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Matilda wächst behütet mit ihrer geliebten Cousine Judith in Flandern auf. Doch als sie ins heiratsfähige Alter kommen, wird Judith mit dem illustren, englischen Grafen Torr vermählt, während Matilda William, den Herzog der Normandie, ehelichen soll. William ist als machthungriger, unerbittlicher Herrscher bekannt, aber Matilda entdeckt bald auch einen Mann von unerwarteter Güte, der ihr sein Herz schenkt. Unablässig verfolgt er jedoch ein Ziel: den englischen Thron zu erobern. Und so stehen Matilda und Judith plötzlich auf gegnerischen Seiten in einem erbarmungslosen Krieg um die Krone ...
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Seitenzahl: 629
Buch
Matilda wächst behütet an der Seite ihrer geliebten Cousine Judith bei ihren mächtigen Eltern, dem Grafen von Flandern und seiner Frau, der Tochter des Königs von Frankreich, auf. Doch als die beiden unzertrennlichen Freundinnen ins heiratsfähige Alter kommen, müssen sie einander schweren Herzens Lebewohl sagen. Während Judith die Reise nach England antritt, um den illustren Grafen Torr zu heiraten, macht sich Matilda auf in die Normandie, deren berüchtigten, machthungrigen Herzog sie zum Mann nehmen soll. William ist als unerbittlicher Herrscher bekannt, der sich die Herzogswürde schwer erkämpfen musste. Aber unter seiner harten Schale entdeckt Matilda bald einen Mann von unerwarteter Güte, der sich eine Familie wünscht und ihr sein Herz schenkt. Ein Mann, der jedoch vor allem unablässig ein Ziel verfolgt: den englischen Thron zu erobern. Und so stehen Matilda und Judith plötzlich auf gegnerischen Seiten in einem erbarmungslosen Krieg um die Krone …
Weitere Informationen zu Joanna Courtney
sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Joanna Courtney
Der rubinrote Thron
Historischer Roman
Aus dem Englischenvon Nicole Hölsken
Die englische Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel »The Conqueror’s Queen« bei Macmillan, an imprint of Pan Macmillan, London.
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1. Auflage
Deutsche Erstveröffentlichung August 2019
Copyright © der Originalausgabe by Joanna Courtney
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2019
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: Kette: Moscow, late 14th or early 15th century / Kremlin Museums, Moscow, Russia / Bridgeman Images
Alles außer Kette: FinePic®, München
Redaktion: Eva Wagner
MR · Herstellung: kw
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN: 978-3-641-22151-5V001
www.goldmann-verlag.de
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Für meine Mom und meinen Dad, die mich, obwohl beide Chemiker waren, in meinem leidenschaftlichen Wunsch, Schriftstellerin zu werden, immer unterstützt haben
Manchmal, wenn sie die Augen schließt, kann Matilda es immer noch spüren – das wilde Pulsieren des wirbelnden, lebenssprühenden Tanzes, das ihr zum ersten Mal in ihrem Leben vor Augen führte, wie viel Macht ein Mann haben kann. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie Tanz für etwas Vornehmes gehalten, für etwas Elegantes, Magisches, aber in jener Nacht hatte sie seine dunklere Seite entdeckt – und Gefallen daran gefunden. Wie erregend es gewesen war, das starke Pochen des Herzens in der Brust des anderen zu spüren, ebenso wie die sicheren, starken Arme, die sie mit sich gerissen hatten, sobald die leichte Änderung des Rhythmus es erforderte, so schwungvoll, dass sie in ihren prächtig verzierten Schuhen auf Zehenspitzen hatte tanzen müssen.
»Ihr seid zu gut für mich, Komtess.«
Seine Worte waren flüsterleise wie Schmetterlinge über ihre Wange hinweggeweht und hatten sie mit einer feinen Röte überzogen.
»Das ist wahr«, hatte sie zugestimmt, denn so war es.
Er, Lord Brihtric, war der angelsächsische Botschafter am Hof von Brügge, und sie war Komtess Matilda, die älteste Tochter des großen Grafen Balduin. Er war ein kleiner Grundbesitzer in einer grünen Ecke Südenglands – sie war die Nichte von König Henri von Frankreich. Er hätte eine Frau aus dem niederen Adel heiraten sollen – ihr hingegen war es vorbestimmt, eine großartige Partie zu machen, um vorteilhafte Beziehungen zwischen Flandern und einem anderen großen Land zu knüpfen. Und doch hatte er die Haltung eines mächtigen Mannes und machte sie deshalb, sobald er sie in den Armen hielt, zu einer mächtigen Frau.
»Aber das heißt doch nicht«, fügte sie hinzu, »dass man nicht mit mir tanzen kann?«
Darüber lächelte er und hob sie dichter an seine breite Brust. Und dann, mit einem leisen Lachen, das köstlich durch die festliche, verräucherte Luft perlte, wirbelte er sie herum, bis ihr königliches Blut so heftig unter ihrer Haut pulsierte, als wolle es sie sprengen, und ihr war so leicht ums Herz, dass auch sie laut auflachte.
Das Tempo des Stücks war viel berauschender als jeglicher Wein, und die Musik schien um sie herum lebendig zu werden – die fröhliche Melodie der Fiedel, das Trällern einer winzigen Flöte und das Pulsieren der Trommel darunter. Die Luft war erfüllt von den exotischen Parfums der Edlen Damen – Zimt und Piment, das auf den blühenden Märkten Brügges erstanden worden war und sich nun mit dem Geruch des Fleisches über dem Feuer und dem warmen Moschusduft der Männer vermischte. Und seine Augen waren blau wie die aller Angelsachsen, wie der Sommerhimmel. Sie versenkten sich in die ihren. Alles Lachen war daraus verschwunden, und stattdessen blickte er innig und zutiefst entschlossen drein.
War das ein Kuss gewesen? Nicht wirklich. Nicht einer von der wilden und feuchten Sorte, über die in den Frauengemächern gekichert wurde. Nein, vielmehr waren seine Worte über ihre Lippen hinweggeweht und hernach im Gewimmel der anderen Tänzer verschwunden, die sich dort zusammendrängten, sich drehten und schwatzten, als sei dies nichts anderes als ein ganz gewöhnlicher Abend bei Hof.
»Ihr seid zu gut für mich, Komtess.«
Worte oder Kuss? Sie weiß es bis heute nicht, kann beides nicht auseinanderhalten, denn sie waren verloren, bevor sie überhaupt begonnen hatten. Man hatte den Gong geschlagen, und ihr Vater hatte befohlen, den Tanz zu beenden. Brihtric war fort gewesen, und Ungemach hatte sich auf die romantisch schwelgende Matilda herabgesenkt.
Teil Eins
Brügge, Juni 1049
Ich werde diesen Mann nicht heiraten.«
Matilda stemmte die Hände in die Hüften. Ihr ganzer Körper bebte vor Zorn, aber sie zwang sich zur Ruhe, denn sie wusste aus jahrelanger Erfahrung, dass ihr Vater nichts für Wutanfälle übrig hatte. Die Haut um Graf Balduins sonst so freundlichen Mund spannte sich bereits, und seine Finger umklammerten den breiten Ledergürtel. Matilda machte hastig einen Schritt nach vorn, wobei sie allerdings den Kopf mit dem kupferfarbenen Haar bewusst züchtig senkte.
»Das heißt …« Sie rang um Worte. »Ich dachte, Ihr hieltet nach einer ›hervorragenden Partie‹ für mich, Eure älteste Tochter, Ausschau?«
Balduins Augen wurden schmal. »Das ist eine hervorragende Partie, Matilda.«
Ihr Kopf fuhr in die Höhe, so verblüfft war sie. »Aber Vater, wie kann das möglich sein? Er ist ein Bastard.«
Matilda spürte, wie sich das Schweigen ihres Vaters in der warmen Luft des Familiengemachs unbehaglich ausdehnte. Sie sah zu der gebogenen Fensteröffnung hinauf, sehnte sich danach, in die hübsche Stadt Brügge zu entkommen, die direkt hinter den Palastgärten lag. Aber das Glas, das ihre Mutter im vergangenen Jahr hatte einsetzen lassen, verzerrte und verschleierte ihren Blick auf die Dächer und Türme da draußen. Sie zwang sich, Graf Balduin erneut anzusehen.
»Es stimmt doch, Vater, oder etwa nicht? Sicherlich können wir doch vernünftig über die Angelegenheit reden? Habt Ihr uns nicht so erzogen? Stell alles infrage – das habt Ihr mir stets eingeschärft.«
»Alles außer mich«, erwiderte Balduin scharf. »Ich muss dich unter die Haube bringen, Tochter, bevor du unbesonnen handelst und es selbst in die Hand nimmst – noch einmal. Herzog William ist ein ebenso guter Kandidat wie jeder andere, ob er nun ein Bastard ist oder nicht. Vielleicht wird er dich ja irgendwann zähmen können, denn mir ist das offensichtlich nicht gelungen.«
Matilda spürte, wie die verräterischen Tränen ihr in die Augen traten, und bemühte sich verzweifelt, sie zurückzuhalten. »Das alles geschieht also wegen … wegen Lord Brihtric?«
»Nicht seinetwegen, Matilda, nein. Ich habe diese Partie gründlich überdacht, denn sie hat große politische und persönliche Vorteile, sowohl für Flandern als auch für dich. Auch der Zeitpunkt ist gut, wie dein unziemlicher Ausbruch mir gerade vor Augen führt. Du bist mittlerweile zu wild geworden, und ich kann nicht zulassen, dass du uns noch einmal zum Narren hältst.«
»Ich habe nie …«
»Schweig!«
Mit dem Fuß zerrieb Matilda die Binsen auf dem Eichenfußboden, wobei sie wütend einen Rosmarinzweig unter ihrem Zeh zertrat. Sie war nicht »wild« geworden. Es war nur ein Brief, nur ein Vorschlag gewesen. Sie hatte geschrieben, dass sie Lord Brihtric mit Freuden empfangen würde, falls er Flandern noch einmal besuchte. Sie hatte mit keinem Wort angedeutet, ihn heiraten zu wollen. Die Dummköpfe, die ihrem Vater als Spione dienten, hatten lediglich ihre Wortwahl fehlinterpretiert, das war alles. Sie wusste immer noch nicht, auf wen sie wütender sein sollte: auf die Handlanger ihres Vaters oder auf Brihtric, der zugelassen hatte, dass sie den verdammten Brief in die Finger bekamen. Und jetzt schien es, als werde sie wegen dieser kleinen Schwäche an irgendeinen ungehobelten Emporkömmling von normannischem Herzog gefesselt. Sie zerquetschte einen weiteren Rosmarinzweig und zwang sich, wieder aufzublicken.
