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Freya wollte schon immer zur See fahren. Als sie erwachsen wird, sucht sie sich ein Schiff, auf dem sie anheuern kann. Sie liebt das Meer und gewöhnt sich schnell an Bord ein. Das Handelsschiff Soleil Royal wird zu ihrem neuen Zuhause. Doch nicht in ihren kühnsten Träumen hätte die Parda sich träumen lassen von einem Seeungeheuer durch Raum und Zeit katapultiert zu werden. Freya und die Besatzung der Soleil Royal müssen einen Weg finden, um dem Ungeheuer zu entkommen und zu überleben...
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Seitenzahl: 283
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MARTIN HECKT
Die Abenteuer von Freya Warmherz
Der Mahlstrom
Band 1
Bibliografische Information der Deutschen
Nationalbibliothek: Die Deutsche
Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.
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© Martin Heckt 2018
Cover: Mareike Hansen
Verlag und Druck:
tredition GmbH
Halenreie 40-44
22359 Hamburg
978-3-347-06541-3 (Paperback)
978-3-347-06542-0 (Hardcover)
978-3-347-06543-7 (e-Book)
Prolog
Ein alter Kutter fuhr bei strahlendem Sonnenschein über das ruhige Meer von Kanthorus. Am Ruder des Kutters stand ein etwas älterer Mann mit rotgrauem Haar. Eine Pfeife hing locker im Mundwinkel und er schaute konzentriert auf das Meer hinaus. Vor ihm, auf dem Deck des Kutters, eilte fleißig ein kleines Mädchen hin und her. Sie hatte langes und dickes rotviolettes Haar und oben auf dem Kopf thronte ein Dreispitz. An den Seiten des Dreispitzes waren zwei Löcher eingestanzt, damit die katzenartigen Ohren des Mädchens hindurch passten. Die Ohren zuckten fröhlich, während das Mädchen damit beschäftigt war das Deck aufzuräumen.
„Freya!“, rief der Mann seine Tochter.
„Ja, Papa?“
Freya hob den Blick und schaute ihren Vater an. Rohdan, so hieß der Mann, hatte genau wie seine Tochter katzenartige Ohren und auch denselben langen und buschigen Schwanz. Sein „Stert“ – wie der Schwanz der Parda allgemein genannt wurde – war rot, der von Freya war violett.
„Pass bitte auf, dass du nicht ausrutschst!“
Freya nickte und ging nun etwas langsamer in ihren noch etwas zu großen pinken Gummistiefeln über das Deck des kleinen Kutters.
Rohdan lächelte, denn insgeheim bewunderte er seine kleine achtjährige Tochter für den Enthusiasmus. Er selber war als Kind anders gewesen. Rohdan konnte der See damals nichts abgewinnen und übernahm als Erwachsener den kleinen familiären Fischereibetrieb seines Vaters eher zögerlich und nicht sonderlich begeistert. Er gewöhnte sich an den Beruf und mittlerweile machte er ihm sogar Spaß und erfüllte ihn, aber damals konnte er sich das nicht vorstellen. Umso mehr faszinierte ihn, dass seine Tochter Freya nichts mehr liebte als die See und die Arbeit auf dem Meer. Sehr früh schon hatte sie Rohdan gedrängt, sie doch bitte mal mit hinauszunehmen. Die Frau von Rohdan und Freyas Mutter – Sarah – war zunächst dagegen, sie hatte zu viel Angst um ihre kleine Tochter. Schließlich aber setzten sich Freya und Rohdan durch und als Kompromiss fuhren die beiden zunächst mit einem Ruderboot etwas hinaus, immer in Sichtweite des Strandes, sodass Sarah ihren Mann und ihre Tochter jederzeit im Blick hatte.
Irgendwann dann, nach vielen Fahrten im Ruderboot erlaubte Sarah ihrem Mann Rohdan, Freya mit auf den Kutter zu nehmen.
Freya fand direkt Gefallen an diesen kleinen Fahrten und die erste Fahrt auf dem Kutter war ein echtes Erlebnis für sie. Sie half mit, wo sie konnte und so gut es ihr möglich war, und Rohdan staunte immer und immer wieder. Freya schien die Seefahrt im Blut zu haben. Sie erinnerte Rohdan erstaunlicherweise des Öfteren an seinen eigenen Vater, der auch immer dieses Funkeln in den Augen hatte, wenn die Sprache auf das Meer kam. Vielleicht stimmte die Legende ja, dass manche persönlichen Eigenschaften eine Generation übersprangen.
Rohdan zog nachdenklich an seiner Pfeife und sah seiner Tochter beim Aufschießen der Taue zu. Freya stand breitbeinig an der Ladeluke und rollte die Taue zusammen. Ihr Gesicht strahlte eine gewisse Würde und Ernsthaftigkeit aus. Wie oft hatte sie ihren Stert um die Taille gewickelt, ein Verhalten, welches sehr untypisch für die Rasse der Parda war. Parda ließen ihren Schwanz oder Stert normal einfach am Körper herabhängen, obwohl er tatsächlich eine sehr muskulöse Extremität war. Allerdings konnte man sehr gut Emotionen am Stert des Besitzers ablesen. Zitterte die Spitze, war der Parda vermutlich nervös oder aufgeregt, peitschte er wild hin und her, war der Parda vermutlich aggressiv.
