Die Liebe der Lady River - Kristin MacIver - E-Book

Die Liebe der Lady River E-Book

Kristin MacIver

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Beschreibung

Die zweite Tochter des Clans MacKay soll heiraten: In einer Ehe mit einem Fremden muss sie sich ihren Selbstzweifeln stellen und sich gegen Intrigen durchsetzen. Kann sie hier Liebe finden? Die ergreifende Fortsetzung des historischen New-Adult-Liebesromans in den schottischen Highlands über die Töchter des Clans MacKay. Schottland, 1486: Lady River MacKay blickt ihrer geplanten Hochzeit entgegen: Sie träumt von einer liebevollen Ehe und einer Reise in die Handelsstadt Brügge. Doch ihr frisch verwitweter und trauernder Ehemann Morgan reagiert abweisend. Die romantische Frau ist verzweifelt und sucht den Grund dafür bei sich. Doch muss sie sich wirklich ändern? Leidenschaftliche Momente, die Morgans eisige Ablehnung durchbrechen, lassen River um die Ehe kämpfen, bis sie zwischen den Intrigen von Morgans bestem Freund und einem dunklen Geheimnis etwas tut, das alles zerstören kann … Ein dramatischer historischer Roman über Liebe und Verlust, sowie die Liebe für sich selbst vor dem zauberhaften Hintergrund der schottischen Highlands. "Herzergreifend und inspirierend – eine Geschichte, so stürmisch wie die schottischen Highlands selbst.Ein Tribut an den Mut, das eigene Herz zu erkunden und den Glauben an sich nie zu verlieren. Gefühlvoll und packend von der ersten Seite an und mit einem unglaublichen Geheimnis. Kristin MacIver darf mich jederzeit wieder zu ihren starken Heldinnen nach Castle Varrich entführen!" - Eva Fellner Verfolge auch die Geschichte von Rivers Schwestern, der unabhängigen Flower und der eigensinnigen Leaf: Der Traum der Lady Flower Der Mut der Lady Leaf

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Seitenzahl: 580

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Kristin MacIver

Die Liebe der Lady River

Roman

Knaur eBooks

Über dieses Buch

River und das Glück zu lieben

 

Schottland, 1486. Lady River MacKay blickt ihrer geplanten Hochzeit entgegen: Sie träumt von einer liebevollen Ehe und einer Reise in die Handelsstadt Brügge. Doch ihr frisch verwitweter und trauernder Ehemann Morgan reagiert abweisend. Die romantische Frau ist verzweifelt und sucht den Grund dafür bei sich. Doch muss sie sich wirklich ändern? Leidenschaftliche Momente, die Morgans eisige Ablehnung durchbrechen, lassen River um die Ehe kämpfen, bis sie zwischen den Intrigen von Morgans bestem Freund und einem dunklen Geheimnis etwas tut, das alles zerstören kann …

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Hinweis auf Triggerwarnung

Widmung

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Epilog

Danke

Triggerwarnung

Hinweis auf Triggerwarnung

Liebe Leser:innen,

 

bestimmte Themen lösen bei manchen Menschen unbeabsichtigte Reaktionen aus. Deshalb findet ihr am Ende des Buches eine Triggerwarnung.

 

Ich wünsche euch ein schönes Leseerlebnis.

 

Eure Kristin

 

 

 

 

Für meine Schwestern.

 

Und alle, die immer an sich zweifeln. Habt euch lieb.

Vorwort

»Niemals hätte ich gedacht, dass du dazu fähig bist.«

 

»Man segelt entweder in den Sturm hinein oder um ihn herum. Aber man lässt ihn nicht einfach auf sich zukommen.«

Kapitel 1

Castle Varrich, Frühjahr 1486

Die Feder in Rivers Hand kratzte über die abgegriffene Buchseite. Morgan Su… Sie hielt inne und kaute auf ihrer Lippe. Stimmte nun Suzerland mit z? Oder schrieb man den Clannamen ihres Verlobten doch mit thz?

Vorsichtig schielte sie über den Tisch der Bibliothek zu ihrem Lehrer Jan van Bergen, der einen Stapel vergilbter Schriftstücke ordnete. Wäre der dreißigjährige Mann nach seiner Zeit in Flandern nicht schon mit kahlem Schädel nach Castle Varrich gekommen, hätte sie geschworen, dass sie der Grund für den Verlust seiner Haare war.

Die schon bekannte Schwere legte sich auf ihre Brust, während auf der Buchseite ein stetig wachsender See aus Schwarz entstand. Noch ein wenig mehr, und sie könnte behaupten, dass ihr die Tinte aus Versehen genau auf die Stelle des Clannamens getropft war.

Mit zusammengepressten Lippen strich sie das Su durch. Das Buch vor ihr, das eigentlich von der Kunst des Schachspiels handelte, diente ihr seit einiger Zeit als Tagebuch. Die freien Ränder um die Worte herum und die nur zur Hälfte beschriebenen Seiten am Ende jedes Kapitels gehörten ihr. So hatte es Jan gesagt, als er ihr die von Wasser beschädigte Ausgabe aus Brügge zu ihrem siebzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Und nun machte sie sich Gedanken, ob sie darin fehlerhaft schrieb? Wo es doch niemand außer ihr je lesen würde?

Sie berührte mit dem Federkiel erneut das Papier, hob ihn aber sofort wieder an. Was wäre, wenn doch jemand ihr Tagebuch zu Gesicht bekäme und herausfand, dass sie nicht einmal ihren zukünftigen Clannamen richtig schreiben konnte? Sollte sie nicht doch besser die holzgerahmte Wachstafel nehmen, auf der man alle Fehler gleich wieder verschwinden lassen konnte?

Trotz der lauwarmen Brise, die von der Meeresbucht unterhalb der Burg durch die Fenster des holzgetäfelten Raums wehte, stellten sich die Härchen auf ihrem Unterarm auf. Sie sah abermals zu Jan. Er wusste gewiss, ob sich der Clanname mit z oder thz schrieb. Doch wie oft konnte sie ihn noch fragen, bis er die Geduld mit ihr verlor?

»Kann ich dir helfen, River?«

Sie zuckte ertappt zusammen und wich dem gutmütigen Blick seiner braunen Augen aus. »Nein, nein, danke. Aber lieb, dass du fragst.«

Jan nickte langsam und blinzelte mehrmals, bevor er sich wieder dem Stapel mit Schriftstücken zuwandte. Es bestand kein Zweifel, dass der schlaksige Mann mit dem Langmut eines Felsens, dessen Kanten seit Jahrhunderten vom Ozean geschliffen wurden, sie durchschaut hatte. River krümmte ihre Zehen, die in weichen ledernen Stiefeln steckten. Was stimmte nur nicht mit ihr, dass sie immer wieder vergaß, wie Worte geschrieben wurden?

Sie wollte ihr Tagebuch gerade zuklappen und Jan erklären, dass sie sich mit Isla zu ihrem üblichen Spaziergang am Strand von Coldbackie verabredet hatte – was auch der Wahrheit entsprach, wenn auch etwas später –, als ihr Blick auf das mittlerweile zerknitterte Schriftstück fiel, das zwischen der letzten Seite und dem Buchrücken ihres Tagebuchs steckte. Die Schwere, die auf ihrer Brust lastete, verschwand sofort, und ein Lächeln legte sich auf ihr Gesicht, als ihr ein Gedanke kam. Zwar mochte sie zu dumm sein, um Morgans Clannamen richtig zu schreiben, aber einfältig war sie nicht.

Hastig legte sie ihren Zeigefinger in die Mitte des Buchs, um die eben beschriebene Seite später wiederzufinden, und schlug es ganz am Ende auf. Das erhabene Rot des gebrochenen Siegelwachses, das Morgans Schreiben zierte, löste noch immer Ehrfurcht in ihr aus.

Behutsam strich sie mit dem Daumen über das Schriftstück. Wie oft hatte sie es in den letzten Wochen gelesen. Obwohl sie seinen Inhalt mittlerweile auswendig konnte, holte sie den Brief nach wie vor jeden Abend vor dem Einschlafen aus ihrem Tagebuch hervor. Ihre Augen flogen dann voller Freude über die gleichmäßig geschwungenen Buchstaben und Worte, die sie zum Glück ohne Schwierigkeiten lesen konnte, und sie stellte sich vor, wie Morgan sie behutsam an einem silberbeschlagenen Eichentisch mit Blick in die Ferne geschrieben hatte. Ob er geahnt hatte, wie viel sie ihr bedeuten würden?

Sie schüttelte den Kopf wegen dieser Vorstellung und nahm den Brief heraus. Natürlich hatte Morgan das nicht gewusst. Sie waren sich noch nie begegnet, und außerdem war das Schreiben an ihren Vater gerichtet und nicht einmal besonders gefühlvoll verfasst. Vielmehr teilte Morgan dem Lord von Castle Varrich darin in knappen Worten mit, dass er zu Besuch kommen und River MacKay – also sie – kennenlernen wolle. Was ihrer Mutter zufolge eindeutig bedeutete, dass er sie zu heiraten beabsichtigte. Ein warmes Gefühl durchflutete sie. War das zu glauben?

