Der Kulturgeist - Norman Liebold - E-Book

Der Kulturgeist E-Book

Norman Liebold

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Beschreibung

Norman Liebold wagt einmal mehr einen Ausflug in die Zwischenwelt: Anderwelt bricht drei Mal mitten in Bonn in das, was wir so gerne “Realität” nennen, und das auf ausgesprochen erotische Weise - drei phantastische Liebesgeschichten, mal amüsant, mal philosophisch, mal auf gruselige Weise schlüpfrig.

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Norman Liebold

Der Kulturgeist

und andere Dämonen

mit Zeichnungen von Katharina Theine und dem Autor

AMATOR VERITAS

Digitale Version der überarbeiteten authorsierten Fassung 2011 (Ersterscheinung 2008)

Amator Veritas Buch Nr. XL
Illustrationen von Katharina Theine und Norman Liebold.
Copyright © 2011
Norman Liebold und Amator Veritas Verlag, Hennef.
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und elektronische Medien, sowie der Übersetzung auch einzelner Teile.
ISBN-13 (Print): 978-3-937330-26-6

Carpe Noctem

Für Martin Leichtfuß zum Dreißigsten.

Die Kunst der melancholischen Einsamkeit besteht nicht darin, sich an irgendeinen einsamen Ort zu verkriechen, ins Leere zu starren und möglichst schmerzhaften Erinnerungen und Gedanken nachzuhängen. Wie in einem Gemälde Dunkles durch Helle erst recht zu Geltung kommt und fahle Blässe durch Farbenpracht, so tritt die eigene Einsamkeit am bemerkenswertesten unter der Geselligkeit anderer hervor und die eigene Tristesse neben ausgelassener Freude.

Minosch liebte es, zu fortgeschrittener Stunde durch die Gassen der still daliegenden Stadt zu trotten und sich als Ausgestoßener zwischen den Häusern hindurch zu drücken. Er stellte sich vor, wie hinter diesem oder jenem Fenster ein Paar lag. Zärtlich aneinander geschmiegt unter warmer Decke, seine Nase im Duft ihres Haares, seine Wange zwischen ihre zierlichen Schultern gebettet. Das Gefühl einer vertrauensvoll sich schmiegenden Wölbung in der Hand, das sanfte Atmen einer Brust, eines Bauches. Schmerzliche Erinnerungen engten ihm den Hals, bis jeder Atemzug schwer fiel und die Welt ringsum von nächtlich Einsam in bodenlos Verzweifelt wegzukippen begann, alles sich auflöste, bangende Fragen nach der Zukunft im Nichts zerfaserten und jeder Halt sich an den Grundfesten auflöste wie faulendes Fleisch.

War der Zustand kaum noch auszuhalten, pflegte er seine Schritte in die Innenstadt zu lenken - insCarpe Noctem vielleicht, oder ins Atlantis-, sich in einem Winkel an den Tisch zu setzen und ein oder zwei Stunden lang das eine oder andere Hochprozentige zu sich zu nehmen. Ringsum flackerten wild die Lichter. Jugendlich nach Leben gierend drängten sich Leiber. Gesichter wogten, neigten sich zu, lachten, blickten hungrig. Minosch hingegen, im Winkel, sah ihnen zu, mit melancholischem Gesichtsausdruck, die Zigarette ganz oben zwischen Mittel- und Zeigefinger eingeklemmt – manchmal vergaß er die Zigarette gern und weidete sich an dem Schmerz, wenn die Glut an seiner Haut leckte. In diesem Wogen von Gesichtern und Leibern, innerlich übervoll an schmerzlichen Gedanken, konnte er sich wirklicheinsam fühlen, auf seinem Stuhl sitzend, den Sehnen seines Seins nachtastend bis zu jenem Punkt, wo sie sich zerfasernd in zielloser Beliebigkeit verloren.

Begann der Alkohol zu wirken, verschob sich alles um ein Weniges. Vielleicht, so vermutete er, wurden seine Gedanken einfacher, vielleicht auch primitiver. Der eingängige Rhythmus der Musik pulsierte in der Magengrube, Licht und wogende Leiber stimmten ein seltsam mit Melancholie gemischtes Hochgefühl in ihm an. In solchen Momenten konnte er sich fast vorstellen, unter die Leiber tauchend ein paar hungrigen Augen mit hungrigem Blick zu begegnen, wie zufällig Hand an Haut entlang gleiten zu lassen, in charmant-witziger Weise Aufmerksamkeit zu fesseln, festzuhalten, schließlich näher zu rücken und - seiner Ideale abtrünnig - einfach schattenspringend mitzugehen.

