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Die Thailänderin Akima ist der Liebe wegen in den beschaulichen Kurort Hauzenberg gezogen. Als Freundin des Bauern Quirin Unterholzner hat sie ein Massagestudio eröffnet, um sich der Verspannungen gestresster Landfrauen anzunehmen. Auch Marie, Frau des Staatsanwalts Benno Holdenrieder und neu in der Stadt, sucht Akima auf. Dabei erzählt ihr die Thailänderin von ihrem Zweitjob als Leichenwäscherin und davon, dass ihr kürzlich bei einem Leichnam etwas Ungewöhnliches aufgefallen sei – etwas, das Franziska Hausmann interessieren dürfte, die derzeit vor Ort ist und undercover in einem brisanten Erpressungsfall ermittelt ...
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Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
ISBN 978-3-492-97314-4 August 2016 © Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016 Vermittelt durch die AVA international GmbH Autoren- und Verlagsagentur www.ava-international.de Covergestaltung: bürosüd, München Coverabbildung: Westend61/gettyimages (Lederhose); bürosüd, München Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck
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1.Kapitel
Mit einem eigenartigen Gefühl öffnete Franziska Hausmann den großformatigen Briefumschlag und setzte sich erst einmal hin. Jetzt war es also passiert. Ihre beste Freundin Marie und einer ihrer ältesten Freunde, der Oberstaatsanwalt Dr.Benno Holdenrieder, waren zusammengezogen und luden nun, da sie nicht geheiratet hatten, zu einer Beziehungsfeier ein, die zugleich eine Einweihungsparty ihres neuen Anwesens war.
Ausgerechnet Lieblmühle hieß der Hof, und ganz kurz überlegte Franziska, ob Benno und Marie bewusst nach einem solchen Ortsnamen gesucht hatten oder ob es doch nur Zufall war. Ersteres hätte sie ihnen durchaus zugetraut. Lieblmühle, das klang doch ein bisschen wie Liebesmüh, ein Begriff, der irgendwie an das Wort »vergeblich« gekoppelt schien. Vergebliche Liebesmüh hatten Benno und Marie reichlich geleistet – bis zu dem Zeitpunkt, als sie sich bei einem Silvesterfest im Hause der Hausmanns kennenlernten und die beiderseitige Mühe endlich belohnt wurde.
Franziska legte das Blatt Papier vor sich auf den Küchentisch, strich es sorgfältig glatt und schenkte sich eine weitere Tasse Kaffee ein. Das alles musste sich erst mal setzen. Erstaunt nahm sie wahr, dass ihre Hände zitterten.
Lange betrachtete sie das Foto des großen Vierseithofs und die Anfahrtsskizze. Das neue Zuhause der beiden befand sich in einem Flussdreieck südöstlich des Ortes Hauzenberg. Franziska war schon mehrmals dort gewesen. Der Hof verfügte über eine Scheune von über fünfhundert Quadratmetern, einen riesigen Garten mit Fisch- und Schwimmteich und einen Lagerfeuerplatz. Am ersten Oktoberwochenende sollte das Fest stattfinden. Eine Art Erntedank für alle Erfahrungen, die sie in ihren jeweiligen Leben eingefahren hatten. Wenigstens wurde nicht geheiratet. Das hätte gerade noch gefehlt!
Franziska Hausmann fragte sich, warum ihr diese Nachricht einen so eigenartigen Stich versetzte. Sie sollte sich für Marie freuen, die lange Zeit immer an die falschen Männer geraten war, und für Benno, dem bislang eine Frau nach der anderen weggelaufen war. Eine davon war sie selbst gewesen.
Dennoch hatte sie ganz kurz das Gefühl, als würden die beiden sie mit dumpfer Entschlossenheit betrügen und unerlaubterweise gemeinsam genau jenes Glück ausstrahlen, das sie jedem Einzelnen von ihnen so sehr gewünscht hatte. Wie gesagt, jedem Einzelnen, aber nicht den beiden miteinander. Das passte irgendwie nicht. Das tat weh. Franziska schämte sich ein bisschen für ihre Gedanken.
Würde sie noch rauchen, wäre das der Moment für eine Zigarette gewesen. Stattdessen biss sie nun in den Rand ihrer Kaffeetasse und schüttelte verwundert den Kopf. Was war nur los mit ihr?
Ihre eigene Bennogeschichte lag mehr als dreißig Jahre zurück, und sie und der Oberstaatsanwalt waren sich nach vielen Querelen darin einig gewesen, dass sie nie ein perfektes Paar geworden wären, nicht einmal eines, das leidlich miteinander ausgekommen wäre. Aber als Freunde waren sie miteinander alt geworden und hatten sich in guten wie in schlechten Zeiten unterstützt. Von nun an würde Benno sich eher an Marie wenden als an sie. Eine Art Wehmut überschwemmte sie. Es war so, als hätte sie ihn zum zweiten Mal verloren.
Hoffentlich war er der Richtige für Marie.