Sie schlug ihr Tagebuch an der Stelle auf, wo noch immer ihr Zeigefinger lag, ehe sie den Brief mit beiden Händen öffnete. Aus Gewohnheit las sie ihn noch einmal ganz von vorn. Welche Worte hätte Morgan wohl gewählt, wenn der Anstand es ihm nicht verboten hätte, ihr unmittelbar zu schreiben? Liebste River, nachdem deine Schwester mir auf der Hochzeit meines Cousins Logan so viel von dir erzählt hat, muss ich dich kennenlernen. Ich habe gehört, dass deine Augen so tiefblau wie der unendliche Ozean sind und dein Lächeln so strahlend wie die Morgensonne. Warst du schon einmal im Land des ewigen Ostens? Wegen meiner Handelsgeschäfte reiste ich vor einigen Jahren dorthin …

River drehte einen ihrer hellbraunen Fischgrätenzöpfe zwischen ihren Fingerspitzen und meinte fast, Morgans warmen Atem an ihrem Ohr zu spüren. Sie bekam eine Gänsehaut, und erst als Jan forschend zu ihr sah, blickte sie wieder auf das Schriftstück und die Worte, die an seinem Ende standen: Lord Morgan Sutherland.

Sie verengte die Augen. Das konnte doch nicht wahr sein. Mit gerunzelter Stirn legte sie ihren Finger unmittelbar unter das Wort Sutherland und fuhr es Buchstabe für Buchstabe ab. Doch auch beim zweiten Mal stand dort weder ein z noch ein thz, sondern nur ein th. Sie schluckte. Wie hätte sie jemals darauf kommen sollen?

»Sei nicht zu hart mit dir«, vernahm sie Jans ruhige Stimme. Als sie den Kopf hob, sah er sie jedoch nicht an, sondern zog gerade seelenruhig das nächste Schriftstück aus dem Stapel. So als sei es nicht weiter von Bedeutung, dass sie in der Flut von Buchstaben jeden Tag aufs Neue ertrank.

River biss sich abermals auf die Lippe und richtete den Blick zurück auf ihr Tagebuch. Kurz war sie versucht, ihren Verlobten der Einfachheit halber nur Morgan zu nennen. Das taten Eheleute – zumindest ihre Eltern – doch ohnehin. Dann aber packte sie der Ehrgeiz, und sie vollendete die Zeile, wie sie es sich ursprünglich vorgenommen hatte: Komt heute entlich mein Eeman Lort Morgan Sutherland an?

»Gut gemacht«, lobte Jan, als sie die Feder wieder sinken ließ.

»Wie willst du das wissen?« River klappte schnell ihr Tagebuch zu und schob den Brief wieder zwischen die letzte Seite und den Buchdeckel. »Du hast doch gar nicht gelesen, was ich geschrieben habe.«

»Darum geht es nicht.« Jan blinzelte, was seine Art zu lächeln war.

River erwiderte darauf nichts, sondern sah aus dem Fenster auf die von Hügeln gerahmte Meerzunge. Sie hielt die Luft an, während ihre Augen über das blaugraue Wasser wanderten. Immer noch nichts.

»Das ist jetzt das achte Mal, dass du in der letzten Stunde nachgesehen hast.« Jans Stimme war frei von jeder Wertung.

River atmete hörbar aus. Er hatte mitgezählt?

Jan nickte, bevor sie die Frage überhaupt stellen konnte, mit nach wie vor unbewegtem Gesicht. »Dein Vater hat heute Morgen zwölf Mal nachgesehen.«

Ungewollt musste River lachen. Wüsste sie es nicht besser, hätte sie, so sehr, wie ihr Vater Morgans Ankunft entgegenfieberte, meinen können, dass er diesen selbst heiraten wollte. Dagegen wirkte die Freude ihrer Mutter beinahe verhalten.

»Meinst du, heute ist es so weit?« Sie fand es noch immer etwas befremdlich, mit Jan über ihre Gefühle zu sprechen. Doch seit er und ihre beste Freundin Isla sich nähergekommen waren – und das, obwohl Isla die Enkelin des Fischers Dubh war –, fiel es ihr leichter, ihn nicht nur als ihren Lehrer und den engsten Berater ihres Vaters, sondern auch als einen Freund anzusehen.

»Vielleicht«, antwortete Jan. »Je nachdem, wie stark der Wind ist.«

Rivers Blick wanderte wieder zu den Schaumkronen auf dem Meer. Sie waren höher als sonst. Eine Unruhe, die sowohl Vorfreude als auch Anspannung war, ließ sie mit den Fingern auf den Tisch trommeln. »Erzählst du mir noch etwas über Brügge? Etwas, das ich noch nicht weiß?«

Jan hob seine dunklen Augenbrauen. »Es gibt nichts, was du noch nicht weißt.«

»Bestimmt gibt es das«, widersprach River mit einer Heftigkeit, die nur selten in ihrer Stimme lag. Auch wenn ihre große Schwester Flower einem Gespräch über Morgan immer wieder auswich, hatte sie ihr doch verraten, dass dieser schon einmal in Brügge, dem Mittelpunkt des ausländischen Handels, gewesen war. Wie sollte es auch anders sein, da Clan Sutherland doch für seine Verbindungen zum Kontinent bekannt war. Folglich wollte River, wenn das Gespräch darauf käme, auf dieses Thema vorbereitet sein.

Als Jan schwieg, drängte River abermals: »Bitte, Jan.« Sie wollte Morgan doch gefallen, und was wäre da besser, als sich mit ihm über seine Reisen unterhalten zu können?

Jan räusperte sich, und auf seiner Stirn zeigte sich eine Falte. »Die Kaufleute in der Herberge meines Vaters haben ihre Geschäfte oft nicht nur auf dem Markt, sondern auch beim Essen und in den Badehäusern abgeschlossen. Ich kann mir vorstellen, dass sie in ihrer freien Zeit gern einmal über etwas anderes sprechen würden als über ihre Geschäfte.«

River verstand den versteckten Hinweis sofort. Sie stützte ihr Kinn in die Hand. »Und das wäre?«

»Ich spreche mit Isla gern über die einfachen Dinge des Lebens. Ob sie gut geschlafen hat, wie das Wetter wird, was es zu essen gab.«

River hob eine Augenbraue. »Damit hast du ihr Herz gewonnen?«

Jan senkte den Blick und rieb sich über den Kopf. »Ich höre ihr auch gern zu. Gestern hat sie gesagt, dass ein Boot …«

River sprang auf die Füße. »Aye, ein Boot!«

Jan wirkte für einen Moment irritiert, bis er ihrem Blick folgte und ebenfalls aus dem Fenster sah. Dort am fernen Horizont, noch hinter den zwei heidekrautbewachsenen Inseln in der Bucht von Tongue, ließen sich die Umrisse eines Boots – nein, eines Schiffs! – auf dem blauen Wasser erahnen.

River wurde es heiß und kalt, während sie um den hölzernen Tisch herum zum Fenster eilte und zum Schutz vor dem hellen Licht eine Hand über die Augen legte. »Ist er das?« Ihre Stimme klang noch höher als sonst und zitterte leicht.

Jan trat neben sie und schaute ebenfalls in die Ferne. »Aye, ich denke, das ist er.«

Rivers Herz setzte einen Schlag lang aus. Heute war also tatsächlich der Tag, an dem sie ihrem zukünftigen Ehemann begegnete. Nach all den Stunden des Wartens traf sie nun endlich den Mann, mit dem sie ihr Leben verbringen würde. Ihn, den sie insgeheim schon seit Jahren herbeisehnte. Für den sie nicht die zweitgeborene Tochter wäre, sondern bei dem sie genau wie ihre Mutter bei ihrem Vater oder Flower bei ihrem Ehemann Cailan an erster Stelle stünde. Ob sie ihm gefallen würde?

Ängstlich sah sie an sich herunter. Sie trug seit Tagen ihr schönstes Kleid aus himmelblauer Seide und den Armreif aus Flussperlen, den sie mit Isla gefertigt hatte. Ihre Zöpfe hatte sie kunstvoll geflochten, den Dreck unter ihren Fingernägeln erst heute Morgen entfernt und ihren Hals mit frischen Minzblättern eingerieben. Aber ob das reichen würde?

Jan nickte in Richtung des Schiffs. »Warum gehst du nicht schon einmal an den Strand? Ich hole deine Eltern.«

River sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Sie sind nicht hier?«

Jan schüttelte den Kopf. »Sie sind mit Flower auf der Rinderweide.«

»Was, heute?« River schnappte nach Luft und merkte, wie schon so oft, Eifersucht in sich aufkommen. Ihre Eltern hatten doch genau gewusst, dass Morgan jeden Tag ankommen konnte. Und nun waren sie trotzdem mit ihrer großen Schwester auf der Rinderweide, nur um dieser dabei zuzusehen, wie sie sich eines kranken Kalbs annahm? War der Besuch Flowers auf Castle Varrich also wichtiger als die Ankunft ihres Verlobten?

Jan legte ihr kurz eine Hand auf die Schulter. »Keine Sorge. Bevor das Schiff ankert, sind wir da.«

Kapitel 2

Das Klopfen an der Tür riss ihn aus seiner Starre und ließ ihn von der Decke der Kajüte zur Tür blicken. »Morgan, wir sind fast da.«

Er antwortete nicht, blieb stumm, weil er nichts zu sagen hatte.

»Morgan?« Wieder ein Klopfen, dieses Mal stärker und dringlicher. »Dein Schiff hat sein Ziel fast erreicht.«

Sein Ziel! Dass er nicht lachte. Castle Varrich war nicht sein Ziel. Es war das endgültige Eingeständnis, dass sein Leben nie mehr so sein würde wie zuvor. Dass seine Frau tot war und er sie unwiederbringlich verloren hatte.

