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Das Verhältnis von Arbeit und Kapital hat sich seit den siebziger Jahren verschoben. Arbeit wird heute deutlich geringer honoriert als Kapitalbesitz. Deshalb können wir uns häufig den Lebensstil unserer Eltern nicht leisten, deshalb sind viele Arbeitnehmer trotz Vollzeitjobs auf staatliche Hilfe angewiesen, deshalb fällt es Millionen Menschen schwer, eine substanzielle Alterssicherung anzusparen. ZEIT-Redakteur Mark Schieritz macht deutlich, wie dieses Missverhältnis das gesellschaftliche Gleichgewicht und die wirtschaftliche Stabilität bedroht.
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Seitenzahl: 147
Mark Schieritz
Der Lohnklau
Warum wir nicht verdienen, was wir verdienen, und wer daran schuld ist
Knaur e-books
In den zurückliegenden Jahrzehnten haben sich die Einkommen in Deutschland, allgemein in der westlichen Welt, sehr einseitig zugunsten der Kapitalerträge und zu Lasten der Lohnarbeit verschoben. Immer größere Teile der Unternehmenserträge werden an Kapitaleigner und nicht an die Belegschaft umverteilt. Das hat massive Auswirkungen nicht nur auf Wohlstand und soziale Teilhabe breitester Bevölkerungsschichten sondern auch auf volkswirtschaftliches Wachstum und die Stabilität von Volkswirtschaften. Mark Schieritz, wirtschaftspolitischer Korrespondent der Zeit in Berlin legt die verhängnisvolle Entwicklung dar, die ihren Anfang in den frühen siebziger Jahren genommen hat, und zeigt Wege auf, wie Volkswirtschaft und Gesellschaft durch Lohngerechtigkeit wieder in eine gesunde Balance zu bringen sind.
Wenn Admiral sich in seiner Welt umsah, dann war alles so, wie es sein sollte. Die Felder, die gepflügt werden mussten. Die Droschken, die darauf warteten, fortbewegt zu werden. Die Armeen, die in den Krieg ziehen wollten. Admiral konnte sich sicher sein, dass die Arbeit nie ausgehen würde. Er würde gebraucht werden, genau wie seine Verwandten. Seine Nachkommen würden zahlreich sein, und vielleicht würde man ihm, wenn er alt ist, das Gnadenbrot gewähren. Es kam anders. Admiral und die Seinen waren schon bald so überflüssig wie eine Fuhre Sand in der Wüste. Niemand rief sie, um Felder zu pflügen, Droschken zu bewegen oder in die Schlacht zu ziehen. Innerhalb weniger Jahre verschwand Admirals Rasse vom Erdboden.
Admiral ist ein Clydesdale Horse, ein englisches Arbeitspferd im ausgehenden 19. Jahrhundert. Mit dem Aufstieg des britischen Königreichs zur Weltmacht stieg auch die Zahl seinesgleichen rasant an. Im Jahr 1901 erreichte sie mit 3,25 Millionen einen Höhepunkt. In England, Schottland, Wales und Irland kam damals ein Pferd auf zehn Einwohner. 20 Jahre später waren bereits weniger als zwei Millionen Pferde im Einsatz, und heute sind sie aus dem Arbeitsleben praktisch komplett verschwunden. Mit der Erfindung des Verbrennungsmotors gab es für sie keine Verwendung mehr. Ökonomisch gesprochen: Der durch den Einsatz eines Pferdes zu erzielende Verdienst reichte nicht aus, um die Kosten für den Unterhalt abzudecken. Das Pferd, so formuliert es der britische Wirtschaftshistoriker Gregory Clark, war das erste Opfer der Industrialisierung.
Sind wir das nächste? Wird also der Mensch aus der Arbeitswelt verdrängt, »genauso wie einst das Pferd durch die Einführung des Traktors aus der landwirtschaftlichen Produktion verschwunden ist«, wie es der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Wassily Leontief prophezeite?
