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Liebesgeschichten gehören nicht zu den Stärken von Chloe Daschle – weder auf der Leinwand noch im wahren Leben. Doch als die bislang nur für dramatische Szenen bekannte Schauspielerin und Tochter zweier Hollywoodgrößen einen kurzen Blick in das Manuskript einer überlieferten Liebesgeschichte erhascht, beschließt sie, um die Hauptrolle zu bitten. Es geht um die Familiensaga des Drehbuchautors Jesse Gates: Hamilton Lightfoot, einer von Gates‘ Vorfahren, ist verliebt in Esther Longfellow, doch ihre Familien gehören den unterschiedlichen Seiten im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg an. Esthers Vater, ein wohlhabender Unterstützer der britischen Krone, untersagt seiner Tochter eine Beziehung zu Hamilton, der als Neffe des benachbarten Farmbesitzers für Amerikas Unabhängigkeit eintritt. Esther muss sich zwischen ihrem Vater und Hamilton entscheiden. Sie bietet der Missbilligung ihres Vaters die Stirn, um Hamilton von einer gemeinsamen Zukunft zu überzeugen. Doch dann schreibt Hamilton seiner Geliebten am Abend vor einer Schlacht einen besonderen Brief. Chloe hofft, diese Story könnte endlich ihr große Hollywood-Durchbruch werden. Jesse steht aber nach einer Lebenskrise nicht der Sinn danach, sich mit einer Liebesgeschichte zu befassen. Obschon sich das ändert, als Jesse Chloe trifft. Die Frau, die für die Rolle von Esther Longfellow gecastet wurde. Plötzlich kreuzen sich Vergangenheit und Gegenwart und der Liebesbrief aus vergangenen Tagen scheint mehr Einfluss auf die Zukunft zu nehmen, als sich alle Beteiligten hätten vorstellen können.
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Rachel Hauck ist Bestsellerautorin, ihre beliebten Liebesromane erscheinen auf den Listen von New York Times, USA Today und Wall Street Journal und sind in vielen Ländern veröffentlicht.
Sie hat Journalistik studiert, ist Gewinnerin des Carol Awards und lebt mit ihrem Mann in Florida.
Mehr unter: rachelhauck.com und facebook.com/rachelhauck.
RACHEL HAUCK
DerLIEBES BRIEF
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Eva-Maria Nietzke
Cover
Über die Autorin
Titel
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
Danksagungen
Impressum
HAMILTON Die Schlacht von Cowpens (Hannah’s Cowpens) Nordamerikanische Kolonie von South Carolina 17. Januar 1781
Er musste es zu Ende bringen. Und zwar jetzt. Er stolperte und fiel auf die feuchtkalte Erde des Ahorn-Sumpfes, während das Prasseln des Musketenfeuers die kühle Morgenluft durchbrach. Sein Atem waberte in der Kälte. Der Rauch von Gewehren und Kanonen trübte das erste Tageslicht, und der scharfe Geruch von Schießpulver schnitt durch die kalte Winterluft.
Er presste sich an den nächststehenden Baum, mit dem Rücken zum Kampf und dem Dolch in der Hand. Blut von einem Säbelhieb verfärbte seinen Ärmel und tropfte von seiner linken Hand. Keine dreißig Schritte von ihm entfernt tobte die Schlacht, doch er sackte in sich zusammen, erschöpft, als habe er tagelang gekämpft.
Bring es zu Ende, Mann, bring es zu Ende!
Hamiltons Konflikt mit Lieutenant Twimball hatte lange vor diesem Tag begonnen. Doch heute würde es mit Twimball zu Ende gehen. Hier. Jetzt. Wegen allem, was dieser Mann getan hatte. Wegen all der Taten, die von den Rotröcken des Königs verübt worden waren.
Vor seinen Augen tanzten Punkte, und sein Kopf schien über seinem Körper zu schweben. Er versuchte aufzustehen: Mit seinem unverletzten Arm stützte er sich auf das Gewehr, den verwundeten linken Arm schlang er um den Baumstamm. Doch seine Beine wollten ihm einfach nicht gehorchen.
Ein erneuter Geschosshagel lenkte seine Aufmerksamkeit auf das Schlachtfeld. Die Briten stürmten nach vorn, während seine Kameraden zurückwichen. Noch einmal versuchte er aufzustehen und fiel gegen den Baumstamm. Aus dem Augenwinkel sah er ein Stück Papier davonflattern. Sein Brief! Er ließ den Dolch fallen und tastete nach seiner linken Jackentasche, doch seine Hand stieß ins Leere. Seine Jacke war zerrissen!
Der Wind blies das einzelne Blatt über den kalten, matschigen Boden. Er musste es einfangen! Hamilton streckte sich und bekam das Blatt gerade noch mit den Fingerspitzen zu fassen; dann entglitt es ihm, als er auf die Erde kippte.
Um ihn herum tobte der Kampf. Die Schreie und Flüche der Soldaten verfingen sich in den kahlen Ästen der Bäume, als Hamilton Lightfoot langsam die Sinne schwanden, während er von seiner großen Liebe, während er von ihr träumte.
Hollywood, in der Gegenwart
August
Für Liebesgeschichten war sie einfach nicht gemacht. Sie erwischte einfach nie den Richtigen. Weder im wahren Leben noch auf der Leinwand. Stattdessen musste sie sterben – in fast jeder größeren Rolle, die sie bis jetzt übernommen hatte. Letztes Jahr hatte ihr das Variety-Magazin den Titel „Königin der Sterbeszenen“ verliehen. Was für eine tolle Auszeichnung … Doch heute war sie fest entschlossen, das zu ändern. Sie wollte nicht länger warten, sondern die Dinge selbst in die Hand nehmen.
Während sie mit ihrem roten 64er-Mustang mit aufgeklapptem Verdeck durch Bel Air zum Haus des berühmten Hollywood-Regisseurs Jeremiah Gonda fuhr, war Chloe erwartungsfroh. Vor einer roten Ampel nahm sie den Fuß vom Gas und stellte das Radio lauter.
„What you want, baby, I got it …“
Der Wind spielte mit ihren Ponyfransen, als ein schwarzer BMW neben ihr hielt. Der Fahrer ließ sein markantes Profil im rechten Licht erscheinen, anschließend drehte er sich zu ihr, lächelte und zwinkerte ihr zu. Doch als seine Augen auf den eiskalten Blick von Chloe trafen, entglitt ihm seine Mimik und er schaute wieder nach vorn.
Chloe knurrte und stellte die Musik noch lauter.
„R-E-S-P-E-C-T.“
Die Ampel schaltete auf Grün und der BMW-Fahrer düste davon. Angeber. Als ob sie sich für diesen Schönling mit den falschen Zähnen interessieren würde. Ach, bitte! Als Teenagerin hatte sie solche Typen zum Frühstück verspeist! Na ja, nicht wirklich. Aber in ihrem Kopf hörte sich der Spruch ziemlich gut an. Doch heute ging es nicht um ihre Vergangenheit, den Skandal oder ihre von „Tod und Sterben“ geprägte Karriere, sondern darum, was sie künftig erreichen wollte. Zum ersten Mal in ihrer zwanzigjährigen Karriere wollte sie sich selbst um eine Rolle bewerben, statt darauf zu warten, dass man sie zu einem Casting einlud. Sie wollte ihr Vitamin B nutzen. Wozu war sie schließlich die Tochter zweier Hollywood-Legenden?
Ihre klägliche Karriere bestand bislang aus Sterbeszenen – und zwar nicht in packenden Thrillern oder Horrorfilmen, sondern in Seifenopern, altmodischen Filmen, am Broadway und bei einer Shakespeare im Park-Aufführung. Sie hatte mindestens drei Rollen abgelehnt, um nicht erneut vor der Kamera sterben zu müssen. Chloe war neunundzwanzig und begann sich allmählich zu fragen, ob ein Fluch auf ihr lastete. In jenem Jahr am Broadway war sie einhundertfünfzig Mal gestorben. Einhundertfünfzig Mal!
Sollte diese Rolle auch Auswirkungen haben auf ihr Leben? Oder auf ihre Seele abfärben?
Chloes verrückte Vermutung rührte nicht von irgendwoher. Nach der Rolle am Broadway war es schließlich zum Skandal gekommen. Dem Todesstoß für ihren guten Ruf … Chloe stellte die Musik lauter, um die Erinnerung zu verdrängen. Sie hielt vor dem Haus der Gondas und drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage.
„Chloe Daschle. Ich möchte zu Mr. Gonda.“
„Wie bitte? Ich kann Sie nicht verstehen.“
Chloe stellte das Radio leiser. „Chloe Daschle. Ich möchte zu Mr. Gonda.“
Mit einem Klick schwang das Tor auf und Chloe fuhr langsam die steinige Auffahrt hoch, folgte der Kurve und parkte im Schatten vor der Eingangstür.
Jeremiah und Laura Gonda waren ein umtriebiges Paar, genau wie ihre Eltern: ein erfolgreicher, ausgezeichneter Regisseur, der mit einer Oscarpreisgekrönten Schauspielerin verheiratet war. Die beiden gehörten zu den großen Ausnahmen in Hollywood: Sie waren seit zwanzig Jahren glücklich verheiratet und Eltern von sieben Kindern. Eine Attraktion für sich.
Chloes Eltern lebten seit fünfunddreißig Jahren glücklich zusammen, ohne verheiratet zu sein.
Chloe stieg aus dem Wagen, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und den Pony und griff nach ihrer Tasche. Sie ging zur Tür und klingelte, dann trat sie einen Schritt zurück. Ihr Herz klopfte laut.