»Morgan? Wenn wir umkehren wollen, müssen wir jetzt …«

»Nein.«

»Also bist du wach.«

»Geh weg, Hewie.«

Kurz herrschte Stille, und Morgan befürchtete schon, dass sein langjähriger Freund trotzdem in den Raum treten würde. Nach all den Schwernissen, die sie seit ihrer Jugend gemeinsam bewältigt hatten, war er schließlich fast wie ein Bruder für ihn. Doch Hewie ging, und er lag weiterhin in seinem Bett, das sich für ihn allein viel zu groß anfühlte.

Es war nun vier Monate her, seit er das letzte Mal ihre Stimme gehört hatte. Ihr letzter Satz war so belanglos gewesen, dass er ihn vergessen hatte. Es war furchtbar. So vieles hatten sie sich noch sagen wollen, doch nun war seiner Erinnerung sogar das, was sie gesagt hatte, entglitten. Hatte einen leeren Raum hinterlassen, den er schon mit den unterschiedlichsten Sätzen zu füllen versucht hatte: Wir sehen uns. Oder: Findest du auch, dass der Winter dieses Jahr anders riecht?

Morgan schloss die Augen. Der Winter hatte anders gerochen. Nicht nach den warmen Gewürzplätzchen, die Caitriona stets gebacken hatte, und auch nicht nach wildem Rosmarin, dessen Zweige sonst in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer auf Dunrobin Castle in Wandhalterungen hingen. Er hatte sie weggeworfen. Denn er hatte es nicht ertragen können, dass sie noch dufteten, obwohl sie schon am Vertrocknen waren.

Eine Träne lief ihm über die Wange, und er ballte die Hände zu Fäusten. Warum? Warum hatte es so kommen müssen? Das Schiff schwankte kaum, und trotzdem war ihm übel, was sonst nicht einmal beim heftigsten Sturm der Fall war. Vielleicht wäre ein Sturm heute sogar ein Segen gewesen. Das Wüten der Urgewalten hätte ihn vielleicht aus dem Bett gezwungen. Raus an Deck zu jener Handvoll Männer, die ihn begleiteten.

Er sollte bei ihnen sein, das wusste er. Wenn sie ankamen, musste er zudem einen guten Eindruck machen. Aber trotz seines eisernen Willens, diese Reise anzutreten, war er dazu nicht imstande. Sein Herz war schwer, sein Körper taub und träge. Diese Heirat war der schlimmste Verrat. Dabei war es Caitrionas letzter Wunsch gewesen, dass er nach Castle Varrich fuhr und River MacKay ehelichte.

Er schlug die Augen wieder auf. Wie hatte Caiti das nur von ihm verlangen können? Sie wusste doch, wie sehr er sie liebte. Und trotzdem hatte sie darauf beharrt, brauchte ihr Sohn doch eine neue Mutter. Es war ihm unbegreiflich, wie sie selbst im Angesicht des Todes so viel Stärke hatte aufbringen können.

Wieder ein Klopfen an der Tür.

Er starrte weiter an die hölzerne Decke. »Ich habe gesagt, du sollst gehen.«

Nichts geschah. Weder öffnete Hewie die Tür, noch entfernten sich seine Schritte.

Morgan war versucht, sich einfach auf die Seite zu drehen und seinen Freund nicht weiter zu beachten. Doch wie ihm die letzten Jahre gezeigt hatten, war Hewie kein Mensch, den man so leicht loswurde. Morgan presste seine trockenen Lippen zusammen. »Dann komm eben rein, wenn du musst.«

Nach einem Augenblick der Stille öffnete sich die Tür einen Spaltbreit. Doch niemand betrat den Raum. Seine Geduld schwand, und er wollte Hewie schon wieder zum Teufel jagen. Da streckte ein dünner Junge seinen hellbraunen Lockenschopf in den Raum und sah ihn mit verschreckten grauen Augen an. Caitrionas Augen.

»Leith.« Seine Stimme war bestenfalls ein Krächzen, und er setzte sich auf. »Was tust du hier?«

Der Junge blickte kurz über die Schulter, ehe er vorsichtig einen Schritt in den Raum trat. In den Händen hielt er eine Möwe, die Caitriona ihm aus einem Leintuch genäht hatte. Dem Tier fehlten beide Flügel. Morgan zog die Brauen zusammen. Wann war das geschehen?

Als Leith seinen Blick bemerkte, versteckte er die Möwe hinter seinem Rücken. Kurz suchte der Junge seinen Blick, dann senkte er ihn auf seine Stiefelspitzen und murmelte: »Hewie hat mich geschickt.«

Morgan stöhnte und setzte sich auf. Musste Hewie ihm das Leben noch schwerer machen?

Er sah Leith mit zusammengebissenen Zähnen an. Dieser trat einen Schritt zurück, sodass er jederzeit durch die Tür zurück aufs Deck fliehen konnte. Dann murmelte er undeutlich: »Hewie sagt, dass ich fragen soll, was wir hier machen.«

Morgans Augenlider verengten sich. Jetzt zog Hewie also auch noch das Kind mit in die Sache hinein. Kannte er wirklich keine Scham? Er bohrte seine Fingernägel so fest in die Handflächen, dass es schmerzte. »Wir machen einen Ausflug.«

Leith nickte hastig und wollte sich schon wieder umdrehen, als die Tür weiter geöffnet wurde und Hewies leicht gebeugter Oberkörper neben Leith zum Vorschein kam. Er legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter und schob ihn weiter in den Raum hinein. »Frag deinen Vater doch einmal, warum wir diesen Ausflug machen.«

Morgan funkelte Hewie warnend an, doch dieser verzog keine Miene. »Na los, Leith.«

Doch Leith schüttelte nur den Kopf, sodass Hewie sagte: »Wir machen diesen Ausflug, weil dein Vater unbedingt eine neue Mutter für dich finden will.«

Leiths Kopf fuhr ruckartig nach oben, Trotz und Entsetzen lagen in seinem Gesicht. »Aber ich will keine neue Mutter.«

»Das habe ich deinem Vater auch gesagt«, beruhigte Hewie ihn und strich ihm über die Locken. »Aber vielleicht muss er es von dir selbst hören.«

Tränen stiegen in Leiths Augen auf, und Morgan wurde bei diesem Anblick das Herz schwer. »Schluss jetzt. Ein Sutherland weint nicht.«

Leiths kleine Schultern zuckten weiter, auch wenn er tapfer jeden Schluchzer unterdrückte. Morgan wusste, er sollte den Jungen in den Arm nehmen. Ihn trösten. Für ihn da sein. Und vermutlich hatte Caitriona genau deshalb darauf bestanden, dass er sofort wieder heiratete. Weil sie wusste, dass er das nicht konnte. Dass er das nie können würde.

»Kann ich zurück zum Koch gehen?« Leith blickte flehend zu Hewie. Dieser nickte, und ehe Morgan es sich versah, huschte das Kind aus dem Raum, die Möwe fest an sein Gesicht gedrückt.

Morgan sah seinen Freund finster an. »Dafür sollte ich dich über die Planke gehen lassen.«

Hewie zeigte sich davon nicht im Mindesten beeindruckt, sondern hob die Arme. »Du machst einen großen Fehler. Womit, wenn nicht mit der unmittelbaren Reaktion deines Sohnes, hätte ich dir das sonst noch klarmachen können?«

»Wir hätten Leith zu Hause bei seiner Großmutter lassen sollen.« Warum nur hatte er sich von Hewie dazu überreden lassen, den Jungen mitzunehmen?

Hewie schloss die Tür hinter sich und nahm auf dem Stuhl gegenüber von Morgans Bett Platz. »Noch ist es nicht zu spät. Morgan …«, er lehnte sich nach vorn und sah ihn eindringlich an, »ich kenne dich mein halbes Leben lang. Du trauerst. Du leidest. Warum also willst du dir und dem Kind noch mehr Schmerz zufügen?«

»Du weißt genau warum.«

Hewie stand, anscheinend zu unruhig, um sitzen zu bleiben, wieder auf und ging auf und ab. »Das ist doch Wahnsinn. Du kennst diese River doch überhaupt nicht. Lass mich eine Amme für Leith finden und …«

Morgan erhob sich, sein Mund war nicht mehr als ein Strich. »Lass es gut sein.« Das alles war schon schwer genug, warum musste Hewie ausgerechnet dieses Mal anderer Meinung sein als er? Dabei wusste sein Freund doch, dass er früher oder später wieder heiraten musste. Nicht nur wegen Leith, sondern auch, weil er weitere Erben brauchte. Und weil keine Ehe mehr einzugehen bedeutete, ein vorteilhaftes Bündnis in den Wind zu schlagen, was sich in Zeiten wie diesen kein Clan leisten konnte.

