Der Heroin Schuster - Alexander Golfidis - E-Book

Der Heroin Schuster E-Book

Alexander Golfidis

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Beschreibung

Pressestimmen Ein Münchner Ex-Junkie zeigt in seiner Autobiografie die Mechanismen der Sucht auf. Wie mit einem Brennglas konfrontiert er professionelle mit den Grundmustern der Sucht: "die Suche nach einem guten Zustand, die Gier und die Gewohnheit". (Süddeutsche Zeitung) Sich süchtig lesen - ganz ohne Nebenwirkungen. "Ich musste nur aufpassen, dass es nicht zuviel wurde" Es wurde zuviel. Der Lebensturm, den "Der Heroin Schuster" beschreibt, lässt den Leser nicht müde werden bis zur letzten Seite, fesselt mit der mal beiläufigen, mal plaudernden, stets direkten Erzählweise des Autors ... (Miesbacher Merkur)

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Alexander Golfidis

Der Heroin Schuster

Eine ungewöhnliche Drogengeschichte

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Impressum neobooks

Kapitel 1

Der Heroin Schuster

Als ich im Meer der Drogensucht ertrank, hätte

ich gerne von einem gelesen der nicht versank.

Der das dumme Tun hinter sich gelassen,

ohne die Welt zu verlassen.

Nun völlig frei von Sucht positiv lebt.

Drum lese und mach dich schlau,

hast du jedoch Sucht dann lese genau!

Folge dem Weg der Negatives in Positives dreht.

Darum habe ich dieses Buch geschrieben,

damit was Gutes ist geblieben.

Kapitel 2

Marilyn Monroe war schon ein Jahr tot. John F. Kennedy wurde im November des Jahres 1963 erschossen. Das Flower–Power–Zeitalter umspannte langsam den Globus. Doch manche Gegenden blieben vom Zeitgeschehen unbeeindruckt und das Spießbürgerleben feierte Hochkonjunktur.

Nach dem Winter wurden die Vorgärten aufpoliert und hie und da sah man die Nachbarn bei ihrem Plausch über das Wetter und andere belanglose Dinge zusammenstehen und genau an solchen Orten gedeihen manchmal ganz besondere Früchte.

Ich bin Alex.

1963 wurde ich im Monat Mai in München Neuaubing geboren. Wir, also Mama, meine Geschwister und ich, wohnten in Neuaubing. Mein Vater, ein Grieche, hatte neu geheiratet und musste wegen finanzieller Schwierigkeiten das Land verlassen.

Neuaubing war zur einen Hälfte Hochhausgebiet. Auf der anderen Seite lag eine kleine Siedlung mit Einfamilienhäuschen. Ich wohnte in der Spießbürgersiedlung. Das Leben verlief ziemlich normal, bis ich von der Volksschule zur Hauptschule wechseln musste. Über die Hauptschule hatte ich schon einiges gehört. Sie lag im Hochhausgebiet und dort waren die Rockergangs zu Hause. Insgeheim wäre ich gerne einer von ihnen gewesen. Nachdem nun mein Vorbild, der Papa, weg war, dachte ich mir, wenn ich auch so ein Rocker wäre, hätten alle Respekt vor mir und ich bräuchte vor niemandem mehr Angst haben. Aber das waren nur Gedanken. In Wahrheit vermied ich das Durchqueren von diesem unsicheren Viertel und nun sollte ich da zur Schule gehen. Oh Gott!

Am ersten Tag, ich war noch keine zwei Minuten in der neuen Schule, vernahm ich folgenden Satz, den ich nie wieder vergessen sollte:

»Hau ihm in die Eier, dass das Blut spritzt«.

Kaum hatte ich dies gehört, bekam ich Panik. Dummerweise musste ich noch an diesen Typen vorbei in mein Klassenzimmer, das sich im ersten Stock befand. Als ich endlich oben war, setzte ich mich und traute mich nicht mehr, mich zu bewegen. Ja nicht auffallen! Dumm war nur, dass ich dringend auf die Toilette musste. Ich konnte es gerade noch so lange verdrücken, bis der Gong ertönte. Dann rannte ich raus durch die Haupteingangstüre und da passierte es: Es ging in die Hose. Ein Riesenfleck! Im Rennen hielt ich die Schultasche davor, fünf Minuten bis nach Hause. Wie durch ein Wunder hatte niemand etwas bemerkt.

     Langsam fand ich Anschluss in der neuen Schule. Ein Junge aus meiner Klasse hieß Marcel, er war sehr stark und gefürchtet. Es dauerte nicht lange, bis wir uns angefreundet hatten. Marcel kam aus der Hochhaussiedlung. Zu Anfang unserer Freundschaft ließ ich mich immer von ihm abholen. Ich war nämlich eher ängstlich und schüchtern und von meiner Statur glich ich mehr einer Bohnenstange, als einem Muskelprotz.

     So hatte ich in Marcels Siedlung schon einige üble Erfahrungen hinter mich gebracht. Einmal als ich mit dem Rad durchfuhr, wurde ich von drei Typen angemacht. Sie fingen an zu schubsen, und ich schlug zurück. Ich saß schon als Gewinner auf dem Wortführer, als mich die beiden anderen von hinten überrumpelten und mir dann zum Siegeszeichen ein »Lamperl« drehten – dabei wird die Nasenspitze solange verdreht, bis sie rot leuchtet.

     Vor Marcel und seinen Freunden hatten alle Respekt, und so konnte ich bald alleine ins andere Viertel gehen. Denn jetzt wusste jeder, dass ich zu Marcels Bande gehörte.

     Mitdreizehn widersetzte ich mich zum ersten Mal meiner Mama. Als sie mich schlagen wollte, hielt ich einfach ihre Arme fest. Von da ab war ich frei und machte nur noch, was ich für richtig hielt.

