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Eine junge Frau, die trotz der Erwartungen ihrer Zeit ihre eigenen Träume verfolgt und auf Umwegen die große Liebe findet - der Auftakt der historischen New-Adult-Trilogie in den schottischen Highlands! Schottland, 1485: Lady Flower, die älteste Tochter von Gregor MacKay träumt davon, bei einer Tierheilerin im entfernten Dorf Portskerra das Heilen zu lernen, um die Hochlandrinder ihres Clans zu versorgen. Ihre Eltern haben jedoch andere Pläne für die fürsorgliche Tochter: Sie soll einen Lord heiraten. Ausgerechnet Flowers heimliche Jugendliebe Cailan Sinclair, ein Frauenheld mit unentrinnbarer Vergangenheit, soll einen Ehemann für sie finden. Obwohl es zwischen Flower und Cailan knistert und funkt, weicht Flowers Traum von Cailans Pflichten als Clanerbe so weit ab, dass eine gemeinsame Zukunft für sie undenkbar ist. Bis ein verheißungsvoller Kuss alles verändert und sich die junge Frau fragen muss: Wie viel ist sie bereit, für die wahre Liebe aufzugeben? Mit Sinnlichkeit und Humor schafft Kristin MacIver einen berührenden Liebesroman Gefühlvoll und mit Humor schafft Kristin MacIver einen historischen Liebesroman in einem malerischen Setting inmitten der schottischen Highlands. Der Auftakt der erfrischenden Saga über die eigenwilligen Töchter des Clans MacKay zeichnet eine moderne Liebesgeschichte vor einem lebendigen Bild vom historischen Schottland. "Der knisternde Auftakt voller Leidenschaft und Humor – prickelnd, sinnlich und unterhaltsam bis zur letzten Seite. Ein großartiger Lesegenuss in den Highlands – was will man mehr? Kristin MacIver ist es gelungen, eine hinreißende Liebesgeschichte voller sinnlicher und zugleich witziger Momente vor der traumhaft malerischen Kulisse Schottlands zu schreiben. Ich bin so gespannt, wie die Saga um die MacKay-Töchter weitergeht." - Hannah Conrad Verfolge das Schicksal von Flower, River und Leaf, den Töchtern des Clans MacKay, weiter: - Band 2, Celtic Dreams: Die Liebe der Lady River - Band 3, Celtic Dreams: Der Mut der Lady Leaf
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Seitenzahl: 522
Kristin MacIver
Roman
Knaur eBooks
Schottland, 1485: Lady Flower, die älteste Tochter von Gregor MacKay träumt davon, bei einer Tierheilerin im entfernten Dorf Portskerra das Heilen zu lernen, um die Hochlandrinder ihres Clans zu versorgen. Ihre Eltern haben jedoch andere Pläne für die fürsorgliche Tochter: Sie soll einen Lord heiraten. Ausgerechnet Flowers heimliche Jugendliebe Cailan Sinclair, ein Frauenheld mit unentrinnbarer Vergangenheit, soll durch eine Verkettung unglücklicher Umstände einen Ehemann für sie finden. Obwohl es zwischen Flower und Cailan knistert und funkt, weicht Flowers Traum von Cailans Pflichten als Clanerbe so weit ab, dass eine Verbindung nicht in Betracht kommt. Bis ein verheißungsvoller Kuss alles verändert und sich die junge Frau fragen muss: Wie viel ist sie bereit, für die wahre Liebe aufzugeben?
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Hinweis auf Triggerwarnung
Widmung
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Epilog
Danke
Triggerwarnung
Liebe Leser:innen,
bestimmte Themen lösen bei manchen Menschen unbeabsichtigte Reaktionen aus. Deshalb findet ihr am Ende des Buches eine Triggerwarnung.
Ich wünsche euch ein schönes Leseerlebnis.
Eure Kristin
Für meine Eltern.
Und alle, die endlich Nein sagen müssen, um zu träumen.
Schottland, 1475
Bitte, das darfst du nicht tun!« Flower umklammerte die Hand ihres Vaters, die den Dolch hielt, und sah flehend zu ihm auf. »Er wird es nie wieder machen, ganz sicher nicht.«
Gregor schüttelte ihre kleinen Hände mit zusammengepressten Lippen ab und setzte seinen Weg durch den Burghof fort. Flower rannte ihm nach, griff nach seinem Unterarm und bekam ihn doch nicht zu fassen. Tränen traten ihr in die Augen, die Klinge des Dolches funkelte höhnisch im Morgenlicht.
»Bitte, höre mir doch zu!« Dieses Mal krallte sie ihre abgebrochenen Nägel in das Leinenhemd ihres Vaters.
Er zitterte, während er mit anklagendem Finger auf das kauernde Wesen vor ihnen zeigte. »Deine Schwester …« Gregor verstummte, und kalte Luft stieg in dichten Wolken aus seinem Mund. »Deine Schwester wäre beinahe gestorben wegen ihm.« Er löste ihre Hand abermals und trat einen Schritt nach vorn. »Lege dich wieder schlafen, Mädchen.« Es war ein leiser Befehl, bei dem er sie nicht einmal ansah.
Flowers Atem ging schneller. Sie konnte jetzt nicht gehen, ihr Vater musste ihr zuhören. Verzweifelt warf sie sich neben ihm auf den Boden und hielt sein Bein mit all ihrer Kraft fest. »Aber Leaf lebt! Es geht ihr schon viel besser. Bhaic kann doch nichts dafür.« Sogleich ertönte ein zustimmendes Knurren.
Gregor schnaubte. »Kann nichts dafür …« Er schüttelte den Kopf, während er den Dolch in die rechte Hand übergab, um Flower mit der anderen von sich zu schieben. »Hätte Leaf nicht die Lederschoner getragen, hätte er ihren Arm durchgebissen.«
»Und wäre sie nicht auf ihn gestürzt, hätte er sie nicht angegriffen. Vater, bitte!« Das rasende Gefühl der Hilflosigkeit schnürte ihr die Kehle zu, und ihre Stimme wurde dünn. »Siehst du nicht, was für eine Angst er hat?«
Gregor rieb sich mit der freien Hand über die Stirn. »Glaubst du, mir macht das Freude? Aber er stirbt ohnehin an der Wunde an seinem Bauch, und so ist es besser.«
»Nein, nein, nein!« Sie presste die Wange an die Wade ihres Vaters, während ihr ein neuer Schwall Tränen über die Wangen strömte. »Wenn er verletzt ist, müssen wir die Heilerin holen und …«
Gregor packte sie fest am Arm und riss sie ungewöhnlich grob auf die Beine. »Es reicht jetzt, Flower! Gehe hinein!«
Doch sie dachte nicht daran. Mit klopfendem Herzen und verschwommener Sicht drängte sie sich zwischen ihren Vater und den an der Kette winselnden Übeltäter. »Bhaic ist mein Freund«, beharrte sie. »Und ich kann … Autsch!«
Etwas Scharfes hatte ihre Haut zerkratzt, und sie zog ruckartig ihre Hand zurück. Nahezu zeitgleich schleuderte ihr Vater sie mit schreckgeweiteten Augen hinter sich, und kaum dass sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, spürte sie eine schallende Ohrfeige. Ihre Wange brannte, und sie taumelte erneut. Das hatte ihr Vater noch nie getan. Zitternd blinzelte sie und sah ihn halb vorwurfsvoll, halb ängstlich an.
Gregor raufte sich die braunen Haare und ging vor ihr in die Knie. Er holte tief Luft, ehe er ihr mit harter Stimme einschärfte: »Solange du auf dieser Burg lebst, tust du, was ich sage, verstanden? Gott«, er sah keuchend zur Seite, »beinahe hätte er dich auch erwischt.«
Mit bebender Unterlippe verbarg Flower die Hand hinter dem Rücken, auf der der Kratzer pochte. Die weiteren Tränen konnte sie allerdings nicht zurückhalten. »Es ist nicht gerecht«, wisperte sie heiser. »Zur Not versorge ich Bhaics Wunde und …«
»Er ist ein Hund, Flower. Ein Hund!« Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Außerdem versteht ein Kind wie du überhaupt nichts vom Heilen.«
»Er ist unser Hund«, schrie sie und rang mühevoll nach Luft. »Warum ist dir das plötzlich egal?«
Gregor stöhnte und berührte ihre Schulter. »Es ist zu seinem Besten.«
»Du lügst!« Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen, während ihre Brust zu bersten drohte, dann stampfte sie auf. »Du lügst!«
»Enttäusche mich nicht, Mädchen.« Gregors Stimme klang schroff, und er richtete sich auf. »Oder hast du vergessen, was gerade geschehen ist?«
Flower schluckte, zögerte, und ihr verschwommener Blick wanderte zu Bhaic.
»Er wird es kaum merken.« Ihr Vater strich ihr über die Haare. »Und du wirst andere Freunde finden.«
Natürlich wird er es merken.
Flower ballte die Hände zu Fäusten und warf einen letzten, verzweifelten Blick auf ihren treuen Gefährten. Dann rannte sie schluchzend zurück ins Innere der Burg, so schnell, wie sie es noch nie zuvor getan hatte.
1485 – zehn Jahre später …
Ob es ihr wohl gelingen würde? Diese Frage stellte sich Flower, als sie mit einem kleinen Tongefäß in der Hand endlich die Weiden von Ribigill erreichte. Der erdige Geruch des purpurnen Heidekrauts stieg ihr in die Nase und mischte sich mit dem fruchtigen Duft der gelben und weißen Wiesenblumen. Vom nahen Meer her wehte ein leichter Wind, sodass sich die Blüten zwischen den wadenhohen Gräsern im uralten Tanz der Natur wogen. In der Ferne thronten die schneebedeckten Gipfel der Berge Ben Hope und Ben Loyal. Am unteren Ende der leicht abfallenden Weide spiegelte sich der Himmel im klaren Wasser von Loch Hakel.
