, die darauf unvermeidlich folgten. Sie hatten einander beim Heranwachsen zugesehen.

Und dann der Tag, der ihn mit der Frage konfrontiert hatte, was für ein Mensch er eigentlich war. Damals war sein Geduldsfaden schließlich gerissen, und ermutigt von den Sklavenjungen, hatte er sie im Keller unter dem Haus eingesperrt und war weggegangen. Er würde niemals den Ausdruck in ihren Augen vergessen, als er eine Stunde später zurückgekehrt war und sie vor Angst erstarrt im Dunkeln vorgefunden hatte. Oder die Anklage in den mit Kinderstimme geflüsterten Worten: »Bitte lass mich nie wieder allein, Valerius.«

Er drückte ihre Hand und stand auf.

»Ich werde alles tun, damit sie wieder gesund wird.« Er wusste, dass die Worte allein nichts bedeuteten. Vielleicht hatte er nur mit sich selbst gesprochen. Oder zu den Göttern, an die er nicht mehr glaubte. Stattdessen stellte er fest, dass der fette Arzt, dessen Gegenwart er vollständig vergessen hatte, sich angesprochen fühlte.

Angesichts der Gewissheit in Valerius’ Stimme überkam Metellus ein Anflug von Panik. Die hochgewachsene eindrucksvolle Gestalt durchbohrte ihn mit einem harten Blick, der ihn wie ein geworfener Speer traf. Er hatte alles getan, was in seiner Macht stand, wirklich. In aller Eile ging er die verabreichten Arzneien durch, als müsste er sein Leben verteidigen. Fiebersenkende Kräuter, in warmen, mit Bleizucker gesüßten Wein gemischt. Eisenhut in winzigen Dosen, um das Blut in Gang zu bringen. Hanfextrakt zur Beruhigung. Die Diät? Beispielhaft. Bei jedem Schritt hatte er die Vorsicht und den Weitblick des Arztes walten lassen. Könnte man noch etwas tun? Nein. Zweimal nein. Es sei denn …

»Es gibt da vielleicht einen Mann, der … «

»Wo kann ich ihn finden?«

II

Rom veränderte sich. Nero hatte gelobt, die Stadt in eine moderne Metropole zu verwandeln, die der Hauptstadt eines Reiches angemessen war, das mehr als vierzig Millionen Menschen beherrschte. Wenn eine Straße völlig verfallen war oder ein städtisches Elendsviertel abbrannte, musste der Wiederaufbau, dem Gebot des Kaisers folgend, um einen offenen Platz herum erfolgen, sodass die Bewohner Raum, Freiheit und Licht bekamen und eine Barriere gegen die Brände entstand, die sich mit solcher Geschwindigkeit in den vierzehn Bezirken der Stadt ausbreiten konnten. Damit folgte Nero dem Beispiel seines Onkels Caligula, doch wo Caligula die Bewohner gezwungen hatte, die Verbesserungen aus ihrer eigenen Tasche zu bezahlen, hatte der junge Kaiser seine Beliebtheit gesteigert, indem er diese Bürde selbst schulterte. Unglückseligerweise blieben jedoch einige der schlimmsten Bereiche der Stadt davon unberührt.

Mit hoch erhobener Fackel spähte Valerius in die schmale stinkende Straße, die sich vor ihm öffnete. Aus einer Gasse zu seiner Linken erklangen raues, humorloses Gelächter und Schreie, die von Lust oder aber von Entsetzen künden mochten. Ich hätte einen Leibwächter anheuern sollen, dachte er und fluchte, als er in etwas trat, das ein Tier oder Gemüse sein mochte, aber jedenfalls widerlich weich war und stank wie eine halb verweste Leiche.

