Der König David Bericht - Stefan Heym - E-Book

Der König David Bericht E-Book

Stefan Heym

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Beschreibung

Eine Parabel auf den Konflikt zwischen Intellektuellen und Machthabern in allen Zeiten

Salomo, jüngster Sohn und Nachfolger König Davids beruft eine Kommission ein: Sie soll einen Bericht über Leben und Taten Davids verfassen, der die göttliche Erwähltheit Davids und damit auch die Legitimation von Salomos Herrschaft bestätigen soll. Wird sich der mit dem Bericht beauftragte Historiker Ethan aus Esrah den Riten des Personenkults beugen? Oder wird er die Wahrheit sagen, die er von Soldaten und Huren, von Davids Frauen und von Wahrsagerinnen erfahren hat?

Stefan Heyms Meisterwerk, bei Kindler 1972 erstmals auf Deutsch erschienen, endlich als Penguin Taschenbuch lieferbar.

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Zum Buch:

Salomo, jüngster Sohn und Nachfolger König Davids beruft eine Kommission ein: Sie soll einen Bericht über Leben und Taten Davids verfassen, der die göttliche Erwähltheit Davids und damit auch die Legitimation von Salomos Herrschaft bestätigen soll. Wird sich der mit dem Bericht beauftragte Historiker Ethan aus Esrah den Riten des Personenkults beugen? Oder wird er die Wahrheit sagen, die er von Soldaten und Huren, von Davids Frauen und von Wahrsagerinnen erfahren hat?

Stefan Heyms Meisterwerk, bei Kindler 1972 erstmals auf Deutsch erschienen, endlich wieder lieferbar als Teil der digitalen Werkausgabe.

»Der detektivische Reiz der Lektüre dieses Buches liegt darin, unter der gleichsam ›offiziellen‹ Schrift das Palimpsest einer politischen Parabel mitzulesen, die darunter liegenden Schriftzüge zu entziffern, die sich zusammenfügen zu einem ›König-X-Bericht‹ von allgemeiner Gültig- und Zeitlosigkeit, zu einer ironisch geschärften bitteren Abrechnung mit dem totalitären Staat.« FAZ

Zum Autor:

Stefan Heym, geboren 1913 in Chemnitz, floh als kritischer jüdischer Intellektueller vor der Nazidiktatur nach Amerika. Während der McCarthy-Ära verließ er das Land und siedelte sich 1952 in der DDR an. Er war ein international hoch geschätzter Schriftsteller und streitbarer Publizist, der zu den bedeutendsten und erfolgreichsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur zählt. Er starb 2001 auf einer Vortragsreise in Israel.

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Stefan Heym

Der König David Bericht

Roman

Titel der Originalausgabe: King David Report

Vom Autor besorgte Übersetzung aus dem Amerikanischen

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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E-Book-Ausgabe 2021

Copyright © 1972 Inge Heym

Copyright © dieser Ausgabe 2021

Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 1972 by Kindler Verlag, München

Copyright © dieser Ausgabe 2021 by C. Bertelsmann Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlagkonzeption und Gestaltung: Sabine Kwauka nach einem Entwurf von Hafen Werbeagentur, Hamburg

Umschlagmotiv: © hydebrink / Shutterstock.com

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-27826-7V003

www.cbertelsmann.de

Mein Dank gebührt Herrn Dr. Walter Belz, dem Religionshistoriker und wissenschaftlichen Mitarbeiter der Universität Halle, für seine guten und hilfreichen Vorschläge.

Stefan Heym

1

Gepriesen sei der Name des HErrn, unsres GOttes, der dem einen Weisheit verleiht, dem andern Reichtum, dem dritten aber soldatische Tugenden.

Ich, Ethan, der Sohn des Hoshaja, aus der Stadt Esrah, ward heute zu König Salomo bestellt. Die königlichen Schreiber Elihoreph und Ahija, die Söhne Shishas, führten mich in seine Gegenwart; und ich fand allda den Kanzler Josaphat ben Ahilud, den Priester Zadok, den Propheten Nathan und Benaja ben Jehojada, der über das Heer gebietet.

Und ich warf mich dem König zu Füßen, und er befahl mir, mich zu erheben. So geschah es, daß ich den König Salomo sah wie ein Mensch den andern, von Angesicht zu Angesicht; und ob er gleich auf seinem Thron saß zwischen den Cherubim, erschien er mir von geringerer Statur, als ich ihm zugemessen, kleiner noch als sein verstorbener Vater, König David; seine Haut aber war von gelblicher Farbe. Und der König musterte mich mit stechendem Blick und sprach: »Du also bist Ethan ben Hoshaja, aus der Stadt Esrah?«

»Der bin ich, Herr König. Und Euer Diener.«

»Ich höre, es heißt von Dan an bis gen Beer-sheba, du seiest einer der Weisesten in Israel?«

Ich aber erwiderte ihm: »Wer kann von sich sagen, er sei weiser als der weiseste der Könige, Salomo?«

Worauf er die feingeschnittenen Lippen verdrossen schürzte und sprach: »Ich will dir den Traum erzählen, Ethan, den ich neulich nachts träumte, nachdem ich Opfer dargebracht und Weihrauch verbrannt auf der Höhe zu Gibeon.« Und sich dem Kanzler Josaphat ben Ahilud zuwendend und den Schreibern Elihoreph und Ahija, den Söhnen Shishas: »Merkt euch den Traum, denn er wird in die Annalen aufgenommen.«

Da zogen die Brüder Elihoreph und Ahija Griffel und Wachstäfelchen aus ihren Gewändern und harrten der königlichen Worte, zwecks Niederschrift. Dies aber ist der Traum des Königs Salomo. »Zu Gibeon des Nachts erschien mir GOtt, und Jahweh sprach: Bitte, was ich dir geben soll. Und ich sprach: Du hast an meinem Vater David, deinem Knecht, große Barmherzigkeit getan, wie er denn vor dir gewandelt hat in Wahrheit und Gerechtigkeit und ehrlichen Herzens; und hast ihm deine Gnade erhalten und einen Sohn gegeben, der auf seinem Thron säße, wie es denn jetzt ist.«

Der König, der mit den Nasen der Cherubim gespielt hatte, ließ von diesen ab und schob die Füße vor, welche in roten Sandalen aus feinstem Ziegenleder staken.

»Und nun, HErr, mein GOtt, sprach ich zu Jahweh, hast du mich, deinen Knecht, zum König gemacht an meines Vaters Statt; und ich fühle mich wie ein kleiner Knabe, weiß nicht weder meinen Ausgang noch Eingang. Und dein Knecht soll über das von dir erwählte Volk gebieten, ein Volk so groß, daß niemand es zählen noch beschreiben kann.«

Der König richtete sich auf; ein Lichtstrahl vom Fenster her ließ die goldbestickte Kappe auf dem schon schütter werdenden Haar aufleuchten.

»Darum, HErr, mein GOtt, sprach ich zu Jahweh, wollest deinem Knecht geben ein verstehend Herz, daß er dein Volk richten möge, und unterscheiden, was gut und böse ist. Denn wer vermag dies dein mächtig Volk zu richten? Und GOtt sprach zu mir: Weil du solches bittest, und bittest nicht um langes Leben, noch um Reichtum, noch um deiner Feinde Vernichtung, siehe, so habe ich dir ein weises und verständiges Herz gegeben, so daß deinesgleichen vor dir nicht gewesen ist und nach dir nicht erstehen wird.«

Der König erhob sich, warf einen prüfenden Blick auf seine Minister und stellte fest, daß ihre Mienen Ernst und Ergebenheit ausdrückten. Befriedigt schloß er: »Und ich werde dir auch das geben, sagte Jahweh noch, worum du nicht gebeten hast, nämlich Reichtum und Ehre, daß deinesgleichen keiner ist unter den Königen zu deinen Zeiten. Und so du wirst in meinen Wegen wandeln, wie dein Vater David gewandelt hat, und meine Gesetze und Gebote einhältst, so will ich dir ein langes Leben gewähren.«

Da klatschten der Priester Zadok und der Prophet Nathan verzückt in die Hände, während die Schreiber Elihoreph und Ahija, die Söhne Shishas, voller Bewunderung die Augen verdrehten. Und der Kanzler Josaphat ben Ahilud rief aus, noch nie im Leben sei ihm ein markanterer Traum begegnet, ein Traum, der besser geeignet sei, dem Volke Herz und Hirn zu rühren. Benaja ben Jehojada jedoch verharrte in Schweigen, und seine mächtigen Kinnbacken mahlten, so als wiederkäute er einen Klumpen Bitteres. König Salomo stieg vom Thron herab, trat auf mich zu, legte mir seine kurze, fette Hand auf die Schulter und fragte: »Nun?«

Ich erwiderte, der königliche Traum sei in seiner Art ein wirkliches Juwel, von außerordentlicher Schönheit, reich an poetischen Formulierungen und Gedanken, und ein Beweis für das tiefe persönliche Gefühl, welches der König unserm HErrn Jahweh und Jahwehs unergründlichen Zwecken und Absichten gegenüber hege.