Hallo Jeremiah, ich würde gern für die Rolle von Esther vorsprechen. Das überrascht dich, nicht wahr? Weißt du, ich habe das Skript von „Bound by Love“ gelesen. Ist die Rolle der Esther schon besetzt? Bitte, bitte, bitte gib mir eine Chance!
Sie hatte durch einen Freund, Smitty Barone, von Jeremiahs neuestem Film gehört. Smitty hatte sich auf Horrorfilme spezialisiert, versuchte sich nebenbei aber auch als Vermittler. Immer wieder begegnete sie Smitty, sie konnte sich schon gar nicht mehr dran erinnern, wann sie ihm zuerst begegnet war. An der Schauspielschule?
Ein leichter Wind kam auf, und Chloe spähte zu den Bäumen, die das Anwesen säumten. Bel Air wurde seinerzeit von legendären Stars bewohnt: Mary Pickford, Ingrid Bergman, George Reeves, Jerry Lewis, Johnny Carson. Sogar die Beatles hatten während ihrer 1965er-Tour hier gewohnt. In einigen Jahren würden auch ihre Eltern zu Hollywoods Geschichte gehören. Sie selbst sehnte sich nicht nach Unsterblichkeit. Sie wollte einfach schauspielen, etwas Bedeutsames mit ihren Fähigkeiten erreichen, die Herzen der Menschen berühren. Und sie wünschte sich, dass dieser „Todesfluch“, den sie selbst in gewisser Weise in ihr Leben hineininszeniert hatte, gebrochen würde. Sie wollte endlich ihr Glück finden, auch privat. Und ihre wahre Liebe. War das zu viel verlangt? Zu schön, um wahr zu sein?
Die Tür des eckigen Frank-Lloyd-Wright-Glashauses wurde geöffnet. Jeremiah erschien mit seiner jüngsten Tochter Eva auf dem Arm im Türrahmen.
„Chloe, komm herein!“ Lächelnd trat er zur Seite. Die große Marmor-Empfangshalle war ausgestattet mit einem Treppenhaus wie in „Vom Winde verweht“, einer hohen Holzbalkendecke und einem zweieinhalb Meter großen Kronleuchter. „Schön, dass du herkommst. Laura dreht in dieser Woche einige Szenen neu, daher bin ich den ganzen Tag hier.“
„Ich wollte lieber hierhinkommen als in dein Büro.“ Sie hielt Eva ihren Finger hin, die daraufhin ihre kleine Hand fest darum schloss. „Wie süß du bist.“
„Ja, und sie weiß es ganz genau. Ezra?“ Jeremiah rief nach seinem ältesten Sohn. „Kannst du bitte deine kleine Schwester nehmen?“ Ein schlaksiger, blonder Teenager kam um die Ecke. Er stopfte sich ein letztes Stück Sandwich in den Mund und nahm das Baby auf den Arm.
„Die Nanny bringt gerade die anderen Kinder zum Turnen und zur Tanzstunde.“ Jeremiah bat Chloe, ihm zu folgen. „Wir werden also unsere Ruhe haben.“ Er betrat sein Büro. Die nach Westen gerichtete Glaswand bot einen spektakulären Ausblick über das Tal. „Möchtest du etwas trinken?“
„Nun …“ Chloe zögerte. Es war verrückt. Wenn er sie für das Casting gewollt hätte, hätte er sie angerufen. Was er nicht getan hatte. Stattdessen hatte er Mädchen wie Ginger Winters und Sabrina Fox angerufen.
Selbst wenn er wie durch ein Wunder bereit wäre, ihr die Rolle zu geben, würde sich die Filmgesellschaft wohl dagegen sperren. Sie war zu ihrem großen Bedauern in eine typische Rolle gedrängt worden, die sie nicht mehr abstreifen konnte. Sie war das Mädchen, das immer starb. Er wäre verrückt, wenn er …
„Chloe? Etwas zu trinken?“ Jeremiah stand neben dem Wandkühlschrank.
„Oh, entschuldige. Ja, bitte. Eine Cola Light.“ Sie betrat den Raum, legte ihre Tasche auf einen vornehmen Lederstuhl und schlenderte zum Fenster. „Ich glaube, ich könnte mich an dieser Aussicht niemals sattsehen.“ Das Büro ihres Vaters auf dem Daschle-Anwesen hatte dieselbe Aussicht. Von ihrer eigenen Wohnung aus, im Nordflügel des Anwesens, konnte Chloe allerdings nur die Bäume des hinteren Gartens und das Gästehaus sehen.
„Laura und ich kommen abends, wenn die Kinder im Bett sind, gerne hierher. Wir musizieren dann und schauen einfach nur auf die Lichter.“ Jeremiah gab Eiswürfel in ein Kristallglas und öffnete die Cola-Flasche, ehe er sie Chloe reichte. Für sich selbst nahm er eine Flasche Perrier aus dem Kühlschrank. Sogar das Mineralwasser war hier vom Feinsten. Dann schritt er auf die lange, tiefe, rote Couch zu. „Du interessierst dich also für Esther?“
Chloe ging zu ihm. Sie nahm sich Zeit, einen Schluck zu trinken, bevor sie das Glas auf einen Untersetzer stellte.
„Bin ich zu spät?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein. Die Rolle der Esther ist die einzige, die noch nicht vergeben ist. Hat dein Agent dir das Skript geschickt?“
„Nein. Ein Freund von mir, Smitty Barone.“ Sie war ihm eines Sonntags über den Weg gelaufen. Nach dem Gottesdienst. Warum er da gewesen war, hatte sie nicht verstanden, aber in den vergangenen fünf Jahren hatte Chloe sich an Smittys seltsames Kommen und Gehen gewöhnt. „Er sagte mir, ein neuer Autor habe das Drehbuch geschrieben. Er meinte, ich sollte es versuchen.“
„Smitty Barone?“ Jeremiah lehnte sich zurück und ließ einen Arm auf der Rückenlehne der Couch ruhen. Besorgt verzog er das Gesicht. „Nie von ihm gehört. Ich mag den Gedanken nicht besonders, dass jemand, den ich nicht kenne, mit meinem Skript um sich wirft.“
Chloe nahm erneut ihr Glas und trank einen Schluck, um ihre Nervosität zu überspielen. „Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich angerufen habe.“
Das Drehbuch hatte sie von der ersten Zeile an in seinen Bann gezogen. Sie fühlte sich Esther so nahe wie einer Freundin, die sie schon seit Kindertagen kannte. Wenn Jeremiah ihr eine Chance gäbe, würde sie jedes Fünkchen ihrer zwanzigjährigen Erfahrung in die Rolle hineinlegen.
„Nun, wie die Dinge liegen, haben wir Sabrina Fox in die nähere Auswahl genommen, uns aber gegen sie entschieden. Sie ist …“
„Zu schön.“ Chloe kannte Sabrina. Sie hatte Talent, das stimmte, doch ihre auffallende Schönheit lenkte von diesem Talent ab. „Sie ist vom Typ her kein Kolonialmädchen, ich dagegen schon.“
„Wir haben es auch mit Marilyn West versucht, waren aber nicht zufrieden. Wir haben uns gefragt, wer nun infrage kommen könnte.“ Jeremiah erhob sich von der Couch, setzte sich eine Brille auf und holte eine Kopie des Skripts. Jeremiah war ein wahres Wunderkind und hatte sich einen Ruf als Regisseur mit dem Oscar-preisgekrönten King Stephen I und nun mit der Adaption des Romans Someone to Love gemacht, die einen rauschenden Erfolg hatten. Eines Tages würde er eine Legende sein.
„Ich verstehe Esther Kingsley, Jeremiah. Ich fühle wie Esther. Ein Mädchen, das nach Liebe sucht und nicht glaubt, dass sie es wert ist.“
Er sah sie einen Moment lang an. „Dieses Chaos mit Haden hat dir wirklich schwer zugesetzt.“
Die Untertreibung des Jahres. Der letzten drei Jahre.
„Willst du mich vorsprechen lassen?“ Sie setzte sich auf die Kante der Couch. „Ich bin es leid, mich zu verstecken. Ich bin es leid, ständig zu sterben. Ich weiß, ich weiß. Ich stehe für einen bestimmten Rollentyp und bin daher ein Risiko. Aber wenn du mir eine Chance gibst … Bitte, Jeremiah, lass es mich versuchen.“ Chloe kramte in ihrer Tasche nach dem Skript und holte es hervor. Sie blätterte durch die Seiten und durchflog ihre Anmerkungen. „Ich liebe diese Geschichte. Ich kann es kaum glauben, dass sie von einem neuen, unbekannten Autor ist. Es steckt so viel Herz und Wahrheit in jedem Wort. Kaum zu glauben, dass er nicht selbst 1781 im Hinterland von South Carolina lebte.“
„Jesse Gates? Ja, er hat Talent. Warum glaubst du wohl, dass ich einen Film aus seinem Skript machen will? Er spielt übrigens selbst die Rolle von Flanders.“
„Wer spielt Hamilton?“ Der Held. Esthers Geliebter.
„Chris Painter.“
Chloe ließ sich zurücksinken. „Oh, ich verstehe.“ Sie wandte den Blick ab. Painter war eine alte Flamme aus ihrer Teenagerzeit, als sie beide in High School Follies spielten. Chris war derzeit der angesagteste Schauspieler überhaupt.
