Utopia 2025 - Jürgen Hogeforster - E-Book

Utopia 2025 E-Book

Jürgen Hogeforster

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Beschreibung

Das Buch Sernai Schule der Zukunft Die Bemühungen zur Erhalt der Schule in Litauen gehen auf eine wahre Begebenheit zurück; alles andere und die Personen der Handlung sind frei erfunden. Eine junge Bildungspolitikerin der Europäischen Kommission wird mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert. Sie erfährt wie ihre Vorfahren vor vielen Jahrzehnten als Gutsherren geherrscht haben, welche Werthaltungen sie verfolgten und wie die Dorfbewohner zu der Feudalherrschaft standen. Die Politikerin versucht, das Bewährte aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu transportieren und damit die Zukunft der Dorfschule zu sichern. Utopia 2025 Utopien schildern einen erhofften oder befürchteten Gesellschaftszustand. Vor fast 500 Jahren hat Thomas Morus in dem Buch „Utopia“ sein Reformprogramm für die Gesellschaft der damaligen Zeit vorgelegt. Wurden seitdem Morus` Reformen realisiert? Wurde der Geist erneuert? Diese Utopie handelt vom Heute - dem Zeitraum von 1998 bis 2025. Ein junger Mann aus Hamburg macht sich auf den Weg, sein Utopia zu suchen. Nach einer abenteuerlichen Reise voller Überraschungen entdeckt er tatsächlich die Insel Utopia. Nach fünfzehn Jahren kehrt er nach Hamburg zurück und berichtet seinem Schulfreund von seiner Reise und seiner Entdeckung. Beide beschließen, Utopia zu realisieren. Ein Fremder in der Freien Stadt In einer norddeutschen, einst wohlhabenden Großstadt taucht eines Tages ein Fremder auf. Er fordert die Bevölkerung auf, ihrer Eigenverantwortung nachzukommen, selbst zu handeln und damit wieder Wohlstand zu sichern. Seine unorthodoxe Vorgehensweise und schier abenteuerlichen Vorschläge stoßen auf Ablehnung. Da jedoch nichts erfolgreicher ist als der Erfolg, muss letztendlich auch der Bürgermeister neue Wege beschreiten. Drei fesselnde Erzählungen und zugleich mutige Wegweiser in die Zukunft. „Wir sollten uns alle mehr um die Zukunft kümmern, denn wir werden den Rest unseres Lebens darin verbringen“ (Charles F. Kettering)

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Das Buch

Sernai Schule der Zukunft

Die Bemühungen zur Erhalt der Schule in Litauen gehen auf eine wahre Begebenheit zurück; alles andere und die Personen der Handlung sind frei erfunden.

Eine junge Bildungspolitikerin der Europäischen Kommission wird mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert. Sie erfährt wie ihre Vorfahren vor vielen Jahrzehnten als Gutsherren geherrscht haben, welche Werthaltungen sie verfolgten und wie die Dorfbewohner zu der Feudalherrschaft standen. Die Politikerin versucht, das Bewährte aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu transportieren und damit die Zukunft der Dorfschule zu sichern.

Utopia 2025

Utopien schildern einen erhofften oder befürchteten Gesellschaftszustand. Vor fast 500 Jahren hat Thomas Morus in dem Buch „Utopia“ sein Reformprogramm für die Gesellschaft der damaligen Zeit vorgelegt. Wurden seitdem Morus` Reformen realisiert? Wurde der Geist erneuert?

Diese Utopie handelt vom Heute - dem Zeitraum von 1998 bis 2025. Ein junger Mann aus Hamburg macht sich auf den Weg, sein Utopia zu suchen. Nach einer abenteuerlichen Reise voller Überraschungen entdeckt er tatsächlich die Insel Utopia. Nach fünfzehn Jahren kehrt er nach Hamburg zurück und berichtet seinem Schulfreund von seiner Reise und seiner Entdeckung. Beide beschließen, Utopia zu realisieren.

Ein Fremder in der Freien Stadt

In einer norddeutschen, einst wohlhabenden Großstadt taucht eines Tages ein Fremder auf. Er fordert die Bevölkerung auf, ihrer Eigenverantwortung nachzukommen, selbst zu handeln und damit wieder Wohlstand zu sichern. Seine unorthodoxe Vorgehensweise und schier abenteuerlichen Vorschläge stoßen auf Ablehnung. Da jedoch nichts erfolgreicher ist als der Erfolg, muss letztendlich auch der Bürgermeister neue Wege beschreiten.

Der Autor

wurde 1943 am linken Niederrhein geboren, ist gelernter Landwirt und bewirtschaftete einige Jahre ein Gut. Nach Wanderjahren in England, Schweden und Russland sowie einem Ingenieurstudium studierte er Agrarwissenschaften und promovierte mit einem regionalpolitischen Thema. Langjährig war er als Politikberater in Deutschland und in der Schweiz tätig und widmete sich viele Jahre in Führungsfunktionen der Entwicklung des Handwerks und der mittelständischen Wirtschaft. Hogeforster baute die Zukunftswerkstatt auf, die er bis heute betreibt, und gründete das Hanse-Parlament, in dem er sich aktuell engagiert.