Allerdings kannte Rohdan niemandem aus dem Volke der Parda, der seinen Stert um die eigene Taille wickelte. Freya machte das schon seit kurz nach ihrer Geburt und er wusste noch, wie Sarah und er an der Wiege von Freya gestanden und sich darüber gewundert hatten. Mit der Zeit wurde es zur Normalität, aber von Zeit und Zeit musste er doch noch darüber schmunzeln. So wie in diesem Moment.
Freya merkte davon nichts. Sie stand weiter breitbeinig an der Ladeluke und schoss die Taue auf. Ihre Zungenspitze blitzte aus dem rechten Mundwinkel, so konzentriert war sie. Freya freute sich immer, wenn es auf das Meer hinaus ging. Sie hatte das Gefühl, dass sie dort hingehörte. Diese Tage waren zwar immer anstrengend für das kleine Mädchen, aber es hielt sie nicht davon ab. Im Gegenteil.
So verging der Tag und als die Sonne unterging, legte der Kutter wieder am hölzernen Pier an. Wie üblich trug Rohdan seine Tochter auf seinen Schultern bis zum Haus. Als er das erste Mal mit Freya vom Meer zurückkam, schlief sie dabei, doch mittlerweile war sie es gewöhnt und so saß sie aufrecht auf seinen Schultern und quiekte vor Vergnügen, als Rohdan wie ein Pferd schnaubte.
„Hü!“, schrie sie dann immer und schwenkte wild den Dreispitz, den sie dafür von ihrem Kopf zog. Gemeinsam aßen die drei im Esszimmer zu Abend: Sarah, Rohdan und – natürlich immer noch mit dem Dreispitz auf dem Kopf – Freya.
Während Rohdan still seine Suppe zu sich nahm, war Freya mit ausschweifenden Gesten und kräftiger Stimme damit beschäftigt, Sarah zu erzählen, was sie alles erlebt hatten.
Sarah nickte und hörte lächelnd ihrer Tochter zu. Sie wusste, dass diese Tage für Freya die tollsten überhaupt waren und dass ihre Tochter einfach alles davon erzählen musste.
Der Enthusiasmus ließ im Normalfall erst dann nach, wenn die kleine Parda müde wurde. Dann wurde Freya stiller und ab und zu klappten die Augen zu.
So war es auch diesen Abend und Rohdan nahm Freya auf seine Arme und trug sie die Treppen hoch in ihr Zimmer. Er steckte Freya in ihr rosafarbenes Nachthemd und deckte sie bis zum Kinn mit der wollenen Decke zu. Der Dreispitz hing mittlerweile an seinem üblichen Platz, am Bettpfosten, der der Tür am nächsten war. Normalerweise küsste Rohdan Freya dann auf die Stirn und verließ leise das Zimmer. Doch dieses Mal war es anders. Als der ältere Fischer an der Tür stand, hörte er eine leise Frage.
„Papa?“
Er drehte sich um und lächelte Freya liebevoll an.
„Ja? Was ist denn?“
„Papa, ich muss dir was sagen!“
Die Stimme Freyas war leise und klang müde, aber es war eine Dringlichkeit in der Stimme, die Rohdan wieder zum Bett seiner Tochter gehen ließ. Er setzte sich auf den Bettrand und schaute sie aufmerksam an.
„Was ist? Hast du etwas angestellt?“
Freya grinste und trat unter der Decke leicht und spielerisch nach ihrem Vater.
„Nein, manno! Ich will dir nur sagen, dass ich später unbedingt Kapitän werden will! Auf meinem ganz eigenen Schiff! Meinst du, das geht?“
Rohdan lachte leise auf.
„Natürlich geht das. Du kannst alles werden, was du nur willst, Freya. Du bist eine ganz besondere kleine Parda und du wirst alles schaffen, was du dir nur vornimmst. Du wirst schon sehen. Deine Mutter und ich sind sehr stolz auf dich.“
Freya lächelte und schloss müde die Augen.
