Der letzte Streich - Katharina Gerwens - E-Book
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Der letzte Streich E-Book

Katharina Gerwens

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  • Herausgeber: Piper ebooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Ein Mittelalterfestival in Ortenburg! Dieses Spektakel wollen sich Kommissarin Franziska Hausmann und ihre Freundin Marie nicht entgehen lassen. Dass die Zeitreise zu einem Horrortrip wird, ahnen sie nicht. Am zweiten Tag passiert es:  Ein kostümierter Mann wankt auf Franziska zu, flüstert unverständliche Worte und bricht zusammen. In seiner Brust steckt ein Dolch. Bei dem Toten handelt es sich um ein Mitglied einer Gruppe gestresster Manager, die im Bayerischen Wald Entschleunigung suchen. Doch die werden sie am Ufer der Donau wohl nicht mehr finden, denn schon bald folgt die nächste Leiche …

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© Piper Verlag GmbH, München 2019Covergestaltung und -motiv: www.buerosued.de

 

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Inhalt

Cover & Impressum

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

Danksagung

Prolog

Ich hatte befürchtet, dass sie mich erkennt, aber ich sehe nicht mehr so aus wie damals. Und natürlich hat sie mich hier auch nicht vermutet.

Das Schicksal hat sie mir zugespielt. Ich schreibe es dir, denn du sitzt da oben auf einer Wolke. Cloud heißt das heutzutage, und in diese Cloud kann ich all meine Sätze legen. Da liegen sie weich. Du wirst sie lesen und gutheißen.

Vielleicht hast du sie mir auch geschickt. Auch das kann sein. Du hast immer so sehr darauf bestanden, dass alles im Gleichgewicht bleibt, damit es auf der Welt gerecht zugeht. Nur so, behauptetest du, können Katastrophen verhindert werden.

Du wirst mir zur Seite stehen. Dort oben geht es dir gut. In wolkenweiche Watte gehüllt, durch liebevolle Gedanken geschützt und wissend, dass ich es für dich tue. Alles für dich.

1. Kapitel

Franziska hätte tausendmal lieber auf die Ostsee geblickt und dabei ganz tief durchgeatmet. Stattdessen breitete sich nun vor ihrem Fenster das vertraute Postkartenpanorama des Bayerischen Waldes unter einem strahlend blauen Himmel aus. Denn Marie hatte sich durchgesetzt. Wie immer. Marie war die Genesende, und natürlich hatte sie recht, wenn sie nicht zu weit von ihrem Mann und ihren Ärzten entfernt sein wollte. Doch dieses Argument hatte letztendlich an zweiter Stelle gestanden. Maries E-Mail mit der Betreffzeile »Ein Mittelalterspektakel« hatte sie zusätzlich überzeugen sollen. »Genau da müssen wir hin! Das bringt uns auf andere Gedanken. Wir tauchen ein in die Vergangenheit und vergessen einfach alles.«

Zugegeben, es war die angenehme Vorstellung eines Abtauchens gewesen, die Franziska dazu gebracht hatte, nachzugeben. Verschwinden aus einer Gegenwart, die durch Maries Operation und durch Franziskas leeres Haus am Dachsberg überschattet wurde. Dabei ahnte sie schon, dass das Eintauchen in eine andere Welt nicht funktionieren würde. Allein Maries Flüstern – bei der Schädeloperation waren im Zuge der Narkose ihre Stimmbänder verletzt worden – war der hörbare Gegenbeweis, auch wenn sie lapidar darüber hinwegging. »Ich hab nur mal vorübergehend meinen eigenen Ton verloren«, pflegte sie zu sagen. »Und das ist längst nicht so schlimm, als sich gelegentlich darin zu vergreifen.«

Am Nachmittag hatten die beiden Frauen die Ferienwohnung am Waldeslustweg in Windorf bezogen, mit Panoramablick auf die schöne blaue Donau. Marie hatte sich für das Elternschlafzimmer entschieden, während Franziska sich im Kinderzimmer einrichtete. Angesichts der Plüschbären und der Holzeisenbahn in den Regalen fühlte sie sich unendlich alt, warf ihren Koffer auf das frisch bezogene Bett und räumte die Spielsachen in einen Schrank. Aus den Augen, aus dem Sinn. Sie und Christian hatten nicht einmal ein Kind gehabt. Nur die Katze Bella, und die residierte nun für eine Woche in einer Katzenpension.

»Pass gut auf meine Frau auf«, hatte Benno ihr ans Herz gelegt. »Marie ist das Wichtigste, was ich habe.«

Franziska biss sich auf die Lippen, als sie daran dachte, und verscheuchte eine Woge des Selbstmitleids. Dass sie damit nicht weiterkam, hatte sie ziemlich schnell begriffen. Einige Dinge waren nun mal für immer vorbei: Von ihr würde vermutlich kein Mann mehr behaupten, dass sie wichtig für ihn sei. Ihr Mann Christian war fort, und ihr Leben stand Kopf. Das klang, oberflächlich betrachtet, nach einer mit Geduld zu reparierenden Notlage, es bräuchte ja nur jemand zu kommen und alles wieder geradezurücken. In Wahrheit aber hatten sich die vergangenen Monate zu einer Katastrophe verdichtet, die sie sich nur in homöopathischen Dosen eingestand. Jeden Tag ein Gramm mehr.

»Sieh mal, wir tauchen ins Mittelalter ein, und da gab es deinen Christian noch gar nicht«, hatte Marie in Aussicht gestellt und dann damit begonnen, in einem Römertopf einen Schmorbraten anzusetzen, der angeblich so gehaltvoll war, dass man mindestens zwei Flaschen Wein dazu trinken musste. Franziska stapelte währenddessen ihre T-Shirts, Röcke und Freizeithosen in die Schrankfächer. Einen dicken Pullover legte sie beiseite. Sie würden heute Abend auf der Terrasse im Freien essen, mit Blick auf Lastkähne und Ausflugsdampfer, die auf der Donau Richtung Passau fuhren, und sich für die nächsten Tage ein spannendes Programm überlegen.

Franziska war noch nie allein mit Marie unterwegs gewesen, und sie wäre im Handumdrehen geflüchtet, hätte sie geahnt, was die Zukunft für sie bereithielt. Die kommenden Tage sollten ihre Welt erneut auf den Kopf stellen. Doch zweimal auf den Kopf gestellt hieß noch lange nicht, dass alles wieder im Lot war. Eher das Gegenteil.

Davon ahnten die beiden Frauen noch nichts, als sie sich den Braten schmecken ließen, viel Wein dazu tranken und zum ersten Mal seit Monaten wieder miteinander lachten. Früher war Maries Lachen laut und ansteckend gewesen, nun hingegen klang es wie eine Mischung aus Flüstern und Krächzen.

»Ich könnte morgen als Schlossgespenst gehen, so, wie ich aussehe«, bemerkte sie. Tatsächlich war ihr das einst so dichte Haar nach der Kopf-OP zwar wieder nachgewachsen, aber zunächst nur als Flaum, der sich inzwischen zu einem Gewirr von grauen Zotteln entwickelt hatte und von Marie als »Übergangsfrisur« bezeichnet wurde.