„Ist das ein Problem für dich?“
Chloe fasste sich und lehnte sich vor. „Ist es ein Problem für dich?“
„Nein. Aber ich will kein Drama auf dem Set. Ich will keine Romanzen unter den Schauspielern. Clive Boston hätte mir beinahe King Stephen I verdorben, als er sich in eine der Hofdamen verliebt hat. Es war das reinste Chaos.“
„Geschenkt. Chris ist mit Ginger Winters liiert. Und ich bin … nun … mit niemandem zusammen.“ Chloe hatte ein Geheimnis: Aus ihrer Krise heraus hatte sie beschlossen, ernst mit der Sache mit „dem lieben Gott“ zu machen. Sie hatte sich auf eine Glaubensreise begeben und war dabei, sich intensiv mit der Bibel zu beschäftigen. Sie wollte versuchen, Gott an erste Stelle in ihrem Leben zu stellen und seine Gebote ernst zu nehmen. Das schloss auch ein, sich selbst anzunehmen Doch um das zu erreichen, würde sie übernatürliche Kraft benötigen. „Glaub mir, eine Romanze ist das Letzte, wonach mir der Sinn steht.“
Jedenfalls im Moment. Und für die Dauer des Films, sollte sie die Rolle bekommen.
„In Ordnung. Dann zeig mir mal, was du draufhast, Chloe Daschle.“ Jeremiah klappte das Skript auf. „Ach, da wir gerade von Romanze reden.“ Er kicherte leise. „Gehst du dieses Wochenende zur Steinbrenner-Hochzeit?“
„Natürlich. Ich bin Brautjungfer.“
Violet Steinbrenner war eine der besten Freundinnen von Chloe. Ihr Vater leitete eine große Produktionsfirma, während ihre Mutter mit ihrer Agentur vielversprechende Talente managte.
„Violet hat Laura dazu überredet, ein Solo zu singen.“ Jeremiah grinste. „Sie ist ein frustrierter Broadway-Star, weißt du.“ Er hielt das Skript hoch. „Also, Esther … Sie ist stark, und es braucht eine starke Schauspielerin, um sie darzustellen.“
Sein Satz stand wie eine Frage im Raum. Wie eine Frage, ob Chloe sich sicher sei, dem gewachsen zu sein.
Chloe starrte ihn quer durch den Raum an. „Ich muss es tun, Jeremiah. Ich kann nicht länger diejenige sein, die immer nur stirbt. Ich spüre, dass ich dabei bin, diese Frau zu werden, und jeder Teil meines Lebens ist davon betroffen. Ich will, ich muss die Frau sein, die lebt.“ Sie sah ihn prüfend an und schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, vielleicht sollte ich aufhören mit der Schauspielerei. Etwas ganz anderes tun. Schreiben. Regie führen. Unterrichten.“
„Ich hasse es, was diese Stadt aus der Seele eines Menschen macht.“ Seine Ehrlichkeit war deutlich spürbar. „Gib nicht auf, Chloe. Es stimmt, dass du in einer bestimmten Rolle feststeckst. Aber du bist auch eine wirklich talentierte Schauspielerin.“
„Könntest du dir vorstellen, die Filmgesellschaft zu überzeugen? Ich meine … wenn du mich als Esther haben willst?“ Nervös klopfte sie mit den Fingern gegen das Skript.
Sie hatte Hunderte Male ein Casting mitgemacht. Sie kannte den Ablauf. Wenn die Filmgesellschaft – mit anderen Worten das Geld – einen Schauspieler oder eine Schauspielerin nicht mochte, egal, wie glänzend er oder sie die Rolle spielte, dann war es aus.
„Ich habe ein wenig Handlungsspielraum.“ Er deutete auf das Skript. „Lass uns anfangen.“
Chloe sprang zu der Szene, in der Hamilton Esther besuchte, um ihr mitzuteilen, dass er mit der Miliz von South Carolina fortgehen würde.
Chloe schloss die Augen und begab sich gedanklich zurück ins Jahr 1781, in ein unbesiedeltes Land, in ein Holzhaus, wo es so köstlich nach gebackenem Brot duftete, dass ihr Magen zu knurren begann. Auf dem Hof scharrten Hühner und Hunde bellten. Ein Pferd spähte aus einem Stallfenster. Rinder wanderten über die winterlichen Hügel.
Der Unabhängigkeitskrieg hatte sich in südliche Richtung verlagert und sich in der Kolonie breitgemacht, wo Farmer, Jäger und Händler die Bevölkerung bildeten. Es waren raue, hart arbeitende Menschen, die sich mühsam mit ihren eigenen Händen ein Leben aufbauten.
Esther: Du darfst nicht fortgehen … nicht mit der Miliz. Vater wird mit General Cornwell sprechen. Du könntest dich seinen Truppen anschließen.
Hamilton (erhitzt): Du hast gehört, was Huck und seine Männer in Hill’s Ironworks getan haben … die Überfälle auf die Presbyterianischen Kirchen. Von York bis nach Ninety Six. Soll ich wie ein Feigling zugucken? Muss ich dich daran erinnern, was die Rotröcke meinem Vater angetan haben?
Esther: Ich habe nichts vergessen. Aber du solltest versuchen, zu vergessen – und zu vergeben. Wenn du dich in den Kampf stürzt, wird ihn das nicht zurückbringen. Und auch dein Schmerz wird dadurch nicht kleiner. Ich glaube, dein Vater wäre froh, wenn du ein langes Leben lebst und Enkelkinder hast, die den Namen Lightfoot weitertragen. Und was ist mit dem Versprechen, das wir einander gegeben haben? Bin ich etwa nicht wichtig? Habe ich gar nichts zu sagen?
Hamilton: Habe ich etwa mein Wort nicht gehalten? Habe ich ein Versprechen gebrochen? Wenn ich einfach danebensitze und mit ansehe, wie meine Landsleute, meine Kameraden sterben – was sagt das über mich als Mann, Freund und Nachbar aus?
Esther: Ja, du brichst dein Wort, wenn du dich einem Kampf anschließt, der nicht gewonnen werden kann. Und wenn du von einer Muskete der Torys oder einem Bajonett getötet wirst? Wie kannst du mich heiraten, wenn du tot bist und unter der Erde verrottest? Und wofür? Für ein paar Dollar Steuern? Eine Tasse Tee? Die Unabhängigkeit von unserem Heimatland, das uns so gut behandelt hat?
Hamilton: England? Mein Heimatland? Nein, Esther, der Boden, von dem du sagt, dass ich darin verrotten werde, ist meine Heimat. Mein Erbe ist hier, in diesem Land. England? Ich war nie dort. Nein, ich sage dir: Amerika ist mein Land.
Esther: Deine Freunde und Nachbarn kämpfen für die Krone. Wagst du es wirklich, gegen sie die Waffen zu erheben? Gegen meinen Vater? Gegen meine Familie? Dann kannst du genauso gut auf mich zielen.
Hamilton: Ich kann nichts dafür, dass sie sich auf die Seite der Briten geschlagen haben. Sie kämpfen für die Tyrannei. Ich dagegen spreche für mich selbst und meine Familie. Wir kämpfen für die Unabhängigkeit.
Esther (späht umher und senkt die Stimme): Sprich nicht von diesem Verrat im Haus meines Vaters. Es gibt keinen treueren Tory in der Kolonie.
Hast du vergessen, dass er dich wie einen Sohn liebt? Wenn du dich der Miliz anschließt, wirst du sein Herz und meines brechen.
Hamilton (streckt die Hand nach ihr aus): Und du brichst mir jetzt das Herz. Wie soll ich zwischen Liebe und Krieg entscheiden?
Esther (fällt ihm weinend in die Arme): Entscheide dich für mich, Hamilton. Wenn du mich wirklich liebst, dann entscheide dich für mich.
Chloe ließ die Seite sinken und warf einen Blick auf Jeremiah, der ausdruckslos auf sein Skript starrte.
In seine Arme fallen … ihn anflehen zu bleiben. Diese Szene hatte sie mit Haden Stuart erlebt. Chloe hatte das Gefühl, diese letzte Zeile im Skript sei direkt von ihrem viralen Video inspiriert worden. Hatte Jesse Gates es gesehen? Schwer zu sagen, aber als das Video zwanzig Millionen Views erreicht hatte, hatte Chloe es aufgegeben, sich zu verstecken und sich zu verteidigen. Sie hatte die Wahrheit akzeptiert: dass ihre zerschmetternde Demütigung Teil der Popkultur geworden war.
„Nun …“ Jeremiah seufzte, warf das Skript auf den Tisch, griff nach seinem Wasserglas und nahm einen großen Schluck.
„Was?“, fragte Chloe. „Ich habe sie übertrieben gespielt, ist es das? Lass es uns noch einmal lesen. Ich kann ihr eine leisere Tonart geben. Ich war mir nicht ganz sicher mit dem Akzent. Eher britisch oder eher südstaatlich? Liebe Güte, ich will ja keine Scarlett O’Hara spielen. Das wäre falsch.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Ich bin so sehr an das Drama des Sterbens gewöhnt und … Weißt du was?“ Sie stopfte das Skript in ihre Tasche. „Es ist in Ordnung. Ich bereue nicht, es versucht zu haben. Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, Jeremiah. Wir sehen uns dann bei der Hochzeit.“
„Setz dich.“ Jeremiah zeigte auf den Sessel und sprach mit seiner Regisseur-Stimme: „Du gehst nirgendwohin.“
Chloe sah Jeremiah verwirrt an. Zögerlich nahm sie wieder Platz. Ein Kribbeln machte sich in ihrem Bauch breit.
„Ich kann es einfach nicht glauben, dass ich nicht selbst auf die Idee gekommen bin, dich vorsprechen zu lassen. Wow, Chloe. Du bist so viel besser, als du selbst über dich denkst. Besser, als ich dachte.“ Seine Augen glitzerten, während er sprach.