Zu dieser Zeit fing es an, dass wir uns auch nachts trafen. Einige meiner Freunde mussten sich heimlich rausschleichen. Marcel holten wir mit einer Leiter aus dem zweiten Stock. Ich ging einfach durch die Haustüre und nahm vorher noch die Hälfte von Mams Zigaretten mit, was Mam mittlerweile kommentarlos geschehen ließ.

Dann ging’s los.

Manchmal machten wir ein paar Kellereinbrüche. Am begehrtesten waren dort natürlich die Alkoholbestände, notfalls nahmen wir aber auch Marmeladen und sonstigen Krimskrams mit. Schließlich konnten wir alles gebrauchen. Unser Hauptinteresse galt aber den Mopeds. Mein Garten glich schon einem Schrottplatz, den regelmäßig die Polizei durchsuchte. Natürlich waren wir nicht so dumm und ließen uns erwischen. Wir entsorgten die Rahmen mit den Fahrgestellnummern in einem nahegelegenen Weiher, dem Ratzensee. Da lag schon einiges drinnen – es wurde auch von Tresoren getuschelt, aber hauptsächlich handelte es sich wohl um geklaute Mopeds und Zigarettenautomaten.

In Neuaubing gab es nämlich noch eine zweite Gang, die sehr fleißig unterwegs war. Sie waren im Durchschnitt etwas älter als wir und bewohnten den oberen Teil der Hochhaussiedlung.

Wir hatten mächtig Respekt vor ihnen, man hörte wirklich schlimme Dinge. Zum Beispiel gab es da die Story von der Messerstecherei, bei der einer ums Leben kam, und es gab die Geschichte mit dem Pfeil, der bei einer Keilerei durchs gegnerische Ohr gestoßen wurde. Ja, diese Jungs schienen gar nicht nett zu sein. Heute bin ich mir sicher, dass die genauso viel Angst vor uns hatten wie wir vor ihnen, denn in unserem Viertel waren sie nie zu sehen.

Da wir uns jetzt die Nächte um die Ohren schlugen, mussten wir natürlich unser nächstes Problem angehen: Die Schule – wer Lust auf Schule hatte, konnte hingehen, aber uns kam es sehr gelegen, dass eine versierte Ärztin direkt im Einkaufszentrum neben der Schule ihre Praxis hatte. Frau Dr. M. schrieb uns krank und wir brauchten die Krankschreibung nur noch zur Schule gegenüber zu bringen. Ich liebte diese gelben Zettel und es war relativ unstressig neue zu besorgen. Mittlerweile ging schon fast die ganze Schule zu Frau Dr. M.

Erstals der Rektor die Krankschreibungen von unserer Ärztin nicht mehr akzeptierte, mussten wir neue Wege einschlagen. Da wir in puncto Krankschreibung nun schon solche Profis waren, stellte uns die neue Situation vor kein Problem: Das »Löffeln« war geboren.

Man musste nur seine Hand mit einer Zwiebel einreiben und dann mit einem Löffel immer wieder auf dieselbe Stelle klopfen, bis es anfing blau zu werden. Dann fuhren wir ins Krankenhaus. Dort wurde erst geröntgt, und dann bekam man einen Gips oder Verband. Dagegen war auch der Rektor machtlos. Manche übertrieben es und so kam unter anderem auch ein Hammer statt des Löffels zum Einsatz, welcher mit voller Wucht auf Martins Arm sauste. Martin schrie »Aua«, hüpfte etwas herum und grinste dabei.

Der, der den Hammer in der Hand hielt, war Ronaldo, eine Legende in Neuaubing. Er lief im Sommer meistens mit Clogs (Holzpantoffeln) durch die Gegend, welche er im Kampf seinen Gegnern um die Köpfe schlug. Ronaldo war etwa zwei Jahre älter als wir und wenn er nicht gerade vor der Polizei auf der Flucht war, hing er manchmal bei uns rum. Älter als sechzehn ist er nie geworden, er hat sich an Weihnachten im Gefängnis aufgehängt.    

Im Fernsehen lief damals »Kung Fu« mit David Carradine. Davon war ich schwer beeindruckt. Ich wollte unbedingt diesen Kampfsport erlernen. Damit konnte ich’s ihnen allen zeigen! Mein Traum wäre natürlich Neuaubings unangefochtene Nummer »Eins« gewesen. Wir trainierten wöchentlich zweimal bei mir im Keller. Beim Training schlug ich meinem Freund Rainer vor, seine Hand an die Decke zu heben. Er dachte wohl, so hoch könne ich aus dem Stand mit den Füßen nicht schlagen und tat wie ihm geheißen. Ich sprang, schlug zu, kickte mit dem Fuß wie in »Kung Fu«, Rainer brüllte: »Argh!« Wir fuhren ins Krankenhaus – glatter Durchbruch des Mittelhandknochens. Das hatte ich auch nicht gewollt.

Für die nächste Zeit war ich jetzt der Kung-Fu-Held in Neuaubing und für Rainer erübrigte sich das Löffeln.

Rainer war das schwarze Schaf in unserer Gang. Sobald irgendwer verarscht, gehänselt oder drangsaliert wurde, war es Rainer. Und wir hatten ein paar wirklich aggressive Psychopaten in unserer Clique.

     Da war Martin. Martin war supernett, außer wenn er betrunken war und das war er fast jeden Tag. Am meisten büßte das seine Freundin. Er schlug sie täglich mit Händen und Füßen, bis sie grün und blau war.

Ein Wunder, dass sie seine Gewaltattacken überstanden hat.