Entspannt stieß sie mit ihrer Freundin an. »Prost, du Schlossgespenst«, sagte Franziska. »Dann gaukelst du den mittelalterlichen Gauklern etwas vor und flatterst in einem weißen Gewand durch staubige Gänge, versteckst dich in Fensternischen und hauchst Vorübergehende mit Knoblauchodem an. Und ich werde mich unterdessen von der erstbesten Hexe verzaubern lassen.«

»In was?« Marie hob die Augenbrauen.

»In eine Opernsängerin.«

»Du kannst doch gar nicht singen.«

»Eben, deshalb. Aber Singen soll ja gut für die Seele sein.«

»Wer behauptet denn so was? Etwa die Vorsitzende deines Gesangvereins am Dachsberg?«

Franziska schüttelte den Kopf. »Die nehmen mich doch erst gar nicht, mit meinem Gebrumme.«

»Bennos und meine Stimme sind auch nicht viel besser«, flüsterte Marie. »Aber keiner hat so voller Inbrunst Weihnachtslieder geschmettert wie dein Mann. Als stünde er auf einer großen Bühne. Und sonntags in der Kirche, weißt du noch? Alle haben ihn angeschaut. Nur deshalb hat er fast nie ein Hochamt versäumt.«

»Er ist nicht mehr mein Mann«, stellte Franziska klar und nahm einen großen Schluck Wein. »Er wohnt nicht mehr in meinem Haus. Diese geschmacklose Angelika hat sich seiner angenommen und ihn ihrer Sammlung einverleibt. Da steht er nun und staubt zu.«

»O nein, dabei wollte ich das Thema eigentlich meiden!« Marie klang besorgt. »Wie geht es dir damit? Du hättest ihn vielleicht doch nicht vor die Tür setzen sollen.«

Franziska seufzte. »Weißt du, ich fühle mich wie amputiert. Aber allmählich gewöhne ich mich daran. Das mit Christian hatte sich schon lange angedeutet. Wir wollten es nur beide nicht sehen. Jetzt beginnt was Neues – oder zumindest etwas anderes.«

»Es wird garantiert ein guter Lebensabschnitt. Und überhaupt: Aller guten Dinge sind drei. Du warst erst mit Jochen verheiratet und dann mit Christian. Nun steht der Nächste an. Wir könnten morgen eine Wahrsagerin dazu befragen.« Marie, die personifizierte Optimistin, hörte sich tatsächlich so an, als würde sie selbst daran glauben.

»Was kann da noch groß kommen?« Franziska öffnete die zweite Weinflasche. »Ich bin nicht einmal mehr eine sogenannte Best-Agerin, sondern schon über sechzig. Meine Weichen sind gestellt.«

Marie unterdrückte ein Grinsen. »Wie sich das anhört! Gestellte Weichen, eine streng vorgegebene Richtung, keine Umwege mehr. Welche Pläne hast du? Willst du immer noch die Welt retten? Du allein?«

»Denk dran, dich hab ich auch mal gerettet.« Franziska nahm einen großen Schluck.

»Das stimmt. Und du hast Benno in mein Leben gebracht. Ja, ich steh in deiner Schuld, und wenn ich irgendetwas für dich tun kann …«

Beide spürten, dass das Gespräch in eine sentimentale Richtung zu kippen drohte. Franziska räusperte sich. »Jetzt hör aber auf!«

»Irgendwann werde ich mich revanchieren, du wirst schon sehen!«, flüsterte Marie und wickelte sich in jenen dunkelroten Kaschmirschal, den Benno ihr auch deshalb geschenkt hatte, weil man auf ihm eventuelle Rotweinflecken nicht gleich bemerkte. Denn noch immer zitterten ihre Hände unkontrolliert und ohne Vorwarnung, und noch immer neigte sie dazu, Dinge fallen zu lassen oder Flüssigkeiten zu verschütten.

 

»Wie siehst du denn aus?«

»Ich bin eine Marktfrau, was denkst denn du!« Marie stand in einem langen roten Kaftan und einer grauen Trägerschürze in der Küche und kochte Kaffee. Ihr hellgraues Zottelhaar war unter einem weißen Spitzenhäubchen verborgen. Amüsiert betrachtete sie ihre Freundin von oben bis unten. »Sag bloß, du hast kein Kostüm dabei!«

»Nein, wirklich nicht.«

»Aber wir wollten doch in andere Rollen und in eine andere Zeit schlüpfen.«

»Das stimmt, aber von anderen Kleidern hast du nichts gesagt − ich wüsste auch gar nicht, wo ich so etwas herbekäme.« Franziska ärgerte sich. Musste sie sich etwa rechtfertigen?

»Du könntest dir heute entsprechende Kleidung besorgen«, meinte Marie. »Bei einem der Fieranten auf dem Mittelaltermarkt. Aber erst wird gefrühstückt.«

»Müssen wir wirklich auf den Mittelaltermarkt? Wir könnten doch auch einen langen Spaziergang am Donauufer machen.«

»Spielverderberin!« Marie stellte Toast auf den Tisch und flüsterte versöhnlich: »Wir drehen erst eine Runde über den Markt in Ortenburg und informieren uns über die mittelalterlichen Angebote, dann fahren wir zurück und machen hier einen Spaziergang. Nur du und ich.«

 

Der etwa zwei Hektar große Wildpark des Schlosses Ortenburg war in ein Mittelalterspektakel verwandelt worden. Die Zelte mit ihren spitzen Dächern bildeten ein lang gezogenes Dorf, vor dem Frauen in langen Kleidern und bärtige Männer in Pumphosen und langen Zöpfen geschäftig hin und her liefen. Wie eine dichte Wolke lag der Geruch nach Holzkohle, gegrilltem Fleisch und Fisch, gerösteten Nüssen und dampfendem Pferdekot über dem Areal. Franziska sehnte sich nach Ohrstöpseln und einem Riechtüchlein, obwohl sie wusste, dass beides erst nach dem Mittelalter erfunden worden war, aber Marie an ihrer Seite blühte auf und stieß ihre Freundin an.

»Jetzt weiß jeder, dass du wieder zu haben bist. Ich dagegen bin schon unter der Haube.« Sie wies demonstrativ auf ihr Spitzenmützchen.

»Das ist hier die Spielregel?«

»Warum nicht?«

Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Ein mittelalterlicher Heiratsmarkt. Und sie mittendrin in Jeans und weißem T-Shirt, unverkleidet und wie aus der Zeit gefallen.

In den pfützenübersäten Gassen der Zeltstadt boten Kaufleute und Marktweiber Waren feil, die, Mittelalter hin oder her, natürlich in Euro bezahlt werden mussten. Ritter in klirrenden Blechrüstungen und mit runden Schilden vor der Brust marschierten an ihnen vorüber, und ein Herold lud zu einem Turnier, das um die Mittagszeit am Schlossplatz beginnen sollte. Ein Feuerschlucker stand auf einem hölzernen Podest und verspeiste brennende Fackeln. In einem dunklen Zelt drehte eine Wahrsagerin ihre große Glaskugel und raunte etwas von Schicksal und Bestimmung, und ein Zauberer versprach für den Spottpreis von fünf Euro die Erfüllung aller Wünsche.