Der Autor hat zahlreiche Fachpublikationen veröffentlicht, verschiedene Erzählungen, die er als „Märchenbücher für Erwachsene“ bezeichnet, verfasst und moderiert eine monatliche Fernsehsendung.

Inhalt

Kapitel 1: Heute

Kapitel 2: Gestern

Kapitel 3: Gestern und heute

Kapitel 4: Heute und morgen

Kapitel 1: Hamburg-Elbchaussee gestern

Kapitel 2: Auf der Suche nach Utopia

Kapitel 3: Hamburg-Elbchaussee heute

Kapitel 4: Utopia 2025

Kapitel 5: Hamburg-Elbchaussee morgen

Aufbruch zu neuen Ufern

Wegweiser in die Zukunft

Führung für morgen

Politik im Wandel

SERNAI
SCHULE DER ZUKUNFT

Inhalt

Kapitel 1: Heute

Kapitel 2: Gestern

Kapitel 3: Gestern und heute

Kapitel 4: Heute und morgen

Die Personen der Handlung in der Reihenfolge ihres Auftritts:

Anna von Drewitz (Schwester von Hermann von Drewitz, geboren 1915, gestorben 1989)

Vergesse nie Deine Wurzeln. Sie geben Dir in Deinem Leben einen festen Stand und größte Sicherheit. Sie ernähren und erhalten dich, versorgen Dich mit allem, was Du brauchst und worauf es im Leben tatsächlich ankommt.

Karin Felten (Bildungspolitikerin der EU, Enkeltochter von Anna von Drewitz, geboren 1973)

Aus dem Gestern für heute und morgen zu lernen bedeutet, das Bewährte zu erhalten und harmonisch mit dem Neuen zu verbinden. Also konservativ in den grundlegenden Zielen und progressiv in den Maßnahmen.

Vacolovas Baradovas (Eigentümer eines Restaurants und Museums in Vilnius)

Es gibt nichts Wichtigeres als die Familie. Alles andere hat im Vergleich dazu kaum Bedeutung.

Elzbetha von Drewitz (Direktorin der Dorfschule, Tochter von Hermann von Drewitz, geboren 1933)

Ich wusste, woher ich kam und konnte so wissen, wohin ich gehen wollte. Die kleine Schule war zunächst nur mein Traum. Ich achtete meine Träume, denn sie schaffen mein Zuhause morgen. So wurde mein Traum Wirklichkeit: Aus den alten, immer noch grünen Wurzeln erblühte eine Schule der Zukunft, die junge Menschen entzündet.

Hermann von Drewitz (Gutsbesitzer, Vater von Elzbetha von Drewitz, geboren 1908, gestorben 1960)

Wenn ich mich nach dem richte, was vielleicht andere von mir denken könnten, dann mache ich mich selbst zum Hampelmann. Dann zieht jeder an der Schnur und ich hampele sofort wild herum, weil ich mich von dem wohlgefälligen Denken anderer abhängig mache und mein eigenes selbstbestimmtes Handeln vergesse.

Tatjana Machewsky (Freundin von Elzbetha von Drewitz, Ehefrau von Victor Machewsky)

Einige Länder und in unserem Land einige Menschen sind sehr reich geworden, doch zu keiner Zeit gab es in der Welt und ebenso in unserem Land so viele Arme. Ist das Fortschritt?

Victor Machewsky (Polizist, Ehemann von Tatjana Machewsky)

Wäre es nicht gut, wenn unsere heutigen Eliten unsere aller Vorbilder wären, wie der gnädige Herr es für uns alle gewesen ist?

Heute

Die Teilnahme an der Bildungskonferenz in Vilnius war für Karin Felten keine unausweichliche Pflicht. Diese Konferenz sollte zwar den großen, internationalen Bildungs-Kongress mit dem Kommissar für Bildung der Europäischen Union und den Bildungsministern aller Ostsee-Anrainerstaaten vorbereiten, als Kabinettschefin des EU Kommissars hätte Frau Felten diese Aufgabe jedoch auch gut delegieren können. Doch die Vorbereitungskonferenz in Vilnius war für sie ein willkommener Anlass, sich einen alten Wunsch endlich zu erfüllen.

Karin Felten war fünfzehn Jahre alt, als ihre Großmutter Anna von Drewitz im Alter von 73 Jahren verstarb. Sie hatte ihre Großmutter in bester Erinnerung. Insbesondere die vielen Geschichten, die die Großmutter ihrer Enkelin über ihre litauische Heimat erzählte, waren ihr unvergesslich und prägten ihre Kindheit. In immer wieder neuen Bildern gekleidet mahnte die alte Dame: „Vergesse nie Deine Wurzeln. Sie geben Dir in Deinem Leben einen festen Stand und größte Sicherheit. Sie versorgen Dich mit allem, was Du brauchst und worauf es im Leben tatsächlich ankommt. Und gerade weil Du tief verwurzelt bist, kannst Du Dich frei bewegen, die ganze Welt erobern und Dich gleichwohl nie verirren, wirst nie entwurzelt werden. Du bist ein Glied in einer langen Kette von Generationen unserer Familie. Du trägst die Kraft und das Wissen all` Deiner Vorfahren in Dir und stehst in der Freiheit, aber auch in der Verantwortung, die Dir die Familien-geschichte aufgibt. Werde stets dieser Verantwortung gerecht und Du wirst ein Leben in wahrer Freiheit führen können. Und die Wurzeln unserer Familie, Deine eigenen Wurzeln, findest Du in dem einzigartigen litauischen Dorf Sernai. Dort bin ich geboren und dort verweilte mein Herz zu allen Zeiten meines Lebens.“

So machte sich die nun zweiunddreißigjährige Karin Felten im April 2005 auf den Weg nach Vilnius, um die Bildungs-konferenz zu leiten und ihren eigenen Wurzeln nachzuspüren.