»So spricht der Dichter«, erwiderte der König. »Aber was sagt der Historiker? Ich höre von meinen Amtsleuten in Esrah, daß du an einer Geschichte des Volkes Israel arbeitest.«

»Ein Traum, o weisester der Könige«, ich verbeugte mich tief, »kann ebenso gut zur historischen Kraft werden wie eine Sintflut oder ein Heer oder ein Fluch GOttes – besonders ein Traum, der so glänzend erzählt und dokumentiert ist wie der Eure.«

Der König, unsicher geworden, blickte wieder auf mich; darauf verzog er den Mund zu einem breiten Lächeln und sagte: »Ich habe Messerschlucker und Feuerfresser gesehen, noch nie aber einen Mann, der so geschickt auf der Schneide des Schwertes tanzte. Was ist deine Meinung, Benaja ben Jehojada?«

»Worte«, knurrte Benaja. »Was habe ich schon alles für Worte gehört in den Tagen Eures Vaters, König David, gescheite und fromme, bittende, drohende, prahlende, schmeichelnde – und die sie sprachen, wo sind sie heute?«

König Salomos Gesicht verdüsterte sich. Vielleicht gedachte er des Schicksals seines Bruders Amnon, oder seines Bruders Absalom, oder des Hauptmanns Uria, des ersten Gatten seiner Mutter, oder verschiedener anderer Persönlichkeiten, bei deren Ableben Benaja ben Jehojada mitgewirkt hatte.

Josaphat ben Ahilud jedoch, der Kanzler, warf ein, daß ich gerade wegen meiner bekannten Fähigkeit im Gebrauch der Worte vor des Königs erhabenes Antlitz zitiert worden sei; und der Prophet Nathan gab Benaja zu bedenken, daß die einen wohl durchs Schwert lebten, die andern aber durch das Wort, wie denn unser HErr Jahweh in seiner grenzenlosen Weisheit mehr als eine Art Tiere schuf, Fische wie auch Gefleuch, die Tiere der Wildnis und das zahme Schaf, über sie alle aber den Löwen setzte, welcher gleichermaßen stark und weise ist. Womit er eine Verbeugung vor König Salomo verband, während der Priester Zadok ergänzte, daß unbeschadet dessen die Schlange es gewesen sei, die dem Menschen den Pfad zur Hölle wies; weshalb man sich hüten möge vor der glatten Zunge und dem süßklingenden Wort. Ich entnahm all dem, daß unter den mächtigen Herren in der Umgebung König Salomos gewisse Differenzen bestanden, und daß es für einen Außenstehenden ratsam sei, sich in diesem Kreis mit äußerster Vorsicht zu bewegen.

Und König Salomo begab sich zurück zu seinem Thron und ließ sich nieder zwischen den Cherubim. Ihre Nasen streichelnd, redete er zu mir wie folgt: »Es wird dir wohlbekannt sein, Ethan ben Hoshaja, daß mein Vater, König David, höchstpersönlich mich, seinen geliebten Sohn, zum Thronnachfolger bestimmt hat und veranlaßte, daß ich das königliche Maultier bestieg und nach Gihon ritt, um dort zum König gesalbt zu werden, und daß er auf seinem Sterbebett sich vor mir beugte und zu unserm HErrn Jahweh betete, GOtt möge meinen Thron noch größer machen denn seinen eignen.«

Ich versicherte dem König, diese Tatsachen seien mir bekannt und ich sei überzeugt, unser HErr Jahweh habe das letzte Gebet König Davids erhört und werde entsprechend verfahren.

»Du wirst also erkennen, Ethan«, fuhr der König fort, »daß ich dreifach erwählt worden bin. Erstens erwählte HErr Jahweh das Volk Israel vor allen anderen Völkern; sodann erwählte er meinen Vater, König David, zum Herrscher über das solcherart erwählte Volk; und schließlich erwählte mein Vater mich, um an seiner Statt zu herrschen.«

Ich versicherte König Salomo, seine Logik sei unangreifbar, und HErr Jahweh ebenso wie König David hätten keine bessere Wahl treffen können.

»Zweifellos«, antwortete der König mit einem seiner Blicke, die alles mögliche bedeuten konnten. »Doch wirst du mir zustimmen, Ethan ben Hoshaja, daß Erwählung Nummer drei nur Gültigkeit haben wird, wenn Nummer zwei unumstößlich erwiesen ist.«

»Ein Mann, der von einer Schafhürde in Bethlehem aufstieg zum Herrscher in Jerusholayim«, bemerkte Benaja ben Jehojada grimmig, »der seine sämtlichen Feinde schlug und ihre Städte unterwarf, der nicht nur den König von Moab und die Könige der Philister, sondern auch die höchst widerspenstigen Stämme Israels seinem Willen beugte: ein solcher Mann braucht weder Priester noch Prophet, noch Schreiber, um zu beweisen, daß GOtt ihn erwählt hat.«

»Aber dieser Mann ist tot!« Der aufwallende Ärger verfärbte das königliche Antlitz. »Und vielerlei Geschichten über ihn sind im Umlauf in Israel, nutzlose, und sogar schädliche. Und so wie ich unserm HErrn Jahweh einen Tempel baue, damit das Beten und Opfern auf jedem Hügel hinter jedem Dorf aufhört und die Beziehungen zwischen Mensch und GOtt unter ein einheitliches Dach kommen, so auch benötigen wir einen autoritativen, alle Abweichungen ausschließenden Bericht über das Leben, die großen Werke und heroischen Taten meines Vaters, König David, welcher mich erwählt hat, auf seinem Thron zu sitzen.«

Sogar Benaja ben Jehojada erschrak ein wenig angesichts des königlichen Temperamentsausbruchs, obwohl er doch eine Schlüsselfigur gewesen war bei der Erwählung Salomos zum Nachfolger seines Vaters. Der König aber gebot dem Kanzler Josaphat ben Ahilud, zu sprechen.

Josaphat ben Ahilud trat vor, zog ein Tontäfelchen aus der Ärmelfalte und verlas: »Mitglieder der königlichen Kommission zur Ausarbeitung des Einen und Einzigen Wahren und Autoritativen, Historisch Genauen und Amtlich Anerkannten Berichts über den Erstaunlichen Aufstieg, das Gottesfürchtige Leben, sowie die Heroischen Taten und Wunderbaren Leistungen des David ben Jesse, Königs von Juda während Sieben und beider Juda und Israel während Dreiunddreißig Jahren, des Erwählten GOttes und Vaters von König Salomo; Josaphat Sohn Ahiluds, Kanzler; Zadok, Priester; Nathan, Prophet; Elihoreph und Ahija Söhne Shishas, Schreiber; Benaja Sohn Jehojadas, der über das Heer gesetzt ist. Redaktor, jedoch ohne Stimmrecht: Ethan Sohn Hoshajas, aus der Stadt Esrah, Autor und Historiker. Der Bericht über den Erstaunlichen Aufstieg und so fort trägt den Arbeitstitel König-David-Bericht; und ist zusammenzustellen durch sorgfältige Auswahl aus und durch zweckentsprechende Benutzung von allem vorhandenen Material über den Erstaunlichen Aufstieg und so fort des verstorbenen Königs David, als da sind königliche Akten, Korrespondenz und Annalen, wie auch verfügbare mündliche Zeugnisse, ferner Legenden und Überlieferungen, Lieder, Psalmen, Sprüche und Prophezeiungen, insbesondere solche bezüglich der großen Liebe und Bevorzugung, die König David seinem geliebten Sohn und Nachfolger König Salomo erwiesen; und soll besagter Bericht für unsere und alle kommenden Zeiten Eine Wahrheit aufstellen und dadurch Allem Widerspruch und Streit ein Ende setzen, Allen Unglauben an die Erwählung Davids ben Jesse durch unsern HErrn Jahweh beseitigen, sowie Allen Zweifel an den Glorreichen Verheißungen ausmerzen, welche unser HErr Jahweh betreffs Davids Samen und Nachkommenschaft gemacht.«

Josaphat ben Ahilud, der Kanzler, verbeugte sich. König Salomo sah befriedigt aus. Er winkte mich heran und sagte: »Natürlich werde ich dir helfen, Ethan ben Hoshaja, solltest du straucheln oder im Ungewissen sein, wo Irrtum liegt und wo die Wahrheit. Wann kannst du anfangen?«

Ich aber warf mich König Salomo zu Füßen und dankte ihm für das große Vertrauen, durch das er mich geehrt. Keiner von Dan an bis gen Beer-sheba hätte mehr überrascht sein können als ich, sagte ich, und wäre mir der Engel des HErrn im Traum erschienen, um mir diese Ernennung anzukündigen, ich hätte ihn verlacht, wie es einst Sara tat, die Frau Abrahams. Und ich sei viel zu unbedeutend, erklärte ich weiter, für eine so schwere und verantwortungsvolle Aufgabe; wenn es sich um ein paar Psalmen handelte oder um einen kurzen Geschichtsabriß eines der minderen Stämme oder um eine neue Fassung von der Erzählung von Moishe im Schilf, stünde ich selbstredend gern zur Verfügung; das entspräche ungefähr meinem Format als Autor; schließlich verlange man auch nicht von der bescheidenen Ameise, sie möge Pyramiden bauen.