Martin war wirklich besonders. Auf der einen Seite wie ein großer Bruder, immer gutmütig und herzlich, aber auf der anderen Seite, in Verbindung mit Alkohol, konnte er total abdrehen und war nicht mehr wiederzuerkennen. Er war unberechenbar. Niemand hätte sich jemals mit ihm angelegt. Gegen einen »Psycho« konnte man nicht gewinnen. Martin war der Einzige, der stets unbesiegt blieb.

     Einmal saßen Francesco, Martin und ich bei einer Freundin zusammen. Ihre Eltern waren gerade verreist und wir schlugen uns wieder einmal die Nacht um die Ohren. Alle waren schon etwas angetrunken und in meinem Übermut schlug ich Martin mit einer Cola-Flasche aufs Knie. Es war eher in der Art, wie man seinen großen Bruder schlägt, während man weiß, dass er großzügig sein wird und nicht zurückschlägt. Martin warnte mich: »Mach's nicht noch mal!« doch ich hörte nicht auf ihn und übersah den Ernst der Situation. Da sprang er auf und schlug mich vom Stuhl. Dann trat er mit den Füßen zu und traf mich am Kopf. Blut lief über mein Gesicht und tropfte den Teppich voll. Im Nu hatte sich eine kleine Pfütze gebildet. Dabei tickte er völlig aus und schrie mich an: »Hör auf zu bluten« und die Schläge trommelten auf mich ein. Ich hatte es aber nicht auf der Reihe, das Bluten aufzuhören. Während sich Martin an mir abreagierte, kniete ich auf dem Boden und hielt meinen Kopf schützend zwischen die Knie gesteckt. Als er endlich von mir abließ, blutete ich aus allen möglichen Wunden. Heulend ging ich nach Hause. Ich sah so schlimm aus, dass ich das Kellergitter an unserem Haus abhob und durchs Fenster einstieg. Niemand sollte mich so zu Gesicht bekommen.

     In den nächsten Tagen überlegte ich mir genau, ob ich noch einmal zu meiner Clique gehen sollte, aber sie waren inzwischen zu meinen Freunden geworden und als sich Martin noch entschuldigte, war ich erleichtert. In Ordnung war es aber trotzdem nie wieder.

     Dann gab es da noch Karlo.

Karlo wurde regelmäßig von seinem Vater misshandelt; oft war sein Körper mit blauen Flecken übersät. Je mehr Schläge er bekam, desto wilder und unberechenbarer wurde er. Karlos Aggressionen kamen kalt und hinterrücks. Vor ihm musste man sich am meisten in Acht nehmen. Beispielsweise hatten wir dieses »Licht aus – Licht an« Spielchen. Jedes Mal, wenn das Licht ausging, schlug Karlo voll zu und kaum war das Licht wieder an, war er es nicht gewesen.

     Patrick, »Oberpsycho« unserer Gang, war etwa zwei Jahre älter als wir und das macht in diesem Alter zwischen dreizehn und sechzehn eine Menge aus.

Eigentlich war Patrick aus der anderen Gang in Neuaubing, aber die erwies ihm wohl zu wenig Respekt. So hatte ich ihn einmal in unserer Schule wimmernd am Kleiderhaken hängen sehen, während sich seine Kumpels dabei einen Ast lachten.

Für die großen Neuaubinger war Patrick ein Niemand, aber bei uns ließ er die Sau raus. Zu allem Überfluss wurde Patrick der beste Freund von Martin und somit war er für uns unantastbar.

     Wie immer, wenn wir uns etwas ausdachten, traf es Rainer am schlimmsten. Patricks Mama war immens dick und sehr liebenswürdig, zu liebenswürdig! So kamen wir auf die Idee, Rainer mit Patricks Mama zu verkuppeln. Da wir alle von dem Vorschlag so begeistert waren, hatte auch Patrick nichts dagegen einzuwenden. Rainer wurde etwas betrunken gemacht und mit einem Stapel Pornoheftchen alleine in Patricks Zimmer zurückgelassen. Wir dachten, er bekäme etwas Lust und würde schon auf den richtigen Gedanken kommen. Die nette, ansehnliche, füllige Misses rekelte sich ein Zimmer weiter auf der Wohnzimmercouch. Rainer kam es bestimmt komisch vor, dass wir auf einmal alle gehen mussten. In Wirklichkeit standen wir dann vor dem Fenster – und wollten sehen, wie er mit der Dicken …

Blöderweise ließen die Jalousien keinen Blick ins Innere zu. Wir bekamen nichts mit, obwohl wir sogar unsere Ohren an die Rollläden pressten und lauschten. Nachdem wir uns die Beine in den Bauch gestanden hatten, war klar, dass die Sache für uns gelaufen war – und stören wollten wir die beiden jetzt auch nicht mehr. Vielleicht bahnte sich ja schon was an?

Wir zogen davon.

Fakt war, dass Rainer erst am nächsten Morgen nach Hause kam. Und die Neuaubinger Gerüchteküche lief auf Hochtouren.

     In Wahrheit hatten zwar Rainer und Patricks Mam, die dem Alkohol auch nicht abgeneigt war, die ganze Nacht hochprozentigen Fusel getrunken, aber Gerüchte waren Gerüchte und in Neuaubing waren ständig irgendwelche unterwegs.

     Einzig Patrick hatte es hinterher doch nicht gefallen.

Gegen ihn erhob keiner so leicht das Wort. Deshalb fügte sich wohl Rainer, als ihm Patrick im Keller einen Fahrradschlauch um den Hals legte und ihn damit so lange an den Abwasserrohren aufhängte, bis Rainer blau anlief.

     Ich hasste Patrick, der bei den Gleichaltrigen ein Duckmäuschen abgab und bei uns den Tyrannen. Letztlich rettete mich nur meine Freundschaft zu Marcel vor Patricks Aggressionen, denn gegen ihn hätte er sich nie getraut anzutreten. Marcel, zäh und sehnig, war bis dato unbesiegt.