Dieser Moment war der richtige… zu gehen, um mit jenem seltsam gestimmten Hochgefühl von nicht negierten Möglichkeiten durch die nächtliche Stadt zu wanken und mit dem heller werdenden Horizont endlich einschlafen zu können.

Diese Nacht hingegen war unruhig - drei Uhr, und noch schwirrten Stimmen trunken durch die Straßen. Masken schreckten Minoschs Einsamkeit, Mummenschanz grölte hinter Straßenbiegungen und ließen ihn andere Wege mit leise steigender Panik suchen.

Weiberfastnacht in Bonn.

Selbst auf dem verwachsenen Friedhof keuchte es schmatzend hinter Grabsteinen. Aber draußen war es leichter zu ertragen. Leichter als dasselbe Lachen, wenn es von der Straße herauf schallte, während er mit zersprungener Brust hinter dem Fenster hockte. Seine Melancholie jedoch konnte er nicht in den Straßen finden - stillevertreibend verscheuchten die maskierten Betrunkenen jede einsame Minute. Und Bilder zärtlicher Zweisamkeit zerbrechen, wenn eine sturzbetrunkene Frau sich geräuschvoll auf die Straße erbricht oder laut vom Ficken grölt.

Er suchte leere Nebengassen und schlängelte sich durch Bonn bis zum Atlantis. Es sind die Gegensätze, die verdeutlichen, sagte er sich – in der Diskothek mochte die schlüpfrige Hemmungslosigkeit weniger aufdringlich an seinen Eingeweiden ziehen - sei es nun aus Ekel oder auch Neid.

Als er die kurze Kellertreppe hinunter stieg, schlug ihm der Lärm entgegen: „Die Karawane zieht weiter...“, von Dutzenden Stimmen gegrölt. Schon im Begriff auf dem Absatz umzukehren, siegte etwas, das am ehesten Trotz genannt werden konnte. Minosch verstand sich als Dulder: Es ging nicht an, dass dergleichen ihn verschreckte, einschüchterte und wie einen Sonderling durch einsame Gässchen zurück schleichen ließ. Eine Stunde, sagte er sich, wollte er bleiben - und drückte die Schwingtür auf.

Das Atlantis war zum Bersten gefüllt. Minosch gelang es nur mit Mühe, sich in die Menge zu drängen und die Tür hinter sich zu schließen. Ein Kellner mit hoch über die Köpfe gehobenem Bierkasten mühte sich, hindurch zu kommen, um Gläser und Flaschen einzusammeln. Sicher war keiner der Tische auf der Empore frei: Sie waren nicht einmal zu sehen, bestenfalls zu ahnen als kreisrunde, gleichsam ausgestanzte, kopffreie Löcher in der Menge. Trotzdem hängte er sich an einen sich geschickt durch die Menge windenden Kellner, als er vorüber trieb und in die richtige Richtung steuerte. Er hatte richtig vermutet: Auch auf der Empore – ein erhabener, durch eine Balustrade abgegrenzter Bereich, auf dem Tische, Stühle und die eine oder andere Chaiselongue standen – drängte sich die Menge. Nur an einem einzigen Tisch war ein freier Stuhl. Ein seltsamer Anblick, denn die anderen Tische waren nicht einfach nur voll besetzt. Tische, Stühle und Menschen verbuken zu einem dichten Konglomerat, verklebt durch Schweiß, Körperwärme und Leiberdruck. Um diesen Tisch aber war ein halber Meter freier Raum. Hier saßen keine kostümierten Betrunkenen, die mit gellendem Lachen kleine Feigling-Fläschchen auf den Tisch knallten. Zwei Herren saßen hier. Jede andere Bezeichnung, fand Minosch, wäre unzutreffend. Sie trugen Anzüge, jede Falte saß am richtigen Platz. Auf dem Tisch neben sorgfältig manikürten Händen stand je ein Zylinder und ein Glas roten Weines, über den Lehnen der Stühle hingen die Mäntel. Sie mochten Mitte Dreißig sein, vielleicht etwas jünger, vielleicht etwas älter, das war nicht eben leicht zu sagen: Ihre Gesichter wirkten, obzwar durchgearbeitet und mit vielfältigen Spuren durchzogen, doch ausgesprochen frisch und unverbraucht. Sie unterhielten sich, ruhig, scheinbar ohne die Stimme zu heben trotz des ringsum tobenden Lärmes. Ihr Gespräch, ihren Gesten nach zu urteilen, drehten sich um den Gegenstand, der zwischen ihnen in der Mitte des Tisches lag: Ein Apfel, von durchschnittlicher Größe und Färbung, dessen einzige Besonderheit es war, wie der Nabel der Welt zwischen den beiden Herren zu liegen und ihre Aufmerksamkeit mehr zu fesseln als das Tohuwabohu rings umher.