Darüber lachte der König Salomo herzlich und sprach zu den Anwesenden: »Der ist wahrhaftig ein Weiser, der in Erkenntnis der Gefahren des Weges es vorzieht, in seiner Hütte zu bleiben.« Mir aber sagte der König: »Ich kann deine Söhne nehmen zu meinen Kampfwagen und Reitern, oder zum Fußvolk, das vor den Wagen hertrabt. Ich kann deine Töchter nehmen, daß sie Zuckerbäckerinnen oder Köchinnen oder Serviererinnen seien. Oder ich kann dir deinen Acker und deinen Weinberg, und deinen Ölgarten nehmen. Oder ich kann dich nehmen zum Ausmisten meiner Ställe, oder um meinen Fächer zu wedeln. Aber ich ziehe es vor, dich als Historiker zu verwenden, unter der Anleitung meiner Kommission, denn ein jeglicher unter GOtt hat seinen Platz, der Schafhirt bei seiner Herde und der Schreiber bei seinen Tontäfelchen.«

So beugte ich mich denn tiefer in den Staub und wies darauf hin, daß ich ein kranker Mann sei, mit schwachem Herzen und unregelmäßiger Verdauung, und daß ich womöglich bei meinen Vätern in Esrah zur Ruhe gelegt werden möchte, bevor noch der König-David-Bericht zur Hälfte gediehen sei, daß ich aber mehrere jüngere Kollegen empfehlen könnte, sämtlich bei besserer Gesundheit als ich und von biegsamerer Denkungsart, gerade also was gebraucht würde zur Abfassung von Büchern, die Eine Wahrheit enthalten und Allem Widerspruch und Streit ein Ende setzen sollten.

Darauf erwiderte König Salomo: »Mir scheinst du ganz gesund auszusehen, Ethan ben Hoshaja. Deine Haut ist prächtig gebräunt, dein Fleisch läßt nichts von der Erschlaffung des Alters erkennen, das Haar auf deinem Kopf ist voll und kräftig, du hast alle Zähne im Mund, und die Augen glänzen dir vom Genuß des Weins und der Frauen. Ferner habe ich hier die besten Ärzte in ganz Israel und den angrenzenden Königreichen, bis gen Sidon und Tyrus, und habe eine vertragliche Abmachung mit der Königin von Saba für die Entsendung eines Spezialisten, welcher die Steine schneidet, die in der Niere stecken. Auch wirst du gelegentlich an meiner Tafel speisen und teilhaben an der wohlschmeckendsten Küche diesseits des Negev, und entlohnt wirst du werden wie einer der minderen Propheten, was dich in die Lage versetzen sollte, deine beiden Frauen und deine junge Kebse nach Jerusholayim zu bringen und hier in einem schönen Backsteinhaus mit festem Dach und schattigem Hintergärtchen zu wohnen.«

Da wurde mir klar, daß der König Salomo alles bedacht hatte und daß es nicht möglich war, mich seiner Gunst zu entziehen. Ebenso erkannte ich, daß die Sache böse für mich enden mochte, wie es so manchem Schriftgelehrten geschehen war, dem man den Kopf abschlug und den Rumpf an die Stadtmauer nagelte, daß ich andererseits aber auch fett dabei werden und prosperieren könnte, wenn ich nur die Zunge hütete und meinen Griffel weise benutzte. Mit einigem Glück und mit der Hilfe unseres HErrn Jahweh mochte es mir sogar gelingen, ein Wörtchen hier und eine Zeile dort in den König-David-Bericht einzufügen, aus denen spätere Generationen ersehen würden, was wirklich in diesen Jahren geschah und welch ein Mensch David, Jesses Sohn, gewesen: der zu ein und derselben Zeit einem König und des Königs Sohn und des Königs Tochter als Hure diente, der als Söldling gegen sein eignes Volk focht, der den eignen Sohn töten und seine treuesten Diener umbringen ließ, ihren Tod aber laut beweinte, und der einen Haufen elender Bauern und widerspenstiger Nomaden zu einem Volk zusammenschmiedete.

Also erhob ich mich und erklärte dem König, seine Worte voll unendlicher Weisheit hätten mich überzeugt und ich nähme die Stellung, wenn auch mit Zittern und Zagen, an; eingerechnet die Zeit, welche ich für die notwendigen Gebete und Opfer brauchen würde und für den Umzug von Esrah nach Jerusholayim mitsamt zwei Frauen und einer jungen Kebse und deren Gepäck und meinen Archiven, sei ich bereit, die Arbeit am zweiten Tag nach dem Passahfest aufzunehmen. Aber, fuhr ich fort, da ich es für richtig hielt, das Eisen zu schmieden, solange es heiß ist, es sei da noch die bescheidene Frage der Erziehung meiner beiden Söhne zu klären, um die ich mich bislang selbst gekümmert, und für die ich nun weder Muße noch Gelegenheit haben würde. Könnte der weiseste der Könige, Salomo, nicht so gütig sein …

»Zadok!« sagte der König.

Zadok verbeugte sich.

»Veranlasse, daß die beiden Söhne des Ethan ben Hoshaja in einer guten levitischen Schule untergebracht werden.« Und da Zadok die Brauen hob, fügte der König mit großer Geste hinzu: »Schul- und Kostgeld zahlt das königliche Schatzamt.«

Denn König Salomo verfuhr wahrhaft großzügig mit den Steuergeldern des Volkes.

2

Nächtliche Gedanken des Ethan Ben Hoshaja nach seiner Rückkehr aus Jerusholayim, auf dem Dach seines Hauses zu Esrah und in Anwesenheit seiner Kebse Lilith, welche sich zärtlich um ihn zu bemühen bereit ist

Keine Geschichte beginnt mit ihrem Anfang; die Wurzeln des Baums sind dem Auge verborgen, aber sie reichen hin bis zu den Wassern.

Andere Völker hatten Könige, die Götter zu sein behaupteten; das Volk Israel aber hatte GOtt zum König – einen unsichtbaren König, denn Jahweh ist ein unsichtbarer GOtt. Es gibt auch kein Bildnis von ihm, weder in Stein noch in Bronze; er verbot, Bildnisse herzustellen. Unsichtbar saß König Jahweh zwischen den Cherubim auf seinem Thron, welcher die Bundeslade ist, und ließ sich von Ort zu Ort tragen; wohin das Volk zog, zog auch er, wohnte im Zelt und in Laubhütten, wie das Volk. Auf den Anhöhen oder unter einer alten Sykomore nahm er die Opfer entgegen: ein Feldstein genügte ihm als Altar. Er sprach, wenn er sich zu sprechen entschloß, im Donner der Wolken oder im Flüstern des Windes, durch das Rasen eines Propheten oder den Traum eines Kindes, durch den Mund eines Engels oder das Gerassel des Orakels Urim und Tummim. Er verkündete Gesetze, war selbst aber oft ungerecht; war jähzornig zu Zeiten oder langmütig; hatte seine Günstlinge; und häufig widersprach er sich selbst: Er ähnelte einem jener Stammesältesten, denen man heute noch in einsamen Gebirgstälern begegnen kann.

»Lilith, meine Liebste, bring mir den Krug Wein, den du in der Kühle des Kellers finden wirst, Rotwein aus den königlichen Weingärten zu Baal-hamon, eine Gabe des Königs. Lilith, meine Liebste, deren Brüste sind wie zwei junge Rehzwillinge, wir werden nach Jerusholayim ziehen, und ich werde dir ein buntes Kleid kaufen, wie des Königs Töchter tragen, und süß duftende Essenzen, und ich werde dich verlieren. Bring mir den Wein …«

Warum dann wurde König Jahweh ersetzt durch Saul, den Sohn des Kish?

