Der Platz des Friedens - Jürgen Hogeforster - E-Book

Der Platz des Friedens E-Book

Jürgen Hogeforster

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Beschreibung

"Der Platz des Friedens" von Jürgen Hogeforster erzählt die Geschichte eines alten Mannes, der in einem Wald auf Tiere trifft, die sprechen können. Sie bezeichnen ihn als ihren Engel, der ihnen helfen soll, friedlich zusammenzuleben und ihre Stärken zu bündeln. Gemeinsam beschließen die Tiere, eine Lichtung im Wald als Platz des Friedens zu erklären, wo niemand getötet oder verletzt werden darf. Herausforderungen kommen in Form eines roten Wolfs, eines schwarzen Bären und eines gelben Drachen, die jeweils unterschiedliche Absichten und Angebote haben und Forderungen stellen. Durch Dialog und gegenseitiges Verständnis lernen die Tiere, ihre Stärken zu bündeln und in Kooperation zu leben. Der alte Mann lehrt sie die Bedeutung von Vergebung, Respekt, Vertrauen und dem Ausgleich von Geben und Nehmen in den verschiedenen Lebensbereichen. Die Geschichte betont die Werte von Frieden, Zusammenarbeit, Vertrauen und die Notwendigkeit, eigene und fremde Stärken anzuerkennen und zu nutzen. Es stellt sich die Frage, ob und wie Menschen zur Meisterung ihrer aktuellen Heraus-forderungen von den Tieren auf dem Platz des Friedens lernen können.

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Dieses Büchlein widme ich meinen geliebten Enkelkindern Josephine Elisabeth, Margarethe Louise, Noah Francis und Felix Leontin, die die Fackel des Lebens von 1301 weitertragen.

Inhalt

Die Begegnung

Der Platz des Friedens

Die Stärken

Der rote Wolf

Der schwarze Bär

Der gelbe Drachen

Das Versprechen

Bücher

Die Begegnung

Der alte Mann wanderte tief in Gedanken versunken langsam am Fluss entlang, bog dann links in die mächtige Eichen-Allee ein, die an dem großen Wald vorbeiführt. Nur wenige Meter vom Waldrand entfernt stand eine alte Bank, auf die er sich mühsam ächzend niederließ. Aus der Tasche seiner Jacke kramte er eine Pfeife hervor, die er anzündete und genussvoll weiße Dampfwolken in die letzten Strahlen der untergehenden Sonne blies.

„Warum machst du denn mit deiner Maschine solchen schrecklichen Dampf, du verpestest ja die ganze Luft“, vernahm er plötzlich eine piepsende Stimme.

Erschrocken fuhr der Alte hoch, blickte sich ringsum, konnte aber niemand entdecken.

„Hier bin ich“, ertönte wieder das Stimmlein, „ich sitze unter dem Holunderbusch, genau dir gegenüber, nur wenige Meter von dir entfernt.“

Angestrengt starrte der Alte unter den Holunderbusch, konnte aber keinen Menschen ausmachen. In der Abenddämmerung entdeckte er nur ein kleines Kaninchen, das auf seinen Hinterbeinen sitzend zu ihm herübersah.

„Ja, ich bin es, das Kaninchen, das mit dir redet.“

Der alte Mann erstarrte vor Schreck, er glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. War er etwa eingeschlafen und träumte? Er konnte doch nicht mit einem Kaninchen reden. Verwirrt strich er über seinen grauen Bart.

„Es hat schon alles seine Ordnung“, ertönte wieder aus der Richtung des Kaninchens die seltsame Stimme. „Ich will doch nur wissen, warum du solche Dampfwolken mit deiner Maschine machst.“

„Aber das geht doch nicht, ich kann doch nicht mit einem Kaninchen reden“, stammelte der Alte. „Ich bin ein Mensch, zwar schon recht alt und manchmal auch verwirrt. Doch mit Tieren kann ich bestimmt nicht sprechen.“

„Warum musst du unbedingt alles wissen und erklären? Kannst du es nicht einfach so akzeptieren wie es ist? Aber dir zur Liebe werden wir das Rätsel schnell lösen“, erklärte die piepsige Stimme und schrie dann sehr laut in hohen Tönen: „Eule, komme mal schnell hier her. Wir brauchen dringend deinen Rat.“