An einen Tisch für sich allein war nicht zu denken, der freie Stuhl bei den Herren mit dem Apfel war überhaupt die einzige Möglichkeit, das Alles hier sitzend zu ertragen. Mit vorsichtiger Demut trat Minosch heran.

„Nein, Arnold, du verstehst mein Problem nicht wirklich“, hörte er den Rechten der beiden sagen. Über einer scharf geschnittenen Nase stachen hellgraue Augen, ein kurz geschnittener Vollbart umrahmte das hagere, fast vogelartige Gesicht.

„Ich verstehe sehr wohl, an welcher Stelle dein Problem liegt“, entgegnete Arnold und nahm den Apfel in die Hand, um ihn wie Yoricks Schädel vor sich zu halten. „Du willst dich nicht entscheiden, mein lieber Joachim, das ist dein Problem.“ Er hob die Stimme, als sein Gegenüber etwas einwenden wollte. „Und es kommt letztlich ausschließlich darauf an, dass man sich entscheidet. Zum Beispiel für den“ - er sprach das Wort sehr deutlich aus - „Apfel.“ Wie eine Faust schlug er ihn vor sich auf den Tisch. „Nur darauf.“

Ehe der andere Herr etwas sagen konnte – und er hatte den Mund bereits geöffnet und Atem geholt – ließ sich ein „Entschuldigen Sie bitte, ist dieser Stuhl noch frei?“ einschieben, fand Minosch und versuchte es. Er musste es laut schreiend wiederholen, denn der erste Versuch verlor sich im tobenden Lärm. Die Herren blickten ihn an. Ihre Augen waren – ein ganz seltsamer Eindruck - von genau derselben Farbe zwischen Seeblau und Meergrau, mit einem Funken Violett darin. Das Anschauen dauerte ein wenig zu lang, und ein unangenehmes Gefühl schlich sich Minosch in die Brust, ehe Arnold ein vollendet höfliches „aber natürlich, setzen Sie sich doch bitte“ sagte, lächelte und mit der Hand auf den Stuhl deutete. Er schien sich nicht im geringsten anzustrengen, um gegen den Lärm zu sprechen und wirkte eher, als säße er in einem Café, nicht in einer völlig überfüllten, verrauchten Diskothek an Weiberfastnacht. Der andere lächelte ihm ebenfalls zu, wandte sich wieder ab und deutete auf den Apfel.

„Arnold“, sagte er zu seinem Gegenüber und betonte jedes einzelne Wort. „Mir geht es doch überhaupt nicht darum, dass man sich für den Apfel entscheidet. Natürlich muss ich mich für den Apfel entscheiden.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß, dass ich mich genauso gut für eine - was weiß ich - Banane entscheiden könnte. Das ist nicht mein Problem. Und das habe ich Dir schon mehr als einmal gesagt.“

Aus der massiven Leiberwand hinter den Herren löste sich eine junge Frau mit einem Stierkopf. Es war eine bemerkenswert gut gewachsene Frau, und die glattmarmornen Linien, die aus dem nicht minder bemerkenswert knapp gehaltenen Kostüm hervor schälten, erstaunten nicht weniger als die frappierend echt wirkende Maske, die auf ihren Schultern saß. Wo sich schmetterlingshaft zarte Schlüsselbeine unter fast durchschimmernder Haut schwangen, schienen sich dicke, kastanienbraune Haare zuerst einzeln, dann in Locken aus der Haut zu drängen. Der Hals auf den schmalen Schultern war breit mit daumendicken Sehnen, vollständig mit dickhaarigem Pelz bewachsen. Und so gegensätzlich die seidenmilchige Haut und das raustruppichte Stier-Haar war, es war kaum festzustellen, wo Haut aufhörte und Maske begann.