»Na bitte, da haben wir ja schon unsere Abteilung«, flüsterte Marie. »Jetzt bin ich aber gespannt. Dir wird gewiss ein Prinz prophezeit und eine neue Aufgabe!«

»Ich brauche weder das eine noch das andere.«

Tanzende Narren in rot-schwarz-gelben Kostümen, allesamt wild und grell geschminkt, hüpften an ihnen vorüber. Die Glöckchen an den Zipfeln ihrer Kappen klingelten bei jeder Bewegung. Franziska lächelte. Langsam gefiel ihr die Veranstaltung. Einer der Tänzer warf ihr eine Kusshand zu. Sie zwinkerte zurück.

Weithin sichtbar wiesen zwei Schilder in unterschiedliche Richtungen. Auf dem einen war eine Frau, auf dem anderen ein Mann abgebildet. »Donnerbalken«, stand unter den Figuren. Klar, Toiletten mit fließendem Wasser hatte es im Mittelalter noch nicht gegeben. Gerade wollte Franziska erkunden, wie diese nach den Richtlinien der aktuellsten Hygienevorschriften errichteten Freiluftklos wohl aussahen, als eine rot-schwarze Narrengestalt auf sie zustürzte, röchelte und einen Schwall Blut erbrach, der sich auf ihrem T-Shirt ausbreitete. Obwohl sie als Kommissarin schon viel gesehen hatte, kreischte Franziska erschrocken auf. Da spielte jemand am helllichten Tage lebensecht einen Sterbenden. Mütter zogen ihre weinenden und ängstlich zitternden Kinder aus dem Blickfeld der blutbesudelten Frau. Das ging wirklich zu weit! Franziska würde sich bei den Veranstaltern beschweren.

»So, jetzt können Sie wieder aufstehen. Ihr Auftritt war ein voller Erfolg«, sagte sie, ging in die Knie und stupste den Narren an. Doch dieser blieb liegen.

Die Flüssigkeit auf ihrem weißen T-Shirt begann an den Rändern zu stocken und wurde graubraun. Wie echtes Blut. Fast amüsiert dachte sie, dass selbst Scherzartikelhersteller von Jahr zu Jahr überzeugendere Produkte entwickelten.

»So kann ich nicht weiter herumlaufen«, sagte sie zu Marie. »Gibt es hier irgendwo Damenoberbekleidung, meinetwegen auch der aktuellen Epoche angemessen? Aber bitte kein Kettenhemd!«

»Bestimmt.« Marie beugte sich zu ihr hinab. »Wieso rührt der sich nicht?«

»Das haben wir gleich.« Franziska griff an die Schulter des gestürzten Narren und schrie vor Entsetzen auf. In dessen Brust steckte ein Kreuzritterdolch mit lederbeschlagenem Knauf. Die Klinge war bis zum Ansatz in den Körper des Mannes eingedrungen. Franziska suchte den Blick ihrer Freundin. »Bitte ruf sofort einen Rettungswagen und die Polizei. Das ist kein Spiel – und vor allem kein Theaterdolch!«

Der Mann röchelte. Seine Nase ragte spitz und weiß in die warme Sommerluft. Er bibberte vor Kälte.

»Gleich kommt Hilfe«, versprach Franziska und drehte den Verletzten in eine stabile Seitenlage, während ihre Freundin krächzend nach einem Rettungswagen rief.

»Bleiben Sie ganz ruhig. Alles wird gut. Hilfe ist schon unterwegs.« Franziska griff nach der Hand des Fremden.

Ihre Erfahrung jedoch sagte ihr, dass nichts mehr gut werden würde. Der Mann vor ihr hatte viel Blut verloren und drohte zu ersticken. Vermutlich war die Lunge schwer verletzt worden. Röchelnd versuchte der Schwerverletzte zu atmen.

Marie war neben ihr in die Knie gegangen. Offenbar hatte sie inzwischen die Nummer der örtlichen Polizei gewählt, denn sie flüsterte in ihr Handy: »Spreche ich mit der Polizei? Hier ist jemand sehr schwer verletzt worden. Es sieht aus wie ein Mordanschlag. Kommen Sie bitte sofort!«

Aus dem Smartphone brüllte eine Stimme zurück: »Können Sie nicht lauter sprechen? Ich versteh kein einziges Wort! Was soll das? Wollen Sie mich verarschen?«

Resolut griff Franziska nach dem Handy ihrer Freundin. »Hören Sie, auf dem Mittelalterfest in Ortenburg ist ein Mann mit einem Dolch lebensgefährlich verletzt worden. Der Rettungswagen ist schon unterwegs. Ich bin Hauptkommissarin Franziska Hausmann, und Sie kommen jetzt bitte sofort hierher. Wir müssen den Tatort sichern und den Verletzten so schnell wie möglich in eine Klinik bringen.« Sie gab ihren genauen Standort durch und fragte: »Wie lange brauchen Sie?«

»Weniger als drei Minuten.« Die Stimme des Kollegen klang nicht mehr ganz so selbstbewusst.

Inzwischen waren Sanitäter mit einer Trage und der Notarzt eingetroffen. Eine umsichtige Frau mittleren Alters hatte die Meute gaffender Mittelalterfestbesucher zurückgedrängt. »Gehn S’ weiter, und behindern S’ ned die Rettungskräfte und die Polizei.« Franziska warf der Frau einen dankbaren Blick zu, woraufhin diese kurz nachzudenken schien und dann mit schriller Stimme befahl: »Alle, die wos Auffälliges g’seng ham, bleib’n do und geben ihre Beobachtungen zu Protokoll. Die Polizei ist scho unterwegs.«

Jemand schrie: »Musst dich mal wieder wichtigmachen, Annelie, gell?«

Instinktiv blickte die Hauptkommissarin in die Runde. Nein, da war niemand, der voreilig floh. Sie waren wohl zu spät gekommen.

»Der muss sofort ins Krankenhaus nach Passau, erst dort kann man die Waffe herausziehen«, murmelte der Notarzt, dessen Namensschild ihn als Dr. Pius Poppenwimmer auswies. Er musterte die blutbesudelte Franziska. »Sind Sie seine Frau oder seine Mutter?«

»Nein, ich bin Hauptkommissarin.«

»Was ist passiert?«

Ihre Stimme zitterte, als sie zu einer Erklärung ansetzte: »Er ist auf mich zugestürzt oder besser gesagt auf mich zugetorkelt. Vielleicht hat er gedacht, ich könne ihn auffangen. Er sah aus, als wollte er mich umarmen. Und in genau dem Moment hat er dann diesen Blutschwall ausgehustet.« Sie sah auf ihr T-Shirt.

