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Die Soleil Royal liegt noch im Reparaturdock, die Mannschaft hat Landurlaub. Freya und ihre Freunde verbringen ihn bei Sarah und Rohdan, den Eltern von Freya. Durch Zufall entdecken sie in einem Antiquariat in Aritholka ein altes Logbuch mit einer scheinbar echten Schatzkarte! Sie entschließen sich, diesen Schatz zu suchen. Gemeinsam reisen die Freunde mit einem Luftschiff nach Tornura. Von dort beginnen sie ihre abenteuerliche Expedition. Und tatsächlich! Sie finden eine verborgene Stadt hinter der borthurischen Gebirgskette, die Stadt in den Wolken. Doch in dieser Stadt ist nicht alles Gold, was glänzt. Freya und ihre Freunde werden gefangen genommen und erhalten mehr Einblicke in diese von einem Tyrannen geführte Stadt, als ihnen lieb ist …
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Seitenzahl: 284
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MARTIN HECKT
Die Abenteuer von FreyaWarmherz
Die Stadt in den Wolken
Für Marcel und Lara
Nicht jeder Schatz besteht aus Silber und Gold…
Bibliografische Information der Deutschen
Nationalbibliothek: Die Deutsche
Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.
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© Martin Heckt 2019
Coverdesign: Martin Heckt
Verlag und Druck:
tredition GmbH
Halenreie 40-44
22359 Hamburg
987-3-7482-4347-2 (Paperback)
987-3-7482-4348-9 (Hardcover)
978-3-7482-4349-6 (e-Book)
Kapitel 1
Es war ein sonniger Tag in Aritholka, einer größeren Hafenstadt auf Kantorus. Unweit davon, in einem der Fischerdörfer, die diese Stadt umgaben, rekelte sich Freya Warmherz auf einem der Liegestühle im Garten des Hauses ihrer Eltern. Ihr langes, rotviolettes Haar hatte sie über die Rückenlehne geworfen, sodass es sie nicht störte und es hing fast einem Vorhang gleich, bis auf den Rasen herab.
Ihr Stert war um die eigene Taille gewickelt, ein Anblick der für die Leute, die sie kannten, nicht ungewöhnlich war.
Freya Warmherz war eine Parda. Sie war von humanoider Gestalt, besaß aber katzenähnliche Ohren und Augen und eben einen katzenartigen Schwanz, den sogenannten Stert. Durch diese Eigenschaften konnte das Volk der Parda sehr viel besser hören und sehen als die anderen Völker, die auf Kanthorus lebten.
Allerdings trug Freya eine Brille, ein Zustand, der sie immer wieder ärgerte.
„Eine Parda mit Brille, wo gibt es denn so etwas?“, war einer ihrer Lieblingssprüche zu dem empfindlichen Thema.
Sie war noch ziemlich jung, gerade etwas über einundzwanzig Jahre alt, und arbeitete als Ausguck auf einem großen Handelsschiff, der Soleil Royal. Allerdings hatte die Mannschaft im Moment nach einem unglaublichen Abenteuer Landurlaub. Der Kapitän wollte, dass sich die Besatzung erholte. Feyonor Kardona wollte das Schiff komplett inspizieren und – sofern nötig – reparieren lassen.
Und so kam es, dass Freya bei ihren geliebten Eltern Sarah und Rohdan nachfragte, ob sie diesen Urlaub zusammen mit ihren beiden besten Freunden von Bord bei ihnen verbringen dürfte.
Sarah und Rohdan ließen sich nicht zweimal bitten. Sie hingen sehr an ihrer Tochter und es fiel ihnen sehr schwer, als Freya zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag ankündigte, zur See fahren zu wollen. Sie stimmten schweren Herzens zu, vermissten ihre Tochter aber stark und freuten sich jedes Mal unheimlich, wenn sie Freya sahen.
Überrascht waren die beiden älteren Parda eigentlich nur, als Freya auch noch das Bordmaskottchen mitbrachte. Es handelte sich um eine Ente namens Leviathan, die sich irgendwann an Bord geschlichen hatte und für viel Aufregung sorgte, ehe Freya und ihr Kamerad Byrt sie schließlich im Laderaum entdeckten. Von da an war Leviathan – oder Levi, wie er an Bord auch genannt wurde – allerdings der Glücksbringer der Soleil Royal und ihrer Besatzung. Freya übernahm die Verantwortung für den schneeweißen Erpel und er lief ihr hinterher wie ein Hund. Und so kam es, dass an diesem sonnigen Sommertag Freya zusammen mit Leviathan und ihren beiden Freunden Byrt und Elah im Garten der Eltern saß und einen Birnensaft schlürfte.
Byrt beobachtete Elah gerade dabei, wie sie dem Erpel zärtlich über den Kopf streichelte und Levi genüsslich leise vor sich hin schnatterte.
Byrt hockte im Schneidersitz auf dem Rasen, und das hatte einen durchaus triftigen Grund. Er war Granitianer, dieses Volk war wesentlich größer als das Volk der Parda. Er überragte Freya bei weitem und war wesentlich muskulöser und schwerer gebaut. An seinem ersten Tag bei den Eltern der Freundin setzte er sich im Garten ganz vorsichtig auf einen der Stühle, der allerdings nicht für eine derartige Körpermasse gebaut war und ächzend nachgab.
Das war Byrt natürlich äußerst peinlich und so verzichtete er weitestgehend auf Stühle im Haus der Familie Warmherz.
