Der Rückzug von Sebastian Kurz aus der Politik. Eine Analyse der medialen Aufarbeitung - Martina Wendl - E-Book

Der Rückzug von Sebastian Kurz aus der Politik. Eine Analyse der medialen Aufarbeitung E-Book

Martina Wendl

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  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Studienarbeit aus dem Jahr 2022 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Medien und Politik, Pol. Kommunikation, Note: Sehr gut, Johannes Kepler Universität Linz, Sprache: Deutsch, Abstract: Mit seinem Rücktritt wird der 35-jährige Sebastian Kurz als jüngster Bundeskanzler der zweiten Republik nun schon zum zweiten Mal der jüngste Altkanzler: Mit 641 Tagen ist Kurz' zweite Amtsperiode etwas länger als seine erste, die 526 Tage dauerte. Insgesamt kann er 1.167 Amtstage verzeichnen. Diese Arbeit analysiert anhand der medialen Aufarbeitung den Rückzug Kurz's aus der Politik.

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Inhaltsverzeichnis

 

1. Kurz‘ Rücktritt

1.1 Kurz‘ Rücktritt als Bundeskanzler

1.1.1 Die Rolle der Grünen

1.1.2 Conclusio

1.1.3 Die Rolle des Bundespräsidenten

1.1.4 Die Rolle der Oppositionsparteien

1.1.5 Bundeskanzler Sebastian Kurz´ Reaktion

1.1.6 Zum zweiten Mal jüngster Altkanzler

1.2 Fehlender Rückhalt

1.2.1 Conclusio

1.3 Kurz‘ Rücktritt als Parteiobmann und Klubobmann

1.4 Reaktionen auf Kurz‘ Rückzug

1.4.1 Das Privatleben als Strategie der Selbstdarstellung

1.4.2 Conclusio

2. „Message Control“ außer Kontrolle

2.1 Fragwürdige Äußerungen

2.2 Konzentration auf Banalitäten

2.3 Grenzen der Litigation-PR überschritten

2.4 Conclusio

3. Literaturverzeichnis

 

Anmerkung der Redaktion: Abbildungen wurden aus urheberrechtlichen Gründen entfernt.

 

1.       Kurz‘ Rücktritt

 

Sebastian Kurz trat in zwei Etappen zurück. Am 9. Oktober 2021 gab er seinen Rücktritt als Bundeskanzler bekannt.

 

Am 2. Dezember 2021 trat er als ÖVP-Klubobmann und Obmann der Österreichischen Volkspartei zurück und zog sich damit gänzlich aus der Politik zurück.

 

1.1       Kurz‘ Rücktritt als Bundeskanzler

 

1.1.1        Die Rolle der Grünen

 

Am 6. Oktober 2021 wurden im Bundeskanzleramt, der ÖVP-Parteizentrale und dem Finanzministerium Razzien wegen des Verdachts gekaufter Berichterstattung, Bestechung, Bestechlichkeit und Untreue durchgeführt. Sebastian Kurz wird als Beschuldigter geführt. Die Grünen stellen als Folge dieses Ermittlungsverfahrens die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers infrage und sehen sich am nächsten Tag dazu veranlasst, Sebastian Kurz durch „eine untadelige Person“ auszutauschen, um die Koalition fortzuführen.[1] Vizekanzler Werner Kogler und die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer sprachen dabei von „ganz gravierenden, schweren Vorhalten“, wodurch sich die Handlungs- und Amtsfähigkeit des Bundeskanzlers Sebastian Kurz als gefährdet darstelle.[2] Sie hielt fest, dass schwere Vorwürfe, wie Korruption und der Missbrauch von 1,3 Mio. Euro an Steuergeld, im Raum stünden. Sebastian Kurz werde ständig damit beschäftigt sein, diese Vorwürfe zurückzuweisen. „Es ist ganz klar, dass so jemand nicht mehr amtsfähig ist“, fuhr sie fort. Ob die Grünen dem Bundeskanzler ihr Misstrauen aussprechen würden, ließ sie offen.[3]

 

