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Ausgezeichnet mit dem Silberschweinpreis 2016 Was tun, wenn man siebzehn ist und die Eltern über Nacht spurlos verschwinden, ohne eine Nachricht zu hinterlassen? Man übernimmt selbst den Abschluss seiner Erziehung – mithilfe der miesen Horrorfilme, die man vom »schönen Hans« im Dorfladen geschenkt bekommt. Bruno Hidalgo hat jedoch noch ganz andere Probleme. Denn er lebt nicht nur in einem Provinznest, sondern auf einem riesenhaften Eiland, das infolge von Atomtests aus dem Ozean aufgestiegen ist. Die glanzvollen Gründerjahre sind vorbei, nun liegt die Inselgesellschaft am Boden. Rebellen marodieren, ausländische NGOs versuchen, die Bewohner mit dem Nötigsten zu versorgen, Antilopen weiden in der Savanne zwischen den Müllbergen einer zerbrochenen Utopie. Sascha Macht schickt seinen jungen Helden auf eine Reise durch diese schillernde, kühn erträumte Welt, die doch bedrohlich nah an unserer Realität gebaut ist. Er erzählt eine Geschichte über das Erwachsenwerden, die langen Schatten der großen Ideologien und die heilsame Kraft des Horrorfilms: sprachmächtig, klug und irre witzig. »Wie hier einer mit der Eleganz des Motorsägenspezialisten aus dem Weltgeäst wilde, wilde, anarchische Literatur entastet, wie frei hier einer in das Realistische reinsägt, in das Symbolische, in das Absurde und Fantastische, ohne dass die Kette geölt werden müsste, ohne Rückschlag und auch ohne selbst die Bodenhaftung zu verlieren – das ist grandios, das ist doch grandios!« Saša Staniši?
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Seitenzahl: 313
SASCHA MACHT
DER KRIEG IM GARTEN DES KÖNIGS DER TOTEN
Roman
eBook 2016
© 2016 DuMont Buchverlag, Köln
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln
Umschlagabbildung: © fotolia.com – diverse Künstler, © Vasja Koman – istock by Getty Images
Satz: Fagott, Ffm
eBook-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck
ISBN eBook: 978-3-8321-8906-8
www.dumont-buchverlag.de
Für meine Freunde
Ein Mann aus Skagafjörðr träumte, er käme in ein großes Haus, in dem zwei Frauen sich wiegten. Sie waren blutbedeckt, und Blut regnete gegen die Fenster. Eliot Weinberger,
DIE INSEL, AUF DER ICH GEBOREN WURDE,
erhob sich während der 1940er Jahre aus den kalten, finsteren Tiefen des Ozeans. Vulkanische Aktivitäten und tektonische Erschütterungen, ausgelöst durch die Atomwaffentests des US-amerikanischen Militärs, brachten innerhalb kurzer Zeit an einem vergessenen Ende der Welt neues Land hervor, leuchtende Berge, öde Ebenen, flüsternde Steilküsten und bunte Sümpfe. Gras begann zu wuchern, Bäumchen kringelten sich in den Himmel, Sträucher breiteten sich aus. Weiße Bienen, fleischfressende Laufvögel und schwimmfähige Säugetiere bewohnten diese Insel bereits, als der erste Mensch seinen Fuß auf sie setzte, ein moderner Pirat vielleicht, ein verrückt gewordener Ornithologe, ein desertierter Soldat oder ein europäischer Oligarchenspross auf Irrfahrt mit seiner Jacht. Ein altes, seltsames Stück Erde war aus den Wassern getaucht, die es vor Millionen von Jahren verschluckt hatten, eine fadenscheinige Republik wurde errichtet und wieder zerstört, der Wind wehte über den Strand, ein Flughund schrie, jemand griff nach der Hand eines anderen.
Zu jener Zeit, als meiner Insel erneut der Untergang bevorstand, war ich gerade siebzehn geworden und hatte entschieden, mein bisschen Zukunft einzig und allein den Horrorfilmen zu widmen, die mir den Atem, den Schlaf und unaufhaltsam auch den Verstand raubten. Ich war ein großer Bewunderer des schmalen Werkes von Marcel Kürten, das eine Reihe furchterregender Episodenfilme bildete, in denen Tiere, Pflanzen und Gegenstände durch kosmische Einflüsse menschliche Form annehmen und ihre Umwelt zugrunde richten. Auch nach den Arbeiten der israelischen Regisseurin Jael Guldenburg war ich verrückt, die allesamt in ziemlich unwirtlichen Gegenden spielen, am Grunde des Toten Meeres, auf einem fernen, finsteren Planeten aus blank poliertem Metall, im verzweigten Kellersystem eines Hochhauses mitten in der Wüste, auf einem Kreuzfahrtschiff, das in der Unendlichkeit des Pazifischen Ozeans verschollen ist, am Rande einer Eislandschaft, bewohnt von pelzigen Riesen mit roten Augen, oder in der entzündeten Bauchhöhle eines Sterbenden. Regelrecht schwindlig machten mich auch die kurzen Streifen Roberto Madrigals, Neuinterpretationen japanischer Gespenstergeschichten, in denen Gruppen einfacher Leute zufällig aufeinandertreffen und sich unheimlicher Gestalten erwehren müssen, die sich aus einer uralten Natur geschält haben, aus singenden Bächen, dichten Waldstücken, dem hohlen Inneren grüner Hügel oder feuchten Erdmulden.
All diese Filme besaß ich und noch viele mehr, hatte die VHS-Kassetten in einem Regal geordnet und sah sie mir immer und immer wieder an, am Morgen nach dem Aufstehen, beim Mittagessen, an heißen Nachmittagen oder tief in der Nacht, wenn ich nicht einschlafen konnte. Hin und wieder schaute ich beim Schönen Hans vorbei, Inhaber einer winzigen Filiale der Ladenkette , der neben Körperpflegeprodukten aus sowjetischen Beständen, Staubmänteln, bulgarischen Zigaretten, Konservendosen, alten Fernsehzeitschriften und Haarteilen eben auch Videokassetten verkaufte, Hollywoodklassiker, Pornos, lateinamerikanische -Serien, Animes und Horrorfilme. Lastwagen westlicher Hilfsorganisationen brachten die Waren auf die Insel, bewaffnete Banditen aus den umliegenden Hügeln und Wäldern überfielen die Konvois und verscherbelten das Zeug weiter an Leute wie den Schönen Hans, der es in seinem Laden lagerte. Meistens schenkte er mir die Filme, die ich gerne haben wollte, war ich doch sowieso der Einzige, der sich dafür interessierte.
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