„I-ich … Was? Wirklich?“ Sie strahlte. „Du willst mich für die Rolle?“ Es fühlte sich an, als ob ein Festumzug mit Trompeten und Luftballons durch sie hindurchströmte. „Wie … wie wirst du es der Filmgesellschaft beibringen?“
„Das lass mal meine Sorge sein.“ Er reichte ihr die Hand. „Willkommen in Bound by Love, Chloe Daschle. Ich werde das Angebot an deinen Agenten mailen. Chip Mac, stimmt’s?“
„Ja, der reizende und liebenswerte Chip Mac.“ Sie ging zur Tür, doch nach wenigen Schritten drehte sie sich um, stürmte auf Jeremiah zu und umarmte ihn. „Danke, danke, danke! Ich werde dich nicht enttäuschen, Jeremiah. Ich werde mein ganzes Herz in diese Rolle legen. Warte nur ab.“
Noch wie war der Himmel so blau gewesen, nie hatten die Vögel schöner gesungen. Dieser Film würde ihr Leben verändern. Sie spürte es.
Er hätte nie geglaubt, eines Tages am Meer zu leben. Über diese gewaltigen Wassermassen zu blicken, machte ihn immer noch nervös.
Acht Jahre nach seiner Ankunft in Kalifornien, nach zahllosen romantischen Komödien, TV-Filmen und gescheiterten Sitcom-Sendungen hatte er endlich eine Goldgrube aufgetan. Echtes Hollywood-Gold. Nicht als Schauspieler, sondern als Drehbuchautor, mit einem Skript, das von der Überlieferung seiner Familie und dem Brief eines Vorfahren aus den Kolonien inspiriert war.
Ein Jahr später, nach vielen Runden voller Anmerkungen und Korrekturen – durchgeführt vom Direktor der Filmgesellschaft bis hin zum Hausmeister, so kam es ihm vor – erhielt Bound by Love endlich grünes Licht. Die Dreharbeiten würden im Spätherbst beginnen, unter der Regie keines geringeren als Jeremiah Gonda, einem der besten Regisseure in La-La-Land.
Jesse streckte sein Gesicht der salzigen Brise entgegen, die über die Veranda im dritten Stock seines gemieteten Strandhauses in Santa Monica wehte. Das Haus war ein wundervoller Deal, ausgehandelt von seinem Freund Smitty Barone.
Jesse war mit einem außergewöhnlichen Talent gesegnet, das war ihm mittlerweile bewusst. Nicht, dass er sich von Anfang an darüber sicher gewesen wäre. Natürlich hatte es Zweifel gegeben. Aber sein erstes Drehbuch innerhalb eines Jahres nach Fertigstellung zu verkaufen? Das war großartig. Reinste Film-Magie.
Auch wenn er bis jetzt noch nichts von diesem Gold in seiner Hand hielt … Das würde wohl noch ein Weilchen dauern. Sei’s drum. Das luxuriöse Strandhaus was mindestens ebenso magisch. Der Hauseigentümer wollte es nicht leer stehen lassen, während er ein Jahr lang geschäftlich unterwegs war. Jesse konnte es für einen Spottpreis mieten.
Er atmete tief die salzige Luft ein und zwang sich, seine Erinnerungen auszuschalten. In guten Zeiten war es am besten, die schlechten zu vergessen. Sein kürzlich gefundenes Glück ließ ihn glauben, er habe den Preis für die Vergangenheit bezahlt. Die Sache mit Loxley, auch wenn er sie nicht vergessen konnte, lag hinter ihm. Und dass sie ihm, wenn das überhaupt möglich war, vergeben hatte.
„Hier sind die Schlüssel.“ Smitty klopfte ihm auf die Schulter. Er stammte aus der Bronx, war klein und schlank mit dunklen Augen und einem sympathischen Lächeln. Ein italienischer Jude, das sagte er selbst über sich. Jesse war ihm an der Schauspielschule begegnet – oder war es bei seinem ersten bezahlten Job? Jesse konnte sich nicht mehr erinnern. In seinem ersten Jahr in Los Angeles war er noch unerfahren, gebrochen und verletzt gewesen. Er war damals gefangen in seinem Selbstmitleid.
Er steckte die Schlüssel in seine Hosentasche. „Wo ist der Mietvertrag? Ich würde ihn gern unterschreiben.“
„Hier geht’s lang.“ Smitty wies auf den Couchtisch aus Glas und Chrom im loftähnlichen Wohnbereich.
Das Haus bestand aus drei Etagen, jede verfügte über ein Schlafzimmer, ein Badezimmer und einen Wohnbereich. Küche und Wintergarten befanden sich auf der ersten Etage. Ein Studio voller Multimediageräte auf der zweiten. Ein Büro und Arbeitszimmer auf der dritten. Und jede Wand war aus Glas und gab den Blick frei über den Ozean.
„Hör mal, Archer Doyle ist ein anspruchsvoller Mensch, also gib gut auf das Haus acht.“ Smitty setzte sich auf das schokoladenbraune Wildledersofa und reichte Jesse einen vergoldeten Füller. „Ich habe ihm gesagt, du seist vertrauenswürdig, und er sagte nur: ‚Er soll meine Küchenarbeitsplatten nicht zerkratzen. Die sind aus Quarz!‘ – Ha!“
„Ich wüsste gar nicht, wo die Küche ist, wenn ich nicht beim Ankommen daran vorbeigelaufen wäre. Seine Arbeitsplatten haben nichts zu befürchten.“ Jesse überflog den Mietvertrag mit seinen juristischen Details. „Wann wird er zurück sein?“
„Frühestens in einem Jahr. Es könnte auch länger dauern. Er zieht ein neues Unternehmen in Asien hoch.“ Smitty wedelte mit der Hand über dem Vertrag. „Alles Standard, vertrau mir. Ich würde dich nie reinlegen.“ Er lächelte breit. „Ganz im Ernst, Kumpel. Ein Drehbuch mit Gonda Films und Premier Studios? Du bist ein absoluter Glückspilz, Mann! Hey! Glaubst du, da könnte auch für mich was drin sein?“
Smitty war eine Karikatur, der Stereotyp der Bronx. Doch Jesse mochte ihn. Er hatte sich als guter Freund erwiesen.
„Du weißt, dass Drehbuchautoren bei der Rollenvergabe nicht mitreden, aber lass doch deinen Agenten nach einem Casting fragen.“ Jesse unterzeichnete den Mietvertrag und gab Smitty das Papier und den Füller zurück. „Ich werde ein gutes Wort für dich einlegen.“
„Du bist der Beste, mein Freund, der Allerbeste!“ Smitty ließ sich auf das geschwungene Ledersofa zurücksinken. „Der MIT-Bildungsabschluss macht sich also gut in Hollywood.“ Er prustete. „Wie wär’s, wenn wir zusammen ein Geek-Drehbuch schreiben? Ein Computerfreak tut sich mit einem Nerd zusammen.“ Er wies auf sich selbst und ließ ein breites Grinsen sehen. „Und dann geben sie eine große Party, um Tussis aufzureißen …“
„Ein Geek-und-Tussi-Film? Zu viel Klischee. Vergiss es. Komm, hilf mir lieber beim Ausladen.“ Jesse lief zu seinem Wagen hinunter, um den ersten der vier Kartons und einen Koffer aus dem Kofferraum zu holen. Er reiste mit leichtem Gepäck. Seit er in L.A. angekommen war, hatte er stets kleine, möblierte Wohnungen gemietet. Seine Garderobe war auf das Nötigste beschränkt. Er hatte nichts gekauft, was nicht in seinen zehn Jahre alten Dodge RAM passte.
Nachdem er Smitty einen Karton gereicht hatte, nahm Jesse seinen Laptop, der ihm gleichzeitig als Fernseher diente, und zerrte seinen Koffer über die Heckklappe.
Noch zweimal hin und her und der Wagen war leer. Ein Karton stand im Badezimmer, und die übrigen im Wohnbereich auf der dritten Etage, direkt gegenüber vom Schlafzimmer. Der Raum war lang und hell. Jesses wenige Besitztümer veränderten den Raum nur geringfügig.
„Ich bin dann mal weg.“ Smitty klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken. „Halt die Augen auf für eine Rolle für mich, Kumpel!“
„Danke für alles, Smitty.“
„Wozu sind Freunde da?“ Er sah Jesse jetzt direkt an. Seine braunen Augen waren klar, durchdringend, beinahe strahlend.
Jesse trat von einem Fuß auf den anderen. „J-ja, genau.“
Manchmal schien Smitty eine Art sechsten Sinn zu haben. Doch dann, ganz plötzlich, war er wieder ganz der Alte – schnell, freundlich und liebenswert.
„Bis später, Kumpel.“ Das Zuschlagen der Eingangstür hallte in Jesse wider, und die vertraute Einsamkeit machte sich breit.
Nein … nein … Lass mich los …
Jesse schüttelte das Gefühl ab und griff nach dem ersten Karton. Er vermisste sein Zuhause – seine Eltern, seinen Bruder, seine Großmütter, Tanten und Onkel, seine Freunde. Doch wenn er nach Hause ging, kam die Erinnerung wieder. Alle schlichen dann auf Zehenspitzen um ihn herum, selbst noch acht Jahre später, um seinen geistigen wie emotionalen Zustand zu erspüren, ohne direkt danach zu fragen.
Jesse öffnete den Karton und holte eine Lampe und ein altes Bügeleisen heraus, das seine Mom ihm gegeben hatte und das er gelegentlich benutzte. Als Nächstes holte er ein Paket von Tante Pat hervor, das er vor Kurzem bekommen hatte. Die Möglichkeit, das Haus am Strand zu mieten, hatte sich so plötzlich ergeben, dass er noch keine Zeit gefunden hatte, es zu öffnen.
Er spürte, wie das Gefühl der Einsamkeit langsam verschwand, als er es sich auf dem Sofa bequem machte und das Klebeband abzog, das um einen alten Schuhkarton gewickelt worden war.
