Der Herrgottsengel - Karl May - E-Book

Der Herrgottsengel E-Book

Karl May

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Beschreibung

Anton lebt auf dem Friedhof seit seine Geliebte Bertha Suizid begangen hat; er hält sich jedoch für deren Mörder. Berthas Bruder, der Dorfrichter Frieder Schubert, verweigert Ludewig seine Tochter Selma. Ludewigs Vater behauptet Beweise für eine Tat zu haben, die Schubert begangen hat. Nach dem Tod seines Vaters, bittet Ludewig in einem Schreiben den "Herrgottsengel" um Hilfe, eine anonyme Gestalt, die geraden den Armen beisteht. "Der Herrgottsengel" ist eine Kurzgeschichte. Sie wurde bereits in "Der Waldschwarze" (Band 44 der Gesammelten Werke) veröffentlicht.

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KARL MAY

DER HERRGOTTSENGEL

ERZGEBIRGISCHEDORFGESCHICHTE

AusKARL MAYSGESAMMELTE WERKEBAND 44„DER WALDSCHWARZE“

© Karl-May-VerlageISBN 978-3-7802-1339-6

KARL-MAY-VERLAGBAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

DER HERRGOTTSENGEL

Beim Schmuggelgruhl

Beim ‚Herrgottle‘

Beim Hobuschguster

DER HERRGOTTSENGEL

Beim Schmuggelgruhl

Der Abend begann zu dämmern. Das Mädchen, das dem auf halber Bergeshöhe liegenden Kirchhof zuschritt, sputete sich. Der Ort, nach dem es seine Schritte lenkte, gehörte zu denen, die man nicht gern in der Dunkelheit aufzusuchen pflegt. Noch glänzte der Himmel im Licht des scheidenden Tages, aber das Tal hüllte sich bereits in tiefe Schatten und die alten, rissigen Mauern des Gottesackers blickten beinah gespenstisch aus dem sich schwärzenden Grün der hoch emporsteigenden Halden hernieder.

Das breite, rostige Gittertor knarrte in den Angeln. Der Mann, der hervortrat, trug Hacke und Spaten über der Schulter und schickte sich eben an, den Eingang wieder zu verschließen, als er die Nahende bemerkte.

„Wünsch guten Abend, Jungfer Selma!“, grüßte er. „Kommst heut ja recht spät! Soll ich vielleicht warten und dich nachher bis ins Dorf geleiten? Die Nacht ist da und der Fußsteig geht schlimm abschüssig.“

„Ich danke, Hans“, beantwortete sie die vertraulich höflichen Worte. „Geh nur immer heim; der Weg ist mir gewohnt und ich werd ihn schon gut finden. Hast wohl Arbeit hier drin gehabt?“

„Ja, ein Grab.“

„Ein Grab? Ist denn jemand gestorben? Da müsst ich doch auch etwas davon gehört haben!“

„Gestorben ist niemand, aber der Klapperbein kam letzte Mitternacht an mein Fenster und hat mir die Arbeit anbefohlen. Du weißt ja, dass er die Leich immer schon im vorher kennt. Ich bin neugierig, für wen ich die Grube bereitet hab. Leb wohl!“

Er stieg langsam den Berg hinab. Sie trat durch das Tor und schritt zwischen den Gräbern einem kleinen, niedrigen Häuschen zu, das sich gebrechlich an die hintere Kirchhofsmauer lehnte. Sie ging an seiner Tür vorüber, bog um die Ecke, räusperte sich und blieb dann horchend stehen.

„Wer kommt?“, fragte eine tiefe Stimme aus dem wirren Gesträuch, das den Winkel bogenförmig umschloss.

„Ich bin’s!“, erwiderte sie. „Ich bring die Speis für den Tag.“

„Die Selma? Wart, ich komm sogleich!“

Die Zweige wurden raschelnd auseinandergebogen und eine ungewöhnlich lange und dabei äußerst dürre Gestalt kam auf das Mädchen zu.

