Der Kutb - Karl May - E-Book

Der Kutb E-Book

Karl May

0,0

Beschreibung

Der Kutb ist eine Abenteuererzählung von Karl May. Auszug: Wie oft habe ich während meiner vielen Reisen an mir selbst erfahren, daß eine allweise Hand meinen Weg ganz anders lenkte, als es mein Wille war, und zwar stets zu meinem Glücke! Wie oft wurde ich aus einer mißlichen oder gar gefährlichen Lage durch einen ganz geringfügigen Umstand befreit oder errettet, den ein Anhänger der Zufallslehre geradezu für eine Unmöglichkeit erklären würde, der mir aber ein Wink von oben war, dem ich zu folgen hatte! Ein kurzes, schnell vorübergehendes Ereignis, welches ohne alle Bedeutung zu sein schien, eine rasche, impulsive That, scheinbar von nicht dem geringsten Werte, ein gelegentliches Wort, welches ich schon einige Augenblicke später vergessen hatte, trat plötzlich nach Jahren und in einem ganz andern, fernliegenden Lande mit seinen Folgen bestimmend oder erlösend vor mich hin, so daß mir wie ein Lichtstrahl die Erkenntnis kam, daß die gerechte Vorsehung jede That und jedes Wort des Menschen verzeichnet und die belohnende oder bestrafende Wirkung desselben im geeigneten Augenblicke eintreten läßt. Wie viele Thaten würden nicht geschehen und wie viele Worte würden nicht gesprochen, wenn alle Menschen der Überzeugung wären, daß alles, was sie erleben, reden oder thun, nicht unter der Herrschaft des sogenannten Zufalles steht, sondern unter einem höheren, weisen Gesetze, welches ebenso die Sonnen am Firmamente wie den Flug des kleinsten Käfers lenkt!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 70

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Kutb

In KairoIn KaïrwanBemerkungenImpressum

In Kairo

Zufall oder Schickung? Lieber Leser, was von diesen beiden ist wohl richtig? Hoffentlich gehörst du nicht zu denjenigen, welche an den ersteren glauben, sondern zu denen, welche wissen, daß, wie die heilige Schrift sagt, kein Haar ohne »Seinen« Willen von unserem Haupte fällt.

Wie oft habe ich während meiner vielen Reisen an mir selbst erfahren, daß eine allweise Hand meinen Weg ganz anders lenkte, als es mein Wille war, und zwar stets zu meinem Glücke! Wie oft wurde ich aus einer mißlichen oder gar gefährlichen Lage durch einen ganz geringfügigen Umstand befreit oder errettet, den ein Anhänger der Zufallslehre geradezu für eine Unmöglichkeit erklären würde, der mir aber ein Wink von oben war, dem ich zu folgen hatte! Ein kurzes, schnell vorübergehendes Ereignis, welches ohne alle Bedeutung zu sein schien, eine rasche, impulsive That, scheinbar von nicht dem geringsten Werte, ein gelegentliches Wort, welches ich schon einige Augenblicke später vergessen hatte, trat plötzlich nach Jahren und in einem ganz andern, fernliegenden Lande mit seinen Folgen bestimmend oder erlösend vor mich hin, so daß mir wie ein Lichtstrahl die Erkenntnis kam, daß die gerechte Vorsehung jede That und jedes Wort des Menschen verzeichnet und die belohnende oder bestrafende Wirkung desselben im geeigneten Augenblicke eintreten läßt. Wie viele Thaten würden nicht geschehen und wie viele Worte würden nicht gesprochen, wenn alle Menschen der Überzeugung wären, daß alles, was sie erleben, reden oder thun, nicht unter der Herrschaft des sogenannten Zufalles steht, sondern unter einem höheren, weisen Gesetze, welches ebenso die Sonnen am Firmamente wie den Flug des kleinsten Käfers lenkt!

Zufall oder Schickung? Auf diese Frage soll das, was ich jetzt erzählen will, die Antwort geben, daß alles, was man einen Zufall nennt, nicht Zufall, sondern eine Wirkung dieses Gesetzes ist.

Ich war in der nubischen Wüste gewesen und kehrte nach Kairo zurück, um zunächst, was mein Äußeres betraf, einen andern, neuen Menschen aus mir zu machen. Die Art, wie ich reise, bringt es mit Sich, daß ich mich nicht mit großer Ausstattung und strotzendem Geldbeutel auf der großen, belebten Heerstraße bewege. Ich suche Gegenden auf, die fernab davon liegen, und da ist es mit den »Hilfsmitteln«, selbst wenn man sie besitzt, sehr bald zu Ende; sie haben allen Wert verloren, und zur Geltung kommt allein nur die Person, also das, was man ist und was man kann.