Hewie raufte sich die Haare. »Sie hätte das nicht gewollt. Ich weiß, dass sie das nicht gewollt hätte.«

»Hewie.« Morgan packte seinen Freund an der Schulter. »Ich schätze deinen Rat.« Und das tat er wirklich. »Aber wenn du noch einmal davon sprichst, dass du die Gefühle meiner Frau besser kennst als ich, werfe ich dich über Bord. Hast du verstanden?«

Die Ader an Hewies Stirn pochte schneller. Sie wussten beide, dass er sich nicht aus Morgans starkem Griff befreien konnte. Dennoch hielt er seinem Blick stand und brachte beinahe flehend hervor: »Und wenn du doch einmal mit mir die Geister befragen würdest?«

Morgan stieß Hewie ruckartig zurück. »Bleib mir bloß fern mit diesem Unsinn.«

Hewie rieb sich die schmerzende Schulter. »Sag aber nachher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«

Morgan ließ sich zurück aufs Bett sinken und nickte. Hewie wollte nur das Beste für ihn, doch in diesem Fall hatte er unrecht. Er konnte das letzte Versprechen nicht brechen, das er seiner Frau gegeben hatte. Nicht nach dem, was zwischen ihnen vorgefallen war und sie trotz ihrer Liebe einander entfremdet hatte.

»Sieh zu, dass der Koch Leith nicht wieder zu viel Wein zu trinken gibt.«

Hewie schwieg einen Moment. »Der Junge würde sich viel mehr freuen, wenn du selbst nach ihm sehen würdest.«

Morgan fühlte erneut hilflose Wut in sich aufsteigen und schüttelte grimmig den Kopf. »Nicht heute.«

Wenn er nachher tatsächlich River MacKay kennenlernte, musste er schließlich sich und all seine Kraft zusammennehmen.

Kapitel 3

Sollten sie nicht langsam das Segel einholen und ankern?« River legte eine Hand über die Augen, um trotz des blendenden Sonnenlichts aufs Wasser sehen zu können. Sie war noch immer außer Atem, so schnell war sie zum Strand von Coldbackie geeilt, und der salzige Wind in der Meeresbucht zog einzelne Strähnen aus ihren Zöpfen. Trotzdem galt ihre Aufmerksamkeit ausschließlich dem Schiff, das sich zwar noch in einigem Abstand zum Ufer befand, aber doch mit direktem Kurs auf den Sandstrand zusteuerte.

Isla, die vor wenigen Momenten noch ausgelassen darüber gescherzt hatte, dass sie nun anstatt des gemeinsamen Spaziergangs die Ankunft von Rivers Piraten miterleben würde, runzelte die Stirn. Sie schob sich die roten Locken aus dem sommersprossigen Gesicht, das sonst nur Übermut zeigte, und stellte treffend fest: »Sie sollten das verdammt schnell tun, sonst reißen sie sich den Rumpf auf.«

River nickte besorgt und eilte einige Schritte näher ans Wasser. Ihr Kleid hob sie dabei an, damit sich keine Muscheln im Saum des Rocks verfingen. Die Flut war zwar am Abebben, aber der sich unweit des Strands bis ins tiefere Wasser erstreckende Felsstreifen, der sich nur knapp unter der Wasseroberfläche befand, war noch immer schwer auszumachen. Ihr Unbehagen wuchs. Mit dem Fischerboot von Islas Großvater konnte man vielleicht noch unbeschadet über das Riff hinwegfahren, doch Morgans Schiff hatte mehr Tiefgang. Entweder er ankerte bald oder steuerte etwas mehr nach Backbord. Wenn er jedoch weiter den bisherigen Kurs hielt, würde es ein Unglück geben.

Isla trat neben sie und stützte den Ellbogen auf ihre Schulter. Normalerweise pfiff die Freundin immer, wenn sie das tat, aber diesmal war nur das Rauschen der Wellen zu hören. River schob Islas Arm unruhig zur Seite und stellte sich auf die Zehenspitzen. Das Schiff war noch zu weit weg, um die Gesichter der Männer an Deck erkennen zu können. Welcher von ihnen war wohl Morgan? Und warum nur kontrollierte niemand die Wassertiefe?

»Die passen überhaupt nicht auf, was sie tun«, stutzte Isla und zeigte mit dem Finger auf den Mann im Ausguck. »Sieh mal, der schaut sogar in die falsche Richtung.«

River kniff die Augen zusammen. Tatsächlich, anstatt nach Gefahren Ausschau zu halten, schien der Mann im Ausguck die Aussicht zu genießen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als ihr ein unheilvoller Gedanke kam. »Sie wollen überhaupt nicht ankern. Sie wollen so nah wie möglich an den Strand, damit das Schiff bei Ebbe trockenfällt.«

Isla sog scharf die Luft ein. »Sind die noch ganz bei Verstand? Das kann man doch nicht machen, wenn man das Gewässer und seine Untiefen nicht kennt.«

River sah sich gehetzt um. Doch auf dem hügeligen Pfad, der an Felsen und Gräsern vorbei zum Strand hinabführte, näherte sich weder Jan noch ihr Vater noch sonst ein Mitglied ihrer Familie. Und das alles nur wegen Flower, schoss es ihr kurz durch den Kopf, ehe ihr Blick wieder zurück zu dem Schiff wanderte. Das hielt immer noch genau auf sie und den gefährlichen Felsstreifen zu, der schräg zwischen ihnen lag.

»Wir müssen sie warnen.« River trat von einem Fuß auf den anderen. Aber sie konnte doch jetzt nicht anfangen zu brüllen wie eine Marktschreierin? Was würde Morgan dann nur von ihr denken?

Isla schien diese Sorge nicht zu teilen. Ohne Zögern legte sie ihre von der täglichen Arbeit rauen Hände an den Mund und rief aus Leibeskräften: »Hey, ho, ihr Anfängerpiraten. Da sind Felsen im Weg!«

»Isla«, keuchte River und zog die Hände der Freundin nach unten. »So kannst du doch nicht mit einem Lord reden.«

Isla zuckte unbekümmert mit den Schultern. »Ich sage nur, wie es ist.« Im nächsten Moment formte sie mit ihren Händen wieder einen Trichter vor dem Mund. »Haltet an, ihr Freizeitseeräuber! Da sind Felsen! Haltet an! Hey, ho!«

Doch nichts geschah. Nicht einmal der Mann im Ausguck wandte sich zu ihnen um. »Sie hören uns nicht«, murmelte River und verwünschte den Wind, der von der See landeinwärts blies und das Schiff damit nur noch schneller auf den Felsstreifen trieb.

»Sieht ganz danach aus, als ob Graham, Kerr und die anderen Jungs aus dem Dorf bald eine Menge Planken zusammenzimmern dürfen.« Isla spitzte die Lippen und ließ die Hand sinken.

»Auf keinen Fall«, entfuhr es River. Sie schob nun all ihre Bedenken beiseite, legte ebenfalls die Hände an den Mund und wies Isla an: »Los, lass uns zu zweit weiterrufen. Vielleicht hören sie uns ja dann.«

Doch die Männer hörten sie nicht. Auch nicht, als River nicht länger auf ihre Würde als Lady achtete, sondern wie ein aufgeregtes Kind mit den Armen winkte, um ihnen zu bedeuten, dass sie zumindest weiter nach links steuern mussten. Isla hatte die Hand schon wieder nach unten genommen, als sich endlich der Mann im Ausguck zu ihnen drehte, sie musterte und etwas nach unten aufs Deck schrie, das sie wiederum nicht verstanden. Bitte lass das nicht Morgan sein, flehte River insgeheim. Bitte lass ihn mich nicht so kennenlernen.

»Na endlich wird’s was bei denen«, atmete Isla schon erleichtert auf, als plötzlich das Unerwartete geschah. Zwei Männer traten an die Reling, doch anstatt den Kurs zu ändern, hoben sie ebenso wie der Mann im Ausguck nur die Hände, um ihnen zu winken.

River blieb der Mund offen stehen, während Isla in ungläubiges Gelächter ausbrach. »Das gibt’s doch nicht«, keuchte sie und hielt sich den Bauch. »Die …«, Isla schnappte nach Luft, »die winken einfach. Tut mir leid, aber denen ist einfach nicht mehr zu helfen.«

River warf Isla einen mahnenden Blick zu und danach einen musternden zu den Männern an Bord. Nun, da das Schiff näher heran war, konnte sie diese besser erkennen, zum Glück aber keinen mit schwarzem Haar unter ihnen entdecken. Schenkte man Flowers spärlicher Beschreibung von Morgan Glauben, befand sich ihr Verlobter demnach gar nicht an Deck.

Wieder wandte River den Kopf und hoffte, endlich ihren Vater und Jan an den Strand kommen zu sehen. Doch der Pfad war noch immer leer. Sie waren auf sich allein gestellt.

»Wir müssen näher zu ihnen.« Sie blickte suchend nach links zu der steinigen Klippe, unterhalb derer Isla ihr Fischerboot oft an Land zog, wenn sie nicht zu Fuß kam. Heute jedoch waren dort nur Algen und Sand zu sehen. Das durfte doch nicht wahr sein.

»Das Boot ist bei meinem Großvater«, erklärte Isla, die ihre Gedanken erraten hatte. »Es hat ein Leck.«

»Was, ausgerechnet heute?«, entfuhr es ihr ungehalten.

Isla zuckte mit den Schultern. »Soll ich nachsehen gehen, ob er es schon abgedichtet hat?«

»Aye. Nein. Dazu reicht die Zeit nicht.« Innerlich wappnete sich River schon dagegen, den Rumpf von Morgans Schiff auf den Felsen auflaufen zu sehen. Da wusste sie, dass es nur noch einen Weg gab, um dies zu verhindern.

Wehmütig fuhr sie über ihr himmelblaues Kleid aus Seide, das einzige, das so fein gewebt und kostbar war. Sie roch die frische Minze an ihrem Hals, spürte das Perlenarmband an ihrem Handgelenk. Ihr Blick wanderte zu Isla und deren grob gewebtem Kleid, dem immer der Geruch von Fisch anhing, zu deren wilden Haaren, den abgenutzten Lederstiefeln.

