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Leaf MacKay ist eigensinnig, unabhängig und ganz sicher nicht auf der Suche nach einem Mann. Und jetzt soll gerade sie den Frieden des Clans sichern, indem sie eine Zweckehe eingeht? Der dritte Band der historischen Liebesroman-Reihe um die Töchter des Clans MacKay vor der atemberaubenden Kulisse der schottischen Highlands. Schottland 1487: Leaf MacKay vertraut sich selbst und sonst niemandem. Nun soll ausgerechnet sie ihren erbitterten Feind Lennox heiraten, um die jahrelange Fehde mit Clan Ross zu beenden. Der drohende Verlust ihrer Unabhängigkeit treibt sie immer stärker in die Nähe des düsteren Schmieds Grey, der ihr im Kampf gegen Lennox zur Seite steht. Und dann ist da noch Leafs bester Freund und Adoptivbruder Artair, der nicht nur mit seiner unbekannten Herkunft, sondern vor allem mit seinen Gefühlen für Leaf ringt. Doch die Wunden der Vergangenheit sind tief, und Leaf muss eine Entscheidung treffen: Glaubt sie an die wahre Liebe? Oder nur an sich selbst? Hin und her gerissen zwischen ihrem Bedürfnis nach Schutz und ihrer Sehnsucht nach Liebe droht sie alles zu verlieren. Ein gefühlvoller historischer New-Adult-Liebesroman im romantischen Setting der schottischen Highlands - frech, erfrischend, knisternd! Kristin MacIver überzeugt abermals mit einer modernen und jungen Liebesgeschichte vor dem historischen Hintergrund der schottischen Clans. »Stark, wild und unwiderstehlich – dieses Buch hat mein Herz im Sturm erobert! Der dritte Band der Celtic-Dreams-Reihe hat mich vollends in seinen Bann gezogen. Eine tiefromantische Geschichte mit unwiderstehlichem Knistern, die für die Stärke und den Mut steht, sich selbst zu finden und das Leben in die eigene Hand zu nehmen.« Anna Husen Verfolge das Schicksal von Leafs älteren Schwestern in: - Band 1, Celtic Dreams: Der Traum der Lady Flower - Band 2, Celtic Dreams: Die Liebe der Lady River
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Seitenzahl: 619
Kristin MacIver
Roman
Knaur eBooks
Kann Leaf vertrauen lernen?
Schottland, 1487: Leaf MacKay vertraut sich selbst und sonst niemandem. Nun soll ausgerechnet sie ihren erbitterten Feind Lennox heiraten, um die jahrelange Fehde mit Clan Ross zu beenden. Der drohende Verlust ihrer Unabhängigkeit treibt sie immer stärker in die Nähe des düsteren Schmieds Grey, der ihr im Kampf gegen Lennox zur Seite steht. Und dann ist da noch Leafs bester Freund und Adoptivbruder Artair, der nicht nur mit seiner unbekannten Herkunft, sondern vor allem mit seinen Gefühlen für Leaf ringt. Doch die Wunden der Vergangenheit sind tief, und Leaf muss eine Entscheidung treffen: Glaubt sie an die wahre Liebe? Oder nur an sich selbst?
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Hinweis auf Triggerwarnung
Widmung
Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Epilog
Danke
Triggerwarnung
Liebe Leser:innen,
bestimmte Themen lösen bei manchen Menschen unbeabsichtigte Reaktionen aus. Deshalb findet ihr am Ende des Buches eine Triggerwarnung.
Ich wünsche euch ein schönes Leseerlebnis.
Eure Kristin
Für Colin.
Und alle, die nach dem Mut suchen, verletzlich zu sein.
Ihr denkt, dass ich Leaf mag? Dass ich wirklich vorhatte, sie zu heiraten? Dann seid ihr noch viel größere Narren als sie. Leaf ist der Feind. Eine MacKay. Ich hasse sie. Und jeder Satz, den ich zu ihr gesagt habe, war eine einzige Lüge.«
Nicht schon wieder. Leaf schnalzte mit der Zunge, damit ihr Hengst schneller über den Waldboden galoppierte, nahm die Zügel in eine Hand und schob die andere umständlich in den Bund ihrer Hose. Als sie sie wieder herauszog, haftete Blut daran.
»Ach, zur Hölle!« Sie wischte ihre Finger an ihrem schwarzen Leinenhemd ab. Kurz erinnerte sie sich an ihre älteste Schwester Flower, die ihr für den Fall, dass die Blutung mit Bauchkrämpfen einhergehen würde, nicht nur Eisenkraut, sondern auch Ruhe empfohlen hatte. Dann drückte sie die Fersen nur noch einmal fester gegen den Bauch ihres Pferdes.
Der Oktoberwind riss gelbe und orange Blätter von den Birken und Eschen und wehte sie beharrlich über den schlammigen Weg, auf dem bereits mehrere abgebrochene Äste lagen. Vor ihrem inneren Auge sah Leaf ihre Mutter, die erleichtert aufatmete und schlussfolgerte, dass Leafs Sorge und Wut der letzten Tage also nur auf ihre Blutung zurückzuführen waren. Dass sich beides bald wieder legen würde.
Was für ein Unsinn! Leaf lehnte sich im Sattel nach vorn, als ihr Pferd über einen Graben sprang und auf der anderen Seite wieder aufkam. Erstens musste man sich immer Sorgen machen. Und zweitens war Wut nichts, das sich legen sollte. Denn Wut machte stark. Und unverletzlich.
Wenn sie eines sein musste, jetzt, nachdem Lennox Ross ihren Onkel Malik getötet hatte, war es unverletzlich.
»Leaf, du kannst die Spur des Wolfs nicht mehr sehen, wenn du so schnell reitest!«
Sie musste seine Stimme nicht hören, um zu wissen, dass Artair fast zu ihr aufgeschlossen hatte. Wenn er da war, spürte sie es. Die Härchen auf ihrem Arm richteten sich nicht auf, sondern legten sich. Sie blickte schräg hinter sich. »Hat da jemand Angst, dass er seine Wette verliert?«
Artairs Mundwinkel hoben sich leicht, so wie sie es immer taten, wenn er sie zur Einsicht bringen wollte, gleichzeitig aber wusste, dass er damit scheitern würde. »Die Spur ist schon mehr als hundert Fuß vor dem Graben ins Unterholz verlaufen, Wildfang.«
Leaf blinzelte einmal mehr als sonst, ließ sich aber nicht anmerken, dass sie tatsächlich keine ovalen Pfotenabdrücke mehr vor sich sah. Sie rückte den Köcher mit den Pfeilen auf ihrem Rücken zurecht, an dem auch ihr Bogen befestigt war, und gestand sich ein, dass sie bisher nur halbherzig nach dem Wolf suchte, der in der Nacht ein Hochlandrind angefallen hatte. Sonst wäre sie zu Fuß aufgebrochen.
»Wenn du lieber ausreiten willst, kannst du mir das sagen«, fügte Artair spöttisch hinzu. Er ritt mittlerweile neben ihr und hielt sich ebenso mühelos im Sattel wie sie. »Andernfalls drehen wir besser um.«
»Wölfe ruhen in der Nacht nicht. Es muss mehrere Spuren in diesem Wald geben.« Leaf duckte sich unter dem immergrünen Ast einer Kiefer hinweg, der gefährlich tief hing, und musterte Artair von oben bis unten. »Am Ende willst du mir doch nur sagen, dass wir den Wolf nur wegen dir gefunden haben.«
Artair lachte. »Wenn wir getrennt suchen, werde ich eher sagen müssen, dass ich den Wolf nur wegen mir gefunden habe.«
Leafs Mundwinkel zuckten, dann schüttelte sie den Kopf. »Weißt du was, heute ist mir das gleich. Denn du hast recht. Der Wolf hat die Rinder verletzt, und wir sollten ihn finden. Getrennt gelingt uns das eher.«
»Leaf MacKay gibt auf?« Artair sah sie prüfend an.
»Niemals. Aber hier geht es nicht um mich, sondern um den Schutz meines Clans.« Sie zwinkerte ihm zu. »Was nicht bedeutet, dass ich das Tier nicht trotzdem vor dir finden werde, großer Bruder.«
»Nenn mich nicht so«, gab er prompt zur Antwort und ließ sich zurückfallen. Sofort packte Leaf die Zügel so fest, dass ihr das Leder schmerzhaft in die Finger schnitt, denn sie wusste, dass er es nicht mochte, wenn sie ihn so nannte. Sie würde daher nach ihrer Rückkehr nach Castle Varrich als Wiedergutmachung auch sein Pferd trocken reiben.
Kurz sah sie Artair noch nach, dann wandte sie den Kopf wieder nach vorn und schnalzte abermals mit der Zunge, um noch ein wenig Strecke zurückzulegen, da der Wolf mittlerweile überall sein konnte. Dabei kam ihr wieder der ungute Gedanke, dass vielleicht gar kein Wolf das Hochlandrind verletzt hatte. Sondern ein Mann aus Clan Ross, der sich bis nach Castle Varrich geschlichen hatte.