„Einen weiteren Rotwein, bitte. Derselbe, wenn es möglich ist“, sagte Joachim, „und wenn es Ihnen nichts aus macht, noch ein Glas Wasser dazu.“ Und Arnold erklärte, dass er gerne einen Pint Guinnesshätte. Die junge Frau notierte auf einem kleinen Block und wandte den Stierkopf Minosch zu. Für einen Augenblick wollte es ihm scheinen, als weiteten sich die Nüstern, um seinen Geruch einzusaugen. Die dunkelbraunen Rinderaugen – für gläserne Murmeln von einer erstaunlichen Lebendigkeit – schienen sich auf ihn richten, und sprachlos starrte er die Maske an.

„Was wollen Sie trinken?“ kam hohl, ein wenig undeutlich und doch hörbar ungeduldig aus dem Innern des Stierkopfes, und so gut gearbeitet die Maske auch sein mochte - die Illusion zerfiel: Die Augen bewegten sich zwar tatsächlich in den Höhlen, aber sie rollten einfach sinnlos hin und her, wenn der Stierkopf sich neigte. „Auch ein Guinness, bitte“, sagte er. Der Stierkopf schaute ihn an, und es war klar, dass er rein gar nichts gehört haben konnte in all dem Getöse ringsum. Minosch hatte ja sich noch nicht einmal selbst gehört. Schreiend wiederholte er: „Ein Guinness, bitte!“ Der Stierkopf neigte sich ihm entgegen und wirkte für einen Moment, als zöge er fragend Augenbrauen hoch und runzelte die Stirn. „Guinness!“ brüllte Minosch aus ganzer Kraft. Der Stierkopf nickte und notierte, drehte sich herum und ein unmöglich schöner Rücken drängte sich in die Wand aus Kostümierten. Erst, als er mit einem leichten Drehen in der Hüfte endgültig zwischen zwei Vampiren verschwand, fragte Minosch sich, seit wann im Atlantis an den Tischen bedient wurde. Aber, sagte er sich, wahrscheinlich hatten die Herren sich diese Sonderbehandlung durch ein großzügiges Trinkgeld erkauft.

Joachim nahm die Banane vom Tisch und zeigte sie auf der offenen Handfläche. „Ich versuche also noch einmal, es dir zu erklären.“ Arnold lehnte sich zurück, griff nach dem Glas, trank den letzten Schluck und setzte ein interessiert lauschendes Gesicht auf. Joachim fuhr fort: „Das hier ist eine Banane. Die muss ich schälen, dann kann ich sie essen, richtig?“ Arnold nickte. „Bei einem Apfel aber könnte ich die Schale mit essen.“

„Es sei denn, man hätte ihn gespritzt. Das soll ungesund sein.“

„Darum geht es doch nicht, Arnold!“ Joachim wedelte mit der Banane vor Arnolds Gesicht herum.

„Nun gut, vorausgesetzt, der Apfel wäre nicht gespritzt, könntest du ihn natürlich – wenn du diese magst – mit der Schale verspeisen. Und weiter?“

„Stell dir vor, ich würde in die Banane beißen, obwohl sie in Wirklichkeit ein Apfel ist.“

„Das würde in der Tat abscheulich schmecken. Aber warum solltest du in eine Banane beißen, ohne sie zu schälen?“

„Weil es ein Apfel ist!“

Etwas in Minosch drehte sich. Es wäre ihm unmöglich zu sagen, was genau sich drehte, aber es schien mit der Banane zu tun zu haben. Er war sich nicht mehr ganz sicher, ob da eine Banane gelegen hatte, als er sich an den Tisch setzte. Bis vor einen Moment war er sich dessen gänzlich sicher gewesen. Jetzt drängte sich – ganz schwach, kaum der Schatten eines Misstrauens – das Bild auf, dass dort ein Apfel gelegen hatte. Nein: Gelegen haben könnte. Es verwirrte ihn mehr, als er es für möglich gehalten hätte.

„Es ist aber kein Apfel, Joachim“ erklärte Arnold mit tiefer, beruhigender Stimme, und irgendwie fühlte Minosch sich erleichtert. „Es ist eine Banane.“ Er nahm die Frucht aus Joachims Hand und begann sie langsam zu schälen. „Siehst Du?“

„Natürlich ist das eine Banane, verdammt!“ Joachim wurde ein wenig laut. „Willst Du mich veräppeln? Ich habe mich entschieden, dass es eine Banane ist. Ich könnte mich aber genauso gut entscheiden, dass es ein Apfel ist. Verstehst Du das denn nicht?“

„Natürlich verstehe ich das“, erklärte Arnold mit einem Kopfnicken. „Das ist doch selbstverständlich. Ich verstehe nur nicht, wo Dein Problem ist!“ Mit sichtlichem Genuss biss er in die Banane und fügte mit vollem Mund hinzu: „Ausgezeichnet, übrigens, Deine Banane.“ Er legte die halb geschälte, abgebissene Frucht wieder auf den Tisch zurück und grinste sein Gegenüber an. Die zweifelsohne beabsichtigte Dramatik der Geste wurde von einem Piraten samt Augenklappe und aufgemalten Bartstoppeln durchbrochen, der sich zwischen den Herren über den Tisch beugte, auf die Zigarette zwischen seinen Lippen deutete und übertrieben grinste.