Doch auch er konnte nicht verhindern, dass Rohdan sofort mit seinem Lastkarren nach Aritholka fuhr und dort einen extra für Granitianer angefertigten Stuhl beschaffte. Dieser Stuhl stand nun im Esszimmer der Familie und wurde bei Bedarf auch ins Wohnzimmer getragen.
Die Haut des Granitianers schimmerte im Sonnenlicht leicht grünlich, und der große Mann hatte etwas wildes an sich. Die schwarze, wirre Haarmasse auf seinem Kopf ging nur bei bestem Willen als Frisur durch und die zwei Narben in seinem Gesicht sorgten für ein Übriges.
Wer ihn allerdings näher kannte, wusste, dass Byrt absolut freundlich war, es sei denn jemand wollte seinen Freunden oder seiner Familie etwas tun.
Es dauerte damals dann auch nicht lange, bis Freya und er sich angefreundet hatten und diese Freundschaft hatte Bestand und vertiefte sich von Tag zu Tag.
Und nun saß er in dem Garten, zupfte zufrieden an ein paar Grashalmen herum und beobachtete Elah beim Streicheln der Ente.
Elah war, genau wie Freya, eine Parda. Sie war etwas älter und auch etwas größer. Sie trug ihre Haare kurz, und eine ihrer Angewohnheiten war es, das blauschwarze und etwas widerspenstige Haar aus der Stirn zu pusten. Freya war eher blass, Elah hingegen hatte fast schon schokoladenbraune Haut. Sie diente wesentlich länger als ihre Freundin an Bord der Soleil Royal und arbeitete als Soldatin auf dem Handelsschiff.
Das war nötig, denn Handelsschiffe waren gern gesehene Opfer von auf den Meeren herumreisenden Piraten. Daher verfügte die Soleil Royal über eine schlagkräftige und große Truppe von ausgebildeten Soldaten.
Das ungleiche Trio machte nun schon fast eine Woche Urlaub bei Freyas Eltern und es gefiel ihnen, auch wenn es sie nach den letzten Ereignissen schon fast ein wenig langweilte. Freyas Schiff war von einem Seemonster angegriffen und entführt worden und nur dem Zufall war es verdanken, dass sie alle überlebt hatten. Aus Rücksicht auf die Eltern der zierlichen Parda hatten die Freunde sich darauf verständigt, den Eltern nichts davon zu erzählen, damit sie sich nicht im Nachhinein noch Gedanken machen mussten.
„Ist die Sonne nicht herrlich? Und die Ruhe erst!“
Freya schmatzte genüsslich und sah in die Wolken.
Byrt grinste und warf ein paar der Grashalme hoch, die vom Wind sanft davongetragen wurden.
„Das ist es tatsächlich. Aber um ehrlich zu sein, ist es mir fast schon wieder zu ruhig. Wenn Ihr wisst, was ich meine.“
Elah streichelte weiter den Erpel, während sie dem Granitianer zunickte.
„Ich weiß, was du meinst. Wir Seeleute sind es nicht gewohnt, uns einfach so auszuruhen, wäre ich geneigt zu sagen.“
Die drei lachten. Die Floskel „wäre ich geneigt zu sagen“ war eine Parodie auf den Kapitän der Soleil Royal, Feyonor Kardona. Er benutzte diese Worte nur allzu gerne und Elah hatte sowohl den Ton, als auch die Mimik des Kapitäns gut getroffen.
Freya schaute die beiden Freunde neugierig an. Sie war relativ neu an Bord und hatte erst wenige Fahrten mitgemacht.
„Also, ich kann es sehr gut aushalten. Vielleicht ist das ganze etwas, dass nur ältere Leute wie euch betrifft.“
Sie streckte den beiden anderen spöttisch die Zunge heraus und duckte sich dann unter einem Grasbüschel hinweg, das der Granitianer spaßeshalber nach ihr warf.
„Hey, der Rasen meiner Eltern!“
Das Stück Gras flog noch etwas weiter und landete vor den Füssen eines älteren und männlichen Parda.
„Oh! Herr Warmherz! Ich …“
Der Granitianer war sichtlich peinlich berührt und begann zu stottern, doch Rohdan winkte nur ab.
„Ist doch nicht schlimm. Gras wächst nach.“
Rohdan war in seinen besten Jahren, wie er gerne betonte. Er hatte viele Lachfältchen im glattrasierten Gesicht und rote Haare, die mittlerweile von weißen Strähnen durchzogen waren. Er war ein Fischer durch und durch, von nicht allzu großer Gestalt, daher man unterschätzte ihn leicht. Die tägliche Arbeit an Bord seines Kutters hatten ihn kräftig und sehnig werden lassen und Byrt war sehr überrascht, als er dem Parda beim ersten Treffen die Hand geschüttelt hatte. Er kannte nicht viele Leute mit einem derart kräftigen Händedruck.
Der Parda deutete anklagend auf den Granitianer.
„Aber was hatten wir ausgemacht?“
Elah und Freya begannen zu kichern und Byrt hob ergeben beide Hände.
„Rohdan. Ich soll Rohdan sagen.“
„Genau.“
Der Parda wirkte zufrieden, als der große Granitianer sich erinnerte und stellte sich neben seine Tochter, die aus vor dem Sonnenlicht zusammengekniffenen Augen zu ihm Hochblinzelte.