Sebastian Kurz lehnte seinen Rücktritt mit der Begründung, die ÖVP sei unter ihm sehr wohl handlungsfähig, ab. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe seien falsch. Im Strafrechtsverfahren würde er Gelegenheit haben, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu widerlegen. Die Unschuldsvermutung gelte auch für ihn. Vizekanzler Werner Kogler dementierte neuerlich Sebastian Kurz´ Handlungsfähigkeit. Er entgegnete, dass die bestehenden Vorwürfe aufzuklären seien. Es trete „im Machtzentrum der ÖVP ein schauerliches Sittenbild zutage“. Es sei nun die Aufgabe der ÖVP, für das Kanzleramt jemanden vorzuschlagen, der untadelig sei. „Kurz ist nicht mehr amtsfähig.“[4]

 

1.1.2        Conclusio

 

Mich überraschte, dass die Grünen nach Auftreten der Korruptionsvorwürfe gegen ihren übermächtigen Koalitionspartner aufbegehrten und erfolgreich den Rücktritt von Sebastian Kurz forderten. Offensichtlich wäre der Druck ihrer Basis zu groß geworden, wenn sie sich nicht zu diesem Schritt durchgedrungen hätten.

 

1.1.3        Die Rolle des Bundespräsidenten

 

Bundespräsident Alexander van der Bellen erklärte am Freitag, dem 8. Oktober 2021, im ZIB spezial[5], dass er eine „Regierungskrise, aber keine Staatskrise“ sehe. Die Republik sei für alle möglichen Situationen gerüstet, auch für diese. Es bestünden schwerwiegende Verdachtsmomente. Der Justiz obliege es, diese aufzuklären. Es gelte die Unschuldsvermutung für alle Beteiligten. Er attestiere ein Sittenbild, das der Demokratie nicht guttue. Er erkannte einen „Ton der Respektlosigkeit“ in den publik gewordenen Chats ebenso wie in aktuellen Äußerungen. Er betonte, dass die Bürgerinnen und Bürger Österreichs Rechte hätten, unter anderem jenes auf eine handlungsfähige Regierung, die in Frage gestellt sei. Österreich könne sich keine Egoismen leisten. Er appelliere an alle Parteien, an ihre Verantwortungsträger und Verantwortungsträgerinnen, dass sie daran denken, was Österreich brauche. Bundespräsident Alexander van der Bellen verwies auf die für Dienstag angekündigten Misstrauensanträge im Parlament. Er werde dem Parlament bei der Entscheidung über die Zukunft der Regierung nicht vorgreifen. Er werde keine Ratschläge erteilen, aber dafür Sorge tragen, dass es eine handlungsfähige Regierung gebe.“[6]

 

1.1.4        Die Rolle der Oppositionsparteien

 

FPÖ-Chef Herbert Kickl stellte klar, dass es eine Koalition gegen die ÖVP nur mit FPÖ-Beteiligung geben werde. Sollte das Parlament am Dienstag Sebastian Kurz das Misstrauen aussprechen, wäre für ihn die Duldung einer Dreierkoalition aus SPÖ, NEOS und Grünen durch die Freiheitlichen keine Option. Darüber hinaus sei ein fliegender Wechsel der ÖVP zu den Freiheitlichen „undenkbar“. Er sei offen für Neuwahlen, lehne eine Expertenregierung allerdings ab.[7]

 

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner erklärte, dass die Grünen zu entscheiden hätten, „ob sie das System Kurz weiter stützen und unterstützen wollen“. In einer gemeinsamen schriftlichen Erklärung mit Werner Kogler wurde festgehalten: „Die bestehenden Korruptionsvorwürfe ließen es nicht zu, zur Tagesordnung überzugehen. Aus Verantwortung für Österreich sind wir uns einig, dass es jetzt Stabilität und Ordnung braucht.“ Man habe ein „offenes, vertrauensvolles und tiefgehendes Gespräch“ geführt.[8]

 

Im Gegensatz zu SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sieht NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger die ÖVP am Zug. Sie fordere den Rücktritt von Bundeskanzler Sebastian Kurz, da er aufgrund der Korruptionsermittlungen nicht mehr tragbar sei. Sie verweist auch auf die Stellung Österreichs im Ausland. Österreich würden diese Ermittlungen schaden. Verärgert zeigte sie sich auch über die Angriffe der ÖVP auf die Justiz, die damit versuche, die Institutionen des Landes „kaputt zu schießen“.[9]

 

1.1.5        Bundeskanzler Sebastian Kurz´ Reaktion

 

Im Anschluss an die ZIB verkündete Sebastian Kurz am 9. Oktober 2021, dass er „zur Seite trete, um Platz zu machen“. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sollte somit mit ihrer am Vortag des Rücktritts des Bundeskanzlers in der ZIB 2 getätigten Einschätzung Recht behalten, dass die ÖVP, die seit 35 Jahren Regierungsverantwortung trage, nicht auf ihre Regierungsbeteiligung verzichten wolle und daher den Bundeskanzler opfern werde.

