Der lange Weg nach Hause - Jürgen Wächter - E-Book

Der lange Weg nach Hause E-Book

Jürgen Wächter

0,0

Beschreibung

Das Buch erzählt die Geschichte des Obergefreiten Wilhelm Wächter während des Nationalsozialismus, und zwar von der ersten Einberufung in die Deutsche Wehrmacht 1936 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges und der Rückkehr nach Hause 1945. Es zeigt beispielhaft, dass die Schikanen, denen die normalen Menschen im Nationalsozialismus ausgesetzt waren, nicht erst mit Kriegsbeginn 1939 anfingen, sondern dass schon gleich nach der Machtübernahme eine umfassende Steuerung und totale Einbeziehung der Menschen in die Maschinerie des Krieges vorgenommen wurde. Wilhelm Wächter hat auf seinem Weg von Frankreich über Litauen, Weißrussland, Russland, Polen, der Slowakei, Rumänien und Ungarn reiches Fotomaterial erstellt, das uns nahe Einblicke in das Leben der Soldaten und die Schrecken der Zeit bietet. Das Buch zeigt davon über 140 ausgewählte Fotos, die teilweise ganz neue Einblicke geben und die hier zum ersten Mal veröffentlicht werden. Die Erlebnisse machen auch deutlich, wie fließend die Übergänge von der Demokratie zum Faschismus sind und wie leicht normale Menschen in den Sog autokratischer Strukturen gezogen werden, aus denen sie sich dann selbst nicht mehr befreien können. Wir müssen deshalb immer wachsam sein, um die Demokratie in Deutschland erhalten zu können. Und wir müssen alles tun, um den Frieden in Deutschland zu erhalten. Die Erlebnisse von Wilhelm Wächter sind daher nicht nur eine historische Erzählung, sondern sie mahnen uns, Demokratie und Freiheit zu wahren und dem Frieden immer oberste Priorität zu geben.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 82

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



„Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen.“

Bundeskanzler Helmut Schmidt (1918 – 2015)

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. In der Reichswehr

3. Dienstverpflichtung

4. Besatzungszeit in Frankreich

5. Zum Kriegsbeginn nach Russland

6. Lazarett und Fahrausbildung in Schlesien und Thüringen

7. Russland 1942 bis 1944

8. Rumänien, Ostpreußen, Ungarn

9. Zur Verteidigung des Reiches

10. Absetzen von der Truppe im Sudetenland

11. Das "Niemandsland"

12. Von Thüringen nach Westfalen

13. Endlich zu Hause

14. Ausblick

15. Literatur

1. Einleitung

Über den Zweiten Weltkrieg liegt eine umfangreiche Literatur vor und auch Berichte von Wehrmachtsangehörigen gibt es in großer Zahl. Meist handelt es sich dabei jedoch um Berichte von Offizieren und Unteroffizieren, solche von einfachen Soldaten sind seltener und umfassen auch meist nur kurze Zeiträume. Hier soll im Folgenden die Geschichte des Obergefreiten Wilhelm Wächter erzählt werden, und zwar von der ersten Einberufung in die Deutsche Wehrmacht bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges und der Rückkehr nach Hause. Sie zeigt beispielhaft, dass die Schikanen, denen die normalen Menschen im Nationalsozialismus ausgesetzt waren, nicht erst mit Kriegsbeginn 1939 anfingen, sondern dass schon gleich nach der Machtübernahme eine umfassende Steuerung und totale Einbeziehung der Menschen in die Kriegsvorbereitungen stattfand.

