Der Krug aus Kerman - Lisett Erden - E-Book

Der Krug aus Kerman E-Book

Lisett Erden

4,5

Beschreibung

Isis Bergen verfällt nach dem tragischen Tod ihres geliebten Mannes Valentin in tiefe Trauer. Mit der arabischen Kultur von Kindheit an vertraut, verinnerlicht sie den Isis- und Osiris-Mythos und das Liebesepos „Leila und Madschnun“ des persischen Dichters Nizami auf intensive Weise. Das ergreifende Abschiednehmen in einem Dattelpalmenhain zusammen mit ihrem Sohn Christopher erlebt der Leser, der sich mit Isis auf die Reise zu den Wüstenstädten Persiens begibt, wo menschliche und spirituelle Erfahrungen ihren Lebensweg neu ausrichten.

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Umschlagfoto: „Dattelpalme in einer Oase von Al-Ain“ von Bildpixel/pixelio.de

„Und was ist schon unser Dasein als Menschen?

Ob es kürzer oder länger dauert, ja, ob es tausend Jahre selbst währte: nimm es hin als einen Atemhauch, der vergeht in der Ewigkeit. Von Anbeginn trägt das Leben die Inschrift des Todes, und beide sind verschwistert in heimlichem Augenspiel.“

Aus Nizami: „Leila und Madschnun“

Inhalt

Valentins Asche

Erinnerungsbild

Wasserströme

Bestattung

Gastfreundschaft

Epitaph

Mythos

Familie

Amour fou

Öffnungen

Nachrichten

Reiseplanung

Ankunft

Zugfahrt

Paradiesgarten

Feuertempel

Turm des Schweigens

Alte Karawanserei

Wiedersehen

Dattelpalmenhain

Veränderungen

Epilog

Valentins Asche

Der Postbote bringt ein Paket, stellt es flott vor ihr ab und lässt sie auf seinem Scanner abzeichnen. Wie immer kritzelt sie auf der schräggehaltenen, trüben Folie ihren Namen, setzt hinter Ber- ab und fügt dann zittrig das -gen hintendran.

„Bergen, jawoll! Wiedersehn!“

„Ja, danke.“

Da steht er, ein rechteckiger Karton, harmlos anzusehen, vor den beiden Treppenstufen.

„Was bestellt?“, ruft die Nachbarin, die ihr Fahrrad durch die Einfahrt ihres Hauses schiebt.

„Bestell…?“

Isis‘ Stimme bricht ab. Hastig legt sie das Törchen bei, packt die Lieferung und trägt sie mit tauben Armen ins Wohnzimmer. Weiß graben sich ihre Finger in die Seitenwände und verharren noch in der Krallstellung, nachdem sie die Last abgestellt hat. Auf die Knie sinkend, umarmt sie die Kiste, von einem Krampf geschüttelt. Tränentropfen nässen das Packpapier. Sie sieht, wie sie versickern, sieht sie im Innenraum herunterrinnen und einen kleinen See bilden, in dem die Urne steht wie ein ockerfarbener, runder Siloturm.

Die Zeit rinnt mit, verdickt und senkt sich wie eine Mullschicht auf ihre roten, geschwollenen Augen. Erschlafft legt sie den Kopf auf den persischen Gartenfelder-Teppich, auf ein Feld mit einer grünen Dattelpalme, den Arm um das verhängnisvolle Frachtgut geschlungen.

„Valentin, Liebster!“, klagt sie und klopft an die hohen Mauern des Urnenturms, die Tür nicht findend. „Wo bist du? Wo bist du?“

Ein junger Falke umkreist die spitze Turmhaube und hackt mit seinem Schnabel einige Male vehement an den Tonbau, dass es hohl widerschallt und entschwindet im Schatten des im Hintergrund aufragenden Berges.

Geklingel reißt sie aus dem Albtraum. Ohne es sofort einordnen zu können bleibt sie liegen.