Infolgedessen befand ich mich bei meiner Rückkehr äußerlich in einem Zustande, den man im Volksmunde mit den allerdings sehr unästhetischen Worten »zerrissen und zerlumpt« zu bezeichnen pflegt. Das darf ich aufrichtig gestehen, weil es für einen Mann, der sich so lange Zeit unter den Völkerschaften des obern Nil herumgetrieben hat, ganz unausbleiblich und also keine Schande ist. Ich freute mich darum auf meinen großen, vollen Koffer, dessen Inhalt mehr als hinreichend war, mich vollständig neu auszustatten. Ich hatte ihn Ben Musa Effendi, meinem Gastfreunde, in Verwahrung gegeben, bei dem ich vor meinem Aufbruche nach Süden drei Wochen gewohnt hatte. Dieser Ben Musa Effendi war ein außerordentlich ehrlicher Mann, dem ich ein ganzes Vermögen hätte anvertrauen können, und so war ich nicht wenig überrascht, als ich seine Wohnung leer fand und von den Nachbarn erfuhr, daß er ganz plötzlich verschwunden sei und keinem Menschen gesagt habe, wohin er gehe. Zu dieser Überraschung gesellte sich noch die Betroffenheit, denn mein Koffer war ebenfalls mit ihm verschwunden.

Ich stand da und sah sehr trüben Blickes an mir nieder. Wie sah mein Anzug aus! Und im Koffer lag ein vollständig neues Habit! Aber nicht bloß das, sondern es befanden sich darin auch meine Wertpapiere, die ich jetzt in bare Münze hatte verwandeln wollen. Sie repräsentierten zwar keine große Summe, denn ich bin all mein Lebtage kein mehrfacher Millionär gewesen, aber doch einen für meine Zwecke hinreichenden Betrag.

Was nun thun? Zu dem Vertreter meiner Heimat gehen und Reisegeld leihen? Nein, das lag nicht in meiner Art. Hadschi Emir Kara Ben Nemsi »pumpt« sein Vaterland nicht an! Ben Musa Effendi ist ein ehrlicher Mann und muß wieder auf der Bildfläche erscheinen. Ich werde nach ihm suchen!

Aber wie und wovon leben, bis ich ihn gefunden habe? Von meinem »Rettungsgelde« natürlich. Ich trage nämlich auf allen meinen Reisen einige eingenähte Goldfüchse bei mir, welche für unvorhergesehene Fälle meinen »eisernen Fonds«, mein Rettungsgeld bilden, mein Derahim el Kefahle, wie der Araber sagt. Zehn Zwanzigmarkstücke, das reichte schon eine Weile. Freilich durfte ich mich da nicht im Hotel d' Orient einlogieren und mich auch noch nicht von meinem jetzigen Anzuge trennen.

Ich suchte mir zunächst ein billiges Quartier und fand es bei einem Pfeifenreiniger, welcher unverheiratet war und zwei kleine Räume innehatte, von denen er mir den einen gegen einen ganz geringen Betrag abtrat. Sein nicht ganz, geruchloses Geschäft bestand darin, von Haus zu Haus, von Kunden zu Kunden zu gehen, um die Köpfe und Rohre der Tabakspfeifen auszuputzen. Das ist zwar keine hervorragend geistreiche und staatserhaltende Beschäftigung, aber sie verfolgt doch einen gewissen Zweck und kam mir als Mieter nebenbei sehr zu gute, denn das höchst lobenswerte Prinzip der Reinlichkeit, welches seinem nützlichen Berufe zu Grunde lag, machte sich auch in seiner Wohnung geltend. Er verwendete seine freien Stunden in ganz und gar nicht orientalischer Weise darauf, die Diele zu scharren, die Wände abzukratzen, alle Winkel auszuwischen, die Decke, auf der er schlief, wie ein Wütender zu bearbeiten und seinen thönernen Tiegel blank zu lecken. Diese Decke und dieser Tiegel bildeten nämlich die einzige Ausstattung seines trauten Heimes.