Ein Knurren entstieg ihrer Kehle, während ihr der Wind die Haare ins Gesicht peitschte. Niemand versehrte ihren Clan. Und doch, rief sie sich ins Gedächtnis, hatten die Mitglieder von Clan Ross genau das getan. Sie hatten ihrem Onkel Malik erst einige Rinder gestohlen, danach wehrlose Bauern verletzt, seine Tochter Fia getötet und zuletzt ihn selbst umgebracht. Und das alles nur aus Grausamkeit und Gier. Und Lennox Ross …
Leaf biss sich so hart auf die Lippe, dass sie Blut schmeckte. Lennox Ross war der schlimmste von ihnen. Er hatte den Pfeil durch das Herz ihres Onkels getrieben. So hatte ihr Vater es zumindest Artair erzählt, bevor er diesem die Verantwortung für Castle Varrich übertragen hatte, um danach als neuer Clanführer der MacKays gen Süden aufzubrechen und sich der dortigen Lage anzunehmen. Vor bald zwei Wochen hatte Lennox die Burg Maliks, Achfary Castle, zwar noch nicht eingenommen gehabt, aber Leaf zweifelte keinen Augenblick lang daran, dass er dies nun mit allen Mitteln versuchte. Er war hinterlistig und musste möglichst rasch gefangen genommen werden, damit ihre Familie sich an ihm rächen konnte.
Für Fias Tod, die mit Lennox sogar verlobt gewesen war. Für Maliks Ermordung. Und für das, was vor all den Jahren zwischen ihnen vorgefallen war.
Ein krampfartiger Schmerz in ihrem Unterbauch ließ sie kurz innehalten, und nicht zum ersten Mal überlegte sie, ob sie nicht trotz des ausdrücklichen Verbots ihrer Mutter ebenfalls nach Achfary Castle reiten sollte, um sicherzustellen, dass das auch wirklich geschah. Aber was würde dann aus Castle Varrich werden? Hatte sie sich nicht auch geschworen, dass sie die Burg in der Abwesenheit ihres Vaters zusammen mit Artair so wehrhaft machen würde, dass die Menschen in ihr vor einem möglichen Hinterhalt der Ross geschützt wären?
Auch wenn sie aufgrund dieser Gedanken am liebsten noch schneller und ohne Sattel geritten wäre, parierte Leaf ihr Pferd unmittelbar in den Schritt durch und saß in einer flinken Bewegung ab. Artair hatte recht. Wenn sie den Verantwortlichen für das verletzte Hochlandrind finden wollte, sei es ein Wolf oder ein Mitglied des Clans Ross – und eher wollte sie nicht auf die Burg zurückkehren –, sollte sie wachsamer nach ihm suchen. Zumal es, der Wunde am Hals des Rinds nach zu urteilen, wahrscheinlich eher ein Wolf war, der seinen Pfotenabdrücken nach zudem noch jung und folglich ohne Rudel unterwegs war.
Sie band die Zügel ihres Pferds um dessen Hals, damit es nicht darauf trat, und ließ es dann am Wegrand zurück. Sie hatte Ealair zwar beigebracht, auf sie zu warten, wusste aber, dass der Hengst fliehen würde, sobald ihm Gefahr drohte. Dann war sie auf sich selbst gestellt, aber das war sie ohnehin. Und besser das Tier suchte das Weite, als dass ein Angreifer es verletzte, weil es angebunden war.
Leaf tätschelte Ealair noch einmal kurz den Hals, dann bog sie die Äste eines Brombeerstrauchs zur Seite und tauchte tiefer in den Wald abseits des Wegs ein. Die Eichen und Eiben standen hier enger, das wenige Licht des grauen Tages brach nur spärlich durch die herbstlichen Baumkronen. Steinpilze und Heidekraut überzogen den Boden, ebenso wie Hölzer, gefiederte Farne, Moosbüschel und manchmal auch Steine. Sie gab acht, worauf sie trat, sah einmal etwas durch die Brennnesseln huschen, doch von einem Jungwolf mit graubraunem Fell und zu groß wirkenden Ohren war keine Spur zu sehen.
Zwischen den Baumstämmen pfiff der Wind noch schärfer und lauter. Es war alles andere als behaglich, denn sie konnte nicht einmal mehr ihren Herzschlag noch irgendwelche sonstigen Bewegungen um sich herum vernehmen. Sie befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge, sog den erdigen Geruch tief in ihre Nase und sehnte sich nach Stille. Doch der Wald lebte nun einmal nach seinen eigenen Regeln, genau deshalb mochte sie ihn auch so sehr. Trotzdem riet ihr ein inneres Gefühl dazu, besser ihren Bogen samt Pfeil vom Rücken zu nehmen.
Sie schlich eine Weile weiter, zuckte zusammen, als ein Habicht über ihr aus den Ästen einer Pappel flog, und war danach froh, dass Artair nicht Zeuge davon geworden war. Er hätte sie das nächste Jahrzehnt damit aufgezogen.
»Wo bist du?«, flüsterte sie und überlegte, ob sie nicht lieber zu der Stelle, an der sie die Fährte des Wolfs vorhin verloren hatte, zurückgehen und Artair folgen sollte. Aber erstens würde das nichts bringen, und zweitens würde Artair dann noch glauben, dass sie Angst davor hätte, sich dem Wolf allein zu stellen. Was nicht stimmte, oder zumindest nicht mehr.
Weitere Zeit verging, in der sie neben Fußspuren auch nach dem oft von Knochen durchsetzten Kot eines Wolfs Ausschau hielt, bis Leaf aus dem Augenwinkel heraus tatsächlich die Bewegung eines Tieres sah. Sofort schlug ihr Herz schneller, ihr Griff um den Bogen wurde fester, und ihre Sinne schärften sich. Du kannst das, ermahnte sie sich und spürte gleichzeitig, wie die zwei punktförmigen Bissnarben an ihrem Arm zu jucken begannen. Ein Wolf ist zwar weit gefährlicher als ein Haushund, aber du bist nicht mehr sechs, du bist erwachsen.
Sie wartete einige Atemzüge, bis sich das elende Zittern in ihren Beinen legte, dann näherte sie sich vorsichtig dem Wacholderstrauch, hinter dem sie das Tier vermutete. Sobald sie es sah, würde sie ihren Pfeil abfeuern. Zumindest wenn es sich tatsächlich um einen Wolf handelte und sie es über sich brachte, ihn zu töten, obwohl er andere Tiere doch nur angriff, um sie zu fressen und zu überleben. Doch genau deshalb waren die Rinder der MacKays nicht sicher, und diese gewährleisteten nun einmal das Überleben ihres Clans.
Ihre Hände wurden feucht, und sie ertappte sich dabei, wie sie sich nach Artair umsah. Als sie das bemerkte, schüttelte sie grimmig den Kopf. Sie musste damit aufhören. Artair war für sie da, ja. Aber sie brauchte ihn nicht.
Für einen kurzen Moment schloss sie die Lider, dachte an ihre jüngste Schwester Skye, der sie erst gestern erklärt hatte, dass man sich seinen Ängsten stellen musste, und trat mit gespanntem Bogen um den Wacholder. Nur um dort kein Tier vorzufinden, sondern den mannshohen Eingang zu einer Höhle, die sie mit Artair vor Jahren einmal erkundet, aber bis gerade eben wieder vergessen hatte.
Ein bitteres Lachen brach aus ihrer Kehle. Sie hätte ihren Pfeil am liebsten geradewegs in das Innere der Höhle abgeschossen, doch für eine so unsinnige Handlung hatte sie den Pfeil viel zu mühevoll gefertigt. Ob der Wolf sich dorthinein verkrochen hatte?
Sie gönnte sich einen Moment, um sich zu sammeln, ehe sie den Bogen kurzerhand gegen den Wacholder lehnte und dafür ihren Dolch aus ihrem Stiefel zog. Vor ihr waren keinerlei Wolfsspuren zu erkennen, aber wie hätte es auch anders sein sollen, da bereits am Eingang zur Höhle der Erdboden knöchelhoch vom Wasser überspült war. Von früher wusste sie, dass nicht nur der Eingang, sondern auch das Innere der Höhle mannshoch war und genug Licht von draußen hereinfiel, sodass man zumindest während der ersten Schritte gut sehen konnte. Sie musste es also schaffen, den Wolf dorthin zu locken, wenn das Tier, das sie vorher gesehen hatte, überhaupt ein Wolf gewesen war, damit sie ihn mit einem gezielten Wurf ihres Dolchs möglichst schmerzfrei töten konnte. Oder aber sie versperrte ihm mit Hölzern den Fluchtweg, damit er verhungerte, aber das wäre feige und grausam, und sie war weder das eine noch das andere. Anders als Lennox Ross.
Das Wasser unter ihren Stiefeln platschte leise, als sie den ersten Schritt in die Höhle zwischen die moosbedeckten Felsen wagte, und dann den zweiten. »Komm zu mir«, flüsterte sie, während sich die Härchen auf ihrem Arm aufstellten und ihr Mund trocken wurde, auch wenn sie das nie jemandem verraten würde. Ein Grund mehr, sich endlich der Vergangenheit und ihrer Angst seit Kindertagen zu stellen.