„Aber eine Frage hätte ich da doch noch.“
Rohdan zog eine Braue hoch und sah Byrt abwartend an.
„Das wollte ich auch Freya schon gefragt haben, aber ich habe es immer wieder vergessen. Warum heißt ihr mit Nachnamen Warmherz? Alle Parda, die ich kenne, haben einen Nachnamen, der auf den Buchstaben o endet. So wie Elah Jarko.“
Elah sah beim Klang ihres Namens auf und bekam einen neugierigen Blick. Sie hatte das auch schon immer interessiert, aber sie hatte sich nicht zu fragen getraut.
Rohdan schürzte die Lippen und zog sich einen Stuhl heran, auf dem er sich niederließ.
Dann begann er sich eine Pfeife zu stopfen. Er rauchte selten, aber seine Tochter wusste, wenn ihr Vater zu einer Geschichte ausholte, war die Pfeife das Erste, was vorbereitet wurde. Die jüngere Frau grinste, schlug ihrem Vater auf das Knie und erhob sich.
„Erzähl du mal, ich kann die Geschichte schon nicht mehr hören. Ich helfe Mama im Haushalt!“
Sie schlüpfte mit den Füssen in ihre Schlappen und ging gemächlichen Schrittes ins Haus.
„Du Banause!“, rief Rohdan seiner Tochter scheinbar empört nach.
Als er sich wieder zu Byrt umdrehte, war dieser bereits erheblich näher gerückt und konnte dem Parda, trotzdem er im Schneidersitz saß, ohne Probleme in die Augen schauen. Elah rappelte sich gerade auf und ließ sich dann neben dem Granitianer wieder ins Gras fallen.
Rohdan schmunzelte amüsiert. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, er ließ sich absichtlich Zeit damit, die Pfeife fertigzumachen.
Aber schließlich war er soweit. Er lehnte sich zurück und blies ein paar blaue Wölkchen in den Himmel über Aritholka.
„Warum wir Warmherz heißen, wollt ihr also wissen.“
Die beiden Mannschaftsmitglieder der Soleil Royal nickten eifrig.
„Nun, erst einmal: Du hast Recht, Byrt. Normal enden die Namen der Parda immer auf den Buchstaben O. Es gibt aber immer mal wieder Ausnahmen. Eine davon betrifft wohl unsere eigene, kleine Familie. Ich kann nicht genau sagen, auf wen es exakt zurückgeht, aber wir haben eine ungefähre Vorstellung.“
Er warf einen kurzen Blick in Richtung des Hauses und sah seine Frau und Freya durch das Küchenfenster das Abendessen zubereiten.
„Der Mann, der unserer Familie den Namen gab, legte zuerst seinen eigenen Namen ab. Er wuchs als Adoptivkind in einer Familie auf, über die nicht viel bekannt ist. Sie sollen allerdings nicht die gesetzestreuesten Bürger auf Kanthorus gewesen sein. Zumindest wird das behauptet.“
Elah machte große Augen und klappte überrascht die Ohren an den Kopf.
„Jaja“, lächelte Rohdan die Parda an.
„So war das wohl. Nun ja, ihm war das Verhalten der Familie zuwider und als Jugendlicher hatte er dann endgültig genug. Er rannte davon und wollte mit den Adoptiveltern nicht länger in Verbindung gebracht werden.“
Er zog an der Pfeife und genoss sichtlich die Neugier der beiden aufmerksamen Zuhörer.
„Er siedelte sich dann hier an, in Aritholka. Genau in diesem Haus hier. Aus guten Gründen legte er seinen Nachnamen ab, denn er wollte ja keinesfalls Teil dieser Familie sein. Er half den Leuten, wo er nur konnte, und wurde ein wahrhaft redlicher Bürger, eine richtige Stütze der Gesellschaft. Allerdings sagte er nie, wie er wirklich hieß, und so nannten ihn die Bürger dieses Dorfes bald nur noch den Warmherzigen. Tja, und das machte er dann irgendwann zu seinem eigenen Nachnamen. Warmherz.
Ein Name, der eigentlich viel mehr ist. Für uns ist er eine Aufgabe, eine Pflicht, gelebte Tradition. Wir versuchen alle, diesem Namen zu entsprechen, und ob man es glaubt oder nicht: Das Leben wird für uns alle tatsächlich schöner dadurch.“
Rohdan zwinkerte den beiden zu und zog noch einmal an der Pfeife.
Byrt und Elah schwiegen beeindruckt, bis Elah schließlich die Stille brach.
„Eine schöne Geschichte. Ich empfand euren Namen schon immer besonders, aber mit dem Wissen, warum er so ist, wie er ist, wird er noch einmal schöner und wertvoller.“
„Ich danke dir, Mädchen. Wir achten ihn sehr.“
Rohdan schaute wieder zum Küchenfenster und reagierte auf das Spültuch, das wild wedelnd geschwenkt wurde.
Er erhob sich und klopfte die Tabakkrümel von der Arbeitshose.
„Wir sollten nun in das Haus, es gibt Abendessen. Und ihr wollt nicht den Zorn meiner Frau auf euch laden, glaubt mir.“
Rohdan zwinkerte und stapfte dann voran. Byrt und Elah grinsten sich an und erhoben sich, um dem Vater in das Haus zu folgen. Auch Leviathan entschloss sich, mitzugehen und wie üblich stand in der Küche für ihn schon ein Napf mit kühlem, frischem Wasser und ein Teller mit Brot.