»Ich stelle nicht Euch infrage, Vater. Ich bitte nur um ein paar weitere Einzelheiten. Ihr habt mir stets versichert, dass königliches Blut in meinen Adern fließt, das ich nicht mit einem Mann niederer Abstammung vermischen dürfte, und doch …«
»Und doch, Matilda, kann Königtum genauso erstritten wie ererbt werden.«
»Nein, das kann es nicht«, widersprach Matilda. »Man kann vielleicht eine Krone erobern, nicht aber eine Blutlinie verändern.«
Graf Balduin blickte zu den elegant bemalten Dachsparren empor und seufzte.
»Wessen Idee war es, diesen Mädchen Unterricht zu erteilen?«, fragte er, und seine scharfen Augen richteten sich mit einem Mal auf seine Gemahlin Adela, die dem Wortwechsel mit dem gleichen stillen, würdevollen Interesse gelauscht hatte, mit dem sie jeglicher Situation entgegentrat.
»Meine, mein Gemahl«, antwortete sie, ohne mit der Wimper zu zucken. »Denn ich wurde vor ihnen am königlichen französischen Hof erzogen. Bildung verleiht Frauen Finesse und macht sie zu nützlichen Gehilfinnen für ihre Ehemänner.«
»Und zu aufsässigen Töchtern ihren Vätern gegenüber«, konterte Balduin. »Es ist unerhört, einen Gemahl abzulehnen, der sorgfältig und mit Liebe ausgewählt wurde. Sprich du mit ihr, Adela.«
Matilda sah nun bewusst ihre Mutter an. Diese Diskussion versprach interessant zu werden, denn Adela war extrem stolz auf ihr königliches französisches Blut und hatte den Mädchen den Glauben an Abstammung und Blutlinie vermittelt.
»Ihr würdet es also befürworten, Mutter, wenn ich mit dem Bastardherzog einer Provinz vermählt werde, die kaum hundert Jahre alt ist?«
»Matilda«, knurrte Balduin, aber Matilda ließ ihre Mutter nicht aus den Augen, deren Gesicht einen unterhaltsamen Rotton angenommen hatte.
»Herzog William«, antwortete Adela nun bedächtig, »kann nichts dafür, im falschen Bett zur Welt gekommen zu sein.«
»Ha!«, krähte Balduin erfreut, was der dritten Frau im Raum ein erschrockenes Quieken abrang.
Matilda blickte sich verächtlich nach der jungen Frau um, die sie als ihre Base bezeichnete. Diese drückte sich an die Steinmauer, als wolle sie bereitwillig mit den dort hängenden reich verzierten Teppichen verschmelzen. Judith war zwei Jahre jünger als die achtzehnjährige Matilda, aber manchmal kam sie ihr nur halb so alt vor. Sie begeisterte sich für Kunst, und nichts liebte sie mehr, als die Nase in verstaubten Manuskripten zu vergraben oder sich stundenlang in üppig bemalten Kirchen aufzuhalten. Beides langweilte Matilda zu Tode.
Eigentlich war Judith ihre Tante – die Tochter von Graf Balduins Vater und dessen zweiter Frau –, aber nach dem Tod Balduins des Älteren war ihre Mutter, Eleonore von der Normandie, ohne sie in ihre Heimat zurückgekehrt und hatte sich dort in ein Kloster zurückgezogen. Und jetzt sollte es anscheinend Matildas Schicksal sein, ihr über diese vermaledeite Grenze zu folgen. Es sei denn …
»Warum denn nicht Judith?«, schlug sie eifrig vor. »Sie ist doch schon zur Hälfte Normannin. Sie könnte Herzog William heiraten.«
»Ich glaube nicht, dass Herzog William das will«, warf Judith geziert ein.
Matilda schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Die Normandie würde zu dir passen, Judi. Und du könntest deine Mutter wiedersehen.«
Judiths blaue Augen umwölkten sich. »Als meine Mutter den Schleier nahm, hat sie unmissverständlich deutlich gemacht, dass sie keinerlei Interesse an mir hat, Matilda – warum sollte sich das jetzt ändern?«
Matilda hörte den Schmerz in der Stimme der Base und hatte ein schlechtes Gewissen. Aber deshalb war ihre Idee noch lange nicht falsch.
»Und wenn schon – in der Normandie gibt es jede Menge Kirchen mit wunderschönen Gemälden. Das würde dir doch gefallen, und …«
»Nein«, schnitt Balduin ihr das Wort ab, und seine Stimme klang wie Eis. Matilda schluckte und warf ihm einen verzagten Blick zu. »Es wird keine Hochzeit für Judith geben, zumindest nicht in der Normandie, denn sie ist Herzog Williams Base und damit zu nah verwandt mit ihm, um ihn heiraten zu dürfen.«
»Und ich bin das nicht?«
Balduin trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, und sie spürte einen Hoffnungsschimmer.
»Du bist verwandt mit ihm, aber nur entfernt. Nur ein besonders kleinlicher Kirchenmann würde darin ein Hindernis sehen. Er ist eine gute Partie, Matilda.« Sein Tonfall ließ keinen weiteren Widerspruch zu.
»Was für ein Mann ist dieser William denn überhaupt?«, fragte sie also nervös.
»Was für ein Mann er ist?«, platzte Balduin heraus. »Er ist Herzog, Matilda.«
»Aber wie ist er?«
Balduin zog die Nase kraus. »Ich weiß es nicht. Groß, glaube ich. Und dunkelhaarig. Sein Haar ist ganz kurz geschoren – das habe ich bemerkt –, und er trägt keinen Bart. Sein Kinn ist nackt. Komplett nackt. Wahrscheinlich bearbeitet er es jeden verdammten Morgen mit seinem Messer. Seine Art zu reden ist kurz angebunden und effizient. Das gefällt mir – kein affektiertes Geschwätz. Herzog William verschwendet keine Zeit, und er ist stark. Man sagt, er könne einen Bogen weiter biegen als jeder andere Mann.«
»Einen Bogen biegen? Was für einen Nutzen hat das für einen Herzog?«
Balduin zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, aber ich habe sagen hören, dass William sehr erfinderisch ist. Und mit viel List und Tücke zu kämpfen weiß.«
»Aber wie tanzt er, Vater?«
Sie hatte bei der Frage einen leichten Ton angeschlagen, aber Balduin spannte sich sofort an.
»Ich weiß es nicht, Matilda, und ich hoffe doch sehr, dass er überhaupt nicht tanzt. Tanzen macht nur Probleme, besonders …« – er reckte ihr den Finger ins Gesicht, sodass sie zurückzuckte – »… wenn es um dich geht.«
»Aber …«
»Hör auf, Matilda. Lass derlei törichte Gedanken fallen. Ich will von diesem Unsinn nichts mehr hören, hast du verstanden?«
Matildas Haut prickelte, und sie musste sich mit der Hand an der Wand abstützen, um nicht zu schwanken. Die lästigen Tränen brannten erneut in ihren Augen, als ihr die bittersüße Erinnerung an jene magischen Tänze mit Brihtric wieder in den Sinn kam. Sie hatte sich für so glücklich gehalten, aber das war nur eine Illusion gewesen.
»Würde es dir denn nicht gefallen, Herzogin zu sein, Matilda?« Die leise Frage kam aus Adelas Mund.
Matilda sah ihrer Mutter in die Augen und versuchte, vernünftig über die Antwort nachzudenken. Adela hatte ihr stets beigebracht, alles genau zu durchdenken. »Männer haben mehr Körperkraft, aber mit ein wenig Übung haben Frauen den stärkeren Verstand«, hatte sie immer gesagt und dann hinzugefügt: »Glaub mir, ein scharfer Verstand schneidet tiefer als das beste Schwert.« Matilda musste jetzt nachdenken – und zwar schnell.