Sie beugte die Knie ein wenig, damit ihr Stand stabiler war, dann sagte sie erneut und etwas lauter zu sich selbst: »Komm zu mir. Wo bist du?«
»Hier.«
Unwillkürlich entfuhr ihr ein kurzer Schrei, doch als sie gerade herumwirbeln wollte, legte sich bereits ein starker Arm um ihren Hals. »Tut mir leid, aber das war die Gelegenheit«, raunte ihr eine Stimme sanft ins Ohr. »Und ich glaube nicht, dass du es mir vergeben hättest, wenn ich sie nicht genutzt hätte.«
Unwillkürlich schnellten Leafs Hände zur Hand des Angreifers, die sie nach unten zog, damit dieser den Würgegriff nicht mit seiner zweiten Hand festigen konnte. Gleichzeitig machte sie einen Schritt zur Seite, nahm die Stellung ein, in der sie ihn über ihre Hüfte zu Boden werfen konnte. »Wenn hier einer etwas vergeben muss, Artair, dann du mir, wenn du mich nicht auf der Stelle loslässt«, warnte sie mit flachem Atem. »Da könnte ein Wolf sein, und ich will dich nicht zu seinen Füßen schleudern.«
Ein warmes Lachen. »Das Drohen als Kampfmittel hast du also verinnerlicht. Aber mich schüchterst du damit nicht ein, Wildfang.«
»Verdammt, ich meine es ernst.«
Doch Artair nahm rasch eine andere Position ein und festigte seinen Griff um ihren Hals erneut. »Ich habe dir bei unseren Kampftrainings auf deinen eigenen Wunsch hin einmal versprochen, dass ich dich stets unerwartet angreife und mich verhalte wie ein echter Feind. Ich kann dich jetzt nicht loslassen, du würdest mir sonst nie wieder glauben.«
»Ich habe einen scharfen Dolch in der Hand, Artair!«, herrschte sie ihn an und bot all ihre Beherrschung auf, um ruhig zu bleiben.
»Und jetzt hast du mich sogar noch vor ihm gewarnt«, entgegnete er und zog ihren Hals nach hinten, sodass sie bald das Gleichgewicht verlieren würde und er sie mühelos mit sich zu Boden ziehen könnte. »Leaf, wenn ich wirklich böse Absichten hätte, sähe es jetzt gerade überhaupt nicht gut für dich aus. Du zögerst zu lange und redest zu viel.«
»Weil du es bist, verdammt«, zischte sie und erinnerte sich an eine andere Taktik. Entschieden warf sie ihr Gewicht nach vorn und riss dabei seinen Arm mit der freien Hand einige Zoll nach unten, dabei darauf bedacht, die andere Hand, die den scharfen Dolch umfasste, von ihnen beiden wegzuhalten. Dann wand sie sich mit einer Drehung aus seinem Griff, wobei sie jedoch ungewollt mit der Klinge Artairs Unterarm traf, als dieser erneut nach ihr fassen wollte.
Sofort verwarf sie den nächsten Schritt, der vorsah, ihm mit dem Ellbogen gegen den Hals zu schlagen und mit den Füßen zwischen die Beine zu treten, und warf kurz einen besorgten Blick auf die Schnittverletzung, die jedoch nur oberflächlich zu sein schien. Was wiederum ein Fehler war, da Artair den Moment nutzte, um ihr den Dolch ruckartig aus der Hand zu biegen und diesen in den hinteren Teil der Höhle zu schleudern.
»Großartig«, entfuhr es Leaf, und ihr Puls beschleunigte sich. »Da habe ich Mitgefühl mit dir, und du versenkst die einzige Waffe, die ich bei mir trage.«
Artair rührte sich keinen Zoll und betrachtete sie mit ernstem Blick. »Hör niemals auf zu kämpfen, bevor du nicht gewonnen hast, Wildfang.«
Leaf schluckte, denn eigentlich wusste sie das. Trotzdem handelte sie bei Artair viel zu oft wider dieses Wissen. Vielleicht, weil ihr nur allzu bewusst war, dass er diese Angriffe nur durchführte, um ihre Kampfkunst zu verbessern, und sie ihn deshalb nicht verletzen wollte. Fluchend befreite sie sich aus seinem Griff und sah wieder ins Innere der Höhle. »Woher wusstest du, dass der Wolf nicht hier ist?«
Sofort trat ein Grinsen auf Artairs Gesicht. »Das habe ich doch gar nicht gesagt.«
Sie sah ihm unverwandt in die Augen, nun wieder in der Lage, klarer zu denken. »Du hättest meine Waffe nicht ins Höhleninnere geschleudert, wenn er hier wäre. Also?«
Artair lehnte sich gegen die Wand der Höhle. »Er war nie hier. Was du gesehen hast, war ein Rehkitz. Das in die andere Richtung geflohen ist, als du dich genähert hast.«
»Also bist du mir gefolgt?«
»Dachtest du wirklich, ich lasse dich allein einen Wolf jagen?«
Leaf streckte den Rücken durch und schüttelte den Kopf.
»Aber ich gebe dir darin recht, dass Wölfe gern in Höhlen schlafen. Nur ist es in dieser viel zu nass dafür. Du solltest nicht ständig und überall Gefahr wittern, Leaf«, erwiderte Artair.
Die Narben an ihrem Arm juckten wieder, und sie presste die Lippen zusammen. Damals hatte sie auch nicht gedacht, dass ihr Hund Bhaic ihr beinahe den Arm durchbeißen würde, und doch war es geschehen. Sie war in einem der unterirdischen Gänge von Castle Varrich auf dem Boden gelegen, in vollkommener Dunkelheit mit seinen Zähnen in ihrem Fleisch. Allein. Hilflos. Und ohne Waffe, so wie jetzt.
»Lass uns gehen.« Leaf wollte sich an Artair vorbei zurück ins Freie schieben, doch er griff nach ihrem Arm. Dieses Mal nicht so fest wie vorhin, sondern sanft. Fragend. Sie drehte sich wieder zu ihm um und roch seinen unverwechselbaren Geruch nach frischem Heu.
»Leaf«, sagte er leise und strich mit der Hand ihren Arm hinab. »Wenn du wirklich nicht weglaufen willst, dann gehst du jetzt mit mir in diese Höhle hinein und holst dir deinen Dolch zurück.«
»Nein.« Bevor Artair ihre Narbe berühren konnte, zog sie ihren Arm zurück und trat ins Freie. »Das überlasse ich getrost dir, großer Bruder.« Sie deutete auf den halbmondähnlichen Schnitt, den sie ihm vorhin unabsichtlich am Arm beigebracht hatte und für den sie sich noch immer schlecht fühlte. »Aber beschwere dich nicht, wenn du dabei mehr Wunden davonträgst als diese.«
Artairs Blick fiel auf seinen Arm, und er wischte das wenige Blut fort, das aus dem Kratzer getreten war, ehe er ihr folgte. »Erstens sind wir keine Geschwister, sondern Freunde. Und zweitens ist meine Wunde nicht das Problem.« Artair trat wieder zu ihr, zupfte ein Haar von ihrem Leinenhemd und hielt es bedeutungsschwer vor ihr in die Luft. »Sondern dass du alle Wunden zu Narben werden lässt. Es kommt mir beinahe so vor, als ob du jedes Mal absichtlich ein Haar in deine Verletzungen legst.«
»So einen Unsinn habe ich selten gehört«, blaffte sie und nahm Artair das Haar aus den Fingern. Zeitgleich glitt über ihr wieder ein Habicht durch die bunten Baumwipfel, und sie hätte geschworen, dass es der gleiche war, der sie vorhin erschreckt hatte. Sie streckte ihr Gesicht gen Himmel, und erste Regentropfen fielen darauf. Eine Unruhe erfasste sie, von der sie nicht wusste, woher sie kam, und sie sah Artair unverwandt in die Augen. »Denkst du denn wirklich, dass ich es in unserer gegenwärtigen Lage mit meiner Vorsicht übertreibe?«
Er schwieg einen Moment, denn er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie nicht von dem Wolf sprach. Dann neigte er leicht den Kopf. »Aye. Ich denke nur, dass du die Dinge mehr auf dich zukommen lassen solltest.«
Leaf zögerte. Sie wusste genau, warum. Nur wollte sie das Artair nicht sagen, sondern endlich lernen, allein mit ihren Sorgen zurechtzukommen.
»Leaf, hast du etwa etwas Beunruhigendes gehört?«, fragte er, und eine Sorgenfalte trat auf seine Stirn.
Sie zog ihre Lippe nach innen, ballte die Hände, öffnete sie wieder und schüttelte den Kopf. »Nein.« Sag nichts, sag ihm nichts … Doch sie konnte ihr Wissen nicht länger für sich behalten. »Aber ich habe etwas gelesen.«
»Du wirst ganz bleich«, murmelte er, während sie tief Luft holte und ihm dieses Mal nicht widersprach.
»Als ich kurz nach Vaters überstürztem Aufbruch in die Burg zurückkam und du mir erzählt hast, was geschehen ist, habe ich dich gefragt, ob Vater Cailan und Morgan zu Hilfe holen wird.«
Artair nickte. »Ich erinnere mich. Du warst ungehalten, obwohl Gregor den beiden schon geschrieben hatte. Er hat mir die versiegelten Briefe selbst gezeigt.«
»Aye, du hast die Briefe gesehen«, sagte Leaf, »aber sie nicht gelesen. Anders als ich, als ich später die Tür zu seinem Zimmer aufgebrochen habe und dort die Wachstafeln gefunden habe, auf denen er seine Briefe immer vorab schreibt.«
Artair verschränkte die Arme, sagte aber nichts. Auch nicht, dass er einen Schlüssel zu diesem Raum hatte, sodass Leaf herausplatzte: »Vater hat Cailan und Morgan nicht gebeten, ihm im Kampf beizustehen, Artair. Er hat sie nur wissen lassen, dass sie ihre Männer bereithalten sollen.« Ihre Kehle war so eng, dass sie die Worte kaum herausbrachte. »Für den Fall, dass er die angespannte Lage nach dem Angriff der Ross nicht mit Verhandlungsgeschick lösen kann.«
»Verhandlungsgeschick«, raunte Artair und wurde nun seinerseits blass. »Aber Clan Ross ist doch geschwächt, nachdem er bei den harten Kämpfen kurz vor Maliks Tod so viele Männer verloren hat. Unsere momentane Lage ist daher gar nicht so schlecht für uns, um … Leaf, weinst du etwa?«
»Nein«, sagte sie rasch und wischte sich trotzdem über die Wange. »Nur weiß ich genauso gut wie du, dass Vater nur einen Weg kennt, um Fehden zu lösen, und das ist nicht der Kampf. Die Lage ist aus seiner Sicht also tatsächlich bestens. Und zwar für …«
Artair riss die Augen auf und stützte sich mit der Hand am nächstgelegenen Baumstamm ab.