„Danke, Papa. Gute Nacht.“
Rohdan nickte und küsste Freya noch mal auf die Stirn, woraufhin eines ihrer Ohren kurz zuckte. Als er die Tür des Kinderzimmers hinter sich geschlossen hatte, befand sich Freya schon in ihrer Traumwelt und stand als Kapitän auf dem Achterdeck ihres eigenen Schiffes…
Kapitel 1
Dreizehn Jahre später. Aus der quirligen und etwas verrückten Parda wurde eine hübsche, Brille tragende Erwachsene mit langem, den Rücken hinunterreichenden Haar, das in violett und rot schimmerte. Zurückgehalten wurde der Schopf von einem weißen Haarband, das so aussah, als würde es jeden Moment den Kampf gegen das dichte Haar verlieren und reißen. Jeden freien Moment in den vergangenen Jahren hatte Freya entweder auf dem Kutter ihres Vaters oder im Hafen von Aritholka zugebracht, wo sie den großen, prächtigen Schiffen beim Ein- oder Auslaufen zusah. Oft genug hatte die kleine, aber drahtige Frau auch auf den Schiffen geholfen. Immer wenn irgendwo Not am Mann war, so schien es, tauchte Freya Warmherz auf und half. Ihre Eltern sahen das mit sehr gemischten Gefühlen. Nur zu bewusst war ihnen der Drang ihrer Tochter, zur See zu fahren. Und wie so viele Eltern machten auch sie sich Sorgen. Sarah, Freyas Mutter, fand die See viel zu gefährlich und auch wenn ihr Vater das gerne mit einer Hand lässig abtat, fühlte er doch genauso. Beide konnten sich noch lebhaft an die hitzige Diskussion zu Freyas achtzehntem Geburtstag erinnern. Freya war nun erwachsen, und sie wusste das. Sie wollte unbedingt ihren eigenen Weg gehen und der führte sie hinauf aufs Meer. Die Eltern baten, bettelten und befahlen ihr, diesen Gedanken zu verwerfen, doch es gab kein Durchkommen. Die junge Parda verschränkte die Arme und blockte alle Argumente ihrer Eltern ab. Schließlich einigten sich die Eltern und Freya doch auf einen Kompromiss. Ihr Vater bat sie, ihm noch drei Jahre bei der Fischerei zu helfen, und Freya willigte schlussendlich ein. Die Eltern hofften, diese Jahre würden sie weiter an ihr Zuhause binden, Freya dagegen war klar, dass sie dann unwiederbringlich aufbrechen würde. Sie nutzte die Zeit schließlich so gut, wie sie konnte. Sie knüpfte Kontakte und beeindruckte viele Kapitäne und Mannschaften mit ihrer Tatkraft und ihrem Elan. Viele der Seeleute neigten dazu, sie aufgrund ihrer zierlichen Gestalt zu unterschätzen, doch bald schon wussten sie es besser und begegneten Freya mit viel Respekt. Die Parda war eine gern gesehene Arbeiterin, sie war fleißig und arbeitete hart. Dafür wurde sie dann auch von den Kapitänen recht gut entlohnt. So gute Arbeiter waren selten in den Häfen von Kanthorus anzutreffen. Die meisten waren eben doch nur faule Gesellen und Herumtreiber, die auf schnelles Geld aus waren. Von diesen Jammergestalten hob sich die kleine Parda wohltuend ab.
Und in ihrem tiefsten Inneren wartete sie nur auf diesen einen Tag. Ihren einundzwanzigsten Geburtstag. Den Tag, an dem sie endlich das ihr vorbestimmte Leben beginnen könnte.
Freya schlug die Augen auf und gähnte herzhaft. Heute war dieser Tag. Es war ihr einundzwanzigster Geburtstag. Ihr Blick fiel auf den alten Dreispitz, der an einem alten, von ihr selbst aufgearbeiteten, Spiegel hing. Unwillkürlich müsste sie grinsen. Sie hatte mit ihm so viel Schönes erlebt, auch wenn er schon lange nicht mehr passte. Dennoch, wegschmeißen konnte sie ihn nicht. Er war ein Stück Erinnerung, ein Stück Kindheit. Der Dreispitz war abgewetzt und die Löcher, die extra für die katzenähnlichen Ohren der Parda hineingestanzt worden waren, waren ausgefranst. Sie schlug die Decke zurück und ging barfuß zum Fenster. Die Fensterläden wurden sachte nach außen geklappt, viel sanfter als es vor fünfzehn Jahren der Fall war. Sie reckte sich und atmete tief ein. Das Wetter war mild, es war sonnig, und eine sanfte Brise zog über die Wiesen und Weiden des kleinen Fischerdorfes. Nachdenklich stand sie einige Minuten am Fenster und genoss einfach die Natur. Ihr Schwanz schlang sich wie von selbst um die schlanke Taille, es wirkte fast, als wollte er sie wärmen und ihr Geborgenheit zuteilwerden lassen. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen und sie griff zum Dreispitz. Sie sah ihn schmunzelnd an und schließlich setzte sie ihn sich auf ihren Kopf. Freya warf einen Blick in den Spiegel und musste sofort wieder an diesen Tag vor fünfzehn Jahren denken, als ihr Vater diesen Dreispitz bei sich auf den Kopf setzte, um sie zu ärgern. Unwillkürlich musste sie leise lachen. Sie setzte ihn dann wieder ab und warf ihn mit einer schwungvollen Handbewegung auf ihr Bett. Sie trat zu ihrem Schrank und begann sich langsam anzuziehen, eher zweckmäßig als elegant, denn immerhin wollte sie nachher ja zum Hafen. Nachdem sie sich angezogen und die langen Haare gekämmt hatte, verließ sie leise ihr Zimmer. Ihr Weg führte sie in die Küche, wo sie den Frühstückstisch herrichtete. Ihre Eltern schliefen noch, das hatte sie an dem tiefen und gleichmäßigen atmen gehört, als sie am Schlafzimmer der beiden vorüber schlich. Es war fast eine Art Tradition, dass die Tochter den Frühstückstisch deckte. Rohdan kam fast immer erst sehr spät vom Fischen nach Haus, und Sarah, seine Frau, wartete stets auf ihn. Sie meinte mal zu Freya, sie könne einfach nicht schlafen, wenn sie nicht weiß, ob es ihrem Mann gut geht.