Die dreitägige Konferenz verlief wie üblich: Endlose protokollarische Fragen und lange Diskussionen zu den bildungspolitischen Strategien des Ostseeraumes. Elf Länder mit ganz verschiedenen Kulturen, unterschiedlicher Vergangenheit und stark voneinander abweichenden Bildungs-systemen sollten einer einheitlichen Bildungspolitik für den gesamten Ostseeraum zustimmen. Bis zur Tagung der Bildungsminister im nächsten Jahr würden noch viele, viele Papiere ausgetauscht. Danach oblag es der diplomatischen Formulierungskunst der Brüsseler Bürokratie, ein Memorandum zu formulieren, das allseits Zustimmung finden könnte. Sicherlich würden darunter Aussageschärfe und Konkretheit leiden. Viele Seiten würden mit allgemeinen Feststellungen, unverbindlichen Absichtserklärungen und vagen Zielbeschreibungen gefüllt.

Politik ist eben die Kunst der vielen kleinen Schritte, der Konsensfindung auf minimalster Ebene. In dieser Kunst war Frau Felten wahre Meisterin. Obwohl sie sich insgeheim immer wieder wünschte, aus diesem System auszubrechen, die endlosen Debatten durch eine andere, viel zielführendere Vorgehensweise zu ersetzen und wirklich Fortschritte mit konkreten Ergebnissen für die Praxis zu erreichen. Dass die Suche nach ihren eigenen Wurzeln genau dies herbeiführen sollte, konnte Karin Felten damals selbst in ihrer kühnsten Phantasie nicht erahnen.

Am Abend des zweiten Konferenztages gab der litauische Bildungsminister für die Teilnehmer der Konferenz und ausgewählte Ehrengäste ein Abendessen in einem Restaurant in der wunderbaren Altstadt, das zugleich als Museum diente. In den historischen Räumen wurden an den Wänden und in Vitrinen tausende Kostbarkeiten aus aller Welt präsentiert, die allesamt dem Essen und Trinken dienten: Porzellan, Gläser, Bestecke, Küchengeräte, Speisekarten, Tischdekorationen und vieles andere mehr.

In seiner kurzen Tischrede erklärte der Minister, dass dieses einmalige Restaurant-Museum im Auftrag der Regierung alle litauischen Staatsgäste bewirten würde und sie an diesem Abend den Vorzug hätten, genau das Menü zu genießen, das bereits vor sieben Jahren anlässlich des Staatsbesuches der Königin Elisabeth von England kreiert worden war.

Als Leiterin der Konferenz wurde Frau Felten der Platz rechts neben dem Bildungsminister zugewiesen, an ihrer rechten Seite saß der Restaurantbesitzer, der sich ihr als Vaclovas Baradovas vorstellte. Da Karin Felten bereits in den vergangenen zwei Tagen auf der Konferenz viele Gedanken mit dem Minister ausgetauscht hatte, war sie schon bald in einem intensiven Gespräch mit dem Restaurantbesitzer vertieft.

Herr Baradovas erzählte lebhaft, wie er kurz nach der Wende im Jahre 1992 das Haus gekauft und darin das Restaurant eingerichtet hatte. Er berichtete von seinen vielen Reisen, von seiner ausgefallenen Sammelleidenschaft, die schließlich dazu führte, in seinem Restaurant zugleich ein Museum einzurichten und mit diesem Restaurant-Museum der historischen Altstadt Vilnius eine weitere Attraktivität hinzuzufügen. Voller Stolz schilderte Vaclovas Baradovas welche gekrönten und ungekrönten Häupter dieser Welt bereits bei ihm zu Gast gewesen waren: Die Königin von England, der Kaisen von Japan, das belgische Königspaar, bereits dreimal der polnische Präsident, der Bundespräsident Deutschlands, viele weitere Staats-oberhäupter und nun als Krönung sie, die verehrte Frau Felten.