Warum musste es immer die Subura sein? Roms Jauchegrube. Sechs und sieben Stockwerke hohe Mietshäuser türmten sich wie Klippen über ihm, und qualmende Öllampen brannten in Fenstern, die bestenfalls mit dem Inhalt eines Nachttopfs drohten und schlimmstenfalls mit dem Topf selbst. Die ausgefahrenen Wagenspuren dienten gleichzeitig als offene Abwasserkanäle. Da die Nacht kaum Kühlung brachte, verbreiteten sie in der zwischen den Hauswänden gefangenen Wärme ihren Gestank. Jeder Schritt konnte den Tritt in eine Falle bedeuten, und jeder dunkle Hauseingang war ein potenzieller Hinterhalt.

Trotzdem war ihm keine andere Wahl geblieben, als auf Julias Rückkehr zu warten, und wenn er versucht hätte, in einer Taverne einen ramponierten Ex-Gladiator oder aus dem Dienst geschiedenen Legionär anzuheuern, hätte er damit wahrscheinlich nur den Dolch bezahlt, der seine Leber kitzeln oder ihm die Kehle durchschneiden würde. Nach links oder nach rechts? Er ließ sich die Wegbeschreibung des Arztes durch den Kopf gehen, während er die Kreuzung zweier identisch wirkender Straßen betrachtete. Im bequemen Atrium der Villa war ihm das alles viel unkomplizierter erschienen. »Folge einfach der alten Via Subura, bis du zur Via Tiburtina kommst, und gehe weiter, bis du dich etwa hundert Schritte vor der Porta Esquilina befindest. Der Mann hat Räume in der insula zur Rechten. Im Erdgeschoss.« Bei Tageslicht hätte Valerius sich durch ein Gedränge von Passanten schieben müssen, aber keine anderen Bedrohungen zu fürchten gehabt als die Stange einer Sänfte im Rücken oder einen knochigen Ellbogen. Man hätte ihn geschubst und gestoßen, und er wäre in der Hitze fast eingegangen, aber nie direkt bedroht worden. Jetzt dagegen war er in einem stockdunklen widerlichen Labyrinth gefangen, in dem jede Straße gleich aussah und der einzige Trost darin bestand, dass die wenigen Bewohner, denen er zu dieser späten Stunde begegnete, sturzbesoffen waren.

Als er ein Rascheln hörte, wandte er sich scharf um und griff unter seinem Umhang instinktiv nach seinem Schwert. Das Rascheln hörte auf und wich einem leisen Winseln. Er musste über sich selbst lachen. Gaius Valerius Verrens, der Held Roms, der Mann, der den Tempel des Claudius bis zum letzten Mann verteidigt hatte, hatte Angst vor einem Straßenköter.

Nach links oder nach rechts?

Nach rechts.

Er hatte darum gefleht, in den Legionen bleiben zu dürfen, obwohl seine Verwundung bedeutete, dass er nie wieder in einer Schlachtreihe kämpfen würde. Nein, hatte sein Vater entgegnet, dies ist unsere große Chance: erst der Anwaltsberuf und dann der Senat; sorge dafür, dass der Name Valerius in den Marmorhallen des Palatins erklingt. Er hatte gehorcht, aus Pflichtgefühl. Es war dasselbe Pflichtgefühl, das ihn zu dem Soldaten gemacht hatte, der er einmal gewesen war. Und dank der Kundschaft, die von der Corona aurea angezogen wurde, war er damit gut gefahren. Jeder aus dem Dienst geschiedene Veteran, sei er General oder Legionär der dritten Reihe, jeder wollte von Gaius Valerius Verrens vertreten werden. Wie bei den Schlachten gewann er mehr Fälle, als er verlor, weil er sich mit Sorgfalt vorbereitete und hart für seine Klienten kämpfte, selbst wenn er ihnen kein Wort von dem glaubte, was sie ihm erzählten.

Die Straße wurde breiter, und vor sich erblickte er einen blassen Lichtschimmer. Irgendein offener Platz.