 

In einer siebenminütigen Rücktrittsrede verwies Sebastian Kurz darauf, dass er als Staatssekretär, Außenminister und als Bundeskanzler dem Land gedient habe. Die letzten eineinhalb Jahre seien sehr fordernd gewesen. Er werde die Vorwürfe, die aus dem Jahr 2016 stammten und die im Rahmen der strafrechtlichen Verfolgung gegen ihn erhoben wurden, aufklären. Gerichtliche Ermittlungen müssten viele Spitzenpolitiker erleben. Die Unschuldsvermutung müsse auch für ihn gelten. Der Koalitionspartner habe sich allerdings gegen ihn positioniert. Er sei dankbar für den Rückhalt in der Volkspartei und bedanke sich bei den Landeshauptleuten und allen, die seine Familie und ihn unterstützt hätten. Es sei zu einer Pattsituation gekommen. Die Pandemie sei noch nicht vorbei. Der wirtschaftliche Aufschwung habe gerade begonnen. Das Budget und die Steuerreform seien noch nicht beschlossen. Er wolle keinen Stillstand und auch nicht die Regierungsverantwortung einer Vierparteienkoalition überlassen, schon gar nicht von „Kickls Gnaden“ abhängig sein. Es brauche Stabilität und Verantwortung. Das Land sei ihm wichtiger als seine Person. Er habe daher dem Bundespräsidenten Alexander Schallenberg als Bundeskanzler vorgeschlagen. Er wechsle als Parteiobmann und Klubobmann ins Parlament. Er werde die Vorwürfe gegen ihn entkräften und widerlegen.

 

Sebastian Kurz wurde am 11. Oktober 2021 von Bundespräsident Alexander Van der Bellen des Amtes enthoben. Am selben Tag wurde der vorherige Außenminister Alexander Schallenberg (ebenfalls ÖVP) als neuer Kanzler angelobt.[10]

 

1.1.6        Zum zweiten Mal jüngster Altkanzler

 

Mit seinem Rücktritt wird der 35-jährige Sebastian Kurz als jüngster Bundeskanzler der zweiten Republik nun schon zum zweiten Mal der jüngste Altkanzler: Mit 641 Tagen ist Kurz´ zweite Amtsperiode etwas länger als seine erste, die 526 Tage dauerte. Insgesamt kann er 1.167 Amtstage verzeichnen. Er nimmt somit den achten Platz unter den bisher 15 Regierungschefs der Zweiten Republik ein. Leopold Figl, Julius Raab, Josef Klaus, Bruno Kreisky, Franz Vranitzky, Wolfgang Schüssel und Werner Faymann regierten länger als er. Mit 4.781 Tagen als Bundeskanzler währte Bruno Kreiskys Amtsdauer am längsten, jene von Alexander Schallenberg mit 52 Tagen am kürzesten.

 

1.2       Fehlender Rückhalt

 

Als Sebastian Kurz den „Schritt zur Seite“ machte, gingen er und seine Vertrauten noch davon aus, dass es nur eine kurze Auszeit wäre und er als VP-Spitzenkandidat wieder zurückkehren werde, zumal er sich in Videokonferenzen, unter anderem mit dem Funktionär des Tiroler Wirtschaftsbundes Franz Hörl, für seine „Kraftausdrücke“ in den sogenannten „Schmid-Chats“ entschuldigte und die überwiegende Verantwortung bei den ehemaligen Mitstreitern sah.[11]

 

Fakt ist jedoch, dass es sich bei den Vorwürfen nicht um bloße Kraftausdrücke handelt, sondern um Ermittlungen wegen Korruption, Untreue, Bestechlichkeit und fingierter, mit Steuergeld bezahlter Meinungsumfragen sowie der Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss.

 

Aus dem für APA und ATV erstellten Österreich-Trend[12] von Peter Hajek geht hervor, dass sich ein Großteil der Bevölkerung wünscht, dass der Ex-Kanzler die Politik ganz verlässt. Nur 27 Prozent sind dafür, dass er bleibt.