Die vergangenen 30 Jahre jedenfalls waren für die Arbeitnehmer in der westlichen Welt verlorene Dekaden. Während die Gewinne der Unternehmen immer schneller steigen, gingen Arbeiter und Angestellte sogar in wirtschaftlich guten Zeiten oftmals leer aus. In den sieben führenden Industrienationen ist der Anteil der Arbeitnehmerverdienste an der gesamten jährlichen Wirtschaftsleistung von mehr als 70 Prozent im Jahr 1971 auf zuletzt nur noch 64 Prozent gefallen. Arbeitnehmerrechte wurden geschleift, die Gewerkschaften sind nur noch ein Schatten ihrer selbst, Billigwaren aus Asien überschwemmen die Märkte, und immer leistungsfähigere Maschinen und Roboter machen dem Menschen seine Rolle als Krone der Schöpfung streitig. Der Kapitalismus bezieht seine Legitimität aus dem Versprechen, alle Menschen reicher zu machen. Wer von seiner Hände Arbeit leben musste, ist zuletzt oftmals nicht reicher, sondern ärmer geworden. Auch in Deutschland. Deshalb sind viele Arbeitnehmer trotz Vollzeitjob auf staatliche Hilfen angewiesen, deshalb schaffen es Millionen von Menschen auch in der Mittelschicht nicht, ausreichend Geld fürs Alter anzusparen.
Dieser Lohnklau ist die vielleicht wichtigste Ursache für die ökonomischen Weltprobleme im 21. Jahrhundert: Er hat dafür gesorgt, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergegangen ist. Er hat zur Folge, dass in weiten Teilen der Bevölkerung die Zweifel an der herrschenden Wirtschaftsordnung wachsen. Und er ist mit dafür verantwortlich, dass in der Weltwirtschaft eine Krise auf die nächste folgt – denn ohne eine ausreichende Kaufkraft der Bevölkerung droht jedem marktwirtschaftlichen System der Zusammenbruch.
Doch Geschichte wird von Menschen gemacht. Dieses Buch zeigt auf, warum wir nicht verdienen, was wir verdienen. Es erklärt, warum der Lohnschwund kein Schicksal ist und was wir dagegen tun können: als Arbeitnehmer, als Verbraucher und als Wähler. Es stellt die Frage, ob innovative Ideen wie ein allgemeinen Grundeinkommen eine Lösung sein können. Karl Marx hat dem Kapitalismus einst den Untergang vorhergesagt, weil er davon überzeugt war, dass der Kapitalismus früher oder später an seinen inneren Widersprüchen zugrunde geht. Es kam bekanntlich anders. Er hat der Menschheit quer durch alle Schichten zuvor unvorstellbaren materiellen Wohlstand beschert. Aber dieser Wohlstand musste erkämpft werden. Er ist das Ergebnis eines jahrhundertelangen Ringens um die Früchte der Arbeit. Dieses Ringen geht nun in die nächste Runde.
Geiz ist geil!
Saturn
Erinnern Sie sich an »Sabine Christiansen«? So hieß eine Talkshow der gleichnamigen Moderatorin, die fast zehn Jahre lang am Sonntagabend zur besten Sendezeit in der ARD lief. Bei »Sabine Christiansen« traf sich um die Jahrtausendwende alles, was in Politik und Wirtschaft Rang und Namen hatte. Die Sendung war in ihren Hochzeiten so etwas wie Ersatzparlament und Salon in einem. Sie hatte enormen Einfluss auf die politischen Debatten jener Jahre. In diesen Debatten ging es fast immer um die desolate wirtschaftliche Lage. Deutschland machte damals eine der schwersten ökonomischen Krisen der Nachkriegszeit durch. Mehr als fünf Millionen Menschen waren ohne Arbeit, die Staatskassen leer und die Zukunftsaussichten düster. Als der damalige Bundespräsident Horst Köhler das Parlament auflöste, zeichnete er in einer dramatischen Rede das Bild eines Landes, das am Abgrund steht.