Tante Pat war die Historikerin der Familie. Sie fuhr kreuz und quer durchs Land, um Ahnentafeln und Kunstgegenstände, alte Tage- und Kochbücher, Bilder, Möbel und was immer sie finden konnte aufzutreiben, um den Gates-Williams-Fuller-Lightfoot-Stammbaum zusammenzufügen. Dieser Karton enthielt eine kleine, gerahmte Bleistiftzeichnung von Grandpa Hamilton Lightfoot, der die Inspiration zu Jesses Drehbuch gab.
Ich habe dies hier unter den Habseligkeiten meines Bruders John gefunden. Möge Gott seiner Seele Ruhe schenken. Ich musste an dich denken, als ich Grandpa Hamiltons Gesicht sah. Du siehst ihm sehr ähnlich. In dem Umschlag befindet sich der Originalbrief. Da du ein Drehbuch geschrieben hast, das auf Hamiltons Leben basiert, fand ich, dass du ihn haben solltest. Geh vorsichtig damit um, nimm ihn nicht zu oft in die Hand. Wenn du ihn erneut lesen willst, benutze lieber die Kopie, die ich dir geschickt habe. Jedes Mal, wenn ich den Brief lese, empfinde ich tiefe Ehrfurcht in dem Wissen, dass ich etwas lese, was einer meiner Ahnen vor zweihundertfünfzig Jahren geschrieben hat! Vergiss nicht, wir blicken auf ein langes, bedeutendes Familienerbe zurück. Ich bin stolz auf dich, lieber Neffe.
In Liebe, Tante Pat
Vorsichtig nahm Jesse den Brief aus dem Umschlag und blinzelte beim Anblick der langen, gewundenen Schrift. Die markante Handschrift bestätigte, dass der Brief von Hamilton Lightfoot geschrieben worden war. Tante Pat hatte sie mit Aufzeichnungen verglichen, auf denen Hamiltons Pensionsbezüge für seine Dienstzeit während des Unabhängigkeitskrieges vermerkt waren.
Der Brief war auf einem dicken, leinenen Bogen geschrieben, der oben geprägt war mit dem Namen Hamilton George Lightfoot. Das Papier war mit der Zeit vergilbt und die Ecken waren ausgefranst, doch die Schrift war deutlich zu lesen.
12. Juni 1802
Meine liebe Esther,
ich hörte von dem kürzlichen Ableben deines Gatten. Mein Herz trauert mit dir. Ich bete für dich. Möge der Friede Gottes dich tragen.
Meine Lydia starb im Kindbett, und ich habe John Hamilton Lightfoot mit Tante Marys Hilfe allein aufgezogen. Sie ist ganz vernarrt in ihn und verwöhnt ihn sehr. Doch ich muss zugeben, dass auch ich ihn ziemlich verhätschele. Er trägt den Namen meines Vaters und ist seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Doch während die Tage vergehen, denke ich weiter an dich. Und ich muss mir eingestehen: Ich vermisse dich. Ich hoffe und bete, dass dieses Eingeständnis dich nicht beschämt.
Es war eine Ehre für mich, im Krieg zu kämpfen. Doch zugleich empfinde ich tiefes Bedauern, weil der Krieg uns auseinandergerissen hat. Wie wäre unser Leben verlaufen, wenn ich damals nicht nach Cowpens gegangen wäre? Doch das spielt nun keine Rolle mehr. Wir haben unsere Entscheidungen getroffen. Ich hoffe, dass es dir und den Kindern gut geht.
Esther, ich muss dir bekennen, dass meine Zuneigung zu dir nach all diesen Jahren mein Herz nie verlassen hat. Ich frage mich, meine Liebste, ob du ähnlich empfindest? Würdest du am Ende vielleicht doch in Erwägung ziehen, mich zu heiraten?
Hier endete der Brief. Ohne Unterschrift. Ohne je abgeschickt worden zu sein. Und hier begann Jesses Drehbuch.
Habe ich deine Geschichte erzählt, Hamilton?
Jesse hatte nicht viel, auf das er sich stützen konnte. Nur den Brief und Tante Pats Familiengeschichte – die Esther nicht mit einschloss.
Doch die Frage, die ihn eigentlich umtrieb, die er sich selbst kaum zu stellen traute, weil sie seine Seele zutiefst erschütterte, war vielmehr: Hatte er seine eigene Geschichte erzählt?
Jesse wendete das vergilbte Papier, von der winzigen Hoffnung beflügelt, auf der Rückseite wären auf wunderbare Weise Worte aufgetaucht, die ihm mehr verrieten. Doch die Seite war leer. Es war diese Leere, zusammen mit der widerhallenden Leere in Jesses Brust, die ihn zum Schreiben des Drehbuches inspiriert hatte.
Die Lichter der Dachterrasse schalteten sich ein und zogen Jesses Blick auf sich. Er starrte auf die Terrasse und versuchte sich erneut vorzustellen, wie sein Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Großvater diesen Brief an eine Frau schrieb, die er nie geheiratet hatte. Hatte er Lydia nicht geliebt? Oder hatten ihr Tod und der Tod von Esthers Mann einer verborgenen Liebe neues Leben eingehaucht?
Was war mit seiner eigenen Liebesgeschichte? Seinen Fehlern? Was hätte Hamilton anders gemacht? Was würde Jesse anders machen, wenn er die Chance dazu hätte? Hätte er dann Loxley vielleicht nie einen Antrag gemacht? Wäre er nicht mir ihr hinunter zum Strand gegangen?
Hinter der Dachterrasse ging die Sonne am Horizont des Pazifiks unter und tauchte die Fenster in ein romantisch glühendes Licht. Jesse steckte den Brief behutsam zurück in den Umschlag, griff nach seinem Smartphone und ging aus dem Haus, den schmalen Weg hinunter über den warmen Sand. Er ging ans Ufer. Seit acht Jahren hatten seine Füße keinen Sand mehr berührt. Wenn er doch die Vergangenheit endlich hinter sich lassen könnte … Doch dafür müsste er alles, was er sich selbst vorwarf, endlich abschütteln. Vielleicht könnten die Wellen ihn von seiner Schuld reinwaschen, sie einfach fortspülen und mit sich nehmen in dieses unendliche Meer …
Doch anstatt bis zum Wasser zu gehen, grub er seine Füße in den weichen Sand ein. Er spürte einen Stich in seiner Brust. Jesse war sich sicher: Niemals würde er diesen Schmerz überwinden können. Kein Hollywood-Erfolg, keine Reichtümer, kein schickes Haus am Meer konnte diese Wahrheit auslöschen. Wie Grandpa Hamilton musste auch Jesse mit seinem Verlust leben.
Ninety Six, South Carolina Juni 1780
Zum letzten Mal hatte sie den Ozean überquert. Sicherlich würde Vater nicht von ihr verlangen, noch einmal über den Atlantik zu segeln. Sollte er es tun, würde sie sich weigern. Sie war nun alt genug mit ihren zweiundzwanzig Jahren. Sie hatte seine und Mutters Bitte erfüllt, und nun würde sie ihre eigenen Entscheidungen treffen.
Auf Vaters Wunsch hin war sie nach London gereist, um in die Gesellschaft eingeführt und bei Hof vorgestellt zu werden. Es sollte die Position ihres Vaters gegenüber seinem Arbeitgeber, Lord Whatham, dem Duke of Brogman stärken. Ihre Mutter lebte für nichts anderes als die Feine Gesellschaft. Dass sie ihre Tochter bei Hofe vorgestellt hatte, ließ ihr Ansehen bei der königlichen Familie und den Aristokraten gleichermaßen steigen. Der Himmel bewahre, dass irgendjemand Lady Olivia fragen sollte, warum sie viertausend Meilen von ihrem Mann und ihrer Tochter entfernt lebte.
Zurück auf der wunderschönen Anhöhe von Slathersby Hill hier in South Carolina, hatte Esther nicht die Absicht, je wieder fortzugehen. Dies war ihre Welt. Ihre Heimat. Hier war sie aufgewachsen. Hier hatte sie bei Festlichkeiten an der Seite ihres Vaters die Gastgeberin gespielt, hatte Würdenträger getroffen, darunter hochrangige britische Offiziere und sogar Lord Whatham, wenn er einen seiner seltenen Besuche machte.
Esther spähte aus ihrem Schlafzimmerfenster auf die Straße, die sich durch die grünen Hügel wand, und fragte sich, ob er heute kommen würde. Sie hatte vor drei Monaten von ihrer Rückkehr geschrieben. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, zurückzuschreiben. Er neigte nicht so sehr zum Schreiben, ihr Hamilton Lightfoot. Aber sie musste ihn bald sehen, sonst würde ihr Herz zerspringen.
„Miss Esther? Kann ich hereinkommen?“
Sie drehte sich zu Tür. „Bitte.“
Sassy schlich herein, mit einem Lächeln auf ihrem schönen, karamellfarbenen Gesicht. „Ihr Vater wartet mit dem Frühstück auf Sie.“ Sie durchquerte das Zimmer. „Soll ich das Fenster öffnen? Es ist furchtbar heiß hier drin.“
Sassy war eine Freigelassene und mittlerweile mehr ein Familienmitglied als eine Dienerin. Sie zog die Vorhänge zur Seite und schob das Fenster hoch. Der süße Duft des Sommers drang ins Zimmer.