Mit einem Lächeln sog Flower das Bild in sich auf. Obwohl sie ihre Heimat in den nördlichen Highlands bisher kaum verlassen hatte, war sie sicher, dass es keinen schöneren Ort auf Erden gab. Besonders, da inmitten dieses Paradieses ihre geliebten Hochlandrinder lebten. Genau genommen gehörten sie natürlich nicht ihr, sondern ihrem Clan. Ihr Vater Gregor MacKay war der jüngere Bruder des Clanführers Malik und trug durch die Haltung der rotbraunen, zotteligen Tiere zum Wohl des Clans bei. Ihr Onkel dagegen lebte an der südlichen Grenze der MacKay’schen Ländereien und beschäftigte sich vorrangig mit kriegerischen Belangen.
Heute, stellte Flower mit leichtem Bedauern fest, waren nur drei Dutzend der rund siebzig Rinder zu sehen. Die meisten von ihnen hatte es angesichts der warmen Augustsonne zu der kühlenden Nässe von Loch Hakel gezogen. Die Tiere, für die es in dem See zu eng geworden war, lagen davor und kauten träge im Gras. Ihre Hufe hatten sie entweder nach vorn ausgestreckt oder unter ihre gedrungenen Körper geschoben. Der verbleibende Teil der Herde, vermutete sie, war in den nahen Wald von Varrich geflüchtet. Dieser begrenzte die Weide zur linken Seite und reichte von Loch Hakel bis hoch zur verlassenen Wiesenhütte, neben der Flower gerade stand. Hier ruhten in einem eingezäunten Teil drei weitere Hochlandrinder unter einem hölzernen Unterstand. Bei ihrem Anblick spürte Flower eine Woge der Zuneigung. Fiona, Murray und Scott – so hatte sie ihre drei Sorgenkinder genannt. Fiona, eine mittelgroße schwangere Hochlandkuh, hatte ein entzündetes Auge. Murray, ein kräftiger Bulle, litt an Juckreiz und hatte sich im Wald einen großen Teil seines Fells aufgescheuert. Und Scott, ein einjähriges Jungtier, hatte sich infolge eines Kampfes mit einem ranghöheren Tier eine Wunde nahe dem Hals zugezogen.
Scott war auch der Grund, warum sie an diesem Nachmittag ein zweites Mal auf die Weide gekommen war. Gestern hatte ihn einer der Knechte, die regelmäßig nach den Rindern sahen, in das umzäunte Stück gebracht. Sie hatte seine Wunde mit Wein gesäubert und überlegt, sie zu nähen. Doch anders als die verletzten Dorfbewohner, zu denen sie oft die Heilerin Greer begleitete, hielten Hochlandrinder beim Nähen nicht still. Als sie heute Morgen aber Dreck in der Wunde gefunden hatte, war ihr klar geworden, dass sie handeln musste. Die in dieser Hinsicht einfältige Greer hätte gewiss vorgeschlagen, die Wunde auszubrennen. Doch Flower hielt das für barbarisch und ohne Feuerstelle auch für schwer umsetzbar. Stattdessen wollte sie etwas ausprobieren, über das sie schon lange nachgedacht hatte. Die Frage war nur: Würde es helfen?
Das Tongefäß in ihrer linken Hand fest umklammernd, wandte sie sich zu Hailey um, die einige Schritte hinter ihr schwer atmend zum Stehen kam. Die Hände hatte sie in die leicht gerundeten Hüften gestemmt, die Wangen ihres herzförmigen Gesichts waren gerötet. Flower war ihrer besten Freundin sehr dankbar, dass sie sich bereit erklärt hatte, an ihrem freien Nachmittag mit ihr zu den Rinderweiden zu gehen. Natürlich hätte sie es auch befehlen können, da Hailey eine Küchenhilfe auf der Burg und sie die Tochter des Lairds war. Doch sie führten ihre Freundschaft seit Kindertagen auf Augenhöhe, und es würde ihr niemals einfallen, die Freundin anders als eine Gleichgestellte zu behandeln.
»Ich kann wirklich nicht verstehen«, schnaufte Hailey, »wie du diese Strecke jeden Morgen freiwillig zurücklegen kannst!«
Flower lächelte mild. Sie wusste, dass Hailey bis zum Mittag im Reich der Träume verweilen würde, wenn man sie ließe. Sie dagegen wachte zuverlässig mit Beginn der Morgendämmerung auf, es war ihre liebste Tageszeit. Nachdem die Erde unter dem Mantel der Dunkelheit geruht hatte, erwachte sie zu neuem Leben. Die Sonnenstrahlen vertrieben die Schatten der Nacht, die Vögel begannen zu singen, und die Blumen öffneten ihre Blütenblätter. Der Morgen war das Versprechen eines neuen Abenteuers und in Flowers Fall der lang ersehnte Zeitpunkt, an dem sie ihrer Leidenschaft nachgehen und nach den Hochlandrindern sehen konnte. So früh am Morgen hatte sie nämlich keine anderen Verpflichtungen, die sie vom Gang auf die Weiden abhielten. Hailey wusste das. Die Freundin wusste schließlich alles, was in ihr vor sich ging. Deswegen fragte Flower nur: »Du hast den Apfel?«
Hailey nickte. Dennoch war ihr das Unbehagen deutlich anzusehen.
»Du musst das nicht machen«, bot Flower mitfühlend an. »Scott wird dich nicht beißen, aber wenn du nicht willst, suche ich jemand anderen, der ihn ablenkt.«
Das war leichter gesagt als getan, hatte sie Greer doch bereits gefragt. Allerdings hatte die verwitwete Dorfheilerin, die mit ihren fünfundzwanzig Jahren nur einige Sommer älter war als Flower, freundlich, aber bestimmt abgelehnt. Hochlandrinder würden nicht für ihre Behandlung zahlen, und sie habe ohnehin eine Verabredung mit einem ihrer Liebhaber.
Umso erleichterter war Flower, als Hailey nach kurzem Überlegen entschieden den Kopf schüttelte. »Ich habe gesagt, dass ich helfe, und das werde ich auch. Außerdem«, sie zwinkerte verschwörerisch, »wer könnte deinem Sorgenkind den Nachtisch besser schmackhaft machen als eine Köchin?«
Ein warmes Gefühl der Zuneigung machte sich in Flower breit. Sie kannte niemanden, der so loyal war wie Hailey, und es war ein Segen, mit ihr befreundet zu sein. Sie lächelte der Freundin aufmunternd zu, ehe sie die Röcke ihres Kleides aus brauner Wolle raffte und mit einer geübten Bewegung über den hüfthohen Zaun stieg, der sie von den drei Tieren trennte. Scott blickte sie dabei misstrauisch an, während Fiona sich fröhlich muhend erhob und ihr, so schnell es ihr trächtiger Bauch erlaubte, entgegenkam.
»Oh, Fiona«, lachte Flower. »Du bist die einzige Hochlandkuh, die lieber gestreichelt wird, als dass sie frisst oder schläft!« Wie zur Bestätigung muhte Fiona erneut und stupste sie mit ihrer Schnauze in die Hüfte. In den vergangenen Wochen, in denen die Augenentzündung des Tieres mehrmals zurückgekehrt war, hatten sie eine enge Bindung entwickelt. So wusste sie auch, dass Fiona am liebsten zwischen den Ohren gestreichelt wurde und dass die Kuh sich nicht erschrak, selbst wenn Flower die Hand unmittelbar zwischen ihre Hörner legte.
»Fionas Auge ist noch immer geschwollen«, bemerkte Hailey, während sie unbeholfen über den Zaun kletterte.
Flower nickte betrübt und liebkoste das dichte Haarkleid der werdenden Mutter. Sie wusste genau, warum die Schwellung nicht vollständig abheilte, und seufzte. »Ich kenne die richtigen Zutaten für die Augensalbe nicht.«
»Du hast die Tierheilerin in Portskerra damals nicht danach gefragt?«, hauchte Hailey ungläubig, ehe sie grinsend hinzufügte: »Oder muss ich Sorge haben, dass dich deine Erinnerung im Stich lässt?«
»Ersteres«, brummte Flower und konnte sich trotz ihrer Sorge um Fionas Auge ein Lächeln nicht verkneifen. »Aber falls ich dir noch einmal alle Einzelheiten von meinem Besuch dort erzählen soll?«
»Bloß nicht«, winkte Hailey lachend ab, und Flower konnte es der Freundin nicht verdenken. Ihr Aufenthalt in Portskerra war ein derart einschneidendes Erlebnis gewesen, dass sie Hailey mindestens ein Dutzend Mal davon berichtet hatte.
Zusammen mit ihrer Mutter war Flower in den fernen Ort an der östlichen Grenze der Ländereien des MacKay-Clans gereist, um ihre Cousine und deren neugeborenes Kind zu besuchen. Auf dem Weg nach Portskerra hatte sich das Auge des Pferdes, auf dem sie geritten war, entzündet. Beunruhigt hatte sie sich bei ihrer Cousine nach der örtlichen Heilerin erkundigt, und die Frau namens Eiric war trotz ihres fortgeschrittenen Alters sofort gekommen. Kurz war Flower besorgt gewesen, dass diese, ähnlich wie Greer und so viele andere, das Leid eines Pferdes nicht ernst nehmen würde. Doch Eiric beschäftigte sich seit Jahren vorrangig mit der Pflege von Tieren, da diese, wie sie Flower erzählte, anders behandelt werden müssten als Menschen. Das liege bei ihr in der Familie. Ihre Großmutter sei bereits Tierheilerin gewesen, und ihre Schwester in Glasgow sei es auch. Im Anschluss daran hatte sich die alte Frau das Pferd angesehen und behutsam mit einer Feder eine streng riechende Salbe um dessen Auge aufgetragen. Gern hätte sich Flower erkundigt, woraus die Salbe bestand, doch ihre Mutter hatte das verhindert. Kein Tag war seitdem vergangen, an dem sie sich nicht wünschte, in Portskerra von Eiric lernen zu können. Diese war so viel erfahrener als Greer, und Flower müsste nie wieder ein Tier im Stich lassen.