Nachdem Freya mit dem Decken des Tisches fertig war, ging sie durch die Küchentür in den Garten. Es war kein wirklich großer Garten, aber er war sehr schön. Die Mutter hatte ihn selber angelegt und behandelte ihn fast, als wäre er heilig. Vorne, direkt am Haus war eine Wäscheleine angebracht, auf der ein paar Kleidungsstücke träge im Wind hin und her schaukelten. Freya achtete darauf, nicht an die Kleidung zu stoßen als sie unter der Leine her in den hinteren Teil des Gartens ging. Links waren mehrere Blumenbeete, die nun, als es langsam Sommer wurde, in voller Pracht standen. Die Blumen leuchteten um die Wette in allen nur erdenkbaren Farben. Auf der anderen Seite befand sich das Gemüsebeet, wo die Mutter allerlei Küchenkräuter selbst anpflanzte und heranzog.
Freya allerdings ging zu den Blumen und pflückte einen kleinen, bunten Strauß. Sie achtete dabei sorgfältig darauf, keine anderen Blumen abzuknicken oder anderweitig zu zerstören. Mit sich selbst und ihrer Auswahl zufrieden begab sie sich dann schließlich wieder zur Küche. Sie holte eine passende Vase aus einem der Küchenschränke und stellte sie mittig auf den Tisch, nachdem die Vase mit etwas Wasser gefüllt wurde. Die Ohren der Parda klappten sich konzentriert an den Kopf, als sie die Blumen drapierte. Nach einigen Sekunden schürzte sie die Lippen und trat einen Schritt zurück, um ihr Kunstwerk zu begutachten. Mit sich selbst zufrieden, lächelte sie dann still und entschloss sich, die Eltern zu wecken. Auf Zehenspitzen schlich sie zum elterlichen Schlafzimmer und klopfte leise.
Von innen wurde ein Lachen hörbar.
„Ich habe dir doch gesagt, Freya ist sicherlich schon wach!“, vernahm sie die tiefe, angenehm klingende Stimme ihres Vaters.
„Du kannst reinkommen“, rief er dann etwas lauter. Freya öffnete die Tür und sah ihren Vater bereits angezogen auf der Bettkante sitzen. Ausnahmsweise trug er nicht sein Fischerzeug, sondern eine einfache Kombination aus einem hellen baumwollenen Hemd und eine dazu passende Hose. Sarah, ihre Mutter, hatte ein buntes und fröhlich wirkendes Sommerkleid an und stand noch vor dem Spiegel, um sich zu kämmen.
Als sie im Spiegel sah, dass ihre Tochter eintrat, drehte sie sich mit einem strahlenden Lächeln um. „Komm her, Freya, lass dich umarmen!“
Sarah Warmherz sah fast aus wie eine ältere Version ihrer Tochter, nur das sie eine etwas andere Frisur hatte und bei ihr die roten Strähnen im violetten Haar fehlten. Diese Strähnen waren nämlich in der Haarfarbe des Vaters gehalten. Beide Farben vereinten sich in Freyas Haar und gaben deutlich zu verstehen, wer ihre Eltern waren. Freya eilte auf die Mutter zu und umarmte sie fest. Sarah neigte sich etwas den Ohren der Tochter entgegen und flüsterte leise.
„Herzlichen Glückwunsch, meine Kleine. Es scheint mir fast, als wärest du gestern noch immer in deinem Nachthemd auf unserem Bett herumgehüpft, um uns zu wecken.“
Die Stimme zitterte dabei ein wenig, doch Freyas Mutter schaffte es, die Emotionen im Griff zu halten. Währenddessen saß Rohdan immer noch auf der Bettkante und sah seine beiden Mädchen, wie er sie liebevoll nannte, glücklich an. Schließlich schlug er sich mit beiden Händen auf die Oberschenkel und erhob sich. Er trat zu den beiden Parda-Frauen und umarmte sie mit seinen starken Armen.
„Herzlichen Glückwunsch, Kleines! Ich verrate dir gewiss nichts Neues, wenn ich dir sage, dass wir dich sehr lieben und du uns sehr stolz machst.“ „Ach, Papa“, seufzte Freya linkisch und haute ihm spielerisch mit einer Hand auf die schwielige Hand ihres Vaters.
„Du sollst doch nicht immer lügen.“
Rohdan grinste.
„Jajajajaja. Wir haben die beste Tochter von ganz Kanthorus, und jeder soll es wissen.“
Er lachte, ließ die beiden los und ließ es zu, dass seine Tochter ihn auf das Bett schubste, was darin gipfelte, dass beide Frauen ihn durchkitzelten, bis er um Erbarmen bettelte. Die beiden ließen von ihm ab und Freya legte sich rechts von ihm hin, Sarah links. So lagen sie eine ganze Weile und hingen ihren Gedanken nach, bis sich Freyas Mutter erhob.
„So, ihr Faultiere! Auf, auf! Es gibt Frühstück!“
Sie strich sich das Sommerkleid glatt und ging in die Küche. Freya und ihr Vater folgten auf dem Fuße und gemeinsam setzten sie sich an den vor alter knarrenden, hölzernen Küchentisch.