Nachdem diese Aufforderung mehrfach wiederholt wurde, sah der alte Mann eine mächtige Eule, die durch den Wald flog und sich auf dem unteren Ast eines Baumes direkt oberhalb des Kaninchens niederließ. Die Eule schüttelte ihre Flügel und wandte sich dann mit krächzender Stimme an das Kaninchen: „Hops, was ist denn nun schon wieder los? Was willst du von mir wissen? Wobei soll ich dir helfen?“

„Da drüben der alte Mann auf der Bank will wissen, warum er mit mir sprechen kann. Er will nicht glauben, dass er meine Sprache versteht und auch ich ihn gut hören kann.“

Der Alte auf der Bank, schüttelte immer wieder nur mit dem Kopf und vergaß vor lauter Aufregung an seiner geliebten Pfeife zu ziehen. Nicht genug, dass er mit einem Kaninchen sprach, jetzt verstand er auch noch die Sprache der Eule. Und dann sah er, wie die Eule erneut ihre Flügel ausbreitete, sich in die Luft erhob, nur wenige Meter über seinen Kopf ein paar Kreise drehte, ihn beäugte und sich dann direkt über ihm auf einem Ast des Baumes, unter dem er saß, mit den Worten niederließ: „Das Rätsel werden wir schnell lösen!“

„Dein Tabak riecht gut“, wandte sich die Eule an den Alten und wollte dann von ihm wissen: „Hast du schon einmal ein Tier getötet?“

„Nein, noch nie“, antworte der alte Mann stammelnd und fügte dann nach einer kleinen Pause hinzu: „Doch, einmal schon. Vor vielen Jahren habe ich ein Kloster besucht. Mit der Mutter Oberin bin ich durch den Klostegarten gewandert und wir haben uns dabei intensiv unterhalten. Plötzlich fuhr mich die Mutter Oberin barsch an: `Passen sie doch auf, wohin sie treten. Jetzt haben sie einen Käfer Tod getrampelt.` Seit dem passe ich immer gut auf, wohin ich trete, damit ich kein Tier töte.“

„Ja, das passt“, sinnierte die Eule und wollte dann wissen: „Hast du in deinem Leben schon einmal Fleisch oder Fisch gegessen?“

„Nein, noch nie. Für mich müssen keine Tiere sterben“, erklärte der Alte nun mit fester Stimme, so als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, mit einer Eule zu sprechen. Schmunzelnd fügte er dann hinzu: „Meine Eltern haben mir einmal erzählt, dass sie ganz verzweifelt waren, weil ich schon als Baby kein Fleisch und Fisch gegessen habe. Sie sorgten sich, denn sie glaubten, um groß und stark zu werden, müsste man täglich Fleisch essen. Deshalb haben sie Fleisch mit einem Mixer zu Mus gemacht unter Kartoffel- und Gemüsebrei gemischt und wollten mich damit füttern. Doch sobald sie mir einen Löffel in den Mund geschoben hatten, hätte ich es sofort wieder ausgespuckt.“

Daraufhin stellte die Eule mit bestimmter Stimme fest: „Da haben wir des Rätsels Lösung: Sie haben das Rad der ewigen Wiederkehr überwunden.“

„Das Rad der ewigen Wiederkehr? Was ist denn das?“, wollte das Kaninchen wissen, das aufmerksam das Gespräch zwischen Eule und dem Alten verfolgt hatte.

„Erkläre du es ihm“, wandte sich die Eule an den alten Mann.

„Die Buddhisten glauben, dass die Seelen bei der Geburt in einen Körper schlüpfen, um in dem Leben etwas zu lernen, damit die Seele sich vervollkommnen kann. Nach dem Tod des Körpers, geht die Seele ins Jenseits und schlüpft von dort in einen neuen Körper, um weiter zu lernen. Erst wenn die Seele vollkommen ist, muss sie nicht in ein neues Leben zurückkehren und verbleibt für immer im Jenseits.“

„Das ist ja interessant“, stellte das Kaninchen nachdenklich fest und fragte dann: „Wie oft muss eine Seele in ein neues Leben zurückkehren?“

Der alte Mann hob seinen Blick in das dichte Laubwerk der mächtigen Eiche, unter der er saß: „Vielleicht so viele mal, wie dieser Baum Blätter hat.“

Kaum hatte es die Antwort vernommen, wollte das Kaninchen wissen: „Kann die Seele in jeden Körper hineinschlüpfen?“