»Nun«, holte Hailey sie mit gespielt ernstem Tonfall in die Gegenwart zurück, während sie von einem Fuß auf den anderen trat. »Opfern wir jetzt meinen kostbaren Honig für Scott, oder nicht?«
Flower musste lachen. Seit der vergangenen Woche tüftelte Hailey an einer Mischung aus Honig und wildem Thymian, die Gemüse einen besonderen Geschmack verleihen sollte. Damit nicht alle immer nur das Fleisch loben.
»Und Honig verdirbt wirklich nicht?«, versicherte sie sich noch einmal bei Hailey.
»So ist es«, erwiderte die Freundin begeistert. Ihre Augen nahmen dabei einen derart verträumten Ausdruck an, dass Flower sich fragte, ob sie bereits über eine neue Kreation – vielleicht Honig im Brotteig – nachdachte.
Sie dagegen hoffte, dass sie aus Haileys Beobachtungen den richtigen Schluss zog. Wenn Honig nicht verdarb, musste er sich selbst rein halten. War es da so abwegig, dass er auch eine Wunde rein hielt? Zumal die zähflüssige Masse die offene Stelle gegen weiteren Dreck schützen würde. Greer hatte dazu nur lachend gesagt, dass Honig genau für zwei Dinge gut sei: zum Essen und fürs Liebesspiel. Flower hatte nicht weiter nachgefragt, was sie damit meinte. So blieb ihr nun nichts anderes übrig, als sich auf ihren Erfindergeist zu verlassen und zu hoffen, dass sie mit ihrer Vermutung nicht falschlag.
»Ich werde jetzt langsam auf Scott zugehen, und du folgst mir. Wenn wir bei ihm sind, gibst du ihm den Apfel, und ich trage den Honig auf.«
Hailey nickte, und Flower schob Fiona sanft zur Seite, die angesichts des Verlustes von menschlicher Aufmerksamkeit muhte.
»Psst, mein Kleiner«, murmelte Flower, als sie langsam auf Scott zuschritt. »Ich bin da, um dir zu helfen.« Scott rührte sich nicht, und so näherte sie sich ihm behutsam weiter an. Wie erwartet, stand der junge Bulle daraufhin auf und machte Anstalten, zu flüchten. In diesem Moment holte Hailey den Apfel hervor und bot ihn Scott mit leicht zitternder Hand dar.
»Du machst das toll«, raunte Flower ihrer Freundin zu.
Und tatsächlich – nach kurzem Zögern überlegte es sich das Hochlandrind anders und trottete langsam auf die beiden Frauen zu. Etwas misstrauisch schnupperte Scott, der Flower mittlerweile knapp unter die Brust reichte, an dem Apfel. Dann nahm er ihn mithilfe seiner Zunge zwischen die Zähne und begann, genüsslich zu malmen.
Unterdessen warf Flower einen genaueren Blick auf seine Wunde. Erleichtert stellte sie fest, dass diese noch nicht eiterte und sich seit ihrem Besuch vor wenigen Stunden kein weiterer Dreck darin gesammelt hatte. Beherzt tauchte sie zwei Finger in die zähflüssige Masse im Tongefäß. Anschließend ließ sie ihren Handballen vorsichtig über Scotts Seite in die Nähe der Wunde gleiten. Sie holte noch einmal tief Luft, dann tupfte sie den Honig großflächig auf die Verletzung. Scott muhte, aber da hatte sie ihr Werk schon vollbracht. Etwas unsicher blickte sie zu Hailey, während sich der junge Bulle entfernte.
»Oh, Hailey, ich hoffe so sehr, dass der Honig hilft und nicht alles noch schlimmer macht. Wenn ich doch nur zu Eiric gehen könnte – dann müsste ich nicht immer bangen«, fügte sie mit einem leisen Seufzen hinzu, als ihr die Freundin über den Rücken strich.
Im selben Moment schienen die Farben um sie herum zu verblassen, und am fernen Horizont zogen graue Wolken auf. Flower spürte, wie der Wind auffrischte, so als habe sich der Sturm, der schon viel zu lang in ihrem Inneren tobte, nach außen verlagert. Fiona muhte unruhig, als würde sie es ebenfalls fühlen. Nur Hailey blieb wie immer zuversichtlich.
»Aye, das wäre schön, wenn du nach Portskerra gehen könntest. Und wer weiß? Vielleicht passiert genau das eines Tages. Man soll niemals nie sagen!«
Vielleicht, dachte Flower, doch das Gefühl von Niedergeschlagenheit ließ sie noch mehr frösteln als das aufziehende Unwetter. Aber dafür müsste ich meinen Vater davon abbringen, mich zu verheiraten.
Cailans Bauer wurde bedroht. Erneut. Grimmig zog er die Augenbrauen zusammen, stützte seine Ellbogen auf den Tisch und strich sich mit dem Fingerknöchel nachdenklich über die Unterseite seiner Nase. Die hellbraunen Bartstoppeln kratzten dabei an seiner Haut, doch das merkte er kaum. Zu sehr war er damit beschäftigt, den Gedanken an den aufziehenden Sturm zu verdrängen und sich dem Spiel zu widmen.
Es war bereits die zweite Partie, zu der ihn sein Vater Ewan, der Laird der Sinclairs, zwang, seit sie aufgrund des nahenden Unwetters in einer kleinen Schenke rasteten. Die sechs Clansmänner, die mit ihnen auf die Reise zur Hochzeit seines Cousins Logan MacLeod aufgebrochen waren, hatten sich im Schankraum schon dem Ale gewidmet. Gern hätte sich Cailan zu ihnen gesellt und sein flaues Bauchgefühl im Alkohol ertränkt. Doch sein Vater hatte dem Wirt eine Münze in die Hand gedrückt und für sie beide ein Zimmer im oberen Geschoss der Taverne beansprucht. Dort hatte Ewan sogleich das Schachbrett aufgebaut – ein Geschenk für seinen guten Freund Gregor MacKay, auf dessen Burg, Castle Varrich, sie auf dem Weg zur Hochzeit Rast machen wollten.
Der Raum, in dessen Mitte sie nun an einem hölzernen Tisch saßen, war nicht sonderlich groß, aber warm und trocken. Auf dem Boden lag frisches Stroh, und an der Wand gegenüber der Tür stand ein schmales Bett. Fenster gab es keine, dafür spendete ihnen eine Kerze aus Bienenwachs Licht.
Als Erbe eines mächtigen Clans der nördlichen Highlands war Cailan zu Hause auf Castle Girnigoe weit mehr Annehmlichkeiten gewohnt. Er besaß dort ein großräumiges Zimmer und ein Bett mit kunstvollen Holzverzierungen. An der Wand hingen aufwendig gewebte Teppiche, und den Boden bedeckten dunkle Schafsfelle. Dennoch war es nicht der fehlende Prunk, der ihm auf den Bauch schlug, sondern dass sein Vater ihn während eines verfluchten Sturms bereits zum zweiten Schachspiel zwang. Und er schon wieder nicht wusste, für welchen Zug er sich als Nächstes entscheiden sollte. Dabei schätzte Ewan nichts mehr als einen würdigen Gegner.
»Darf ich heute noch mit deinem Zug rechnen?« Sein Vater zog mahnend die Augenbrauen nach oben, die ebenso grau waren wie sein schulterlanges Haar. Obwohl sein Gesicht von Falten durchzogen war, wirkte er nicht alt. Im Gegenteil, aus seinen eisblauen Augen strahlte eine solche Lebenskraft und Entschlossenheit, dass Cailan kaum glauben konnte, dass er mehr als vierzig Sommer zählte.
Cailan zwang sich zu einem, wie er hoffte, lässigen Lächeln. »Eine Entscheidung will gut überlegt sein.« Hatte er wirklich nichts übersehen? Dann, als sein Vater ungeduldig mit der Zunge schnalzte, zog er seine Dame zwei Felder hinter den bedrohten Bauern.
Ewan nickte langsam, und erst da merkte Cailan, dass er seinen Atem angehalten hatte. Erleichtert ließ er die Luft aus seiner Brust strömen und lehnte sich im Stuhl zurück. Allerdings war die Entspannung nicht von Dauer, denn schon nach wenigen Augenblicken griff Ewan die eben noch zur Rettung verwendete Dame an. Cailan seufzte innerlich und massierte seine Schläfe. Die schwarze Dame seines Vaters stand nun gegenüber von seiner weißen. Seine erste Eingebung war, die Figur zu schlagen. Doch war das richtig? Angestrengt betrachtete er die anderen Spielfiguren. Gleichzeitig begann es, draußen heftig zu regnen. Alles in ihm schrie nach einem rettenden Krug Ale zur Besänftigung seiner wachsenden Beklemmung. Aber sein Vater missbilligte es, wenn er den für das Schachspiel nötigen Verstand mit Alkohol benebelte. So blieb ihm nichts anderes übrig, als die Fäuste zu ballen und weiter auf das Schachbrett zu starren.