Das Glück der beiden war schon der gedruckten Einladung anzusehen, und selbst Maries Handschrift schien begeisterte Bögen zu werfen. »Endlich angekommen!«, hatte sie mit königsblauer Tinte hinzugefügt und statt eines Ausrufezeichens ein Herz gemalt. Die handfeste Marie, die bisher alle Höhen und Tiefen ihres Lebens so pragmatisch angegangen war und jeder Schwierigkeit mit dem Satz begegnete: »Nimm es, wie es ist, und mach das Beste draus.« So kannte Franziska sie kaum wieder.
»Einladung zur Eröffnungsparty unseres Hauses nebst Museum«, stand auf der Karte, daneben ein Foto des Paars, er neunundfünfzig und sie vierundfünfzigjährig, das auf einem noch älteren Traktor der Marke Fendt saß. Beide blinzelten unter breitkrempigen Strohhüten in die Sonne. Marie hatte einen tiefroten Lippenstift aufgetragen und trug ein lindgrünes Twinset. Pures Glück. Pure Verliebtheit. Der Himmel auf Erden. Unerträglicher Kitsch! Franziska wollte sich nicht eingestehen, dass sie eifersüchtig war. Nicht auf Marie und auch nicht auf Benno, sondern in einer verwirrten Art auf die übermäßige Freude, die die beiden ausstrahlten.
Hatte sie vor dreißig Jahren, als sie sich in den Jurastudenten Benno verliebte, auch so gestrahlt? Hatte es überhaupt jemals in ihrem Leben ein solches Leuchten gegeben? Jetzt befand sie sich zwar in einer immerwährenden, diffusen Helligkeit, doch das Strahlen war verschwunden. Vermutlich für immer.
Lieblmühle? Wie weit war das eigentlich weg? Franziska öffnete die Schublade des Küchentisches, nahm die Fahrradkarte des südlichen Bayerischen Waldes heraus und entfaltete sie zwischen Kaffeetasse und Frühstücksteller. Seufzend wurde ihr bewusst, dass sie nur noch knapp vierzig Kilometer auseinander wohnten. Das war eine gute halbe Stunde mit dem Auto, nicht einmal vier Stunden mit dem Rad. Marie würde sie und Christian so oft wie möglich einladen. Während sie mit dem Finger die Straßen entlangfuhr, wurde ihr bewusst, dass zwei gute Freunde aus ihrem Leben verschwunden waren. Dafür war ein Paar hinzugekommen. Hoffentlich kam sie damit klar. Alles brauchte einen neuen Platz.
Vorbei nun die Abende, an denen sie um kurz vor Mitternacht noch bei Benno anrufen und mit ihm über Gott und die Welt reden konnte. Vor allem in jenen Nächten, in denen sie nicht wusste, wo sich ihr eigener Mann aufhielt. Wenn sie Glück hatte, saß er bei Benno auf der Couch und ließ sich, obwohl es ihn so gar nicht interessierte, von ihm über Traktoren aufklären, trank dabei Bennos Whisky und brachte sich selbst wieder ins Lot oder auf andere Gedanken. In Zukunft würde sie ihn dort sicher nicht mehr finden. Benno und Marie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass da noch Platz für weniger glückliche Leute gewesen wäre.
Vorbei auch die Nächte, die sie mit Marie in deren Wohnzimmer verbracht hatte. Jede mit einem Glas Wein in eine Ecke des breiten Sofas gekuschelt, auf dem Tisch frisches Salzgebäck aus Eigenproduktion, das nach Butter, Parmesan und Rosmarin schmeckte. Sie hatten Gespräche geführt, die ihrer beider Leben wieder aufs richtige Gleis stellten. »Nimm es, wie es ist …«
Aber genau das war nicht immer leicht.
Ob Marie und Benno sich in ihrer Beziehung verändern würden? Sie selbst war in ihrer Ehe mit Christian ja auch eine andere geworden.
Die graue Katze Bella war auf den Stuhl neben Franziska gesprungen und krächzte ein heiseres Miau. Im selben Augenblick klingelte das Telefon.
Es war Christian. »Was machst du gerade?«
»Ich denke nach.«
Franziskas Mann hörte sich an, als lächle er. »Ist etwas passiert? Musst du etwa fort?«
»Nein.«
»Und worüber denkst du nach?«
»Über das Leben, den Tod und über das Glück.«
»Meine Güte, das sind ja große Themen! Wie kommst du dazu?«
»Benno und Marie haben uns nach Lieblmühle zu ihrer Beziehungsverfestigungsfeier eingeladen. Ich habe eben den Brief aus der Post gezogen. Gestern hat er angerufen und nach deiner Haßfurter Adresse gefragt. Du kriegst sicher auch noch ein offizielles Schreiben! Jetzt wird es also ernst.«
»Du sagst das so komisch. Du solltest dich mit ihnen freuen!«
»Mach ich ja auch.« Sie klang trotzig.