In der Sendung wurden die vielfältigen und komplizierten Ursachen der deutschen Krise von den immer gleichen Ökonomen und Wirtschaftsvertretern zumeist einem simplen Deutungsschema untergeordnet. Der Staat: zu fett. Die Löhne: zu hoch. Die Arbeitnehmer: zu faul. »Melkkuh Sozialstaat – sind wir ein Volk von Abzockern« lautete das Motto einer Sendung. »Arm durch Arbeit, reich durch Hartz IV« das einer anderen.
Die Nichtregierungsorganisation LobbyControl hat »Sabine Christiansen« in einer Studie als »Schaubühne der Einflussreichen und Meinungsmacher und als Plattform für einen neoliberal geprägten Reformdiskurs« bezeichnet. Das mag übertrieben sein, doch im Rückblick ist nicht zu übersehen, dass sich in diesen Jahren eine Interpretation der wirtschaftlichen Probleme des Landes durchsetzte, die dann in Gestalt der Agenda 2010 politische Konsequenzen hatte und die heute noch die öffentliche Diskussion bestimmt. Nach dieser Lesart war Deutschland wegen seines verkrusteten Arbeitsmarkts und seiner hohen Löhne auf dem Weltmarkt schlicht nicht mehr wettbewerbsfähig. Deshalb müssten die Kosten runter, denn sonst würden die Unternehmen ihre Produktionsstätten nach Indien, China oder Marokko verlagern. Und deshalb sei es sinnvoll, auf Einkommen zu verzichten. Denn eine schlecht bezahlte Arbeit sei doch besser als überhaupt keine Arbeit.
Das ist nicht alles komplett falsch, aber es ist nur die eine Hälfte der Wahrheit.
Die These dieses Buchs lautet, dass die Welt heute in einer besseren Verfassung wäre, wenn damals auch über andere Wege aus der Krise diskutiert worden wäre. Wenn man berücksichtigt hätte, dass der Lohn nicht nur Kosten verursacht, sondern auch Einkommen schafft. Wenn der Ausbau von Arbeitnehmerrechten als Errungenschaft begriffen worden wäre und nicht als Anachronismus. Inzwischen müssen sich die deutschen Unternehmen sogar von Ben Bernanke, dem langjährigen Präsidenten der amerikanischen Notenbank Federal Reserve, sagen lassen, dass ihre Beschäftigten in den vergangenen Jahren zu kurz gekommen seien und eine »substanzielle Lohnerhöhung« überfällig sei.
Wie konnte es so weit kommen? Wer die Gegenwart verstehen will, muss die Vergangenheit kennen. Deshalb beginnt diese Geschichte im alten Ägypten.
Wer baute das siebentorige Theben?In den Büchern stehen die Namen von Königen.Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Bertolt Brecht
Vor mehr als 3000 Jahren verfasste der Dorfschreiber einer Ansiedlung in der Nähe der ägyptischen Handelsmetropole Theben eine dringliche Note an seinen Dienstherrn, einen Wesir mit dem Namen Ta. »Ich teile meinem Herrn mit, dass wir Handwerker äußerst elend geworden sind«, heißt es in dem Bericht. Und weiter: »Alle Sachen für uns, die wir aus dem Schatzhaus, der Scheune und dem Magazin erhielten, sind weggelassen worden. Nicht leicht ist aber das Schleppen von Steinen. Möge mein Herr handeln, dass unser Lebensunterhalt uns gewährt wird! Denn wir sind schon am Sterben, wir sind kaum noch am Leben, denn man gibt uns unsere Sachen nicht.« Der Name des Dorfes: Deir el-Medineh. In den folgenden Tagen und Wochen entspann sich dort am Rand der Wüste der erste dokumentierte Arbeitskampf der Menschheitsgeschichte.