     Damals verliefen die Tage sehr oft nach demselben Schema. Ich war kaum mehr in der Schule und wahrscheinlich waren die Lehrer ganz froh darüber, wenn ich nicht im Unterricht auftauchte. Ab der achten Klasse machte ich keine einzige Hausaufgabe mehr und meine Verweis-Sammlung war enorm, inklusive einiger Direktoratsverweise.

Die Lehrerin machte sogar Hausbesuche bei meinen Mitschülern – diese sollten lieber nicht mehr mit mir spielen – nun war ich auch noch offiziell schlechter Umgang. Das kam mir gerade recht – in Neuaubing liefen die Uhren anders: Verweise, Strafanzeigen, Gerichtsverhandlungen ergaben hier Pluspunkte.

     Von dieser Schule konnte man weder fliegen noch konnte man sitzen bleiben, denn sie wollten Jugendliche wie mich auf keinen Fall länger dabehalten, als notwendig.

     Wer in dieser Schule Lehrer war, hatte es nicht leicht, aber am schwierigsten war es für jene, die sich nicht durchsetzten konnten. So wie unsere Englisch-Lehrerin. Während des Unterrichts lagen wir auf Schränken oder turnten sonst wo rum. Sie wusste, dass wir keine braven Jungs waren. Denn in der Vergangenheit wurde schon so manches Fahrzeug auf dem Lehrerparkplatz übel zugerichtet.

     Karlo erpresste die Lehrerin mit ein paar Details, die ihr schönes neues Auto betrafen, und so kam es, dass ich in Englisch in Leistungsgruppe B eine Drei bekam. Das fiel neben den ganzen Fünfen und Sechsen schon auf.

     Aber mir war schon klar, wo ich hin wollte. Auf keinen Fall so werden wie meine Onkels.

Die einzigen männlichen Vorzeigewesen in meiner familiären Umgebung waren nämlich zwei Onkel, die auch noch während ihrer Freizeit mit einem Blaumann durch die Gegend liefen. Da wären sie zwar für eine Heimwerker-Sendung gut gewesen, aber nicht für »Wie-werde-ich-zu-einem-Mann«.

Man konnte ja sehen, wo so ein spießbürgerliches Erwachsenenleben hinführte: Ausdruckslose Gesichter und Duckmäuserei den ganzen Tag. Versicherungen, Formulare und Vorschriften. Lebensziel Rente.

Nicht mit mir!!

Mein Berufsbild war klar: Ich wollte Verbrecher werden! Dafür brauchte es keine guten Noten und auch keine Schule.

     Meistens trafen wir uns vormittags bei Martin. Seine Eltern gingen beide arbeiten und so waren wir ungestört. Die Atmosphäre wirkte dort immer etwas bedrohlich, da sich die latent vorhandene Aggression leicht gegen einen selbst richten konnte. Denn als Mitläufer war ich auch stets potenzielles Opfer. Davor hatte ich ständig Angst. Spiele wie zum Beispiel »Formikula« waren der Zündfunke, um der Aggression freien Lauf zu lassen. Das Opfer bekam eine Decke über den Kopf und die anderen begannen mit Zwicken und kleinen Schlägen ihr Opfer zu traktieren, bis sich die Situation änderte und alle darauf losprügelten. Jeder wollte einmal einen unkontrollierten harten Schlag landen – das hatte zwar keinen »offiziellen« Charakter, aber so endete es meistens.

     An einen Tag erinnere ich mich besonders: Es war Winter, draußen hatte es geschneit und im Fernsehen lief nichts. Uns war stinklangweilig. Das waren keine guten Voraussetzungen für ein angenehmes Beisammensein. Alleine die Langeweile ließ das Gefühl der Angst in mir aufsteigen. Das Schema war immer das gleiche: Irgendeinem, meistens Karlo, fiel ein kleines grausames Spielchen ein. Dann kam Martin noch dazu und der Rest der Gang folgte widerspruchslos.

Karlo hatte die Idee, Rainer nackt auszuziehen, zu fesseln und auf den Balkon zu setzen – so was gefiel mir gar nicht, aber wenn ich nicht selber nackt auf dem Balkon landen wollte, musste ich mitmachen. Diese Art von Spielchen liefen bei uns unter dem Motto »Spaß«. Wir kicherten und lachten und Rainer verdrückte sich das Heulen.

     Während wir uns dann das Vormittagsprogramm reinzogen, saß Rainer nackt und gefesselt auf dem Balkon. Aus seinen Augen liefen Tränen, aber nicht nur wegen der Kälte, er konnte nicht verstehen, warum wir ihm das angetan hatten. Wir waren doch seine Freunde. Und wir verstanden es genauso wenig – das war die verdrehte Welt von Neuaubing.

     Fast immer, wenn sich etwas gegen Rainer richtete, war Karlo der Drahtzieher. Das mit dem Balkon war schon ziemlich übel. Sonst musste Rainer immer nur kleinere Späße über sich ergehen lassen, wie die Schamhaar-verseng-Aktion, bei der Karlo Rainer gezwungen hatte, die Hosen runter zu lassen und ihm dann vor allen Umstehenden sämtliche Schamhaare mit dem Feuerzeug verbrannte. Ein Andermal überredete er Rainer dazu, quasi als Unfallopfer in eine Bäckerei zu gehen. Wir legten ihm einen Kopfverband an und schminkten ihn etwas mit roter Farbe, damit es auch tragisch aussah. Dann klemmten wir ihm sein Fahrrad unter dem Arm und drückten ihm noch einen Zettel in die Hand. Rainer startete, stolperte zur Tür herein, stand dann perfekt mit Kopfverband und Fahrrad unterm Arm in der Bäckerei und las von seinem Zettel ab: »Ich bin auf den Kopf gefallen und brauche jetzt Semmeln.« Die Bäckerleute staunten nicht schlecht, gaben ihm aber dann zur Genesung, oder weil sie sonst nichts damit anzufangen wussten, zwei Semmeln mit auf den Weg. Danach standen die Bäckersleute entgeistert hinter ihrem Schaufenster und sahen mindestens sechs Jungs mit einem Lachanfall vor der Bäckerei am Boden liegen, die sich nicht mehr einkriegten.