Während des Essens wurden immer wieder neue Trinksprüche ausgebracht. Als Frau Felten sich dieser Sitte nicht länger entziehen konnte, stand sie auf und verkündete mit schlichten Worten von ihrer großen Freude in Vilnius und in diesem einmaligen Restaurant sein zu dürfen. Sie war beeindruckt von der historischen Altstadt und von der großen Aufbauleistung, die das litauische Volk in den vergangenen fünfzehn Jahren geleistet hatte. Schließlich endete sie mit der Feststellung: „Für mich sind diese Tage in Litauen wie eine Rückkehr in meine Heimat. Denn hier befinden sich meine Wurzeln. Meine Vorfahren haben über Jahrhunderte in Litauen gelebt. Meine Großmutter Anna von Drewitz ist in der Nähe von Vilnius in dem kleinen Dorf Sernai geboren worden und hat hier bis zu ihrer Hochzeit Kindheit und Jugendzeit verbracht. Und nun erlebe ich selbst meine Heimat, die ich bislang nur aus den Erzählungen meiner Großmutter kannte. Dies macht mich glücklich. Voller Dankbarkeit erhebe ich mein Glas und trinke auf das Wohl des litauischen Volkes.“

Der Beifall ob dieser Tischrede wollte kein Ende nehmen. Mehr als nur alle denkbaren politischen Statements hatte das persönliche Bekenntnis die Herzen aller Zuhörer gewonnen, ganz besonders das von Vaclovas Baradovas. Spontan nahm er Karin Felten in den Arm, versicherte ihr, dass der Name von Drewitz in Litauen einen ausgezeichneten Ruf genießen würde, und dass sie unbedingt das Heimatdorf ihrer Vorfahren besuchen müsste.

„Nichts würde ich lieber tun“, bestätigte Karin Felten, “doch während dieser Reise verbleibt mir dazu leider nicht genügend Zeit. Morgen früh geht die Konferenz weiter. Ich habe am Nachmittag nur vier, maximal fünf freie Stunden, denn um 19.00 Uhr muss ich schon wieder an der Abschlussveranstaltung unserer Konferenz teilnehmen. Und übermorgen in aller Frühe muss ich zurück nach Brüssel fliegen.“

Doch dies alles wollte Herr Baradovas nicht gelten lassen: „Es gibt nichts Wichtigeres als die Familie. Sie sind zwar in Deutschland geboren, doch Ihre Wurzeln befinden sich hier in Litauen. Sie müssen unbedingt das Heimatdorf Ihrer Vorfahren kennenlernen, es persönlich erleben. Alles andere hat im Vergleich dazu kaum Bedeutung.“

Frau Felten stimmte ihm grundsätzlich zu. Sie hatte selbst schon überlegt, ein Taxi zu nehmen oder ein Auto zu mieten. Aber fünf Stunden, das war einfach viel zu knapp; sie musste den Besuch des Geburtsortes ihrer Großmutter auf eine spätere Reise verschieben.

„Das kommt überhaupt nicht In Frage. Sie sind doch meine Landsmännin. Ich hole Sie morgen um 14.00 Uhr mit meinem Wagen an Ihrem Hotel ab. Dann fahren wir gemeinsam nach Sernai und pünktlich um 19.00 Uhr sind Sie wieder in Vilnius.“

„Das wäre wirklich wunderbar“, stammelte Karin Felten verlegen, „aber das kann ich nicht annehmen. Sie können mir doch nicht so viel Ihrer Zeit opfern.“

„Sie können es nicht annehmen? Sie müssen ganz einfach“, stellte Vaclovas Baradovas unumstößlich fest, winkte eilig den Oberkellner herbei und trug ihm auf, alle Termine am nächsten Nachmittag für ihn abzusagen, da er etwas viel Wichtigeres zu tun hätte.

Am nächsten Nachmittag kurz nach 14.00 Uhr hatten sie bereits Vilnius verlassen und eilten weiter über eine neue Schnellstraße Richtung Südlettland. Sie durchfuhren ausgedehnte Nadelholz- und Misch-Wälder, erfreuten sich an freundliche Birkenhaine, dazwischen große landwirtschaftlich genutzte Flächen, passierten kleine Ortschaften und bereits nach gut zwanzig Kilometer zeigte das Navigationsgerät das Verlassen der Schnellstraße an.

Karin Felten hatte am Vormittag telefonisch Kontakt aufgenommen mit der Cousine ihrer Mutter, die immer noch in Sernai lebte. Elzbetha von Drewitz war hoch erfreut, dass eine Verwandte sie besuchen würde und beschrieb genau den Weg zu dem Haus, in dem Karin Feltens Großmutter das Licht der Welt erblickt und Ihre Kindheit und Jugendzeit verlebt hatte.

Nun erreichten sie Sernai, eine kleine Streusiedlung mit vielleicht einem Dutzend recht einfachen Häusern entlang einer schmalen Teerstraße und einiger davon abzweigender unbefestigter Wege. Nach den Erzählungen der Großmutter müsste Sernai der schönste Ort der Welt sein. Dieses Bild hatte Karin Felten in ihrer Phantasie noch mit den blühendsten Farben ausgeschmückt. Angesichts der grauen Häuser und einiger zerfallener Scheunen, die eher zufällig in der Landschaft platziert erschienen, verspürte Frau Felten Enttäuschung; das Traumbild des Paradieses auf Erden zerplatzte wie eine schillernde Seifenblase in der Luft.

„Hier muss es sein“, stellte Vaclovas Baradovas aufgeregt fest. Links von der holprigen Straße führte eine alte Baumallee einen leichten Hügel hinauf. Links und rechts der Allee befanden sich alte, teilweise zerfallene Gebäude, die erahnen ließen, dass sie einst als große Viehställe, Vorratsscheunen und andere landwirtschaftliche Wirtschaftsgebäude dienten. Etwa zweihundert Meter weiter erreichten sie die Anhöhe und hielten direkt vor einem großen Herrenhaus, das einst prächtiger Mittelpunkt eines großen Gutes war.