Ein unzufriedenes Schnauben unterbrach seine Gedanken. »Wenn du Clanführer bist, musst du schneller handeln.« Ewan sah ihm streng in die Augen, seine Stimme wurde harsch. »Du weißt ja, was damals beim Beutezug der Gunns geschehen ist, als ich einen halben Tag zu spät kam.«
Cailans Muskeln spannten sich an, seine Nackenhaare stellten sich auf. Sein Bauch krampfte, und er umklammerte das Tischbein mit der linken Hand. Er wusste genau, was sein Vater eigentlich meinte.
Als ich zu spät kam … wegen dir.
Er fröstelte und bewegte mit zittrigen Fingern seine Dame. Hatte sein Vater bemerkt, dass Cailan in zwei weiteren Zügen seinen König schlagen könnte? Ewan würde ihn dann, auf bizarre Weise zufrieden mit der Niederlage, entlassen, woraufhin er endlich hinunter in die Schenke gehen könnte.
Zu seiner großen Enttäuschung geschah das nicht. Anstatt wie erwartet mit dem König zu flüchten, griff sein Vater nach dem Turm. Mit zusammengepressten Lippen, die seine Missbilligung nicht verbargen, sprach er: »Schach.«
Cailan raufte sich die dunkelblonden Haare. Wie hatte das nun geschehen können? Wenn er so weitermachte, würde sein Vater ihn für einfältig halten. Er musste seinen nächsten Zug gut überlegen, doch ihm blieb keine Zeit. Ewan wippte bereits unruhig mit dem Fuß, und draußen begann es zu hageln. Verdammt! Sein Herz schlug bedenklich schnell, und mehr aus Zeitnot als Überzeugung bewegte er den König.
»Schachmatt«, verkündete Ewan im nächsten Moment und zog seine Dame geräuschvoll über das Spielfeld.
Entgeistert starrte Cailan vor sich auf das Brett. Schachmatt? Das konnte nicht sein! Er konnte doch die Dame seines Vaters mit dem König schlagen oder sogar mit dem Bauern daneben. Mein Gott, würde er nun eine dritte Partie spielen müssen?
»Du warst unaufmerksam«, tadelte sein Vater scharf. »Das kann sich ein Clanführer nicht erlauben.«
Cailan schluckte und versuchte, nicht an den lauter werdenden Hagel, sondern an das Schachbrett zu denken. Seine Zähne knirschten, während er nach seinem Fehler suchte.
»Es sind die Türme«, erklärte sein Vater mit Widerwillen. »Egal, mit wem du die Dame schlägst, die Türme schlagen danach deinen König.«
»Verdammt«, knurrte Cailan und rieb sich über die Stirn. Ihm wurde immer wärmer.
Sein Vater bedachte ihn mit einem harten Blick. »Eine Dame allein mag nicht gefährlich sein«, sprach er nach einer kurzen Pause mahnend. »Aber merk dir eines: Wenn sie mächtige Verbündete – oder schlimmer noch – Ambitionen hat, kann sie ein ganzes Königreich zu Fall bringen.«
Cailan nickte pflichtschuldig und wusste, dass es bei diesen Worten nicht mehr nur um das Schachspiel ging. Vielmehr sprach sein Vater wieder einmal von Joan Beaufort, die nach der Ermordung ihres Gemahls König James I. jahrelang versucht hatte, zurück an die Macht zu kommen. Zwar war das schon einige Jahrzehnte her – mittlerweile regierte James III. –, doch sein Vater pflegte zu sagen, dass es einiges aus der Geschichte zu lernen galt.
Früher einmal hatte Cailan gern mit seinem Vater über die Vergangenheit gesprochen und sich mit ihm darüber beraten, was Könige und Clanführer besser hätten machen können. Doch heute, nach all den Entscheidungen, die er gerade beim Schachspiel hatte treffen müssen, hoffte er inständig, dass Ewan ihm das ersparte. Zumal jene Entscheidungen wieder einmal alle falsch gewesen waren.
Der erste Donner grollte, und Cailan zuckte heftig zusammen. Es hatte damals auch gedonnert in jener Nacht vor vier Jahren, die alles verändert hatte. Zwar nur in der Ferne, doch jedem, auch ihm, war klar gewesen, dass ein Sturm aufzog. Trotzdem war er ausgeritten. Und jetzt … Er schluckte, und Schweiß trat auf seine Stirn. Jetzt waren zwei Dutzend Menschen tot.
»Du bist ganz blass, Junge«, rügte sein Vater mit einer steilen Falte zwischen den Brauen. »Setzt dir die Niederlage derart zu?«
Bemüht schüttelte Cailan den Kopf, während er seinen rechten Arm umfasste. Er wollte etwas Schlagfertiges erwidern, doch selbst diese Fähigkeit ließ ihn heute im Stich. Wieder ertönte ein krachender Donner. Er musste ruhig atmen, doch die Luft strömte schnell in ihn und noch schneller wieder heraus. Die Welt um ihn herum begann sich zu drehen. Er musste weg. Bevor sein Vater verstand, was sich hier ereignete.
»Es ist wegen des Sturms, nicht wahr?« Sein Vater lachte höhnisch auf. »Dabei nennst du dein Pferd sogar Taran.«
»Ich …« Cailan spannte seine Waden an und grub die Fingernägel in seine Handflächen. Er hatte Taran nach dem keltischen Himmelsgott benannt, bevor all das geschehen war. Als Unwetter ihn noch mit Begeisterung erfüllt hatten und ihn nur an die donnernden Hufe seines Hengstes erinnerten. Doch das wollte er nicht zugeben. Also schwieg er grimmig, während der Regen immer stärker auf das reetgedeckte Dach des Gasthauses peitschte.
Sein Vater nickte wissend. Er griff nach seinem Pferd und hielt es ihm unmittelbar vors Gesicht. »Du musst wieder zurück in den Sattel kommen, Cailan. Die Zügel wieder in die Hand nehmen.« Sein Tonfall wurde schärfer. »Es ist deine Pflicht!«
Als er nichts erwiderte, stellte Ewan das Pferd geräuschvoll neben Cailan ab. Cailan zuckte leicht zusammen, kämpfte mit dem Schwindel und der Hitze, ehe er mit zusammengepressten Lippen von der Schachfigur zu den eisblauen Augen seines Vaters blickte. Sie hatten dieses Gespräch schon oft geführt, und mit jedem Mal hasste er es mehr.
»Das will ich doch auch.« Er verfluchte sich selbst dafür, dass er so heiser klang. Lautlos stellte er das Pferd zurück auf das Schachfeld. Dabei hatte er nicht einmal gelogen. Er wünschte sich nichts mehr im Leben, als endlich wieder wie früher zu werden und für seinen Clan da zu sein. Obwohl es seinem Vater missfallen würde, rückte Cailan den Stuhl zurück und erhob sich mit wackeligen Beinen. Wenn er nicht bald etwas zu trinken bekam, würde es ein böses Ende nehmen. Ein weiterer Donner ließ ihn zusammenfahren, und er krallte sich an der Lehne des Stuhls fest. »Es war ein langer Tag«, presste er erstickt hervor.
»Aye.« Ewan erhob sich ebenfalls. »Und die Tage werden nicht kürzer, wenn du einmal Clanführer bist.« Mit polternden Schritten ging er um den Tisch herum und packte Cailan an den Schultern. »Du bist mein einziger Sohn. Der einzige, der noch lebt.« Ewans Stimme wurde lauter, schneidender. »Ich zähle auf dich. Unser gesamter Clan zählt auf dich. Verstehst du das?«
Cailans Bauch drohte, zu rebellieren. Bei dem Gedanken an all die Entscheidungen, die er eines Tages als Clanführer würde treffen müssen, wurde ihm übel. Anfangs mochte eine Angelegenheit harmlos erscheinen – nur ein Ritt im Sturm –, und dann starben sechzehn Männer, sechs Frauen, zwei Kinder – eins davon noch nicht einmal drei Jahre alt – und er selbst beinahe auch. Wie konnte man in so einer Welt überhaupt etwas entscheiden? Er musste hart schlucken, um gegen den Würgereiz anzukommen. »Du kannst dich auf mich verlassen.«
Einen langen Augenblick schwieg sein Vater, ehe er zu Cailans großer Erleichterung das Thema wechselte. »Wir reiten morgen früh los. Vergiss das nicht!«, sagte er langsam.
Doch wenn Cailan eines in diesem Moment wollte, war es vergessen. So nickte er nur knapp und floh, als es erneut donnerte, aus der Kammer. Seinen rechten Arm hielt er dabei fest umklammert. Gott, hilf mir, flehte er stumm. Und lass diesen verfluchten Sturm endlich vorübergehen.
Als Flower erwachte, war es dunkel. Ihre Eltern und Geschwister schliefen sicher noch. Ungeduldig schlug sie ihre Decke zurück und stellte die Füße auf den kalten Steinboden vor ihrem Bett. Auf dem Beistelltisch neben ihrer Schlafstatt standen wie üblich nicht nur die Tongefäße mit den Heilsalben, sondern auch eine Schüssel mit klarem Wasser. Ein Gähnen unterdrückend, tauchte sie ihre Finger hinein und wusch sich das Gesicht.
In der vergangenen Nacht hatte der Sturm lang und heftig gewütet und sie immer wieder aus ihrem sonst sehr tiefen Schlaf gerissen. Trotzdem dachte sie keinen Moment daran, sich zurück unter die Felle auf ihre wohlduftende Heidekrautmatratze zu schmiegen. Der neue Tag rief, und sie wollte unbedingt nach den Hochlandrindern sehen. Zwar glaubte sie nicht, dass im Unwetter ein Tier verletzt worden war, denn die Rinder waren dafür bekannt, auch den schlimmsten Naturerscheinungen zu trotzen. Vielmehr wollte sie herausfinden, ob der Honig auf Scotts Wunde den gewünschten Erfolg gehabt hatte.