»Wer sich freut, denkt nicht an den Tod«, stellte er klar. »Das ist mir in den vergangenen Wochen besonders bewusst geworden.«
Sie schwieg einen Moment. »Wie läuft es denn bei dir?«
»Es geht so. Viele Erinnerungen. Aber das gehört ja wohl dazu.«
Vor einem Monat, am 6.August, war Christians Mutter mit sechsundneunzig Jahren im Beisein ihrer Pflegerin friedlich zu Hause entschlafen. Als einziger Hinterbliebener hatte er sich nun um den Nachlass zu kümmern, Papiere zu sichten, das Haus leer zu räumen und entweder einen Käufer oder einen Mieter für den Bungalow in Haßfurt zu finden, der aus den Wirtschaftswunderjahren stammte. Es war an nichts gespart worden, weder an hölzernen Kassettendecken noch an offenen Innen- und Außenkaminen.
»Ich habe Fotos aus vergangenen Tagen gefunden«, fuhr Christian fort, »und dabei ist mir aufgefallen, dass man sich früher, als noch jeder Abzug Geld kostete, ständig darum bemüht hat, zu lächeln und sich in Pose zu setzen. Solche Bilder finde ich nun … Meine Mutter und ich. Immer ging sie mit mir am Mainufer spazieren, und sobald wir eine sonnenbeschienene Bank sahen, setzten wir uns. Sie rechts, ich links. Niemals andersherum. Wir hielten unsere Gesichter in die Sonne und warteten auf einen gut aussehenden Mann, der vorüberging und den sie dazu aufforderte, uns zu fotografieren. Nie hielt sie nach Frauen oder älteren Herren Ausschau – heute denke ich, sie hat auf diese Art nach einem Ersatzvater für mich gesucht, weil der andere uns ja verlassen hatte. Wie auf Kommando strahlten wir den Herrn an, der sich bereit erklärte, uns zu fotografieren, als müssten wir uns von unserer besten Seite zeigen.«
»Und hat es was genutzt?«
»Nein.« Er lachte. »Aber sie hat es immer wieder versucht. Meine Mutter! Und wir gaben uns als vaterlose Vorzeigefamilie, selbst wenn wir uns vorher gestritten hatten. An genau diese Augenblicke erinnere ich mich, während ich die Fotoalben durchschaue, die sie für sich und mich angelegt hat. Endlich begreife ich, was mit dem Wort Wehmut gemeint ist. Und weißt du was, sie hat meine Briefe aufgehoben, alle. Auch die, in denen ich ihr von dir erzählt habe. Ordentlich abgeheftet in einem Aktenordner. Wenn ich sie lese, kommt es mir vor wie das Stöbern in alten Tagebüchern. Nur dass mir derjenige, der sie geschrieben hat, inzwischen fremd ist. Meine Mutter hat jedes Belegexemplar der von mir übersetzten Bücher, jeden einzelnen Artikel, den ich jemals veröffentlicht habe, säuberlich archiviert und beschriftet. Sie hat mein Leben um einiges besser dokumentiert als ich selber.«
»Du warst ihr Held.« Franziskas Stimme klang bitter. »Und was machst du nun mit all den Büchern und Papieren?«
»Ich verpacke alles in Kisten und bringe sie heim. Wir werden weitere Regale kaufen müssen. Wenn ich die Sachen dann bei uns einlagere, nehme ich sie noch einmal in die Hand und danach nie wieder. Versprochen!«
Sie verkniff sich die Bemerkung, dass er die Kisten doch lieber gleich in den Keller stellen solle. Das würde sie dann irgendwann machen.
»Sag mal, wirst du bis zum ersten Oktoberwochenende fertig sein?«
»Bis dahin sind es ja noch ein paar Wochen. Mit dem Gröbsten bin ich dann auf jeden Fall durch. Allerdings glaube ich nicht, dass ich das Haus bis dahin verkauft habe. Aber sag schon mal für mich zu. Schließlich haben wir zwei Marie und Benno zusammengebracht. Darauf können wir doch stolz sein.«
Franziska schluckte. »Klar, aber wenn es nicht gut geht, sind wir schuld.«
Er stöhnte demonstrativ. »So ein Unsinn! Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Und du weißt doch, Marie nimmt sowieso alles so, wie es gerade kommt. Und überhaupt, spätestens am Wochenende, wenn sie gemeinsam wieder unter einem der Traktoren liegen, ist aller Streit vergessen. Das wird schon!«
»Zumal sie jetzt auch noch eine riesige Scheune auf dem Grundstück haben, ihr zukünftiges Museum für Landmaschinen.«
»Na bitte, das hört sich doch sehr vielversprechend an. Ich freue mich auf dich.«
Eigenartigerweise beruhigte es sie, dass auch Christians Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Glück zur Gewissheit geführt hatte, dass beides jedem Menschen geschah und zustand. Vom Tod wusste man es. Vom Glück wünschte man es sich. Früher hätte sie in solchen Fällen bei Marie angerufen, um sich derart absonderliche Gedanken entweder bestätigen oder ausreden zu lassen. Das ging nun nicht mehr so ohne Weiteres. Ihre Freundin Marie war jetzt nur noch im Doppelpack zu haben. Als Lebensgefährtin des Oberstaatsanwaltes.