 

Diese Befragung fand zwischen dem 18. Oktober 2021 und dem 21. Oktober 2021 statt. Es wurden 800 Menschen ab 16 Jahren befragt. Die Schwankungsbreite bewegt sich im Bereich von +/- 3,5 Prozent.

 

Wie der Abbildung 2 zu entnehmen ist, schnitt Sebastian Kurz auch bei den vom Umfrageinstitut Unique Research im November 2021 erhobenen Vertrauenswerten für Spitzenpolitiker desaströs ab. So gaben 57 Prozent der Befragten an, eine schlechte Meinung von ihm zu haben. Lediglich neun Prozent waren weiterhin vom Altkanzler überzeugt.

 

Aufgrund der Meinungsumfragen musste man zur Kenntnis nehmen, dass Sebastian Kurz als (Spitzen)Politiker keine Erfolgsaussichten mehr haben würde. Die österreichische Bevölkerung hatte sich von ihm abgewandt. Wie sehr sie ihn als ihren Repräsentanten ablehnte, zeigt ein Vergleich mit der vom Umfrageinstitut Unique Research im Jänner 2021 durchgeführten Sonntagsfrage. Immerhin 34 Prozent der befragten Personen hätten sich für Sebastian Kurz als Bundeskanzler entschieden. Obwohl er in der Kanzlerfrage gegenüber Dezember 2020 um fünf Prozentpunkte verlor, lag er immer noch weit vor seinen politischen Mitstreiterinnen und Mitstreitern. Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) legte von niedrigem Niveau auf 12 Prozent (plus 2) zu, Norbert Hofer (FPÖ) stand bei 10 Prozent (minus 1), Werner Kogler (Grüne) und Beate Meinl-Reisinger (Neos) lagen unverändert bei 6 Prozent. Darüber hinaus hätten 37 Prozent der Befragten die ÖVP gewählt, wenn am nächsten Sonntag Nationalratswahlen gewesen wären.[13]

 

Nicht nur beim österreichischen Volk, sondern auch in seiner Partei verlor Sebastian Kurz zunehmend an Rückhalt. Während Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner noch meinte, dass die strafrechtlichen Vorwürfe „lückenlos“ aufgeklärt werden müssten und diese „rote Linien“ darstellten, schloss der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer in der „Kleinen Zeitung“ eine baldige Rückkehr Sebastian Kurz‘ als Spitzenkandidat im Fall von Neuwahlen aus.[14] Darüber hinaus wurde Sebastian Kurz die von ihm beabsichtigte Österreich-Tour verwehrt. So konnten insbesondere in den westlichen Bundesländern keine diesbezüglichen Termine gefunden werden.[15]

 

1.2.1       Conclusio

 

Wohl nicht nur aufgrund der Schwere der gegen Sebastian Kurz erhobenen Vorwürfe wünschte sich die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher seinen Rücktritt.

 

Offensichtlich hatten sie sich an das Wahlversprechen von Sebastian Kurz, nämlich einen neuen Stil in die Politik zu bringen, erinnert. „Tun, was richtig ist“, lautete beispielsweise ein Slogan im Wahlkampf 2017. Sie mussten erkennen, dass sie getäuscht wurden. Korruptionsvorwürfe passen nicht zum Bild des „Schwiegersohns der Nation“.

 

Ausgerechnet Sebastian Kurz, der seine Politik an Meinungsumfragen ausrichtete, sich der sogenannten „Message Control“[16] bediente, wurden die Umfragen über seine Person zum Verhängnis.

 

1.3       Kurz‘ Rücktritt als Parteiobmann und Klubobmann

 

Am Donnerstag, dem 2. Dezember 2021, gab Sebastian Kurz um 11:33 Uhr in der ÖVP-Akademie nahe seiner Wohnung in Wien-Meidling im Rahmen einer Pressekonferenz seinen Rücktritt als ÖVP-Chef bekannt. Diese Position hatte er viereinhalb Jahre inne.

 

In seiner 17-minütigen Rücktrittsrede begründete er seinen Rückzug aus der Politik damit, dass sein Familienleben während seiner zehnjährigen Tätigkeit als Politiker auf der Strecke geblieben sei. Er habe sich „gejagt gefühlt“. Als Jungvater wolle er sich nun um seine Familie kümmern.