„Isis! Mach auf! Ich bin`s.“

Durchs Fenster erfassen ihre Augen die dunkle Gestalt, die Ohren hören das eindringliche Rufen. Mühsam erhebt sie sich und taumelt zur Tür, öffnet sie und lässt Pardis, das „Paradies“, ein. Während der letzten Tage war ihre iranische Freundin täglich bei ihr vorbeigekommen, hatte nach ihr gesehen, sie zum Essen angeregt und mit ihr Tränen vergossen (geteilter Schmerz ist halber Schmerz).

„Soll ich dir einen Kaffee kochen?“

„Schau, was hier steht“, druckst Isis, „schau doch!“

„Ein Paket.“

„Valentins Asche … ist heute mit der Post gekommen, …mit der Post … in einem Paket … in der Urne …“

Pardis‘ Augen weiten sich zu großen, schwarzen Kugeln, die über das Postgut rollen, von vorn nach hinten hinunter und seitlich wieder herauf, bis sie den Gegenstand rundum erfasst haben. Mehrere Schritte ist sie dabei zurückgewichen, greift Isis und lässt sich mit ihr auf der Couch nieder, sie fest umarmend. Beide schluchzen sich aneinander wund.

„Ich muss es tun, Pardis“, sagt Isis und trocknet sich den Tränen- und Nasenschleim von den aufgeweichten Wangen, gedankenlos mit dem Handrücken. „Morgen muss ich dem Bestatter die Urne abliefern, er hat schon nachgefragt.“

„Ja hast du denn Zweifel? Du sagst das, als ob du es gar nicht möchtest.“

„Ich möchte es nicht. Ich möchte Valentin überhaupt nicht begraben. Verstehst du das? Will seine Asche bei mir behalten, die Asche seines geliebten Körpers bewahren. Oder sie an einem anderen Ort bestatten, der ihm besser gefiele, später vielleicht, nicht jetzt … nicht jetzt.“

„Aber du musst, Isis. Das weißt du.“

„Was weiß ich? Nichts weiß ich mehr.“

Ein leerer Blick aus graublauen Augen, aus denen die Goldsprenkel untergegangen waren, wie die letzten Sonnenflecken im Abendmeer es immer wieder tun, trifft Pardis und lässt sie verstummen, ohne dass sie noch einmal nachfragt, ein ungutes Gefühl unterdrückend.

Die Minuten tröpfeln aus der Uhr.

„Hilf mir auspacken, bitte.“

Sie hocken sich neben das Paket, entfernen die Verpackung und machen den Karton auf. Zum Vorschein kommt das unheilvollste Gefäß auf Erden, das jedoch in seiner handwerklichen Schönheit berührt und angenehm überzeugt. Valentins Schweizer Firma hat mit ihrer Zustimmung Einäscherung, Urnenwahl und Zusendung getätigt.

Wild zucken die Augen, die Hände zittern. Dann greift Isis zu und zieht es langsam aus dem Füllmaterial heraus. Ganz langsam senkt sie das Künstler-Unikat in ihren Schoß, zärtlich, ganz behutsam und verweilt, leise murmelnd:

„Valentin, mein Liebster, Valentin, wo bist du, Valentin, warum ist dir das passiert, mein Valentin. Warum bist du einfach so gegangen, hast mich, hast uns allein gelassen?“

Unablässig streicht Pardis ihr über die offenen, wirren, kleingelockten Haare, die sonst zum Knoten oder zum Pferdeschwanz gebunden sind. Das Gesicht auf die Urne gesenkt, beweint Isis den geliebten Mann und Vater. Was sie zu ihm sprechen will, aus Schmerz, Trauer, und Unbegreiflichkeit, gurgelt unartikuliert an die Gestade der harten Wirklichkeit, an denen das grausame Schicksal haust.

Stumme Zeugin ist die Freundin, im Schüttelgriff des kalten Schauers, den die makabre Situation in ihr erzeugt (die schwarzen Härchen auf den Armen stehen ihr zu Berge). Schließlich endet der Klagegesang.

„Danke, Pardis, meine Liebe. Es bedeutet mir viel, dass du bei mir bist und mir beistehst.“

„Genau, Isis, - endlich kommt diese wieder zu sich - bereden wir, was noch organisiert werden muss für die Beerdigung.“

Hier kann sie sich nützlich erweisen. Gleich würde sie einige Anrufe machen und Bestellungen aufgeben, in Bezug auf Blumenschmuck, Erinnerungsbild, Leichenschmaus. Einen Kaffee braucht sie, einen ganz starken, sofort!