Elzbetha von Drewitz erwartete sie bereits vor dem Haus und begrüßte die Ankömmlinge herzlich. Zunächst galt es die verwandtschaftlichen Beziehungen zu klären.

„Meine Großmutter Anna von Drewitz ist hier geboren und deren Tochter Maria ist meine Mutter“, stellte Karin fest.

„Tante Anna war die Schwester meines Vaters Hermann von Drewitz“, erklärte Elzbetha von Drewitz. „Ich kann mich noch an sie erinnern. 1938 – ich war grade einmal fünf Jahre alt – heiratete sie einen Herrn von Gerlinsky und zog mit ihm nach Deutschland an den Rhein in das kleine Städtchen Bad Godesberg. Kurz darauf brach der zweite Weltkrieg aus und ich habe meine Tante nie wiedergesehen, es gab nur brieflichen Kontakt. Aus Tante Annas Briefen weiß ich, dass sie einer Tochter Namens Maria das Leben schenkte. Meine Cousine Maria, die ich persönlich nie kennengelernt habe. Und nun besucht mich ihre Tochter! Das ist eine große Freude, einfach wunderbar.“

„Ich bin überglücklich hier zu sein und danke Ihnen herzlich, dass ich Sie besuchen darf.“

„Ich bin zwar mehr als doppelt so alt wie Du, aber wir sind doch eng verwandt. Nenne mich bitte einfach Elzbetha oder - wenn es Dir lieber ist – Tante Elzbetha. Und nun zeige ich Euch das Haus, in dem mein Vater und Deine Großmutter gelebt haben.“

Das einst prächtige, zweigeschossige Herrenhaus war vollständig aus Holz erbaut. Nun mangelte es an einem dringend erforderlichen neuen Anstrich und diverser Reparaturen. Unschwer war aber vorstellbar, dass dieses Gutshaus vor Jahrzehnten ein besonderes Kleinod darstellte und mit einigem Aufwand die alte Pracht zurück gewinnen könnte.

Als sie über eine große Freitreppe hinaufgingen, die schönen Schnitzereien der überdachten Veranda bewunderten und schließlich das Haus betraten, schilderte Tante Elzbetha die Geschichte des Hauses. Bis zu seinem Tod im Jahr 1960 hatte ihr Vater Hermann von Drewitz das Gut bewirtschaftet. Kurz darauf wurde alles verstaatlicht. In den Folgejahren verfielen die Gebäude immer mehr. Von den Wirtschafts-gebäuden waren nicht viel mehr als Ruinen verblieben. Im Wohnhaus lebten viele Jahre verschiedene russische Familien, die hier zwangsweise angesiedelt wurden. Dann diente es der Gemeinde als Verwaltungssitz. Später wurde eine Diskothek eingerichtet und in diesem Zusammenhang der große, schöne Wintergarten einfach abgerissen. In den achtziger Jahren hatten weißrussische Arbeiter umfangreiche Reparaturen und Instandsetzungen im Hausinneren vorgenommen. Diese Arbeiten nahmen aber keine Rücksicht auf den Stil des Hauses; eingebaut wurden die Materialien, die gerade verfügbar waren.

„Nach der Wende haben wir dann mit einheimischen Kräften und bescheidenen Mitteln Reparaturen vorgenommen und Jahr für Jahr bis heute das getan, was wir finanziell verkraften konnten“, schilderte Frau von Drewitz und fügte mit stolzer Stimme hinzu: „Seit 1992 betreibe ich nun in dem Haus meiner Eltern einen Kindergarten und eine kommunale Schule, die wir nun besichtigen werden.“

Es handelte sich um einen zweijährigen Kindergarten und eine vierjährige Grundschule. Aktuell besuchten 44 Kinder Kindergarten und Grundschule – eine durchschnittliche Gruppengröße von sieben bis acht Kindern. Zwei Kindergärtnerinnen wurden unterstützt von Frauen aus dem Dorf. Neben Frau von Drewitz als Direktorin unterrichteten drei weitere hauptberufliche Lehrkräfte an der Schule. Hinzu kamen ein Künstler aus dem Dorf, der Musik und Kunstunterricht erteilte, Handwerker, die Werkunterricht veranstalteten sowie weitere Bewohner des Dorfes, die ehrenamtlich in der Schule tätig waren.

Alle Räume waren groß und hell, einfach, aber zweckmäßig eingerichtet. In den Räumen der beiden oberen Klassen befanden sich sogar Personal-Computer, die eine Partnerschule aus Deutschland gespendet hatte.

Frau Felten war begeistert. Alles, was sie sich von der Bildungspolitik der Zukunft erträumte, wurde bereits an dieser Schule realisiert: Kleine Klassengrößen, individueller Unterricht, eingebunden in die Dorfgemeinschaft, lernen beim Spielen, viel Freiraum für Entdeckergeist, individuelle Entfaltung und Sammlung persönlicher Erfahrungen. Und dies alles am Stammsitz ihrer Vorfahren! Keine der modernen Erziehungsanstalten, die Kinder verbiegen und ihrer Individualität berauben. Keinerlei modernste Einrichtungen in den alten Räumen, aber die modernste und zukunftsweisendste Schule, die Karin Felten je gesehen hatte.