»Herzogin zu sein ist eine Ehre, Mutter«, stimmte sie also bedächtig zu. »Aber Ihr habt mich zur Königin erzogen.«
Adela sog so laut die Luft ein, dass es in dem prächtigen Gemach widerhallte, aber sie fasste sich schnell. »Wie dein Vater bereits sagte, Matilda: Eine Krone kann man sich erkämpfen.«
Matilda lachte bitter auf. »Oh, und welche Krone will Herzog William erobern? Die französische? Hat er das vor? Denn ich glaube, dann wäre Euer königlicher Bruder, König Henri, wohl kaum sehr erfreut, Mutter. Oder vielleicht die Krone des Kaiserreiches? Wird Herzog William Euch zu den Waffen rufen, um gegen Kaiser Heinrich um das deutsche Reich zu kämpfen, Vater?«
»Matilda, du gehst zu weit.«
»Aber wenn mein zukünftiger Gemahl eine Krone erobern wird, dann sollte ich doch sicher wissen, welche?«
»Still, Matilda«, protestierte Judith hinter ihr. »Das ist Verrat. Dieses Gerede ist …«
»England.«
Balduin sprach das Wort so leise aus, dass Matilda erst glaubte geträumt zu haben. Sie schürzte die Lippen, um es zu wiederholen, wagte es aber nicht. England war ein altes Land, reich an Schätzen und Traditionen und heiß begehrt in ganz Europa. Lord Brihtric besaß dort weitläufige Ländereien, und das hatte sehr zu seiner Anziehungskraft auf sie beigetragen. Sie blinzelte wütend, und als sie wieder klar sehen konnte, stand Balduin dicht vor ihr. Seine große Gestalt überragte ihre zierliche um Längen.
»Das habe ich nie erwähnt«, sagte er drängend.
»Aber …«
»Es ist Gerede, mehr nicht. Man sagt, dass König Edward denjenigen Ratgebern den Vorzug gibt, die er aus der Normandie mitgebracht hat, als er den angelsächsischen Thron für sich beanspruchte, und dass diese ihn vielleicht überreden, seinen Vetter William zum Nachfolger zu ernennen, da ihm ein Erbe fehlt. Aber das sind nur Gerüchte, Matilda, und es ist ausgesprochen unfein von dir, in dieser Sache nachzuhaken. Wir sprechen von der Zukunft – von Träumen, Möglichkeiten, Ungewissem. Derlei Dinge solltest du im reichen Quell deines Geistes bewahren, denn letztlich zählt nur die Gegenwart, und für dich bedeutet das die Normandie.«
»Und einen Bastard als Gemahl?«
Balduins Lächeln erstarb erneut, und Matilda spürte, wie sein Schatten und sein Zorn sie einhüllten.
»Dieser tollkühne Trotz, Tochter, steht dir nicht, genauso wenig wie dein leichtsinniges Handeln im vergangenen Jahr. Du hast deine Tändelei gehabt, Matilda. Du hast von deiner kleinen ›Romanze‹ gekostet, aber letztlich blieb der Teller leer. Die Liebe ist nichts, was einen einfach so überkommt, und das darf auch nicht sein. Man muss sie sich verdienen – durch jahrelange Partnerschaft, gemeinsame Ziele und wohlüberlegte Pläne. Ob ich deine Mutter liebte, als ich sie heiratete? Einen Teufel tat ich!« Adela rückte verlegen auf dem Stuhl hin und her, und Judith gab einen erstickten Schluchzer von sich, aber Balduin bemerkte es nicht einmal. »Politik, mehr war sie nicht. Wir haben uns unsere ›Liebe‹, wenn wir schon so ein Wort gebrauchen müssen, aufgebaut, ebenso wie ich Brügge aufgebaut habe, und ist sie deshalb nicht umso besser, Adela?«
Adela nickte stumm, aber Balduin sah es nicht, denn seine Augen ruhten immer noch auf Matilda.
»Herzog William ist ein prächtiger Mann, meine Tochter. Er ist ein großer Krieger und ein scharfsinniger und ehrgeiziger Regent. Er kann vielleicht tanzen, ich weiß es nicht, aber ich bezweifle es, und deshalb mag ich ihn umso mehr. Du hast genug getanzt, mein Mädchen – es wird Zeit, dass die Musik verstummt. Herzog William wird in der kommenden Woche an meinem Hof eintreffen, und du wirst ihn willkommen heißen. Ist das klar?«
»Vollkommen klar, Vater.«
»Wirst du ihn willkommen heißen?«
»Mit aller gebotenen Höflichkeit.«
»Mit offenem Herzen?«
Matilda biss sich auf die Lippe. »Mit offenem Geist.«
Balduin nickte knapp. »Das reicht.«
Er tätschelte ihr linkisch den Kopf und schritt davon.
Sie fühlte sich innerlich so verwundet, als hätte sie seine Fäuste zu spüren bekommen. Das sollte also ihr Schicksal sein – ihre Strafe. Ein Augenblick der Torheit, ein kleiner Tanz würde sie ihr Lebtag lang an den Bastardherzog ketten.
Ein scharfer Verstand schneidet tiefer als das beste Schwert, erinnerte sie sich selbst. Sie stieß Judiths Hand fort, die ihr ein Taschentuch hinhielt, und folgte ihrem Vater nach draußen. Dann rannte sie aus dem Hof hinaus, um Zeit und Freiraum zu finden und nachdenken zu können. Der Bastardherzog William sollte kommende Woche eintreffen. Sie musste bereit sein.
Brügge, Juli 1049
Ich habe gesagt, ich werde ihn nicht heiraten«, sagte Matilda und entzog sich ihren Zofen, die sie zu frisieren versuchten. »Was soll also dieser ganze Wirbel?«
Emeline zischte entrüstet und hielt Matildas kupferfarbenes Haar fest, sodass es ziepte. Matilda zuckte zusammen. Sie hatte ohnehin schon schlechte Laune, und dadurch wurde es auch nicht besser. Herzog William wurde jeden Moment erwartet, und Adela hatte ihren Hofdamen aufgetragen, sie »herzurichten«, eine Aufgabe, die sie äußerst ernst nahmen. Sie hatte das Gefühl, seit Stunden in diesem Gemach festzusitzen.
»Warum soll ich anziehend auf den Bastardherzog wirken, wenn ich ihn doch sowieso abweisen will?«, fragte sie, und Emeline lachte nur.
»Ah, ma chérie, gerade wenn man einen Mann abweisen will, sollte man am attraktivsten aussehen.«
Sie beugte sich vor, um ihrer Herrin zuzuzwinkern, und Matilda musste trotz ihrer schlechten Laune lächeln. Emeline war die Tochter eines französischen Adeligen, der jung gestorben war. Seine Witwe hatte nach seinem Tod viele verschiedene Bettgenossen gehabt, eine Gewohnheit, die ihre Tochter perfekt imitierte. Als dunkelhaarige junge Frau mit anmutiger Gestalt und einladendem Blick hatte es Emeline an Verehrern nie gefehlt, und das nutzte sie schamlos aus. Sie hatte sich in Adelas Dienste begeben müssen, als ihre Mutter sich schließlich doch auf eine zweite Ehe eingelassen hatte. Aber der Gräfin war sie auf die Dauer zu anstrengend gewesen, weshalb sie sie bereitwillig an ihre Tochter weitergereicht hatte. Seit diesem Zeitpunkt waren die beiden Frauen gute Freundinnen.
»Wen weist du denn diesmal ab, Em?«, fragte Matilda und betrachtete ihr raffiniertes, eng geschnittenes Kleid, ihr sorgfältig arrangiertes Haar und das zarte Rot auf Mund und Wangen.
Emeline schürzte die Lippen in provozierendem Schweigen und überließ die Antwort Cecilia, Matildas anderer Zofe, die Emeline so ähnlich war wie der Kett- dem Schussfaden.
»Es ist der arme Bruno.«
»Bruno?« Matilda sah Emeline erstaunt an. »Der Kämmerer meines Vaters? Aber Em, er ist alt.«
»Dreiundvierzig. So alt ist das gar nicht. Und außerdem wollte ich mal sehen, wie es mit ihm ist.«
»Und?«
Matilda wusste, dass sie eigentlich nicht hätte fragen dürfen. »Damen von königlichem Geblüt sollten dem Klatsch und Tratsch nicht frönen«, hatte Adela immer beharrt, obwohl Gott wusste, dass sie oft genug die Köpfe mit ihren eigenen Freundinnen zusammensteckte. Matilda hatte ihr daraus einmal einen Vorwurf gemacht, und Adela hatte hochmütig erklärt, dass sie keine Klatschgeschichten, sondern »Informationen« austauschten. Diese Antwort gehörte zu den nützlicheren Lektionen in Matildas Erziehung, und so blickte sie nun erwartungsvoll zu Emeline auf.
»Zuerst war es ganz gut«, bekannte diese mit einem keuschen Lächeln, das jedoch niemanden zum Narren halten konnte. »Er war sehr aufmerksam und sehr … dankbar.«
»Zuerst?«
Emeline seufzte dramatisch. »Ihm mangelte es an …«
»Energie?«, schlug Cecilia vor.
Cecilia stammte aus einer bodenständigen flandrischen Familie und stand schon länger als Emeline in Matildas Diensten. Anfänglich hatte Cecilia die junge Frau abgelehnt. Sie war so vierschrötig wie Emeline wohlgerundet, und so still wie Emeline schwatzhaft. Außerdem hatte sie das französische Mädchen kaum verstehen können, aber Emeline hatte sie beharrlich immer wieder ins Vertrauen gezogen, und so war sie Cecilia schließlich doch ans Herz gewachsen. Ebenso wie Matilda lebte sie quasi aus zweiter Hand von Emelines Abenteuern.
»Nein, das nicht – eher an Durchhaltevermögen!« Emeline kicherte. »Ich brauche wieder einen jüngeren Mann. Aber vielleicht bringt dieser Herzog ja ein paar nette Normannen mit.«
Matilda grunzte, und ihre schlechte Laune kehrte sofort zurück. »Normannen sind nicht ›nett‹, Emeline. Das solltest du doch besser wissen als alle anderen.«
Der zweite Gemahl von Emelines Mutter war ein normannischer Vicomte gewesen, und weil Emeline die Normandie so verhasst gewesen war, hatte ihre Mutter sie schließlich in Adelas Dienste gegeben. Doch jetzt zuckte die junge Frau nur mit den Achseln.