»Ich sehe, du hast mich verstanden«, nickte Leaf und fuhr dann fort: »… für eine gottverdammte Hochzeit zwischen mir und unserem Feind.«
Nein, das würde Gregor nicht tun. Mit gefurchter Stirn durchtrennte Artair die nächste Ranke des Efeus, der zusammen mit dem letzten Sturm die ohnehin baufällige Burgmauer nahe dem Burgtor zum Einsturz gebracht hatte. Denn auch wenn Leaf sich oft übermütig und vorlaut verhielt, war sie doch Gregors eigenes Fleisch und Blut. Sein Kind, das er als Vater beschützen musste. Er konnte sie deshalb doch unmöglich mit dem Feind verheiraten. Und erst recht nicht, nachdem dieser Gregors eigenen Bruder getötet hatte.
Sein Dolch glitt ihm aus der Hand, fiel auf den großen Steinhaufen vor ihm und brachte dadurch einen von ihnen ins Rollen. Beinahe wäre er ihm auf den Fuß gefallen, hätte er diesen nicht rechtzeitig weggezogen. Sein Blick wanderte vom Hügel, auf dem Castle Varrich thronte, in Richtung des Dorfs Tongue, über dem dunkle Regenschwaden hingen. Nach ihrem gemeinsamen Morgen im Wald, der im Gegensatz zu ihren sonstigen Ausritten kein unbeschwertes Ende genommen hatte, war Leaf zu Graham, dem Sohn des Schmieds, ins Dorf gegangen, um sich einen neuen Dolch zu beschaffen.
Artair rieb sich den Hals und blickte zur Sonne, die nur schwach durch die Wolken schien. War es nicht längst an der Zeit, dass sie zurückkam? Oder war endlich Grahams Cousin eingetroffen, auf den er schon seit Tagen wartete, weil sein Vater kaum noch in der Schmiede arbeiten konnte, und Leaf war noch bei beiden geblieben? Fremden misstraute sie schließlich grundsätzlich, eine Eigenschaft die sich in letzter Zeit nochmals verstärkt hatte.
Artair krempelte die Ärmel seines Leinenhemds hoch und legte den Stein wieder auf den Haufen. Unabhängig davon, ob Leaf bezüglich Gregors Plänen recht hatte oder nicht, mussten sie die Burgmauer wieder aufbauen. Der Efeu musste entfernt, die Steine mussten mit Mörtel wieder zu einer festen Mauer gefügt und vielleicht sogar Stützpfeiler angebaut werden, so, wie Leaf es schon seit Jahren vorschlug. Das würde viel Zeit und Arbeitskraft in Anspruch nehmen, die er jetzt aber, nachdem Gregor ihm die Führung von Castle Varrich übertragen hatte, von den Dorfbewohnern einfordern konnte. Schließlich wollte er etwas Gutes für die Burg tun, die nun seit vierzehn Jahren sein Zuhause war. Seit jenem Tag, an dem Gregor und Father Maxwell, der Abt des nah gelegenen Bergklosters, ihn als erinnerungslosen, etwa neunjährigen Jungen am Strand unterhalb von Castle Varrich gefunden hatten.
Ein mulmiges Gefühl stellte sich in seiner Bauchgegend ein, und er ging rasch zurück zu dem eingestürzten Teil der Mauer, um die restlichen Efeuranken von den links und rechts der Einbruchstelle stehen gebliebenen Mauern zu entfernen. Da drang das Donnern von Hufen an sein Ohr, und ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Wenn er sich jetzt umwandte, würde er Leaf sehen, die mit erhobenem Kinn und wehendem dunkelbraunem Haar den Hügel hinaufgaloppierte. Vermutlich sogar einhändig, denn das tat sie ausgesprochen gern, seit er ihr vor Jahren gezeigt hatte, wie das ging.
Er wischte sich den Steinstaub, der an seinen Händen haftete, an der Hose ab. Dann drehte er sich um, um Leaf ein Stück entgegenzugehen, hielt aber mitten in der Bewegung inne. Denn es war nicht Leaf, die auf ihn zuritt.
Er zog seine Augenbrauen zusammen und verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust, wobei er die Holzpfeife streifte, die er an einer ledernen Schnur stets unter seinem Leinenhemd trug. Tief atmete er die kühle Luft ein, meinte fast, den erdigen Duft des Grases auf seiner Zunge zu schmecken, während er jenem Mann fest in die Augen sah, den er zutiefst verabscheute. Und zwar nicht erst, seit dieser ihm vor einem Wettkampf, den Artair eigens zu Leafs Geburtstag veranstaltet hatte, irgendein Kraut in den Wein gemischt hatte, damit er von starken Krämpfen geschüttelt wurde und sein Gegner gewinnen konnte.
»Artair, mein Bester.« Mit einem überheblichen Gesichtsausdruck deutete Ninian zu dem Steinhaufen, während er sein Pferd zum Stehen brachte, aber nicht absaß, damit er weiter auf ihn herunterschauen konnte. »Da haben die MacKays wohl doch noch erkannt, für welche niedrigen Aufgaben du geeignet bist. Sag, hat Lady MacKay nur einen oder doch zwei Tage dafür gebraucht?«
Artairs Kiefermuskeln spannten sich an, aber er würde sich im Gegensatz zu früher nicht von Ninian provozieren lassen und erst recht nicht im Hinblick auf seine Ziehmutter. Denn das hatte noch nie gut geendet. Also bemühte er sich um einen ruhigen Tonfall, während die Anspannung in ihm wuchs, denn Ninian sollte doch eigentlich bei Gregor sein, und nicht hier. »Das fragst du Rhona am besten selbst, aber ich muss dich warnen. Sie spricht nicht gern mit Bediensteten.«
Ninians Gesicht färbte sich rot, und seine Augen funkelten frostig. »Ich bin kein Bediensteter, sondern ein Krieger. Das hast du offensichtlich vergessen.«
»Wie könnte ich, da du doch ständig alle daran erinnerst«, brummte Artair und musterte Ninian abschätzig vom Scheitel bis zur Sohle seiner fein polierten Stiefel. Sollten diese bei einem guten Krieger im Einsatz – oder Söldner, denn das war Ninian in Wahrheit – nicht dreckig sein, wenn er für seinen Auftraggeber unterwegs war, anstatt dass er versuchte, wie ein Lord aufzutreten?
Er schüttelte sich kurz, weil ihm nicht nach einem Streit mit Ninian zumute war. Stattdessen wuchs die Beklemmung in ihm, denn Ninians Ankunft konnte nur eins bedeuten. »Du bringst Nachrichten von Gregor?«
»Aye«, erwiderte Ninian mit einem hämischen Grinsen. »Nur überlege ich gerade, ob ich diese nicht besser aufschreibe, damit du sie nicht auch noch vergisst. Bei jemandem, der sich sogar nicht mehr an seinen eigenen Namen und seine Herkunft erinnern kann, muss ich schließlich davon ausgehen.«
Artair trat unwillkürlich einen Schritt auf Ninians Pferd zu, riss sich dann aber zusammen. Er hätte dem Söldner nie zeigen dürfen, wie sehr er unter diesem Umstand litt. Wie gern er wüsste, wer seine leiblichen Eltern waren, bevor Gregor MacKay ihn als Ziehsohn bei sich aufgenommen hatte. In eine Familie, die nicht die seine war, wie Rhona ihm als Kind immer wieder deutlich gemacht hatte. Mit Schwestern wie Flower, River, Leaf und Skye, die eigentlich nur Freundinnen waren.
Er wandte kurz den Blick ab und sah zu den aus der Burgmauer herausgebrochenen Steinen. Vielleicht hatte Ninian ja recht, und er stammte aus einer Familie von Steinmetzen. Und vielleicht lebte diese Familie auch noch irgendwo. Er spürte das sanfte Gewicht der Holzpfeife auf seiner Brust, des einzigen Gegenstands, den er neben seiner schäbigen Kleidung nach dem Schiffbruch noch am Leib gehabt hatte. Wie oft hatte er in den ersten Jahren auf Castle Varrich in die Pfeife hineingepustet und ihr einen schrillen Ton entlockt, in der Hoffnung, dass seine echte Familie ihn hören würde. Dass sie zurückkommen und ihn finden würde. Doch seine Hoffnung war stets enttäuscht worden.