Ein sichtbarer König, mag er noch so ansehnlich sein in Jugend und Mannesjahren, altert und wird schwach; HErr Jahweh aber, König von Israel, blieb allzeit gekleidet in Pracht und Herrlichkeit. Doch sein Wille konnte sich nur zeigen in der Deutung durch andere, und die ihn deuteten, waren Menschen. Sie konnten irren. Sie mochten den eignen Wunsch in die göttlichen Zeichen hineinlesen, und es war ruchbar geworden, daß mehr als einer der heiligen Männer Jahwehs Botschaft nach recht weltlichen Interessen zurechtschneiderte.

Gewiß konnte man Samuel, den Priester, Seher und Richter, solchen nicht zurechnen. Ich habe das Buch studiert, das er uns hinterließ, und ich bin überzeugt, er war ein ehrenhafter Mann, erfüllt von den höchsten Grundsätzen. Nur ein völlig redlicher Mensch konnte vor eine Volksversammlung treten, wie er es zu Mizpa tat, und erklären: Siehe, hier bin ich; antwortet wider mich vor dem HErrn und seinem Gesalbten, ob ich jemandes Ochsen oder Esel genommen habe; ob ich jemandem habe Gewalt oder Unrecht getan; ob ich von jemandes Hand ein Geschenk genommen habe und mich habe blenden lassen … Doch kann just so einer mehr Unheil durch seine Geradheit anrichten als irgendein Sohn Belials durch seine Schurkerei.

»Trinke, Ethan mein Freund. Die Nacht duftet so süß. Warum solltest du mich verlieren? Ich verlasse dich nicht, du verstießest mich denn. Ich will dir Vorsingen, wie du mich gelehrt hast.

Ich bin eine Rose zu Sharon, und eine Lilie im Tale.

Wie eine Blüte unter den Dornen, so ist meine Liebste unter den Töchtern.

Wie der Apfelbaum unter den wilden Bäumen, so ist mein Liebster unter den Söhnen …

Aber du hörst mir nicht zu …«

Die Priester zu Rama, deren Väter unter ihm dienten, die Wanderpropheten, die seiner Schule entstammen, sie alle beschreiben Samuel so: ein langer, hagerer Mensch, die graue, strähnige Mähne und der schüttere Bart unberührt vom Messer des Baders, Eifererblick, der Mund ohne Güte – ein Mann, der einen Gegner sah in jedem, der nicht sofort bereit war, sich seinem überlegenen Willen und der Macht GOttes zu beugen, denn GOtt war König in Israel und Samuel sein Bevollmächtigter vor dem Volke.

Samuel rechtete mit dem Volk, da dieses nach einem König verlangte, der mit eigner Stimme antwortete und mit dem eignen Schwert zuschlug. In harten Worten beschrieb er das Wesen der Herrscher, die da kommen würden, und sagte voraus, wie die ungezügelte Macht eines Mannes seinen Charakter verändert. Aber das Volk Israel stellte sich taub.

Ich glaube nicht, daß Samuel je begriff, warum das Volk auf seiner Forderung nach einem König aus Fleisch und Blut verharrte, und warum ausgerechnet er, nicht der Geringste in der langen Folge von Richtern in Israel, sein Amt aufgeben und einen Menschen zum König salben mußte.

»Lilith, meine Liebste, koste vom Wein des Königs. Und streichle mir die Schläfen, denn mein Kopf schmerzt. Woher kommen die Stürme, die die Welt verändern, was verursacht sie? Wenn eines Tages ein Mann sein wird, der ihre Richtung vorauskennt, dieser wird für weiser gelten als selbst der weiseste der Könige, Salomo …«

Und Samuel rechtete mit HErrn Jahweh; und in dem Buch, das er schrieb, zitierte er die Worte, die GOtt zu ihm sprach: Gehorche der Stimme des Volkes in allem, das die Menschen zu dir gesagt haben; denn sie haben nicht dich, sondern mich verworfen, daß ich nicht soll König sein über sie.

Welch Ton der Entsagung aus dem Munde Eines, der das Licht von der Finsternis schied und die Wasser von den Wassern.

Mag sein, daß Jahweh sprach, um Samuel zu trösten; aber nach allen Berichten besaß Samuel genügend Härte, um auch ohne göttlichen Zuspruch zu überleben. Mir scheint vielmehr, daß hier der Deuter der Worte des HErrn die eignen Gefühle ausspricht: es ist Samuel, der empfindet, daß er verworfen wurde, und der sein verwundetes Ich in die Brust GOttes verlegt.

Und doch enthalten die Worte, die Samuel vernimmt, eine Antwort. Man lausche den Tönen, die da mitklingen. Ist es nicht, als hörte man die Stimme eines alten Mannes? Er ist das Oberhaupt eines kleineren Stammes; er hat seine Schwächen wie auch seine guten Seiten, hat versucht, Gerechtigkeit walten zu lassen nach bestem Gewissen, hat versucht, den Seinen zu helfen: nun aber ist eine neue Zeit angebrochen …

Eine neue Zeit.

»Deine Stimme, Lilith, meine Liebste, ist wie das Bächlein im Frühling; die Worte, die ich dich lehrte, sind voller Wohlklang auf deinen Lippen:

Denn siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist weg und dahin;

Die Blumen sind hervorgekommen aus der Erde;

die Zeit, da die Vögel singen, ist hier, und die Turteltaube läßt sich hören in unserm Lande …«

Doch wann begann sie, diese neue Zeit mit ihrer neuen Wirrnis, die eine neue Macht verlangte in Israel? Als die letzte wandernde Familie des letzten wandernden Stammes ihr Stück Acker zugewiesen bekam? Als Eisen die Bronze ersetzte? Als auf dem Markt des einen Wolle nicht mehr getauscht wurde gegen des anderen Korn, sondern verkauft wurde für kleine Silberstücke? Als der ehrliche Schäfer zum Marktschreier wurde, zum Händler, zum Geldverleiher?

Die neue Zeit brach herein über Samuel, und ob er gleich ein Seher war, sah er sie nicht. Er reiste durchs Land, alljährlich die gleiche Runde über Beth-el nach Gilgal und Mizpa, und hielt Gericht über Israel an all diesen Orten, und kehrte darauf zurück nach Rama, denn dort befand sich sein Haus, und dort richtete er den Rest des Jahres, und dort erbaute er dem HErrn einen Altar und glaubte, alles werde so bleiben bis zum Ende seiner Tage. Es geschah jedoch, daß die Stimme des Volkes sich nicht mehr überhören ließ, und auch GOtt sprach zu Samuel, und Samuel machte sich auf und wählte Saul ben Kish, aus dem Stamme Benjamin, der um ein Haupt länger war denn alles Volk und der auszog, seines Vaters Eselinnen zu suchen, und ein Königreich fand.

Oder so berichtet uns Samuel in seinem Buche, und der Sinn seiner Worte ist klar: Saul ist König über Israel von Samuels, des Oberpriesters, Richters und Propheten, Gnaden, ist Samuels Geschöpf, Samuel verpflichtet.

Aber es gibt eine andere Überlieferung über die Einsetzung Sauls. Vieles bleibt da im Dunkel. Die Zeitgenossen sind gestorben, die Dokumente vernichtet durch König David: Ein Mann, der seines Vorgängers letzte lebende männliche Nachkommen aufhängen läßt, muß auch das Gedenken an ihn auslöschen.

Die Geschichtenerzähler auf den Marktplätzen und in den Toren der Städte berichten, daß Saul vom Felde kam, hinter den Rindern her, und das Jammern des Volkes vernahm: Nahash, erfuhr er, der Fürst von Ammon, belagerte die Stadt Jabesh in Gilead und drohte, allen in der Stadt das rechte Auge auszustechen zur Schande von ganz Israel. In diesem Augenblick, so heißt es, geriet der Geist GOttes über Saul. Er nahm das Joch Ochsen und zerstückte sie und sandte die Stücke durch Boten in alle Grenzen Israels. Jedenfalls schlossen sich ihm genügend Leute an, daß er sie in drei Haufen teilen konnte; mit diesen zog er gen Jabesh in Gilead und griff die Ammoniter an um die Morgenwache; bis der Tag heiß ward, hatte er den Feind geschlagen und Jabesh entsetzt.

Hier war auf Jahwehs Geheiß ein neuer Führer erstanden in Israel: wie Gideon, wie Jephta, wie der langhaarige Samson. Aber jetzt brauchte das Volk einen König. Und sie zogen mit Saul zu dem Heiligtum in Gilgal, und dort wurde Saul, nachdem die notwendigen Opfer gebracht worden, zum König gesalbt.

Vom Volk, nicht von Samuel.