Zufrieden stellte Flower fest, dass sie gestern Abend daran gedacht hatte, ihr Unterkleid, das braune Überkleid und ihre Strümpfe griffbereit über die Holztruhe neben ihrem Bett zu legen. Flink erhob sie sich, um ihr Nachtgewand dagegen zu tauschen.
Obwohl sie weit prächtigere Gewänder aus gefärbter Wolle und mit aufwendigen Stickereien besaß, war ihr das braune Kleid am liebsten. Sie unterschied sich darin nicht allzu sehr von den Mädchen im nahen Dorf Tongue, in dem sie an Greers Seite nach den kranken Dorfbewohnern sah. Außerdem konnte sie das Kleid ohne fremde Hilfe anziehen, was sehr nützlich war, da es auf Castle Varrich keine Zofen gab und sie andernfalls eine ihrer Schwestern hätte bemühen müssen.
Während sie sich ihre langen dunkelbraunen Haare zu einem Zopf flocht, suchte ihr Blick bereits nach den Lederstiefeln. Sie entdeckte sie nahe der Tür neben dem Weidenkorb mit den Kräutern. Als sie sich nach ihnen bückte, strömte der betörende Geruch von Baldrian, Minze und leicht bitterem Eisenkraut in ihre Nase. Den Baldrian sammelte sie für Lorna, die Frau des Fischers. Diese war stets unruhig und von Ängsten geplagt. Die Minze kochte Flower in warmem Wasser auf und gab sie dem Schmied, der nach langen Jahren in der rauchigen Schmiede schwer atmete. Das Eisenkraut dagegen war für seine Tochter, die während ihrer monatlichen Blutung an starken Krämpfen litt.
Besonders der Baldrian war fast aufgebraucht, und so entschied Flower, den Korb mitzunehmen, um ihre Vorräte im Wald nahe der Weide aufzufüllen. Vorfreude machte sich in ihr breit. Wenn sie sich beeilte, würde sie rechtzeitig zum Sonnenaufgang an der Wiesenhütte sein. Sie würde sehen, wie die ersten Wolken in zarte Rottöne getaucht wurden und die Rinder, die bei dem Unwetter gewiss am Rand des Waldes geschlafen hatten, auf die vom Tau benetzte Weide zurückkehrten.
Wie immer quietschte der Riegel ihrer Tür fürchterlich, als sie ihn zurückzog. Es wunderte sie jedes Mal, dass ihre Schwestern in den benachbarten Kammern davon nicht aufwachten. Ihr sollte es recht sein. Der Morgen gehörte ihr und den Hochlandrindern. Sie wandte sich nach links. Dort führte eine Tür zum Turm, dessen Treppe die große Halle im Erdgeschoss, die Wohnetage ihrer Familie sowie den zweiten Stock miteinander verband. Zwar hätte sie auch entlang der Balustrade gehen können, um an deren Ende über die weitläufige Holztreppe erst in die große Halle und dann ins Freie zu gelangen, wie es ihre Eltern stets taten. Doch der Turm hatte noch einen weiteren Ausgang, der in den Rosengarten führte und dessen morgendliche Ruhe sie bevorzugte.
Als einen Moment später die Tür rechts neben dem Turmeingang aufging und sie das Schreien eines Säuglings vernahm, seufzte Flower leise. Wie es schien, war ihr das Glück eines ungestörten Morgens heute doch nicht vergönnt.
»Mutter«, grüßte sie im Flüsterton und straffte die Schultern, um noch etwas aufrechter zu stehen.
Rhona lächelte ihre Tochter wohlwollend an. Sie legte viel Wert auf gutes Gebaren, obwohl sie im Norden Schottlands nicht abgelegener von höfischen Traditionen hätten leben können. Woher diese Neigung kam, konnte Flower nicht mit Gewissheit sagen, aber vermutlich erinnerte es Rhona an ihre Kindheit in den Lowlands. Nun aber legte sich die Stirn ihrer Mutter in Falten. Flowers acht Monate alter Bruder Conall, der bei ihrem Anblick kurz verstummt war, hatte erneut zu brüllen begonnen.
»Psst«, säuselte Rhona, während sie ihrem Kind sanft über den Rücken strich. »Er hat bei dem Sturm heute Nacht kein Auge zugetan. Ich bin natürlich bei ihm geblieben, aber selbst das hat kaum geholfen.«
Besorgt beäugte Flower die dunklen Augenringe ihrer Mutter. Rhona liebte ihre Kinder von ganzem Herzen und war bereit, jedes Opfer zu bringen, damit es ihnen gut erging. Eine Amme hatte sie daher für Conall – ebenso wie für ihre anderen Kinder – abgelehnt, auch wenn das bedeutete, dass sie nun erst recht keine Zeit mehr für sich und ihre Gedichte hatte.
Kurz dachte Flower an den Sonnenaufgang, die nach einem Regenfall stets erdig duftende Weide von Ribigill und Scotts Wunde. Dann aber, nach einem weiteren Blick auf das von den Entbehrungen des Schlafs gezeichnete Gesicht ihrer Mutter, traf sie eine Entscheidung. »Du kannst mir Conall geben«, bot sie ihr an. »Ich sehe nach ihm, und du ruhst dich etwas aus.«
Doch Rhona schüttelte den Kopf. »Ein Kind braucht seine Mutter.«
»Aber doch nicht die ganze Zeit, oder?« Flower unterdrückte den Drang, sich für ihre forsche Art zu entschuldigen. Damals, in Portskerra, hatte sie sich nicht getraut, ihrer Mutter zu widersprechen. Doch manche Fragen mussten gestellt werden. Besonders, da sie wirklich nicht verstand, was falsch daran war, ein Kind zeitweise an jemand anderen abzugeben. Und zwar nicht nur, wenn es bereits schlief, wie es ihr Bruder während des Abendessens meist tat.
Rhona starrte ihre Tochter missbilligend an, während sie den noch immer schreienden Conall leicht hin und her wiegte. »Nur eine Rabenmutter würde ihr Kind allein lassen. Und das bin ich nicht.«
»Du wärst doch keine Rabenmutter, wenn du dir ab und an etwas Zeit für dich nehmen würdest«, widersprach Flower, dieses Mal etwas entschiedener. »Ich bin sicher, dass Conall davon keinen Schaden nehmen würde.«
Doch Rhona schüttelte abermals den Kopf. »Er hätte schreckliche Ängste, wenn ich ihn weggeben würde, während er wach ist. Außerdem ist es die Aufgabe einer Frau, Ehefrau und Mutter zu sein. Wer sie nicht erfüllt, ist eine Enttäuschung für den Clan. Das wusste bereits deine Großmutter.«
Bei diesen Worten jagte es Flower einen kalten Schauer über den Rücken, und ihr Bauch verkrampfte sich. Ehefrau und Mutter. Das konnte doch nicht alles sein? Vor allem nicht in dieser Ausschließlichkeit? »Was ist mit Eiric aus Portskerra? Oder Greer? Sie leben beide allein und sind kinderlos, aber lindern das Leid ihrer Mitmenschen. Ist das nichts wert?«
Ihre Mutter seufzte leise. Die Mischung aus Enttäuschung und Nachsicht, die in diesem Laut lag, fühlte sich an wie ein Dolch, der über Flowers Haut kratzte. »Ich sage deinem Vater seit Jahren, dass dir die Zeit mit Greer nicht guttut. Immer diese Ausflüge ins Dorf. Sie bringen dich auf falsche Gedanken. Das Beste für Greer wäre, wieder zu heiraten. Kaum zu glauben, dass kein Mann sie will.«
Schnell biss sich Flower auf die Zunge. Sie wollte nicht verraten, dass bereits mehrere Männer um Greers Hand angehalten hatten, die unbeschwerte Heilerin aber ihre Freiheit und ihre heimlichen Liebschaften bevorzugte. Die Gefahr war zu groß, dass Flower die Ausflüge ins Dorf doch verboten wurden, die ihr Vater, dem ein gutes Auskommen mit den Dorfbewohnern wichtig war, seinen Töchtern gern gestattete. Insbesondere, da die Gegend um Castle Varrich aufgrund ihrer Abgeschiedenheit sicher war und keine Gefahr für sie und ihre Schwestern bestand.
Dennoch, Flower stimmte ihrer Mutter nicht zu, egal, wie oft ihr gesagt wurde, der Wert einer Frau sei unabdinglich an die Rolle als Ehefrau und Mutter geknüpft. Sie hatte eine andere Aufgabe im Leben. Die Tiere brauchten sie, denn sie konnten sich nicht selbst helfen – so wie einst ihr Hund Bhaic und nun die erkrankten Hochlandrinder. Und Flower würde für sie da sein. Sie würde alles Nötige lernen, um ihr Leid zu lindern, und lieber auf einen Ehemann und Kinder verzichten, als ihre Schützlinge im Stich zu lassen.
Nur das zu sagen, traute sie sich nicht.