Poppenwimmer beobachtete die Wirkung der ersten Stabilisierungsspritze, die er dem Mann am Boden gegeben hatte. Der immer noch Blut hustende Narr war inzwischen von Ersthelfern auf eine Trage gebettet worden. Der Notarzt beauftragte die Sanitäter: »Machen Sie schon mal telefonisch alles für eine Not-OP klar.«

Einer der weiß gekleideten Rettungsassistenten fuhr hektisch dazwischen: »Herr Dr. Poppenwimmer, könnte hier nicht ein Pneumothorax vorliegen, der die Lunge immer mehr zusammendrückt? Der Patient erstickt uns doch, wenn wir nicht sofort eine Braunüle setzen, um den Druck abzubauen.«

Der Arzt knurrte: »Packen Sie lieber an, statt so dumm rumzuschwätzen!« Dann wandte er sich an Franziska: »Wir tun, was in unserer Macht steht, auch wenn ich Ihnen nur wenig Hoffnung machen kann. Meines Erachtens ist die Lunge ernsthaft geschädigt. Gott zum Gruße.« Er hob die Hand, und Franziska sah ihm lange nach.

»Was für ein seltsamer Mensch«, flüsterte Marie und legte ihren Kaschmirschal um Franziskas Schultern. »Bleib einfach hier stehen, ich besorge dir ein handgewebtes Leibchen.«

Sollte sie darauf bestehen, dass ihr eine Dusche lieber war, und einfach verschwinden?, fragte sich Franziska.

Sie sah einen blauen Polizeiwagen näher kommen und zog den Schal enger um sich. Trotz des warmen Maitages war ihr mit einem Mal kalt, und ihr wurde bewusst, dass fremdes Blut auf ihrer Haut trocknete. Ihr Körper reagierte mit plötzlichem Schaudern.

Der Wagen hielt vor ihr, und ein uniformierter Kollege stieg aus. »Haben Sie uns gerufen? Was ist denn passiert? Man sieht ja gar nichts.«

»Der Verletzte ist schon auf dem Weg ins Krankenhaus«, erklärte Franziska. »Wir haben als Erstes den Notarzt gerufen.«

»Haben Sie die Personalien des Verletzten aufgenommen?« Der Polizeiobermeister, der ein Schild mit dem Namen Kroiß trug, zückte sein Notizbuch und sah Franziska über seine Brillenränder hinweg fragend an.

»Wieso hätte ich das tun sollen?«

»Sie sind doch die Hauptkommissarin und haben mich herbestellt.« Franziska entnahm seinem Tonfall, dass es ihm überhaupt nicht passte, mit einer ortsfremden Kollegin zu reden.

»Ich habe dafür gesorgt, dass der Verletzte ins Krankenhaus gebracht wird. Alles andere war erst mal zweitrangig.« Während sie sich reden hörte, fragte sie sich, wieso sie sich eigentlich rechtfertigte.

Kroiß kniff seine Augen zusammen. »Zeigen Sie mir bitte Ihre Polizeimarke oder Ihren Ausweis.«

Sie sah ihn lange an. Er mochte um die vierzig sein, sportlich, kein Gramm zu viel, das Haar mit Gel zurückgekämmt. In seinem linken Ohrläppchen steckte eine goldene Kugel. Ob er die Brille wirklich brauchte? Sie traute ihm zu, dass er sie sich nur aufsetzte, um interessanter zu wirken. Er war eitel. Und auf einmal fühlte sie sich wieder auf der sicheren Seite. Der war nicht aggressiv, der tat nur so.

»Bitte schön, Herr Kollege.« Hauptkommissarin Franziska Hausmann reichte Kroiß ihre Polizeimarke und ihren Ausweis.

Der warf einen Blick darauf und gab sich unbeeindruckt. »Was tun Sie eigentlich hier?«

»Ich besuche Ihr Mittelalterfest. Immerhin wird überregional dafür geworben. Da werden doch sicher auch überregionale Besucher erlaubt sein.« Jetzt war sie es, die ihn von oben herab behandelte, und er schrumpfte sichtlich. So also musste frau mit ihm umgehen.

»Also, was genau ist vorgefallen?« Seine Stimme klang nicht mehr ganz so selbstbewusst.

»Eine Gruppe von Narren ist an uns vorbeigetanzt«, berichtete Franziska. »Da ist plötzlich einer von denen auf mich zugestürzt, hat sich an mir festgehalten und ist dann zusammengebrochen.«

»Warum?«, fragte eine junge Kollegin, die mit einer älteren Beamtin und zwei jüngeren Polizisten aus dem Polizeiwagen gestiegen war und sich dazugesellt hatte.

»In seiner Brust steckte ein Kreuzritterdolch«, sagte Franziska, »und auf mich hat es so gewirkt, als sei seine Lunge verletzt. Deshalb habe ich sofort den Notarzt gerufen.«

»Sie haben ihn nicht gefragt, wie er heißt?«

»Nein.«

Kroiß sah sich um. »Und wo ist jetzt die Tatwaffe?«

»Die ist mit dem verletzten Mann ins Krankenhaus transportiert worden«, stellte Franziska klar. »Es weiß doch jeder, dass das Opfer eines solchen Anschlags erst einmal stabilisiert werden muss, bevor man das Messer entfernt.«

»Da hat sie recht«, stimmte ihr die junge Kollegin zu.

»Von den Unsrigen hier aus Ortenburg lasst sich doch koaner an Dolch in den Leib spießen«, stellte der jüngste Kollege klar.

»Ich glaube auch nicht, dass der seinem Angreifer freiwillig die Brust hingehalten hat«, flüsterte Marie, die nun wieder neben Franziska stand. »Schau mal, ich habe dir was zum Anziehen mitgebracht.«

»Wer sind Sie denn bitte schön, wenn ich fragen darf?«, erkundigte sich Polizeiobermeister Kroiß und musterte Marie.

»Diejenige, die Sie angerufen hat.«

»Können Sie nicht lauter reden?« Der Beamte beugte sich vor.

»Nein«, flüsterte Marie ungerührt und reichte ihrer Freundin eine wollweiße Bluse, die vorn mit einer kompliziert wirkenden Schnürung zusammengefasst wurde. »Knöpfe kannten die damals noch nicht«, raunte sie. »Wie findest du sie?«

»Nett.«

Franziska schälte sich aus dem roten Schal und reichte ihn Marie.

»Was ist das denn?« Die fünf Polizisten starrten auf das blutbefleckte T-Shirt der Kommissarin.

»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass der in meine Arme gelaufen ist. Er hat sich an mir festgehalten.«

Durch das mittlerweile getrocknete Blut fühlte sich Franziskas Shirt steif und sperrig an. Sie hätte es am liebsten auf der Stelle ausgezogen, aber wer wusste schon, ob dieser Kroiß sie dann womöglich wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaften ließ. Denn den BH würde sie auch ausziehen müssen.

»Kann ich mich hier irgendwo umkleiden?«

»Da drüben bei den Donnerbalken. Soll ich mitkommen?« Die junge Polizistin lächelte verständnisvoll.