„Bist ja heut beinah zur tiefen Nacht erst hier! Hast keine Furcht vor mir und vor den Toten?“

„Warum vor dir? Hast mir ja noch niemals was zu Leid getan! Und vor den Toten fürcht ich mich schon auch nicht, mein Gang ist ja nötig. Nur wer aus Übermut zum Gottesacker geht, darf denken, dass ein Geist hervorsteigen und ihm begegnen könnt!“

„Es steigt keiner heraus, Selma. Was der Tod einmal genommen hat, das gibt er nimmer wieder frei – ich hab’s erfahren!“

Die letzten drei Worte erklangen langsam und hohl. Sie kamen so schwer zwischen den Lippen hervor, als hänge das Gewicht eines ganzen vertrauerten und verlorenen Lebens an ihnen. Es dauerte geraume Zeit, ehe er fortfuhr:

„Ich hab auf einen gewartet und geharrt viele, viele Jahr, aber er hat nicht kommen können, der Hügel liegt zu hoch und fest auf ihm. Und Geister – – ja, was ist ein Geist? Wenn wir sterben, so begräbt man uns und unser Leib verwest, über der Erd aber bleibt nur unsere Tat zurück und lebt in ihren Folgen fort, wenn längst kein Staub von uns mehr übrig ist. Kann diese Folge Gestalt annehmen und nachher als Geist erscheinen? – Gib mir den Korb!“

Er nahm ihn ihr aus der Hand und trat ins Haus. Nach wenigen Augenblicken kehrte er wieder und gab ihn geleert zurück. Dann beugte er sich zu ihr nieder und legte ihr die beiden kalten, dürren Hände aufs Haupt.

„Der einzige Geist, der hier wandeln geht, der bin ich, Selma. Ich bin tot schon lange, lange Zeit; ich bekomm nur dich und den Leichenhans zu sehen; sonst aber bin ich bereits abgeschieden, obgleich du mich noch greifen kannst. Die aber, die sie damals begraben haben dort in die Eck, die lebt noch unten im Dorf und mancher hat’s erfahren, ganz ohne dass er es weiß. Ich bin in ihr gestorben, sie ist in mir leben geblieben, und die Lieb ist schuld an beidem, an meinem Tod und an ihrem Weiterleben. Hast du sie auch schon empfunden, die Lieb, Selma?“

Sie verstand die seltsamen Worte nicht, die wie unlösbare Rätsel hier an dem Ort erklangen, der das letzte und größte Rätsel des menschlichen Seins mit seinen Hügeln und Kreuzen deckte. Sie bebte unter der Berührung seiner Hände und konnte seine Frage nur mit einem tiefen, seufzenden Atemzug beantworten.

„Hast sie also auch schon kennengelernt und sie will dir ihre freundliche Seit nicht zeigen? Halt aus, Selma, halt aus! Du siehst der Elsa, deiner Tant, so ähnlich, wie aus dem Aug geschnitten, darum hab ich dich lieb und darum sollst du glücklich sein. Sie nennen mich den Klapperbein, weil ich tot bin für die Welt und weil der Gram mich bis aufs Geripp verzehrt und abgejammert hat. Sie reden von mir wie von einem, auf den niemand mehr rechnen darf, aber der Klapperbein hat dennoch Trost und Hilf für dich, wenn du einmal eines mächtigen Beistandes bedarfst. Geh jetzt, Selma! Ich will dich bis an die Pfort begleiten.“

Er schritt ihr bis zum Gittertor voran. Sie folgte ihm mit leisen Schritten, als dürfe sie die Ruhe und Stille des Todes nicht verletzen, dem er nach seiner eigenen Versicherung anheim gefallen war. Seit einer ganzen Reihe von Jahren hatte sie ihm täglich zur Zeit der Dämmerung das Essen gebracht und dabei nur selten ein Wort aus seinem Mund vernommen. War etwas zu erwähnen gewesen, so hatte er meist nur einen Zettel in den Korb gelegt. Heut war es zum ersten Mal, dass er länger zu ihr gesprochen hatte; sie kannte seine trübe, öde Vergangenheit, aber seine Rede vermochte sie nicht zu verstehen. Nur eins fühlte sie: Er war ihr freundlich gesinnt, und das gab ihr den Mut zu einer mädchenhaft neugierigen Frage:

„Hast heut ein Grab machen lassen, und doch ist niemand tot. Sag, wer wird sterben?“

„Der Schmuggelgruhl“, antwortete er einfach. Er konnte in der Dunkelheit die Wirkung nicht erkennen, die diese Auskunft auf das Mädchen hervorbrachte. Und während er das Tor verriegelte, fügte er hinzu: „Sag dem Vater, die Zeit ist wieder um. Gut Nacht, Selma!“

„Gut Nacht!“, erwiderte sie leise und stieg dann langsamen Schrittes und in tiefem Sinnen die Höhe hinab.