Bei dieser sich täglich mehrmals wiederholenden Reinigung unserer beiden »Salons« konnte natürlich kein Stäubchen aufkommen, und infolge des Lärmes, den er dabei machte, waren alle diejenigen Tierchen ausgerissen, welche man zu den beißenden und stechenden Insekten rechnet und die in den Wohnungen und den Kleidern der Morgenländer eine so große Rolle spielen. Ich habe jenseits des Mittelmeeres nie so sauber und insektenlos gewohnt, wie bei diesem braven Ausputzer der muhammedanischen Tabakspfeifen.

Aber leider keine Rose ohne Dornen! Der Dorn in der lieblichen Rose unsers Wohlbefindens war ein alter Nachbar, welcher uns allabendlich besuchte, um seinen Tschibuk bei uns zu rauchen und dazwischen einige Knoblauchzwiebeln zu verzehren. Wie er eigentlich hieß, das hatte ich nicht erfahren können; er wurde von allen, die ihn kannten, nur esch Schahad, der Bettler, genannt. Damit ist gesagt, wovon er lebte.

Esch Schahad zog nicht etwa bettelnd in der Stadt herum; 0 nein, zu den armseligen Proletariern, die dies thaten, gehörte er keineswegs! Er hatte einen »Stand«, und zwar was für einen! Dieser Stand war der beste Platz, den es für sein Gewerbe in ganz Kairo gab; er brachte ihm nicht nur Almosen in Hülle und Fülle ein, sondern dazu auch noch eine Art von Heiligenschein, der ihn hoch über alle seine Erwerbsgenossen erhob.

Wer in Kairo gewesen ist und sich nur einigermaßen in der Stadt umgesehen hat, dem ist ganz gewiß das Binnenthor Bab Zuweileh bekannt, welches nach auswärts einen Spitzbogen in hoher Wand bildet und nach der innern Stadt eine rot und weiß gebänderte Bastion vorschiebt, auf der die Minarehs der benachbarten Moscheen sitzen. An diesem Thore stand oder saß esch Schahad vom Morgen bis zum Abende, und kein gläubiger Muhammedaner, der vorüberging, versäumte es, sich durch ein Almosen unter den ganz besonderen Schutz Allahs und der Geisterwelt zu stellen.

Im Kopfe des Moslem wimmelte es von Djinns, Geistern und andern unbegreiflichen Wesen, die zwischen Himmel und Erde und zumal in den Märchen leben und einen großen Einfluß auf die Menschen haben. Diese unsichtbaren Wesen fliegen und schweben in so großer Anzahl umher, daß man kein Wasser ausschütten und nichts wegwerfen darf, ohne vorher »Mit Erlaubnis!« zu rufen, weil man sonst einen Geist auf den Kopf treffen und damit seine Rache herausfordern könnte. Der berühmteste und mächtigste unter den Geistern Kairos aber wohnt in dem Bab Zuweileh und hat seinen Aufenthalt in einem kleinen Raume des östlichen Thorweges, der durch den hölzernen Thorflügel verdeckt wird.

Dieser Geist ist der berühmte »Kutb«, welcher fast die Allmacht Allahs besitzt. Er kann in einem einzigen Augenblicke um die ganze Erde fliegen; er hört alles, sieht alles und kann alles. Wer es mit ihm verdirbt, der ist verloren, und wer sich seine Gunst erwirbt, der kann auf die Erfüllung aller Wünsche rechnen. Dieser Kutb hat Macht über alle frommen Moslemim, mögen sie wohnen, wo sie wollen, in dem westlichsten Winkel der Sahara oder tief im Osten bei den Chinesen; er kennt sie alle und ist auch ihnen allen bekannt, wenn ihn auch noch keiner gesehen hat. Will er einmal in sichtbarer Gestalt erscheinen, so geschieht das in der Gestalt des Bettlers, der sein Diener und sein Vertrauter ist. Man kann sich also denken, wie hochwichtig und wie wertvoll der Bettlerplatz am Thore Zuweileh ist! Esch Schahad hätte ihn nie freiwillig hergegeben und um seinen Besitz mit jedem Konkurrenten bis auf den Tod gekämpft. Welche Ehren genoß er da! Kein Moslem ging an ihm vorüber, ohne die Fatcha, die erste und einleitende Sure des heiligen Kuran zu beten! Und wer einen Wunsch, eine Bitte an den Kutb, hatte, der blieb stehen, um sie in lauten, flehenden Worten auszusprechen. So erfuhr der Bettler manches Geheimnis, welches er in seiner verschwiegenen Brust verschlossen hielt.