Er presste die Zähne fest aufeinander und richtete seinen Blick wieder auf Ninian, der noch immer selbstzufrieden auf ihn herabsah und sein Leid zu genießen schien. »Also, was lässt Gregor mir ausrichten?«
Ninian lächelte und zeigte dabei seine makellosen Zähne. »Genau genommen ist die Nachricht für Lady Leaf.«
Artair atmete scharf ein und trat nun doch vor Ninians Pferd. Eine Nachricht von Gregor für Leaf. Ihm wurde schlecht. »Wie lautet sie?«
»Wo ich herkomme, ist es üblich, dem Boten einen Groschen für die Überbringung einer Nachricht zu geben.« Ninian beugte sich zu ihm nach unten. »Vor allem, wenn sie an jemand anderen gerichtet ist.«
Artair knurrte, packte Ninian nun doch am Gürtel und zog ihn vom Pferd herunter. Dieser zeigte sich darüber keineswegs überrascht, sondern vielmehr erfreut. »Ich warne dich, Ninian. Du sagst mir jetzt sofort, was du weißt, oder ich zeige dir eindrücklich, warum ich die Verantwortung für diese Burg übertragen bekommen habe und nicht du.«
Ninians Augenlider zuckten kurz, er schien sich daran zu erinnern, dass er noch nie in einem ehrlich ausgetragenen Kampf gegen ihn gewonnen hatte. Trotzdem schlug er Artairs Hände fort und reckte das Kinn empor, damit er nun, da er stand, nicht allzu sehr zu ihm aufsehen musste. »Du Mistkerl hast die Verantwortung für Castle Varrich nur aus dem einen Grund bekommen, dass Lord MacKay Mitleid mit dir hat. Wahrscheinlich, weil du sein Bastard bist.«
Ein eisiger Schauer durchfuhr Artair, als zum ersten Mal in seinem Leben jemand diesen Gedanken offen aussprach. Ohne nachzudenken, verpasste er Ninian einen Kinnhaken, der diesen einige Schritte zurücktaumeln ließ. »Das sagst du nie wieder zu mir.«
Ninian entfuhr ein wüster Fluch, und er ballte ebenfalls die Fäuste. Dann trat er mit bebenden Schultern einen Schritt auf ihn zu. »Weil es … stimmt?«
Artairs Hände zitterten, und er musste seinen ganzen Willen aufbieten, um der Mann zu bleiben, der er sein wollte. Denn es gab keine Vorstellung, die schlimmer für ihn war als die, dass er Gregors Bastard war. Nicht nur, weil Rhona in diesem Fall wahrlich Grund hätte, ihn zu hassen, sondern vor allem, weil dann in Leafs Adern das gleiche Blut fließen würde wie in seinen. Und dieser Gedanke war von allen der unerträglichste, weshalb er auch nie gewagt hatte, ihm nachzugehen. Zumal Leaf, als er vor Jahren einmal mit ihr darüber gesprochen hatte, geradezu darauf beharrt hatte, dass Gregor niemals sein Vater sein könne. Allein schon deshalb nicht, weil dieser seinen unehelichen Sohn doch keinen Schiffbruch erleiden lassen würde, nur um ihn danach bei sich aufzunehmen.
Bevor er noch etwas tat, was er später bereuen würde, verschränkte Artair seine Arme wieder vor der Brust und sah sein Gegenüber verächtlich an. »Die Nachricht, Ninian, oder alle erfahren, mit welch niederträchtigen Mitteln du beim letzten Wettkampf gegen mich gewonnen hast.«
Ninian keuchte, und hinter Artair ertönte auf dem noch nicht eingestürzten Teil des Wehrgangs eine weitere Stimme. »Artair, machst du Ninian wieder Angst?«
Sofort wirbelte Artair herum, nur um überrascht in Leafs belustigtes Gesicht mit den Sommersprossen zu blicken. Er wusste nicht, ob und wie viel sie von seinem Wortwechsel mit Ninian mitbekommen hatte, bezweifelte aber, dass er dort oben gut verständlich angekommen war.
»Lady Leaf.« Ninians Stimme klang eine Spur freundlicher, denn er wusste nur zu gut, dass sie, anders als Artair, ihren Mund nicht hielt, wenn sie jemanden nicht leiden konnte.
Leaf nickte ihm kurz zu, dann ging sie in die Knie und … Oh nein, sie wollte doch tatsächlich vom Wehrgang springen! Sofort eilte Artair zu ihr, um sie aufzufangen, doch da war Leaf schon grinsend im Gras gelandet.
»Keine Sorge«, meinte sie, als sie sich aufrichtete. »Du weißt doch, dass ich das schon oft gemacht habe.«
Er schüttelte den Kopf und hatte plötzlich das Bedürfnis, Leaf in seine Arme zu ziehen. Aber erstens würde Leaf das nicht wollen, und zweitens war Ninian noch immer zugegen.
Dieser öffnete nun den Mund, vermutlich, um endlich seine Nachricht zu überbringen, doch auf einmal wollte Artair nichts lieber, als dass Ninian schwieg. Dass Leaf nicht erfuhr, was der Söldner zu sagen hatte, bevor er selbst nicht wusste, wie schlimm seine Botschaft war.
»Wildfang, lass mich kurz mit Ninian allein reden. Es gibt da Dinge, die ich mit ihm zu zweit besprechen muss.«
Sofort wich die Farbe aus Leafs Gesicht, und sie ging, ohne ein weiteres Wort zu sagen, an ihm vorbei. Natürlich, stöhnte er innerlich, denn Leaf konnte sich schließlich denken, warum Ninian gekommen war. Sie hatte seinen Versuch, sie zu beschützen, wieder einmal sofort durchschaut.
»Raus mit der Sprache«, befahl Leaf, während sie sich vor Ninian aufbaute. Artairs Herz setzte einen Schlag lang aus, als er die Verletzlichkeit in ihrer Stimme wahrnahm. Sofort trat er neben sie, woraufhin Ninian einen Schritt zurückwich.
»Lady Leaf«, setzte er an, während ein Rabe über ihn hinwegglitt und auf dem Wehrgang landete. »Euer Vater lässt Euch ausrichten, dass Ihr Euch ein neues Kleid nähen sollt.«
Ohne den Blick auf sie zu richten, spürte Artair, wie Leaf sich verspannte, und er trat noch näher an sie heran. Sie schaffte es trotzdem, klar, ja sogar in amüsiertem Tonfall zu antworten: »Ich bedauere, aber weder trage ich Kleider, noch nähe ich welche.«
Ninian schluckte, und plötzlich ärgerte es Artair, dass der Söldner vor Leaf mehr Achtung hatte als vor ihm. »Nun«, fuhr Ninian fort, »das werdet Ihr aber müssen, wenn Ihr Lennox Ross nicht in Leinenhemd und Hose heiraten wollt.«
Nun fluchte Leaf heftig und wandte ihren Kopf zu ihm. Der furchtsame Ausdruck, der für einen Lidschlag in ihrem Blick lag, brach ihm das Herz, und ihm wurde übel. Er ballte die Hände zu Fäusten, doch das änderte nichts daran, dass er machtlos war und ihr nicht helfen konnte.
Leaf dagegen trat mit voller Wucht gegen einen Stein, der im Gras lag, und setzte Ninian den Zeigefinger auf die Brust. »In diesem Fall schwingst du dich auf der Stelle wieder auf dein Pferd und richtest meinem Vater aus, dass ich Lennox Ross eher mein Schwert ins Herz stoße als ihn heirate.«
Ninian hob abwehrend die Hände. »Noch ist die Ehe nicht beschlossen. Die Höhe der Mitgift ist noch stritt…«
»Die Mitgift«, unterbrach Leaf ihn, und Artair hätte schwören können, dass dabei nicht nur ihre Lippe, sondern der gesamte Erdboden bebte. »Glaubt Lennox Ross ernsthaft, dass die MacKays ihm auch nur ein Silberstück zahlen würden, nachdem er meine Cousine und meinen Onkel getötet hat? Dass ich so wahnsinnig bin, zum Besitz eines widerwärtigen Mörders wie ihm zu werden?« Leaf lachte höhnisch und spuckte dann vor dem Söldner auf den Boden. »Nur über meine Leiche, Ninian. Und das weiß mein Vater auch.«
Ninian presste die Lippen zusammen, er hatte sich das wohl alles anders vorgestellt. »Lady Leaf«, versuchte er es noch einmal. »Ich habe klare Anweisung, Euch über die angedachte Ehe in Kenntnis zu setzen, damit Ihr Eure Einstellung dazu gut überdenken könnt. Ihr habt zwei Wochen Zeit dafür. Das ist genau die Zeit, die sich Torin Ross, der Clanführer der Ross, von Lord MacKay erbeten hat, da sein Sohn Lennox mit hohem Fieber erkrankt ist und er die Entscheidung nicht ohne ihn treffen will.«
»Wie bitte?«, entfuhr es Leaf und wurde augenblicklich bleich. »Zwei Wochen Bedenkzeit, ein kranker Sohn …« Sie wandte sich an Artair. »Das klingt genau wie die verfluchte Geschichte, die Cailan uns letztes Mal erzählt hat.«
Artair zog die Augenbrauen zusammen, denn er wusste nicht, worauf sich Leaf bezog.
»Am Strand, weißt du nicht mehr? Damals, als es plötzlich aus heiterem Himmel gehagelt hat?«
»Welche Geschichte?«, wollte nun auch Ninian wissen, während es Artair langsam dämmerte, worauf sie anspielte. Sofort wurde sein Mund trocken. Denn Leaf meinte jene Geschichte über Lennox’ Großvater, der nach einer Fehde mit den MacKenzies ebenfalls um zwei Wochen Bedenkzeit vor der angestrebten Eheschließung gebeten hatte, da sein Sohn Torin vermeintlich erkrankt war. Nur dass das nicht gestimmt hatte und Torin die vierzehn Tage dazu genutzt hatte, sich heimlich mit einigen Männern auf das Land der MacKenzies zu schleichen, um dort die angedachte Braut als Geisel zu entführen. Sodass die MacKenzies am Ende die junge Frau, anstatt sie zu verheiraten, gegen das umstrittene Land austauschen mussten, das sich seitdem im Besitz des Clans Ross befand.