»Könntest nicht du …«, setzte sie an, doch Isla schüttelte sogleich heftig den Kopf. Ihre Miene verhärtete sich, und River erinnerte sich, dass die Vergangenheit im Mai jeden Jahres noch schwerer auf Islas Herzen lastete als sonst. »Ohne Boot gehe ich kurz vor Ebbe ganz sicher nicht ins Meer.«

Sie drückte kurz Islas Hand, obwohl sie fand, dass die Freundin übertrieb. Denn noch war es Nachmittag, und die Ebbe kam erst am Abend. Trotzdem kannte sie Isla gut genug, um zu wissen, dass diese sich nicht umstimmen lassen würde.

Noch einmal prüfte River den leider noch immer menschenleeren Pfad hinter sich. Dann schloss sie für einen Moment die Augen, ehe sie ihre Röcke hob und zu jener Stelle am Strand rannte, an der der Felsstreifen im Wasser begann.

»River, was tust du da?«, verfolgte sie Islas spitzer Schrei. »Diese Möchtegernmatrosen fahren dich noch um, wenn es dich davor nicht schon ins Meer hinauszieht!«

Doch River durfte daran nicht denken und hastete mit festen Schritten auf den Felsstreifen. Das kalte Wasser schwappte in ihre Stiefel, und sie musste aufpassen, dass sie nicht auf den glitschigen Steinen ausrutschte. Doch sie kämpfte sich weiter durch die den Fels überspülenden Wellen, die ihr schon bald bis zu den Knien reichten. Höher konnte sie ihr Kleid wirklich nicht mehr anheben und musste nun hinnehmen, dass der feine Stoff von Salzwasser durchnässt wurde. Immer und immer wieder schrie sie »Halt«, doch die Schiffsbesatzung starrte sie nur weiter verständnislos an. Sie winkte mit den Armen, deutete nach links, doch nichts geschah.

Noch dreißig Bootslängen, bis das Schiff die Felsenbank erreichte, noch achtundzwanzig, noch fünfundzwanzig … Ein schrecklicher Gedanke durchfuhr River. Dachten die Männer am Ende noch, dass sie zu ihr segeln sollten? Um dort zu ankern? Oder gar, um sie zu retten?

Ein Schauer jagte über ihren Rücken, und sie schrie noch lauter als zuvor gegen den Wind an.

Und dann trat er an Deck.

Sein schwarzes, schulterlanges Haar peitschte im Wind um sein Gesicht mit dem dichten dunklen Bart. Sein Leinenhemd war an den Armen hochgekrempelt, und selbst von hier aus konnte sie sehen, dass er hochgewachsen und gut gebaut war. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. Das musste Morgan sein.

Für einen Moment vergass sie alles um sich herum und sah nur ihn, wie er dort auf dem Schiff stand, so sicher und selbstbewusst, als wäre er schon Tausende Meilen darauf gesegelt. Als käme er gerade von einer abenteuerlichen Reise auf dem Kontinent zurück und wäre nun bereit, sie, seine langersehnte zukünftige Frau, endlich zu sich zu holen.

Eine Welle riss sie aus ihrem Tagtraum, und sie ruderte mit den Händen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Der Bug des Schiffs steuerte noch immer auf die Felsen zu. Ihr Blick kreuzte sich mit dem Morgans, der seine verwundert, der ihre zutiefst erschrocken. Sie machte erneut eine ausladende Geste und rief: »Fahrt weiter nach links. Hier kommen Felsen!«

Zuerst rührte sich Morgan nicht, und für einen aberwitzigen Moment bangte sie, dass er ihr nun ebenfalls zuwinken würde. Dann aber sprang er zum Steuermann, stieß diesen zur Seite und riss das Ruder herum. Er zeigte auf die Segel, brüllte den Männern etwas zu, und sogleich eilte die Besatzung zu den Leinen.

River atmete auf und bemerkte erst jetzt, dass sie am ganzen Körper zitterte. Das war knapp gewesen.

Kapitel 4

Hau ruck, hau ruck, hau …«

»Seid still«, fuhr Morgan die zwei Männer an, die das Beiboot in Richtung Land ruderten. Der Schreck saß ihm noch immer in den Gliedern, und nun benahmen sich die beiden Taugenichtse auch noch so, als ob sie das erste Mal in einem Ruderboot säßen. Was sie womöglich sogar taten. Denn nicht er, sondern Hewie hatte die Besatzung für diese Reise zusammengestellt. Und so langsam beschlich ihn das Gefühl, dass dieser dafür vielleicht absichtlich die unerfahrensten Männer ausgewählt haben könnte.

»Zu Befehl, Capt’n«, kicherte der knollennasige Steuermann, und Morgan nahm den süßlichen Weindunst wahr, der seinem Mund entströmte. Sein Kamerad stimmte in das Kichern mit ein, ehe er aufstoßen musste und das gleichfalls lustig fand.

»Reißt euch auf der Stelle zusammen!«, befahl Morgan scharf und warf ihnen einen Blick zu, der finsterer war als die schwärzeste Nacht. Die Männer nickten, doch schon nach einigen Ruderschlägen begann der Steuermann nun zu summen.

Morgan rieb sich über die Stirn. Das war doch nicht auszuhalten. Er hätte besser allein rudern und die zwei Männer zusammen mit seiner vollkommen betrunkenen Mannschaft auf dem Schiff lassen sollen. Woher hatten sie eigentlich den ganzen Alkohol gehabt? Hatte der Koch etwa das letzte Weinfass ohne seine Zustimmung angezapft? »Noch ein weiteres Wort, und ich lasse euch hier zurück.«

»Wenn die schöne Wassernixe von gerade eben wiederkommt, hätte ich nichts dagegen«, lallte der Kamerad des Steuermanns, von dem er nicht wusste, wie er ohne Knochenbrüche überhaupt aus dem Ausguck an Deck gekommen war.

Morgan lief ein eisiger Schauer über den Rücken. »Dann hast du sie also auch gesehen?« Er hätte nun eigentlich erleichtert sein müssen, war insgeheim aber bitter enttäuscht. Als er vorhin an Deck gekommen war, hatte er entgegen seinem sonst so scharfen Verstand kurz geglaubt, dass ihn tatsächlich Caitrionas Geist inmitten des Wassers vor den Felsen warnte. Doch mehr als einen kurzen Blick hatte er der Erscheinung nicht zuwerfen können, denn nachdem einer der Männer die falsche Leine gelöst hatte, musste alles ganz schnell gehen. Und als er sich wieder nach ihr umgedreht hatte, war sie verschwunden gewesen.

»Klar haben wir die hübsche Nixe auch gesehen«, bekräftigte der Steuermann. »Das süße Ding hat uns schon eine ganze Weile zugewunken, bevor es uns entgegengelaufen ist.«

Also nicht Caitrionas Geist. Er schalt sich innerlich einen Narren, dass er das überhaupt nur einen Moment in Erwägung gezogen hatte. Aber Hewie und sein Gerede setzten ihm wohl mehr zu, als er sich bisher eingestanden hatte. Nur wer war die Frau dann gewesen? Und wo war sie nun hin?

»Hau ruck, hau …«

Noch einmal schlechter gelaunt als davor, packte er seinen Steuermann an der Schulter, sodass dieser tatsächlich verstummte. »Ein weiteres ›Hau ruck‹, und ich lasse dich kielholen.«

»Aye, aye, Capt’n«, krächzte der Mann, der nun wohl endlich verstanden hatte, dass mit Morgan heute nicht zu spaßen war. Er straffte seine Schultern und rang um seine Fassung, während das Boot sich langsam den drei Gestalten näherte, die am Strand auf sie warteten. Sollte er nicht doch besser umkehren und sich zusammen mit Hewie, der unter Protest bei Leith geblieben war, betrinken?

Er presste die Lippen zusammen und verwarf den Gedanken. Stattdessen zwang er sich mit einem unguten Gefühl im Bauch, jene Frau anzusehen, die Caitrionas Platz einnehmen sollte.

Das war sie also.

Sie hatte eine aufrechte Haltung und langes, dunkelbraunes Haar. Ihr im Wind wehendes Kleid umschmeichelte ihre schlanke Taille, und ihr ovales Gesicht war anmutig und zugleich sehr ausdrucksstark. Ihre Haut war ebenmäßig und gebräunter, als er es erwartet hätte. Als sich ihre Blicke trafen, lächelte sie leicht und nickte ihm freundlich zu. Irgendetwas kam ihm seltsam an ihr vor, und spätestens als die Sonne nicht nur ihre goldenen Armreife, sondern auch den Ring an ihrem Finger zum Glänzen brachte, wusste er, wer sie war.

Er kannte diese Frau. Das war nicht River MacKay, sondern deren Schwester Flower. Er hatte sie letzten Sommer zusammen mit Caitriona auf der Hochzeit seiner eigenen Schwester Niamh kennengelernt. Flower und Caitriona hatten sich auf Anhieb gut verstanden, und er vermutete, dass Caitriona sich nicht zuletzt wegen Flowers Herzlichkeit gewünscht hatte, dass Leith nach ihrem Tod von einer deren Schwestern aufgezogen wurde.