Es lag nicht daran, dass sie Angst vor Streit hatte. Im Gegenteil, jemandem, der ihr nicht am Herzen lag, konnte sie gehörig die Meinung sagen. Doch ihre Eltern hatten Jahre damit verbracht, sie zu einer jungen Dame zu erziehen, die zum Wohl des Clans heiraten und diese Verbindung durch Kinder festigen würde. Ihnen mitzuteilen, dass sie etwas anderes von ihrem Leben wollte, schien undenkbar. Die Bestürzung in Rhonas Augen, falls sie es doch täte; die Enttäuschung ihres Vaters, der die Heilkunst zwar inzwischen achtete, diese aber niemals wichtiger als eine Ehe ansehen würde;die Möglichkeit, dass ihre Eltern sie als Bestrafung verstießen, weil sie ihrer Schuldigkeit als Tochter nicht nachkäme – all das hielt Flower im Moment davon ab, die Wahrheit auszusprechen. Aber irgendwann würde sie es müssen. Irgendwann würde sie ihrer Familie Leid zufügen müssen, um das der Tiere zu lindern – oder sie müsste ihrem Traum beim Platzen zusehen.
Gut nur, dass ihr Vater bisher keinen Ehemann für sie gefunden hatte. Was auch daran lag, dass sie als Tochter des zweitgeborenen Gregor MacKay eine weniger begehrte Partie darstellte als Fia, ihre Cousine väterlicherseits und das einzige Kind des Clanführers Malik. Dieser führte jedoch wegen eines Dutzends gestohlener Rinder und der folglich gelösten Verlobung seiner Tochter mit Lennox Ross eine Fehde mit Clan Ross und wollte vorerst nichts mehr von Bündnissen wissen. So war Fia noch immer unverheiratet, und wer eine Verbindung mit Clan MacKay anstrebte, wartete lieber auf das Ende der Fehde, anstatt sich vorschnell mit Flower zu vermählen. Sie konnte nur hoffen, dass die hochmütige Fia, die sie ebenso wie ihre Verwandten in den Lowlands seit Jahren nicht gesehen hatte, noch lang ihre heimliche Retterin blieb.
Glücklicherweise erwartete Rhona von ihr keine Antwort mehr, sondern hatte ihren Blick wieder Conall zugewandt, der noch immer schrie. »Er wird ein willensstarker Mann, dein Bruder«, murmelte sie. In ihren Augen lag dabei ein sonderbarer Glanz, und Flower glaubte, dass ihre Mutter sehr stolz war. Stolz auf diesen Säugling, der mit seinem anhaltenden Geschrei bewies, dass er jede Menge Lebenskraft in sich trug. Und stolz, dass es ihr nach vier Töchtern endlich gelungen war, den ersehnten Jungen auf die Welt zu bringen.
Flower fiel es schwer, in ihrem brüllenden Bruder keinen tragischen Vorboten ihrer Zukunft zu sehen, und sie trat unruhig von einem Bein auf das andere. Es wurde höchste Zeit, dass sie sich von ihrer Mutter verabschiedete und auf die Weide ging, bevor ihr morgendlicher Unterricht begann.
Da aber öffnete sich eine weitere Tür, und ihre jüngere Schwester River kam in ihrem Nachtgewand und mit einem Wolltuch über der Schulter und Brust zum Vorschein. Ihre hellbraunen Zöpfe, die sie stets kunstvoll flocht, waren unordentlich vom Schlaf, und in den blauen Augen der Siebzehnjährigen stand Schrecken.
»Was ist los, River?« Flower eilte zu ihrer Schwester und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Geht es dir nicht gut?«
River schwieg einen Moment und kratzte sich am Hals, während sie ihren Oberkörper leicht vor- und zurückwiegte. »Ich … ähm.« Ein zweifelnder Blick in Rhonas Richtung, dann senkte sie den Kopf. »Es bringt ja doch nichts, ich muss es sagen. Leaf ist verschwunden. Das ist an sich nicht ungewöhnlich, wie ihr wisst. Aber normalerweise ist sie morgens immer zurück.«
»Dieses fürchterliche Kind! Warum tut sie uns das an?«, entfuhr es ihrer Mutter bestürzt, und ihr fahles Gesicht wurde noch bleicher.
River hatte recht. Es war nicht ungewöhnlich, dass Leaf, die dritte Tochter, trotz des daraus resultierenden Ausschlusses vom Abendessen öfter verschwand. Sie war aufbrausend und kämpferisch, immer auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Es fiel Flower nicht schwer, sich vorzustellen, welche es in dieser Nacht gewesen sein könnte.
»Ich fürchte, Leaf hat die Sturmtauglichkeit ihres Unterschlupfs im Wald geprüft«, äußerte sie ihre Vermutung.
River kaute besorgt auf ihrer Unterlippe. »Aber der Sturm ist vorbei. Sollte sie nicht zurück sein?«
»Aye«, murmelte Flower, während sie die Spitzen ihrer Finger unruhig aneinanderrieb.
»Wir müssen sie zurückholen«, sprach ihre Mutter aus, was alle dachten. Gleichzeitig sah sie besorgt zu Conall, der sich langsam beruhigte.
Flower, der die Zerrissenheit ihrer Mutter nicht entging, verabschiedete sich endgültig von ihrem geplanten Besuch auf der Rinderweide. »Ich werde Artair wecken«, sagte sie stattdessen. »Wenn jemand Leaf finden kann, dann er.« Während ihre Mutter und River dankbar zustimmten, fügte sie in Gedanken hinzu, dass sie danach einen Kräutertee für Leaf kochen sollte. Nicht selten führte eine Nacht in Feuchte und Kälte zu Fieber. Selbst wenn ihre Mutter dachte, dass es Gott allein war, der über die Gesundheit eines Menschen entschied.
Etwa zwei Stunden später galoppierte Leaf erhobenen Hauptes vor Artair in den Burghof von Castle Varrich. Ihr dunkles Haar war dreckverkrustet und klebte ihr in langen Strähnen am Oberkörper. Ihr sonnengebräuntes Gesicht mit den Sommersprossen war ebenfalls mit Schlammschlieren bedeckt, und auch das durchnässte schwarze Leinenhemd und die Hose aus Rehleder zierten Matschflecken. Lediglich ihr Pferd, ein hochgewachsener Hengst mit weißer Blesse, war trocken und sauber. Vermutlich war sie ohne das Tier aufgebrochen, und Artair hatte es in weiser Voraussicht auf seine Suche mitgenommen.
»Leaf«, keuchte Flower. Ob vor Schreck, weil die Lippen ihrer Schwester blau angelaufen waren, oder vor Erleichterung, weil Artair sie endlich gefunden hatte, konnte sie nicht sagen.
»Glückwunsch, meinst du wohl«, verkündete die Sechzehnjährige mit klappernden Zähnen und einem triumphierenden Glanz in den Augen. »Ich habe Artair soeben erneut im Wettreiten besiegt.«
»Danke, meinst du wohl«, entgegnete Artair. In einer fließenden Bewegung saß er von seinem Pferd ab. »Dafür, dass ich mich in aller Frühe aus dem Bett gequält habe, um dich Tunichtgut im Wald zu suchen. Zum zweiten Mal in diesem Monat.« Obwohl die Worte tadelnd waren, zuckten die Mundwinkel des etwa fünf Jahre Älteren verräterisch. Flower wusste, dass ihr Adoptivbruder mit den blonden Haaren und den dunklen Augen Leafs temperamentvolle Art sehr schätzte. Anders als ihre Eltern konnte er ihr nie lange böse sein. Zu eng war ihr Verhältnis, seit ihr Vater Gregor ihn als schiffbrüchiges Kind ohne Erinnerung am Strand unterhalb von Castle Varrich gefunden und in die Familie aufgenommen hatte.
»Du hättest gern in deinem Bett bleiben können, Artair«, schnaubte Leaf, während sie ebenfalls aus dem Sattel glitt. »Ich bin sehr gut allein zurechtgekommen.« Dass ihre Beine beim Absitzen kurz nachgaben, strafte diese Aussage Lügen. Doch die junge Frau biss die Zähne zusammen und hielt sich am Steigbügel fest.
Flower bewunderte sie dafür. Dennoch fand sie, anders als Artair, die Lage keineswegs belustigend. Sie liebte Leaf sehr, ebenso wie ihre anderen beiden jüngeren Schwestern River und Skye. Der Gedanke, dass ihr etwas zustoßen könnte, war unerträglich.
Doch ehe sie ihrem Unmut Ausdruck verleihen konnte, blickte Leaf sie aus strahlenden rehbraunen Augen an. »Mein Holzhaus hat dem Sturm standgehalten. Fast kein Wasser ist nach innen gelangt, das Leder hat es abgehalten.«
»Oh«, machte Flower und legte die Stirn in Falten. Sie zeigte auf Leafs Erscheinung. »Ich hätte vermutet, dass dein Unterschlupf nachgegeben hat.«
Zu ihrer Überraschung schnalzte Leaf mit der Zunge und schüttelte den Kopf. »Weißt du denn nichts über Unwetter? Sobald es anfängt zu blitzen, darf man nicht in einem Unterschlupf aus Holz bleiben, erst recht nicht, wenn er unter einem Baum steht. Man muss sich einen Graben suchen und sich dort hineinlegen.«
»Einen Graben?«, wiederholte Flower und stemmte die Hände in die schmalen Hüften. Sie konnte kaum glauben, dass Leaf freiwillig die halbe Nacht in einer schlammig feuchten Mulde im Wald verbracht hatte.
»Aye«, antwortete die jüngere Schwester stolz. »Ein Steinhaus wäre auch gut gewesen – oder eine Höhle. Wenn ich es mir recht überlege, sollte ich das nächste Mal die Höhle ausprobieren.«
»Du magst doch überhaupt keine Höhlen«, warf Artair neckend ein, während er den Hals seines Pferdes tätschelte. »Ich werde wohl nie wieder ausschlafen können.«
»Und ich werde nie wieder einschlafen können«, zischte Flower, »wenn ich befürchten muss, dass meine kleine Schwester sich nach besten Kräften bemüht, krank zu werden.« Falls das nicht bereits geschehen war.