»Ich weiß, was du meinst«, sagte Artair langsam. »Nur sagte Cailan auch, dass Torin dieser Tage ein Ehrenmann sei. Und er nicht glaubt, dass dieser so etwas je wieder tun würde. Zumal dein Vater diese Geschichte ebenfalls kennt und obendrein ein gutes Urteilsvermögen besitzt.«
»Außer, wenn es darum geht, seine Töchter möglichst vorteilhaft für den Clan zu verheiraten«, entgegnete Leaf und wandte sich an Ninian. »Hast du Lennox Ross denn krank auf Achfary Castle gesehen, als du dort warst?«
»Nein«, antwortete Ninian zögernd. »Aber ein kranker Mann braucht Ruhe. Auch wenn weder Torin Ross noch Euer Vater Zweifel daran hegen, dass Lennox wieder gesund wird. Die besten Heiler sind bei ihm.«
»Die besten Heiler sind wohl eher in einer Kammer mit einem leeren Bett!« Leaf schnaubte verächtlich. »Artair, das ist dir doch ebenso klar wie mir.«
»Leaf«, sagte Artair zögernd, denn er wollte Leaf auf keinen Fall in den Armen von Lennox Ross sehen. Andererseits kannte er Gregor aber gut genug, um zu wissen, dass sich dieser nicht so einfach täuschen ließ. »Dein Vater ist ein kluger Mann. Und wenn er glaubt, dass Lennox krank ist, will ich ihm nicht grundlos Dummheit unterstellen.«
»Aye«, pflichtete Ninian nun bei. »Außerdem sagte er mir schon, dass Ihr die wildesten Vermutungen anstellen werdet, um dieser Ehe zu entgehen, und ich mich auf keinen Fall darauf einlassen darf. Also bleibe ich dabei, Euch daran zu erinnern, dass es Eure Pflicht ist, Eurem Vater Folge zu leisten. Und er verlangt eindeutig, dass ich …«
»Mir ist gleich, was er verlangt«, zischte Leaf, und Artair sah, wie ihre Unterlippe zitterte. »Ich werde mich in keinem Fall wie ein Rind zur Schlachtbank führen lassen. Zumal Castle Varrich echte Gefahr droht. Richte meinem Vater daher aus, dass er, anstatt sich weiter von vermeintlichen Ehen ablenken zu lassen, seine Männer auf Achfary Castle für einen Kampf rüsten und die Ross dort ein für alle Mal auf dem Schlachtfeld besiegen soll. Ich werde derweil unsere Burg hier uneinnehmbar machen, damit wir vor jedem Hinterhalt von Lennox sicher sind.«
»Und dafür soll Euer Vater Euch zudem so viele Männer senden, wie er entbehren kann?«, fragte Ninian sarkastisch.
»Aye«, sagte Leaf. »Zumindest ein Dutzend, denn mit viel mehr Männern wird Lennox seinerseits nicht unbemerkt durch unsere Ländereien ziehen können. Gibt es denn schon Kunde von Grenzüberschreitungen der Ross?«
»Nein«, sagte Ninian. »Aber Euer Vater hat Wachposten hinter Achfary Castle platziert. Die würden sofort merken, wenn sich jemand tiefer in die Ländereien der MacKays schleichen will.«
»Weshalb Lennox selbstverständlich an einer anderen Stelle die Grenze zu unseren Ländereien überqueren wird«, sagte Leaf mit gefurchter Stirn. »Ein abgelegener Wald oder ein Bergkamm in Dunkelheit … Wir können nie wissen, wo genau er ist, dafür hat mein Vater nicht genug Männer. Sag, Ninian, wie lange hast du bis hierher gebraucht?«
»Drei Tage«, erwiderte dieser. »Auch wenn das nichts zur Sache tut, denn ich …«
»Drei Tage«, wiederholte Leaf unbeirrt. »Lennox kann es nicht riskieren, dir zu begegnen, weshalb er dir sicher einen Vorsprung gelassen hat. Zudem muss er langsamer reisen, da er nicht allein unterwegs ist, auf den Schutz der Nacht warten muss und nur abgelegene Pfade nutzen kann. Die letzte Meile wird er zudem nicht zu Pferd zurücklegen, da Pferde zu laut und auffällig sind. Wir haben ab heute also etwa eine Woche, bis er hier auftaucht.«
Ninian lachte trocken. »Mylady, ich wiederhole mich. Lord Lennox gesundet derzeit auf Achfary Castle.«
»Nein«, widersprach Leaf heftig. »Das glaube ich nicht. Aber wir sollten es natürlich überprüfen. Sieh also nach der Überbringung der Nachricht an meinen Vater auch zu, ob du Lennox auf Achfary Castle finden kannst. Wenn ja, stell sicher, dass er die Burg nicht verlässt, während du einen zweiten Boten mit der Kunde über seine An- oder Abwesenheit hierher sendest. Verstanden?«
Ninian raufte seine Haare. »Na gut, wenn das Eure Wünsche sind, werde ich sie Eurem Vater übermitteln. Aber er allein entscheidet dann, was getan wird. Und ich kann Euch jetzt schon sagen, dass er nichts unternehmen wird, denn er wird mich auslachen und seine Meinung nicht ändern.«
»Das werden wir noch sehen«, sagte Leaf mit bebenden Schultern. »Richtig, Artair?«
»Leaf …«, setzte dieser an und lauschte seinem eigenen, wild hämmernden Herzen. Er suchte nach den richtigen Worten, die einerseits trösten und anderseits keine Lügen sein sollten. Aber auch wenn er unter keinen Umständen wollte, dass Leaf heiratete, musste er doch realistisch bleiben und konnte sich keinen Angriff herbeidenken, nur um sie nicht zu verlieren. Ganz gleich, wie viel Leid Clan Ross auch zu Zeiten der Fehde durch den Tod von Fia und Malik sowie durch die Schandtaten an den Dorfbewohnern nahe Maliks Burg verursacht hatte.
Noch ehe er ihr antworten konnte, rann die erste Träne aus Leafs Auge. Sofort wandte sie sich ab und hastete in die Burg.
»Leaf, warte!«, rief Artair ihr hinterher, und tatsächlich blieb sie kurz stehen. Doch was sollte er ihr sagen? Was tun? Er schluckte und schwieg, hätte Leaf am liebsten in den Arm genommen, doch das konnte er vor Ninian nicht tun. Und schon ging Leaf wieder Richtung Burgtor.
»Was für ein tragischer Abgang«, höhnte Ninian, der sich nach Leafs Weggang wieder wohler in seiner Haut zu fühlen schien. »Aber mir soll es recht sein, denn dann kann ich jetzt in Ruhe meine zweite Nachricht überbringen.«
»Und die wäre?«, antwortete Artair gereizt, während das ungute Gefühl in seinem Bauch immer stärker wurde. Kurz überlegte er, Ninian nicht länger anzuhören und stattdessen Leaf nachzugehen. Aber er wusste, dass er sie zuerst allein mit ihrer Wut und Enttäuschung lassen musste. Weil sich sonst beides gegen ihn richten würde, wenn er sie jetzt bedrängte.
»Wie gesagt, hat Lord MacKay schon vermutet, dass Lady Leaf sich so aufführen wird«, sagte Ninian gedehnt. »Weshalb du jetzt ins Spiel kommst.«
Artair wurde es heiß, am liebsten hätte er sich mit der Hand Luft zugefächelt. Doch diese Blöße würde er sich vor Ninian nicht geben. Also wartete er ab.
Ninian dagegen schien seine überlegene Lage in vollen Zügen zu genießen, denn er legte ihm doch tatsächlich eine Hand auf die Schulter und meinte mit falschem Mitgefühl: »Wenn Lady Leaf in zwei Wochen noch immer nicht bereit ist zu heiraten, soll nicht ich sie zu ihrem Vater bringen. Sondern du.«
»Was?«, stammelte Artair und glaubte, nicht mehr genug Luft zu bekommen.
»Du hast richtig gehört.« Ninian grinste hämisch. »Ich werde nach Lord Lennox’ Zustimmung zur Ehe wiederkommen und die Verantwortung für Castle Varrich übernehmen. Während du Lady Leaf zum Traualtar geleiten wirst. So lautet Lord MacKays Anweisung.«
»Ich würde eher sterben, als dass ich Leaf verrate«, antwortete Artair wahrheitsgetreu und mit vollem Ernst.