In den nächsten Minuten hörte man zunächst nicht allzu viel von der kleinen Familie. Jeder der drei war mit seinem eigenen Frühstück beschäftigt und hing dabei seinen Gedanken nach. Erstaunlicherweise ähnelten sich die Gedankengänge von Tochter und Eltern frappierend: Alle drei dachten über den einundzwanzigsten Geburtstag nach, und wie er wohl enden würde. Alle drei stellten sich seelisch auf den Moment ein, wo es angesprochen werden würde, aber irgendwie versuchte die Familie dem unangenehmen Thema aus dem Weg zu gehen. Freya sprach es schließlich an, als sie den Druck nicht mehr aushielt.
„Mama, Papa, heute ist mein einundzwanzigster Geburtstag. Ich möchte auf See!“
Rohdan stellte daraufhin das Kauen ein und legte sein Brot zur Seite. Sarah wich dem Blick der Tochter aus und trank einen schnellen Schluck Tee, während sie scheinbar fasziniert eine Ecke der Küche anvisierte und etwas dort wohl nur für sie Sichtbares anstarrte.
„Mama? Papa? Sagt doch was.“
Die Stimme der jungen Parda wirkte sehr nervös und die Spitze ihres Schwanzes zuckte in schnellen Bewegungen von links nach rechts. Zudem schien sie auf ihrem Stuhl zu schrumpfen. Sarah starrte weiterhin in die Ecke der Küche, ihr Vater allerdings legte das Brötchen weg und begann damit, sich eine Pfeife zu stopfen und anzuzünden. Als das gelungen war, schaute er seine Tochter nachdenklich an, und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
„Du willst also tatsächlich zur See fahren, ja, Freya?“
Mehr sagte er nicht. Seine Stimme war auffallend ruhig und leise. Freya nickte nur, zum Sprechen fehlte ihr momentan die Spucke im Mund.
„Du weißt, was alles passieren kann, oder? Die Arbeit auf den Schiffen ist hart und es verletzen sich genug Männer oder kommen sogar bei der Arbeit um. Von etlichen ausgelaufenen Schiffen hört man nie wieder etwas, sie sinken, ohne dass irgendjemanden der Grund bekannt ist. Es gibt Piraten dort draußen, hörst du? Piraten und sogar von Seemonstern erzählt man sich. Die Meere sind nicht komplett erforscht, Töchterchen. Und du musst dich in einer immer noch von Männern geprägten Umgebung durchschlagen. Du weißt was das heißt?“
Das war eine lange Rede für diesen doch recht kargen und wenig wortgewandten Parda, und nun schaute er seiner Tochter fest in die Augen und kniff seine dabei abwartend zusammen.
Freya legte überrascht die Ohren an den Kopf und die Pupillen weiteten sich merklich. Ihr Schwanz war, wie meistens, wieder um die eigene Taille gelegt. Sie legte den Kopf etwas schief und überlegte genau, bevor sie ihrem Vater antwortete. „Ja, Papa, das weiß ich. Aber meine Sehnsucht nach dem Meer ist gigantisch, das weißt du. Wie oft war ich im Hafen und habe dort geholfen? Wie oft bin ich mit dir zum Fischen gefahren? Wie oft blicke ich einfach hinaus aufs Meer? Wie oft saß ich nachts in meinem Zimmer und habe Bücher über die Seefahrt gewälzt?“
Langsam schüttelte sie den Kopf.
„Nein, Papa, ich weiß nicht, was mich dort alles erwartet. Aber ich möchte es erleben“, schloss sie dann mit leiser Stimme.
Ihre Mutter unterdrückte ein Schluchzen, murmelte ein „Entschuldigt mich!“, und eilte hinaus. Freya schob ihren Stuhl zurück und wollte aufstehen um Sarah hinterherzueilen, doch ihr Vater hielt sie am Arm fest und schüttelte den Kopf.
„Nicht. Sie braucht jetzt etwas Ruhe.“
Freya schaute etwas uneins mit sich selber zwischen ihrem Vater und der Tür hin und her, durch die ihre Mutter verschwunden war.
„Freya, sie ist nicht böse auf dich. Wirklich nicht. Es ist nur so, dass …. Sie wird dich vermissen.“
Er presste die Lippen zusammen und schaute Freya fest an.
„Das ist nicht ganz richtig. Wir werden dich vermissen, nicht nur sie. Wir wussten beide, dass dieser Tag kommen würde, und wir fürchteten ihn. Und nun scheint er gekommen zu sein. Freya, ich sag es ganz offen: Wir haben Angst um dich, Angst dich zu verlieren.“
Bei den letzten Worten drohte die Stimme des Parda zu versagen.
Freya ließ sich recht undamenhaft auf ihren Stuhl zurückfallen. So hatte sie weder ihre Mutter noch ihren Vater je erlebt. Ihre Eltern waren immer gut gelaunt und immer selbstsicher. Ihr Vater war der große Held, der Mann, an den kein anderer Mann herankam. Und doch wirkte er in diesem Moment klein auf sie. Und schwach. Nein. Verletzlich. Und trotzdem wirkte er durch genau dieses verhalten noch größer und stärker auf sie. Ihre Ohren zuckten unruhig mal in diese, mal in jene Richtung. Parda haben sehr gute Ohren, und so hörte sie ihre Mutter in einem anderen Zimmer schluchzen. Diese Frau, die sie so sehr liebte. Die sie großgezogen hatte und die ihr alles beibrachte, was man als Frau wissen musste. Und nun hatte die eigene Tochter sie zum Weinen gebracht. Freyas tiefviolette Augen füllten sich mit Tränen.