Auch Vaclovas Baradovas war sehr von dieser Schule und der Persönlichkeit ihrer Direktorin angetan: „Alles was ich gesehen und gehört habe, spricht von einer wunderbaren Liebe zu den Kindern. Hier können junge Menschen sich frei entfalten und sich mit liebevoller Begleitung entwickeln“, stellte er in seiner direkten und so überzeugenden Art fest.

Zum Abschluss der Besichtigung führte Frau von Drewitz ihre beiden Gäste in den verwilderten Park direkt hinter dem Haus, der die gesamte restliche Anhöhe in Anspruch nahm. Während sich Vaclovas Baradovas intensiv mit Frau von Drewitz unterhielt, durchstreifte Karin Felten den weiten Park, genoss den Ausblick in die weite Landschaft und bestaunte das Licht der untergehenden Sonne im See am Fuß des Hügels. In einer hinteren Ecke des Parks entdeckte sie versteckt unter alten, mächtigen Bäumen die Grabstätte von Hermann von Drewitz und direkt dahinter neben einer steinernen Bank die weiße Statue einer jungen Frau. „Ein großartiger Künstler hat die unvergängliche Schönheit einer Frau in Stein gebannt“, sinnierte Frau Felten. Ihr kamen Gesicht und Körperhaltung dieser Frau irgendwie bekannt vor. Die Statue erinnerte sie an irgendetwas, vielleicht an eine Person, die sie kannte. Sie wollte Tante Elzbetha dazu befragen, vergaß es dann aber, als diese darauf bestand, dass sie unbedingt mit zu ihr nach Hause kommen müssten.

„Diese Einladung können wir nicht ausschlagen“, erklärte Herrn Baradovas als sich Tante Elzbetha entfernte, um die Schule abzuschließen. „Ich verspreche Ihnen, dass wir pünktlich um 19.00 Uhr wieder in Vilnius sind“

Bei Kaffee und Kuchen im Heim von Elzbetha von Drewitz, das sich nur wenige Kilometer entfernt in einem prächtigen Gutshof im Nachbarort befand, drehte sich das muntere Gespräch ausschließlich um die einzigartige Schule.

„Ja, meine geliebte Schule, die nun geschlossen werden muss“, stellte Frau von Drewitz traurig fest und berichtete dann von den jüngsten Ereignissen.

In Litauen lebt eine polnische Minderheit, die ein besonderes Wahlrecht besitzt. Im Landkreis, der Träger der Schule ist, hatte die Partei der polnischen Minderheit bei den letzten Wahlen die Mehrheit gewonnen und vor einem halben Jahr die Schließung der Schule beschlossen, da nur noch Schulen geschaffen werden sollten, in denen in erster Linie in Polnisch unterrichtet wurde. Elzbetha von Drewitz hatte bereits alles Erdenkliche dagegen unternommen, einen Rechtsanwalt beauftragt, Einspruch eingelegt und selbst den litauischen Bildungsminister eingeschaltet. Der Minister hatte sich zwar für den Erhalt der Schule ausgesprochen, konnte sich aber nicht über die Beschlüsse des autonomen Kreistages hinweg setzen. Und nun sollte die Schule in einem halben Jahr geschlossen und damit das Lebenswerk von Elzbetha von Drewitz vernichtet werden.

„Das darf nicht geschehen! Auf keinen Fall!“, erregte sich Karin Felten. „Wir müssen alles unternehmen, um die Schließung zu verhindern. Vaclovas, Du kennst doch sicherlich den besten Anwalt in Vilnius. Beauftrage ihn, ich übernehme sämtliche Kosten. Wenn der Anwalt den Beschluss nicht rückgängig machen kann, dann muss er mit allen nur erdenklichen Mitteln, mit allen rechtlichen Winkelzügen einen zeitlichen Aufschub erreichen. Wir brauchen nur etwas Zeit. Wir finden bestimmt eine Lösung. Und dazu habe ich schon eine vage Idee.“

Trotz allen Drängens wollte Karin Felten keine weiteren Informationen zu ihrer Rettungs-Idee preisgeben. Bei einem herzlichen Abschied von Tante Elzbetha versprach sie jedoch, bereits im August für zwei Wochen erneut nach Litauen zu kommen, Tante Elzbetha wieder in Sernai zu besuchen und für den Erhalt der Schule zu kämpfen.

Pünktlich um 19.00 Uhr war Frau Felten zurück in Vilnius zum letzten Teil der Bildungskonferenz. Bei dieser Gelegenheit weihte sie den litauischen Bildungsminister in ihren Plan zur Rettung der Dorfschule von Sernai ein. Der Minister war zunächst verunsichert, dachte kurz nach und versicherte dann lächelnd: „Eine abenteuerliche Idee! Wenn das mal gut geht. Aber ich unterstütze Sie uneingeschränkt bei der Realisierung.“

Mit dieser Zusage flog Karin Felten am nächsten Tag zurück nach Brüssel. Vier Monate später reiste sie erneut nach Litauen, um gemeinsam mit Tante Elzbetha ihren Wurzeln nachzuforschen und die einzigartige Schule von Sernai zu retten.