»Was nicht tötet, härtet ab«, erklärte Leaf und schwankte dabei leicht.
Artair, der immer zur Stelle war, wenn das rebellische Mädchen ihn brauchte, legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Flower hat recht. Niemandem ist geholfen, wenn du einem Unwetter trotzen kannst, aber danach tagelang das Bett hütest.« Er zwinkerte Flower verschwörerisch zu. »Man müsste sich die ganze Zeit um dich kümmern, Wildfang. Du wärst vollkommen abhängig von uns.«
Ein erneutes Zittern schüttelte Leafs schlanke Gliedmaßen, die für ihr Alter bemerkenswert muskulös waren. »Pah«, höhnte sie. »Eher lege ich mir ein Hunderudel zu.«
Flowers Augen verengten sich. Obwohl es lange her war und inzwischen keine Hunde mehr auf Castle Varrich lebten, mochte sie es nicht, wenn Leaf Witze über den grausigen Vorfall von einst machte. Zumal ihr Vater ihr nicht einmal verraten hatte, wo Bhaic begraben war. Doch das war nicht der Zeitpunkt, um Leaf darauf hinzuweisen. Vielmehr musste ihre Schwester ins Warme, bevor ihre Mutter sie erwischte und ihr hier im Freien die Hölle heißmachte.
»In deinem Zimmer wartet ein Bad auf dich«, sagte sie. »Ich hole deinen Kräutertee aus der Küche. Dann helfe ich dir beim Schrubben.«
»Nicht nötig«, sagte Leaf barsch. »Ich kann mich allein waschen.« In einem versöhnlicheren Tonfall fügte sie hinzu: »Aber den Kräutertee trinke ich. Und …« Sie brach ab, und Flower zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch. »Danke, schätze ich.«
In gespieltem Protest verschränkte Artair die Arme vor der breiten Brust. Sein Pferd wieherte ungeduldig. »Und was ist mit meinem Dank?«
Sogleich verschwand der milde Ausdruck aus Leafs Augen, und auf ihre blassen Lippen legte sich ein verschmitztes Grinsen. »Den erhältst du, nachdem du mir zu meinem Sieg gratuliert hast.«
Ein unsanfter Tritt in die Rippen riss Cailan aus dem Schlaf. Sogleich schlug er die Augen auf und wälzte sich knurrend zur Seite. Seine Hand tastete nach seinem Dolch, doch sie fand nur klebriges Stroh. Er fluchte heftig und blinzelte, damit sein verschwommener Blick sich endlich klärte. Doch die Welt schwankte erbarmungslos, während über ihm ein zorniges Schnauben ertönte.
»Suchst du den hier?«
Dieses Mal verbiss er sich mit Mühe den Fluch und kämpfte sich entschlossen auf die Knie. Rasch rieb er sich mit der Hand über die Augen – vielleicht half das ja? –, doch noch immer konnte er die Gestalt seines Vaters nur unscharf erkennen.
»Danke«, brummte er schließlich und griff nach dem Dolch. Bei dieser Bewegung drohte er, das Gleichgewicht zu verlieren, und musste sich an einem Stuhl abstützen, der ebenso klebrig war wie das Stroh und nach Ale roch. Von dem süßlichen Geruch wurde ihm unwillkürlich schlecht. Oh, bitte nicht …
»Cailan«, zischte sein Vater wütend, nachdem Cailan sich seines Abendessens entledigt hatte. »Was zur Hölle soll das? Hast du mir gestern überhaupt nicht zugehört?«
»Entschuldige«, murmelte er und schloss für einen Moment die Augen. Gestern Nacht war der Alkohol eine Wohltat für seine geplagte Seele gewesen, aber nun zeigte er seine Schattenseite. Warum nur hatte er sich so gehen lassen? Wütend biss er sich auf das Innere seiner Lippe. Nicht einmal die Enttäuschung seines Vaters wog so schwer wie die Verachtung, die er selbst für seine lächerliche Schwäche empfand. Wo war der mutige Mann von einst, dem nichts Angst einjagen konnte? Der wusste, wie man seinem Clan diente?
»Auf die Füße mit dir, und zwar sofort!« Ehe Cailan sichs versah, hatte Ewan ihn am Saum seines Leinenhemdes gepackt und wollte ihn hochziehen. Doch Cailan war mittlerweile zu groß und stark, als dass seinem Vater das ohne sein Zutun gelungen wäre.
»Ich stehe schon auf«, versprach er und hob abwehrend eine Hand. Im nächsten Moment biss er die Zähne zusammen, fasste abermals an den Stuhl und zwang sich, mit langsamen Bewegungen aufzustehen. Nur, um sich kurz darauf auf die hölzerne Tischplatte sinken zu lassen.
»Gott, Cailan, nimm dich zusammen. Unsere Männer satteln draußen schon die Pferde. Wer trinken kann, muss auch aufstehen können.«
»Das musst gerade du sagen«, murmelte Cailan und atmete tief aus. Wie viele Krüge hatte er in der letzten Nacht geleert? Die Antwort auf diese Frage entzog sich seiner Erinnerung. Er wusste nur, dass es nicht lang beim Ale geblieben war.
Ewan schnaubte. »Ich habe nie behauptet, dass ich ein Heiliger bin. Aber man muss wissen, wann man sich gehen lassen kann und wann nicht. Denn wenn man es nicht tut …«
»… bringt man den ganzen Clan in Gefahr?«
»Aye. So wie damals, als …«
»Bitte, Vater«, unterbrach Cailan ihn. »Hab Nachsicht und erzähle mir nichts, was mir längst bewusst ist.«
»Nachsicht.« Ewan ließ das Wort wie eine Drohung in der Luft hängen. »Ich hatte zu viel Nachsicht mit dir in den letzten Jahren. Aber das ändert sich jetzt. Wenn Lady MacDonald im Herbst mit Eleanor kommt, werde ich nicht dulden, dass du …«
»Ich weiß.« Cailan rieb sich die Schläfen.
»Hm«, brummte Ewan und musterte ihn mit zusammengepressten Lippen. Dann atmete er scharf aus und stöhnte. »Gott verfluche mein weiches Herz. Du wirst dich keine Meile auf deinem Pferd halten. Bleibe hier und schlafe deinen Rausch aus. Aber zum Abendessen bist du auf Castle Varrich, sonst kannst du was erleben!«
Der Nachmittag neigte sich bereits dem Ende zu, als Cailan nach einem langen, anfangs äußerst unangenehmen Ritt eine Weggabelung erreichte. Beide Pfade würden ihn in Kürze nach Castle Varrich bringen, sodass er in jedem Fall rechtzeitig zum Essen eintreffen würde. Ritt er rechtsherum, käme er erst an einem knorrigen Baum vorbei, dem sagenumwobenen Glücksbaum, und dann in das Dorf Tongue. Dieses lag am Fuß des Hügels, auf dem die Burg der MacKays über einer Bucht thronte. Der linke Weg verlief dagegen durch den Wald von Varrich, nahe den Rinderweiden, auf die Gregor MacKay zu Recht stolz war. Schließlich bedeutete der Besitz von Hochlandrindern den Zugang zu Milch, Fleisch und Fell. Alles drei wichtig, um einen Clan zu versorgen, und auch der Grund, aus dem Rinder als das Gold der Highlands angesehen wurden.
Der linke Weg war etwas kürzer, und nach einem Moment des Zögerns entschied sich Cailan für ihn. Zwar waren seit seinem letzten Aufenthalt auf Castle Varrich bereits einige Jahre vergangen, doch er hatte ein gutes Gedächtnis und wusste, dass der Weg durch den Wald an einem Bach vorbeiführte. Dort konnte er sich vor seiner Ankunft bei Clan MacKay noch einmal frisch machen. Zudem würde die Kühle des Wassers hoffentlich den übrigen Kopfschmerz vertreiben, der dank der frischen Luft mittlerweile merklich besser geworden war.
Auch wenn Wälder bei schlechtem Wetter Unruhe in ihm auslösten, genoss Cailan an diesem sonnigen Tag den Ritt entlang der duftenden Birken, Kiefern und Eichen. Sie erinnerten ihn an die Sommer, in denen er hier stundenlang mit Artair ausgeritten war und zwischen all den Farnen, Waldblumen und Pilzen Unterschlüpfe auf dem moosbewachsenen Boden gebaut hatte. Natürlich nur, wenn sie nicht gerade nahe den Kalksteinhöhlen unter Castle Varrich im Meer geschwommen oder auf den Wiesen in der Sonne geschlafen hatten. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Er war viel zu lang nicht mehr hier gewesen. Ob Greer wohl noch in Tongue wohnte und wie vor fünf Jahren, als sie frisch verwitwet gewesen war, Lust auf ein paar feurige Nächte hatte?
Cailans Mundwinkel hoben sich weiter, als schließlich das leise Rauschen von Wasser an sein Ohr drang. Er konnte es kaum erwarten, die letzte Nacht von sich abzuwaschen und sich mit einem Schluck Wasser zu erfrischen. Mit einem sanften Druck seines Oberschenkels lenkte er Taran nach rechts in das Unterholz. Der Hengst gehorchte ihm ohne zu zögern und fand sicher seinen Weg zu dem nahe gelegenen Bach.