»Du fröstelst, Ethan, mein Freund.«

»Die Stürme, welche die Welt verändern, wehen kalt.«

»Meine Schenkel sind voll Wärme für dich, Ethan; ich will mich öffnen meinem Liebsten.«

»Honig und Milch sind unter deiner Zunge, Lilith, meine Liebste, und der Duft deiner Kleider ist wie der Duft des Libanon. Wie schön ist deine Liebe, wieviel besser denn Wein …«

3

Seit unser Urvater Abraham aus Ur in Chaldaea nach dem Land Kanaan zog, ist unser Volk oft gewandert. Erfahrung hat uns gelehrt, leicht bebürdet zu reisen und auf GOtt zu vertrauen.

Meine Archive und Notizen aber bestanden aus zahlreichen Tontäfelchen und Lederrollen, welch alle mitgeführt werden mußten. Und wie sollte ich angesichts der Schar von Eseln, die die Kisten mit meinen Archiven trugen, Esther, meiner Frau, verwehren, ihre Truhen und Teppiche mitzunehmen, Hulda, der Mutter meiner Söhne, ihr geliebtes Geschirr, und meiner Kebse Lilith, ihre Döschen und Tränkchen und Puderbeutelchen? Gepäck aber heckt Gepäck, denn auf je zwei Esel mit Nutzlast kommt ein dritter, der Proviant trägt für Tier und Treiber. Ich fluchte meines Leichtsinns, denn ich hatte versäumt, die Frage der Reisekosten mit König Salomo zu klären.

Die Tage verstrichen. So oft ich zurückblickte und die Karawane sah auf sandiger Straße – vierzig Esel samt Treibern und die Familie! – gedachte ich des langen Marsches durch die Wüste Sinai. Wohl mochten die Kinder Israels, auf den Mann gerechnet, weniger Güter mitgeschleppt haben aus Ägypten denn wir aus Esrah; aber harrte unser in Jerusholayim nicht ebenso viel Ungewisses, wie ihrer geharrt hatte im verheißenen Land?

Esther saß auf ihrem Reiteselchen, schwankend unter der gnadenlosen Sonne, dunkle Flecke unter den Augen; sie stützte sich auf Shem und Sheleph, meine Söhne von Hulda, die neben ihr einhergingen. Mein Herz wandte sich Esther zu, und ich ließ haltmachen im Schatten eines großen Steins, auf dessen Spitze ein Terebinthenbaum stand.

Esther aber sprach: »Ich weiß, wie eilig du es hast, nach Jerusholayim zu gelangen, Ethan.«

Ich sah ihr verfallenes Gesicht und hörte, wie sie keuchte beim Atmen, und ich erinnerte mich ihrer, wie sie einst gewesen: eigenwillig und lebensvoll, geistsprühend und heiter, und von großer innerer Schönheit. Und ich sagte: »Ich ziehe es vor, mit dir zusammen dort einzutreffen, Esther, meine Liebe.«

Sie antwortete: »So der HErr will, werde ich leben. So der HErr aber nicht will, wird ein Engel des HErrn kommen und mir seine Hände ums Herz legen, so daß es stillesteht.«

Und Jahweh gewährte Esther Schlaf dort im Schatten, bis der Abendwind kam und es Zeit war weiterzuziehen. Der Weg wurde uns lang, und wir kamen nur schlecht voran, denn wir rasteten jedesmal, wenn Esther schwach wurde. Doch am siebenten Tag erreichten wir den Kamm der Anhöhe über dem Bach Kidron, von wo aus man Jerusholayim erblickt: seine Wälle und Tore und die Türme über den Toren; seine funkelnden Dächer; das Tabernakel, ein purpurner Farbfleck neben dem Weiß von Palast und Festung.

Da warf ich mich nieder vor dem HErrn und dankte ihm, daß er mich und die Meinen ins Angesicht Jerusholayims geführt, und ich gelobte, ein fettes Lamm und ein zartes Ziegenböcklein auf dem Altar zu opfern, den der König David auf der Druschtenne Omans, des Jebusiters, errichtet hatte, das Lamm als Zeichen des Danks für die Vollendung der Reise und das Böcklein als Hilfe im Gebet um göttlichen Schutz in der Stadt Davids und am Hofe König Salomos.

Doch standen da Posten auf den Zinnen und den Türmen, die uns von weitem beobachteten und uns im Auge behielten, während wir uns dem großen Tore näherten. Der krethische Wachposten hielt uns an, und da ich ihm meine Ausweise zeigte, rief er den Hauptmann herbei.

»Historiker, eh?« Der Torhauptmann war des Lesens mächtig. »Wir brauchen Steinmetzen, Maurer, Mörtelträger in Jerusholayim; sogar ein Schuster wäre von Nutzen; aber siehe, zu uns kommt ein Historiker.«

Ich wies auf das königliche Siegel.

»Dieses Volk braucht eine Geschichte«, fuhr der Hauptmann fort, »wie ich ein Geschwür brauche an meinem Geschlecht. Sie werden als Dummköpfe geboren und sterben als solche, sie treiben Unzucht mit ihren Müttern und ihren Schafen, und du willst ihnen eine Geschichte geben. Haben sie es nicht ohne Geschichte schon schwer genug?« Er legte den dicken schmutzigen Finger auf eine der Kisten: »Was ist da drin?«

»Teil meiner Archive«, sagte ich.

»Aufmachen.«

»Aber die Täfelchen werden herausfallen. Alles wird durcheinandergeraten.«

»Aufmachen, hab’ ich gesagt.«

Der Knoten wollte sich nicht lösen. Ich zerrte an dem Riemen. Auf einmal klappte die Kiste auf, und meine kostbaren Tontäfelchen fielen in den Staub. Das Volk am Tor kicherte. Das Blut stieg mir in den Kopf; ich wollte die Stimme erheben gegen den Hauptmann, aber mein Blick fiel auf die Menge. Es war eine sonderbare Menge, ganz anders als in einer Kleinstadt wie Esrah. Diese hier waren Diebe, Müßiggänger, Vagabunden, entlaufene Sklaven; Halsabschneider allesamt, und alle in Lumpen gekleidet; auch Krüppel, die ihre eitrigen Stümpfe, ihr verklebtes Haar, ihre kranken Augen zur Schau stellten. Dies war der Sumpf, auf dem das neue Jerusholayim erbaut wurde, die Kehrseite des Glanzes, der Salomos war: Auswurf der neuen Zeit, zu langsam, zu faul, oder einfach zu schwach, den neuen Geist, die neuen Wege zu begreifen. Und sie verhöhnten und bedrohten mich, vielleicht wegen der vierzig Esel, beladen mit meinem Besitz, oder weil ich Historiker war; und sie warteten nur auf das Kopfnicken des Hauptmanns, um über uns herzufallen wie Hyänen über ein Stück Aas.

Aber der Hauptmann riß eine Peitsche aus dem Gurt und ließ ihr Leder über den Köpfen knallen. Hastig sammelten Shem und Sheleph die Täfelchen ein. Ich tat sie zurück in die Kiste und verschnürte diese, so gut ich konnte.

So betraten wir die Stadt.

Ah, dieser Sommer! Dieser Sommer in Jerusholayim!

Ein sonnengreller Tag verschwimmt mit dem nächsten. Esther leidet. Hulda döst, wobei ihr der Schweiß über das geschwollene Gesicht läuft. Sogar Lilith ist matt und lustlos.

Ich hätte an die Hitze hier denken sollen, an die Fliegen, an den Gestank der Stadt, bevor ich mich verpflichtete, am zweiten Tag nach dem Passahfest für die Arbeit an dem Bericht über den Erstaunlichen Aufstieg und so fort zur Verfügung zu stehen.

Wer irgend kann, ist aus der Stadt geflohen. Der König und der Hof, mitsamt dem Harem, sind in die königlichen Landhäuser am See Kinnereth gezogen, dort die erfrischenden Wässer zu genießen; nur die zehn Kebsen Davids, die sein revoltierender Sohn Absalom vor den Augen des Volkes in Besitz nahm und die seitdem brachliegen müssen, diese durften nicht mit, arme Wesen. Ich habe noch Glück: Josaphat ben Ahilud, der Kanzler, ist aus dienstlichen Gründen in Jerusholayim aufgehalten worden; daher kann ich ihm Nachricht zukommen lassen. Er verweist mich an den Verwalter der königlichen Liegenschaften. Dieser Ehrenwerte, der auch nur danach strebt, die Stadt so rasch wie möglich zu verlassen, empfängt mich kurz und weist mir den einzigen Wohnraum zu, den er angeblich greifbar hat, No. 54 in der Königin-von-Saba-Gasse, ein Haus mit drei Gemächern in einer Siedlung für Regierungsbeamte und Leviten des zweiten und dritten Ranges. Obwohl die Bauleute gerade abgezogen sind, zeigen sich bereits Risse im Putz, Strohhalme hängen aus der Zimmerdecke, das Dach senkt sich bedenklich. Außerdem ist das Haus viel zu klein; ich müßte mir einen Arbeitsraum anbauen lassen. Auf Grund meiner Stellung als Redaktor des König-David-Berichts erklärt sich ein Geldverleiher bereit, die Bausumme zu einem Wucherzins vorzuschießen; aber woher Maurer und Zimmerleute nehmen in Jerusholayim? Alle verfügbaren Handwerker arbeiten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, Sabbat ausgenommen, am Bau des Tempels, des königlichen Palasts, der Stallungen und Remisen für des Königs neue Kampfwagen, der Unterkünfte für seine Krethi und Plethi, der Amtsgebäude für die ständig sich mehrenden Behörden. Shem und Sheleph, deren Schule des Sommers wegen geschlossen ist, durchstreunen die Straßen wie herrenlose Hunde; sie berichten, daß in Jerusholayim alles zu haben ist, man muß nur die richtigen Leute kennen und die richtigen Hände schmieren. Ich habe nichts dagegen, Verbindungen zu benutzen und ein paar Silberlinge wirken zu lassen; aber ich bin noch fremd in der Stadt, meine Stellung ist zu neu und zu ungewiß, die allgemeine Lage zu undurchsichtig; ich kann mir keinen falschen Schritt leisten.