Gestern

Hermann von Drewitz leitete das Gut Sernai, das sich seit vielen Generationen im Besitz der Familie befand, bereits seit über zwanzig Jahren. Das gesamte Dorf mit seinen neunzehn Wohnhäusern, Katen und Kleingehöften lebte mehr oder weniger vom Gut: Als Melker, Gespann Führer, Knechte, Mägde, Pächter, Tagelöhner oder Handwerker. Alle Dorfbewohner nannten den Gutsbesitzer nur „Der alte Herr“ oder wenn sie ihn direkt ansprachen „Gnädiger Herr“.

Hermann von Drewitz hatte recht spät geheiratet. Da sein Vater bereits zwölf Jahre zuvor gestorben war, hatte seine alte Mutter seine Ehe arrangiert. Gleichwohl wurde es die große Liebe, die allerdings nur ein knappes Jahrzehnt währte. Drei Jahre nach der Hochzeit, die vom ganzen Dorf eine Woche lang gefeiert wurde, erblickte Töchterchen Elzbetha das Licht der Welt. Das kleine Mädchen war gerade eingeschult, als die Mutter an einer heimtückischen Krankheit verstarb.

Aus einem der Nachbardörfer holte sich Herr von Drewitz das sechste Kind eines Kleinbauern, die damals zwanzigjährige Luba Jurschenka als Wirtschafterin ins Haus. Schon bald war die junge Frau mit einer so innigen Liebe der kleinen Elzbetha zugetan, als wäre es ihr eigenes Kind. Elzbetha nannte sie fortan „Mamuschka“ und diesen Namen übernahm auch bald Herr von Drewitz.

Luba Jurschenka beaufsichtigte die Mägde, besorgte dem inzwischen fast vierzigjährigen Gutsbesitzer den Haushalt und teilte schon bald des Nachts mit ihm das Bett. Luba hatte zwar ein eigenes, großes Zimmer im Gutshaus, viel lieber verbrachte sie jedoch die Nächte in den Armen des Gutsherrn. Gleichwohl blieb Luba aber selbstverständlich beim „Sie“ und „Gnädiger Herr“.

Für beide war es gut so. Das ganze Dorf wusste von diesem Liebesverhältnis, doch für Niemanden gab es etwas zu tadeln. War es zunächst die gegenseitige körperliche Anziehung, die beide miteinander verband, so wuchs daraus im Laufe der Jahre ein tiefes Verständnis füreinander, ein Vertraut sein und eine unerschütterliche Zuneigung.

An einem klaren Frühlingsmorgen im Jahre 1957 hielt selbst Luba den Alten nicht mehr im Bett. Bereits um fünf Uhr in der Frühe kontrollierte er im Wagenschuppen, ob der Kutscher die große Droschke auf Hochglanz gebracht hatte. Dann eilte er in den Pferdestall. Der Futtermeister lag noch schlafend im Stroh in einem kleinen Verschlag neben den Pferdeboxen und wurde von dem Alten jäh aus seinen Träumen gerissen: „Warum schläfst Du hier im Stall und nicht in Deinem eigenen Bett?“

„Gnädiger Herr“, stammelte der Futtermeister verschlafen, „Sie haben mir aufgetragen, in diesen Tagen besonders auf die Pferde zu achten und sie gut zu füttern. Und die Pferde schlafen besser, wenn sie mein Schnarchen hören. Ebenso finde ich bessere Ruhe, wenn ich das Schnauben der Pferde vernehme.“

„Ja, füttere die Pferde gut. Achte besonders auf die drei Rappen. Sie brauchen heute viel Kraft für eine lange Reise.“ Kaum waren die Worte verklungen, schon eilte er wieder davon. Kopfschüttelnd sah ihn der Futtermeister hinterher. So aufgeregt hatte er den gnädigen Herrn noch nie erlebt.

Der Gutsbesitzer machte sich auf die Suche nach Luba, die er schließlich in der Küche fand. „Mamuschka, ist alles geregelt? Hast Du meine Sachen gepackt und auch den guten schwarzen Anzug nicht vergessen?“

Selbstverständlich war alles in bester Ordnung. Der Koffer stand gepackt in der Diele; daneben ein großer Korb mit Essen und Getränken für die lange Reise. Auch an Decken hatte Mamuschka gedacht, damit der gnädige Herr sich in der Kutsche vor Zugluft schützen könnte.

Beim gemeinsamen Frühstück versuchte Luba dem alten Herrn durch ein munteres Geplauder etwas von seiner Aufgeregtheit zu nehmen.

Vergeblich!

„Heute ist ein großer Tag Mamuschka. Ich fahre nach Vilnius, um Elzbetha nach Hause zu holen“, versicherte der Alte und fügte dann entschuldigend hinzu: „An einem solchen großen Tag ist etwas Aufregung ganz natürlich.“

Später begab sich Herr von Drewitz in sein Arbeitszimmer. Doch auch hier - über seine Wirtschaftsbücher gebeugt - fand er keine Ruhe. Fast halbstündlich lief er hinaus auf die Veranda, um Ausschau nach einer Kutsche zu halten. „Wo bleibt Borris nur“, murmelte er mit zunehmender Ungeduld.