Ninians Mundwinkel zuckten. »Also hintergehst du lieber Lord MacKay? Den einzigen Vater, den du je hattest? Denn ich versichere dir: Lady Leafs Nachricht an Lord MacKay wird ihn ganz sicher nicht umstimmen.«
»Das hast du dir doch alles nur ausgedacht«, entgegnete Artair wütend. »Wo ist sein Brief an mich?«
»Er hat mir keine schriftliche Order für dich mitgegeben. Du kannst schließlich nicht lesen.«
In Artairs Ohren rauschte es. Denn tatsächlich hatte er kurz nach seiner Ankunft auf Castle Varrich große Schwierigkeiten gehabt, sich die einfachsten Dinge zu merken, weshalb Rhona ihn kurzerhand für einfältig erklärt und seine Teilnahme am Unterricht ihrer Töchter verhindert hatte. Was Leaf wiederum als ungerecht empfunden hatte, sodass sie ihrerseits den Unterricht verweigert und mit ihm zur Aufmunterung durch den Wald gestreunt war. Er schüttelte die Erinnerung ab und senkte drohend die Stimme. »Gregor würde das niemals von mir verlangen.«
»Lord MacKay verlangt es gerade von dir, weil du der Einzige bist, auf den Lady Leaf hört und dem sie vertraut.« Nun lachte Ninian offen. »Nur hat er dabei wohl übersehen, dass du ganz andere Gefühle für deine Schwester hast. Doch sobald er das herausfindet, wird es sicher nicht mehr lange dauern, bis er dich davonjagt.«
Obwohl er es nicht wollte, begann Artair zu zittern. »Fahr zur Hölle, Ninian.«
»Vorsicht!«, warnte ihn dieser. »Du vergreifst dich im Ton gegenüber dem Mann, der zukünftig diese Burg befehligen wird.«
»Nein, Ninian«, erwiderte Artair mit schneidender Stimme. »Castle Varrich wird von einem MacKay geführt. Und du bist kein MacKay und auch kein Krieger, sondern nur ein käuflicher Söldner.«
»Immerhin besser als ein Bastard«, höhnte Ninian.
Artair schnaubte, schaffte es jedoch erneut, seine Wut zu zügeln, und ließ Ninian einfach stehen, denn er würde ihn ganz gewiss nicht in die Burg bitten. Als diesem seine Zurückweisung klar wurde, rief er noch einmal: »Du bist ein verfluchter Bastard, und sonst nichts!« Doch Artair ging geradewegs weiter.
Aye, vielleicht war er ein Bastard und möglicherweise sogar ein Bastard von Gregor MacKay. Aber sicher wusste er das nicht, denn bisher war er einer abschließenden Klärung dieser Frage immer ausgewichen. Einer Frage, die alles zerstören könnte, wonach er sich tief in seinem Herzen sehnte.
Doch damit musste nun Schluss sein. Er presste die Zähne fest zusammen. Wenn Ninian die Wahrheit gesagt hatte und er entscheiden musste, ob er Leaf oder Gregor verriet, musste er zuvor wissen, wer er war. Und vor allem, mit wem er verwandt war oder nicht.
Aber das konnte er nur herausfinden, indem er das Gespräch führte, vor dem er seit Jahren davonlief. Und mit der Frau sprach, die wissen musste, ob ihr Ehemann sie betrogen hatte oder nicht.
Und das würde er tun.
Am besten gleich …
… morgen.
Am nächsten Morgen, nach einer nahezu schlaflosen Nacht, ohne ihren Dolch ins Dorf zu gehen, war seltsam für Leaf. Zwar konnte sie sich zur Not auch mit bloßen Händen verteidigen, aber trotzdem hatte sie das Gefühl, dass ihr etwas fehlte. Ganz ähnlich erging es ihr, seitdem Flower und River nicht mehr auf Castle Varrich wohnten und sie nur noch hoffen konnte, dass es ihnen gut ging. Skye hatte letztens einmal gesagt, der Grund dafür wäre, dass Leaf ihre großen Schwestern eben vermissen würde, und vermutlich hatte sie damit recht, auch wenn sie sich das nur ungern eingestand.
»Morgen, Wynda«, grüßte Leaf und bemühte sich trotz der gestrigen schlechten Neuigkeiten um einen freundlichen Gesichtsausdruck, als ihr die Köchin entgegenkam. Diese verbrachte seit ihrer Hochzeit mit dem Schankwirt ihre Nächte nicht mehr auf der Burg, sondern im Dorf.
»Nanu, Leaf«, wunderte sich Wynda, blieb stehen und stemmte die Hände in die Hüfte. »Wo willst du denn zu so früher Stunde schon hin?«
Ein Schmunzeln umspielte Leafs Lippen, das erste, seitdem Ninian ihr gestern die Nachricht ihres Vaters überbracht und Artair den Ernst der Lage nicht verstanden hatte – weder im Gespräch mit Ninian noch bei ihrer zweiten Unterredung vor dem Abendessen. »Ach, Wynda. Glaubst du wirklich, dass du das wissen willst?«
Wynda schüttelte besorgt den Kopf und sah kurz aus, als wollte sie etwas sagen, doch dann ging sie einfach weiter. Es war besser so. Denn wenn Wynda nichts wusste, konnte sie ihrer Mutter Rhona auch nichts verraten. Diese vermutete ohnehin schon, dass etwas nicht stimmte, nachdem Artair und sie nach ihrer Meinungsverschiedenheit gestern Abend nicht mehr miteinander gesprochen hatten. Doch Leaf wollte ihre Mutter nicht unnötig beunruhigen – falls diese ihr überhaupt glaubte –, sondern lieber erst mit ihr besprechen, dass Castle Varrich ein Überfall seitens der Ross bevorstand, wenn sie einen guten Plan hatte, mit dem sie der Bedrohung standhalten konnten.
Bei der Erinnerung daran beschleunigte Leaf ihren Schritt und wich dabei den Regenwürmern aus, die sich heute auf dem Pfad ins Dorf befanden. Ihr Vater ekelte sich vor Regenwürmern, doch Leaf fand es beeindruckend, dass die Tiere selbst dann weiterlebten, wenn man sie entzweiriss. Ihr Weg führte sie vorbei an der baufälligen Kirche, bis sie schließlich die reetgedeckte Schmiede erreichte, die sich wegen der lauten Hammerschläge und der Brandgefahr etwas außerhalb des Dorfs befand. Schon oft hatte sie überlegt, dass man genau hier einen Brunnen schlagen müsste, damit der Schmied und seine Familie nicht immer das nötige Wasser für die tägliche Arbeit vom Strand hinaufschleppen mussten.
»Graham?« In alter Gewohnheit öffnete Leaf leise die unverschlossene Tür zur Schmiede. Es war noch früh, doch Graham begann mit seiner Arbeit meist vor Sonnenaufgang, erst recht, seitdem sein Vater ihn dabei nicht mehr unterstützen konnte. Seine Schwester Nessa half ihm seit Neuestem dabei, bevor sie ihren eigenen Pflichten nachging. Doch heute, an diesem kalten Herbstmorgen, lag die Schmiede noch im Düsteren, und nur die Kohle glomm rötlich im Schmiedeofen neben dem Amboss.
Leaf blinzelte mehrmals und hielt sich die Nase zu, bis sie in dem vom Rauch verhangenen Raum besser sehen konnte. An den Wänden hingen Hammer und Zangen in unterschiedlichen Größen, der lederne Blasebalg stand wie immer neben dem Schmiedeofen. In einer Ecke des gestampften Lehmbodens lagen gestapelte Metallbarren neben dem mit Wasser gefüllten Löschbecken. Auf dem Tisch dagegen, an dem Graham seinen Werkstücken den letzten Schliff verlieh, fanden sich Feilen, Punzen und Meißel zwischen Skizzen, Lumpen und teilweise bearbeiteten Eisenstücken. Darunter befand sich neuerdings Grahams Schlafstatt, die er seit der Krankheit seines Vaters oft nutzte und auf der er, das Gesicht zur Wand gedreht, noch schlief. Vielleicht, weil er die halbe Nacht lang den Dolch fertiggestellt hatte, an dem er schon seit einigen Wochen arbeitete und den er ihr gestern verkauft hatte.
Leaf zögerte kurz. Eine Frau mit Anstand wäre später wiedergekommen. Aber angesichts der Hochzeitspläne, die ihr Vater derzeit auf Achfary Castle schmiedete und Lennox Ross damit die Zeit für einen Hinterhalt auf Castle Varrich und seine Bewohner verschaffte, musste der Anstand wohl daran glauben. Sie brauchte unbedingt ihren neuen Dolch. Zumal sie Graham dafür nicht eigens wecken musste, anders als für ihr zweites Anliegen, das wohl tatsächlich noch warten musste. Denn wenn sie Graham nun absichtlich aus dem Schlaf riss, würde er nur schlechte Laune haben und sich genauso zögerlich ihr gegenüber zeigen wie Artair gestern. Dabei musste sie ihn unbedingt auf ihre Seite ziehen.
Sie holte noch einmal tief Luft, dann schlich sie auf leisen Sohlen in Richtung des Tisches. Vielleicht lag der Dolch zwischen den anderen Gegenständen ja ebenfalls auf der Tischplatte. Sie würde ihn einfach mitnehmen und Graham dafür den ledernen Beutel mit Silber dalassen, von dem er nie genug hatte.
Da schnaubte Graham kurz, und sie hielt inne. Kurz befürchtete sie, dass sie ihn trotz ihrer Bemühungen, leise zu sein, geweckt hatte, denn er hatte keinen tiefen Schlaf. Doch dann entdeckte sie auf dem Tisch einen leeren Weinkrug.
Sie verdrehte die Augen und widmete sich wieder der Suche nach ihrem Dolch. Es dauerte nicht lange, bis sie zwischen den Punzen und Meißeln einen in ein Tuch eingeschlagenen Gegenstand entdeckte. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie den Stoff zurückschlug und ihren neuen Dolch betrachtete. Andächtig fuhr sie mit ihren Fingern über den mit einem Muster verzierten Griff, prüfte sanft mit ihrer Fingerspitze, ob die Klinge wirklich scharf war.