War Benno eigentlich ein guter Liebhaber gewesen? Sie versuchte sich zu erinnern. Aber es war zu lange her. Was sie jedoch nie vergessen würde, war die Kränkung über seinen Rückzug. Von einem Tag auf den anderen war er unerreichbar geworden. Und bis heute wusste sie nicht, warum. Damals hatte sie geglaubt, sie könne ohne ihn nicht leben, und jetzt wusste sie nicht einmal mehr, wie es sich angefühlt hatte, mit ihm zusammen zu sein.
Entmutigt setzte sie sich zu ihrer Katze aufs Sofa und starrte gemeinsam mit Bella durch die großen Fenster auf einen grauen und wolkenverhangenen Himmel. Sie brauchte wieder eine Aufgabe. Sie hatte nichts als dumme Gedanken im Kopf. Doch was, wenn sie plötzlich einen Auftrag bekäme? Als Sonderermittlerin war sie immer auf dem Sprung. Wohin dann mit der Katze? Zu Christian, der dreihundert Kilometer weit entfernt in einem Haus hockte, in dem Bella noch nie gewesen war und das nach Alwine Hausmann roch? Nach dieser harten und sperrigen Frau, die ihre einzige Schwiegertochter vor Fremden demonstrativ zu siezen pflegte.
»Du wärst auch nicht mit ihr klargekommen«, versicherte sie der Katze. »Und trotzdem hat sie Christians Briefe über mich abgeheftet. Wie findest du das?«
Bella kommentierte das alles mit einem heiseren Miau.
Und was war mit den Briefen, in denen Christian seiner Mutter über Franziskas Vorgängerinnen geschrieben hatte, falls er das je getan hatte? Es hatte bekanntlich eine künftige Pastorin gegeben, eine angehende Zahnärztin und sicher Dutzende von sprachgewandten Übersetzerinnen und Lektorinnen. Eröffneten sich ihm beim Lesen dieser Nachrichten klarere Bilder als ihre eigenen Erinnerungen von Benno? Würde er vielleicht sogar Kontakt mit seinen Verflossenen aufnehmen? Sie verbot sich, daran zu denken. Doch je heftiger sie es sich verbot, umso mehr musste sie daran denken.
Für Christians Mutter war die verwitwete Hauptkommissarin Franziska Gorenko ein rotes Tuch gewesen. Ständig hatte sie dem damals schon über Fünfzigjährigen in den Ohren gelegen, dass er etwas Besseres verdient hätte. Selbst in Franziskas Gegenwart fing sie davon an. Unwürdig sei es für ihn, sich mit einer zusammenzutun, deren ganze Aufmerksamkeit auf die finsteren Seiten der Gesellschaft gerichtet war, die sich mit den krankhaften und raffinierten Auswüchsen Verrückter und Verwirrter auseinanderzusetzen hatte. Irgendwann würde dieses dunkle Weltbild auf ihn abfärben – wenn er Glück hatte, als leichte Schwermut, und wenn er Pech hatte, als schwerste Depression. Glücklicherweise hatte Christian ihr diesen Gefallen nicht getan, sondern war durchgehend freundlich und gelassen geblieben.
Mit dem Alter war Alwine ein wenig sanfter geworden, aber noch an ihrem neunzigsten Geburtstag hatte sie heftig gegen Franziska gegiftet. Ungefähr sechs Wochen vor ihrem Tod war ihr ein einziges Mal ein Du herausgerutscht, als Sohn und Schwiegertochter an ihrem Bett standen. »Du scheinst ihm ja doch nicht zu schaden«, hatte sie zwischen zwei Hustenanfällen gemurmelt. Es hatte eher verwundert als erfreut geklungen.
Seit knapp vier Wochen war sie für immer aus ihrer beider Leben verschwunden. Franziska und Christian waren die einzigen Trauergäste gewesen. »Wo sind die anderen?«, hatte Franziska ihren Mann gefragt und eine weiße Rose und ein Schäufelchen mit Erde ins offene Grab geworfen.
»Ihre Freunde?« Christian flüsterte, als befürchtete er, seine Mutter könne ihn hören.
Franziska hatte genickt.
»Die sind ihr schon vorangegangen«, hatte er gewispert. »Alle. Und nun warten sie da auf sie.«
»Dann hat es wohl ab heute da oben im Himmel mit dem lockeren Totsein ein Ende.« Franziska betrachtete den Kiefernholzsarg. »Alwine wird wieder Ordnung in die Truppe bringen.«
Überrascht hatte er sie angesehen, und über sein Gesicht war ein Lächeln gehuscht. Genau dieses Lächelns wegen liebte sie ihn.
Draußen regnete es nun immer heftiger. Franziska stellte sich vor, wie Christian durch Alwines Haus schritt und sich mit den Aktenordnern auf die vertraute hellbeige Sitzlandschaft fallen ließ. Er würde in der Vergangenheit schwelgen, sich an einstiges Glück erinnern und per Smartphone versuchen, die Telefonnummern seiner früheren Geliebten zu recherchieren. Und dann würde er sich mit jeder einzelnen von ihnen verabreden. Mit der einen zum Mittag-, mit der anderen zum Abendessen. Und ihm würde klar werden, dass Alwine Hausmann recht gehabt hatte. Es gab bessere Frauen als Franziska. Ja, um es auf den Punkt zu bringen: Im Grunde genommen waren alle Frauen besser als Franziska.