„Selbstverständlich, die Seele kann in alles hineinschlüpfen, was lebt, in die Körper von Pflanzen, Tieren und Menschen. Und vielleicht war deine Seele einmal der Großvater von dem alten Mann hier und wurde in diesem Leben bestimmt, ein Kaninchen zu sein“, antwortete die Eule dem Kaninchen lachend und stellte dann nach einer kleinen Pause ernsthaft fest: „Wenn jemand von Geburt an kein Fleisch und Fisch isst, ist das ein sicheres Anzeichen dafür, dass seine Seele Vollkommenheit erlangt und das Rad der Wiederkehr überwunden hat. Seine Seele muss dann nicht mehr in ein neues Leben zurückkehren, sich nicht mehr auf Erden mühen und plagen und verbleibt als Engel dauerhaft im Jenseits. Nur einige dieser Engel kehren nochmals freiwillig in ein neues Leben zurück, um alle, die sich noch mühen und plagen müssen zu helfen und die Welt ein bisschen besser zu machen. Und unser alter Freund hier unten auf der Bank ist ein solcher Engel.“

„Ich ein Engel?“, echote der Alte ungläubig. Und das Kaninchen jubelte begeistert unter dem Holunderbusch herumhüpfend: „Hurra, ich habe einen Engel kennengelernt, der auch mir helfen kann!“

„Sicher“, stellte die Eule bestimmt fest, „unser Engel dort unten auf der Bank ist freiwillig in dieses Leben zurückgekehrt, um den Tieren in unserer schönen Welt zu helfen. Deshalb versteht er auch die Sprache der Tiere. Wie sollte er ihnen auch sonst helfen können?“ Kaum hatte die Eule ausgesprochen, breitete sie die Flügel aus und flog mit den Worten davon: „Ich wünsche euch noch einen schönen Abend. Meine Nachtschicht beginnt und ich mache mich auf die Jagd nach Mäusen. Denn ich habe noch nicht den Status eines Engels erreicht, ich esse Fleisch, liebend gerne von fetten Mäusen.“

Tief in Gedanken versunken verfolgte der alte Mann den kunstvollen Flug der Eule durch den Wald, elegant allen Bäumen ausweichend und Ausschau haltend nach einem Opfer unten auf dem Boden. Gewiss, die Argumentation der Eule war schlüssig. Aber war er wirklich ein Engel? Sollte er in seinen alten Tagen den Tieren helfen? War das alles tatsächlich passiert? Oder bildete er sich dies alles nur ein? Vielleicht war er gar verrückt geworden, aus der Welt heraus-gerückt?

Das Kaninchen hatte es nicht nötig, sich mit solchen Fragen zu quälen. „Nun ist ja alles geklärt und du kannst mir endlich verraten, warum du mit deiner Maschine solche Dampfwolken in die Luft pustest.“

Wie aus einem tiefen Schlaf erwachend, nahm der Alte seine Pfeife, zündete sie erneut an, blies weiße Wolken in die laue Abendluft und stellte fest: „Das ist keine Maschine, das ist eine Pfeife. Eine Friedenspfeife!“

„Was, eine Friedenspfeife? Kannst du damit etwa Frieden stiften?“

„Nun“, stellte der Alte vergnügt fest, „die Indianer in Amerika hatten früher solche Friedenspfeifen. Immer wenn es Krieg gab, stopften sie ihre Pfeifen mit köstlichem Tabak, zündeten sie an und luden ihre Gegner ein, mit ihnen die Pfeife zu rauchen, und fortan war Frieden.“

„Das ist großartig, wunderbar, einzigartig. Du bist ein Engel, ein Geschenk des Himmels“, jubelte das Kaninchen begeistert und sprang aufgeregt mit allen vieren gleichzeitig in die Luft. „Du musst uns helfen. In unserem Wald tobt ein fürchterlicher Krieg. Du musst mit deiner Pfeife Frieden stiften.“

Kopfschüttelnd wehrte der alte Mann dieses Ansinnen ab. Doch davon wollte das Kaninchen nichts wissen: „Kannst du morgen wieder hierhin kommen? Genau zu dem Zeitpunkt, wenn die Sonne über dem Baum steht, unter dem ich hier sitze.“

„Sicher, das ist gut möglich“, stimmte der Alte zu.