1,49 €
Wolfgang, verzweifelt gesucht. Eine Geschichte vom Glück des Suchens
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 26
»Du bringst ihn dann mit, nicht wahr?«, fragte die Mutter erwartungsvoll und Hannelore wusste im ersten Moment nicht genau, was sie meinte. Aber dann hatte sie eine schreckliche Vorahnung, und sie musste sich erst einmal setzen.
»Was soll ich mitbringen?« fragte sie so harmlos wie möglich und hoffte insgeheim, die Mutter würde wie früher sagen: »Einen Kuchen«, »deine eigene Bettwäsche« oder »einen Gartenzwerg für den Vorgarten«. Denn Gartenzwerge waren wieder einmal in Mode und hatten sich bereits in den Nachbarschaften ihrer Eltern breit gemacht und heftig vermehrt. Nur ihr Vater wollte für so etwas kein Geld ausgeben.
Hannelore fand, dass der Vater recht hatte; andererseits: sie hätte dreißig und mehr Gartenzwerge gekauft und eigenhändig auf einer Schubkarre in ihr Dorf gerollt, wenn die Mutter dafür das heikelste aller Themen nicht ansprechen würde. Aber da war es schon zu spät.
»Deinen Freund«, ergänzte die Stimme am Telefon sanft. »Ich hab nämlich schon allen von ihm erzählt.«
Hannelore spürte Schweißtropfen auf ihrer Stirn.
»Gell, das machst du?« hakte die Mutter nach und Hannelore, die es gewohnt war, immer genauso zu reagieren, wie man es von ihr erwartete, hatte »Ja« gemurmelt.
Das Ganze hatte nur einen Haken. Einen ganz großen:
Sie hatte keinen Freund. Und sie brauchte auch keinen. Noch nicht.
Dieser geheimnisvolle Supermann, mit dem sie angeblich die Wochenenden verbrachte und während der Woche einmal, meistens Mittwochs, ausging, war nur erfunden worden, damit die Eltern nicht dauernd mit einer Mischung aus Sorge und Mitleid fragten: »Bist du auch nicht zu viel allein? Hast du denn jemanden, der sich um dich kümmert?«
»Klar«, hatte sie deshalb eines Tages geheimnisvoll gemurmelt. Und so war die Fantasiefigur Wolfgang in ihr Leben eingetreten. Sie hatte sich schon fast an ihn gewöhnt. Immer wenn die Eltern nach ihm fragten, erfand sie neue und nette Details, kleine Geschichten, Dinge, die sie angeblich zusammen erlebt hatten. Sätze wie: »Ach ja, gestern waren wir einkaufen. Wolfgang wollte eigentlich einen Anorak, aber dann ist es halt doch eine Lederjacke geworden. Finde ich auch schicker«, kamen ihr mit der Zeit immer leichter von den Lippen.
Logisch, dass die Eltern sich aus ihren Erzählungen wiederum einen Mann zusammenbastelten, der ausschließlich über die allerbesten Eigenschaften verfügte, sich rührend um Hannelore kümmerte und sich, ebenso wie sie, in der Fachhochschule für Finanzen zum Nachwuchsbeamten der Steuerverwaltung ausbilden ließ.