»Ich will keine netten Männer mehr.«
Matilda stöhnte und sah Cecilia an. »Du wirst heute Nacht wieder auf der Pritsche schlafen müssen, fürchte ich.«
Cecilia nickte unbeeindruckt. Matildas Zofen teilten sich die kleine Kammer neben ihrem Gemach, aber häufig hatte Emeline jemanden bei sich, der unterhaltsamer zu sein versprach. Dann zog sich Cecilia auf die Pritsche am Fußende von Matildas großem Bett zurück. Wenn Adela hereinkam, behaupteten sie stets, dass Matilda unruhig geschlafen habe. Matilda befürchtete, dass sich ihre Mutter vollkommen unnötige Sorgen über ihren Schlafrhythmus machte.
»Zumindest wird dich die Ehe einigermaßen ermüden«, hatte sie neulich bemerkt, und Matilda hatte sich voller Verlegenheit abgewandt. Es war eine Sache, mit Emeline Geschichten aus dem Schlafgemach auszutauschen, die dieses Thema so leichthin behandelte, als spreche sie übers Jagen oder Tanzen. Aber ganz sicher wollte sie nicht mit ihrer Mutter über so etwas reden.
»Was, wenn er mir nicht gefällt?«, hatte sie scharf erwidert. Daraufhin hatte Adela sehr zu Matildas Verdruss nur traurig gelächelt.
»Dann wirst du lernen, dich damit abzufinden. Immerhin hast du die Pflicht, Erben hervorzubringen.«
»Ja, aber …«
Adela hatte die Augenbrauen bis zur Schmerzgrenze nach oben gezogen, und Matilda hatte das Thema dankbar fallen lassen.
»Bist du jetzt fertig?«, fragte sie nun und führte die Hand an ihr Haar.
»Beinahe«, antwortete Emeline und schob sie sanft fort. »Ihr werdet wunderschön aussehen, Matilda. Seht doch: Euer kupferfarbenes Haar glüht, als berge es alte Geheimnisse. Und die Stickerei auf Eurem Gewand bringt das Blau und Grün in Euren Meeraugen erst so richtig zur Geltung!«
»Meeraugen, Emeline!«, schnaubte Matilda, aber Emeline zuckte nur anmutig mit den Schultern und hielt ihr einen kleinen Handspiegel hin.
»Es ist wahr, ma chérie. Der Herzog wird von Euch wie geblendet sein.«
»Oh, gut«, gab Matilda dumpf zurück, obwohl sie nach dem Blick in den Spiegel zugeben musste, dass ihre beiden Kammerzofen hervorragende Arbeit geleistet hatten.
Ihre langen Zöpfe waren mit Goldfäden und winzigen Juwelen durchwirkt, die wie Rosenknospen geformt waren, und schimmerten im Sonnenlicht, das durch die Fensteröffnung hineindrang, sodass die Bronze- und Kupfertöne ihres Haars besonders gut zur Geltung kamen.
»Es wird also eine besonders schöne Abfuhr sein«, bemerkte sie kühn. Aber als sie sich erhob, spürte sie, wie ihre vermaledeiten Knie zitterten, und musste sich mit der Hand an ihrem geschnitzten Eichenfrisiertisch festhalten, um sich zu stützen.
Die Wahrheit war, dass sie in den vergangenen Tagen zwar scharf nachgedacht, aber trotzdem keinen klugen Ausweg gefunden hatte, durch den sie ihrem Vater diese Verbindung hätte ausreden können. Jetzt konnte sie nur noch beten, dass die Verhandlungen schieflaufen würden. Jedes Mal wenn sie daran dachte, dass man sie bald von Brügge mit seinen eleganten Bauten, den exotischen Märkten und dem lebendigen Hof fort in die Normandie schicken würde, wo sich – wie sie gehört hatte – alles hinter den düsteren, hohen Burgmauern verschanzte und man das gegenseitige Abschlachten für das Hauptvergnügen hielt, stockte ihr das Herz.
Sie konnte es nicht verstehen. Ihr Leben lang war ihr Vater ihr wohlgesinnt gewesen. Er hatte Unmengen von Geld für ihre Gewänder und Pferde ausgegeben, ihre hervorragende Erziehung finanziert und sie schon in frühen Jahren in die Gesellschaft eingeführt. Warum also wollte er sie nun in die Normandie verbannen, mit einem Herzog, der seinen Titel mit sieben Jahren geerbt hatte und anscheinend seitdem damit beschäftigt war, Rebellionen niederzuschlagen? Die Chancen standen gut, dass ihr frischgebackener Ehemann dereinst nur wenige Wochen nach der Hochzeit getötet würde.
Die Aussicht, womöglich schnell wieder Witwe zu werden, heiterte sie ein wenig auf, und sie strich gerade ihr weinrotes Kleid glatt, als die Tür aufflog und Judith hereinstolperte.
»Er ist da.«
Sofort verließ sie wieder der Mut, und nervös trat sie ans Fenster, verfluchte ihre geringe Körpergröße, denn sie konnte die Menschen kaum sehen, die sich direkt unter ihnen befanden. Dennoch konnte sie erkennen, dass sich der ganze Hof draußen versammelt hatte. Die Leute standen in vereinzelten Gruppen zusammen, unterhielten sich leise und fächelten sich in all ihrem Putz Luft zu, denn die Sonne brannte gnadenlos auf sie herab. Die Tore auf der gegenüberliegenden Seite des großen Innenhofs standen einladend offen, die Wachen zu beiden Seiten in Habachtstellung, aber noch näherte sich niemand über die Myriaden von Brücken, die Reisende über Brügges zahlreiche Kanäle zum gräflichen Palast im Herzen der Stadt führten.
»Es ist noch niemand da, Judi.«
»Nicht hier hier«, berichtigte Judith, »sondern in den Randausläufern der Stadt. Ein Bote kam soeben herbeigeritten. Graf Balduin sagt, du sollst sofort nach unten gehen. Wir müssen alle vor dem Palast stehen, um den Herzog willkommen zu heißen.«
»Ich verstehe.«
Matilda betrachtete den geschnitzten Eichenzaun, der den eleganten Palasthof umgab. Wann immer Adela ein weiteres fürstliches Kind zur Welt gebracht hatte, hatte Balduin befohlen, ein Brett durch ein neues zu ersetzen, auf der der Name des neuen Prinzen oder der neuen Prinzessin eingraviert war. Matilda liebte sie, und wenn sie sich verloren oder unsicher fühlte, pflegte sie nach draußen zu gehen und ihren eigenen Namen auf dem Eichenbrett zu betrachten, der ihren Platz am geschäftigen flandrischen Hof anzeigte. Sie suchte auch jetzt danach, aber er wurde von der Menge verdeckt.
Judith zog sie am Ärmel. »Matilda, bitte, sonst wird der Graf wütend.«
»Und der Herzog?«, fragte Matilda und widersetzte sich eigensinnig. »Wird der Herzog auch wütend sein?«
»Ich gehe davon aus. Sie sagen, er sei sehr wild. Oh. Das heißt … Ich bin sicher, bei dir wird er das nicht sein, Matilda.«
»Du bist dir überhaupt nicht sicher, Judi. Das ist keine von uns. Aber wenn er wütend ist, dann will er mich vielleicht nicht heiraten. Sag Vater, dass ich noch nicht fertig bin.«
»Matilda, nein!« Hinter dem Palast erhoben sich schwache Jubelschreie. »Du musst kommen.«
Judith zog erneut an ihrem Arm, aber obwohl ihre Base beinahe einen Kopf größer als sie selbst und demzufolge auch stärker war, widersetzte Matilda sich weiter. Schließlich legte ihr Emeline die Hand ins Kreuz und stieß sie energisch voran.
»Ihr könnt ihn nicht von hier oben aus abweisen, Herrin«, flüsterte sie.
Matilda zwang sich zu einem Lächeln. Flüchtig – und keineswegs zum ersten Mal – wünschte sie sich, Emeline zu sein und tun und lassen zu können, was sie wollte. Aber sofort wies sie sich selbst zurecht. Sie war eine flandrische Komtess. Das war ein Privileg und eine Freude, sogar in diesem Augenblick.
»Gehen wir also«, sagte sie knapp und schritt, mit einer dankbar aufatmenden Judith im Gefolge, aus ihrem Gemach, um den Mann zu begrüßen, den sie unter keinen Umständen heiraten wollte.
Matilda nahm ihren Platz an der Seite ihres Vaters auf der marmornen Plattform vor dem Palast ein, als die immer lauter werdenden Hochrufe auf den Straßen dahinter Herzog Williams bevorstehende Ankunft ankündigten. Balduin hatte diesen imposanten Steinblock vor einigen Jahren aus Byzanz einführen lassen, und zwar ausschließlich für derlei Paraden oder Gelegenheiten. Er war vor dem Palast platziert, elegant in seiner reinweißen Schlichtheit, und sorgte dafür, dass die gräfliche Familie die restliche Menge um fast eine halbe Mannshöhe überragte. Zu Ehren der heutigen Ereignisse war Matilda der Vortritt vor ihrem selbstgerechten älteren Bruder Balduin gewährt worden, und sie konnte sich ein ironisches Lächeln nicht verkneifen, als sie ihren Platz einnahm. Aber er ließ sich nicht so leicht einschüchtern.