Sie fror vor Selbstmitleid und wusste: Dies wäre der Moment gewesen, um Marie anzurufen. Marie hätte sie wieder aufgebaut. Aber Marie war nun glücklich an Bennos Seite, während sie, Franziska, mal wieder tief im Unglück steckte.
Erneut läutete das Telefon. Sie sah nicht aufs Display, sondern meldete sich mit einer Stimme, die bemüht amtlich klingen sollte. Im gleichen Augenblick fragte sie sich, wie es sich anfühlen mochte, den Satz »Ich werde dich verlassen« zu hören, und wie sie darauf reagieren solle.
Doch genau dieser Satz kam nicht.
Und es war auch nicht Christian, der ihre Nummer gewählt hatte.
»Ich bin’s, Marie. Wie geht es dir?«
»Bestens«, log Franziska. »Und dir?«
»Mir fällt hier gerade ein bisschen die Decke auf den Kopf.«
Franziska biss sich auf die Lippen. Da wurde ja wirklich auf allerhöchstem Niveau gejammert. Halbherzig schlug sie vor: »Sag Benno, dass er sie dir wegziehen soll – oder er soll zu dir unter die Decke kriechen. Dann zieht ihr sie euch beide über den Kopf, und niemand muss frieren.«
»Benno ist nicht da.« Marie klang erschöpft. »Während der Woche wohnt er weiterhin in seiner Wohnung in Passau. Angeblich hat er keine Zeit, sie zu räumen. Du siehst, es hat sich nicht viel geändert. Nur haben wir jetzt ein gemeinsames und sehr großes Wochenendhaus, das ich bewirtschafte. Magst du nicht für ein paar Tage herkommen? Nach Lieblmühle? Ich würde dir so gern mal wieder alles zeigen. Wir haben schon viel geändert.«
Franziska zögerte. »Ja, aber was mache ich mit Bella? Christian ist noch immer in Haßfurt.«
»Im Haus deiner verhassten Schwiegermutter?«
»Hoffentlich kann er es verkaufen. Denn ich werde dort niemals hinziehen!«
»Das wäre auch wirklich blöd, wo wir doch gerade in deine Nähe gezogen sind. Bring Bella doch einfach mit.«
»Okay, ich bleibe aber nur bis zum Wochenende.«
»Wie du meinst. Ich freu mich auf dich.«
Der fünfzehnjährige Boris Krösdorfer kaute seit einem Jahr immer dann an seinen Fingernägeln, wenn er darüber nachdachte, ob er seinen schrecklichen Verdacht mit jemandem besprechen oder besser für sich behalten sollte.
Denn augenscheinlich war der Einödbauer Quirin Unterholzner einem Betrug aufgesessen. Hatte er es nicht begriffen, oder wollte er einfach nicht wahrhaben, dass das Einzige, was die Frau, der er damals mit Boris’ Hilfe englische Briefe geschrieben hatte, mit jener Frau verband, die nun tatsächlich beim Unterholzner lebte, der Vorname und die Herkunft waren?
Beide hießen Akima, allerdings befürchtete Boris, dass bei der zweiten Frau auch der Name nicht stimmte. Er traute es ihr zu. Akima eins, wie er sie insgeheim nannte, hatte braune Augen, glattes, glänzendes, schwarzes Haar und volle Lippen gehabt. Wenn sie lächelte – und das tat sie auf allen Fotos, die sie geschickt hatte –, sah man ihre perfekten Zähne. Sie war klein und zierlich und pflegte in englischer Sprache zu schreiben. Ihr allein hatte er sein Smartphone zu verdanken. Denn hätte sie – wie Akima zwei – Deutsch gekonnt, so hätte Quirin Unterholzner nicht der Übersetzungsdienste von Boris bedurft, die er großzügig entlohnt hatte.
Akima zwei dagegen hatte ein flaches Mondgesicht mit breiter Nase und war prall wie eine Weißwurst. Schief standen die Zähne in ihrem Mund, und das dünne Haar war von grauen Strähnen durchzogen. Sie sprach Deutsch und schüttelte nur verständnislos den Kopf, wenn er sie auf Englisch anredete. Es konnte sich nicht um ein und dieselbe Frau handeln. Niemals!
Die Schöne hatte Quirin Unterholzner nach Thailand gelockt, und die weniger Schöne war ihm nach Deutschland gefolgt. Nun saß sie auf seinem Hof und brachte ihn zum Lächeln. Immerhin.
Bevor Akima kam, hatte Quirin so gut wie nie gelächelt. Seit sie da war, strahlte er von morgens bis abends. »Wie ein Honigkuchenpferd«, sagte Boris’ Vater.