„Möchtest du auch einen Kaffee?“

„Nein, lieber einen schwarzen Tee.“

„Mit Cardamom?“

Völlig ermattet überlässt ihr Isis mit einer vagen Handbewegung die Zubereitung.

„Dazu ein paar Datteln? Sie sind aus Kerman. Meine Freundin Shirin hat sie letzthin von ihrer Reise mitgebracht.“

Ein Hauch von Lächeln schiebt den Schmerz aus Isis Mundwinkeln hinter die Ohren, die ein leises Zweigerauschen aus der Ferne vernehmen.

Beim Hantieren in der Küche fällt Pardis eine Zeitungsseite mit den Todesanzeigen ins Auge. Weit ausgebreitet liegt sie auf dem Tisch. Also hatte Isi doch eine aufgegeben, obwohl sie das anfangs gar nicht wollte. Dabei hätte sie ihr auch nicht helfen können; ihre Formulierungsmöglichkeiten zu diesem Thema sind begrenzt. Solange die Getränke brühen, könnte sie einmal darüber blicken. Schnell entdeckt sie die Mitteilung und liest:

…starb mein geliebter Mann und Vater Valentin Bergen

In tiefer Trauer Isis und Christopher Bergen Die Urnenbeisetzung erfolgt später in aller Stille …

Daneben schwappt eine große Anzeige der Firma Valentins über auf die kleine von Isis, legt sich breit darauf, verschluckt diese und vergoldet den schwarzen Rahmen:

Mit tiefer Bestürzung teilen wir mit … Ingenieur Valentin Bergen auf tragische Weise in Jordanien … sein unternehmerischer Weitblick … exzellentes, fachliches Können … in unermüdlichem Einsatz ... geschätzte Persönlichkeit … ehrendes Gedenken … Mitgefühl für Frau und Sohn …

Großartig klingt das. Pardis ist beeindruckt. Diesen Nachruf hat Valentin verdient. Er weckt Mitgefühl beim Leser, wohingegen Isis‘ Text kurz und nahezu sachlich abgefasst ist, als mangele es ihr an Trauerpotenzial.

Erinnerungsbild

„Was soll auf das Erinnerungsbild? Hast du einen Text und ein Foto bereit?“ Pardis fragte, wobei sie Blickkontakt vermied und den Tee einschenkte.

Wie abgestorben durch Gram und Harm saß die mit Trauerbanden Gefesselte. Erbarmungswürdig ihr Anblick. Unentwegt starrte sie die Urne an. Manchmal quetschte sich ein Ächzlaut durch ihre Lippen, klang wie die gesprungenen Saiten ihrer Seelengeige.

„Isi, welchen Text?“

„Das Foto liegt dort auf der Anrichte.“

Es zeigte Valentin auf der Baustelle des Begrünungsprojekts in Jordanien, wo er als Ingenieur für Wasseraufbereitungsanlagen seit zwei Monaten tätig war. Er stand bis zur Hüfte, sonnengebräunt, in einer Sandgrube, durch die die Rohre des Meerwassers für die Entsalzungsanlage verlegt werden sollten. Sein dichtes, gewelltes, blondes Haar war ihm seitlich unter dem Helm hervorgerutscht. Ganz kurz wollte er es sich schneiden lassen, weil es ihm in der Hitze hinderlich war. Sie hatte es ihm auszureden versucht, da sie ihn so gern darin zauste. In der rechten Hand die Sonnenbrille, winkte er herüber. Viele Lachfältchen umstrahlten die blauen Augen und den breiten Mund. Das Kinn zeigte noch deutlicher seine eckigen Kanten. Glücklich war er dort, in der Wüste, so wie er in allen Wüsten glücklich war. Hier konnte er seinen Idealen dienen: aus unfruchtbaren Landstrichen blühende, grüne Oasen schaffen zu helfen, Wasser, Strom und Land zur Versorgung der wachsenden Bevölkerung zu gewinnen.