Kapitel 2
Den Abend verbrachten die drei Freunde wieder im Garten. Im Schein der Fackeln, die sie angezündet hatten, erzählten sie sich Geschichten und Erlebnisse aus der Jugend.
Die Eltern Freyas zogen sich schon früh zurück, zum einen musste Freyas Vater morgens zum Fischen und zum anderen war Sarah, der Meinung, dass die drei jungen Leute unter sich sein sollten.
Es wurde viel gekichert und gescherzt, aber ab und an kam auch die Sprache auf ernstere Themen. Nur die Geschichte um Horkon wurde weiterhin nicht erwähnt.
„Sagt mal“, fragte schließlich Byrt und sah dabei zu einer der Fackeln, die fröhlich im Wind flackerte.
„Was machen wir nun eigentlich so lange, bis die Soleil Royal wieder repariert ist?“
Freya zuckte mit den Schultern.
„Kardona will sie ja runderneuern lassen. Wie lange kann das überhaupt dauern?“
„Das kommt ganz darauf an. Wie viel Geld er investieren möchte, zum Beispiel. Die Soleil Royal ist ja ein freies Handelsschiff, das heißt, sie gehört ihm und keinem Eigner.“
Elah nickte bei ihren Worten langsam. Es war ein respektvolles Nicken. Ein eigenes Handelsschiff war auf Kanthorus sehr selten, nur die wenigsten hatten das Glück, ein derart großes und teures Schiff selbst unterhalten zu können.
Aber das bedeutete natürlich auch, dass jeder Tag verlorenes Geld bedeutete, wenn das Schiff nicht segelte.
Byrt kratzte sich gedankenverloren an seinem Bart.
„Auf der anderen Seite geht ihm das Wohl seiner Leute über alles. Er würde niemals mit einem nicht sicheren Schiff auslaufen. Dazu kommt, dass er zumindest im Moment die Gelder für die Besatzung spart.“
Die beiden Frauen nickten. Auch das war unüblich. Normalerweise wurden die Mannschaften weiterbezahlt, dennoch hatte die Besatzung der Soleil Royal einhellig darauf verzichtet. Ihnen war es wichtiger, dass genug Geld für die Reparatur des Schiffes vorhanden war. Kein Schiff, keine Arbeit, kein Geld. So hatten sie vor Feyonor Kardona, dem Kapitän argumentiert, der die Mannschaft eigentlich wie üblich ausbezahlen wollte.
Nur schwer konnte die Mannschaft ihn davon überzeugen.
Freya genoss die Arbeit auf dem großen Schiff sehr. Es war eine unheimlich schöne Atmosphäre und ein einzigartiger Zusammenhalt unter den circa 750 Männern und Frauen an Bord des Schiffes.
Mittlerweile genoss die Parda ein ziemlich hohes Ansehen auf dem Schiff, schon deshalb, weil sie das Schiff beim Angriff des Seemonsters gerettet hatte.
Sie selber vertrat jedoch die Meinung, dass jeder so gehandelt hätte wie sie, und eine Belohnung lehnte sie rundheraus ab.
Die Belobigung des Kapitäns aber konnte sie nicht verhindern und die Dankbarkeit der Mannschaft auch nicht. Natürlich machte sie das auch etwas stolz. Wenn Freya aber ehrlich zu sich selber war, wusste sie, dass ihre Tat damals ein absoluter Kurzschluss war. Sie hätte auf tausend Arten scheitern können. Aber das war eben nicht der Fall gewesen, den Göttern sei Dank.
Freya war bescheiden erzogen worden und so hoffte sie, dass der Rummel etwas abgeklungen war, sobald sie auf der Soleil Royal wieder ihren Dienst versehen würde.
Byrt und Elah dagegen gingen weiterhin ganz normal mit ihr um. Sie kannten Freya mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass ihr alles andere unangenehm gewesen wäre.
Freya sprang auf und ihre Augen funkelten im Licht der Fackeln.
„Lasst uns morgen zum Hafen gehen und das Schiff besuchen! Kapitän Kardona kann uns bestimmt auch sagen, wann die Royal wieder einsatzbereit ist!“
Begeistert sah sie ihre beiden Freunde mit geröteten Wangen an und hüpfte, aufgeregt wie ein Kind, von einem Fuß auf den anderen, so begeistert war sie von der eigenen Idee.
Elah grinste Freya amüsiert an und schlug beifällig beide Hände zusammen.
„So machen wir es!“
Byrt lachte und nickte.
„Wie die Damen wünschen!“
Die drei saßen noch einige Zeit draußen und lachten viel. Freyas Wangen blieben gerötet und die Augen funkelten, als ob sie Geburtstag hätte. Endlich wieder zur Soleil Royal!
Später, als die drei im Zimmer von Freya waren und sich zur Ruhe begaben hörte man sehr schnell das Schnarchen von Byrt und auch Elahs Atmen wurde zügig ruhig und regelmäßig. Die beiden schliefen. Nicht so Freya. Die junge Parda tat sich schwer damit einzuschlafen. Sie war zu aufgeregt und so verging noch geraume Zeit, ehe ihr endlich die Augen zufallen sollten.
Am nächsten Tag beeilten sich die drei Freunde damit, zu frühstücken, und machten sich zügig auf den Weg. Leviathan ließen sie im Garten bei Freyas Eltern. Schließlich erreichten sie Aritholka.