Er biss die Zähne zusammen und schwang sich aus dem Boot, sobald sie den Strand erreicht hatten. Barsch wies er die Männer an, zum Schiff zurückzurudern, noch bevor sie ihn vor den MacKays blamieren konnten. Dann schritt er mit erhobenem Haupt auf den älteren der beiden Männer zu, der neben Flower stand und Gregor MacKay sein musste.

»Lord Sutherland«, grüßte dieser und kam ihm seinerseits entgegen. »Welch eine Freude, Euch hier zu empfangen.«

»Die Freude ist ganz meinerseits«, log Morgan und drückte dem etwas kleineren Mann fest die Hand.

»Darf ich Euch meinen engen Vertrauten Jan und meine älteste Tochter Lady Flower Sinclair vorstellen?«

Morgan nickte Jan kurz zu, ehe er sich an Flower wandte und sich knapp vor ihr verbeugte. »Das letzte Mal hießt Ihr noch MacKay.«

Flower knickste kaum merklich und sah ihn aus ihren goldgrünen Augen an, in denen eine seltsame Mischung aus Mitgefühl und Wachsamkeit lag. »Das letzte Mal, als wir uns gesehen haben, war noch einiges anders.«

Morgans Unwohlsein verstärkte sich. Wenn er jetzt die Gedanken an Caiti zuließ, war er verloren. »Ist Euer Ehemann auch hier?«, erkundigte er sich gepresst.

»Nein.« Flower schüttelte den Kopf. »Cailan musste schon zurück nach Castle Girnigoe. Ich reise ihm in ein paar Tagen nach.«

Morgan nickte, ehe Lord MacKay wieder das Wort an ihn richtete. »Die Reise war lang. Darf ich Euch und Eure Männer zur Burg geleiten?«

Morgan warf einen Blick über die Schulter zu dem Beiboot, das im Schlingerkurs zurück zu seinem Schiff fuhr. »Lasst uns ruhig schon einmal vorausgehen.« Seine Gedanken kehrten zu der Frau zurück, die ihn vor den Felsen gewarnt hatte, und er fügte zögernd hinzu: »Oder warten wir vielleicht noch auf Lady River?«

Lord MacKay kratzte sich am Kopf und wirkte für einen Moment ertappt. »Nein, also … River wird vermutlich erst beim Abendessen zu uns stoßen.«

Morgan atmete auf, woraufhin ihm Flower einen Blick zuwarf, den er nicht zu deuten vermochte.

»Geht es Lady River heute nicht gut?«, fragte er mit zusammengezogenen Brauen nach. Oder noch schlimmer, fügte er in Gedanken hinzu: Ist sie vielleicht von kränklicher Natur? Erinnerungen an seine Frau stiegen in ihm auf, und seine Kehle wurde eng.

»Keine Sorge, River ist voller Lebenskraft.« Lord MacKay nickte bekräftigend. »Sie freut sich sehr auf Euch.«

»Gut«, brummte Morgan.

»Gut?«, wiederholte Flower mit gerunzelter Stirn. Er verschränkte die Arme vor der Brust. Warum hatte er auf einmal das irritierende Gefühl, dass sie genau wusste, was gerade in ihm vorging?

»Sehr gut sogar«, rettete Lord MacKay ihn vor einer Antwort. »Und jetzt lasst uns zur Burg gehen. Lang ist es nicht mehr bis zum Abendessen, und vielleicht findet Ihr davor ja noch Gefallen an einer Partie Schach?«

Morgan neigte den Kopf. »Mir wäre es lieber, wir kämen gleich zum Geschäftlichen.«

»Zum Geschäftlichen?« Wieder war es Flower, die ihn prüfend ansah. »Bevor Ihr River überhaupt gesehen und mit ihr gesprochen habt?«

Während er sich selbst für seine unverblümte Ausdrucksweise rügte, wurde Flower bereits von ihrem Vater zurechtgewiesen. »Lord Sutherland lernt River doch beim Abendessen kennen.«

Doch Flower wollte es offensichtlich nicht dabei bewenden lassen. »Wenn man es genau nimmt, hat Lord Sutherland …«

Da griff Jan heftig nach Flowers Arm und sackte keinen Lidschlag später in sich zusammen.

»Jan!« Flower ließ sich sofort neben ihn in den Sand gleiten. Sie legte zwei Finger an seinen Hals, und wenig später blinzelte Jan schon wieder. Er blickte erst verwirrt um sich und begriff dann, was geschehen war.

»Oh, nein …«, hüstelte er und wollte sich aufrichten. »Das ist mir jetzt aber sehr unangenehm.«

»Nicht doch«, beschwichtigte Flower ihn. »Hast du heute schon gegessen?«

Als Jan den Kopf schüttelte, nickte sie wissend. Dieser zeigte sich von ihrer Reaktion jedoch kein bisschen erleichtert, sondern blickte entschuldigend zu Lord MacKay.

»Lasst Euch bitte nicht von mir aufhalten, Mylord. Ich bleibe einfach noch ein paar Augenblicke hier sitzen, danach geht es schon wieder.«

Lord MacKay zögerte kurz, dann nickte er. »Flower, bleibst du bei ihm?«

»Nicht doch«, bat Jan, dessen Wangen rot aufflammten, doch dieses Mal stimmte Flower mit ihrem Vater überein.

Morgan war das nur recht. Er mochte die Art und Weise, wie Flower ihn ansah, nicht und würde diese leidige Sache viel schneller hinter sich bringen können, wenn er nur mit Lord MacKay unter vier Augen sprach.

Und das würde er tun. Noch vor dem Abendessen.

Kapitel 5

Wie siehst du denn aus?« Mit hastigen Schritten eilte ihre Mutter über den Burghof, und kurz befürchtete River, dass sie den eineinhalbjährigen Conall fallen lassen würde, so bleich, wie sie war. »Hat dich eine Welle überrascht?« Rhona fächelte sich Luft zu. »Himmel, hat dich Lord Sutherland etwa so gesehen?«

River senkte den Blick und verschränkte ihre Hände ineinander. Reichte es nicht schon, dass ihr Vater sie mit harschen Worten zurück zur Burg geschickt hatte? Musste ihre Mutter ihr nun ein zweites Mal verdeutlichen, wie erbärmlich sie mit ihrem bis zu den Knien durchnässten Kleid und den vom Wind zerzausten Zöpfen aussah?

Rhona rümpfte die Nase. »Rieche ich da etwa Algen? Und Fisch?« Sie sah ihre Tochter streng an. »Du warst doch nicht wieder schwimmen? Wenn du nämlich auch noch wie Leaf wirst …«

»Nein, natürlich nicht«, unterbrach River ihre Mutter eilfertig. »Nur war es so, dass …«

Als sie geendet hatte, war jegliche Farbe aus Rhonas Gesicht gewichen. »Und du dachtest, dass Lord Sutherland sich darüber freuen würde?« Conall zog an den Haaren seiner Mutter, brabbelte ein »Will runter«, doch diese schien es nicht wahrzunehmen. »Welcher anständige Mann will denn eine Braut, die sich wie eine Fischersfrau in die Fluten stürzt?«

Rhonas Unterlippe zitterte, und die Übelkeit in River wuchs. Sie hatte aufrichtig geglaubt, das Richtige zu tun, war sich dessen nun aber nicht mehr sicher. Was, wenn Morgan jetzt schlecht von ihr dachte, weil er davon ausging, dass sie kein gutes Benehmen hatte? Sie grub ihre Finger in den feuchten Stoff des Kleids.

»Wir müssen dich sofort baden«, entschied ihre Mutter und fasste sie beim Arm. »Und das Kleid waschen.« Sie betrachtete River abermals von oben bis unten und zog sie in Richtung der Burg. »Himmel, was tun wir nur, wenn es nicht bis zum Abendessen trocknet?«

»Vielleicht kann ich mir ein Kleid von meinen Schwestern borgen?«, brachte River leise hervor.

»Ja von welcher denn?«, rief Rhona aus, während sie auf das Wohngebäude zugingen, dort die große Halle betraten und sich nach rechts wandten, um über die Holztreppe mit Säulenbalustrade in den ersten Stock zu den Gemächern der Familie und Rivers Kammer zu gelangen. »Leaf hat vor zwei Wochen all ihre Kleider bis auf eins verbrannt. Skye ist noch zu jung, als dass dir ihre Gewänder passen, und Flowers Gewänder«, Rhona warf einen Blick auf Rivers Brüste, die sich oft zu schwer für ihren Körper anfühlten, »sind dir zu eng.«

River schluckte. »Ich habe noch das Kleid aus blauer Wolle.«

»Das sieht doch aus wie ein gefärbtes Bauernkleid.« Rhona fächelte sich abermals Luft zu, während sie schnellen Schrittes voranging. »Nein, das kannst du nicht tragen. Unmöglich. Dein jetziges Kleid muss trocknen.«

 

»Es ist weg!« Die Tür zu Rivers Kammer flog auf, und ihre Mutter kam hereingeeilt, dieses Mal ohne Conall im Arm. »Einfach weg.«

River trug nach dem langen Bad nur ihr Unterkleid und flocht ihre wieder getrockneten Haare zu neuen Zöpfen. »Wie meinst du, weg?« Sie sprang auf. »Wie kann es weg sein?«

Ihre Mutter schloss fahrig die Tür und hob die Hände in die Luft. »Es ist davongeweht. Über die Zinnen des Turms hinaus aufs Meer.«

River verstand gar nichts mehr. »Wie kommt mein Kleid auf den Turm?«

Rhona machte eine hilflose Handbewegung. »Ich habe dem neuen Mädchen gesagt, dass das Kleid schnell trocknen muss, und da dachte es wohl, dort oben würde der Wind stärker wehen.«

Was dann auch so war, dachte River, während die Angst in ihr wuchs. Aus Gewohnheit griff sie wieder nach ihren Zöpfen. Was sollte sie nun tun?