»Nein, nicht nötig.« Franziska wandte sich an Polizeiobermeister Kroiß: »Müssen Sie denn nicht mal das Terrain sichten? Je mehr Leute hier vorbeilaufen, umso schwieriger wird’s mit dem Spurensichern.«

»Das lassen Sie mal unsere Sorge sein!«

»Die Frau dort drüben«, sagte die Kommissarin, »war übrigens so geistesgegenwärtig, dass sie alle Zeugen zum Bleiben aufgefordert hat.«

»Aber jetzt steht sie mal wieder ganz allein da, die Annelie«, entgegnete Polizeiobermeister Kroiß unbeeindruckt. Die Frau schien hier bekannt zu sein.

»Wie gehen wir denn nun ermittlungstechnisch vor?«, wollte die junge Kollegin von ihrem Chef wissen.

»Wir müssen als Erstes herausfinden, wer der Verletzte ist. Kannst du bitte mit der Uniklinik in Passau telefonieren?«

»Mach ich.«

Während sich Franziska mit Marie auf den Weg zum sogenannten Donnerbalken machte, hörte sie, wie Kroiß verkündete: »Und ich red so lange mit der Annelie Schwab. Tät mich nicht wundern, wenn die wieder mal als Einzige was gesehen haben will.«

Die junge Kollegin gab ihm recht: »Und von alldem, was die so erzählt, kannst du dann eh wieder das meiste vergessen.«

2. Kapitel

Wie lächerlich sie aussah, diese Frau mit den hochgesteckten grauen Haaren und dem rot gefleckten Shirt, dachte Polizeiobermeister Joachim Kroiß. Sie war alt und hätte seine Mutter sein können, und genau genommen hatte sie ihn auch genauso behandelt. Er sah der Hauptkommissarin hinterher, die gerade mit ihrer Freundin Richtung Donnerbalken entschwand. Dort standen, versteckt hinter einer Wand aus Bambusmatten, zeitgemäße Toilettenwagen, aber die waren natürlich nicht mit Duschkabinen ausgestattet. Richtig waschen würde die sich dort nicht können.

»Ich hab mit dem Krankenhaus telefoniert.« Die junge Polizeiobermeisterin Kerstin Angermann stupste ihn an und riss ihn aus seinen Gedanken. »Es sieht schlecht aus für den Verletzten. Aber wir wissen jetzt wenigstens, wie er heißt. Er hatte zwar keinen Ausweis dabei, aber dafür eine Chipkarte vom Hotel zum Silbernen Segel in Windorf. Da habe ich mal angerufen und nachgefragt, und sie konnten mir sagen, dass einer der Gäste heute aufs Mittelalterfest wollte und auch entsprechend verkleidet losgezogen ist.«

»Und wie heißt der Mann?«

»Manfred Senger. Es steht nicht gut um ihn.«

Im allerersten Moment wusste der Polizeiobermeister nicht genau, was seine Kollegin meinte. Er hob die Augenbrauen.

»Die glauben nicht, dass er noch mal zu Bewusstsein kommt«, fuhr Kerstin Angermann fort. »Er wird wohl sterben. Dabei ist er erst vor zwei Tagen angereist.«

»Wer sagt denn so was?«

»Der diensthabende Arzt.«

»Und was macht dieser Senger hier?«

»Im Hotel zum Silbernen Segel findet ein Seminar statt, zum Thema Entschleunigung. Er ist einer von acht Teilnehmern.«

»Ich will nicht wissen, was der da in Windorf macht, sondern was der hier auf unserem Fest zu suchen hat – und noch dazu in dem Gewand«, meinte Kroiß ungeduldig.

»Keine Ahnung«, entgegnete Kerstin Angermann. »Er war auf jeden Fall der einzige Seminarteilnehmer, der sich verkleidet hat und hierhergekommen ist. Ein ganz Netter, sagt die Hotelchefin, auch wenn er aus Niedersachsen kommt.«

Käsebleich und ungewöhnlich still stand immer noch die Zeugin Annelie am Rand des Geschehens.

»Danke für deine schnelle Recherche, Kerstin«, sagte Kroiß. Dann straffte er sich und ging auf Annelie zu.

»Erzähl schon!«

»I hab nichts gesehn.« Sie wich seinem Blick aus.

»Du hast doch die Leute verscheucht.«

»Ja, grad deswegen, weil i nix g’sehn hab. Aber als die endlich Platz gemacht ham, ist glei’ der Sanka gekommen und hat den Mann mitgenommen.« Jetzt suchte sie seinen Blick. »Die Frau da, du weißt schon, die wo so viel Blut aufm Gewand gehabt hat, die sagt, dass er ein Messer in der Brust gehabt hat. Stimmt das?« Annelie legte sich die Hand auf den Bauch. »Das muss ja furchtbar sein.«

Er zog die Augenbrauen hoch. »Woher weißt du, dass das ein Mann war?«

»So spindeldürre Haxen, wie der gehabt hat, das ist nie und nimmer eine Frau gewesen. Wir sind doch ganz anders gebaut.«

»Dann hast du also doch was gesehen!«

»Was man halt so sieht auf den ersten Blick. Aber du weißt ja, heut schaun die alle ganz anders aus als sonst. Mit der Verkleidung erkennt man die Leut fast nicht.«

Sie selbst trug ein madonnenblaues Kleid, das bis zum Boden reichte, und Joachim Kroiß dachte, dass ihr zu dieser Ausstattung nur noch der gläubige Blick fehlte.

»Du hast dich doch auch maskiert!«, sagte er, und es klang wie ein Vorwurf.

Sie reagierte sofort. »Es hat doch geheißen, dass jeder sich anziehn soll wie im Mittelalter, damit unsre Besucher was zum Staunen ham. Und jetzt hat’s aa noch einen von dene erwischt.«

Fast hätte Polizeiobermeister Kroiß hinzugefügt: Da sieht man, was man davon hat!

Plötzlich hielt er inne. Vielleicht war ja gar nicht Manfred Senger gemeint gewesen? Vielleicht sollte ein ganz anderer Narr dran glauben? Verkleidet sahen die doch alle gleich aus. Dass er darauf noch nicht eher gekommen war! Und die Kommissarin auch nicht. Wo sich dieser Gedanke doch geradezu aufdrängte!

 

Franziska fühlte sich gleich viel wohler, nachdem sie sich zumindest oberflächlich gewaschen hatte. Nur das neue Oberteil war ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber auch das würde sie überleben. Zusammen mit Marie kehrte sie zu Polizeiobermeister Kroiß zurück.

»Wir sind schon ein ganzes Stück weiter mit unseren Ermittlungen«, verkündete er stolz. »Das Opfer heißt Manfred Senger, er kommt aus Niedersachsen. Und unsere Theorie lautet: Der war eigentlich gar nicht gemeint. Da sollte garantiert einer von unseren Narren dran glauben. In diesen Gewändern sehen die ja eh alle gleich aus.«

»Dann bestellen Sie doch mal Ihre ganze Narrengilde in die Inspektion«, schlug Franziska vor. »Wo sind die eigentlich jetzt? Sind die etwa einfach weitergesprungen, obwohl einer von ihnen am Boden lag?«

Ungefragt mischte Annelie Schwab sich ein. »Freilich, das ham die doch gar ned g’merkt. Die san runter zur Vilshofener Straße. Und dann kommen s’ über die Lindenallee wieder z’ruck.«

Joachim Kroiß warf Annelie einen strafenden Blick zu und wandte sich an Franziska: »Polizeimeisterin Eicher hat die Narren auf mein Geheiß in die Turnhalle der Grund- und Mittelschule in die Passauer Straße bestellt. Dort können wir sie befragen.«

Wenigstens das! Ein bisschen schien er ja doch mitzudenken. Franziska war beruhigt.