„Schon komisch“, murmelte Freya, mehr zu sich selbst als zu den anderen.
„Hm? Was meinst du?“
Elah, die als Parda über ein herausragendes Gehör verfügte, hatte die Worte aufgeschnappt und sah Freya neugierig an.
„Naja. Als ich zum ersten Mal in Uniform durch Aritholka ging, kam mir das sehr merkwürdig vor. Dasselbe Gefühl habe ich jetzt gerade, weil ich nun eben keine Uniform trage.“
Freya grinste verlegen und rückte die Brille etwas zurecht. Genau wie die beiden anderen, trug sie die Uniform natürlich hauptsächlich an Bord und im Urlaub zivile Kleidung.
Elah grinste und klopfte der anderen Parda beruhigend auf die Schulter.
„Du siehst hübsch aus in deinem Sommerkleid, mach dir mal keine Sorgen.“
Die beiden Parda Damen waren sehr unterschiedlich gekleidet. Elah war ein praktisch veranlagter Typ und das schlug sich auch in der Kleidung nieder. Sie trug eine etwas ältere Hose und eine lässige Bluse, praktisch, aber nicht sehr damenhaft.
Freya hingegen trug ein hübsches weißes und weites Sommerkleid mit violetten Applikationen. Dazu kam dann noch ein wundervoller Damenstrohhut, der natürlich über ausgesparte Löcher für die Ohren der Parda verfügte. Sie sah eher aus, als würde sie zu einem Bankett für die oberen Zehntausend gehen und nicht, als wäre sie Ausguck auf einem Handelsschiff.
In ihrer Freizeit kleidete Freya sich gerne so. Es war eine Abwechslung zu den Zeiten an Bord und gab ihr ein gutes Gefühl.
Byrt ging hinter den beiden her und pfiff ein leises Lied. Er schaute sich um und verfolgte das Gespräch zwischen den beiden Frauen nicht wirklich.
„Das habe ich nicht bezweifelt, aber mittlerweile trage ich die Uniform wie eine zweite Haut und fühle mich etwas unsicher, wenn ich sie nicht trage.“
„Das geht uns allen so“, brummte der große Granitianer und schlug Freya von hinten sacht auf die Hutkrempe.
„Hey! Lass das!“
Schnell richtete die Parda den Hut wieder. Elah winkte ab.
„Lasst den Quatsch! Seht mal lieber da! Ich sehe die Masten von der Soleil Royal bereits!“
Freya und Byrt folgten mit ihren Blicken dem ausgestreckten Finger Elahs und lächelten. Freya konnte sogar das Krähennest sehen, ihren Arbeitsplatz. Ohne dass sie sich weiter absprechen mussten, beschleunigten die drei ihre Schritte.
„Von hier sieht sie gar nicht beschädigt aus.“
Byrt kniff die Augen zusammen, um das Schiff besser sehen zu können.
„Wir sehen ja auch noch nicht allzu viel.“
Elah ging nun ein paar Schritte voraus und die drei Freunde kamen dem Schiff schnell näher.
Als sie um die letzte Ecke bogen, sahen sie ihr Schiff in voller Gänze.
Die Soleil Royal lag im Trockendock und wirkte auf den ersten Blick so majestätisch wie eh und je. Die geübten Augen der Seeleute allerdings sahen etwas anderes.
Freya fiel zuallererst auf, dass die Royal wie ein verletzter Riese wirkte, über den Armeen von Zwergen kletterten und wuselten. Eine ganze Menge dieser Zwerge kümmerten sich um den Rumpf des großen Handelsschiffes und waren damit beschäftigt Muscheln, Seepocken und Algen vom Bug zu kratzen, damit das Schiff wieder schneller über das Meer fahren konnte. Außerdem konnte man dann Beschädigungen leichter sehen und, falls nötig, beheben.
Elah stand mit verschränkten Armen neben ihrer Freundin und schaute aus zusammengekniffenen Augen zu der Takelage des Schiffes auf.
„Ich glaube, die wechseln sämtliche Taue aus. Bin mal gespannt, ob der Kapitän auch neue Segel anbringen lässt.“
Byrt brummte abschätzend.
„Ich weiß nicht. Das alles kostet sehr viel Geld. Ich glaube kaum, dass Kardona mehr als das nötigste machen lassen wird. Und unser Schiff ist ja auch in guter Verfassung.“
„Der Kapitän wird das ganze Schiff untersuchen und reparieren lassen. Nach unserem letzten Erlebnis kann man nicht sicher genug sein, wäre ich geneigt zu sagen.“
Die drei schraken beim Klang dieser Stimme zusammen und drehten sich um.
Dort stand Feyonor Kardona und blickte die drei Mannschaftsmitglieder amüsiert an.
Freya legte überrascht die Ohren an den Kopf und die Stertspitze zitterte etwas vor Überraschung.
„Kapitän! Damit haben wir nicht gerechnet!“
„Augenscheinlich.“
Der ältere Thol lächelte. Er trug die Kapitänsuniform der Soleil Royal, eine goldverzierte Version derselben Uniform, die die Mannschaft trug. Ein mächtiger grauer Bart umrahmte sein Gesicht, so das fast nur die Augen sichtbar waren, so schien es.