„Aus der Tatsache, dass ihre Zigarette nicht brennt, schließe ich, dass sie uns darum bitten wollen, ihnen Feuer zu geben?“ fragte Arnold und lächelte den Piraten freundlich an. Es dauerte eine kleine Weile, ehe der mit verwirrtem Gesichtsausdruck nickte. „Dann habe ich sie also richtig verstanden, und natürlich gebe ich Ihnen mit dem größten Vergnügen Feuer“, sagte Arnold, lächelte weiter, machte aber keinerlei Anstalten, irgendetwas anderes zu tun, als den Piraten freundlichst anzulächeln. Nach einer kleinen Zeitspanne runzelte der Pirat seine Stirn unter rotem Kopftuch, nahm die Zigarette aus dem Mund und sagte etwas. Minosch konnte ihn natürlich bei dem Lärm nicht verstehen, aber es war recht klar, worüber er sich mokieren zu müssen glaubte.

„Aber ich habe ihnen doch gerade Feuer gegeben, mein Bester“, erklärte Arnold mit leichtem Kopfschütteln. Der Pirat schaute Arnold verständnislos an, dann hielt er ihm die Zigarette vor die Nase. Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen war das, was er zu Arnold sagte, nicht sonderlich höflich – aber dieser Gesichtsausdruck veränderte sich maßgeblich, als sein Blick auf die Spitze seiner Zigarette fiel und hängen blieb: Von dort nämlich stieg sich kräuselnd ein Rauchfaden auf, und wo er entsprang, glomm unignorierbar Glut in einem Kragen aus Asche.

Während Minosch das sichtlich verwirrte Gesicht des Freibeuters in seinem Bestreben betrachtete, selten dämlich auszusehen, glaubte er sich zu erinnern, wie Arnold für einen kurzen Moment etwas Metallisches in der Hand gehalten hatte. Nur ganz kurz, als der Pirat sich zu ihm beugte, um Feuer zu bekommen. Als er versuchte, sich genauer zu erinnern, wurde er zunehmend sicherer, dass es ein filigran verziertes Feuerzeug gewesen war, mit einem stilisierten Labyrinth darauf. Die Erinnerung wurde immer klarer, jetzt konnte er fast sehen, wie der Pirat die Spitze seiner Zigarette in die Flamme hielt und paffte, bis blauer Qualm aus seinem Mundwinkel quoll. Der Pirat schien sich auch zu erinnern, denn er lächelte halb verwirrt, halb verlegen, murmelte etwas, das gewiss ein „vielen Dank“ war und verschwand in der Menge. Arnold lächelte ihm ein „aber keine Ursache, junger Mann“ hinterher, um sich wieder Joachim zuzuwenden und den Faden der Diskussion aufzunehmen: „Wie gesagt: Es ist völlig Banane, darüber nachzudenken, was dieser Apfel vielleicht noch sein könnte außer einem Apfel.“ Er deutete auf den Apfel, der zwischen ihnen lag. Ein kräftiger Bissen fehlte und wo die Zähne Spuren hinein gegraben hatten, färbte sich das Fruchtfleisch schon ein wenig bräunlich.

„Nein, das ist genau der Punkt, Arnold. Es ist doch völlig klar, dass dies ein Apfel ist.“ Joachim nahm den angebissenen Apfel in die Hand. „Genauso wenig, wie Zweifel daran bestehen kann, dass dies eine Banane ist.“ Minosch war, als zuckte etwas tief in seinem Hirn. Auf Joachims Handfläche befand sich nichts anderes als eine halb geschälte, gelbe Banane, an deren Ende ein Bissen fehlte. Die schlaffen Schalenteile hingen herab und schaukelten leicht hin und her. Minosch blickte darauf, und irgendetwas in ihm verdrehte sich, und es fühlte sich eigenartig an: Er wusste, dass in dieser Hand einen Augenblick vorher ein Apfel gewesen war, nichtsdestotrotz bestand kein Zweifel daran, dass da eine Banane war – nicht nur war