Zu Haus fand sie die Heimgenossen beim Abendbrot versammelt. Nur der Vater fehlte. Er saß in der Nebenstube am Schreibpult und darum wurde die Unterhaltung nur leise geführt, denn jeder wusste, dass man den Herrn Ortsrichter bei der Arbeit nicht stören konnte, ohne ihn in großen Zorn zu bringen. Und vor diesem Zorn hüteten sich alle. Der Richterbauer war ein gefürchteter Mann.

Sie setzte sich mit an den Tisch.

„Hast schon mit dem Ludwig gesprochen, Selma?“, fragte eine der Mägde.

„Nein, er ist ja fast die ganze Woche nicht da gewesen, weil er jetzt in der Gärtnerei gar viel zu schaffen hat.“

„Er ist vorgestern droben beim Herrgott gewesen.“

„Beim Herrgott? Woher weißt du das und was hat er dort gewollt?“

„Das kann ich nicht sagen. Ich hab’s von dem Meinigen, der ist ihm begegnet und dann hat am Herrgottkreuzle fast eine ganze Stund lang die Latern gebrannt.“

Der interessante Gesprächsstoff wäre vielleicht weiter verfolgt worden, wenn sich nicht in diesem Augenblick nach kurzem Klopfen die Tür geöffnet hätte. Eine alte Frau, die sich auf zwei Krücken stützte, trat ein.

„Ist der Richter daheim?“, fragte sie nach dem üblichen Gruß.

Da die Tür zum Nebenzimmer nur angelehnt war, so hatte der Genannte die laute Frage vernommen. Er erhob sich rasch von seinem Stuhl und trat näher. Auf seinem Angesicht war die Röte des Zorns deutlich zu erkennen.

„Das ist ja wieder die Botengundel! Hab ich Ihr denn nicht schon dreimal gesagt, dass Sie mir mit Ihrem Gejammer vom Hals bleiben soll? Morgen ist der Termin, und wenn Sie die Steuer nicht schafft, so wird Sie ausgepfändet. Davon helfen Ihre schönen Wort Ihr nimmer los. Hätt’ Sie Ihre Schnapsdreier gespart, so könnte Sie Ihrer Pflicht nachkommen. Marsch fort! Ich hab mehr zu tun, als Ihr Geschrei anzuhören!“

„Und doch wird der Herr Richterbauer anhören, was ich Ihn zu fragen hab, dafür ist Er da und dafür bekommt Er Seinen Lohn. Ich will Ihn gar nicht wieder mit Klag und Bitt belästigen, ich hab nun doch zur Genüg erfahren, dass das bei Ihm nichts hilft. Und was die Schnapsdreier betrifft, die Er mir zum Vorwurf macht, so mach doch Er einmal in Sturm und Schnee, in Frost und Wetter den Botenweg über das Gebirg und sehe Er, ob Er es ohne den Tropfen fertig bringt, der den alten Leib erwärmt. Freilich, Wein kann ich nicht haben, von dem Seine Nas so schön zinnobrig geworden ist, auch ohne dass Er sie erfroren hat wie ich die meinige!“

„Was will Sie mir das sagen?“, schnaubte der Richter sie an. „Soll ich Sie etwa einstecken lassen?“

„Dazu hat Er die Gewalt, aber nicht das Recht. Wer mir den notwendigen Trunk vorhält, der mich wöchentlich zwei Dreier gekostet hat, dem darf ich auch seinen Wein vorwerfen, der doch viel teurer ist. Aber ich bin nicht gekommen, um mich mit Ihm zu zanken, sondern wegen der rückständigen Gemeindeabgaben. Hier ist das Geld!“

„Ah“, lachte der Richterbauer, „sieht Sie, wie Sie bezahlen kann? Ich kenn schon meine Leut. Das Pack hat nimmer eher Geld, als bis ihm das Messer an die Kehl gesetzt wird. Ich will Sie mit Ihrer Bitt an die Gemeind schon heimleuchten.“

„Ja, das tut Er gern, das weiß das ganze Dorf! Aber wenn bei Ihm kein Erbarmen zu finden ist, so gibt’s noch Hilf beim lieben Gott. Er hat mir die Steuer geschickt und auch noch mehr dazu.“

„Der liebe Gott? Das mach Sie mir doch nur nicht weis! Sie hat Ihren Sparpfennig herausgeholt, so ist die Sach!“