Freya mochte den Kapitän und auch allgemein war er sehr beliebt bei der Mannschaft. Er war ein strenger Kapitän, etwas, das optisch dadurch untermauert wurde, dass an Bord des Handelsschiffes Uniformzwang herrschte. Das war einzigartig, normalerweise wurden Uniformen nur beim Militär getragen. Aber er war auch eine Art Vater der ganzen Besatzung. Er hörte jedem zu und war für jeden da. Die Mischung an Bord der Soleil Royal wich sicherlich weit von der Norm ab, aber sie funktionierte.
Kardona trug unter dem rechten Arm einige Pläne, höchstwahrscheinlich Baupläne der Soleil Royal, wie Freya vermutete. Er schien gerade aus der Hafenmeisterei gekommen zu sein, was erklärte, warum die drei Freunde ihn nicht schon vorher gesehen hatten.
Byrt zeigte auf die Pläne.
„Ist denn alles soweit in Ordnung mit dem Schiff, Kapitän? Wann können wir wieder los?“
Das war genau die Frage, die auch Elah und Freya interessierte. Seeleute waren für ein Leben an Land nicht geeignet, das war allgemein bekannt, auch wenn es etwas von einem Klischee hatte. Die drei genossen ihren Urlaub, aber auch wenn es keiner ansprach: Sie wollten wieder an Bord des Schiffes und über das Meer reisen.
Freya schaute den Kapitän neugierig an und Elah blies sich eine blauschwarze Haarsträhne aus der Stirn, während sie auf die Antwort wartete.
Der Kapitän schüttelte müde den Kopf und das Funkeln der Augen erlosch etwas.
„Wenn das nur so einfach wäre. Ich werde nicht ablegen lassen, wenn die Royal nicht zu hundert Prozent seetauglich ist. Ich habe, bevor wir in Aritholka anlegten, mit Karthoran, unserem Zimmerer geredet. Er meinte, dass durch die Zeitverschiebungen Mikrorisse entstanden sein könnten. Aber er wusste es eben nicht. Nun, ich muss alles überprüfen lassen. Keiner weiß, ob das Holz des Schiffes gealtert und wieder verjüngt worden ist oder wie dieser Vorgang wirklich abgelaufen ist. Wie ihr seht, lasse ich alles austauschen, was nur irgend möglich ist. Das kostet zwar viel Geld, aber es ist einfacher, als alles untersuchen zu lassen. Nur das Holz des Schiffes selber wird untersucht, aber das dauert, wäre ich geneigt zu sagen.“
Die drei blickten zu Boden.
„Wenn wir irgendwie helfen können?“
Freya sah wieder zu dem größeren Mann auf, doch Kardona schüttelte den Kopf.
„Ihr habt schon genug geholfen, in dem ihr auf euren Sold verzichtet.“
Er lachte leicht bitter.
„Genaugenommen bin ich erst dadurch in die Lage gekommen, dass ich so eine Untersuchung überhaupt finanzieren konnte. Wenn die Royal wieder einsatzbereit ist, kann ich euch versprechen, dass Urlaub einfach nicht drin sein wird. Wir werden eine ganze Zeit brauchen, bis wir die finanziellen Verluste wieder ausgeglichen haben.“
Byrt trat einen Schritt nach vorne und ballte eine der riesigen Fäuste.
„Ihr wisst, dass uns das nichts ausmacht. Alles für die Soleil Royal!“
Die beiden Frauen neben dem Granitianer nickten eifrig. Das Schiff war ihr Zuhause und sie würden tatsächlich alles dafür tun, dass es auch so bliebe. Kardona lachte und zeigte zwei Reihen weißer Zähne.
„Ich weiß doch, ich weiß doch.“
Er machte beruhigende Gesten mit der freien Hand. „Ich wollte nur sagen, dass es noch etwas dauern wird. Es wird auf jeden Fall am Hafeneingang auf dem Nachrichtenbrett rechtzeitig angekündigt, wann die Soleil Royal wieder segeln wird. So lange müsst ihr euch gedulden. Macht etwas Urlaub.“
Er sah in die Runde und somit in drei leicht enttäuscht wirkende Gesichter. Er zwinkerte den dreien aufmunternd zu.
„Na kommt schon. Das Leben geht weiter.“
Dann sah er an den Freunden vorbei und zu seinem Schiff.
„Wenn ihr mich nun entschuldigen wollt, ich muss weiterarbeiten. Bis dann, ihr drei!“
Er schlug Byrt eine Hand auf die Schulter und nickte den beiden Frauen freundlich zu, ehe er zur Soleil Royal aufbrach.
Die Freunde sahen dem Kapitän nach, bis er in dem großen Schiff verschwand.
„Eigentlich sind wir ganz schön egoistisch“, murmelte Freya und kaute dabei auf ihrer Unterlippe herum. Elah legte die Ohren an und schaute die Freundin verdutzt an.
„Wie meinst du das?“
„Naja, Kardona muss das alles finanzieren und arbeitet vermutlich die ganze Zeit. Und wir sorgen uns nur darum, wann wir wieder lossegeln können.“ Byrt kratzte sich am Kinn und nickte.
„Du hast recht. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken. Das muss alles eine riesige Belastung sein.“ Sie blieben noch eine Weile so stehen und sahen zu ihrem Schiff herüber, bis Freya den Blick schließlich löste und die beiden angrinste.
„Na kommt, wir haben Urlaub. Ich habe gehört, in Aritholka hat ein Antiquariat aufgemacht, mit Schatzkarten und so! Lasst uns da mal hingehen und etwas herumwühlen.“
Elah und Byrt lachten.