»Wo ist eigentlich Ihr Chef? Ich würde mich gern mit dem kurzschließen und dann weiter Urlaub machen.« Franziska griff nach Maries Arm. »Wir sind schließlich hierhergekommen, um uns zu erholen.«

»Polizeihauptkommissar Gruber segelt irgendwo im Mittelmeer. Das letzte Mal hat er sich von Elba aus gemeldet. Der kommt bestimmt nicht heim – immerhin hat er noch drei Wochen Ferien, und ich vertrete ihn«, erklärte Joachim Kroiß kleinlaut. »Normalerweise passiert hier ja nie was. Das hier ist eigentlich ein ruhiger Fleck, auch wenn wir für quasi alles hier zuständig sind: für die Ausflugs- und Linienschiffe, die Radwege an der Donau, das Benediktinerkloster Schweiklberg mit dem Afrikamuseum, die Asamkirche in Aldersbach und die Westernstadt Pullman City drüben im Wald. Das alles ist neben Ortenburg nämlich auch noch unser Zuständigkeitsbereich.« Er kratzte sich am Kopf. »Ich könnte natürlich meinen Vater fragen, ob der uns unterstützt. Der ist zwar schon Pensionär, aber er kennt sich gut aus. Der hat früher auch zu uns gehört.«

»Zur Polizei?« Franziska blickte auf.

»Ja. Der war Hauptkommissar. Mit dem kommen Sie sicher gut klar.«

»Ich will nicht mit jemandem klarkommen, ich will hier Urlaub machen.«

»Lass nur, Franziska.« Marie zückte ihr Handy. »Reg dich bitte nicht auf! Es ist doch absurd, dass wir hier herumstehen und streiten, während womöglich gerade jemand stirbt. Ich ruf mal meinen Benno an. Der weiß immer Rat.«

»Sie spricht mit dem Oberstaatsanwalt in Passau, das ist nämlich ihr Mann«, erklärte Franziska und wies auf Marie. »Wie alt ist denn Ihr Herr Vater? Und könnte er uns tatsächlich unterstützen?« Franziska fragte sich, warum sie von »uns« und »wir« sprach. Der Vater sollte seinem Sohn zu Hilfe kommen und sie und Marie in Ruhe lassen.

»Siebenundsechzig ist der. Und er und meine Mama wohnen jetzt hier in Ortenburg in einem kleinen Häuschen. Früher hatten wir eine Wohnung direkt neben der Dienststelle in Vilshofen. Da bin ich jetzt eingezogen. Weil’s halt praktisch ist.«

So genau wollte Franziska das gar nicht wissen. »Mal sehen, was der Staatsanwalt sagt. Mein Gott, wie viel Zeit wir verlieren durch diese alberne Diskussion!« Sie sah sich suchend um. »Wo sind eigentlich Ihre anderen Kollegen? Waren Sie nicht vorhin zu fünft?«

»Der Kollege Schier ist mit Frau Eicher in der Turnhalle, und den anderen hab ich gesagt, sie sollen sich hier auf dem Fest unauffällig und ohne Uniform umhören.«

Franziska beobachtete Marie, die sich in den Schatten eines Zeltes verzogen hatte und während des Telefonierens heftig gestikulierte. Offensichtlich war sie anderer Meinung als ihr Mann. Aber ihr Benno würde natürlich seinen Willen kriegen – wie immer.

Kurz darauf kam sie zurück und flüsterte so leise, dass Franziska sich zu ihr hinbeugen musste: »Benno sagt, du sollst das hier fürs Erste ein bisschen organisieren. Er kümmert sich währenddessen um Verstärkung, was immer das heißen mag. Und dann hat er noch gemeint, du solltest dir den Franz Kroiß dazuholen. Den Vater von diesem Joachim. An den kann er sich noch erinnern. Das war wohl ein guter Mann.« Man sah ihr an, wie sehr das Sprechen sie anstrengte.

»Meine Güte, der Benno kennt ja wirklich jeden!«

Marie nickte stolz, und Franziska wandte sich an den jungen Polizeibeamten: »Ist Ihr Vater der Hauptkommissar Franz Kroiß?«

Polizeiobermeister Kroiß sah ihr jetzt zum ersten Mal in die Augen. Er nickte erstaunt und griff beflissen zu seinem Handy. »Soll ich ihn anrufen?«

Die Hauptkommissarin sah auf ihr albernes mittelalterlich geschnürtes Leibchen. Zu gern hätte sie sich erneut umgezogen. Stattdessen aber nickte sie. »Der Staatsanwalt kennt Ihren Herrn Vater und meint, dass der uns fürs Erste helfen sollte, wenn er Zeit hat. Oder ist er etwa auch segeln?«

»Nein, das kann er gar nicht.« Kroiß lachte erleichtert. »Aber der geht seit Neuestem immer joggen.« Er sah an sich hinunter. »Der ist fitter als ich.«

Da war ja mal jemand ganz stolz auf seinen Herrn Papa. Franziska beneidete ihn fast ein wenig darum. »Rufen Sie ihn bitte an? Beziehen sich dann aber auf Herrn Dr. Holdenrieder – nicht auf mich. Und er soll so schnell wie möglich kommen.«

»Kein Problem«, sagte Joachim Kroiß und zog sofort sein Handy aus der Tasche.

Die Sonne stach vom Himmel. Mittlerweile war es ein Uhr mittags. Während der Polizeiobermeister fleißig telefonierte, erinnerte sich Franziska, dass sie und Marie noch beim Frühstück Pläne für einen Spaziergang geschmiedet hatten. Und nun das!

Wenig später beendete Polizeiobermeister Joachim Kroiß sein zweites Gespräch und verkündete: »Mein Vater radelt direkt zur Turnhalle, wo schon die Narren auf uns warten. Die Kollegin Eicher hat eben am Telefon gesagt, dass die Herren ziemlich empört sind, weil wir sie festhalten.«

Franziska suchte Maries Blick. »Kommst du mit?«

Die schüttelte den Kopf. »Ich fahr mit dem Wagen zurück und lege mich in einen Liegestuhl auf unsere Terrasse. So stehe ich dir nicht im Weg, und wenigstens eine von uns hat einen erholsamen Sonntag. Das musste ich Benno versprechen – sonst würde der mich gleich wieder nach Hause holen. Dich bringen dann ja deine Kollegen zurück.« Sie hob den blutverkrusteten Kaschmirschal. »Den werde ich auswaschen – oder brauchst du ihn noch?«

»Nein, für die Kriminaltechnik reicht das Blut auf meinem Hemd. Ich komm dann so schnell wie möglich nach.«

 

Es waren genau zwölf Narren, die in der nach scharfen Putzmitteln und muffigem Schweiß riechenden Turnhalle auf sie warteten. Ein Dutzend Narren und zwei Beamte in Uniform, die Franziska schon vorhin gesehen hatte und die sich jetzt als Conny Eicher und Georg Schier vorstellten. Außerdem kam ein kleiner, drahtiger Kerl mit Kniebundhose, Hosenträgern, einem weißen Trachtenhemd und Haferlschuhen auf sie zu, reichte ihr die Hand und sagte: »Ich bin’s, Hauptkommissar Franz Kroiß a. D. Der Herr Dr. Holdenrieder hat mich herbestellt. Wir schaffen das schon. Gemeinsam sind wir stark!«

Die Narren hatten sich die Schellenkappen und die breiten Halskrausen abgenommen und waren nun wieder als ganz normale Zeitgenossen zu erkennen – allerdings in absurden Kostümen. Insbesondere die mit rot-schwarzem Rautenmuster überzogenen Strumpfhosen ließen die Männer von der Hüfte abwärts ein wenig lächerlich aussehen.