Es gibt verschiedene Definitionen des Begriffes »Arbeit«. Im allgemeinen Sinn bezeichnet er jede bewusste und zielgerichtete körperliche oder geistige Tätigkeit. Wenn in diesem Buch von Arbeit die Rede ist, dann ist damit ein soziales Phänomen gemeint. Das eigene Schaffen bringt einen Nutzen für andere und wird deshalb mit einer Gegenleistung entgolten: dem Arbeitslohn. Andernfalls würde ohne Zwang niemand arbeiten.
Die Ursprünge der Arbeit reichen bis in die Steinzeit zurück. Schon die Neandertaler verteilten wohl bei der Jagd unterschiedliche Aufgaben an die Mitglieder der Jagdgemeinschaft. Entsprechend wurde die Beute hinterher nach festen Regeln verteilt. Wer also zum Beispiel eine Fanggrube aushob, konnte sich darauf verlassen, ein Stück abzubekommen – obwohl vielleicht ein anderer das Tier aufspürte und in Richtung der Falle trieb. Das Fleisch war also der Lohn für das Graben, das für sich genommen dem Grabenden keinen Nutzen gebracht hätte. Allerdings ist wenig über die Arbeitsbedingungen in der Frühgeschichte bekannt, die Aufzeichnungen aus Ägypten sind das älteste Zeugnis des Ringens um die Früchte der Arbeit.
Deir el-Medineh wurde für Arbeitskräfte errichtet, die im Tal der Könige Grabanlagen für Regenten und hohe Beamte in die Berge treiben sollten. Als ein Team unter der Leitung des französischen Archäologen Bernard Bruyère in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hier Ausgrabungen durchführte, entdeckten sie einen etwa 50 Meter tiefen Schacht. Welchem Zweck er diente, konnte bis heute nicht abschließend geklärt werden, wahrscheinlich handelte es sich um eine Art Müllkippe für die Einwohner des Dorfes. Sie entpuppte sich als archäologische Goldgrube, denn die Dorfbewohner hatten wohl auch nicht mehr benötigte Schriftstücke entsorgt. Man fand neben Statuen, Möbeln und Sandalen auch Tausende Tonscherben mit Inschriften – sogenannte Ostraka. Sie erlauben einen detaillierten Einblick in die Alltagswelt der vorderasiatischen Hochkulturen.
Die Siedlung war von etwa 1550 bis 1069 vor Christus bewohnt und umfasste etwa 30 bis 120 Grabarbeiter mit ihren Familien. Die Arbeiter waren in »Trupps« organisiert. Diese Trupps wurden angeführt von einem Vorarbeiter, Schreiber protokollierten die Gehälter und die verwendeten Materialien. Der Lohn wurde in Form von Weizen und Gerste für das Brauen von Bier ausgezahlt, zusätzlich gab es Öle und Fette, Gemüse, Obst, Fisch, Brennmaterial und Kleidung. Die Vorarbeiter erhielten fünfeinhalb Sack (76,88 Liter) Weizen und zwei Sack Gerste, die einfachen Arbeiter vier Sack Weizen und eineinhalb Sack Gerste. Das war für damalige Verhältnisse nicht wenig – und wie heute besserten Handwerker ihren Lohn dadurch auf, dass sie nach Feierabend gegen Bezahlung bei Privatleuten aushalfen. Die Arbeiter wohnten in relativ komfortablen Häusern mit einer durchschnittlichen Grundfläche von 75 Quadratmetern. In manchen Häusern führte eine Treppe auf eine Art Dachterrasse. Zur Einrichtung gehörten Tische, Betten, Stühle und Haushaltsgeräte. Das war für die damalige Zeit ein »beachtlicher Lebensstandard«, wie der Ägyptologe Arne Eggebrecht feststellt.