»Die Chinesen, die Inder, die Japaner und auch die Thailänder sehen für uns Deutsche im ersten Moment alle gleich aus. Genauso wie wir auf den ersten Blick für sie alle wie Zwillinge wirken«, hatte seine Großmutter erklärt, der er als Erster seinen Verdacht mit der doppelten Akima offenbart hatte.
Das mit dem ersten Moment leuchtete ihm ein, aber inzwischen war die falsche Akima schon mehr als ein Jahr auf Quirins Hof, und wenn der immer noch verliebte Bauer nur einmal ein Foto seiner englischsprachigen Brieffreundin herausholen würde, um es mit der Frau zu vergleichen, die nun an seinem Tisch saß, so würde er sofort erkennen, dass er betrogen worden war. Wie konnte man nur mit jemandem zusammenleben, der einen betrog? Boris konnte es nicht fassen.
Vor Kurzem hatte er Quirin im Zeitungsladen getroffen und war wie ein Erwachsener ein Stück neben ihm hergegangen, um mit ihm ein Erwachsenengespräch zu führen. Ihm lagen schon die entsprechenden Worte auf der Zunge: Schau dir noch mal das Foto von Akima an, und vergleiche es mit der Frau, die jetzt bei dir lebt. Zwischen den beiden liegen doch Welten.
Aber dann hatte er es doch nicht gesagt, weil in diesem Augenblick sein Handy geklingelt hatte und ihm eingefallen war, dass Quirin nachdenklich werden und ihm recht geben könnte. Wenn aber Quirin ihm recht gäbe, so müsste er möglicherweise alles Geld, das er für seine Übersetzungsarbeit und die Briefe an Akima eins bekommen hatte, zurückzahlen. Und dazu würde er sein Smartphone verkaufen müssen.
»Bist du immer noch glücklich?«, hatte er daher schüchtern gefragt und vorsichtig zu dem Mann geschaut, der mit großen Schritten neben ihm herging.
»Ja, freilich!« Quirin Unterholzner hatte genickt und sich über seine unglaublich buschigen Augenbrauen gestrichen. »Weißt es eh, sie ist das Beste, was mir hod passieren kenna.«
Wie ging man mit solchen Sätzen um? Hätte Boris jetzt sagen sollen: Die andere wäre sicher noch besser gewesen? Du hast nämlich die Falsche gekriegt. Hoffentlich nur aus Versehen! Lieber nicht …
Akima zwei blieb Boris weiterhin suspekt. Wo hatte sie nur so gut Deutsch gelernt? Sie konnte es fast besser als er. Und auch noch dialektfrei!
In Kattersdorf erzählte man sich über sie, sie habe im thailändischen Hua Hin als Krankenpflegerin in einem Altersheim für deutsche Rentner gearbeitet. Es hieß, pensionierte Lehrerinnen und Lehrer hätten mit ihr die deutsche Sprache geübt und sich mit ihr über die Belange des Alltags ausgetauscht. Da war vermutlich was dran, denn sie kannte eigenartige Wörter, die niemand sonst benutzte: Stelldichein, Kettenraucher, Stützstrumpf, Muckefuck und Prothesenreiniger. Wenn sie ganz schnell redete, sprühte eine Speichelfontäne aus ihren Zahnlücken. Kurz und gut: Boris mochte sie nicht.
Quirin mochte sie umso mehr. Er erfüllte ihr jeden Wunsch. Kaum war sie in Kattersdorf angekommen, hatte er ihr ein im thailändischen Stil gehaltenes Teehaus in den verwilderten Garten gebaut und dem Kattersdorfer Arzt und auch dem Apotheker von Akimas heilenden Händen erzählt. Er machte richtiggehend Reklame für sie, wo er doch vorher so menschenscheu gewesen war.
Akima selbst setzte eine große Anzeige mit der Überschrift »Traditionelle Thaimassage« in die Zeitung und schien tatsächlich zu glauben, alle Kattersdorfer würden Schlange stehen, um sich von ihr anfassen und durchkneten zu lassen. Niemand war gekommen.
In Kattersdorf ließ man sich nicht von Fremden massieren. Hier fassten Mütter ihre Kinder an, und Liebende berührten sich. Ansonsten behielt man seine Hände dort, wo sie hingehörten. In der Hosentasche oder am Steuer.
Boris wusste das mit dem Anfassen auch deshalb, weil er gerade verliebt war. In Sophie, die Erdbeereis liebte, nach Milch und Klee duftete und deren Lächeln die Welt zum Leuchten brachte. Wenn er Glück hatte, durfte er ihre Hand halten, und einmal hatte sie ihn sogar geküsst, auf die rechte Wange, ganz nahe an den Lippen. Der Gedanke, dass auch Quirin und Akima sich küssen könnten und vielleicht noch andere Dinge miteinander taten, bereitete ihm Unbehagen. Denn wenn es tatsächlich so war, so küsste Quirin Unterholzner definitiv die falsche Frau.
Im vergangenen Jahr war Boris gefirmt geworden. Bei der Vorbereitung war viel von gutem Vorbild, von Gerechtigkeit und Wahrheit gesprochen worden. Im Rahmen eines Beichtgespräches hatte er mit Pfarrer Josef Kaiser – verschlüsselt natürlich – über den Fall Quirin Unterholzner und Akima zwei gesprochen.