»Er ist ein Medicus, der erst vor Kurzem aus dem Osten eingetroffen ist«, hatte Metellus erzählt. »Manche behaupten, dass er Wunder vollbringe, andere dagegen sagen, er handele nur mit duftendem Rauch und glänzenden Spiegeln. Ein Judäer; er betreut die Leute seines Volkes und sucht keinen Gewinn. Er wirbt nicht mit seinen Diensten. Du wirst große Überzeugungskraft aufbringen müssen. Wie er aussieht? Woher soll ich das wissen?«

Das Licht kam aus einer widerlichen Spelunke, die hinter einem offenen Hof lag. Ein behauener Steinbrunnen stand darauf, er hatte die Form eines Fisches. Valerius eilte vorbei und bemühte sich dabei, einfach wie ein ganz normaler Betrunkener auszusehen. Doch die Blicke, die ihm folgten, waren die Blicke von Raubtieren und nicht von gewöhnlichen Männern.

Ein Mann konnte vielleicht in der Subura überleben, ohne zu einer Bande zu gehören, eine Bande zu bezahlen oder eine Bande zu besitzen, doch für ihn und seine Familie wäre es ein gefährliches Leben. Der rothaarige Culleo, Bastard eines Vaters, den allein Jupiter kannte, gehörte, solange er sich erinnern konnte, irgendeiner Bande an. Erst stand er Schmiere, während andere stahlen, dann lernte er, selbst Brot, Obst und Fleisch von den Straßenständen zu klauen, während die kleineren Jungen die Besitzer ablenkten. Als seine Kräfte wuchsen, ergaben sich bessere Gelegenheiten, und er wurde zum Vollstrecker. Den ersten Mann tötete er im Alter von fünfzehn, und drei Jahre später schnitt er seinem eigenen Vorgänger die Kehle durch. Als Waffe bevorzugte er das Messer, und er trug immer zwei bei sich: gefährliche Waffen mit langen, geschwungenen Klingen, die er liebevoll schärfte und die ebenso sehr zum Stechen wie zum Aufschlitzen geeignet waren. Culleo war klein und breit, aber sein Körperbau täuschte über seine Schnelligkeit hinweg, die normalerweise reichte, dass seine Opfer lautlos starben. Wenn er niemandem eine Lektion erteilen musste, griff er am liebsten von hinten an, weil das schneller ging und einfacher war. In der Subura, oder zumindest in den Straßen und Gassen rund um die Meeräsche, war er der Wolf, und jeder, der hier nicht hingehörte, war seine Beute.

Die Fackel, die Valerius mit sich führte, zog Culleo an wie das Licht die Motte. Warum sollte ein Betrunkener eine Fackel bei sich tragen, wo er sich doch an den Wänden entlangtasten konnte, die er so gut kannte wie die linke Titte seiner Mutter? Sobald er Valerius entdeckt hatte, war er ihm gefolgt. Ein hochgewachsener Mann, obgleich er gebeugt ging, um es zu kaschieren. Er war in einen teuren Umhang gekleidet. Dann war er also ein Dummkopf. Jeder Umhang, mit dem jemand in der Subura herumwedelte, schrie danach, gestohlen zu werden, und ein Mann, der einen Umhang trug, würde auch noch andere Dinge bei sich tragen, die das Stehlen wert waren, und seien es nur seine Kleider und seine Schuhe.

Außerdem war da noch etwas anderes. Aus zwanzig Schritten Entfernung hatte Culleo mit seinen scharfen Augen die winzigen Details bemerkt, die einem anderen vielleicht entgangen wären: die Körperhaltung des Dummkopfs, die leichte Bevorzugung seiner rechten Seite, der kantige Unterkiefer und die wie gemeißelten Züge. Die Beschreibung hätte auf zwanzig andere Männer passen können – abgesehen von einem wichtigen Detail, das sich leicht unter dem Umhang verbergen ließ, das Culleo aber spürte. Aus dem unsichtbaren Netzwerk, dem sich alle Banden unterordneten, hatte ihn eine Nachricht erreicht. Selbst der Wolf muss dem hungrigen Tiger einen Teil seiner Beute abgeben. Culleo wusste, wollte man in der Subura überleben, so musste man vor allem »ihnen« gehorchen. Er lächelte und enthüllte dabei ein Schlachtfeld fauliger Zähne; jemand wollte diesen Mann tot sehen und war bereit, ein hübsches Sümmchen dafür zu zahlen.