„Hat Isaac meine Kisten gebracht? Ich habe Korrespondenz von Lord Whatham für Vater.“
„Ja. Kitch hat den Tee bereits ausgepackt. Die Welt ist wieder in Ordnung, seit der Teeschrank wieder gefüllt ist. Sir Michael trinkt gerade eine Tasse.“
„Ich bin nicht sicher, ob er mich ins Haus gelassen hätte, wenn ich nicht eine Kiste Bohea mitgebracht hätte. Ich habe in Charles Town eine ordentliche Abgabe dafür bezahlt.“
„Das ist es wert.“ Sassy drehte sich zur Reisetruhe um und hob den Deckel hoch. „Wie ich sehe, haben Sie einige hübsche neue Kleider mitgebracht.“
„Sie sind zu warm für South Carolina, aber Mutter hat darauf bestanden.“ Sie bürstete ihr Haar vor dem Spiegel und band es mit einer Schleife zusammen. „Hat während meiner Abwesenheit jemand nach mir gefragt?“
Sassy drehte sich zu ihr. „Wenn Sie Mister Hamilton meinen, nein. Nachdem sie fort waren, kam er zunächst jede Woche her. Er klopfte noch nicht mal an die Tür, er saß einfach auf den Stufen vor dem Haus und starrte auf die Straße. Der arme Junge war liebeskrank. Aber zwei Jahre sind eine lange Zeit, um zu schmachten.“
„Mr. Hamilton? Warum hätte er nach mir fragen sollen? Ich dachte an Jessica Warren oder Isobel Knight.“ Esther nahm die Bücher hoch, die sie für die Bibliothek gekauft hatte. Eine neue Ausgabe des English Dictionary und Band I von The Rise and Fall of the Roman Empire. „Hamilton Lightfoot.“ Sie lachte gezwungen. „Liebe Zeit, ich habe ihn völlig vergessen.“
„Natürlich.“ Sassys große braune Augen blitzten belustigt, auch wenn sie keine Miene verzog. „Und das ist auch gut so, denn es ist mehr als wahrscheinlich, dass er Sie vergessen hat.“
Esther zeigte keinerlei Regung. „Er ist bestimmt mittlerweile verheiratet.“ Sie klemmte sich die schweren Bücher unter den Arm. Ihr Herz klopfte heftig. Er hatte zuletzt vor sieben, nein, vor acht Monaten geschrieben. Genug Zeit, um sich in ein anderes Mädchen zu verlieben. Vielleicht hatte er aus diesem Grund den wenigen Briefwechsel, der zwischen ihnen bestanden hatte, eingestellt.
Ein Mann wir Hamilton Lightfoot brauchte eine Frau. Und welches Mädchen im Land würde sich ihm nicht in die Arme werfen? Mit seinem schwarzen Haar und den kristallblauen Augen sah er ausgesprochen gut aus, zudem war er freundlich und redegewandt und ein Verteidiger der Unterdrückten und Schwachen. Er war von kräftiger Statur, hatte etwas Grüblerisches an sich und verbarg womöglich eine gewisse Dunkelheit in seiner Seele.
„Verheiratet? Mr. Hamilton? Nicht dass ich wüsste.“ Sassy nahm ein rotes, seidenes Kleid aus der Truhe. „Wie wunderschön!“
Esther sah zu, wie Sassy das festliche Kleid vor ihren schlanken Körper hielt. Als Sassy Esthers Blick wahrnahm, ging sie schnell mit gesenktem Kopf zum Kleiderschrank.
„In diesem Kleid waren Sie sicher die Attraktion auf jedem Ball.“
„Das Rot passt wunderbar zu deiner Haut, Sassy. Du kannst das Kleid haben.“
Sassy hielt inne, das Kleid noch immer in Händen haltend. „Wie bitte, Miss?“ Langsam drehte sie sich um.
„Bitte, nimm das Kleid für dich. Ich bestehe darauf.“ Esther lächelte. „Es ist etwas zu eng für mich. Mutter behauptet, ich hätte in London zu viel Schokolade gegessen. Wir mussten meine Mieder herauslassen, und die Kleider meiner ersten Saison passen mir nicht mehr. Es gehört dir, Sassy. Das Kleid wird an dir ganz wundervoll aussehen.“
„Und wo soll ich so ein feines Kleid tragen? In der Kirche? Der Boden dort ist schmutzig und die Holzbänke voller Splitter. Die feine Seide würde beschädigt werden.“
„Dann leg eine Decke auf die Bank.“ Esther hievte die Bücher von einem Arm auf den anderen. „Oder noch besser: Trag es am Sonntagnachmittag, wenn du auf der Veranda sitzt.“
Vater gab seinem Dienstpersonal den ganzen Sonntag zum Ausruhen. Er hatte Sassy, ihren Mann Isaac und ihren vierzehnjährigen Sohn, der ebenfalls Isaac hieß, aber liebevoll Kitch genannt wurde, von einem Mann auf dem Weg nach Charles Town abgekauft, der die Familie trennen wollte. Lord Whatham, ein überzeugter Anhänger des Abolitionismus – einer Bewegung, die die Abschaffung der Sklaverei forderte –, hatte Vater dringend davon abgeraten, einen Menschen zu besitzen. Und Vater hatte sich immer daran gehalten – ohnehin gab es landeinwärts wenig Bedarf an Sklaven. Doch er hatte den Gedanken nicht ertragen können, dass Isaac, Sassy und Kitch getrennt werden sollten.
Isaac fungierte seitdem als Vorarbeiter und Vaters rechte Hand. Er half ihm, die Geschäfte von Lord Whatham zu verwalten – die Farm, den Handelsposten und die Jagd- und Trapper-Unternehmen.
Neben der Hoffnung, Hamilton wiederzusehen, spürte Esther eine Spannung in der Luft, die ihre Heimkehr überschattete. Der Krieg war während ihrer Abwesenheit in den Süden vorgedrungen. Die Londoner Zeitungen waren voll von Erzählungen über die bösen Whigs und die amerikanischen Rebellen. Doch sicher würde die Macht der britischen Armee schon bald die Rebellion niederschlagen. Vater hatte zwar geschrieben, dass die Kolonie Ninety Six der Krone treu blieb. Doch auf ihrem Heimweg hatte Esther eine Gruppe amerikanische Milizen gesehen, die zusammen mit Soldaten der Kontinentalarmee ausgebildet wurden. Erkannt hatte Esther die Rebellen an ihrer typischen Kleidung aus Hirschleder.
Sassy kam erneut auf das Kleid zu sprechen. „Sind Sie ganz sicher, dass Sie es nicht mehr möchten, Miss Esther?“ Doch sie hatte das Kleid bereits zur Seite gelegt.
„Ganz sicher.“ Esther senkte die Stimme. „Meine Brust quillt über das Schnürband hinaus, und das würde Vater niemals zulassen.“
„Vielleicht, aber ich wette, Mr. Hamilton würde das gefallen.“ Sassys unerschrockenes Lachen erfüllte den Raum.
„Sassy!“
„Kommen Sie, ich habe doch gesehen, wie Sie aus dem Fenster gesehen haben. Keine Sorge, er wird schon kommen. Gehen Sie jetzt zum Frühstück hinunter. Ihr Vater wartet auf Sie. Und vielen Dank für das Kleid. Ich habe noch nie etwas so Schönes besessen.“
„Und das tut mir leid für dich, Sassy.“
„Ach, der Herr sorgt für mich. Zur Feier des Tages werde ich zum Abendessen einen Kuchen backen. Extra für Sie! Ich habe getrocknete Äpfel und Kirschen.“
Esther stieg die breite, ausladende Treppe hinunter und betrat das Speisezimmer, wo Vater mit Leutnant Twimball von der Armee ihrer Majestät frühstückte.
Isaac begrüßte sie mit einem Nicken und hielt ihr den Stuhl hin. „Tee und Gebäck, Miss?“
„Ja, danke, Isaac.“ Esther legte die Bücher auf den langen, polierten Tisch. „Ich dachte, diese Bücher könnten dir gefallen, Vater. Das neueste English Dictionary und The Rise and Fall of the Roman Empire. Ich habe gehört, dass in Kürze ein zweiter Band herausgegeben wird.“
„Mein Schatz, du weißt, wie du deinem Vater eine Freude machen kannst.“ Vater strahlte und griff nach den Büchern, nachdem er seine Leinenserviette in seine Weste gestopft hatte. „Leutnant Twimball erzählte mir, du hättest eine schwere Reise von England hierher gehabt.“
Twimball, ein koboldhaft aussehender Mann, der von sich selbst große Stücke hielt, hatte sie mit ihrem Gepäck am Hafen von Charles Town getroffen. Er war dort, um neue Truppen aus London in Empfang zu nehmen, doch er bestand darauf, sie nach Hause zu begleiten, obwohl Isaac und Kitch an ihrer Seite waren.
Er schien sehr darauf erpicht zu sein, ihr den Hof zu machen. Sie fand diese Vorstellung eher abstoßend.
„Sehr schwer. Ich möchte dir etwas sagen, Vater. Dies war für lange Zeit meine letzte Reise, vielleicht sogar für immer. Ich hasse die hohe See.“ Allein beim Gedanken daran schauderte sie.