Rohdan lächelte, als er das sah und berührte liebevoll mit einer Fingerspitze diese Tränen, um sie aus den Augen der Tochter wegzuwischen.
„Du musst nicht weinen, Kleines. Du bist erwachsen. Du musst deinen eigenen Weg gehen und wir stehen bei allem was du tust hinter dir. Das, was wir jetzt gerade durchmachen, wirst auch du vielleicht erleben müssen, wenn du das Glück hast, so einen Partner zu finden, wie ich ihn in deiner Mutter fand.“ Seine Stimme war ruhig und liebevoll und Freya merkte, dass die Worte aufrichtig waren.
„Aber“, warf Rohdan ein, „das fällt uns nicht leicht. Sieh uns bitte nach, dass wir dich nicht einfach so gehen lassen können. Dafür lieben wir dich einfach zu sehr. Das musst du verstehen.“
Freya, die nun selber leise am Schluchzen war, nickte etwas ruckartig und zog geräuschvoll die Nase hoch.
„Gut.“
Rohdan nickte zufrieden und rief dann laut.
„Frau! Bring doch bitte mal die Geschenke für unsere erwachsene Tochter!“
Dann grinste der ältere Parda. Freya sah ihren Vater erstaunt an und hörte ihre Mutter den Flur entlangkommen. Sarah hatte sich bereits wieder zurechtgemacht, doch die roten Augen und die harten, angespannten Falten um den Mund verrieten sie und ihre Gefühle. Sie trug ein kleines, buntes Paket und lächelte ihre Tochter an, als sie es ihr überreichte. Freya nahm es mit großen Augen an und begann es vor den Eltern mit zitternden Fingern auszupacken. Währenddessen zog Rohdan seine Frau zu sich auf den Schoss und küsste sanft die Wange Sarahs.
„Siehst du“, murmelte er ihr ins Ohr.
„Sie ist immer noch genauso nervös wie damals an ihren Geburtstagen.“
Sarah lächelte ihren Ehemann sachte an und drückte sanft seine Hand.
Freya hatte mittlerweile die Schleife gelöst und das Papier flog in kleinen Fetzen quer über den ganzen Küchentisch. Sie war so konzentriert, dass man in ihrem rechten Mundwinkel die Zungenspitze sehen konnte, die hervorblitzte. Schließlich hatte sie es geschafft und hatte einen großen, aus rauem Stoff bestehenden Sack in der Hand. Sie tastete weiter und stellte fest, dass sich etwas in diesem Sack befinden musste. Schnell öffnete sie ihn und zog einen glänzenden Gegenstand aus Metall heraus. Sie stellte sofort fest, dass er aus Bronze bestand.
„Ein Sextant!“
Freya sprang jubelnd auf und eilte damit zum Fenster, um testweise hindurchzusehen.
„Und dann noch so ein guter! Ihr seid doch verrückt!“ Ihre Schwanzspitze zuckte wild hin und her, ein deutliches Zeichen wie erregt die junge Parda war.
„Oah, der ist so wunderbar! Sonne: NULL!“
Die Eltern lachten.
„Wie damals auf dem Schiff!“, rief Rohdan.
„Du fängst schon wieder an deinen imaginären Kameraden Informationen und Befehle zu geben.“ Auch Sarah lachte unbeschwert mit, und einen Moment lang war die Welt der Eltern wieder in Ordnung. Freya stand weiter am Fenster und blickte konzentriert durch den Sextanten.
„Tochter, du hast dein anderes Geschenk gar nicht beachtet“, sagte Sarah in gespielt empörten Tonfall. Freya runzelte die Stirn und drehte sich zu den Eltern um.
„Mein anderes Geschenk?“
Beide Eltern nickten gleichzeitig und deuteten auf den aus rauem Stoff bestehenden Sack. Freya schürzte die Lippen.
„War das nicht nur die Verpackung?“
Dann ging sie zum Tisch und stellte den Sextanten sehr vorsichtig darauf ab. Dann ging sie in die Hocke und hob den dunkelblauen Beutel auf. Sie schaute ihn sich genau an, stutzte und rief dann:
„Das ist ja ein Seesack! Mama! Papa! Ihr habt …“ Sie verstummte und sah die Eltern schüchtern an. Leise sprach sie dann weiter.
„Ihr habt es gewusst. Ihr habt gewusst, dass ich gehen werde.“
Sarah wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel, lächelte ihre Tochter aber tapfer an und nickte stumm.
„Ja. Irgendwie haben wir das wohl“, sagte Rohdan mit leichtem Lächeln auf den Lippen.