»Wir waren immer ein Dutzend, und als solches stehen wir auch hier beieinander«, sagte ein Narr mit hochrotem Kopf und hakte aggressiv nach: »Was wollen Sie eigentlich von uns?«

»Sie sind doch vorhin über das Mittelalterfest gelaufen?«, erkundigte sich Polizeimeisterin Eicher.

»Das machen wir jedes Jahr«, erklärte der Mann mit dem roten Kopf, der allem Anschein nach der Sprecher der Truppe war.

»Diesmal war noch ein dreizehnter Narr dabei. Er wurde allerdings Opfer eines Anschlags mit einem Kreuzritterdolch und liegt jetzt im Krankenhaus«, fuhr Frau Eicher fort.

Die Narren warfen sich fragende Blicke zu.

»Wir waren aber nur zu zwölft!«, versicherte der rote Kopf, und die anderen nickten zustimmend.

»Und Ihnen ist nicht aufgefallen, dass sich jemand zu Ihnen gesellt hat?«, hakte Joachim Kroiß nach.

»Nein.« Der Rotkopf schnaufte verächtlich. »Unser Tanz ist eine Choreografie. Da müssen wir uns konzentrieren. Da gucken wir weder nach links noch nach rechts.«

Wieder nickten die anderen Narren.

»Und wieso hatte er das gleiche Kostüm an wie ihr?« Franziskas Kollege ließ nicht locker.

»Die Anzüge sind zwar für unsere Narrengilde geschneidert, aber wenn im Lauf der Jahre einer rausgewachsen ist, kann der Schneider sie natürlich weiterverkaufen. Als Faschingskleid oder Theaterkostüm. So ein tapferes Schneiderlein muss ja auch sein Auskommen haben.« Der Rotköpfige lachte etwas zu laut.

»Welcher Schneider?«

»Ich.« Ein kleines Männlein mit spindeldürren Beinen trat einen Schritt nach vorn.

Franziska merkte, dass ihr mittelalterliches Leibchen ziemlich spannte. Vermutlich war es mit sehr heißer Nadel genäht worden, und wenn sie nicht aufpasste, platzte es gleich aus allen Nähten. Ob ihr Gegenüber auch dieses Kleidungsstück auf seinem Gewissen hatte? Sie fixierte ihn mit strengem Blick. »Hat jemand in den vergangenen zwei Tagen ein Narrenkostüm bei Ihnen erworben?«

»Ja.« Das Schneiderlein in den albernen Strumpfhosen war offensichtlich kein Mann der vielen Worte.

»Und wer?«

»Woaß i ned.«

»Hat er mit einer Kreditkarte gezahlt?«, erkundigte sich Franz Kroiß, nicht ohne seinem Sohn Joachim zuvor einen verschwörerischen Blick zuzuwerfen.

Der Schneider schüttelte den Kopf. »Naa.«

»Hat er gesagt, wofür er das Gewand braucht?«

»Naa, hod er ned.«

»Kannst du dich an den Mann erinnern?« Franz Kroiß schien mit dem Zeugen per Du zu sein.

Der hob die Schultern.

»Er heißt Manfred Senger«, verriet Joachim Kroiß und wandte sich an die ganze Runde: »Fällt da vielleicht bei irgendwem der Groschen?«

Alle schüttelten den Kopf.

Franz Kroiß baute sich neben Franziska auf.

»Stellen Sie sich bittschön vor«, murmelte er. »Das ist besser für alle Beteiligten. Immerhin haben wir auch einen Lehrer unter den Narren.«

Franziska unterdrückte ein Lächeln. Am liebsten hätte sie gesagt: Da geht man im Urlaub ahnungslos auf ein Mittelalterfest, und schon liegt einem ein sterbender Mann in den Armen. Aber das wäre zu despektierlich gewesen. Also nannte sie in sachlichem Tonfall ihren Beruf und ihren Dienstgrad und erklärte, dass der Passauer Oberstaatsanwalt Dr. Benno Holdenrieder sie und Franz Kroiß um Unterstützung gebeten habe, weil der Dienststellenleiter der Polizeiinspektion Vilshofen gerade Urlaub mache.

»Die Sache sollte so schnell wie möglich aufgeklärt werden«, schloss sie.

Franz Kroiß räusperte sich. »Wir schreiben jetzt von allen die Personalien auf. Ich kenn ja eh fast einen jeden von euch, und danach geht ihr halt wieder ins Zelt oder wohin auch immer. Wenn wir noch Fragen haben, dann melden wir uns bei euch.« Er sah zu Franziska.

Die nickte zustimmend.

»Das wurde auch Zeit!« Der Rotköpfige griff nach seiner Halskrause und zog sich die Narrenkappe über das schweißnasse Haar. »Jetzt haben wir uns ein Bier verdient, und zwar mindestens eins.«

Seine Mittänzer nickten und packten ihre Sachen zusammen. Dann hüpften sie auf ihren dünnen Beinen davon. Franziska kniff die Augen zusammen. Wo war sie hier nur gelandet? Sie wandte sich an den Polizeiobermeister: »Gibt’s schon Neuigkeiten von Ihren Kollegen?«

Joachim Kroiß drehte sich zu seinem Vater und meldete: »Wir haben die Stelle gesichert, an der das Unglück passierte. Etwa dreißig Quadratmeter. Da ist grad die Spurensicherung zugange und ganz schön viele Gaffer – die glauben, das gehört mit zum Fest.«

»Und was ist mit Zeugen?«

»Konkret nur die Annelie, aber aus der war nix Gescheites rauszukriegen, als ich sie gefragt hab.«

»Bitte nehmen Sie unbedingt noch mal Kontakt zu ihr auf, und befragen Sie sie ausführlicher. Das ist wichtig«, meinte Franziska.

»Na gut, ich kümmere mich drum«, erklärte Joachim Kroiß halbherzig.

Franziska trat vor die Tür. Eine Kirchturmuhr schlug halb zwei. Sicher lag Marie bereits auf einer Gartenliege unter einem Sonnenschirm und schlief den Schlaf der Genesenden.