Vater lachte mit einem Seitenblick auf Twimball. „Nun sehen Sie, warum ich sie heimgeschickt habe. Sie brauchte eine gewisse Veredelung. Doch ich sehe, dass ihre Mutter auch nicht mehr Erfolg hatte als ich.“
„Warum? Weil ich meine Meinung offen ausspreche?“
Twimball sah zwischen ihnen hin und her. Seine dunklen Augen funkelten und seine dünnen Lippen lächelten geziert. „Mir scheint sie edel genug zu sein.“
Vater ignorierte die Bemerkung und nippte an seinem Tee. „Ich hoffe, du hast gut geschlafen, meine Liebe.“
„Sehr gut, danke. Ich hatte mich so sehr nach meinem eigenen Bett gesehnt.“
„Mögen Sie London nicht, Miss Longfellow?“, fragte Leutnant Twimball. „Sie sind doch nicht etwa eine Whig?“
„Ich bin eine aufrichtige Loyalistin. Was London betrifft, so waren die Straßen mit allerlei Unrat angefüllt. Ich bin mehr als dankbar, wieder zu Hause in den grünen Hügeln von South Carolina zu sein.“
Vater griff nach ihrer Hand. „Meine gute Tochter. Ich weiß, dass du eine loyale Tory bist, vor allem, nachdem du bei Hof vorgestellt wurdest.“ Er wedelte mit dem Finger Richtung Twimball. „Wir werden keinerlei Verrat auf Slathersby Hill dulden.“
„Wenn ihr mich fragt, so ist die Politik die Wurzel allen Übels“, sagte Esther. Ihr Magen knurrte, als Isaac eine Tasse dampfenden Tees und ein warmes Gebäckstück vor ihr absetzte. Die Süße der goldbraunen Flüssigkeit und der berauschende Duft von Sassys Backwerk und Butter ließ all ihre Erinnerungen hochkommen. „König George sagt von sich, ein Mann des Gebets zu sein. Dann können wir nur hoffen, dass er auf den Allmächtigen hört und diesen Krieg beendet.“
Vater lehnte sich zu Twimball hinüber. „Aus diesem Grund haben Frauen kein Wahlrecht. Sie haben keine Ahnung von Debatten und von den harten Linien, die ein Mann ziehen muss, um seine Grundsätze zu verteidigen.“
„Wenn wir wählen dürften, würde es keinen Krieg geben.“ Esther zeigte auf den Stapel Briefe, der in der Mitte des Tisches lag. „Wie ich sehe, hast du dein Päckchen von Lord Whatham geöffnet. Ist er zufrieden mit deinen Berichten?“
„Ja ja, er ist zufrieden.“ Vater griff nach einem der Briefe. Sein Gesicht hatte eine leichte Graufärbung. „Deine Mutter schreibt, du wärest der Mittelpunkt beider Londoner Saisons gewesen.“ Vater sah Esther mit schmalen Augen an. Wäre sie noch ein Kind, würde sie sich vor den nächsten Worten fürchten. „Sie schreibt, du hättest die Heimreise ohne ihre Zustimmung gebucht. Sie hatte gehofft, du würdest bei ihr in London bleiben und auf das Werben von Lord Berksham eingehen.“
„Lord Berksham ist ein guter Mann. Aber nicht für mich. Und London ist auch nichts für mich. Mein Zuhause ist Slathersby, nicht Grosvenor Square. Ich habe meine Pflicht erfüllt, oder nicht?“
„Sagen Sie“, erklang Twimball, „wo wohnt Ihre Mutter? Nicht hier bei Ihnen?“
„Meine Frau zieht es vor, in London zu leben, mit ihrer Familie und ihren Freunden. Ihr Vater, der Earl of Trent, steht auf sehr vertrautem Fuß mit dem König, und solche Ehren bedeuten ihr mehr als mir.“ Vater griff nach einem anderen Brief. Seine Stimme ließ keinerlei Emotion erkennen. „Twimball, Sie haben davon gesprochen, in Ninety Six Männer für die Armee Ihrer Majestät zu rekrutieren.“
Esther hatte schon vor Langem eingesehen, dass ihre Eltern einander nicht mehr liebten, und ihr eigener Wunsch nach wahrer Liebe wurde dadurch noch intensiver. Sie würde nicht wie sie sein und aus Gründen des Geldes und des gesellschaftlichen Ranges heiraten, um sich am Ende auseinanderzuleben und nur noch brieflich Kontakt zu halten.
„Es beginnt heute. Jeder gesunde Einwohner von South Carolina sollte seine Pflicht tun und in den Dienst der Krone treten.“
Esther strich eine dicke Schicht Marmelade auf ihr Gebäck. „Was ist mit denen, die sich auf die Seite der Unabhängigkeitserklärung geschlagen haben? Und auf die Seite des Kontinentalkongresses?“
„Das sind Verräter, die den Tod von Verrätern sterben werden.“ Der Leutnant schlug mit der Faust auf den Tisch. „Wir müssen diese Rebellion zerschlagen.“ Die Worte klangen hohl und prahlerisch in Esthers Ohren.
„Wenn der König seine Autorität wahren will“, sagte sie eigensinnig, „dann sollte er den Kolonien ihre eigene Vertretung zugestehen. Er sollte sich ihre Forderungen anhören.“
Vater lehnte sich mit ernster Miene zu ihr herüber. „Achte auf deine Worte, Tochter. Der Leutnant könnte sie missverstehen und berichten, Slathersby Hill stehe aufseiten der Rebellen. Unsere Scheunen und Häuser werden verbrannt werden und du wirst dich auf den Weg nach London machen, ob es dir gefällt oder nicht.“ Er lehnte sich mit einem verbindlichen Lächeln zurück. „Ich habe dem Captain soeben meine Unterstützung dafür zugesagt, Männer für die Sache des Königs zu rekrutieren.“
Twimball schnitt sich eine dicke Scheibe gebratenen Schinken ab. „Sie haben da ein feuriges Mädchen aufgezogen, Sir Michael. Sagen Sie, wie alt waren Sie, als Sie in South Carolina eintrafen?“
„Zehn. Meine Mutter wollte mich nicht im Weg haben.“
„Nun, heute scheint sie deine Gesellschaft zu genießen“, sagte Vater.
„Vielleicht.“ Doch es war zu spät. Esther zog South Carolina, ihren Vater und Hamilton vor. „Lieutenant, wie planen Sie die Rekrutierung vorzunehmen?“
„Indem ich die Wahrheit sage: Wir sind die größte Armee der Welt. Das sollte als Anreiz reichen. Sich uns nicht anzuschließen, wäre töricht. – Doch sagen Sie: Hat Ihre Mutter Sie schon damals ganz allein über den Atlantik reisen lassen?“
Wie neugierig er war! „Meine Gouvernante sollte mich eigentlich begleiten, doch am Tag vor der Abreise brannte sie mit einem jungen Mann durch. Also ging ich allein aufs Schiff.“ Sie war viel zu jung und zu stur gewesen, um die Gefahren einer solchen Reise abzuwägen.
„Ihre erste Reise? Allein? Sicherlich hat sich irgendjemand der Erwachsenen um Sie gekümmert?“
„Ich erzählte den Leuten, meine Mutter sei seekrank und liege in ihrer Kabine.“ Die Reise war von heftigen Stürmen heimgesucht worden. Das scharfe Heulen des Windes und das Krachen der Wellen gegen den Bug verfolgten sie noch immer in ihren Träumen. „Vater, sollen wir jetzt, da ich wieder daheim bin, ein Fest geben? Wir könnten unsere Bekannten aus der Stadt einladen.“
„Eine glänzende Idee.“ Er griff nach einem weiteren Brief. „Leutnant, Sie können direkt mit dem Rekrutieren beginnen. Schlagen Sie Ihr Hauptquartier in Slathersby auf. Wir werden die Einwohner zu einem großen Fest einladen. Jeder waffenfähige Mann wird zugegen sein.“
„Vater, wir wollen meine Heimkehr feiern, nicht die Pflichten von Leutnant Twimball. Es tut mir leid, Sir, aber Sie werden Ihre Rekrutierung woanders durchführen müssen.“
Die Unterhaltung stand still, als Vater seinen Brief las. Die Uhr in der Halle schlug neunmal. Die Porzellantassen und Untertassen klirrten, als Isaac frischen Tee nachgoss.
Vater stand plötzlich auf. „Entschuldigt mich.“
„Was ist los?“
„Nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest. Oh …“ Vater hielt auf der Schwelle der hohen, bogenförmigen Tür inne, die ins Wohnzimmer führte. „Die Lightfoots. Wir stehen nicht länger auf freundschaftlichem Fuß mit ihnen. Du solltest dich von Quill Farm fernhalten.“
„Fernhalten?“ Esther sprang auf und warf den Stuhl um. „Nicht länger auf freundschaftlichem Fuß? Was soll das heißen? Es sind unsere Freunde und Nachbarn.“
„Der Pfarrer ist ein Verräter. Nicht nur an der Krone, sondern auch an uns.“
„Ganz sicher nicht, Vater. Er ist ein Mann Gottes. Du hast doch seine Predigten befürwortet …“
„Esther, keine Diskussion.“ Vaters bohrender Blick ließ sie zurückweichen. „Möglicherweise habe ich dir zu viel Freiheit gelassen, um deine Meinung ohne Vorbehalt auszusprechen, aber in diesem Punkt wirst du mich nicht von meiner Haltung abbringen. Die Lightfoots sind ab jetzt unsere Feinde. Habe ich mich klar ausgedrückt?“
Hinter ihr richtete Isaac den Stuhl und Esther ließ sich langsam darauf sinken. „Ja, Vater.“ Sie hatte keine andere Wahl, als ihm zu gehorchen.
Als Vater außer Hörweite war, räusperte sich Leutnant Twimball und stellte seine Tasse ab. „Major Ferguson hat versucht, den jungen Lightfoot …“
„Hamilton.“
„… für unsere Sache zu gewinnen. Aber er weigert sich. Er ist auch ein Rebell.“
Esther hielt ihre Teetasse krampfhaft fest. Twimball redete weiter, doch sie hörte nicht zu. Sie hatte Vater noch nie so hart und unerbittlich erlebt. Es machte ihr Angst. Wie konnte er den Lightfoots die Freundschaft aufkündigen? Ihr Schweiß und ihre Mühe waren Teil von Slathersby Hill. Doch Vater war ihre ganze Welt, und sie würde kein Zerwürfnis zwischen ihnen zulassen. Vor allem nach ihrer langen Abwesenheit. Es sollte eigentlich eine glückliche Rückkehr sein.
Als sie vor zwölf Jahren in Charles Town angekommen war, hatte sie sich so allein und furchtsam gefühlt, wie kein Kind es verdiente, und sie hatte sich verzweifelt und voller Inbrunst an ihren Vater geklammert. Er hatte sie ganz mit seiner Liebe umgeben. Es gab niemanden, den sie mehr bewunderte.