Er schätzte Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung seines Opfers ein, wobei ihm klar war, dass der Mann schneller gehen würde, sobald er an dem offenen Hof vorbei wäre. Wer ging denn nachts langsam durch die Subura? »Iugolo? Fimus?« Er rief zwei seiner Männer aus der Taverne. Der eine, älter und massig, hatte nur ein Auge und statt des zweiten eine feuchte, rinnende Augenhöhle. Der andere war drahtig, wirkte trügerisch jungenhaft und war selbst für die Subura bemerkenswert schmutzig. »Nehmt die Seitengasse entlang der Gerberei, und schneidet ihm vor der Tiburtina den Weg ab. Wenn wir schnell sind, können wir ihn uns in der Gasse der Pockenhure schnappen. Unternehmt nichts, bis ich mit dem Griechen dort eintreffe.« Vier gegen einen: Reichte das? Er könnte noch mehr Männer zusammentrommeln, aber dann bräuchte er Zeit, um sie aus dem Bett zu holen und nüchtern zu machen. Bis dahin könnte die Beute verschwunden sein. Nein, vier Mann waren genug. Das Opfer war ein Dummkopf. Ein Schaf, das darauf wartete, geschoren zu werden. Nein, verbesserte er sich grinsend, ein Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank.

Nachdem Valerius an der Taverne vorbei war, schritt er rasch aus, doch dabei hielt er unausgesetzt nach Gefahren Ausschau. Die Straße wurde wieder enger, und das flackernde orangegelbe Fackellicht hüpfte über dreckige Wände und schuf die Illusion von unausgesetzter Bewegung, sodass seine Sinne ständig auf nicht vorhandene Bedrohungen reagierten. Ein Paar mandelförmiger Augen glühte unheimlich aus einem Eingang. Sonderbar, dass Rattenaugen sich im Fackellicht rot spiegelten, während die der sie jagenden Katzen wie leuchtende Smaragde glühten.

Beinahe hätte er die Bewegung übersehen.

Es war nur ein winziges Blinken von Licht auf Metall, fünfzig Schritte entfernt an einem Ort und in einer Höhe, wo eigentlich nichts blinken sollte. Sein Atem ging schneller. Er zwang sich zur Ruhe und suchte die innere Stille, die er noch vor jedem Kampf gefunden hatte. Sie musste sich langsam aufbauen, Herzschlag für Herzschlag, bis zum Moment der Gewalt. Seine Muskeln spannten sich an, und seine Sinne wurden schärfer. Wie viele waren es? Es spielte keine Rolle. Flucht war unmöglich. Hier war ihr Territorium, und sie würden ihn in kürzester Zeit zur Strecke bringen. Aber sie wussten nicht, dass er sie gesehen hatte, und das bedeutete, dass zumindest vorläufig sie die Gejagten waren und nicht er. Er ging gleichmäßig weiter, doch seine Finger legten sich fester um den Schwertgriff.

Als sie auf die Straße traten, hätte er am liebsten laut gelacht. Nur zwei? Ein mageres, verwildertes Kind, das lückenhafte Zähne fletschte und mit etwas bewaffnet zu sein schien, das wie die Aale eines Sattlers aussah. Und ein einäugiger Riese, bewaffnet mit einer nagelbeschlagenen Keule, die in seinen Pranken wie ein Spielzeug wirkte. Glaubten sie wirklich, dass er so leicht zu töten war? Mochte er auch einhändig sein, er hatte Boudiccas beste Krieger auf dem Feld vor Colonia zum Stehen gebracht. Und in dem blutgetränkten Tal, in dem Suetonius Paulinus, der Statthalter Britanniens, für die Vernichtung der Stammeskönigin gesorgt hatte, war er zwischen den zahllosen Toten gewandelt. Er fürchtete diese Männer nicht.