Als Quellen liegen aus der Soldatenzeit Wilhelm Wächters umfangreiches Bildmaterial sowie Unterlagen vor, die seinen Weg durch Europa sehr gut nachvollziehen lassen. Natürlich wurden Fotos eher in ruhigen Phasen als während direkter Kämpfe gemacht, so dass die Schrecken des Krieges nicht in ihrer ganzen Härte sichtbar werden. Doch lassen die Unterlagen, etwa über Lazarettaufenthalte, die Verleihung von Verwundetenabzeichen und Abrechnungen über die Erteilung der Frontzulage, auch hierüber Aussagen zu. Dies alles runden eine ganze Reihe von mündlichen Berichten ab, die er im Laufe seines Lebens gegeben hat. Es liegt damit also auch ein Beitrag zur Oral History-Forschung vor.1

1 THOMPSON 1978; WÄCHTER 2006.

2. In der Reichswehr

Wilhelm Wächter wurde am 6. Mai 1914 in Gellershagen bei Bielefeld geboren. Sein Vater Hermann Wächter (1880-1955) stammte aus dem lippischen Berlebeck und hatte als Maurermeister in Bielefeld bessere Arbeitsbedingungen gefunden. Im Sommer 1914 wurde er eingezogen und kämpfte an der Westfront. So kannte Wilhelm seinen Vater gar nicht, bis dieser Ende 1918 aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehrte. „Das früheste, an das ich mich erinnern kann, ist wie mein Vater aus dem Krieg heimkehrte.“ Es muss bewegend gewesen sein, im Alter von viereinhalb Jahren erstmals den Vater kennenzulernen. Wilhelms Mutter, Martha Reimann (1880-1960), stammte aus dem niederschlesischen Hartmannsdorf.

Die Kindheit verlief für Wilhelm „nicht schön“, wie er sagte. Sein Vater wurde krank und bekam starkes Rheuma, so dass er seinen Beruf nur noch eingeschränkt wahrnehmen konnte. „Ich ging in den Wald und holte Brennesseln. Da hat er sich dann draufgelegt, damit das Rheuma nicht so schmerzte.“ Da er für einen Freund gebürgt hatte, verlor Hermann Wächter dann noch sein selbst erbautes Haus. Eine Auswanderung nach Brasilien scheiterte im letzten Augenblick.

Wilhelm besuchte die dörfliche Volksschule in Gellershagen. Seine Jugendzeit war geprägt von weiten Fahrradtouren, u. a. bis an den Rhein, Besuchen in Berlebeck und Kamen bei der Verwandtschaft und Unternehmungen mit anderen Jugendlichen. Er konnte musizieren und war bei seinen Freunden beliebt, auch weil er immer zu Späßen aufgelegt war. Nach der Volksschule begann Wilhelm eine Maurerlehre und setzte damit eine seit Jahrhunderten bestehende Familientradition fort.2 Schließlich schloss er diese erfolgreich als Maurermeister ab.

Leider waren die politischen Zustände in Deutschland alles andere als glücklich. 1933 hatten die Nationalsozialisten die Macht übernommen und bereiteten Deutschland vor, kriegsfähig zu werden. Zehn Jahre des Lebens von Wilhelm Wächter und vieler anderer wurden nun durch Hitler und seine Schergen ruiniert. Sie zwangen ihn zur Unterstützung eines Systems, das er nicht mochte, sie führten ihn in Leid, Not und fast in seinen Tod. Und sie zwangen ihm eine Geschichte auf, die er bis zu seinem Lebensende nicht vergessen konnte und die ihn selbst in hohem Alter noch psychisch belastete. Es waren die zehn dunkelsten und schrecklichsten Jahre, die Deutschland seit dem Dreißigjährigen Krieg im 17. Jahrhundert erleiden musste.

Die Geschichte begann 1935, als seine berufliche Tätigkeit jäh unterbrochen wurde. Mit dem Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht war 1935 die Grundlage für die militärische Aufrüstung des Deutschen Reiches gelegt worden.3 Im Wehrgesetz vom 21. Mai 1935 wurde bald danach die aktive Dienstpflicht für die Wehrpflichtigen durch „den Führer und Reichskanzler“ angeordnet.4 Hitler setzte diese für die drei Wehrmachtsteile einheitlich auf ein Jahr fest.5 Einberufen wurden zunächst die Jahrgänge 1914 bis 1917, beginnend mit dem Jahrgang 1914. Damit gehörte Wilhelm Wächter zu den als ersten Eingezogenen. Nun sollten zehn Jahre des Leids unter dem Naziregime beginnen, zehn Jahre, in denen er in viele Länder geführt wurde, bis er endlich wieder nach Hause fand.