Sie war es.
Ein kleiner Tropfen Blut quoll aus Leafs Finger, doch sie merkte es kaum. Stattdessen zog sie den ledernen Beutel unter ihrem schwarzen Leinenhemd hervor, legte ihn auf den Tisch und nahm den Dolch an sich. Die Klinge war einwandfrei austariert, aber sie hatte auch nichts anderes erwartet, denn Graham war ein Meister seines Faches.
Während sich ihre Finger um den kalten Griff aus Metall schlossen, stellte sie sich für einen Moment vor, wie es wäre, ihn in Lennox Ross’ Brust zu rammen, sobald er hier auftauchte. Denn auch wenn sie hoffte, dass es nicht dazu käme, weil ihr Vater entsprechend handelte, riet ihr Bauchgefühl ihr dazu, dass sie zumindest damit rechnen mussten. Denn Lennox würde niemals ernsthaft über das Eheangebot ihres Vaters nachdenken. Er wusste, wie sehr sie ihn hasste. Oder dachte er möglicherweise, dass sie ihm in den Jahren seit ihrer letzten Begegnung vergeben hatte? Nein, sollte er tatsächlich eine Ehe mit ihr eingehen wollen, dann nur, weil ihm die Vorstellung gefiel, dass er sie dadurch ein Leben lang quälen könnte. Und von ihr verlangen, was immer ihm beliebte.
Leaf schnaubte. Als ob sie jemals einem anderen Menschen dieses Recht einräumen würde. Zumal sie ganz genau wusste, was es war, was ein Ehemann von seiner Ehefrau vorrangig forderte. Allein schon der Gedanke, mit Lennox das Lager teilen zu müssen, ließ Übelkeit in ihr aufsteigen … obwohl sie nach den schwärmerischen Schilderungen ihrer Schwestern die Vorstellung gemeinsamer Lust keineswegs abstoßend, sondern durchaus erregend fand. Allerdings nicht mit Lennox. Niemals.
Die Wut, die Leaf die ganze Nacht über zurückgedrängt hatte, indem sie unerbittlich bis zum Morgen im Mondschein Kampfübungen ausgeführt hatte, kehrte zurück. Wie sollte sie ihrem Vater je wieder ins Gesicht sehen, wenn er sie ausgerechnet mit dem Feind ihres Clans verheiraten wollte? Denn selbst wenn er tatsächlich daran glaubte, dass Torins Versöhnungswunsch aufrichtig war, konnte er doch nicht so einfältig sein zu glauben, dass Lennox ihr nicht wehtun würde, sobald er die kleinste Gelegenheit dazu bekäme.
Sie presste die Lippen so fest aufeinander, dass es schmerzte, und wirbelte den Dolch einmal in ihrer Hand herum. Sie hatte gute Lust, ihn in die Tischplatte zu rammen, doch davon wäre Graham wohl trotz seiner Trunkenheit aufgewacht.
»… es nicht tun, komm runter …«, schrie dieser plötzlich im Schlaf und drehte sich mit einer so heftigen Bewegung auf den Rücken, dass Leaf bis ins Mark erschrak und die Decke ihm bis zur Hüfte hinabglitt.
Sogleich umfasste sie den Dolch fester, während sie flach atmend auf den schlanken, muskulösen Oberkörper des Mannes zu ihren Füßen starrte. Der aber nicht Graham war, wie ein Blick in sein Gesicht verriet.
»Was zur Hölle«, murmelte sie verständnislos und ging in die Knie. Es war noch immer düster in der Schmiede, doch die glimmenden Holzkohlen spendeten genug Licht, um den Schlafenden mustern zu können. Er hatte wie sie dunkelbraunes Haar, doch es war nicht schulterlang wie bei Artair, sondern kürzer. Seine Gesichtszüge waren ebenmäßig, er hatte dichte dunkle Brauen, einen Bartschatten und die längsten Wimpern, die sie bei einem Mann je gesehen hatte. Seine Nase war gerade, vorn etwas spitz, und seine schmalen, aber gut geschnittenen Lippen waren im Schlaf geöffnet. Er sah schön aus, wenn auch düster und aufgewühlt.
Leaf schluckte, als sich ihr Puls bei seinem Anblick beschleunigte. Wer war dieser Fremde? Vielleicht der besagte Cousin Grahams, der ebenfalls Schmied war und zu dessen Unterstützung gekommen war?
Sie musterte wieder den blassen Oberkörper des Mannes, während ihr sein Geruch nach Feuer und Rauch in die Nase stieg. Kurz verspürte sie den Drang, ihn zu berühren, über seine Haut und Muskeln zu streichen. Sie hatte noch nie einen Mann berührt, zumindest nicht auf diese Weise.
Im nächsten Moment bäumte sich der Fremde im Schlaf auf und und stieß dabei gegen ihre Knie. Ihr entstieg ein heftiger Fluch, woraufhin der Mann ruckartig die Augen aufriss, keinen Lidschlag später Leafs Handgelenk mit dem neuen Dolch umfasste, sie zu Boden drückte und sich nur mit seiner Hose bekleidet auf sie setzte.
»Wolltest du mich etwa umbringen?«, zischte er fassungslos und presste ihre Hand mit dem Dolch heftig atmend über ihrem Kopf auf den Boden.
Leafs Herzschlag raste. Artair brachte ihr alle möglichen Verteidigungstechniken bei, doch den Nahkampf am Boden übten sie nur selten. Wenn du jemals wehrlos vor deinem Gegner liegst, was ohnehin nie geschehen wird, hatte er einmal gesagt, hast du ohnehin schon verloren. Genau in dieser Lage befand sie sich jetzt.
In ihren Ohren rauschte es, doch sie durfte sich keinesfalls geschlagen geben. Sie musste nachdenken. Der Fremde hielt nur eines ihrer Handgelenke fest, das andere konnte sie noch bewegen. Er war etwas größer als sie und auch schwerer, aber nicht so schwer, dass sie nicht gegen seine Muskelkraft ankäme. Also hob sie ihr Becken ruckartig an und hieb ihm gleichzeitig mit der freien Hand zwischen die Rippen, worauf er sein Gleichgewicht verlor und zur Seite kippte. Er reagierte schnell, dennoch war Leaf nun diejenige, die über ihm war, während er auf dem Boden lag, und ihm ihr Knie in die Kehle drückte.
»Halte mich nie wieder fest, wenn dir dein Leben lieb ist«, warnte ihn Leaf und suchte dabei mit den Augen nach ihrem Dolch, der bei ihrem Befreiungsschlag davongeschlittert war. Sie fand ihn vor dem Schmiedeofen, außerhalb ihrer Reichweite.
Fluchend wandte sie sich wieder dem Fremden zu, der jedoch keine Anstalten machte, sich zu wehren. Stattdessen fuhr er sich mit der Zunge über die Zähne und musterte sie eindringlich aus grünen Augen. »Freut mich, dich kennenzulernen.«
Der dunkle Klang seiner Stimme und sein eindringlicher Blick ließen Leaf erschauern. Und zu ihrer großen Überraschung auf eine angenehme Art. Dabei hatte der Mann sie gerade erst angegriffen. Ließ sie ihr Schlafmangel etwa ihren Selbsterhaltungstrieb vergessen?
Sie drückte ihr Knie noch ein wenig fester gegen seinen Hals, was ihn aber zu ihrem Missfallen nicht zu stören schien. Vielmehr kam es ihr so vor, als würde er mit ihr spielen. »Wer bist du?«, verlangte sie zu wissen, denn Grahams Cousin hatte sie sich friedvoller vorgestellt.
»Jetzt fragst du mich also doch nach meinem Namen«, sagte er langsam, und auf sein Gesicht trat ein Ausdruck, den sie nicht deuten konnte. »Dabei dachte ich schon, dass du anders bist.«
Leaf fiel auf, dass er eine kleine Narbe zwischen den Augenbrauen hatte, die jedoch weniger von einer Verletzung herrührte, sondern eher den Pocken geschuldet war. »Anders in welcher Hinsicht?«
Er sah sie unvermittelt an. »Anders im Sinn von, dass es dir auch gleich ist, wer unter dir liegt.«
Leaf verschlug es für einen Moment die Sprache. Verstand sie es richtig, dass er tatsächlich eine anstößige Andeutung machte, während er mit ihrem Knie an seiner Kehle auf dem Boden lag? Nahm er sie nicht ernst? Und warum dachte sie plötzlich daran, ihr Knie wegzuziehen und ihn zu küssen?
Verstört sagte sie zu ihm: »Du hast dir wohl den Kopf ziemlich heftig am Boden gestoßen.«
Der Fremde wagte es nun doch tatsächlich, ihren Oberschenkel mit seinen rußverschmierten Fingerkuppen zu berühren. »Rede dir ein, was du magst. Aber ich überspringe die Lügen lieber.« Leaf schnappte nach Luft, doch er mahnte leise: »Es ist doch so: Wenn du mich töten wolltest, hättest du es längst getan. Und wenn du Angst vor mir hättest, hättest du um Hilfe geschrien. Aber du bleibst auf mir sitzen.« Er lächelte schmal. »Das sagt mir alles, was ich wissen muss.«
Sofort schlug Leaf seine Hand zurück, ohne ihr Knie von seiner Kehle zu lösen. »Du sagst mir jetzt, wie du heißt und ob du Grahams Cousin bist oder nicht. Andernfalls werde …«