 

1.4       Reaktionen auf Kurz‘ Rückzug

 

Auffallend an dieser Abschiedsrede war, dass Sebastian Kurz weder seine politischen Gegner noch die Justiz attackierte. Man gewann den Eindruck, dass ihm eine gute Nachrede wichtig sei. Es flossen keine Abschiedstränen, vielmehr schien er gelöst und befreit.

 

Wenngleich Sebastian Kurz´ Rede schon fast versöhnlich wirkte, war seine Erklärung für seinen Rückzug glaubwürdig?

 

Dass dem wohl nicht so war, deutete die einstige ÖVP-Ministerin Maria Rauch-Kallat im Interview mit dem ORF in der ZIB 2 am 2. Dezember 2021 an. Sie bezeichnete die Rede zwar als „beeindruckend“. „Sie war emotional und ehrlich, das muss ihm erst jemand nachmachen.“ Allerdings fügte sie hinzu, dass es dem Altkanzler wohl nicht nur darum ging, mehr Zeit mit seinem Sohn zu verbringen: „Er hat erkannt, dass die Untersuchungen gegen ihn Jahre dauern könnten. Das wollte er seiner Familie nicht zumuten.“ Nachsatz: „Er hat auch gewusst, dass das die ÖVP nicht aushalten wird.“ In diesem Sinn kommentierte auch die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner Sebastian Kurz‘ Rückzug aus der Politik. Gegenüber „Heute“[17] sagte sie: „Ich halte die Entscheidung für richtig. Er hat gespürt, dass diese Konstellation keine Dauerlösung ist.“

 

1.4.1        Das Privatleben als Strategie der Selbstdarstellung

 

Mit der Aussage, er wolle sich um seine Familie kümmern, begründete Sebastian Kurz sein Ausscheiden aus der Politik. Überraschend ist, dass er, der immer versuchte, sein Familienleben privat zu halten, nun den Blick auf seine Privatsphäre freigab.

 

Aus Sicht der Politiker erfüllt die Privatisierung der Politikdarstellung die Funktionen der Vermenschlichung, der Vereinfachung und Ablenkung, der Emotionalisierung und dem Prominenzgewinn.[18]

 

Die Strategie der Vermenschlichung ist eine klassische Vorgangsweise zur Imagepflege. Sie bezweckt, den Politiker als „Mensch wie du und ich“ erscheinen zu lassen und macht ihn den Wählerinnen und Wählern vertraut. So soll Nähe zur Bevölkerung demonstriert werden, um der Politikverdrossenheit zu begegnen.[19]

 

Die Strategie der Vereinfachung und der Ablenkung durch Privatisierung stellt die Antwort auf die Komplexität der Politik dar. Mit Personalisierung erleichtert das politische System die Darstellung der Politik für sich und reagiert damit auch auf die Bedürfnisse der Medien und des Publikums. Letzteres kann sich an Personen leichter orientieren als an Auseinandersetzungen mit Sachfragen. Darüber hinaus eignet sie sich zur Ablenkung von Themen, die nicht angesprochen werden sollen, weil sie schwierig oder unpopulär sind oder deren Entscheidungsspielraum eng ist.[20]

 

Als Strategie der Emotionalisierung dient die Privatisierung der Sympathiewerbung als auch das Herstellen emotionaler Bindungen, was eine Folge der Schwächung klassischer Wählerbindungen an die Parteien ist. Emotionale Bindungen, die über Sympathie und Wohlgefühl vermittelt werden, sollen geschaffen werden. Dabei werden der Lebensstil und die Politikerpersönlichkeit zum politischen Angebot, das zur Identifikation einlädt.[21]

 

Unter dem Faktor des Prominenzgewinns ist zu verstehen, dass die Politikerinnen und Politiker das Private als Strategie zum Aufbau, zum Erhalt und zur Mehrung ihrer Prominenz einsetzen. Prominenz erregt die beabsichtigte Aufmerksamkeit der Medien, die ihrerseits Prominenz als Selektionskriterium erachten. So ist die dauerhafte Beachtung durch die Medien erforderlich, um die Prominenz zu erhalten. Um demnach die Aufmerksamkeit der Medien und insbesondere des Fernsehens auf sich zu ziehen, orientieren sich die Politikerinnen und Politiker mit ihrer Selbstdarstellung an deren Aufmerksamkeitskriterien. Da im kommerzialisierten Rundfunksystem maximale Publikumsattraktivität gilt, ordnen sich Politik und politische Akteure diesem Ziel unter, womit sich die Interessen von Politikerinnen und Politikern sowie Medien treffen.[22]