»Was würde dich an dieser Liebe stören?«, hatte Hochwürden wissen wollen. »Ist es nicht allein eine Sache zwischen Mann und Frau?«
»Aber wenn es nicht die Frau vom Foto wäre?«
»Die Hauptsache ist doch, dass sie sich lieben. Oder?«
Boris hatte genickt.
»Die Liebe steht über allem, mein Sohn, und deine Sorgen möchte ich haben!«, hatte der Pfarrer gemeint.
»Er hätte ihr niemals einen Brief geschrieben, wenn er gewusst hätte, wie sie aussieht. Also hat sie ihm ein falsches Bild von sich gegeben. Und das darf man doch nicht«, hatte Boris beharrt.
Er verriet Hochwürden natürlich nicht, dass er selbst neben Quirin gesessen hatte, als dieser von den zwölf Fotos, die ihm die Agentur geschickt hatte, gleich sieben wieder aussortierte. »G’fallt mir ned«, sagte er dazu, nur weil die eine ein wild gemustertes Kleid trug und die andere eine Brille. Die Frage, ob er den Frauen gefallen könnte, war ihm offenbar gar nicht in den Sinn gekommen.
Seufzend hatte sich der Pfarrer weiter auf Boris’ Sorgen eingelassen. »Es geht doch nicht um Äußerlichkeiten, sondern um die inneren Werte. So ist beispielsweise ein inneres Leuchten nur ganz selten auf Fotos zu erkennen.«
»Und wenn sie nicht in die Kirche ginge am Sonntag?« Boris gab nicht auf.
»Dann müsste man mit ihr reden. Aber nun lass uns aufhören, über abstrakte Fälle zu sprechen. Hast du eigentlich mal wieder Briefmarken für mich? Da hab ich so lang nichts mehr gekriegt.«
»Nein, die Leut schreiben keine Briefe mehr, nur noch SMS und E-Mails. Alles elektronisch.« Boris wies auf sein Smartphone. »Damit.«
»Das ist schade, mein Sohn, wirklich sehr schade.«
Später hatte Boris oft gedacht, dass dies der richtige Zeitpunkt gewesen wäre, dem Pfarrer zu gestehen, dass die wunderschönen bunten thailändischen Briefmarken von ebender Frau stammten, die sich dann durch eine andere ersetzen ließ, ohne dass der Briefempfänger es gemerkt hatte.
Akima eins hätte sicher weiter mit ihrer Familie und ihren Freunden korrespondiert und für bunten Briefmarkennachschub in den Alben des Pfarrers gesorgt – Akima zwei hingegen bekam keine Post. Offensichtlich gab es niemanden in Thailand, der sie vermisste. Und die pensionierten Lehrerinnen im Altersheim hatten sich bestimmt schon jemand anderen gesucht, dem sie Wörter wie Kaltschale, verhohnepipeln, Bett-Ente oder Sammeltasse beibringen konnten.
Aber was soll’s – jetzt war es zu spät. Sein Smartphone klingelte. Sophie schrieb, dass sie ihn in einer halben Stunde in der Eisdiele treffen wolle. Die Nachricht war mit einem sonnengelben Smiley und einem roten Herzchen versehen. Er steckte sich den Zeigefinger in den Mund und knabberte hingebungsvoll am Nagel.
Der Unterholzner hatte möglicherweise die falsche Frau, aber Boris Krösdorfer hatte jedenfalls das richtige Handy.
Sophie aß nur Erdbeereis. Immer. Boris hatte noch nie jemanden kennengelernt, der konsequent nur eine einzige Eissorte verspeiste, davon aber Unmengen. Fasziniert sah er zu, wie sie sich mit einem gelben Plastiklöffel rosafarbene Eishäuflein auf die Zungenspitze lud, während auf der Straße ein Traktor mit unglaublichem Lärm heranknatterte. Dann wurde es so schlagartig still, dass Boris es versäumte, seine Stimme zu senken, und die zweite Hälfte seiner Frage in die plötzlich ruhige Straße hinausschrie: »… am Wochenende ins Kino?« Irgendjemand am Ende der Straße schrie zurück: »Ja klar, wenn du mich einlädst!«
Sophie dagegen hob nur die Schultern. »Keine Ahnung, vielleicht.« Dabei drehte sie unglaublich anmutig den Kopf. Verzückt betrachtete Boris die wunderbare Linie ihres schlanken Halses, als die Holzdielen der Eisdielenterrasse zu beben begannen.
Akima zwei stampfte an ihnen vorbei. Ihr Gesicht war schweißüberströmt.
»Sie sollten einen Hut tragen«, rief Boris ihr zu. »Sonst bekommen Sie noch einen Sonnenstich.« Er stellte fest, dass er sich genauso anhörte wie seine Mutter, wenn sie mit derartig überflüssigen Ratschlägen aufwartete.