Also bin ich gezwungen, meine bescheidenen Baupläne aufzugeben. Außerdem droht mir das Geld auszugehen. Im königlichen Schatzamt, südlich der Baustelle des Tempels, sind kaum noch Amtsleute, und diese wenigen entschwinden aus ihren Diensträumen, so oft sie können; nach stundenlangem Warten gelingt es mir, einen gewissen Penuel ben Mushi zu finden, Sachbearbeiter dritten Grades, der mich geduldig anhört. Dann, nachdem er Haufen staubiger Tonscherben und Lederfetzen durchwühlt hat, teilt er mir mit, daß kein Zahlungsauftrag für mich eingegangen sei, auch keine Anweisung oder ein anderer Beleg; vor dem Laubhüttenfest, welches König Salomo und seine Mächtigen wieder in Jerusholayim feiern würden, sei auch kaum etwas zu erwarten.

Ich breche in Wehklagen aus und frage, ob denn gar niemand in Jerusholayim sei, der die Vollmacht habe, eine Vorauszahlung zu genehmigen, und bewegt werden könnte, solches zu tun.

Darauf Penuel, die Fliegen von seinem runzligen Gesicht verscheuchend: selbst wenn ein so mächtiger Mann sich in Jerusholayim befände, wird seine Unterschrift genügen? Heute unterschreibt einer, morgen vielleicht ist er schon nicht mehr da, die Unterschrift wertlos. Wisse man denn, welche Namen noch auf der Liste stünden, die König David auf seinem Sterbebett seinem Sohn Salomo übergab? Darum eben seien Gegenzeichnung und königliches Siegel unerläßlich für jede Zahlungsanweisung.

Darauf ich, Informationen von Wert witternd: wohl hätte ich von der Liste gehört, aber habe sie je einer gesehen? Vielleicht sei die berüchtigte Liste nichts als ein Gerücht, in Umlauf gesetzt, Maßnahmen des Benaja ben Jehojada zu rechtfertigen?

Darauf Penuel, in der Befürchtung, daß das Gespräch zu weit gehen mochte: ob es nicht Zeit sei zu einem leichten Imbiß, da die Sonne hoch am Himmel stehe und der Mittag nahe?

Darauf ich, nicht achtend meiner geschrumpften Börse: ob er mir nicht bei einem bescheidenen Mahl Gesellschaft leisten wolle; vielleicht wisse er ein ruhiges Lokal außerhalb der Stadtmauer, wo wir Schatten fänden und einen Wein, der nicht verfälscht ist, und ein saftiges Stück Lammbraten?

Denn das Studium der Geschichte besteht nicht nur aus der Beschäftigung mit gebrannten Tontäfelchen.

Geschichte der Parteien Israels zur Zeit der Thronbesteigung Salomons, des Sohnes Davids, unter Einbeziehung der Mitteilung des Penuel Ben Mushi, Sachbearbeiters dritten Grades im königlichen Sachatzamt; mit einigen seiner Betrachtungen, da er gesprächig gewordendurch den Braten und den Wein, wortgetreu wiedergegeben und in Klammern gesetzt

Nun war König David schon alt und wohlbetagt, und er konnte nicht warm werden, ob ihm gleich Abishag von Shunam zur Seite war, ein schönes Fräulein und wohlgestaltet, und sich zärtlich um ihn bemühte. Und er wußte, daß seine Tage gezählt waren; aber wenn er eine Vorliebe besaß für Adonia, oder für Salomo, oder für einen anderen unter seinen Söhnen, so schwieg er darüber.

(Da lag der König nun und starrte zur Decke und spürte, wie die Macht seinen Händen entglitt. Und er sah wohl, wie sie ihn belauerten und auf ein Wort von ihm warteten, um es zu benutzen im Kampf um die Nachfolge; dies Wort war alles, was ihm geblieben war von seiner Herrlichkeit.)

Es war aber Adonia, der Sohn Davids von dessen Frau Haggith, ein weidlicher Mann, und sein Vater hatte ihn gezeugt nächst nach Absalom. Und Adonia sprach: Ich werde König sein; und er verschaffte sich Wagen und Reiter und fünfzig Mann, die vor ihm herliefen und riefen: Aus dem Weg, Gesindel! Straße frei für den Thronfolger, den Erwählten König Davids! Und selbst als der König den Lärm hörte, schwieg er und unterließ es, Adonia zur Rede zu stellen.

(Sie kümmerten sich schon nicht mehr um ihn. Ihm blieb nichts, als zu warten, bis HErr Jahweh die Waagschale neigte so oder so. Er hatte ja nur noch sein Wort, das Wort eines Sterbenden; und wenn er, GOtt behüte, das Wort für den Falschen sprach, und der unterlag, was würde dann bleiben von ihm? Denn das Urteil der Menschen liegt bei den Künftigen, und vom Sohn hängt es ab, wie der Vater weiterlebt im Gedächtnis des Volkes.)

Und Adonia beriet sich mit Davids Feldhauptmann Joab, um sich der Hilfe des Heers zu versichern, und mit dem Oberpriester Abiathar, hinter welchem die Priester im Lande standen, die ihre kleinen Heiligtümer und die Altäre auf den Höhen und ihre Einkünfte daraus zu erhalten strebten; und beide unterstützten Adonia. Da opferte Adonia Schafe und Ochsen und gemästetes Vieh bei dem Stein Soheleth, welcher nahe dem Brunnen von En-rogel liegt, und lud alle seine Brüder, des Königs Söhne, und alle Männer des Stammes Juda, des Königs Beamte, dazu ein. Nur seinen Bruder Salomo lud er nicht ein. (Der Kleine, Bath-shebas Zweitgeborener, wird er sich gedacht haben, der sterbende König: der Kleine, berühmt schon in jungen Jahren ob seiner weisen Sprüche, GOtt hatte Salomo sichtbar begünstigt, nur wußte man nie genau, was der im Herzen trug. Adonia hatte das Heer; aber das Heer mußte erst aufgeboten werden; und Abiathars Dorfpriester waren zerstreut im Lande und schwer beweglich, nur beim Fressen und Saufen und Huren, da waren sie rasch bei der Hand. Entscheidend war, wie sich Benaja verhielt, den er über die Krethi und Plethi gesetzt hatte, die königliche Garde, denn das war die einzige sofort verfügbare Truppe.) Der Prophet Nathan aber und Zadok, der andere Oberpriester, der für ein großes Hauptheiligtum war mit straffer Gewalt über alle Priester und Leviten, sie beide gehörten nicht zur Partei Adonias und fürchteten sich sehr. Und Nathan sprach mit Bath-sheba, damit sie ihr Leben und das ihres Sohnes Salomo rette. Er riet ihr, zu König David zu gehen und ihm zu sagen: Hast du nicht, mein Herr König, mir, deiner Magd, ausdrücklich geschworen, daß mein Sohn Salomo soll nach dir König sein und auf deinem Thron sitzen? Wieso tut dann Adonia, als wäre er König? Und Nathan versprach Bath-sheba, nach ihr hineinzukommen zum König und ihm ihre Worte zu bestätigen. Bath-sheba aber ging hinein zum König in die Kammer, und sprach zu ihm, wie der Prophet Nathan ihr vorgesprochen, und fügte hinzu: Mein Herr König, die Augen ganz Israels blicken auf dich, daß du ihnen anzeigst, wer auf dem Thron nach dir sitzen soll; sonst mag es geschehen, wenn mein Herr König zu seinen Vätern entschlafen ist, daß ich und mein Sohn Salomo es büßen müssen.