Am 29. Oktober 1935 hatte er sich in der Jägerkaserne in Bückeburg im Schaumburger Land einzufinden. Zu dieser Zeit hatte die Aufrüstung im Deutschen Reich gerade erst begonnen. Das dortige Infanterieregiment stützte sich immer noch auf Pferde. Daher war die Versorgung der Pferde eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Rekruten. Das hieß immer wieder Stalldienst, sowohl tagsüber als auch des nachts. Futter, Heu und Stroh mussten herangeschafft, der Mist wieder entfernt werden. Besonders unbeliebt waren die Nachtschichten im Stall. Sobald irgendwo Pferdeäpfel fielen, mussten die Soldaten diese entfernen. Bei den zahlreichen Pferden geschah das natürlich ständig. So eilte man von Pferd zu Pferd. „Wenn da ein Offizier vorbeikam und irgendwo lag etwas, dann schrie er gleich rum. Aber man konnte ja nicht überall gleichzeitig sein. Ich habe diese Nächte gehasst.“

Mannschaftsunterkunft der Kaserne in Bückeburg, heute Jägerkaserne.

Wilhelm Wächter vor dem Hauptgebäude der Kaserne des58. Infanterieregiments Bückeburg.

Links: Der Spind musste immer sauber und aufgeräumt sein. Auf der Innenseite der Tür wurde er mit Bildern geschmückt, hier u. a. mit einem Foto von Lilian Harvey, einer bekannten Schauspielerin und Sängerin. Rechts Wilhelm Wächter.

Stallarbeiten waren eine der Hauptaufgaben der Soldaten.

Die Wehrmacht war anfangs noch mit Pferdewagen ausgestattet.

Wilhelm Wächter auf einem Pferdewagen.

Die Soldaten erhielten ansonsten ihre Grundausbildung. Dazu gehörte auch die Ausbildung an wassergekühlten Maschinengewehren, den sogenannten „08“, die auf einer höhenverstellbaren Lafette montiert waren.6 Verwendet wurde zumeist der Typ 08/15, wovon sich der Ausdruck „Nullachtfuffzehn“ ableitete. Ein Maschinengewehrtrupp bestand aus einem Unteroffizier und vier MG-Schützen. Später wurden dann mit dem Typ 08/18 luftgekühlte Maschinengewehre verwendet.

Die wassergekühlten Maschinengewehre mussten von mehreren Soldaten zusammen bedient werden. Wilhelm Wächter liegend mit Munitionskiste.

Maschinengewehrgruppe. Wilhelm Wächter ganz links mit Gewehr.

Spähtrupp. Wilhelm Wächter sitzend mit Gewehr.

Exerzierübung vor Besuchern in der Kaserne in Bückeburg.

Trotz des gehassten Soldatenlebens war Wilhelm Wächter immer zu Späßen aufgelegt. Er verkleidete sich und spielte den Weihnachtsmann, machte Musik und konnte seine Kameraden fröhlich unterhalten. „Ab und zu kamen die Kameraden und sagten: ´Willi, mach mal wieder einen!`“ Das gab dann immer große Freude. „Einmal mussten wir auf Bäume klettern, die um den Kasernenhof standen. ´Auf die Bäume ihr Affen`, rief der Kompaniechef und dann mussten wir da hochklettern. Dann gings wieder runter und wir mussten erneut hoch. Das war eine gute Gelegenheit. Beim dritten Mal hängte ich mich an einen Ast und schrie ganz laut `Hilfe, hilfe, ich kann nicht mehr runter!` Dann zappelte ich und machte hilflos wirkende Verrenkungen, so als käme ich wirklich nicht mehr herunter. Der Kompaniechef schrie, alles lachte und irgendwann hatte er auch verstanden, dass das nur vorgespielt war. Ich musste mal wieder zwei Tage in den Bau. Aber das war egal, der Spaß war es wert und wir lachten noch lange über den Tag.“