»Oh, was sehe ich denn da? Ein hübsches Stelldichein! Und so eine elegante junge Dame, entzückend!« Die Thailänderin lachte. »Boris, du warst so lange nicht mehr bei uns draußen. Dabei schätzt Quirin es so ungeheuer, mit dir zu fachsimpeln über Gott und die Welt.«
Sophie hob die Augenbrauen und flüsterte: »Wer ist das denn?«
»Ich hab grad sehr viel zu tun«, erklärte Boris ausweichend. »Aber sagen Sie ihm viele Grüße.«
»Die kannst du ihm persönlich ausrichten. Er wartet vor dem Eiscafé auf mich und freut sich gewiss über eine angenehme Gesellschaft, die ihm die Wartezeit versüßt, während ich Spezereien für uns einhole.«
Sie schritt zur Theke und bestellte zweimal acht Eisbällchen im Pappbecher, davon eine Portion mit Sahne.
»Woher kennst du die denn?« Sophie ließ einfach nicht locker.
Hoffentlich glaubt sie nicht, dass ausgerechnet das ihre Vorgängerin ist, dachte Boris.
»Ist die Tusse von meinem Nachbarn«, flüsterte er und wurde rot.
»Echt? Die hab ich ja noch nie gesehen, total schräg. Und wieso redet sie so seltsam?«
»Ein entfernter Nachbar«, murmelte Boris unbehaglich, denn ein Hof, der mindestens drei Kilometer entfernt vom Haus seiner Eltern lag, konnte eindeutig nicht mehr als Nachbarschaft durchgehen.
In diesem Moment beugte sich Akima gleich einer dunklen Gewitterwolke über den gusseisernen Bistrotisch und griff unvermittelt nach Boris’ Hand.
»Was ist denn mit deinen Händen? Das sieht ja gar nicht gut aus!« Sie blies auf seine entzündeten Fingerkuppen.
»Boris, du wolltest doch mit dem Nägelkauen aufhören, mir zuliebe.« Sophie klang besorgt.
Er versuchte, seine Hand zurückzuziehen, doch Akima war stärker. »Das ist ein Problem, das wir mit gutem Willen sofort lösen können«, behauptete sie, schnappte nach Boris’ linker Hand und formte ihre Handflächen wie zum Gebet um seine Finger.
Reflexartig schob er sich die rechte Hand unter den Hosenboden. »Das geht Sie gar nichts an.«
»Es besteht aber die akute Gefahr, dass du irgendwann nichts mehr fühlen wirst«, dozierte sie in ihrem gestelzten Deutsch.
»Das ist dann auch meine Sache«, gab er zurück.
»Lass sie doch!«, meinte Sophie und lehnte sich entspannt zurück. Um den Tisch der beiden hatte sich schon halb Kattersdorf versammelt, um das Schauspiel zu verfolgen. Endlich war mal was los.
Boris wäre am liebsten im Boden versunken.
Als wäre seine Hand ein noch zu formender Kartoffelknödel, knetete Akima sie von allen Seiten und blies dabei immer wieder mit spitzen Lippen auf Boris’ Fingerspitzen.
»Eis ist fertig!«, rief Mario hinter seiner Theke hervor und winkte mit beiden Armen.
»Haben Sie bitte noch einen winzig kleinen Moment Geduld«, entgegnete Akima und legte Boris’ Hand vorsichtig auf den Tisch zurück. »Wie fühlt es sich nun für dich an?«
»Geht so.« Er verschwieg ihr, dass seine Finger wie Feuer brannten und teuflisch kribbelten.
»Es könnte in den nächsten Stunden ein wenig heiß werden«, verkündete sie. »Je heißer, desto besser.« Dann rauschte sie mit den beiden gefüllten Eisbechern in der Hand hinaus, erklomm erstaunlich gelenkig den Beifahrersitz des riesigen Traktors und reichte Quirin Unterholzner die Portion ohne Sahne.
2.Kapitel
Bella maunzte ungeduldig und klagend. Sie fuhr nicht gerne Auto, denn nach ihrer Erfahrung führten Ausflüge, zu denen sie in ihren Katzenkorb gesteckt wurde, grundsätzlich zum Tierarzt oder in die Tierpension. Zwei Orte, die sie zutiefst verabscheute.
»Nur ruhig, wir sind gleich bei Marie«, sagte Franziska. Die graue Katze gab ein missmutiges Brummen von sich, und Franziska schüttelte über sich selbst den Kopf. Sie sollte wirklich aufhören, mit Bella wie mit einem Kind zu reden.
Welcher Teufel hatte sie eigentlich geritten, als sie ihren Koffer packte und mitsamt der Katze in solcher Eile in ihr Auto gestiegen war, als befände sie sich auf der Flucht? Auf der Flucht vor quälenden Gedanken und Zuflucht suchend bei einer, der die Decke auf den Kopf fiel. Das war ja eine wunderbare Kombination.
Die Katze scharrte ungeduldig in ihrem Reisekorb.
»Wenn wir uns zusammentun, ist es vielleicht für jede von uns nicht mehr ganz so schlimm«, versprach Franziska.
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