Egal was wir alles mit Rainer anstellten, er kam immer wieder zu unserer Gang zurück.

Rainer war einfach zu gut für diese Welt.

     So gesehen teilten sich Neuaubings Menschen in zwei Lager: Vor den einen hatte man Respekt und die anderen zollten einem Respekt.

Schwarz und Weiß.

Vor der anderen Gang hatte ich ziemlich Schiss.

Mittlerweile waren bei denen noch Jüngere dazugestoßen und die bildeten dann den Vorhof zur Hölle.

Im Schnitt waren sie etwa ein Jahr jünger als wir und wären uns somit sicherlich unterlegen gewesen, wenn nicht die Größeren, meistens noch in Form ihrer Brüder, hinter ihnen gestanden hätten. Zudem traten sie nur in Gruppen auf, und so schlugen sie auch zu. Da gab es keine Chance, gegen zehn konnte man nicht gewinnen.

Hätte alles kein Problem dargestellt, wenn nicht das Jugendzentrum, in dem immer Partys veranstaltet wurden, mitten in ihrem Gebiet gelegen hätte.

Neuaubing

Neuaubing – wir nannten es auch klein Chicago – war von München abgetrennt. Wenn man als Jugendlicher nachts durch die Straßen lief, musste man sich genau überlegen, welche Viertel man wählte, es gab so manche Orte, die man besser mied.

Niemals über die Limesstraße ins Zigeuner-Viertel!

Niemals zu den Tischtennisplatten hinten am Schlittenberg! (Denn dort war der Treffpunkt der »oberen« Gang.) Und auf keinen Fall zur Hochhaussiedlung in der Kunreuthstraße!

Die meisten unserer Clique trafen sich abends im Cafe’ Reischer, dem Stammlokal unserer Gang und betranken sich regelmäßig mit Alkohol. Marcel und mir wurde das zu langweilig und so machten wir uns eines Tages gemeinsam auf den Weg ins gegnerische Lager zur Party. Ich dachte mir, das wird schon gut gehen, schließlich war Marcel nicht irgendwer und sein Ruf war weit über unser Viertel hinaus Legende.

Damals lief im Kino »The Warriors«, ein Film über Rocker-Gangs in New York, und in dem Streifen war eine Gang auf Roller-Skates unterwegs. Beeindruckt von diesem Film fuhr fast die ganze gegnerische Gang diese Roller-Skates, und sie nannten sich nun auch die Warriors.

     Karl war in der gegnerischen Gang der »Mister Unbesiegbar«. Eigentlich konnte man gegen Karl nichts sagen, er war ein Prolo wie die anderen und letztlich wie wir auch.

     Wie es anfing, weiß ich nicht mehr genau. Wir waren gerade angekommen und noch vor der Türe hatte irgendjemand Marcel angerempelt. Im Nu standen acht, neun Leute um ihn herum, alle auf Roller-Skates, und sie fingen an zu schlagen. Eine Hand packte ihn an den Haaren, Fäuste krachten in sein Gesicht. Marcel ging zu Boden. Dann traten sie mit den Skates nach ihm. Ich stand daneben, zitterte, die Angst floss durch meinen ganzen Körper. Wie gelähmt, in Zeitlupe, versuchte ich nur einen nach dem anderen wegzuziehen, aber ergebnislos – jeder wollte noch ein bisschen reinschlagen. Dann kam Karl und pfiff seine Bluthunde zurück: »Wie unfair, den mache ich doch alleine platt!« Sie ließen von ihm ab, machten Platz für ihren Chef. Marcel krümmte sich und stand dann wankend wieder auf. Er wusste es und ich wusste es, die Sache war noch lange nicht ausgestanden. Jetzt musste er gegen Karl antreten, »sich gerade machen«, so ließen sie ihn nicht ziehen. Marcel stellte sich – trotz des Blutes, das ihm übers Gesicht rann – dem Kampf. Es gab kein Zurück. Karl sprang in ihn rein, er ging ins Karatetraining und war sich seiner Sache sicher.

Marcel ging abermals zu Boden und mühte sich dann taumelnd wieder hoch. Um uns herum standen mittlerweile etwa dreißig Leute – alles Feinde. Jeder von ihnen hätte sich, wäre er allein gewesen, gegen Marcel in die Hosen gemacht. Aber zusammen waren sie eine wilde Meute. Einzig Karl hielt sie zurück, es war sein Heimspiel. Hier konnte er zeigen, was er drauf hatte, sich profilieren. Er hob den Fuß und zielte damit gegen Marcels Kopf. Der Tritt traf ihn direkt neben dem Auge, wo nun eine weitere Wunde aufgerissen war, aus der das Blut hervorquoll. Marcel fiel in sich zusammen und blieb liegen. Fünf endlose Minuten lang. Der Kampf war gelaufen. Das Zittern verbergend, half ich ihm wieder auf die Beine und stützte ihn etwas ab. Nun konnte jeder sehen, dass es zu weit gegangen war. Marcels Augen waren so zugeschwollen, dass er kaum mehr etwas sehen konnte – sie gaben den Weg frei. Wir durften ziehen.