Mitte des zwölften Jahrhunderts vor Christus begann der Pharao Ramses III. eine Reihe von ehrgeizigen Bauprojekten. Er ließ Tempelanlagen renovieren und Grabstätten errichten. Dieses Investitionsprogramm, wie man es heute nennen würde, führte dazu, dass die staatlichen Getreidevorräte knapp wurden. Hinzu kamen Korruption und Nachlässigkeit der für die Versorgung zuständigen Beamten. Jedenfalls wurde den Arbeitern in Deir el-Medineh der Lohn nicht mehr pünktlich ausbezahlt – und sie gingen auf die Straße. Ein Papyrus, der heute in einem Museum in Turin aufbewahrt wird, protokolliert die Ereignisse. »Es gibt keine Kleider, keine Salben, keinen Fisch und kein Gemüse«, beschwerten sich die Arbeiter demnach. »Schickt zu Pharao, unserem guten Herrn, in dieser Sache und zum Wesir, unserem Vorgesetzten, damit wir versorgt werden.«
Es ist davon auszugehen, dass das nicht ganz korrekt war. Die Ernten waren gut, viele Dorfbewohner hatten Vorräte angelegt. In einem anderen Bericht wird vermerkt, dass einer von ihnen 55 Stück süße Kuchen kaufte. Das hielt die Arbeiter aber nicht davon ab, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Sie zogen zu Tempelanlagen am Rand der Wüste und drangen in einige Gebäude ein – und sie zogen die Vertreter der Staatsgewalt auf ihre Seite. Der regionale Polizeioberst Menthmose solidarisierte sich mit ihnen: »Hier mein Rat: Sammelt euer Werkzeug ein, verschließt eure Türen und nehmt Frauen und Kinder. Vor euch her will ich zum Totentempel (…) ziehen und euch dort am Morgen Zutritt verschaffen.« Die Situation ist so brisant, dass sich der Wesir Ta – gewissermaßen der oberste Dienstherr der Arbeiter – gezwungen sieht, einzugreifen. Er schreibt einen Brief an die Dorfbewohner und weist jede Schuld von sich. Er habe nach Vorschrift weitergegeben, was er in den Kornspeichern »gefunden habe«.
Um die Gemüter zu beruhigen, weist Ta seine Leute an, den Arbeitern sofort die Hälfte der ihnen zustehenden Rationen zuzuteilen – was natürlich als Frechheit empfunden wird und umgehend für neue Proteste sorgt. Die Auseinandersetzung zieht sich über Monate hin. Es kommt immer wieder zu Angeboten, Gegenangeboten und Verhandlungen. Inwieweit die Forderungen erfüllt wurden, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen. Aber zum ersten Mal in der Geschichte haben Arbeiter die Erfahrung gemacht, dass sie mit vereinten Kräften etwas erreichen können. Das wird noch eine wichtige Rolle spielen. Doch zunächst einmal beginnt ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Arbeiterschaft.
Im 4. Jahrhundert vor Christus ereignete sich in Athen eine folgenschwere Begegnung. Der junge Xenophon, Spross einer wohlhabenden Familie, trifft in einer engen Gasse auf den Philosophen Sokrates. Xenophon ist davon so beeindruckt, dass er sich selbst für Philosophie zu interessieren beginnt. Wenige Jahre später lässt er sich auf einem Landgut nieder und verfasst eine kurze Schrift: »Oikonomikos – Ein Gespräch über die Haushaltsführung«.
Man könnte sie als das erste wirtschaftswissenschaftliche Lehrbuch der Geschichte bezeichnen. Xenophon erkannte schon vor mehr als 2000 Jahren, dass die Arbeitsteilung den Wohlstand mehrt. Begeistert berichtet er davon, dass sich Schuhe effizienter herstellen ließen, wenn sich jeder Schuhmacher auf einen Teilaspekt der Schuhproduktion konzentrierte. Xenophon denkt auch darüber nach, wie sich der Wohlstand der Stadt Athen durch Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte steigern ließe – ebenfalls ein Thema von höchster Aktualität.