»Mach das Beste draus, Schwester – bald wirst du dich nämlich dem Bastardherzog unterwerfen müssen.«
Matilda juckte es in den Fingern, ihm einen Stoß zu versetzen, aber eine unziemliche Rauferei unter Geschwistern hätte den Grafen wohl kaum erfreut, also gab sie sich mit der Antwort zufrieden: »Zumindest will mich jemand heiraten, Balduin. Du hingegen bist viel zu hässlich für eine Braut.«
Balduin grinste lässig. »Aber ich bin der Erbe Flanderns, liebste Matilda. Ich könnte hässlich wie die Sünde sein – was nicht der Fall ist – und hätte immer noch reichlich Auswahl unter den Edlen Damen.«
Matilda biss angesichts der Wahrheit dieser Aussage die Zähne zusammen und blickte hinüber zu ihren übrigen Geschwistern, die sich um ihre Mutter scharten und schwatzten, als sei das hier ein ganz normaler Staatsempfang. Unsicher strich sie sich über das golddurchwirkte Haar und nahm auf den hohen hölzernen Absätzen, die sie ein wenig größer machen sollten, Haltung an. Sie war daran gewöhnt, bei offiziellen Anlässen an der Seite ihres Vaters zu erscheinen, aber noch nie hatte sie sich den öffentlichen Blicken dermaßen ausgesetzt gefühlt. Jedermann wusste, warum Herzog William hier war. Jedes elegant gekleidete Mitglied des Hofes, jeder Diener, der geschäftig umhereilte, um das Festmahl vorzubereiten, und jeder dunkelhäutige Händler auf dem Markt wusste Bescheid, und sie spürte aller Augen auf sich, als ob sie einzuschätzen versuchten, ob sie dieser Ehre auch würdig war.
»Er ist nur ein Bastardherzog«, hätte sie ihnen am liebsten zugerufen, aber ungeachtet Williams zweifelhafter Abstammung hatte dieses Ereignis bereits seinen eigenen Verlauf genommen: Die Menge war in so festlicher Stimmung, dass er genauso gut auch König Henri von Frankreich hätte sein können.
»Er ist da!«
Wieder war es Judith, die aufgeregt von ihrer niederen Position im hinteren Bereich des Familienpodests kreischte. Matilda spürte, wie ihr Herz schneller schlug, und zwang die Beine fester auf den Marmoruntergrund, damit sie nicht zitterten, als die normannische Delegation durch das Tor hereinritt. Herzog William hatte um ihre Hand angehalten, rief sie sich ins Gedächtnis. Sie musste ihn in keinerlei Weise beeindrucken, sondern ihm lediglich vor Augen führen, was er verpasste. Sie sah verstohlen zum Fenster ihres Gemachs hinauf und entdeckte dort Emeline und Cecilia, die sich eifrig hinauslehnten. Wie gern hätte sie die beiden Frauen in diesem Augenblick an ihrer Seite gehabt. Aber die Gäste kamen immer näher, und ihr blieb nichts anderes übrig, als sie erhobenen Hauptes zu erwarten, und zwar allein.
Die Menge stand dicht gedrängt, und die Neuankömmlinge auf ihren großen Rössern bewegten sich vorsichtig am Rand des Hofes auf sie zu, sodass Matilda genug Zeit blieb, um sie näher zu betrachten. Es war eine düstere Gruppe, mit Kettenhemden bekleidet, als befürchteten sie, von den flämischen Bauern angegriffen zu werden. Das einzig Farbige waren ihre Umhänge, die allesamt rot waren, das gleiche Rot, wie sie zu ihrem Schrecken erkannte, wie ihr eigenes Kleid.
»Optisch passt du schon dazu, Matilda«, flüsterte ihr ihr Bruder ins Ohr.
Sie ließ sich nichts anmerken, machte aber bedächtig einen Schritt nach hinten und bohrte Balduin den Absatz ihres Schuhs auf den Zeh. Sie hörte, wie er einen Schmerzenslaut unterdrückte, und fühlte sich gleich besser – wenn auch nicht allzu sehr. Wie um alles in der Welt sollte sie erkennen, welcher dieser identisch aussehenden Männer der Herzog war? Sie sahen alle gleich aus: das dunkle Haar kurz geschnitten unter dem strengen Helm, das Kinn so glatt wie das eines Knaben. Man hatte ihr berichtet, dass dieser Herzog vor allem Soldat war, aber trotzdem hatte sie erwartet, dass er zumindest als ihr Anführer herausragen würde. Und dann, als sie um die Kurve des Pfades kamen, der den Hof umgab, und auf die gräfliche Familie zuritten, teilten sich die beiden vordersten Reiter auf, und sie entdeckte ihn – unverkennbar.
Herzog William ritt auf einem kohlrabenschwarzen Hengst, der einige Handbreit höher war als die Rösser seiner Gefährten. Der Sattel des Tieres war scharlachrot, und es trug eine zeremonielle Haube in der gleichen Farbe, die den Blick auf seine dunklen Augen lenkte. Allerdings nur für einen Augenblick, denn der Reiter war sogar noch hypnotisierender als das Pferd. Der Herzog trug ebenfalls eine Rüstung wie seine Männer, aber die seine war aus Silber und glänzte, als sei er selbst die Sonne. Auch sein Umhang war scharlachrot, aber über und über mit goldenen Kreuzen bestickt, und um seinen Helm trug er ein einfaches, aber schimmerndes und mit Rubinen besetztes Diadem. Er saß aufrecht im Sattel und zügelte sein prächtiges Ross mehrere Schritte vor dem Marmorblock. Seine Augen wanderten über die Familie hinweg und blieben dann mit grimmiger Gewissheit auf Matilda haften.
»Gott zum Gruß, Herzog William«, rief Graf Balduin und breitete die Arme aus. »Ihr seid in meinem bescheidenen Palast von Herzen willkommen.«
»Er ist prächtig, Graf, und gereicht Euch zur Ehre – ebenso wie Eure Tochter.«
Matilda zuckte zusammen. Jetzt schon sprach er von ihr. Hatte er denn keine Manieren?
»Ich danke Euch«, antwortete Balduin leichthin.
»Ich freue mich auf eine ertragreiche Allianz zwischen uns«, fuhr Herzog William lautstark fort.
Die Edlen Damen Flanderns kicherten, als seien sie in den privaten Frauengemächern, und Matilda sah zu Adela hinüber. Mit Freuden stellte sie fest, dass ihre Mutter sich genauso unbehaglich fühlte wie sie selbst. Graf Balduin jedoch strahlte unwandelbare Heiterkeit aus.
»Darf ich, Herzog, Euch Komtess Matilda vorstellen?« Er ergriff Matildas Arm und zog sie zur Vorderkante der Plattform wie ein Sklavenmädchen, das zum Verkauf anstand. Matilda widersetzte sich wütend und spürte, wie die Hand ihres Vaters fester zupackte. »Meine Tochter«, sagte er schnell an den Herzog gewandt, der sie wortlos beobachtete, »ist ein wenig nervös.«
Nervös! Matilda öffnete den Mund, um zu protestieren, aber bevor sie überhaupt Luft holen konnte, hatte Herzog William seinem großen Hengst die Sporen gegeben und preschte auf sie zu. Das Tier stampfte die kurze Strecke zu ihr hinüber, die Nüstern geweitet und der Blick der dunklen Augen unter der dunkelroten Haube zielgerichtet. Matilda stand da wie erstarrt, fühlte sich wie eine Maus unter dem Blick des Falken, der sich auf sie herabstürzt. Sie hörte das Keuchen der Menge, spürte, wie ihr Vater zurückwich, sah aus den Augenwinkeln, wie ihre Mutter die jüngeren Geschwister um sich scharte, und dann schoss eine Hand im Kettenhandschuh hervor und umfing ihre Taille, packte unbeholfen den Stoff ihres Gewandes, um sie dann wie ein Püppchen aufs Pferd zu heben.
Das Tier war nicht stehen geblieben, und einen Augenblick lang baumelte sie herab, und ihr zierlicher Körper stieß gegen die mächtige Flanke des Hengstes. Ihre Beine waren seinen fliegenden Hufen gefährlich nah, bevor William sie hochhob, als sei sie leicht wie Stroh, und sie in einer wenig eleganten Umarmung vor sich auf den Sattel hob. Ihr goldenes Diadem flog ihr vom Kopf und hüpfte in einem Wirbel aus Licht über die Pflastersteine, und ihre Zöpfe verfingen sich in seinem silbernen Kettenhemd, sodass ihr Tränen des Schmerzes in die Augen traten.
»Was um Himmels willen …?«, keuchte sie schließlich, als sie die entlegenste Ecke des Hofes erreicht hatten.
Sie spürte aller Augen auf sich, als die Menschen ihnen auswichen, und verlagerte sich unbeholfen, um etwas züchtiger im Sattel zu sitzen. Man konnte ihre Knöchel sehen, und ihr hübsches Kleid hatte an der Taille einen Riss. Sie drehte sich im Sattel um, um ihren Eroberer wütend anzufunkeln.
»Wie könnt Ihr es wagen?«
Er wirkte verblüfft. Aus der Nähe war er gut aussehend – unerträglich gut aussehend. Sein rasiertes Gesicht war schmal, das Kinn auffällig kantig, da es nicht von einem Bart verborgen wurde, und seine überraschend vollen Lippen waren markant. Seine Augen waren ebenso dunkel wie die seines Pferdes, aber von silbernen Flecken durchsetzt, die sie jetzt, aus der Nähe, besonders lebendig wirken ließen. Sie musste sich dazu zwingen, weiter streng dreinzublicken. Sein ungehobelter Griff tat ihr weh, und einer ihrer Zöpfe hing immer noch in den Ringen seines Kettenhemdes fest, weshalb sie es nie gewagt hätte, in die Freiheit zu springen, auch wenn das Pferd kleiner oder der Griff um ihre Taille weniger entschlossen gewesen wäre.