„Genau“, spöttelte Elah.
„Mit echten Schatzkarten.“
Das hob die Laune und sie gingen forschen Schrittes zu dem Antiquariat, ließen die Soleil Royal, ihren Kapitän und die schlechten Gedanken dabei zurück.
Kapitel 3
Als Freya die altertümliche, hölzerne Tür des Antiquariats vorsichtig aufdrückte, bimmelte über ihrem Kopf eine kleine Glocke und verkündete dem Besitzer des Geschäftes neue potenzielle Kundschaft.
Das Geschäft war relativ klein und sehr düster. Das lag schlicht und ergreifend an der erdrückenden Anzahl der Waren. Selbst vor den Schaufenstern stapelten sich antiquarische Bücher und ließen nur wenig Licht in das Geschäft. Die Gänge waren eng und ebenfalls zugestellt. In den wenigen Lichtstrahlen, die das Geschäft erhellten, wirbelte Staub umher und sorgte so für eine fast schon mythische Atmosphäre.
Byrt sah durch die Tür in das Geschäft.
„Alles klar, ich warte besser draußen.“
Elah kicherte und drückte sich an dem großen Granitianer vorbei. Sie folgte ihrer Freundin ins Innere. Byrt hatte mit seiner Aussage recht. Der großgewachsene Mann hätte nicht viel in dem Laden erreichen können, außer, dass er alles mögliche und unmögliche umgeworfen hätte. So setzte Byrt sich draußen, in der Nähe des Ladens, auf eine Bank und wartete geduldig im Sonnenschein auf seine beiden Kameradinnen.
Währenddessen bewegten sich Elah und Freya im Geschäft vorsichtig um die aufgestapelten Bücher herum, um keinen der großen Türme versehentlich umzuschubsen.
Plötzlich blieb Freya so abrupt stehen, dass Elah mit einem lauten „Uff!“ auf den Rücken der anderen Parda prallte.
„Ohmanomanoman! Schau mal, da!“
Freya zeigte begeistert auf eine alte, eisenbeschlagene Seekiste in einer Ecke des Ladens. Elah sah über die Schulter der Freundin und grinste. „Klar, dass dir das gefällt!“
Freya beeilte sich, zu dieser Kiste zu gelangen und mit einigen Mühen gelang es ihr auch. Die Kiste war halb so hoch wie die junge Frau und sehr massiv. Freya strich, mit Bewunderung in den Augen, den Staub von der alten Kiste und legte kunstvolle und von Hand gefertigte Schnitzereien frei. Das Funkeln in ihren Augen dabei sprach Bände. Langsam hob sie den Deckel an, der dabei laut quietschte, und sah in die Kiste hinein.
Elah sah aus ihrer Perspektive nicht viel mehr als die Kiste und den aufgeklappten Deckel, da ihre Freundin sich tief in die Kiste beugte. Lediglich den wild hin- und her zuckenden Stert sah sie, als Freya in der Kiste wühlte. Unwillkürlich musste sie lachen und dachte an die Geschichten, die Freyas Eltern gerne über ihre Tochter erzählten, als diese noch ein Kind war.
Irgendwann tauchte Freya wieder aus der Kiste auf und hatte ein dickes Buch in den vor der Brust verschränkten Armen. An ihrem linken Ohr hing ein alter Stofffetzen. Freya ließ unbewusst das Ohr zucken und der Stoff segelte langsam zu Boden.
„Das! Das oder gar nichts! Das kauf ich!“
Mit roten Wangen stand sie da und ihre Augen funkelten begeistert.
„Soso, die junge Dame ist also fündig geworden, ja?
Ja?“
Die beiden Parda zuckten zusammen und suchten nach dem Eigentümer der Stimme. Freya hörte, dass der Sprecher wahrscheinlich ziemlich alt sein musste, aber sie sah niemanden.
„Äh, ja. Ich denke schon“, kam es etwas unsicher aus ihrem Mund.
„Das freut mich junge Dame, ja? Dann kommt doch bitte hier herüber, ja? Ja?“
Elah sah Freya an, schürzte die Lippen und zuckte mit den Schultern. Dann machte sie sich auf, in die Richtung, aus der sie die Stimme vermutete. Freya schlängelte sich erst an der Kiste vorbei und folgte dann ihrer Freundin, das Buch wie einen Schatz weiter an die Brust gepresst.
Elah hatte weiter hinten im Laden eine altmodische Kasse ausfindig gemacht, eine ganz alte und mechanische. Sie war aus Bronze und mit vielen Details verziert. Als Elah über die Kasse sah, nahm sie den alten Halma wahr, der auf einer Fußbank hinter der Theke stand und trotzdem noch zu klein war, um anders gesehen zu werden.
Er war vom Alter schon leicht gebeugt, hatte aber ein verschmitztes Gesicht und erstaunlich dichtes, graues Haar. Er setzte gerade einen Zwicker auf seine Nase und lächelte Elah freundlich an.
Freya hatte mittlerweile auch die Kasse erreicht und hielt das Buch kurz hoch.
Der alte Mann nickte.
„Das Logbuch soll es also sein, ja? Ja?“
Freya nickte stumm und sah den alten Mann dabei freundlich an.
Der Halma streckte die Hand aus.