So gern er auch zu Hause weilte, es zog ihn immer wieder hinaus, obwohl sie litt, wenn er ihr seine nächste Arbeitsstelle mitteilte. Einige Male hatte sie ihn zu den unwirtlichen Orten begleitet. Durch die gemeinsame Erkundung der Gegenden in ihren Urlauben hatte sie eine eigenartige Zuneigung zu Land und Leuten entwickelt. Mit Erstaunen hatte er festgestellt, dass ihre Faszination die seine sogar übertraf. Allerdings interessierte sie sich mehr für die dort ansässige Kunst und Kultur als für seine Technologie, was er verstand, arbeitete sie doch als Angestellte eines Kunstmuseums. Sie ergänzten sich wunderbar, meinten sie selbst und auch ihre Freunde. Zuweilen schien es ihm, dass sie sich in der Heimat oft zu sehr einschloss, zu wenig Kontakte suchte und verdorrte, draußen aber aufging wie die welke Rose von Jericho nach frischem Wasserbad. Absurd, auf dürrem, sandigen Boden! Sie brauchte dann wohl wieder die Trockenperioden, um nicht zu verfaulen.

„Hast du kein Foto, wo er deutlicher zu sehen ist. Ohne die Arbeitsumgebung?“

„Die muss sein. Sie wurde zu seinem Grab. Halb steht er schon darin.“

„Aber sein Grab wird hier sein, Isis.“

„Hier? Ja, pro forma. Ein Grab mit Urne, in einer Reihe mit vielen anderen, in engstem Abstand voneinander. Mit einer schönen Urne zwar, auf der Vorderseite mit einem Herzrelief, in das ein I und ein C eingeritzt sind. Ob er das gewollt hätte? ... Er war zu jung noch, um mit mir über den Tod zu reden.“

Isis vergrub den Kopf mit leisem Winseln in den Händen. Geraume Zeit verstrich, bis Pardis wieder zu sprechen wagte:

„Und der Text?“

Kennst du das Land, wo Peperoni blühn,

im dunklen Laub die Auberginen glühn,

ein heißer Wind vom blauen Himmel weht,

die Zwiebel still und hoch die Gurke steht?

Kennst du es wohl?

Dahin! Dahin,

möcht ich mit dir, o mein Geliebter ziehn.“

Pardis‘ Gesicht verzog sich zu einem einzigen Fragezeichen, das gefror.

„Ein Gedicht von Goethe, nur abgewandelt. Goethe hatte sicher einen italienischen Garten vor Augen, als er es schrieb. Ich sehe ein riesiges Gewächshaus mit Gemüse vor mir, bewässert von Valentins Wasseranlage.“

„Ist es … dein Ernst, so zu schreiben?“

„Ja, genauso, unter das Bild. Und auf die andere Seite:

Valentin Bergen,

über alles geliebter Mann und Vater,

fand sein Grab im Wüstensand Jordaniens.

In tiefer Trauer bleiben zurück

Isis und Christopher Bergen“

Auf einem Bogen Papier schrieb sie auf Pardis‘ Bitte die Sätze auf. Wieder stürzten die Tropfen aus den Augen, aus Nase und den Hautporen. Alle Schleusen des Gesichtes waren geöffnet und ertränkten ihre gerade für ein paar Augenblicke gewonnenen, stabilen Gedanken unter sich. Aus dem Tränenquell bildete sich ein Rinnsal salzigen Wassers, das durch die nackte Ödnis des Trauerlandes seinen Lauf nahm.

Sie verhüllte ihren Kopf in der Kapuze der Jacke und rollte sich auf dem Teppich neben die Urne, umklammerte sie, die Knie eng an den Körper gekrümmt.

Nachdem Pardis ihr Papiertaschentücher gereicht hatte, ging sie ins Arbeitszimmer, mailte Foto und Texte der Bestattungsfirma und bestellte vierzig Gedenkkarten. In einem Körbchen würden sie eingangs der Leichenhalle für die Trauergäste bereitliegen.

Wasserströme