     Als wir geknickt und geschlagen den Nachhauseweg antraten, hatte ich das schlechteste Gewissen meines Lebens. In meinen Tagträumen rückte ich mir die Situation noch oft zurecht. Verdammt, hätte ich nur zugeschlagen! Aber ich hatte mich von der Angst lähmen lassen. In Wirklichkeit gab es in meinen Augen an diesem Tag nur einen Verlierer und der war ich.

Der Neuaubinger

Auf der anderen Seite fühlte es sich wirklich gut an Neuaubinger zu sein. Ich war Mitglied einer Rocker-Gang, und so zog ich durchs Viertel und sponn mir meinen ganz eigenen Film vom Leben.

     In Neuaubing zählten andere Werte, es konnte zum Beispiel passieren, dass man in einer Kneipe neben einem Typen wie Jörg landete. Jörg war groß, hatte schwarze, kurze, lockige Haare und trug zu seinen Cowboystiefeln einen eng anliegenden Nadelstreifen Anzug. Um seinen Hals hing eine dicke Goldkette, an der ein goldenes, zigarettenschachtelgroßes Marihuanablatt baumelte. Manchmal, wenn er an der Bar stand und sein Glas hob, gab sein Sakko einen Blick auf einen Schulterhalfter frei, in dem er eine Pistole trug. Jörg war kein Polizist. Und solche Typen gab es in Neuaubing vereinzelt öfter. Ihre Namen wurden durch die Straßen getragen und hinter vorgehaltener Hand genannt. Sie waren unsere Vorbilder.

Cowboystiefel, Jeans, schwarze Lederjacke, am besten noch von »Erdmann«. Dann gab es da noch Waffen: Nunchakus (zwei dreißig Zentimeter lange, mit einer Kette verbundene Stöcke) die ich in Bruce Lee Manier wild um mich kreisen ließ und dabei zur Prüfung meiner Treffsicherheit schon tausende Zigaretten gekillt hatte; welche ich in die Luft geschmissen mit meinen Nunchakus entzweite. Dann Schlagringe, Mercedes-Sterne (in Neuaubing fuhr kein einziger Mercedes mehr mit Stern, wir grasten sogar die Tiefgaragen nach diesen Dingern ab), Gaspistolen und Nothammer.

     Bevor ich aus dem Haus ging, überlegte ich mir noch, welche Waffen ich mir einsteckte. Zu meiner Standardbewaffnung gehörten die Chuks, die aus der Seitentasche meiner schwarzen Lederjacke hingen, und eine 9mm-Gas-Pistole mit bearbeiteten Patronen, die ich mittels eines Stückchen Wachses und Eisenspäne, verschärfte.

     Ich lief durch die Straßen meines Viertels und niemand wagte es, sich mir in den Weg zu stellen. Mein Name war schon weiter gereist als mein Gesicht. Bis in die Nachbarviertel wussten die Leute, wie ich hieß, ohne mich jemals gesehen zu haben.

     Darauf war ich stolz. Ein Gefühl von Allmacht und Rebellion. Dreizehn Jahre alt, tätowiert und bewaffnet.

Ich war ein Rocker, das hatte ich zwar nie selbst von mir behauptet, aber die Eltern der Nachbarskinder wussten es und warnten ihren Spießbürgernachwuchs vor mir. Uns hatte kein Erwachsener mehr etwas zu sagen. Der neue Feind war die POLIZEI.

Und damit ergab sich das perfekte Gefühl: Cowboystiefel, schwarze Lederjacke und bewaffnet; ich war ein Revoluzzer!

     Für mich war es klar, ich hatte den richtigen Weg, sprachen doch allmorgendlich die Gesichter der Bevölkerung in den Bussen und U-Bahnen ihre eigene Sprache. Ausdruckslos und mit hängenden Gesichtszügen standen die Erwachsenen wie Kühe sinn- und willenlos umher, um abends dann vom richtigen Leben zu träumen, während sie gebeugt in ihren Urlaubskatalogen studierten. Und die wollten einem nun erzählen wo’s lang ging, die konnten mir allenfalls Leid tun.

Erst einmal Rocker und später Gentlemangangster, das war mein Ding.

     Als ich mit der neunten Klasse fertig war, hatte ich natürlich keine Lehrstelle in Aussicht. Während die Hälfte meiner Freunde nun doch so klug waren und einen Beruf erlernten, saß ich zu Hause.

Der einzige Beruf, den ich mir vorstellen konnte, war Automechaniker. Zum Automechaniker hätte ich mindestens einen Notendurchschnitt von 4 gebraucht. Doch in meinem Abschlusszeugnis war die beste Note eine 4 – die liebe Englisch-Lehrerin – dann vielleicht zwei Fünfen, und der Rest alles Sechsen.

Nun lagen mir die Familie und die Freunde arg in den Ohren, wie wichtig so ein erlernter Beruf sei. Mir selber schien das egal, arbeiten war sowieso nicht mein Ding; doch jetzt wurde es tagsüber langweilig, da fast alle anderen arbeiten gingen. Die Freunde hatten Kohle und ich keine, das passte am allerwenigsten zusammen. Beruf hin oder her, aber das Geld war ein Argument und so fand ich nach dem dritten Anlauf einen Job als Hilfsarbeiter.

Gleich bei der ersten Arbeitsstelle hatte ich einen Glückstreffer gelandet. Wir fuhren für eine Weinhandlung den Wein aus. Der Chef, ca. Mitte vierzig, war selbstständig und hatte mich als Beifahrer eingestellt.

Ich saß neben ihm im Führerhaus seines Lastwagens, mit der Straßenkarte auf den Knien und suchte dabei immer die günstigste Strecke heraus.

Raftlmeier, so hieß der Chef, war die größte diebische Elster, die mir bis dato begegnet war.

Früher stellten die Post und andere Boten die Päckchen oft nur in den Hauseingang – Deutschland war noch brav und bieder.