„Sieh doch mal“, versuchte er dann abzulenken, „auf dem Sack ist dein Name eingestickt, damit du ihn immer wieder erkennst. Deine Mutter hat sich persönlich diese Mühe gemacht. Und auf dem Sextanten ist dein Name auch eingraviert. Wir hoffen, er wird dir gute Dienste leisten.“ Er tätschelte beruhigend die Hand Sarahs, als er dies sagte. Freya starrte ihre Eltern lange sprachlos an, ehe sie wieder Worte fand. Dann fiel sie beiden weinend um den Hals.
„Danke. Danke. Tausend Dank. Ihr seid die besten Eltern, die sich ein Mädchen nur wünschen kann.“ Die Eltern zogen Freya an sich, als wollten sie sie nie wieder loslassen. Und so vergingen einige Minuten, in denen die drei Parda dicht aneinandergedrängt weinten und schluchzten.
Kapitel 2
Mit geschultertem Seesack drehte sich Freya noch mal um und schaute von dem Hügel auf ihr Haus hinab. Die Eltern standen beide in der Tür und sahen ihr nach. Als Sarah sah, wie ihre Tochter sich umdrehte, begann sie heftig zu winken. Freya lächelte und winkte zurück. Sie plante, in Aritholka in einer der Tavernen unterzukommen, falls sie zunächst keinen Platz auf einem Schiff ergattern konnte. Das machte den Eltern – und ihr – die Sache etwas leichter, so hoffte sie. Noch einmal winkte sie heftig zurück, ehe sie ihrem Elternhaus den Rücken zuwandte und langsam über den Hügel ging, von wo sie das Haus nicht mehr sehen konnte. So sah sie auch nicht, wie ihre Mutter fast weinend zusammenbrach und ihr Vater Sarah fest umarmte und festhielt.
Es dauerte nicht allzu lange, bis sie am Eingang der Stadt Aritholka stand. Es war eine typische, mittelgroße Hafenstadt, wie sie überall auf Kanthorus wohl so oder so ähnlich aussah. Weiß gekalkte Häuser vermittelten ein sauberes Ambiente, und doch gab es in dieser Stadt genug Gesindel und Schmutz. Zwischen den normalen Bürgern sah man immer wieder die gelben Jacken der Soldaten aufblitzen, die patrouillierten um die Ordnung aufrechtzuerhalten und um Piraten festzusetzen. Von denen gab es nämlich in den Hafenstädten auch immer genug. Weiter hinten, hoch über den bunten Dächern der Stadt aufragend, sah man den Turm, in dem sich das militärische Kommandozentrum befand. Die schwarz-roten Flaggen des Kommandos flatterten stolz im Wind.
Freya blickte fast ehrfurchtsvoll auf die Stadt herunter. Sie war schon oft hier, und doch war diesmal alles neu. Sie ging langsam durch die Straßen und Gassen und sog jedes Detail wissbegierig in sich auf. Auf dem Markt bemerkte sie, wie ein kleiner, zerlumpt gekleideter Junge einem Händler geschickt eine Frucht stahl und dann wegrannte, aber sie sah nur hinterher. Sie war sich eigentlich keines Zieles bewusst und doch führte sie ihr Weg immer weiter in die Nähe des Hafens, als würde sie von den aufragenden Mastspitzen der großen Handelsschiffe und der stolzen Kriegsschiffe magnetisch angezogen.
Eines wusste sie: Sie würde nicht auf einem Kriegsschiff anheuern. Das war ihr schlicht und ergreifend zu gefährlich, außerdem konnte sie auch gar nicht kämpfen. Krieg war nichts für sie. Sie war dankbar für diese tapferen Männer und Frauen, die sich vor die Bürger stellten, um sie vor Piraten und anderem Gesocks zu beschützen, und bewunderte sie sogar ein Stück weit. Aber für sie selber war das keine Option.
Nein, sie wollte lieber an Bord eines Handelsschiffes ihren Dienst verrichten. Vielleicht als Steuermann, oder auch als Maat. Eigentlich war ihr vollkommen egal als was, wichtig war, dass sie zur See fahren und erste Erfahrungen sammeln konnte. Und später, ja später dann, wollte sie ihr eigenes Schiff haben. Kapitänin Warmherz! Das wäre doch was.
Sie zuckte zusammen. Ganz in Gedanken versunken war sie schon lange im Hafen angekommen und stand direkt vor einem großen Schiff. Mit vermeintlichem Kennerblick schaute sie es sich genauer an. Es war riesig, eines der größten Handelsschiffe, die sie in ihrem Leben bis jetzt gesehen hatte. Schnell rechnete sie im Kopf aus, dass ungefähr 750 bis 800 Personen an Bord Platz finden würden.
Sie nickte. Ja, so ungefähr käme das hin.
„He, mach mal Platz!“, rief jemand von hinten und da wurde sie dann auch schon zur Seite geschubst. Mehrere Matrosen, die Kisten trugen, drängelten sich an ihr vorbei, um zur seitlich angebrachten Frachtluke zu gelangen.
Die Matrosen sahen allerdings anders aus, als sie gedacht hätte. Normal herrschte auf Handelsschiffen lockerer Umgang und es gab keine Vorschriften zur Bekleidung. Diese Matrosen trugen jedoch fast so etwas wie eine Uniform. Der Granitianer, der sie gerade angerempelt hatte, zwinkerte ihr nun spöttisch zu. Drei Farben beherrschten die Uniform, die er trug. Schwarz war die Grundfarbe, dazu kam dann noch ein mittleres Blau und weiße Applikationen.