Was die Arbeit angeht, hatte er allerdings ganz besondere Vorstellungen: »Die sogenannten handwerklichen Beschäftigungen sind verschrien und werden aus Staatsinteresse mit Recht sehr verachtet. Sie schwächen nämlich den Körper des Arbeiters, da sie ihn zu einer sitzenden Lebensweise und zum Stubenhocken zwingen oder sogar dazu, den ganzen Tag am Feuer zuzubringen. Wenn aber der Körper verweichlicht wird, leidet auch die Seele. Auch halten diese sogenannten spießbürgerlichen Beschäftigungen am meisten davon ab, sich um die Freunde und um den Staat zu kümmern. Daher sind solche Leute ungeeignet für den Verkehr mit Freunden und die Verteidigung des Vaterlandes. Deshalb ist es in den meisten Städten, am meisten aber in denen, die den Krieg lieben, keinem Bürger erlaubt, sich einer handwerklichen Beschäftigung zu widmen.«
Xenophon stand mit dieser Auffassung nicht allein. In der griechischen Antike war Arbeit die Sache der Sklaven. Der freie Mann sollte sich, ohne durch materielle Zwänge abgelenkt zu sein, um die Angelegenheiten der Allgemeinheit kümmern können. Wer arbeitet – genauer gesagt: wer für andere arbeitet –, begibt sich in Abhängigkeiten, die mit dem Ideal des Staatsbürgers nicht zu vereinbaren sind. Deshalb blicken die griechischen und römischen Denker, die in der Regel der Oberschicht angehörten, mit Verachtung auf die Erwerbsarbeit. Für den griechischen Philosophen Aristoteles ist es das »Kennzeichen eines unabhängigen Mannes, nicht in Abhängigkeit von anderen zu leben«. Der römische Gelehrte Cicero hat es besonders auf die Handelsberufe abgesehen. Seiner Ansicht nach sind diejenigen als »schmutzig« anzusehen, die »von den Großhändlern Waren erhandeln, um sie sogleich weiterzuverkaufen«. Schließlich dürfe man »davon ausgehen, dass sie selbst nichts zustande bringen, außer dass sie gründlich lügen«.
Dabei hätten die Denker der Antike wohl keine Gelegenheit zum Denken gehabt, wenn nicht jemand die anfallende Arbeit erledigt hätte. Zwar gab es dafür Sklaven, doch auch Freigeborene mussten Geld verdienen, wenn sie nicht über Vermögen verfügten. Sie arbeiteten dann als Tagelöhner oder Handwerker und wurden zum Beispiel bei der Errichtung öffentlicher Bauten engagiert. In Grabinschriften sind die am Bau beteiligten Vermessungstechniker, Zimmerleute und Steinmetze zuweilen sogar mit Namen erwähnt. Die Arbeitsbedingungen der Freien unterschieden sich dabei nicht sehr von denen der Sklaven. Es gab Sklaven, denen der soziale Aufstieg gelang. Sie arbeiteten als Architekten, leiteten Handwerksbetriebe oder verwalteten Geld. Weil sie dafür entlohnt wurden, konnten sie zum Teil erhebliche Vermögen anhäufen. Wenn es gutging, wurden sie nach einigen Jahren freigelassen und mit eingeschränkten Rechten in die römische Bürgerschaft aufgenommen. So war etwa der bekannte römische Architekt Cyrus, der auch für Cicero arbeitete, möglicherweise ein Sklave.
Der Mehrheit der Sklaven ging es allerdings genau wie den freien Tagelöhnern wesentlich schlechter. Die Arbeit war hart und monoton. In vielen Fällen arbeiteten Freie und Unfreie gemeinsam auf einer Baustelle. Statusfragen spielten da in der Regel keine Rolle. Die Löhne lagen im 2. Jahrhundert vor Christus bei rund drei bis sechs Sesterzen am Tag, das macht etwa 1000 Sesterzen im Jahr bei einer regelmäßigen Beschäftigung. Eine durchschnittliche Wohnung kostete etwa 2000