»Geht zu euren Huren oder Schwestern zurück, mit wem auch immer ihr vögelt.« Er spie die Herausforderung heraus, doch der Junge beachtete die Drohung nicht und hüpfte nach links und rechts, um die Straße zu blockieren, während der Riese grinsend seine Keule streichelte.

Das spöttische Grinsen reichte Valerius als Warnung. Es galt nicht ihm, sondern jemandem hinter ihm. Er fuhr herum und ließ den Mantel dabei in die Breite wirbeln, um eine weniger günstige Zielscheibe abzugeben, denn er wusste, dass die Fackel in seiner Hand den Blick jedes Verfolgers auf ihn lenken würde. Da waren zwei weitere Angreifer, weniger als fünfzig Schritte entfernt, die lautlos über das Kopfsteinpflaster auf ihn zurannten. Hier wäre Abwarten völlig verkehrt. Das würde nur dem Riesen Zeit verschaffen, ihn zu Brei zu schlagen, worauf der Junge ihm mit der Ahle die Augen ausstechen würde. Es musste schnell gehen. Der Angreifer zur Rechten, ein dunkelhäutiger Mann mit finsterem Blick, war seinem Gefährten zwei Schritte voraus. Valerius nutzte den winzigen Moment, den ihm das verschaffte, und stieß dem Räuber die lodernde Fackel ins Gesicht. Der Mann taumelte schreiend zurück und krallte nach seinen versengten Augen. Der Schwung der Drehung führte Valerius in den Weg des vierten Räubers, eines selbstbewussten rothaarigen Schlägers, der mit einer gebogenen Klinge bewaffnet war. Damit hieb er nach der Kehle des Römers. Valerius hob die rechte Hand, um den Schlag zu parieren, und wurde mit einem verblüfften Blick belohnt, als die Klinge mit einem scharfen Klacken auf etwas Hartes stieß. Culleo hatte noch immer den ungläubigen Ausdruck im Gesicht, als der gladius in Valerius’ Linken unter dem Umhang hervorschoss. Die scharfe Spitze bohrte sich unterhalb der Rippen des Bandenführers ins weiche Fleisch, dann rammte Valerius die Klinge hoch ins Herz des schreienden Mannes. Er riss das Kurzschwert heraus und spürte die vertraute Wärme des herausströmenden Blutes, mit dem wieder einmal ein Mann sein Leben über seine Hand ergoss. Dann drehte er sich nach den überlebenden Wegelagerern um. Doch der Junge und der einäugige Riese waren nicht bereit, für einen Umhang zu sterben, umso mehr, als ihr Anführer zitternd in einer immer größer werdenden Blutlache lag und der Grieche jammernd nach seiner Mutter rief. Sein Gesicht war versengt wie ein halb gares Stück Fleisch, und seine Augen würden nie wieder sehen. Sie zogen sich rasch in die Gasse zurück und verschwanden im Dunkeln.

Valerius betrachtete die Überreste der Fackel, die in seiner rechten Faust glomm. Sie war nicht mehr zu gebrauchen. Er steckte den gladius in die Scheide und zog mit seiner Linken den qualmenden Stummel aus der geschnitzten Hand aus Walnussholz, die seine fehlende Rechte ersetzte. Die künstliche Hand war dazu entworfen worden, einen Schild zu tragen, versah den Dienst als Fackelhalter aber ebenso gut. Sie war ein wenig angesengt und wies über den Fingerknöcheln, wo ihn das Messer des rothaarigen Banditen getroffen hatte, eine tiefe Kerbe auf, doch sie hatte ihren Zweck erfüllt. Er überprüfte den Sitz der aus Kuhleder gefertigten Muffe, mit der die Hand am Arm befestigt war. Wenn die Verschnürung sich lockerte, scheuerte das Leder am Fleisch des Armstumpfs, doch normalerweise sorgte ein wenig Olivenöl dafür, dass die künstliche Hand durchaus bequem saß.

Er hatte geglaubt, dass er nie wieder kämpfen würde, aber bald erkannt, dass viele Männer sich ebenso geschickt mit der linken Hand wie mit der rechten verteidigen konnten. Er hatte die ludi