»Wir müssen es mit Flowers Kleid versuchen«, murmelte ihre Mutter, ehe sich die Tür ein weiteres Mal öffnete und Flower mit einem moosgrünen Kleid über dem Arm zögernd eintrat. Noch ehe ihre Schwester etwas sagen konnte, nahm Rhona ihr schon das Gewand aus der Hand und eilte zu River. »Es ist das Beste, was wir tun können.«

River nickte, während sie den fein gewebten Stoff mit den goldenen Stickereien betrachtete. In diesem Kleid hatte Flower ihren Ehemann Cailan geheiratet. Es war Flowers Kleid, verbunden mit Flowers Liebesgeschichte. Und nun sollte sie ebenfalls in einer Art Nachahmung ihre eigene Ehe darin beginnen?

River schüttelte den Gedanken ab und bemühte sich um ein Lächeln in Flowers Richtung. »Danke.«

»Gern«, erwiderte Flower, doch wirklich glücklich wirkte sie nicht.

»Noch wissen wir nicht, ob wir das Kleid überhaupt zubekommen«, mahnte Rhona und drängte River, es endlich anzuprobieren.

Doch es passte nicht.

»Vielleicht wenn du noch einmal ganz tief einatmest, sodass sich dabei dein Körper streckt …«, bat Rhona mit schriller Stimme, während River nunmehr zum zwanzigsten Mal kraftvoll Luft holte.

»Das ist doch abartig«, widersprach Flower und verschränkte die Arme. »Das kann unmöglich den ganzen Abend gut gehen, wenn du nicht mehr natürlich atmen kannst.«

»Es geht schon«, log River, denn sie wusste, dass ihr das Kleid nicht nur zu lang war, sondern ihre Brüste auch aus seinem Ausschnitt hervorquollen wie zwei Quallen, die um ihren Weg zurück ins offene Meer rangen. Ganz davon zu schweigen, dass das Grün des Stoffs sich mit dem Blau ihrer Augen biss.

Ihre Schwester schüttelte den Kopf. »River, ich bitte dich. Du siehst aus, als ob …«

»Als ob was?« Ihr Mund wurde trocken. »Ich zu dick bin?«

»Rede keinen Unsinn«, widersprach Flower barsch. »Es sieht aus, als ob das ungesund für dich wäre.«

Rhona musterte den Ausschnitt mit gefurchter Stirn. »Flower hat recht. Wenn du so zum Abendessen gehst, wirkst du wie eine Dirne.«

River grub die Finger in ihre Handflächen. »Wenn ihr heute Morgen nicht bei den Hochlandrindern gewesen wärt, hätte Vater Lord Sutherland warnen können. Was habt ihr überhaupt dort getan, das wichtiger war als seine Ankunft?«

»Wir dachten nicht, dass er heute schon kommt.« Rhona wich ihrem Blick aus und verschränkte die Arme. »Und dein Vater wollte lernen, wie man die Wunde eines Rinds versorgt.«

River starrte ihre Mutter mit offenem Mund an. »Und warum bist du da mitgegangen?«

Rhona schwieg ertappt, doch schon ergriff Flower das Wort. »Das tut doch jetzt nichts zur Sache. Lass mich dir ein Tuch bringen, dann kannst du es dir um die Schultern legen und das Kleid loser schnüren.«

»Damit ich aussehe wie eine alte Frau?« Während Flower beim Abendessen bestimmt wieder die goldenen Armreifen trug, die Cailan ihr geschenkt hatte? River funkelte ihre Schwester streitlustig an. »Willst du, dass ich meinen Verlobten vollends vergraule?«

Flower räusperte sich. »River, was Lord Sutherland angeht …« Sie zögerte kurz und griff nach ihren Händen. »Ich würde gern noch mit dir über ihn reden.«

River stieß einen verächtlichen Laut aus. »Ach, jetzt auf einmal?« In den letzten Tagen war ihre Schwester schließlich jedem Gespräch über Morgan ausgewichen, auch wenn sie diese noch so sehr darum gebeten hatte, ihr mehr über ihn zu verraten. Dabei konnte Flower unmöglich eifersüchtig sein, so glücklich, wie sie mit Cailan verheiratet war.

Rhona griff nach Flowers Arm, aber diese sprach unbeirrt weiter. »Ich habe vorhin kurz mit ihm gesprochen. Er war freundlich, aber …«

»… er will mich nun nicht mehr heiraten, nachdem ihr ihm gesagt habt, dass ich diejenige war, die ihn im Wasser gewarnt hat?«, schlussfolgerte River beklommen.

»Nein, das nicht«, wehrte Flower ab. »Er war sogar sehr erpicht auf die Ehe mit dir.«

River traute ihren Ohren kaum, und sie atmete erleichtert auf. »Dann habe ich meine Chance also doch nicht vertan? Wieso hast du das nicht früher gesagt?«

Flower drückte ihre Hände. »Weil es andere Dinge gibt, die deinem Glück im Weg stehen. River …«

Doch River ließ ihre Schwester nicht zu Ende reden. Wenn Flower wirklich den Eindruck gewonnen hatte, dass Morgan sie trotz ihres unstatthaften Benehmens am Meer noch heiraten wollte, würde sie nicht zulassen, dass die Eheschließung an einem fehlenden Kleid scheiterte.

Die Enge in ihrer Brust schwand, auch weil sie sich hastig aus Flowers Gewand befreite. Ihr Blick fiel auf ihr Perlenarmband, das auf einem der beiden Betten in ihrer Kammer lag, und da kam ihr ein Gedanke. Augenblicklich reichte sie Flower das Kleid zurück. »Danke, aber das werde ich nicht brauchen.«

»Ach nein?«, wunderte sich nun Rhona mit leiser Stimme.

»Nein«, bestätigte River und war selten so dankbar für ihren aufgeweckten Geist gewesen wie in diesem Augenblick. »Nur lasst ihr mich jetzt besser allein, wenn ich nicht zu spät zum Abendessen kommen soll.«

Kapitel 6

Ihr fordert also nur fünf Hochlandrinder als Mitgift«, räusperte sich Lord MacKay und betrachtete Morgan mit hochgezogenen Augenbrauen. »Habt Ihr etwas zu verbergen, Lord Sutherland?«

Morgan nahm einen Schluck von dem Ale, das man ihnen in den mit Wandteppichen behangenen Raum im ersten Stock der Burg gebracht hatte, um nicht laut zu stöhnen. Warum bloß hatte er nicht mehr Rinder als Mitgift verlangt, als Rivers Vater ihn nach seinen Vorstellungen gefragt hatte? Nur fünf kamen fast schon einer Beleidigung gleich.

Er zwang sich zur Ruhe und setzte den Krug langsam auf dem runden Tisch mit der Bienenwachskerze ab. Bei dieser Hochzeit ging es ihm nicht darum, sein Vermögen zu mehren. Sonst hätte er gewartet, bis Rivers Onkel Malik, der Clanführer der MacKays, seine Tochter Fia endlich verheiraten wollte. Doch niemand wusste, wann das sein würde, und seine zweite Eheschließung sollte nur eines: schnellstmöglich vorübergehen. Durch die niedrige Mitgift von fünf Hochlandrindern hatte er genau das erreichen und sich eine lange Verhandlung mit Lord MacKay ersparen wollen. Doch mit seinem diesbezüglichen Entgegenkommen hatte er wohl nur dessen Misstrauen geweckt.

»Mein lieber Lord MacKay«, setzte er an und bemühte sich um eine möglichst bedachte Sprechweise, die seinen eigenen Vater stolz gemacht hätte. »Geht es Euch bei dieser Hochzeit nicht ebenfalls vorrangig darum, ein starkes Bündnis zwischen unseren Clans zu schaffen?«

Gregor nickte, ohne zu zögern, doch sein Blick blieb zweifelnd.

Morgan zwang sich zu einem kleinen Lächeln. Er kämpfte das flaue Gefühl in seinem Magen nieder und drehte seine Handflächen nach oben, so wie es sein Vater ihn und seinen Bruder gelehrt hatte. »Wenn dadurch der Friede an unserer Grenze gesichert ist, reichen mir sogar drei Rinder.«

»Das ist sehr bescheiden.« Zwar prostete Lord MacKay ihm mit seinem Alekrug zu, doch sein Blick blieb forschend, als suchte er noch immer den Haken an dieser Sache. »Nur führt Bescheidenheit selten zu einer stattlichen Burg wie Dunrobin Castle.«

Morgan nickte langsam, während er sein Gegenüber insgeheim verwünschte. Lagen ihm nicht schon genug Steine im Weg, um Caitriona ihren letzten Wunsch zu erfüllen? Er unterdrückte das Bedürfnis, gegen das Tischbein zu treten, und nahm wieder einen Schluck Ale, um sich seine Antwort zurechtzulegen. »Die Pracht von Dunrobin Castle verdanken wir meinem Vater, Gott hab ihn selig. Er hatte gute Verbindungen nach Aberdeen und auf den Kontinent.« Morgan versuchte sich erneut an einem Lächeln. »Meine Verhandlungskünste hätten, wie Ihr seht, vermutlich nicht zu so viel Reichtum geführt.«

Lord MacKays Mundwinkel zuckten kurz. »Dann soll ich also glauben, dass meine Tochter einen schlechten Geschäftsmann heiratet?«

Morgans Geduld schwand, und es kostete ihn viel Anstrengung, nicht einfach aufzustehen und sich zurück auf sein Schiff zu flüchten. »Lord MacKay«, versuchte er es dieses Mal in einem harscheren Ton, der zeigen sollte, dass er vielleicht ein schlechter Geschäftsmann, aber kein schwacher Clanführer war. »Ich habe Euch vor einigen Wochen unmissverständlich geschrieben, dass ich Lady River heiraten will. Eure Antwort war eine Einladung nach Castle Varrich. Habt Ihr mir falsche Hoffnungen gemacht?«

Lord MacKay kratzte sich an der Stirn und musterte ihn verwundert. »Ihr schriebt, dass Ihr River gern kennenlernen würdet.«

Morgans Gesichtszüge verhärteten sich. »Nein, ganz gewiss schrieb ich von meiner Eheabsicht.« Genauso hatte er Hewie schließlich aufgetragen, das Schreiben an Rivers Vater für ihn abzufassen. Litt dieser etwa an Gedächtnisschwäche?