Am Wasser angekommen, saß Cailan ab, die Nachwirkungen des Alkohols waren fast vollkommen abgeklungen. Kurz überlegte er, Taran anzubinden, entschied sich aber dagegen. Sein treuer Begleiter würde ebenfalls trinken wollen und nach dem langen Ritt nicht das Bedürfnis haben, weit wegzulaufen. Dennoch verknotete er die Zügel oberhalb des Tierhalses, um zu vermeiden, dass sich Tarans Hufe beim Laufen darin verfingen. Ein letzter Klaps auf die Flanke des Pferdes, dann trat Cailan zwei Schritte zur Seite, zog sich das Leinenhemd über den Kopf und entblößte seine muskulöse, mit einem Flaum hellbrauner Haare bedeckte Brust. Achtlos warf er das Hemd auf einen Stein, kniete sich ans Ufer und spritzte sich das kühle Wasser über Gesicht und Oberkörper. Nachdem er sich erfrischt hatte, tauchte er seine Hände in den Bach und formte mit ihnen eine Schale. Vorsichtig führte er das Wasser an den Mund und spülte ihn gründlich aus. Gerade als er ein zweites Mal Wasser schöpfen wollte, um zu trinken, hörte er einen Schrei, gefolgt von einem lauten Platschen.
Überrascht hob er den Kopf. Er hatte bei seiner Ankunft niemanden am Ufer gesehen, und auch jetzt konnte er keinen anderen Menschen entdecken. Viel beunruhigender war jedoch die Tatsache, dass er Taran ebenfalls nicht mehr sah. Wachsam lief Cailan in die Richtung, aus der der Schrei erklungen war. In einigen Schritten Entfernung machte der Bach eine Biegung, und Cailan musste erst um einen hohen Strauch herumgehen, ehe er seinen friedlich trinkenden Hengst erblickte.
Den weitaus reizenderen Anblick bot jedoch die junge Frau, die unfern seines Pferdes mit dem Rücken zu ihm im Bach stand und in diesem Augenblick zu einem davontreibenden Weidenkorb watete. Ihr dunkelbraunes Haar war zu einem losen Zopf geflochten, der nass an ihrem Kleid klebte. Das Kleid selbst war ebenfalls durchnässt und schmiegte sich wie eine zweite Haut an ihren schlanken Körper. Nur zu gut konnte Cailan dadurch ihre wohlgeformte Kehrseite betrachten. Ihre Haltung war aufrecht, ihre Bewegungen trotz des schlammigen Untergrundes und der Strömung sehr anmutig. Es schien ihr jedoch nicht schnell genug zu gehen, denn mit erfreutem Erstaunen sah er nun, dass sie ihre Röcke raffte, um zu ihrem Korb zu gelangen, ehe dieser davonschwimmen konnte.
Eine vertraute Hitze durchströmte ihn, als er beobachtete, wie sie dabei ihre Beine entblößte und sich ihr Kleid noch enger um ihren Körper zog.
Kurz überlegte er, ihr zu helfen. Doch es lag ihm fern, die Frau zu erschrecken. Zudem hatte sie nun ihren Korb erreicht, hob ihn aus dem Wasser und wandte sich in einer fließenden Bewegung um.
Sie hatte ein ovales, ebenmäßiges Gesicht. Ihr Hals war lang und schlank, und der nasse Stoff des Kleides offenbarte die zwei keck aufgerichteten Spitzen ihrer Brüste.
Ungewollt entwich ihm ein leises Knurren.
Als die Frau daraufhin den Kopf hob und ihn entdeckte, schnappte sie erschrocken nach Luft, taumelte und stürzte rückwärts in den Bach. Sofort sprang Cailan selbst ins Wasser. Mit einigen langen Schritten war er bei ihr und streckte ihr seine Hand entgegen. Die Frau blickte ihn jedoch nur stumm aus großen, goldgrünen Augen an, die ihm auf sonderbare Weise bekannt vorkamen. Sie wirkte wie ein Reh, verschreckt und ungläubig. Die vollen Lippen hatte sie leicht geöffnet, von ihren elegant geschwungenen Augenbrauen tropfte das Wasser auf die zarte Haut ihrer Wange. Nur mühsam konnte Cailan den Drang unterdrücken, darüberzustreichen. Stattdessen beugte er sich vor, um sie aus dem Wasser zu ziehen.
Sogleich wich die Frau ein kleines Stück zurück. In ihren Augen blitzte etwas auf, das entweder Angst oder Unsicherheit war. Da erst wurde ihm bewusst, wie sie die Lage wahrnehmen musste: Vor ihr stand ein 6‘2 Fuß großer, fremder Mann mit nacktem Oberkörper, der ohne Anwesenheit anderer nach ihr griff. Zur Hölle, es war ein Wunder, dass sie nicht schreiend versucht hatte, davonzurennen.
Cailan hasste Männer, die Frauen Angst machten, und so trat er pflichtschuldig einen Schritt zurück. »Entschuldigung«, brummte er und setzte ein freundliches Lächeln auf.
Die Fremde antwortete ihm jedoch nicht, sondern musterte ihn weiterhin aus ihren großen Augen, aber nun ohne Furcht.
Schmunzelnd bemerkte er, wie ihr Blick fasziniert über sein Gesicht, seinen muskulösen Oberkörper und die starken Arme wanderte, bis ihre Erkundung auf Höhe seines harten Bauches endete. Als sich ihre Wangen hochrot färbten, entfuhr seiner Kehle ein Lachen. »Gefällt dir, was du siehst?«
Die Frau räusperte sich hastig und starrte ihn vorwurfsvoll an. Es ziemte sich nicht, einer jungen Frau gegenüber so unverblümte Andeutungen zu machen, auch wenn sie, der einfachen Kleidung nach zu urteilen, nur ein Mädchen aus dem Dorf war. Doch er war nicht zu einem der berüchtigtsten Verführer des Landes geworden, weil er sich den Regeln von Moral und Sitte unterwarf. Dennoch gab es Grenzen, und die waren für ihn erreicht, wenn eine Frau keinen Spaß mehr hatte. Das Geschöpf vor ihm fühlte sich unwohl, wie ihm die Mischung aus roten Wangen und unsicherem Blick verriet.
»Darf ich dir wenigstens beim Aufstehen helfen?«, erkundigte er sich deswegen. Da die Fremde nicht widersprach, streckte er ihr erneut seine Hände hin. Dieses Mal ergriff sie sie. Wie erwartet, war die Haut ihrer schmalen Finger von ihrer täglichen Arbeit rau. Und trotzdem fühlte sie sich angenehm auf seiner an. »Wie heißt du?«, hauchte er, ihre Hände hielt er noch immer mit sanftem Druck gefangen.
Unvermittelt hob die Frau den Kopf und blickte ihm in die Augen. »Das wisst Ihr nicht?«
Überrascht hielt er inne und überlegte, während er eine Hand hob und ihr eine nasse Strähne hinter das Ohr strich, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte. Es schien, als ob sie eine Art Spiel mit ihm spielen wollte. »Du solltest Bonnie heißen. So schön, wie du bist.« Im nächsten Moment senkte er seinen Blick auf ihre Lippen, bemerkte ihren schnellen Atem und beglückwünschte sich innerlich bereits zu dieser Eroberung.
Die Ohrfeige kam unvermittelt und mit einer solchen Wucht, dass er einen Schritt zurücktaumelte. Verblüfft starrte er die Frau an, die die Zähne wütend zusammenbiss und die Hände zu Fäusten ballte.
»Ich gratuliere, Mylord. Ihr habt Euch seit unserer letzten Begegnung kein Stück verändert.« Schwungvoll wandte sie sich ab und stieg fluchend aus dem Bach. »Bindet Euer Pferd das nächste Mal an«, fügte sie mit einem Blick auf Taran ärgerlich hinzu. »Es hat mich in den Bach geschubst.« Dann schritt sie erhobenen Hauptes davon, der Weidenkorb war vergessen.
Wie heißt du?
Zur Hölle mit Cailan Sinclair! Wie konnte er die Frechheit besitzen, sie nicht zu erkennen? Oder erinnerte er sich am Ende überhaupt nicht mehr an sie?
Mit schnellen Schritten stampfte Flower zum ersten Mal an diesem Tag über die saftig grünen Weiden von Ribigill. Am Morgen hatten zuerst Leafs Eskapaden im Wald und dann der Unterricht sie an einem Besuch bei den Hochlandrindern gehindert. Im Anschluss hatte sie ihre Kräutervorräte aufgefrischt, nur um sie in dem Weidenkorb am Bach zu vergessen. Dank Cailan, dem Schuft! Was suchte er überhaupt im Wald von Varrich?
Flower blies die Backen auf und ließ die Luft dann geräuschvoll ausströmen. Da sie wieder einmal zu Fuß unterwegs war, blieb ihr nicht mehr viel Zeit. Die Sonne stand bereits bedenklich tief am Himmel, und in der Ferne funkelten die schneebedeckten Berggipfel im frühen Abendlicht. Vermutlich sollte sie unmittelbar zur Burg zurückkehren, wenn sie sich vor dem Essen noch waschen und umziehen wollte. Doch das konnte sie ihren zotteligen Freunden nicht antun. Sie würde sich später beeilen müssen.
Zu ihrer Rechten trottete Fiona zum Zaun und streckte den Kopf über das Holz. Ein kurzes Lächeln stahl sich auf Flowers Lippen. »Ich habe dich auch vermisst, Große.«
Anders als ein gewisser Lord mich.
Entschieden raffte sie ihr nasses Kleid, das trotz der sommerlichen Temperaturen noch schwer an ihrem Körper klebte, und stieg über den Zaun. Obwohl sie sich heute hastiger auf Scott zubewegte, floh das Tier nicht, sondern musterte sie aufmerksam. Wahrscheinlich hoffte es erneut auf einen Apfel.