Wir stellten unsere Pakete ab und nahmen die anderen mit. Im Auto wurde dann brüderlich geteilt. Was sich die Leute alles schicken ließen: Haarföhn, Dessous in Übergrößen, »Massagestab« (ganz unscheinbar verpackt) und eine Menge völlig indiskutable Klamotten, die dann bei uns aus dem Fenster flogen. Mit dem ganzen Scheiß konnte man sowieso nichts anfangen, aber so wurde es wenigstens nie langweilig. Und wenn wir mal in ein Mehrfamilienhaus lieferten, sahen wir auch gleich bei den anderen Parteien nach, ob nicht wieder Überraschungspäckchen für uns vor die Türe gelegt waren. Zu Ostern hatte der Chef sogar ein Osternest mitgenommen. Vor dem war nichts sicher – so hatte er seinem Sohn zum fünfzehnten Geburtstag ein nagelneues Moped geklaut: Raftlmeier musste eine Kiste Wein in das Zündapp Werksgelände liefern, und bei der Abfahrt half ich ihm dabei ein Moped einzuladen. Dass wir das Ding klauten, erzählte er mir erst hinterher.

In Raftlmeiers Welt drehte sich alles ums Stibitzen.

     Ab und zu sorgte er auch für »Bruch«. Bei besonders guten Weinen gaben wir an, uns wären Flaschen zerbrochen. In Wahrheit hatten der Chef und ich ein recht großes Privatlager mit den auserlesensten Weinen.

     Dieser Job war wirklich gut: Kohle, Diebesgut und Wein. Der Traumjob schlechthin. So fuhr ich brav Tag für Tag mit dem Moped in meine Arbeit. Ich fühlte mich direkt reich, immerhin verdiente ich viermal soviel wie die meisten anderen aus unserer Clique. Die Tage waren aufregend und spannend, während die Abende immer öder wurden. Das lag daran, dass ein großer Teil unserer Gang zusehends dem Alkohol verfiel.

Nun fühlte ich mich schon nicht mehr so wohl in dieser Clique.

     Alkohol trinken war schon ok, aber nicht jeden Tag. Mir schmeckte das Zeug sowieso nie. Natürlich hatte ich auch getrunken, aber mehr so als Mitläufer. Ich konnte zum Beispiel bis zu sechs Halbe Bier auf ex austrinken. Das schindete zwar Eindruck, brachte aber eine Menge Schwierigkeiten mit sich, da ich stets die Übersicht verlor und hinterher reinkippte, was ich in die Finger bekam. So landete ich eines Abends nach sechs Bieren auf ex und einigen Schnäpsen mit Alkoholvergiftung hinter einer Tankstelle. Meine Freunde trugen mich nach Hause, wo ich mir dann die Seele aus dem Leib kotzte, während meine Schwester Nachtwache an meinem Bett hielt.

Von da an stand ich nicht mehr so auf Alk.

     Am meisten nervten ein paar Typen in unserer Gang, die tagtäglich damit prahlten, wie viele Flaschen Bier sie gekippt hatten. Alkohol trinken als Heldentat, damit konnte ich nichts anfangen. Für mich zählten andere Werte.

     Mittlerweile fuhren schon einige Autos, manche mit Führerschein, manche ohne. Martin und Luigi teilten sich ein Auto; sie hatten beide keinen Führerschein. Und so ließ mich die Idee nicht mehr los, dass ich auch Auto fahren könnte. Vor den Cops davon zu fahren war ich sowieso schon gewöhnt, mit den ganzen illegalen Mopeds, die ich fuhr (ohne Zulassung, nicht ordnungsgemäß erworben, frisiert), und außerdem war ich sowieso noch zu jung um Moped zu fahren. Und da sah ich mich schon am Steuer eines Autos sitzen. Ich wollte es machen wie Karlo, nur sollte mein Auto heil bleiben.

     Karlo hatte sich kurzerhand das Auto von seinem Vater geborgt, als er die Schlüssel in die Finger bekam, um Zigaretten aus dem Wagen zu holen. Dabei hatte sich die Gelegenheit für eine kleine Spritztour ergeben. Dummerweise fuhr er dann mit dem Auto zu schnell in eine Kurve und rasierte dabei ein paar Leitplanken ab – kompletter Seitenschaden. Karlo dachte sofort daran, seinem Vater die Story von einer Fahrerflucht zu verkaufen (quasi, jemand hätte den parkenden Wagen angefahren) damit wäre er aus dem Schneider gewesen. Blöd war nur, dass sich der Schaden an der Gehsteigseite befand. Ich denke, dass es da ’ne Menge Prügel gegeben hat, womit der Vater sonst schon nicht kleinlich war.

     Meine Mama flog in den Urlaub. Jetzt musste ich es nur noch geschickt anstellen, um den Autoschlüssel zu ergattern. Dafür gab es zwei Möglichkeiten, die legale und die illegale (klauen), ich entschied mich für die legale: Mam war nämlich zum Teil etwas naiv und wenn sie etwas billig oder gar geschenkt bekommen konnte, war sie nicht mehr zu bremsen, da nahm sie alle Unannehmlichkeiten in Kauf. Anders ausgedrückt: Sie dachte einfach nicht daran.

     Die Psyche meiner Mam lag wie ein ausgebreitetes Puzzle, welches ich auswendig kannte, vor mir. Ich wusste genau, wie ich sie herumkriegen konnte. So machte ich ihr den Vorschlag, den Kupplungsschaden an ihrem geliebten Auto – kostenlos – zu reparieren. Dieses Angebot war zu verlockend, da konnte sie nicht aus. Nach kurzer Überlegung und einiger fachlichen Hinweise von mir, was die Kupplung betraf, welche ich geschickt hinterher schob, hatte ich sie überzeugt und bekam den Schlüssel in die Hand gedrückt.