»Ich bin eine flandrische Komtess«, stieß sie hervor. »Nicht irgendeine einfache Magd, mit der man nach Gutdünken umspringen kann, wie man will.«
Er runzelte die Stirn. »Ich bedaure, dass Ihr das so seht.«
Matilda blinzelte. »Wie sollte ich es denn sonst sehen?«
Er zuckte mit den Schultern und wirkte plötzlich trotz seines beeindruckenden Aussehens sehr jung. »Ich hatte vor«, sagte er mit leiser Stimme, »Euch durch meine Stärke zu beeindrucken. Ich nehme an, dieses Ziel habe ich nicht erreicht?«
»Ich bin eher lädiert als beeindruckt«, bekannte sie.
»Das tut mir leid. Meine Mutter riet mir, Euch einfach mitzureißen.«
Matilda verkrampfte sich, als er Herleva erwähnte, die schöne Konkubine, die Herzog Roberts Herz gefangen genommen und ihm den Bastard geschenkt hatte, der sie nun vor dem gesamten prächtigen Hof ihres Vaters auch noch zitierte.
»Und Ihr seid dem Rat Eurer Mutter gefolgt«, sagte sie und stellte zu ihrer Überraschung fest, dass sie lächelte.
»Ich werde versuchen, es beim nächsten Mal besser zu machen. Ich will Euch zur Gemahlin, Matilda von Flandern.«
»Warum?«
»Ich bin in den Adelshäusern Europas umhergestreift auf der Suche nach einer Frau, die stark genug ist, um es mit mir aufzunehmen. Man erzählt sich, dass Ihr diejenige seid, und nach dem, was ich jetzt gesehen habe, scheint diese Einschätzung zutreffend zu sein. Wir werden gut zusammenarbeiten, Matilda.«
Matilda blinzelte. Seine Worte waren schon beinahe lächerlich unverblümt, aber dennoch seltsam schmeichelhaft. William war überhaupt nicht das, was sie erwartet hatte, aber auf jeden Fall war er ein zielstrebiger, entschlossener Mann, und das konnte sie nur bewundern.
»Mein Vater sagt, dass die Kirche die Verbindung unter Umständen verbieten könnte«, sagte sie vorsichtig.
»Dazu gibt es keinen triftigen Grund. Meine besten Männer haben mittlerweile sämtliche Stammbäume eingehend studiert und sehen keine rechtmäßige Basis für ein solches Verbot.«
»Auch keine unrechtmäßige?«
Er lächelte grimmig. »Das entzieht sich meiner Kenntnis, aber wir müssen auf Gott vertrauen, dass die Wahrheit siegen wird. Und auf unsere eigene Fähigkeit, den Menschen diese Wahrheit vor Augen zu führen.« Er sah ihr tief und eindringlich in die Augen, nagelte sie mit seinem dunklen Blick förmlich fest. »Also, jetzt wisst Ihr, wonach ich suche, Komtess Matilda. Ich muss Euch jetzt die gleiche Frage stellen – was wünscht Ihr Euch von dem Mann, mit dem Ihr den Rest Eures Lebens verbringen wollt?«
Das war eine gute Frage – eine zu gute. Sie sah an sich hinab. »Im Augenblick wünsche ich mir vornehmlich, dass er mein Haar aus seinem Kettenhemd befreit.«
»Seinem Kettenhemd? Ihr heiratet mich also?«
Matilda blickte zu ihm auf. Sie ritten nun wieder auf den Marmorblock zu, sodass sie noch einen Augenblick Zeit hatte, bevor ihr Verlöbnis offiziell wurde. Sie war ihm eine Antwort schuldig – sie war sich selbst eine Antwort schuldig. Sie sah ihm geradewegs in seine dunklen Augen. Sie hatte immer geglaubt, das, was sie sich von einem Gemahl wünschte, seien Charme, Leidenschaftlichkeit, Freude – Romantik. Jedenfalls hatte sie bei Brihtric so empfunden, aber damals war sie jung und töricht gewesen. Sie war nicht einfach nur irgendein Mädchen, frei, um mit demjenigen herumzutändeln, der die schönsten Worte für sie fand. Sondern sie war eine Komtess mit der Verpflichtung zu herrschen. Und dieser Mann, dessen war sie sicher, würde hervorragend herrschen und regieren.
»Ja, Herzog William von der Normandie«, stimmte sie zu. »Ich werde Euch heiraten.«
Brügge, November 1050
Judith blickte ängstlich zur Fensteröffnung hinüber, und als sie die ersten verräterischen rosafarbenen Streifen am Himmel sah, stöhnte sie leise vor sich hin. Die Sonne war bereits auf die Höhe der Stadthäuser Brügges gesunken, und ihr Licht schien wie geschmolzenes Gold über die eleganten Linien der schiefergedeckten Dächer zu fließen, darüberzuströmen und sich in die kreuz und quer verlaufenden Kanäle dazwischen zu ergießen. Es war ein wundervoller Anblick, der sie allerdings gleichzeitig auch wütend machte. Erst vor Kurzem hatte sie Zeit gefunden, sich an ihre Arbeit zu setzen, und schon setzte die vermaledeite Dämmerung ein.
Den ganzen Tag hatte sie sich danach gesehnt, wieder zu ihrem Kunstwerk zu gelangen, und den ganzen Tag hatte man sie – wie so oft – daran gehindert. Sie wagte es nicht, an ihrer Illumination weiterzuarbeiten, wenn Balduin im Palast war, denn er hielt nichts davon, dass sie »Mönchsarbeit« verrichtete. Deshalb musste sie sich von jeher die Zeit dafür stehlen, wann immer sie konnte. Sehnsüchtig blickte sie zu ihrem halb fertigen Bild der Jungfrau Maria hinüber und wünschte sich, mutig genug zu sein, um in aller Öffentlichkeit daran weiterzuarbeiten. Aber sie war nicht dafür geschaffen, neue Pfade zu beschreiten, und es war einfacher, alles für sich zu behalten. Mit einem resignierten Seufzer rollte sie das Bild zusammen und verstaute es in ihrer Eichentruhe. Dann machte sie sich daran, ein Kleid für das Abendessen auszusuchen.
Sie ging zur Garderobe auf der anderen Seite des zentralen Vorzimmers. Adela hatte sie vor einigen Jahren in Auftrag gegeben, nachdem sie sich bei Balduin darüber beklagt hatte, dass ihre Gewänder in den engen Truhen so zerdrückt würden. Balduin war von der Idee fasziniert gewesen und hatte die Einführung der Neuerung erlaubt, und jetzt pflegte er sie voller Stolz sogar seinen vornehmsten Gästen zu zeigen. Es war ein einfacher Raum, der an allen vier Wänden mit mannshoch angebrachten Schienen bestückt war. Diese waren mit Haken besetzt, an denen die Gewänder aufgehängt werden konnten, damit sie genauso lose aufbewahrt wurden wie am Körper eines Menschen. Adelas Gewänder hingen entlang der längsten Wand, Matildas auf der anderen Seite, die der jüngeren Mädchen befanden sich an den anderen Wänden, und die von Judith hinter der Tür.
Sie trat ein, aber als sie Matilda entdeckte, zögerte sie, denn ihre Base hatte sehr schlechte Laune, seit Graf Balduin vor einem Monat – selbst sprachlos vor Zorn – vom Konzil zu Reims zurückgekehrt war.
»Verboten«, hatte er Matilda entgegengeschleudert, beinahe, als sei es ihre Schuld. »Die verdammte Eheschließung wurde ›verboten‹.«
»Aber warum nur, Vater?«, hatte Matilda völlig bestürzt gefragt.
»Sie beharren darauf, dass ihr blutsverwandt seid. Der Papst hat ein paar kleinkarierte Kirchenmänner um sich geschart, die einen komplizierten Stammbaum entworfen haben, mit dessen Hilfe sie ›beweisen‹ – das war seine Formulierung, nicht meine –, dass du mit Herzog William zu nah verwandt bist, um ihn heiraten zu können. Aber ich sage dir eins: Das Einzige, was dieses Schriftstück beweist, ist, dass der Papst genauso verbittert und politisch unredlich ist wie Männer außerhalb des Klerus auch. Rom ist eine Lasterhöhle. Seine ›Heiligkeit‹ verhält sich nur so, weil Kaiser Heinrich ihn in seinem Amt stützt, und Heinrich hasst mich und fürchtet die Normandie. Dieses verdammte Gerede von der Blutsverwandtschaft soll mich und William in die Schranken weisen, nichts weiter.«
Judiths Herz hatte bei diesem blasphemischen Gerede vor Angst gezittert, aber Matildas Reaktion war pragmatischer gewesen: »Und was jetzt, Vater?«
»Ich weiß es nicht, Matilda. Wir müssen uns in Geduld üben. Päpste pflegen in regelmäßigen Abständen zu sterben. Hoffen wir also, dass es auch den unseren bald ereilt.«
»Vater!«
»Was? Er ist genauso wenig der Stellvertreter Gottes auf Erden wie ich. Er ist nichts weiter als ein Fürst, der seine Ländereien schützt, und dafür würde ich ihn sogar respektieren, wenn er es wie jeder anständige Mann auch mit einem Schwert in der Hand täte. Aber diese hinterlistige Erfindung falscher Verbote bringt mein Blut zum Kochen. Ah, nun gut, William hat eine Delegation entsandt, die Einspruch einlegen soll. Wir müssen also darauf hoffen, dass er den Papst letztlich doch überredet. Und es ist ja ohnehin nicht so, als würdest du William besonders mögen, nicht wahr, Matilda?«
Aber das päpstliche Verbot hatte, sehr zu jedermanns Überraschung, Matildas Appetit auf einen normannischen Gemahl mehr angestachelt, als es jeglicher Segen hätte tun können. Sie war wochenlang wütend auf und ab gelaufen und hatte mehr Flüche ausgestoßen als ihr Vater, weshalb sich Judith jetzt ein wenig beklommen neben sie setzte.