(Da lag er nun auf seinem Bett mit der Jungfer Abishag, die sich zärtlich um ihn bemühte, und dieses Weib redete auf ihn ein. Hatte er ihr tatsächlich ein solches Versprechen gegeben? Die letzte Leidenschaft eines Mannes ist seine stärkste: Er hatte gemordet dafür, und Salomo war das Kind der Sühne. Aber Adonia war, nach Amnons blutigem Tod und nach Absalom, der da in dem Eichbaum hing an seinen Haaren, der nächste in der Erbfolge. Die alte Frau, die für ihren Sohn sprach, und die Junge, die sich an ihn schmiegte, es war ihm schon zuviel: Wir sind Durchreisende auf Erden, und er war nahe dem Ziel seiner Reise.)

Und siehe, während Bath-sheba noch redete mit dem König, trat auch der Prophet Nathan ein und sprach: Mein Herr König, habt Ihr gesagt, Adonia soll nach mir König sein und auf meinem Thron sitzen? Denn er hat alle Söhne des Königs geladen und Joab und die Hauptleute des Heers, dazu den Priester Abiathar; und sie essen und trinken mit ihm und rufen: Glück zu dem König Adonia! Aber deinen Sohn Salomo hat er nicht geladen, und mich nicht, deinen ergebenen Knecht, und den Priester Zadok nicht, und auch nicht Benaja ben Jehojada. Der König jedoch wandte sich um zu Abishag, und betrachtete sie, und sagte: So wohlgestaltet und so begabt, und nichts will sich rühren. Zu Nathan aber: Habe ich richtig vernommen – den Benaja auch nicht? Und der Prophet Nathan erwiderte: Es ist, wie ich es Euch sagte, mein Herr König; Benaja ben Jehojada und die königliche Garde sind von Adonia nicht nach En-rogel geladen worden. Da richtete sich König David auf und sprach zu Bath-sheba: So will ich denn heute tun, wie ich dir geschworen habe bei dem HErrn GOtt Israels. Und er sagte: Ruft mir den Priester Zadok und Benaja, den Sohn Jehojadas. Und da sie hintraten vor den König, sprach dieser zu ihnen: Nehmt die Krethi und Plethi, und setzt meinen Sohn Salomo auf mein Maultier, und führt ihn hinab gen Gihon; und der Priester Zadok samt dem Propheten Nathan salbe ihn daselbst zum König über Israel; und dann blast die Posaunen und ruft: Glück zu dem König Salomo! Benaja ben Jehojada aber sagte: Amen und möge der HErr, der GOtt meines Herrn Königs, auch ja und amen dazu sagen.

(Er sank zurück in die Kissen. Die Waagschale HErrn Jahwehs hatte sich gesenkt, deutlich, und das Wort GOttes war zu ihm gekommen. Aber es war anstrengend gewesen, und er mußte ausharren, bis der Kleine zurückkam aus Gihon: da war noch die Liste, die er ihm geben wollte, damit bereinigt werde, was er zu bereinigen nicht die Kraft gehabt hatte. Wie viele hatten schon gesucht nach dieser Liste, in seinen Gemächern und in der Kammer der geheimen Aufzeichnungen. Narren, wird er gedacht haben, der sterbende König. Es gab keine Liste, die einer finden könnte. Er hatte die Namen im Kopf. Alle.)

Und Nathan und Zadok und Benaja taten, wie König David ihnen geboten, und da sie Salomo gesalbt hatten, bliesen sie die Posaune. Da rief alles Volk: Glück dem König Salomo! und spielten auf Flöten und Pfeifen, und zogen zurück nach Jerusholayim, und jubelten freudig, daß die Erde widerhallte von ihren Rufen. Adonia aber, und alle, die er geladen hatte zu seinem Festmahl, vernahmen den Lärm. Und Joab fragte, was bedeutet das Geschrei in der Stadt und das Getümmel. Siehe, da kamen schon Boten gelaufen, darunter der Sohn des Priesters Abiathar, und berichteten über die letzten Entwicklungen. Und alle, die mit Adonia waren, erkannten, daß Joab, der über das Heer war, von seinen Heerscharen keine bei sich hatte, und die Hauptleute der Hundertschaften und der Tausendschaften hatten keine ihrer Hundertschaften und Tausendschaften bei sich; aber Benaja ben Jehojada hatte seine Krethi und Plethi bei sich, die königliche Garde. Da erschraken die Gäste und nahmen sich nicht einmal Zeit, den Mund zu wischen nach dem Essen, sondern erhoben sich und gingen, ein jeglicher seinen Weg. Adonia aber flüchtete sich ins Tabernakel und klammerte sich an die Hörner des Altars. Nun war Salomo seiner neuen Macht noch nicht sicher; darum sagte er: Wenn Adonia sich wohl verhält, soll ihm kein Haar gekrümmt werden, so er aber Übles plant, wird er sterben. Also kam Adonia und beugte sich vor König Salomo; und Salomo sagte ihm: Geh in dein Haus. Und der Kanzler Josaphat ben Ahilud, der während des ganzen Durcheinanders krank lag in seinem Landhaus am Libanon, kehrte zurück nach Jerusholayim und huldigte dem neuen König, und erfreute sich der Gnade Salomos. Benaja jedoch, der Sohn Jehojadas, wurde über das Heer gesetzt an Joabs Stelle. Aber die Unzufriedenen in Israel, und die, welche sich unterdrückt fühlen, diese erheben den Blick zu Adonia und warten, daß Joab die Posaune blase; und König Salomo hat Benaja geheißen, tausend Ohren zu haben; und die Stimme Israels ist leise geworden wie ein Lüftchen im Kornfeld.

Gegen Ende seines Berichts war Penuel ben Mushi, mein Gewährsmann, im Zustand leichter Trunkenheit. Er umarmte mich und vertraute mir an, daß ein König sei wie der andere, Adonia oder Salomo; Leuteschinder, nimmersatte; und das ganze Haus Jesses sei verflucht von Jahweh wegen des reichlichen Bluts an Davids Händen und wegen dessen, was er dem Volk getan.

Da wir zwei aber gegen Abend durchs Stadttor zurückkehrten, siehe, da erscholl Hufschlag und Rädergerassel, und der Lärm der Läufer, welche riefen: »Aus dem Weg, Gesindel! Platz da für Benaja ben Jehojada, der über das Heer ist und über die Krethi und Plethi, des Königs Garde!« Und mein neuer Freund verschwand, als hätte Sheol ihn geschluckt; ich aber stand allein und verdutzt da. Und eine Stimme aus der Höhe sagte: »Brrr, ihr Biester!«

Die Räder kreischten, und Funken flogen auf unter den Hufen, und die Stimme sprach weiter: »GOtt tue mir dies und jenes, wenn ich nicht Ethan vor mir habe, den Sohn des Hoshaja und Redaktor des Berichts über den Erstaunlichen Aufstieg und so fort.«

Ich hätte mich in den Staub geworfen, wäre nicht die Hand gewesen, die mir gebot, den Wagen zu besteigen.

»Ich fahre dich nach Hause, Ethan, sofern das dein Ziel ist«, sagte Benaja. »Ich hörte schon, du bist in Jerusholayim. Warum hast du mir keinen Besuch abgestattet?«

Ich kletterte auf den Wagen. »Ich war des Glaubens, mein Herr befände sich gleichfalls in einem der königlichen Landhäuser«, sagte ich, »oder am Ufer des Meers, oder an den Hängen des Libanons, wo der ewige Schnee die rauschenden Zedern bewässert.«

»Rauschende Zedern.« Benaja fuhr plötzlich an, und ich mußte mich festhalten. »Wer wird das streunende Lamm vor dem Bär und dem reißenden Löwen beschützen, und auch vor dem Schakal, wenn ich Jerusholayim verlasse?«

Vor mir sah ich die glatten Flanken der schnellen Pferde und die weißen Stöcke der zahllosen Läufer; um mich herum erscholl immer wieder der Name Benaja ben Jehojada. Da geriet der Geist des HErrn über mich, und ich verstand, welche Lustgefühle die Macht dem Menschen vermittelt.

Die Hand Benajas aber, welche die Zügel hielt, war breit und grobgeädert; und er lachte tief aus der Brust heraus, und sprach: »Mein Vater war ein Leibeigener in Israel, und grub in den Bergen nach Kupfer, und hustete sich die Lunge aus dem Leib und starb. Ich aber, Benaja, sein Sohn, habe zu lesen gelernt, und deine Täfelchen bergen keine Geheimnisse vor mir. Ich will dich auch schützen, Ethan, solange du schreibst, was gefällig ist in meinen Augen und in den Augen König Salomos; aber wenn du aufsässige Gedanken hegst oder sie gar hineinschreibst in eins deiner Täfelchen, werde ich deinen Kopf auf einem hohen Pfahl zur Schau stellen und deinen Rumpf an die Mauer dieser Stadt nageln lassen.«

Worauf ich Benaja versicherte, daß nichts mir ferner läge denn das Hegen aufsässiger Gedanken; weiter, daß ich ein Familienvater sei mit einer durchaus bejahenden Haltung zum Staat und dessen Einrichtungen, seien sie militärischer, administrativer oder religiöser Natur.