Bis zu dem Tag, an dem sie Hamilton Lightfoot nicht länger als den nervigen Jungen von der Nachbarfarm betrachtete, mit dem sie Flusskrebse im Bach fing, sondern als den gut aussehenden, eleganten Mann mit dem selbstvergessenen Lächeln und den leuchtenden Augen.
„… Miss Esther? Haben Sie mir zugehört?“ Twimball lehnte sich vor, seine Arme ruhten auf der Kante des Tisches. „Ich bin froh, dass wir diesen Moment allein verbringen. Ich möchte die Erlaubnis Ihres Vaters einholen, um Sie zu werben.“
„Um mich zu werben?“ Esthers Tasse schepperte gegen die Untertasse. „Wie freundlich, Leutnant. Ich fühle mich geehrt. Aber ich bin gerade erst aus London zurückgekehrt, und die Saison war sehr anstrengend. Ich bin es müde, kokett zu sein und hinter einem Fächer zu lächeln. Wenn dieser schreckliche Krieg vorbei ist, werden Sie ohnehin nach England zurückkehren. Ich dagegen bin fest in South Carolina verwurzelt.“
Der Leutnant erbleichte und wich zurück. „Sie wollen mir keine Chance geben? Darf ich fragen warum? Sie haben doch sicherlich keine andere Verbindung?“
„Aber, Leutnant Twimball, wissen Sie denn tatsächlich so wenig über das schöne Geschlecht?“ Esther tupfte ihre Lippen mit der Serviette ab und schenkte dem Leutnant ein scheues Lächeln. „Eine Frau gibt nie ihre Geheimnisse preis.“
Ja, es gab jemand anderen. Und kein Bewerber in den Salons oder Ballsälen Londons konnte es mit ihm aufnehmen.
Isaac kam mit einer Nachricht in der Hand zurück. „Dies ist gerade für Sie abgegeben worden, Miss Esther.“
„Danke, Isaac.“ Sie drückte mit ihrer weißen Hand gegen seine dunkle. „Ich bin froh, wieder zu Hause zu sein, mit dir, Sassy und Kitch.“
„Uns geht es genauso, Miss. Slathersby Hill ist ohne Sie nicht dasselbe. Ihr Vater würde es nie zugeben, aber er war während Ihrer Abwesenheit zutiefst deprimiert.“
„Er hätte mich nie fortschicken sollen.“
Der Leutnant räusperte sich, stand auf, strich seine Jacke gerade und entschuldigte sich: „Ich muss mich auf den Weg machen. Ich werde mich von Ihrem Vater verabschieden und mich empfehlen.“
„Guten Tag, Leutnant.“
Isaac räumte das Geschirr ab und Esther war allein. Sie hielt das Kuvert auf dem Schoß, öffnete es und las vier einfache Worte:
Sonnenuntergang, bei der Trauerweide.
In ihrer Brust begann es zu hämmern. Die Stunden würden viel zu langsam vergehen. Er wusste also, dass sie heimgekehrt war. Esther ging zum Fenster und blickte über den Garten die Straße hinunter, zu den Feldern und den langen Schatten im Morgenlicht. Sie musste etwas finden, das sie bis zum Abend beschäftigen würde, sonst würde sie verrückt werden.
Der Gedanke, zu den Waffen zu greifen, lähmte ihn. Als Junge hatte er in Virginia gesehen, was ein Mann einem anderen mit der Muskete in der Hand antun konnte, und das wollte er nie wieder erleben. Doch tief in seinem Innern ahnte Hamilton, dass er diesem Krieg nicht ausweichen konnte. Er musste gegen diese Ungerechtigkeit kämpfen. Wenn er sich klarmachte, worum es ging, sehnte er sich beinahe danach zu kämpfen. Es brauchte nur den richtigen Grund, um seine Leidenschaft freizusetzen. Die Männer, die am Küchentisch seines Onkels saßen, darunter John Irwin, Captain der Upper Ninety Six Miliz, versuchten genau das – ihm einen Grund zu geben.
„Ham, wir brauchen deine Fähigkeiten.“ Sein Freund Ben Quincy stützte seine Ellbogen auf den Tisch. Das orangefarbene Licht des Sonnenuntergangs spiegelte sich in seinen Augen wider.
„Ich bin nicht darauf erpicht zu töten.“ Er ließ seinen Verstand, nicht seine Leidenschaft, sprechen.
„Du bist der beste Schütze im Hinterland“, sagte Irwin. „Wir könnten dich als Scharfschützen einsetzen.“
Neben Irwin saßen William und John Brown und Jacob Broadway. Sie schlürften Kaffee und genossen dankbar Tante Marys Abendessen.
„Ich kann ein Eichhörnchen aus sieben Yards Entfernung treffen, aber ich will nicht auf Menschen zielen.“ Hamilton stieß sich vom Tisch ab und ging auf die offene Hintertür zu. Eine leichte Brise wehte ins Innere. „Es tut mir leid, dass ihr eure Zeit verschwendet habt.“
„Bist du ein Loyalist?“, schaltete sich Jacob ein. Als Hamilton im Alter von zehn Jahren in die Gegend gekommen war – verängstigt, verwundet und allein –, hatte Jacob ihn freundlich, ja väterlich behandelt. Hamilton hatte großen Respekt vor ihm. „Willst du einen Rotrock tragen?“
Onkel Laurence stützte sich auf seinen Stock. Die Gicht hinderte ihn daran, zu kämpfen. „Er ist kein Loyalist, glaubt mir.“
Hamilton kam zum Tisch zurück. Er war unruhig. Die Sonne bewegte sich gegen Westen, und wenn er diese Männer nicht schnellstens loswürde, könnte er nicht rechtzeitig bei Esther an der Trauerweide am Bach sein. Sie würde glauben, er hätte sie versetzt.
„Und was ist mit Ihnen?“ Irwin wandte sich an Onkel Laurence. „Sie haben gehört, was Captain Huck und seine Männer den Presbyterianischen Kirchen antun. Sie brennen sie nieder. Nennen sie Häuser der Aufwiegler. Wollen Sie sich uns anschließen?“
„Wir haben von Huck, Waxhaw und dieser Sache in York in Hill’s Ironworks gehört, Captain.“ Onkel Laurence zeigte auf seine Füße. „Aber so weit kann ich nicht laufen. Ich werde meinen Teil hier beitragen. Ich habe im Siebenjährigen Krieg gekämpft und ich stehe hinter eurer Sache. Aber ich nütze euch am meisten als Prediger auf der Kanzel, und ich beschütze die Frauen und Kinder hier.“
„Ich habe Ihre Predigten gehört, Sir. Sie haben mein Herz für das Land und meinen Gott berührt.“ Irwin klopfte Onkel Laurence auf den Rücken und kehrte zu Hamilton zurück.
„Die Miliz ist keine reguläre Armee. Du kannst für drei Monate kommen, und wenn die Zeit um ist, kannst du heimkehren, wenn du bis dahin nicht auf den Geschmack gekommen bist. Jeder Amerikaner und Bewohner von South Carolina sollte sich um die Sache der Freiheit bemühen.“
„Ich muss meiner eigenen Meinung folgen.“
„Willst du deine Nachbarn und Freunde verleugnen, wenn wir dich am meisten brauchen?“, fragte Ben. „Kein Mann in der Gegend kann sich mit deinen Fähigkeiten messen.“
„Ihr braucht meine Fähigkeiten nicht. Was ist mit den regulären Soldaten Virginias? Man sagt, es seien die besten Scharfschützen.“
„Wir brauchen mehr davon. Komm mit uns zur Front.“ Ben gab nicht auf. Die anderen nickten, während sie ihren Kaffee tranken.
„Du bist ein guter Presbyterianer, oder nicht?“ Hamilton hasste es, wenn Irwin an seine geistliche Seite appellierte. „Willst du etwa Huck mit seinen Gräueltaten davonkommen lassen?“
„Indem ich selbst Gräueltaten verübe?“
„Jetzt mach mal einen Punkt, Sohn“, sagte Onkel Laurence. „Der Herr erlaubt das Töten während des Krieges.“
„Das heißt nicht, dass ich Teil davon sein muss.“
„Dieser arrogante Huck würde selbst dann den Sieg beanspruchen, wenn der Herr Jesus Christus persönlich herabkäme, um unsere Seite anzuführen“, sagte Ben.
Hamilton griff nach einer Scheibe Brot. „Ich bin sicher, dass der Herr mich nicht braucht, um seinen Namen zu verteidigen. Er ist sehr gut allein in der Lage dazu.“
„Du willst dich heraushalten, doch du wirst gezwungen sein, dich zu entscheiden“, sagte John Brown. „Und dann wirst du dich vielleicht in der Situation wiederfinden, deine Muskete gegen uns zu richten.“
„Wir werden Huck morgen früh verfolgen und die Streitkräfte in York verstärken.“ Captain Irwin ging auf die Tür zu, die anderen folgten ihm. „Wir treffen uns in der Dämmerung bei der Thompsons Farm.“
„Ich wünsche euch alles Gute, meine Freunde“, sagte Hamilton.
Als sie fort waren, schienen die Worte in der Küche nachzuhallen. Onkel Laurence ging zum Wohnzimmer, während Tante Mary sich um den Abwasch kümmerte.
„Angst ist ein schlechter Ratgeber, Hamilton“, sagte sie zu ihm gewandt, während sie ihre Hände an der Schürze abwischte.
„Allerdings. Aber es ist nicht die Angst vor dem Kampf, die mich bindet.“ Er nahm den Hut vom Haken an der Tür. „Danke für das Abendessen, Tante. Ich habe jetzt noch etwas vor.“