„Darf ich es einmal kurz sehen, ja? Ja?“
Etwas unwillig, wie es Elah schien, legte Freya das schwere Buch vor dem Mann auf die Theke. Der Verkäufer blätterte scheinbar ziellos darin herum und klappte schließlich das Buch wieder zu. Es war ein schweres, altes und in Leder gebundenes Logbuch, wie Elah auf einen Blick feststellte. Es war so alt, dass man den Namen des Schiffes auf dem Einband schon gar nicht mehr lesen konnte.
„Das macht dann neunzig Pfund, ja? Ja?“
Der kleine Mann rückte den Zwicker zurecht und blinzelte die Frauen an.
„Neunzig!“
Freya legte überrascht die Ohren an und rief die Zahl laut durch den Laden.
„Es ist alt, ja? Sehr, sehr alt und deshalb wertvoll, ja? Ja?“
Ungerührt blickte der alte Mann Freya an. Neunzig Pfund waren in der Tat sehr viel Geld. Freya verdiente an Bord nur knapp viermal so viel im Monat. Eine ungeheure Summe also!
„Fünfzig!“
Freya presste die Kieferknochen aufeinander und ihr Gesicht nahm einen sehr entschlossenen Ausdruck an. Elah hob die Brauen. Wenn Freya wirklich gewillt war, so viel Geld auszugeben, war sie gespannt, was in diesem Buch stehen sollte.
Der Halma schüttelte den kleinen Kopf.
„Fünfundsiebzig, ja? Das ist ein wirklich guter Preis, ja? Ja?“
„Sechzig! Mehr kann ich gar nicht geben, denn mehr besitze ich auch nicht!“
Freya wirkte fest entschlossen. Elah wusste natürlich, dass ihre Freundin nur handelte.
Der alte Mann nickte und blinzelte kurz.
„Gut, sechzig, ja? Ich packe es dann ein, ja? Ja?“
Freya nickte und stupste Elah an.
„Kannst du mir etwas leihen? So viel habe ich nicht bei mir.“
Elah grinste bejahend und zu zweit reichten sie dem Händler die verlangten sechzig Pfund. Der Halma hatte das Buch schon in dickes Packpapier eingeschlagen und lächelte die beiden freundlich an. „Da habt ihr ein gutes Geschäft gemacht, ja? Ich wünsche euch viel Spaß damit, ja? Ja?“
Freya und Elah verabschiedeten sich freundlich und schlängelten sich dann wieder durch die Gänge, dieses Mal, um zum Ausgang zu gelangen.
Kaum waren sie draußen, bedrängte sie Byrt auch schon mit Fragen.
„Was habt Ihr denn so lange da drin getrieben? Was hast du denn da, Freya?“
„Das würde ich auch gerne wissen“, kam es leicht schnippisch von Elah.
„Freya macht den Eindruck, als hätte sie da drin einen Schatz gekauft und kein Buch.“
Die Parda grinste Freya breit an, die ihr daraufhin höchst undamenhaft die Zunge zeigte.
„Das ist ein Schatz. Oder so gut wie!“
Plötzlich sprach Freya dann leiser weiter.
„Ich bin mir sicher, dass wir da eine Schatzkarte haben! Also seid leise, wir wollen doch keine Aufmerksamkeit!“
Byrt lachte laut und grollend.
„Klar. Sicher. Natürlich doch. Eine Scha …“
Freya rammte dem großen Granitianer den Ellenbogen in die Seite.
„Nicht jetzt!“
Elah und Byrt sahen sich verwundert an. Byrt nahm Freya dann das eingepackte Buch ab und trug es mit einer Leichtigkeit, die in beiden Frauen Neid auf die Kraft des Granitianers wachsen ließ.
„Heute abend in meinem Zimmer!“
Damit war das Thema für Freya anscheinend beendet, denn sie wechselte das Thema und bald waren alle drei wieder damit beschäftigt, über die Zukunft der Soleil Royal zu reden. Den Rest des Tages verbrachten die drei, wie schon fast üblich, im Garten der Familie Warmherz. Das Buch war unter Freyas Matratze in ihrem Zimmer versteckt. Je länger der Tag andauerte, desto neugieriger wurden Byrt und Elah, und so verwunderte es nicht, dass Byrt sich bereits kurz nach dem Abendbrot auf seinem Stuhl reckte und gähnte.
„Ich glaube, heute werde ich nicht mehr alt. Ich bin müde und werde mich bald hinlegen. Wie ist das mit euch? Elah? Freya?“
Beide Frauen nickten und reckten sich ebenfalls.
„Ja, ich leg mich auch hin. Mama, Papa, macht euch einen schönen Abend!“
Freya umarmte beide Eltern und gab ihnen einen Gute-Nacht-Kuss und dann verschwand sie mit den beiden anderen die Treppe hinauf.
„Nanu?“, brummte Rohdan.
„Was war das denn jetzt?“
Sarah kicherte.
„Mein lieber Mann, hast du es immer noch nicht gelernt? Eltern brauchen nicht alles zu wissen.“
Dann begann sie damit den Tisch abzuräumen und Rohdan nickte wissend.
„Du hast recht. Mehr Zeit für uns, nicht wahr?“
Er stand auf und schlich sich von hinten an seine Frau an, die ihn allerdings mit einem an den Kopf geworfenen Spültuch bremste.
„Genau. Mehr Zeit zum Spülen, Rohdan!“
Freyas Vater seufzte gekünstelt und half dann seiner Frau beim Spülen.