Die anderen Matrosen trugen ähnliche Uniformen, aber es gab kleine Unterschiede. Auffällig war jedoch nur der Thol, der die Gruppe zu beaufsichtigen schien. Er selber war etwas größer als Freya, aber das war bei den Thol normal. Parda waren meist etwas kleiner, aber dafür sehniger. Der Thol mochte so um die 1,80 Meter groß sein und hatte welliges, sandblondes Haar. Wie bei diesem Volk üblich besaß er Ohren, die eng an den Seiten des Kopfes anlagen und keinen Schwanz, etwas, das Freya immer wieder faszinierte. Seine Uniform war blütenweiß, mit blauen Applikationen und keinerlei schwarz. Vermutlich stand er im Rang über den anderen, vermutete Freya.
Während sie noch überlegte, wurden weiter Kisten, zusammengerollte Güter und Teile aus Stahl an ihr vorbei getragen und eingeladen. Das Ganze sah fast aus wie die Prozession von Ameisen, die eine wesentlich jüngere Freya damals dabei beobachtet hatte, wie sie Zucker aus der Küche ihrer Mutter stibitzten. Unwillkürlich musste sie grinsen. Auf einmal fiel ein dunkler Schatten auf sie. Vor ihr stand ein Granitianer, ein Riese von einem Mann, fast zweimal so groß wie die violetthaarige Parda. Seine Hautfarbe war von einem blassen Grün und er trug zwei Narben in seinem bärtigen Gesicht. Trotzdem sah er sympathisch aus, wie er so dastand mit seinem jungenhaften Grinsen und der wilden schwarzen Mähne, die aussah, als wäre sie in ständiger Bewegung. Letztlich kam er Freya vor wie ein lebendiger Kleiderschrank. Auch er trug diese Uniform und verschränkte vor ihr die Arme.
„Na, Kleine? Was machst du denn hier? Du störst die Mannschaft beim Verladen, merkst du das gar nicht?“
Freya legte kampflustig die Ohren an den Kopf. Kleine! Was erdreistete der Kerl sich eigentlich? „Pass mal auf, du zu groß geratenes Riesenbaby! Du kannst mich nett bitten zu gehen, mehr aber auch nicht!“
Es war, als hörte sie die eigenen Worte aus einem anderen Mund. Sie bereute sofort, sie gesagt zu haben. Doch der Riese lachte nur.
„Klasse! Du bist nicht auf den Kopf gefallen! Aber“, und dabei wurde er ernst, „Fakt ist, dass du trotzdem störst. Besser wäre es also, wenn du gehst. Oder willst du etwa an Bord der Soleil Royal anheuern?“ Er sah sie abwartend an, mit einer Mischung aus Amüsement und Neugier.
Freya schüttelte den Kopf.
„Nein, ich denke nicht. Dann müsste ich ja mit dir dienen“, kam es frech von ihr. Wieder lachte der große Granitianer und winkte ab.
„In Ordnung. Dann bitte, meine Dame, da ist der Steg.“
Er unterstrich das mit einer leicht spöttischen Geste der Hand. Freya schaute ihn noch kurz so grimmig wie möglich an, ging dann aber zum Steg und zurück auf die Kaimauer.
Sie entschied, eine Taverne aufzusuchen und dort unterzukommen. Bald fand sie eine, unweit des Hafens und einigermaßen akzeptabel. Das Zimmer war günstig und es strahlte sogar eine gewisse Behaglichkeit aus. Sie warf den Seesack in eine Ecke, packte ihn aber gar nicht erst aus. Ihr Plan war, so schnell wie möglich Arbeit auf einem der Schiffe zu finden. Freya warf sich frustriert auf das Bett und starrte die Decke an. Sie schlug sich die Hände vor die Augen.
„Nein, ich denke nicht. Dann müsste ich ja mit dir dienen!“, äffte sie ihren Tonfall vom Hafen nach. „Freya, du bist so bescheuert! Das war die Gelegenheit, sich an Bord des Schiffes vorzustellen, aber nein, Madame ist ja lieber klein kariert und legt sich mit einem Granitianer an.“ Sie verdrehte die Augen.
„So dämlich!“
Sie verbrachte die nächsten Minuten damit, sich weiter Vorwürfe zu machen. Irgendwann dann aber schlief sie ein und wurde erst einige Stunden später wieder wach. Sie gähnte hinter vorgehaltener Hand und ging langsam zum Fenster. Draußen lag bereits der schwere Schleier der Dunkelheit auf Aritholka, dennoch leuchtete der Mond so stark, dass man alles sehen konnte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass man von ihrem Fenster aus den Hafen sehen konnte. Sie stellte sich unbewusst auf die Zehenspitzen und drückte sich die Nase an der Scheibe platt. Ja, tatsächlich! Dahinten konnte sie sogar das Handelsschiff sehen, das sie heute so fasziniert hatte. Soleil Royal war der Name. Sie nickte. So hieß das Schiff, sie wusste es noch ganz genau. Anhand der Mannschaftsbewegungen auf dem Deck war ersichtlich, dass es bald ablegen würde. Auch ihre