»Kannst du dich nicht entscheiden?«, fragte sie leichthin.
»Ich weiß nicht, wofür ich mir die Mühe überhaupt machen sollte«, kam die verdrießliche Antwort.
Judith verbarg ein Lächeln. »Aber Matilda, du hast so schöne Gewänder. Wie wäre es mit diesem hier – diese Fliederfarbe ist so hübsch. Oder das hier – das gelbe. Du siehst in diesem gelben Kleid atemberaubend aus.«
»Ich sehe in dem gelben aus wie eine Blume.«
»Eine schöne Rose vielleicht?«
Matilda verdrehte die Augen. »Na gut, ich ziehe das gelbe an, aber wenn sich sämtliche Bienen auf mich stürzen, gebe ich dir die Schuld.«
»Vielleicht macht dich der Honig ja wieder etwas süßer«, erwiderte Judith.
Matilda warf ihr einen schockierten Blick zu, dann lachte sie bitter. »Vielleicht, Judi. Irgendetwas muss es ja schaffen.«
Judith legte ihr eine Hand auf den Arm. »Herzog William steht in dem Ruf, seine Ziele zu erreichen, Matilda.«
»Das ist wahr«, stimmte Matilda steif zu. Aber dann wurde Judith erstaunt Zeuge, wie ihre sonst so beherrschte kleine Base beinahe in sich zusammenzufallen schien. Ermattet lehnte Matilda sich an sie. »Aber wie will er das anstellen?«
Judith zog sie dicht zu sich heran. »Mit Diplomatie, nehme ich an.«
»Die Diplomatie ist gescheitert.«
»Dann durch Macht.«
»Wir können wohl kaum das Schwert gegen den Papst erheben, Judi.«
»List?«
»List?« Matilda legte den Kopf schief. »Vielleicht. Ich nehme an, mir bleibt nichts anderes übrig, als darauf zu vertrauen, dass Williams Delegation Erfolg hat, oder?«
»Ja.« Judith drückte Matilda fest. Sie fühlte sich in ihren Armen klein und ungewöhnlich zerbrechlich an. »Darauf musst du vertrauen und zufrieden bleiben, damit du für ihn deine Schönheit bewahrst.«
»Wie denn, wenn er doch gar nicht hier ist, um sie zu sehen?«
»Die Gerüchte darüber werden sich schon verbreiten.« Judith warf sich in die Brust und unternahm den missglückten Versuch, eine Männerstimme zu imitieren. »Oh, mein Herzog, ich war neulich am Hof von Flandern, und Komtess Matilda erstrahlte förmlich in ihrem gelben Gewand. Ich schwöre, sie ist die schönste Blume in sämtlichen Rosengärten Europas.«
Matilda stieß ein Lachen aus, ein zögerliches zwar, aber immerhin ein Lachen. »Nein, Judi, du machst Witze.«
»Ein wenig«, räumte Judith ein, »aber trotzdem ist ein Körnchen Wahrheit darin. Du bist Williams Preis, Matilda, und das musst du für ihn auch bleiben. Immerhin bist du eine flandrische Komtess.«
»Genau wie du selbst. Was wirst du denn anziehen, meine Liebe?«
Judith betrachtete ihre eigene, nicht ganz so üppige Auswahl an Kleidern. »Vielleicht das blaue.«
»Gute Idee. Das passt zu deinen Augen.«
Bei diesem unerwarteten Kompliment blinzelte Judith. »Bin ich denn auch eine Blume?«, fragte sie.
»Natürlich – eine wunderschöne Kornblume.«
Judith lächelte kläglich. Das war wohl richtig. Im Vergleich zu Matildas Rose war sie eine Kornblume. Sie war durchaus hübsch, wie sie wusste, mit ihren himmelblauen Augen, ihrem hellblonden Haar und den samtweichen, pfirsichfarbenen Wangen. Allerdings auf so offensichtliche Weise, dass sie schon fast wieder unscheinbar wirkte. Im Gegensatz zu Matilda. Deren Haar war durchwirkt von Kupfer und Bronze, sodass es selbst im Dämmerlicht noch geheimnisvoll zu glühen schien. Ihre Augen waren teils blau, teils grün, wie die unruhige See, und obwohl sie beinahe eine Handbreit kleiner war als Judith, betrat sie jeden Raum so, als sei sie die Größte von allen. Kein Wunder, dass sämtliche Blicke ihr zu folgen pflegten. Kein Wunder, dass Herzog William um sie kämpfen wollte.
»Das blaue also«, stimmte Judith entschlossen zu, aber ein Hüsteln vom Eingang aus ließ sie innehalten, und sie wirbelte herum, um den Kammerdiener ihres Bruders in die Vorkammer schlurfen zu sehen. Sie musterte den langsam kahl werdenden kleinen Mann von oben bis unten und versuchte, sich ihn mit Emeline vorzustellen. Gott sei Dank wollte ihr das nicht gelingen, und so besann sie sich ihrer Manieren: »Bruno, können wir Euch helfen?«
»Ich bitte um Verzeihung, Hohe Frau, aber der Graf bittet Euch, ihn vor dem Abendessen in seinem Gemach aufzusuchen.«
»Mich?« Erstaunt sah Judith ihn an. »Nicht Matilda?«
Matilda wirkte ebenfalls überrascht, aber Bruno nickte fest.
»Er fragte ausdrücklich nach seiner Schwester, der Edlen Dame Judith.«
Nach seiner Schwester! So nannte Balduin Judith sonst nie, denn sie war hier immer eher wie eine Tochter aufgewachsen, oder zumindest wie eine Art Lieblingsnichte. Ihre familiäre Stellung war etwas prekär, wie sie wusste, sowohl in Bezug auf Balduin selbst als auch in Bezug auf Matilda, die halb Tante, halb Schwester für sie war.
»Aber soll Matilda denn nicht ebenfalls zu ihm kommen?«
»Wenn sie es wünscht, wahrscheinlich schon.«
»Sie wünscht es«, warf Matilda entschlossen ein, und die Neugier brannte in ihren grünen Augen.
»Dann solltet Ihr Euch eilen. Der Graf scheint sehr begierig, Euch zu sehen.«
Wieder sah er ausdrücklich Judith an, und sie errötete unter seiner ungewöhnlichen Aufmerksamkeit.
»Oh! O ja, natürlich. Habt Dank.«
So schnell sie es vermochten, standen sie vor Graf Balduins Tür. Judith war froh, dass Matilda sie begleitete, denn sie hatte sich in Gesellschaft ihres Halbbruders nie so recht wohlgefühlt. Doch als sie das Gemach betraten, sah sie überrascht, dass der Graf aus seinem eleganten Stuhl emporsprang und auf sie zueilte.
»Judith, komm herein, komm herein.« Judith ließ sich von ihm nach vorn geleiten und warf Adela einen argwöhnischen Blick zu, die, die Hände züchtig im Schoß, auf ihrem eigenen Stuhl saß. »Setz dich, meine Liebe. Wünschst du etwas zu trinken?«
Balduin schnippte nach seinem Diener, der sogleich mit einem Weinkrug herbeieilte. Judith nahm das Getränk entgegen, nippte aber nicht daran aus Angst, dass sich ihr die Kehle zuschnürte. Sie spürte Matilda hinter sich, aber ausnahmsweise schenkte Balduin seiner Lieblingstochter nur wenig mehr als einen flüchtigen Blick.
»Ist alles in Ordnung, Graf?«, fragte sie nervös.
»In Ordnung? O ja, in der Tat, alles ist bester Ordnung, Judith.«
»Hat Herzog William mittlerweile den Segen des Papstes erwirken können?«, fragte sie ins Blaue hinein und sah erneut zu Matilda zurück.
»Herzog William? Ach, der! Nein, nein, nichts dergleichen. Hier geht es um dich, Judith.«
»Um mich?«
Judith beschloss, doch einen Schluck von dem Wein zu trinken. Der Graf sah sie eindringlich an. O bitte, Gott, lass ihn mir meine Buchmalerei nicht wegnehmen, dachte sie. Ob ihn irgendetwas verärgert hatte? Aber eigentlich wirkte er gar nicht verärgert.
»Du, meine liebe Schwester, hast einen Antrag erhalten.«
Judith wäre beinahe vom Hocker gefallen. Wein spritzte auf ihr Kleid, und sie stellte den Kelch abrupt auf den Beistelltisch.
Balduin gluckste. »So sehr sollte dich das nun auch wieder nicht überraschen. Die Verbindung ist hochverdient.«
Judith brachte immer noch keinen Ton heraus, aber Matilda kannte derlei Probleme nicht.
»Jemand hat um Judiths Hand angehalten? Wer?«
Balduin formte mit den Fingern ein Zelt und blickte zu Adela hinüber, die sich nun aufrechter hinsetzte. Judith atmete ein paarmal tief ein und versuchte, sich zu sammeln, als ihr Bruder sich erhob und sie direkt ansprach.
»Jemand aus England, Judith.«
Judith hörte Matilda keuchen. Sie wusste noch genau, wie sehr die Freundin unter der Trennung von Lord Brihtric gelitten hatte. Darum betete sie, ihr Bruder möge nicht so grausam gewesen sein, ein Ehearrangement mit Matildas verlorener Liebe getroffen zu haben.
»Und wer ist es?«, fragte sie mit schwacher Stimme und spürte, dass Matilda wie ein schwarzer Engel über ihrer Schulter lauerte.