     Juhu, während sie im fernen Spanien Sonne tankte, würde ich die ganze Zeit Auto fahren – wie geil!

Ich konnte es kaum erwarten, bis sie endlich abreiste. Jetzt kam das Spielchen »Guter Sohn«, um guten Willen zu zeigen, fing ich schon vorher mit der Reparatur an und innerhalb kürzester Zeit hatte ich den Motor zerlegt. Nun hatten sich bei Mama noch die letzten Zweifel verflüchtigt, weil der Bub so ein guter Mechaniker war.

Dann endlich war es soweit, Mama fuhr los. Noch schnell verabschieden (ich konnte auch nett sein, wenn ich wollte), immerhin hatte ich jetzt Größeres vor.

     Kaum war sie weg, saß ich schon halb im Motorraum und schraubte in Windeseile den Motor wieder zusammen. Am Schluss blieben ein paar Schräubchen übrig, aber das war egal und ob die Kupplung rutschte, zählte auch nicht. Hauptsache, das Ding fuhr. In Gedanken sah ich mich schon bei den ganzen Freunden mit dem Auto vorbeifahren – ich – der Held. Gleich war es soweit und ich gehörte zu den ganz Großen, zu den Autofahrern. Ich nahm hinter dem Lenkrad Platz, steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn langsam herum, der Anlasser biss sich in den Motor und – tschuk – tschuk – der Wagen sprang an, trotz der übriggebliebenen Teile. Das Auto knatterte und zitterte, und aus der Lüftung stank es nach verbranntem Öl und verschmorter Elektrik. Dann trat ich die Kupplung, legte den Gang ein und ließ die Kupplung langsam kommen. Das Auto setzte sich in Bewegung und fuhr mit mir durch die Einfahrt auf die Straße. Ich lenkte nach rechts und die Häuser der Nachbarn zogen langsam und dann immer schneller werdend vorbei. Vorne am Spielplatz war eine Kurve – die Geschwindigkeit war zu hoch! Die Häuser der Nachbarn flogen vorbei! Mein Puls schoss in die Höhe. Die Kurve! Ich zerrte am Lenkrad, Reifen quietschten – geschafft! Der Wagen fühlte sich an, als ob er auf Pudding fahren würde; immerhin war ich noch nie Auto gefahren, aber irgendwie musste man das ja lernen.

Die nächste Kurve kam; die musste ich unbedingt bekommen, geradeaus ging es auf die vollbefahrene Hauptstraße – wieder hing ich am Lenkrad, doch inzwischen war das Auto noch schneller geworden. Oh je, Gegenverkehr! Ausweichen! Die Straße war zu eng, die Lücke zu schmal! Bremsen! Mist, welches von den drei Pedalen war die Bremse – wo zum Teufel war das richtige Pedal? Zu spät!

Das Unglück nahm seinen Lauf: Ich sah gerade noch einen Mann, welcher vor dem Kofferraum seines Wagens stand und sich mit einem riesen Satz zur Seite rettete. Und schon krachte es.

     Das Auto meiner Mama hing zusammengeschoben wie eine Ziehharmonika im Heck eines grauen Audi, der ebenso aussah.

     Fürs Erste war ich gar nicht so geschockt, schließlich konnte ich alles reparieren, hatte ich doch jahrelang an meinen Mopeds rumgeschraubt. Nach der Devise: Angriff ist die beste Verteidigung, stieg ich aus dem Wagen und sagte: »Des kann man doch so regeln, oder?«

Der Typ gab keine Antwort und schien irgendwie baff.

Gut, ich war Mitglied einer Gang und im ganzen Viertel bekannt und berüchtigt, aber davon wusste der Mann anscheinend nichts. Er zückte bloß seinen Ausweis und ich dachte noch, was soll ich mit dem Ausweis, bis ich den Unterschied bemerkte. Es war ein Polizeiausweis. So ein Pech, ich war einem Polizeibeamten ins Auto gekracht, während dieser zur Mittagspause nach Hause gefahren war.

Mann-O-Mann, ein schlechter Verhandlungspartner. Natürlich musste er noch seine Kollegen rufen. Mittlerweile stand schon die ganze Nachbarschaft am Unfallort, blamabel, blamabel. Meine Versuche, die Situation zu entschärfen, in dem ich zum Beispiel einwandte: »Es war nur eine Reparaturprobefahrt«, blieben ohne Wirkung und so musste ich mit aufs Revier.

     Polizei Revier Nummer 31. Das einzig Gute an der Polizei war, dass sie mich wie einen Erwachsenen und nicht wie ein Kind behandelten. Für die Polizei zählte nicht die Volljährigkeit, es war nur wichtig, dass man strafmündig war, dann konnten sie ihr Programm durchziehen. Über die Polizei wusste ich genau Bescheid. Die Bullen konnten nicht sagen »so wie du waren wir auch mal«, denn sie hatten in der Schule immer aufgepasst, hatten brav das gemacht, was die Erwachsenen von ihnen wollten. Von mir hatten die keine Ahnung. Ich war unbeugsam und frech, konnte Lügen erzählen, ohne mit der Wimper zu zucken, und darauf war ich stolz. Während sie dachten, sie hätten mich in der Mangel, ließ ich die Prozedur über mich ergehen und trat ihnen gedanklich ans Schienbein oder sonst wo hin. Ich wusste, dass sie mich wieder laufen lassen mussten.

     Vor der Polizei hatte ich keine Angst. An sich waren sie ähnlich gestrickt wie wir, sie dachten, sie wären die Guten, und ihre Welt war wie die meine in zwei Lager geteilt. Ich dachte genauso, nur in meiner Welt waren sie auf der falschen Seite.