Wieder beruhigte ihn Mamuschka. Borris von Gersky, der Sohn des Gutsbesitzers des Nachbardorfes, würde gewiss pünktlich eintreffen, um den gnädigen Herrn nach Vilnius zu begleiten. Borris war Elzbethas bester Freund; sie hatten zusammen die Schule besucht und nun freute er sich mindestens so sehr wie der Alte, Elzbetha wiederzusehen.

Gegen Mittag vernahm Hermann von Drewitz endlich das Knattern eines Autos. „Kommt doch der Teufelskerl tatsächlich mit seiner modernen Benzinkutsche“, murmelte er hinaus eilend. Borris von Gersky wollte gern mit dem Auto nach Vilnius fahren. Doch davon wollte der Alte nichts wissen: „Ich bin immer mit meinen Pferden gereist und dabei bleibt es auch heute.“

Nach einem vorgezogenen Mittagessen ging die Reise los. Dreispännig mit einem Kutscher oben auf dem Bock machten sich Hermann von Drewitz und Borris von Gersky auf den Weg nach Vilnius. Sie legten einige Pausen ein, damit die Pferde sich ausruhen konnten, und erreichten bereits am frühen Nachmittag das beste Hotel in Vilnius, in den der alte Herr Zimmer reserviert hatte. Dort angekommen befahl der gnädige Herr dem Kutscher, die Pferde an dem Pfosten einer Bushaltestelle anzubinden und die Koffer auf die Zimmer zu bringen.

Während dessen inspizierte der Alte das Fürstenzimmer, in dem der große Abend stattfinden sollte. Ein runder Tisch war festlich für drei Personen gedeckt und der ganze Raum üppig mit Blumen geschmückt. Alles hätte zur vollsten Zufriedenheit des Gutsbesitzers sein können, doch er fand immer noch eine Kleinigkeit, die seines Erachtens verbessert werden konnte und beauftragte damit den diensteifrigen Hoteldirektor.

Plötzlich unterbrach der Hotelportier die Inspektion, bat um Entschuldigung für die Störung und berichtete aufgeregt, dass draußen auf der Straße der gesamte Verkehr stockte, der Linienbus nicht passieren konnte, weil die Kutsche mit dem Pferdegespann alles versperrte und niemand wagte, die wilden Rösser anzufassen.

Ein eingetroffener Polizist tat gewichtig: „Wem gehören die Pferde? Sie müssen hier sofort weg, sie behindern den Verkehr“, und als er den alten Herrn erblickte, “oh, Herr von Drewitz, diese wunderschönen Pferde gehören wohl Ihnen.“

„Ja, sicher doch“, versicherte der alte Herr. „Ich dachte, Sie hätten extra hier vor diesem Hotel diesen Pfosten anbringen lassen, damit ich daran meine Pferde anbinden kann. Ich wusste nicht, dass hier ein solches Ungetüm von Benzin-kutsche verkehrt.“

Ein Geldschein wechselte verstohlen den Besitzer, der zwischenzeitlich eingetroffene Kutscher brachte die Pferde fort und der Polizist machte sich daran, das Verkehrschaos aufzulösen.

Dieser kleine Zwischenfall hatte den Alten so fröhlich und beschwingt gestimmt, dass er seine Aufregung vergaß und auf seinem Zimmer für eine Zeit ruhte.

Kurz nach 19.00 Uhr fanden sich der alte Herr und Borris von Gersky im Fürstenzimmer ein. Der junge Borris hatte auf Geheiß ebenso wie der alte von Drewitz seinen besten schwarzen Anzug angetan. Der Alte trug außerdem eine graue Samtweste. Über seinen mächtigen Bauch spannte sich eine Uhrkette aus geflochtenem Frauenhaar, die der Alte aus den Zöpfen seiner Tochter Elzbetha hatte flechten lassen, als diese als junges Mädchen eine moderne Frisur wünschte und die Zöpfe abschneiden ließ. An dieser Kette zog der Alte alle paar Minuten aus seiner Westentasche eine schwere goldene Uhr hervor, um die Zeit zu prüfen.

Endlich war es soweit.

Der Hotelportier führte Elzbetha von Drewitz in Begleitung eines jungen Mannes in das Fürstenzimmer. Beim Anblick des langhaarigen Begleiters verschlug es dem Alten schier die Sprache. Elzbetha erkannte das Entsetzen in seinen Augen und stellte amüsiert fest: „Liebster Papa, ich möchte Dir meinen Freund Alexander Kustonow vorstellen. Er hat mich hierhin zum Hotel begleitet, muss uns leider aber gleichwieder verlassen, da er heute Abend in der Oper dirigiert.“

Der Alte war erleichtert. Kurz begrüßte er den Dirigenten, stellte Borris von Gersky vor und umarmte dann seine Tochter so lange und innig, dass beide für einen Moment Raum und Zeit vergaßen.