Drinnen ertönte ein Handy mit der Melodie der Bayernhymne, gespielt von einem digitalen Blasorchester. Franz Kroiß meldete sich mit einem fordernden »Ja?«.

Langes Schweigen.

Dann: »Mist, verdammter!«

Franziska trat wieder in die Turnhalle. »Was ist?«

»Ein Kollege sagt gerade, dass der Senger im Krankenhaus gestorben ist. Ich hab den sofort hingeschickt, gleich nach dem Gespräch mit dem Staatsanwalt.« Der Sohn des Hauptkommissars schüttelte den Kopf. »Das ist dann ja wohl Mord. Da kommt was auf uns zu!«

»Wir müssen uns koordinieren«, stellte Franziska klar. »Ich sollte auch ins Krankenhaus fahren und mit den dortigen Ärzten sprechen, hätten Sie einen Wagen für mich?«

»Der steht noch am Parkplatz des Mittelaltermarkts. Ich kann Sie hinfahren«, bot der junge Kroiß an.

»Nix da.« Sein Vater klang streng. »Wir haben doch die neue Polizeiobermeisterin, die Kerstin Angermann. Die kennt den Weg und soll das übernehmen.«

Franziska registrierte, dass er wie selbstverständlich das Kommando übernommen hatte und schon von »wir« und »uns« sprach. Ihr war das nur recht.

Franz Kroiß wandte sich an seinen Sohn: »Wo kommt der Senger her?«

»Aus Niedersachsen. Aber gewohnt hat er im Hotel zum Silbernen Segel in Windorf. Da findet ein Seminar statt.« Joachim gab schnell und präzise Auskunft. Sein Vater hatte ihn offensichtlich beizeiten gelehrt, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Das hatte er gut gemacht.

Franz Kroiß schob sich den rechten Ärmel des Trachtenhemdes zurück und blickte auf seine Armbanduhr. »Gut, Frau Hausmann, dann treffen wir uns um drei Uhr im Hotel. So ein Seminar macht man ja nicht allein. Vielleicht wissen die anderen Teilnehmer was über den Senger.« Er suchte Franziskas Blick. »Die Angermann soll Sie direkt von Passau aus nach Windorf bringen. Von dort wird sie selbst zurück nach Vilshofen in die Polizeiinspektion fahren. Schaffen Sie’s bis um drei im Silbernen Segel?«

»Ich denke schon.« Franziska nahm sich fest vor, im Krankenhaus als Erstes um einen Arztkittel zu bitten. Es wurde Zeit, dass sie sich wieder wie ein richtiger Mensch kleidete und nicht mehr wie eine mittelalterliche Vogelscheuche daherkam.

 

Claire Lindhuber hatte es sich auf der Terrasse des Hotels zum Silbernen Segel gemütlich gemacht. Was für ein herrlicher Tag! Die Sonne schien, und die anderen Seminarteilnehmer waren unterwegs. Sie reckte sich und entledigte sich ihres engen rosa T-Shirts. Der erste Tag in diesem Jahr, an dem sie mit ihrem schwarzen Bikinioberteil draußen sitzen konnte.

Eigentlich mochte sie diese produktbezogenen Schulungen nicht, aber diesmal hatte sich die Pharmabilancia AG etwas einfallen lassen und das Ganze mit Vorträgen zu verschiedenen Themen wie Entschleunigung, Zeitmanagement und Work-Life-Balance kombiniert. Sie hoffte, dass die Entschleunigung nicht zu sehr im Vordergrund stehen würde, denn sie wollte vor allem lernen, wie sie ihre eigenen Ressourcen und die ihrer Mitarbeiter optimal einsetzen konnte.

Mit sich und der Welt zufrieden griff sie nach ihrem alkoholfreien Weißbier, schob sich die Sonnenbrille zurecht und schlug ihren Rosamunde-Pilcher-Roman auf, den sie mit dem Schutzumschlag eines Fachbuches über das Gleichgewicht der Hormone getarnt hatte. So würde jeder denken, dass sie sich selbst in ihrer Freizeit mit medizinischen Fragen befasste.

Leider begann in genau diesem Augenblick das Desaster, denn Albert Haag, der Kollege aus Franken, schritt selbstbewusst auf sie zu. »Ist das nicht ein herrliches Wetter?«, bemerkte er, als sei sie selbst nicht in der Lage, das zu konstatieren. Mit den Worten »Darf ich?« schob er einen Liegestuhl an ihre Seite und ließ sich hineinfallen.

Dann seufzte er aus tiefstem Herzen. »Der Manfred Senger macht mir Sorgen. Der versteht einfach nicht, worum es geht! Wir sollten noch mal mit ihm reden!«

Hinter ihrer Sonnenbrille verdrehte Claire Lindhuber die Augen. Obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, nichts zu sagen, hörte sie sich selbst wie aus weiter Ferne antworten: »Der ist heute gar nicht im Haus. Der hat sich als Narr verkleidet und ist auf und davon.«

»Als Narr! Das passt ja!« Albert Haag lachte glucksend. Dann wurde er wieder ernst. »Es ist doch idiotisch, dass dieser Manfred so viel Wert auf Worte legt! Um Taten geht es, um Aktionen, um Arbeitseinheiten und um Effektivität.«

Effektivität war eindeutig sein Lieblingswort.

»Der ist halt noch nicht so lang dabei.« Claire ärgerte sich, dass sie sich überhaupt auf dieses Gespräch einließ. Sie klappte ihr Buch zu und sah ihren Mitseminaristen von der Seite an. »Wolltest du nicht auch spazieren gehen?«

»Ich bin schon einmal die Donau rauf und runter gejoggt.« Albert Haag wies auf die Uferstraße.

Die paar Meter! Was für ein Angeber. Claire nahm einen Schluck Weißbier und murmelte halbherzig: »Respekt.«

Er beugte sich vor und kam auf sein eigentliches Anliegen zurück: »Nein, ernsthaft, wir sollten uns zusammentun. Der Manfred hält die ganze Geschichte nur auf, wenn er ständig andere Begriffe fordert. Mir ist es übrigens wurscht, wie er das Kind nennt. Hauptsache, wir kommen voran und kriegen unser Zertifikat.«

»Genau, effektiv muss die Sache sein.« Absichtlich benutzte sie sein Lieblingswort.

»Sollen wir uns da mal was überlegen?«

Claire nahm wahr, dass sein Blick sich an ihrem Bikinioberteil verfangen hatte. Sie griff nach dem rosa T-Shirt unter ihrem Kopf und zog es sich über.

»Was meinst du mit überlegen?« Sie gähnte verhalten. »Eigentlich ist dieser Sonntag zum Entspannen gedacht. Da will ich nicht unbedingt irgendwelche Strategien entwickeln.«

»Wir sollten die anderen fünf mit ins Boot nehmen«, schlug der studierte Betriebs- und Volkswirt vor, und wie zur Bekräftigung dieser Aussage fuhr draußen auf der Donau ein Kreuzfahrtschiff vorbei. Auf dem Oberdeck standen ein paar Leute in Freizeitkleidung und winkten fröhlich herüber.