Lord MacKay sah sich kurz im Raum um, als suche er nach etwas. Dann winkte er ab. »Versteht mich nicht falsch, ich begrüße eine Verbindung zwischen unseren Clans sehr.« Er lehnte sich im Stuhl zurück und verschränkte die Arme. »Aber zu gerechten standesgemäßen Bedingungen.«

Morgan hätte beinahe laut aufgelacht, obwohl ihm wirklich nicht zum Lachen zumute war. Er schüttelte leicht den Kopf und bemühte sich um einen gefassten Gesichtsausdruck. »Also besteht Ihr darauf, mir mehr Rinder zu geben? Nur zu.«

Nun verschwanden die Falten auf Lord MacKays Stirn, er legte den Kopf in den Nacken und lachte seinerseits. Lachte, bis ihm Tränen in die Augen traten. Morgan verstand nun überhaupt nichts mehr. Als Lord MacKay schließlich einen rettenden Schluck Ale trank, tat er es ihm gleich.

»Ob ich mehr zahlen will«, echote Lord MacKay, als er wieder zu Atem gekommen war, und schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte. »Lord Sutherland, ich muss schon sagen, Ihr seid ein gerissener Mann und viel besser in diesem Spiel als ich. Ich gebe auf.«

»Ihr gebt auf?«, wiederholte Morgan ungläubig. Was hatte das nun wieder zu bedeuten?

»Aye, ich gebe auf«, bestätigte Lord MacKay und stützte einen Ellbogen auf den Tisch. »Ich werde nicht weiter so tun, als wüsste ich nicht genau, warum Ihr diese niedrige Mitgift gefordert habt.«

Morgan fühlte sich immer unwohler in seiner Haut. Lord MacKay wusste folglich, dass er im Grunde seines Herzens diese Hochzeit nicht wollte, sondern verabscheute und einfach nur zurück nach Dunrobin Castle wollte? Wie war das möglich?

»Ich dachte ja, ich bekomme Euch dazu, es selbst zu sagen«, fuhr Lord MacKay fort und verschränkte die Finger. »Aber ein wahrer Geschäftsmann legt seine Karten wohl nur offen, wenn er es wirklich muss?«

Morgan zwang sich, Lord MacKays Blick standzuhalten. Sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit, ermahnte er sich. »Hättet Ihr es denn an meiner Stelle anders gemacht?«

Lord MacKay legte den Kopf zur Seite. »Kein Mann mit einem Funken Verstand hätte es anders gemacht.«

Morgan rutschte auf seinem Stuhl nach hinten. Er war sich noch immer nicht sicher, worüber sein Gegenüber sprach. »Was schlagt Ihr also vor?«

»Mehr als nur eine geringe Mitgift.« Lord MacKay sah ihn streng an. »Denn auch wenn Ihr gehofft habt, dass ich aufgrund Eurer Nachgiebigkeit sofort in die Ehe einwillige, darf man doch die gegebenen Umstände nicht vergessen.«

Morgan stieß hart die Luft aus. »So ungewöhnlich sind die Umstände nun auch wieder nicht.« Kein Mann würde wahre Freude über eine zweite Ehe verspüren, wenn seine große Liebe gerade erst vor wenigen Monaten verstorben war. Eine Ehe war ein Geschäft. Sie schuf eine Verbindung zwischen zwei Clans. Und jetzt hielt ihm Lord MacKay seine fehlenden Gefühle für River vor?

Lord MacKay hob eine Braue. »Das stimmt schon. In anderen Clans gibt es auch Kinder aus erster Ehe. Doch Leith ist nicht nur ein Kind, er ist vor allem Euer Sohn und Erbe. In seinen Adern fließt das Blut der Sutherlands, aber eben nicht das Blut der MacKays.«

Morgans Augen weiteten sich. Lord MacKay sprach also überhaupt nicht von seinen anhaltenden Gefühlen für Caitriona, sondern von Leith und dessen Abstammung. Seine Miene wurde hart. »Ihr wusstet um Leith, als Ihr mich eingeladen habt.«

Lord MacKay nickte. »Weil ich hoffte und noch immer hoffe, dass wir einen Weg finden, wie das Bündnis zwischen unseren Clans trotzdem über mehrere Generationen hinweg halten kann.«

Morgan blinzelte. »Ihr wollt, dass ich Leith sein Erbe vorenthalte?« War das überhaupt möglich?

Lord MacKay schüttelte den Kopf. »Mir ist klar, dass Ihr Euch darauf nicht einlassen könnt. Aber Ihr besitzt eine Burg an der Grenze zu unseren Ländereien. Sie wäre ein gutes Zuhause für Euren erstgeborenen Sohn mit River, oder nicht?«

Morgan verschluckte sich beinahe. Auch wenn die gemeinsamen Kinder, die er mit River hätte, seinen Clan stärken würden, wollte er an die Hochzeitsnacht noch weniger denken als an die Eheschließung selbst.

Lord MacKay schien sein Unbehagen zu bemerken und lehnte sich nach vorn. »Wenn Ihr echten Frieden wollt, ist das der einzige Weg.« Er seufzte. »Ihr müsst Euch nur einmal an unsere südliche Grenze begeben, um zu erkennen, wie leicht es sonst zu einer Fehde kommt wie mit Clan Ross.«

Morgan nickte langsam, denn sein Gegenüber hatte recht. Dennoch zitterte seine Stimme leicht, als er versprach: »Wenn River und ich einen Sohn bekommen, soll ihm die Burg im Grenzgebiet gehören.«

Sofort stand Lord MacKay auf und streckte ihm die Hand zur Bekräftigung ihrer Abmachung über den Tisch entgegen. »Dann sind wir uns also einig. Ich zahle Euch eine Mitgift von fünf Hochlandrindern, und im Gegenzug versorgt Ihr River und überlasst ihrem Sohn die Burg.«

»Fast.« Morgan erhob sich ebenfalls.

»Wusste ich doch, dass Ihr Euch am Ende doch nicht über den Tisch ziehen lasst.« Lord MacKay schmunzelte. »Sieben Rinder also, sofern die Abmachung mit der Burg gilt.«

»Zehn Rinder.« Morgan bemühte sich um eine feste Stimme, die seinen inneren Aufruhr verbarg. »Und die Hochzeit findet noch diesen Samstag statt.«

»Was, schon so bald?«, entfuhr es Lord MacKay überrascht, ehe er sich vermutlich entsann, dass er soeben ein sehr gutes Geschäft gemacht hatte, dessen Durchführung er besser nicht hinauszögern sollte. »Aber wenn Euch das recht ist, soll es mir das ebenso sein.«

»Sehr recht sogar«, log Morgan mit unbewegter Miene und schüttelte die Hand seines zukünftigen Schwiegervaters.

»Fehlen nur noch zwei Dinge«, sagte dieser und lächelte zufrieden.

Morgan stöhnte innerlich. Was kam denn nun noch?

»Erstens muss jemand Eure Männer fürs Abendessen auf die Burg holen.«

Bloß nicht. »Und zweitens?«

Lord MacKay lachte, als hätte er einen guten Scherz gemacht. »Zweitens müsst Ihr Eure Braut noch kennenlernen.«

Kapitel 7

Als River aus ihrer Kammer trat, drangen bereits Gesprächsfetzen und ausgelassenes Gelächter zu ihr hinauf. Angespannt machte sie einen Schritt nach vorn an die Balustrade und spähte nach unten. War er schon da?

Ihr Blick streifte kurz den Bereich, in dem bereits einige Burgbewohner an den ordentlich in Reihen aufgestellten Tischen saßen. Dann blickte sie zu der hölzernen Empore an der Stirnseite der Halle, auf der ihre Familie im Lichtschein eines im Kamin flackernden Feuers gewöhnlich speiste. Tatsächlich saß ihre Mutter bereits an ihrem Platz, ebenso wie Flower und ihre Schwester Leaf. Der Stuhl neben der drittgeborenen MacKay, auf dem sonst Rivers dreizehnjährige Schwester Skye saß, war allerdings noch leer, und auch Artair, den Gregor vor Jahren als erinnerungslosen Jungen am Strand gefunden und in die Familie aufgenommen hatte, fehlte.

Ebenso wie ihr Vater.

Und Morgan.