So ging das Jahr Soldatenleben ins Land und bald sollte die Ausmusterung kommen. Doch am 24. August 1936 verlängerte Hitler die Wehrpflicht einheitlich auf zwei Jahre.7 Und das betraf auch die Soldaten, die schon in den Kasernen dienten. Nur in wenigen Ausnahmefällen wurden Soldaten nach ihrer einjährigen Dienstzeit entlassen, z. B. wenn sie verheiratet waren. Doch das waren nur wenige. Nun hörten die angetretenen Soldaten von ihrem Regimentskommandeur, dass sie noch ein weiteres Jahr bleiben mussten. „Manche waren laut am Weinen, andere schrien vor Erregung, die meisten standen deprimiert und völlig fertig da.“ Das Lachen war ihnen allen vergangen.

Mit der Verlängerung der Wehrpflicht war auch eine Versetzung verbunden. Wilhelm Wächter wurde zum Standort Haste bei Osnabrück kommandiert. In der dortigen, im Jahre 1935 fertiggestellten Winkelhausenkaserne war Platz für 2.000 Mann. Auch dort mussten Pferde versorgt werden, doch man legte bereits den Schwerpunkt auf moderne Waffengattungen und zahlreiche Übungen. Letztere führten ins nahe Wiehengebirge und bis in die Senne bei Paderborn, einen der größten Truppenübungsplätze in der Region. Zeitweise war Wilhelm Wächter bei Übungen außerhalb des Kasernengeländes als Koch eingeteilt. Mittels einer sogenannten Gulaschkanone wurde dann im Gelände gekocht. „Die Kameraden sagten immer: ´Wenn Willi kocht, dann schmeckt es wieder`. Das lag daran, dass ich mich heimlich in Gärten schlich und von dort Gemüse und Kräuter mitnahm. Das schmeckte dann natürlich anders als bei der sonst lediglich gesalzenen Kompaniekost.“

Wilhelm Wächter (links) beim Schachspiel mit einem Kameraden.

Kaserne in Osnabrück-Haste am Tag der Offenen Tür 1937.

Gleicher Blick. Heute Finanzamt Osnabrück und Studienseminar für Lehrer. Foto von 2018.

Kaserne in Osnabrück-Haste am Tag der Offenen Tür 1937.

Das Gebäude im oberen Bild ganz hinten ist heute die Zappelarena Osnabrück-Hafen, ein Indoorspielplatz für Kinder. Foto von 2018.

Spaß auf der Stube. Wilhelm Wächter 3. v. l.

Wilhelm Wächter zu Pferde in der Kaserne in Osnabrück 1937.

Gleicher Standort wie Bild davor und danach im Jahr 2018. Die Stallungen sind mittlerweile abgerissen.

Vor den Stallungen der Kaserne in Osnabrück. Wilhelm Wächter spaßend seinen Kopf unter dem Pferdekopf hindurchsteckend.

Beim Rumalbern während eines Manövers. Wilhelm Wächter aufHolzhaufen.

Gulaschkanone während eines Manövers in Bad Essen im Wiehengebirge 1937. Wilhelm Wächter 3. v. l. Im Hintergrund das Kurhaus Waldhotel Chr. Rögge.

Ruhepause beim Manöver in der Heide der Senne bei Paderborn. Wilhelm Wächter hinten mit offenem Hemd.

Der Taubenturm im Truppenübungsplatz Senne.

Essenmarke für das Regimentstreffen 1937.