Der Wagen hielt an.

»Von hier an mußt du laufen, Ethan.« Benaja wies auf die Straße, die sich verengte und kaum zuließ, daß zwei Esel einander passierten. »Die Stadt ist nicht für Wagenverkehr gebaut.«

Ich sprang ab, bedankte mich bei Benaja und wünschte, Jahweh möge ihm Gesundheit und Reichtum gewähren; er schien es nicht zu hören. Er ließ die Pferde rückwärts gehen und brachte es irgendwie fertig, den Wagen zu wenden; dann war da wieder der Lärm der Läufer, das Getrappel der Pferde, das Rattern der Räder. In der darauffolgenden Stille fiel mir ein, daß ich vergessen hatte, ihn um Geld zu ersuchen. Seine Unterschrift hätte doch wohl gegolten.

4

Die Hitze ließ nach.

Das Laubhüttenfest begann, und die Stadt war trunken vom neuen Wein und vom Rauch des Opferfleischs, das auf den Altären schmorte.

In den Weingärten des Königs zu Baal-hamon, in den Laubhütten, welche errichtet waren zum Gedenken an den Auszug aus Ägypten, lagen Liebespaare, oft gleichen Geschlechts, in vertrauter Umarmung. Es war, als feierten die Götter Kanaans, die Baalim und Ashtaroth, ihre Auferstehung. Auf girlandenumwundenem Sessel, die Stirn mit Weinlaub bekränzt, thronte Amenhoteph, der königliche Obereunuch, und gefiel sich als Oberpriester des Ganzen. Mit seinen eleganten ägyptischen Handbewegungen wies er die vollbusigen jungen Mädchen, die schmalhüftigen Jünglinge in diese oder jene Laube, sandte ihnen wohl auch Diener nach mit frischen Häuten voll Wein und Tellern voll Süßigkeiten.

Ich nahte mich ihm.

»Ethan ben Hoshaja?« fragte er in dem kehligen Ton der Leute vom Nil; und da ich bejahend nickte: »Du brachtest keine von deinen Frauen?«

Amenhoteph, so war mir berichtet worden, war eine neue Errungenschaft am Hofe, ein Geschenk des Pharao an König Salomo: Fachmann im Umgang mit Frauen, war er sehr geschätzt im königlichen Harem wegen seiner erlesenen ausländischen Manieren, die angenehm von dem rüden Benehmen der alten Aufseher abstachen.

»Ich fühlte mich äußerst geehrt durch des Königs Gebot«, erwiderte ich, »und war sehr überrascht, und vermutete, daß die Einladung nur mir galt.«

»Es ist in der Tat eine außerordentliche Einladung. Eine höchst vornehme Persönlichkeit wünscht, dich kennenzulernen.«

Er lächelte ein wenig, das Profil dem Schein einer Fackel zugekehrt. Er war eine Seltenheit unter seinesgleichen, ein magerer Eunuch; nur das schlaffe Fleisch unterm Kinn und sein gelegentlicher Diskant bezeugten den Eingriff, der an ihm vorgenommen worden war.

Er winkte den Fackelträger heran, und ich folgte diesem. Die Nacht war voller Stimmen, der Duft der reifen Trauben war überall. Jemand sang, von einer Flöte begleitet, falsch, aber mit viel Gefühl; ein anderer lachte, dann hörte das Lachen auf.

Ich stolperte; fast wäre ich gestürzt. Ich befand mich in einer der Laubhütten. Darin saß in niedrige Polster gelehnt eine Frau, schlank, das dunkle Gewand am Hals streng geschlossen. Der Fackelträger war verschwunden, doch eine Öllampe verbreitete einiges Licht, und der Mond sandte dünne Silberstreifen durch die Blätter des Dachs. Die Frau wandte mir ihr Gesicht zu, ein Gesicht von den Jahren gezeichnet, mit großen bemalten Lippen und großen bemalten Augen.

Ich warf mich zu Boden: »Prinzessin Michal!«

Ich war ihr noch nie begegnet, hatte aber wie jedermann viel von ihr gehört: Sauls Tochter, die erleben mußte, wie einer nach dem andern all ihre Angehörigen bis auf den Krüppel Mephibosheth erschlagen wurden; zweimal die Frau Davids, die ihn verlachte, und darum kinderlos blieb.

»Euer ergebener Diener ist nichts als ein Hund, der Euch zu Füßen kriecht, o Licht, o Sonne!« Die Worte flossen mir leicht von den Lippen; diese Frau hatte etwas an sich, das zur Demut zwang. »Meine Herrin hat mich rufen lassen, zu dieser Stunde, und hierher?«

Sie stützte sich auf den Ellbogen und richtete sich auf. Sie war noch älter, als die Fama mich hatte glauben lassen; ihre Hände waren Haut und Knochen, die Zähne, oder was davon übriggeblieben, lang und verfärbt.

»Du also sollst die Geschichte Davids schreiben?« Die Stimme hatte etwas von ihrem jugendlichen Klang bewahrt.

»Bestenfalls, Prinzessin, werde ich zusammenstellen, was andere mir zukommen lassen; und selbst das nur mit Billigung des weisesten der Könige, Salomo.«

Eine herrische Bewegung. »Was weißt du von David?«

»Ausgenommen den jetzigen Inhaber des Throns, Salomo, war David unstreitig der bedeutendste Mann in Juda und Israel, der Erwählte des HErrn, unsres GOttes, welcher einen Bund schloß mit David und Davids Feinde schlug und alle seine Hasser zuschanden werden ließ, und welcher ferner versprach, daß Davids Samen sollte ewig währen.«

»Mit anderen Worten«, wieder die Handbewegung, »du weißt überhaupt nichts.«

Ich schwieg.

»Wie kannst du dir dann anmaßen, über ihn schreiben zu wollen oder auch nur zusammenzustellen, was andere dir zukommen lassen?«

»Ein Mann ist seine Legende.«

Sie verzog das Gesicht.

»Ihr wünscht die Legende zu zerstören, Herrin?«

»Ich will, daß jemand um ihn weiß, wenn ich nicht mehr da bin.«

Ich wartete.

»Er war von schöner Gestalt«, sagte sie, »nicht hochgewachsen wie mein Vater oder wie Jonathan, eher zierlich; dazu das rötliche Haar über dem tiefgebräunten Gesicht; und er kam zu uns mit seiner Musik und seinen Versen …«

Aussage der Prinzessin Michal auf Fragen des Ethan Ben Hoshaja, in der Laubhütte in den Weingärten des Königs zu Baal-Hamon

Frage: Sicher war der Hof Eures Vaters König Saul nicht die umfangreiche und prächtige Einrichtung, die wir heute haben. Dennoch: hier kommt der Sohn eines gewissen Jesse aus Bethlehem. Selbst wenn wir annehmen, daß Jesse ein wohlhabender und angesehener Mann war …

Antwort: … was er nicht war. Später wurde um des guten Eindrucks willen verbreitet, Jesse habe viele Herden und ein großes Haus besessen, und seine Stimme sei im Rat Judas von Gewicht gewesen, und seine Sippe ginge zurück auf die Gründer des Stammes. In Wahrheit war Jesse ein unbedeutender, armseliger Bauer mit mehr Söhnen, als er ernähren konnte. Drei von ihnen gingen zum Heer; und David würde noch lange die paar elenden Schafe seines Vaters gehütet haben, hätten die Priester zu Bethlehem nicht den Zauber seines Leibes und die Eigenart seiner Stimme entdeckt.

Frage: Die Priester schulten ihn?

Antwort: Als er zu uns kam, wußte er sich zu bewegen. Er sprach nicht mehr wie ein Schafhirt. Er spielte die Laute. Er kannte die traditionellen Gesänge, und er verfaßte neue. Und er verstand es, mit meinem Vater König Saul umzugehen.

Frage: Weiß meine Herrin noch, wer es war, der ihn empfahl, ihn auswählte, ihn einlud?

Antwort: Das hat mir David nie gesagt. Es gab Fragen, denen er sich entzog.

Frage: Hat auch kein andrer Euch davon gesprochen, damals?

Antwort: Ich erinnere mich nicht. Ich war zu der Zeit noch nicht dreizehn Jahre alt und verliebt in meinen Bruder Jonathan; das Hofgeschwätz berührte mich nicht.