»Lord Tostig Godwinson!«, verkündete Balduin begeistert und bemerkte nicht einmal, dass beide Mädchen vor Erleichterung zitterten. »Sein Vater, Earl Godwin, hat Abgesandte geschickt, damit sie um deine Hand anhalten.«
»Um meine Hand?«
Balduin wurde ein wenig unruhig. »Er mag«, räumte er mit einem kurzen Blick nach hinten ein, »zuerst von Matilda gesprochen haben, aber ich sagte ihm, dass sie bereits verlobt ist, und so gab er sich mit dir an ihrer Stelle zufrieden.«
Judith sank ein wenig das Herz. Wer würde sich schon mit ihr anstelle von Matilda zufriedengeben?
»Aber so richtig verlobt ist Matilda doch gar nicht. Der Papst …«
»Er wird den Papst schon überzeugen. William ist sich absolut sicher, dass seine Abgesandten Erfolg haben werden, nicht wahr, Matilda?«
»Nun, das schon«, hörte sie ihre Base stammeln. »Das heißt …«
Aber Balduin ließ sich nicht beirren. »Ich weiß, dass er Erfolg haben wird. Für dich, Judith, ist Tostig Godwinson eine hervorragende Partie. Der Lord ist ein prächtiger Bursche und sehr gut aussehend, wie man sagt. Das ist doch ein rechter Glücksfall, oder nicht?«
»Äh, ja, Bruder. Habt Dank. Aber habt Ihr ihn tatsächlich gefragt, ob er auch mit mir zufrieden ist?«
»Natürlich. Du bist eine flandrische Komtess, nicht wahr?«
»Das bin ich, und natürlich ist Flandern viel wert, Bruder, aber Ihr erwähntet doch, dass König Edward von normannischen Ratgebern umgeben ist. Was, wenn sie sich gegen die Godwinsons wenden? Was, wenn Matilda und ich letztendlich Ehemänner haben, die einander feind sind?«
»Nun, in diesem Fall«, gab Balduin ohne jegliches Zögern zurück, »zahlt es sich besonders aus, auf beiden Seiten eine Verwandte zu besitzen.«
»Aber würde das nicht bedeuten, dass Matilda und ich Gegnerinnen wären?«
»Das läge in Eurer Hand. Komm schon, Frauen sind erheblich subtiler als Männer, und kleineren Konflikten werdet Ihr beiden ja wohl gewachsen sein, oder?«
Judith sah zu Matilda hinüber, während Balduin sie beide zur Tür schob. Sie hatten im Laufe der Jahre immer wieder kleine Meinungsverschiedenheiten gehabt – hauptsächlich dann, wenn Judith es gewagt hatte, Matilda herauszufordern –, aber sie hatten sich immer wieder versöhnt. Allerdings hatte bis heute dabei nicht die Verantwortung für ein ganzes Volk auf ihren Schultern gelastet.
»Komm, Judi«, rief Matilda lachend und ergriff ihren Arm. »Welche Auseinandersetzung könnte schon zwischen der Normandie und England stattfinden? Beide Männer trennt das Meer.«
»Eine Meerenge«, merkte Judith an, aber niemand schien mehr auf sie zu hören.
Es ist keinesfalls so, dass ich Judith ihr Glück nicht gönne«, sagte Matilda und entledigte sich dankbar ihres Gewandes, um nach einem anstrengenden Abend, an dem sie auf ihre Base getrunken hatten, endlich ins Bett zu schlüpfen.
»Natürlich nicht«, pflichtete Emeline ihr schelmisch bei, schüttelte das Gewand aus und hielt nach Flecken Ausschau.
»Nein, wirklich nicht. Ich liebe Judi. Sie ist wie eine Schwester für mich, und ich will, dass sie glücklich wird.«
»Natürlich wollt Ihr das.«
»Ja, wirklich. Warum musst du mich infrage stellen?«
Emeline reichte das Gewand an Cecilia weiter. »Ich stelle Euch nicht infrage, Komtess. Aber möglicherweise tut Ihr das selbst?«
Matilda seufzte und zog sich die Decken bis zum Kinn hinauf.
»Vielleicht hast du recht, Em. Ich gebe zu, dass ich etwas eifersüchtig bin. Ich sollte heiraten, nicht Judith.«
Cecilia hing das Gewand auf, und Emeline setzte sich ans Fußende des Bettes. »Das werdet Ihr, Komtess.«
»Wann?«
»Wenn es Gott gefällt.«
»Und dem Papst – doch was will er? Denn darum geht es hier eigentlich.«
»Vielleicht«, wandte Cecilia aus der kleinen Kammer ein, »befürchtet er eine Allianz zwischen Flandern und der Normandie, die besonders brisant wird, wenn Judith jetzt nach England heiratet. Wenn Ihr nämlich dann in die Normandie übersiedelt, hätte Euer Vater unter Umständen die Kontrolle über die gesamte Meerenge.«
Matilda sah zu ihr hinüber. »Also kostet Judiths Eheschließung mich die meine?«
»Nein, Matilda!«, schalt Emeline. »Seid nicht so kleinlich.«
Matilda biss sich auf die Lippe. Sie hätte ihre Kammerzofe gern zurechtgewiesen, aber Emeline hatte recht – sie war kleinlich. Und doch war alles so frustrierend. Es war jetzt über ein Jahr her, seit William in Flandern eingeritten war und sie überzeugt hatte, seine Herzogin zu werden, und doch war sie immer noch hier, saß in Brügge fest, unverheiratet und wie es schien, nicht in der Lage, irgendetwas dagegen zu unternehmen.
Alle waren mit irgendetwas beschäftigt, außer sie selbst. Selbst Balduin hatte neue Pläne für die Zukunft. Er hatte am heutigen Abend deutsche Architekten am Hof empfangen, die ihm demonstriert hatten, wie ein paar ordentliche kleine Blöcke aus gebackenem Lehm, die sie als Ziegelsteine bezeichneten, mir nichts, dir nichts zu einer Mauer zusammengefügt werden konnten. Zur Demonstration hatten sie gleich eine direkt zwischen den Esstischen errichtet. Balduin war beinahe genauso begeistert davon gewesen wie von Judiths verdammter Verlobung und hatte bereits größere Mengen bestellt. Alle bewegten sich voran – alle außer ihr selbst. Sie schwang die Decken zurück und sprang wieder aus dem Bett, sodass sie Emeline zu Boden schubste.
»Ich werde William schreiben«, verkündete sie und schritt zum Fenster, während Cecilia herbeieilte, um Emeline aufzuhelfen. »Ich werde ihm sagen, dass wir Narren sind, wenn wir uns einem Konzil unterwerfen, welches seine Ränke gegen uns schmiedet. Wenn unser einziges Hindernis die Politik ist, sollten wir uns davon nicht aufhalten lassen und auf Gottes Gnade vertrauen, der unsere Ehe gutheißen wird, sobald wieder Frieden herrscht.« Ihre Damen starrten sie mit offenen Mündern an. »Was? Habt Ihr irgendwelche Einwände gegen meine Logik?«
»Nicht gegen Eure Logik«, antwortete Cecilia. »Aber klug ist es trotzdem nicht. Gegen die Weisung eines päpstlichen Edikts zu heiraten könnte Euch die Exkommunikation eintragen.«
»Das würde er nicht wagen.«
»Er hat ja auch gewagt, das Edikt zu erlassen.« Matilda warf wütend den Kopf in den Nacken.
»Sag es ihr, Em«, drängte Cecilia. »Sag ihr, dass ein solcher Vorschlag Wahnsinn ist.«
Emeline dachte nach.
»Es ist Wahnsinn«, stimmte sie zu. »Aber nicht wegen des Papstes, denn er ist nichts weiter als ein Mann, und ein fehlbarer noch dazu, wenn man Graf Balduin Glauben schenken will. Nein, der Wahnsinn besteht darin, einen solch dreisten Brief überhaupt zu schreiben – nach allem, was damals mit Lord Brihtric geschehen ist.«
Matilda zuckte zusammen. »Brihtric war ein Narr. Statt mir den Hof zu machen, ist er letztlich um meinen Vater herumscharwenzelt. Herzog William ist aus anderem Holz geschnitzt. Für ihn ist mein Wort das bindende.«
»Und warum ist er dann nicht schon längst gekommen, um Euch zu holen?«
Matildas Herz klopfte wie wild. Sie hatte sich das auch selbst schon gefragt, und zwar mehr als einmal. Hatte er vielleicht eine bessere Braut gefunden? Es gab nur einen Weg, um das herauszufinden.
»Ich werde ihm einen Brief schicken«, wiederholte sie, diesmal entschiedener. »Emeline, du bist doch immer noch mit deinem normannischen Galan zusammen, oder?«
Emeline hatte sich erwartungsgemäß einen neuen Liebhaber in Williams Gefolge gesucht, und der Mann besuchte sie in Flandern ständig. Oft genug hatte Matilda ein schlechtes Gewissen, weil sie so erbittert darüber war, dass ihre Zofe mit einem Normannen liiert war, den sie für sich springen ließ, während ihr eigener Verehrer von ihr ferngehalten wurde. Aber zumindest konnte sie die Situation jetzt ausnutzen.
»Seigneur Everard ist nach wie vor sehr aufmerksam«, stimmte Emeline verschämt zu.
»Gut. Dann kannst du ihm schreiben, und ich werde meinen Brief in dem deinen verstecken.«
»Schreiben?«, rief Emeline entsetzt. »Ich kann nicht schreiben, und was sollte ich überhaupt sagen?«
»Keine Ahnung. Was immer du dem Mann sagst, wenn ihr zusammen seid.«
Emeline stieß ein unflätiges Lachen aus. »Ich kann mir den armen Schreiber vorstellen, der das diktiert bekäme.«