 

Sebastian Kurz verwendete seine Abschiedsrede dazu, sein Privatleben für sich zu instrumentalisieren, um damit sein Image zu verbessern. Die in der Pressekonferenz getätigte Aussage: "Ich freue mich auf Zeit mit meinem Kind und meiner Familie, bevor ich mich im neuen Jahr neuen beruflichen Aufgaben widmen werde", hat eine enorme emotionale Wirkung, zumal die Familie für die Österreicher einen hohen Stellenwert einnimmt. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich auch der ehemalige Finanzminister Gernot Blümel mit dem Verweis auf sein Familienleben aus der Politik zurückzog.

 

Einer der ersten Politiker Österreichs, die ihr Privatleben (erfolgreich) als Strategie für ihren politischen Erfolg einsetzten, war Thomas Klestil. Im Präsidentschaftswahlkampf 1992 spannte er seine Frau und seine drei Kinder als Wahlkampfhelfer ein. Er inszenierte sich als Oberhaupt einer glücklichen Familie. In diversen Homestorys wurden Bilder seiner Familienidylle präsentiert. Später stellte sich heraus, dass er eine Geliebte hatte. Die Ehe mit seiner Frau Margot Klestil fand schließlich vor dem Scheidungsrichter ihr Ende. Die Medien machten die Affäre und die Scheidung zur öffentlichen Angelegenheit, wobei davon auszugehen ist, dass sie dies ohne Einverständnis Thomas Klestils´ machten.

 

Unbestritten ist, dass das Finden des richtigen Verhältnisses von Nähe und Distanz eine schwierige Gratwanderung ist. Mit der Demonstration von Nähe zu seinen Wählerinnen und Wählern präsentiert sich der Politiker zwar als menschlich „wie du und ich“, allerdings: Die „Distanzlosigkeit“ rein als solche ist eine der Todsünden jedes Politikers“.[23] Wer sich allzu menschlich zeigt, riskiert mitunter, nicht als Führungspersönlichkeit wahrgenommen zu werden[24].

 

Die „Tyrannei der Intimität“ hat jedoch bereits so weit Fuß gefasst, dass Richard Sennet behauptet: „Es käme in der Politik heute einem Selbstmord gleich, zu sagen: ‚Mein Privatleben geht euch nichts an; was ihr kennen müsst, sind meine Überzeugungen und die Programme, die ich durchsetzen werde.‘“[25]

 

Die Tendenz der Politiker, sich den medialen Aufmerksamkeitskriterien zu unterwerfen, gilt als Indikator für die „neue“ Art von Amerikanisierung.[26] Als Folge dieser „Amerikanisierung“ in der politischen Kommunikation sind alle politischen Akteure gefordert, deren Politik fortwährend strategisch an die Medien auszurichten.[27] Zu beachten ist, dass diese Amerikanisierungstendenzen in dem Maß zunehmen, in dem die Parteien ihre Aufgaben an die (Medien)-öffentlichkeit abgeben.[28] Es ist darauf hinzuweisen, dass sich die „Amerikanisierung“ nicht nur auf Wahlkämpfe bezieht, sondern auf generelle Entwicklungen der politischen Kommunikation, die mit dem Terminus der „Mediendemokratie“ verknüpft sind. [29]

 

1.4.2        1.4.2 Conclusio

 

Die Vorwürfe und letztlich auch der Druck der Landeshauptleute waren ausschlaggebend dafür, dass Sebastian Kurz nicht den Misstrauensantrag gegen seine Person abgewartet, sondern schon zuvor seinen Rücktritt erklärt hatte.[30] In Hinblick auf seine berufliche Neuorientierung wusste er, dass es Zeit war, zu gehen.

 

Wenngleich Sebastian Kurz´ politische Karriere beendet sein mag, so gelang es ihm, in der Privatwirtschaft Fuß zu fassen. Er bestätigte am 30. Dezember 2021 gegenüber oe24, dass er im Februar 2022 seinen Job als „Global Strategist“ bei „Thiel Capital“, dem Unternehmen des Facebook-Investors und Co-Gründers der Online-Bezahlplattform PayPal Peter Thiel, in Los Angeles antreten werde.[31] Abgesehen von dieser Position ist er auch Co-Vorsitzender des Europäischen Rats für Toleranz und Versöhnung (European Council on Tolerance and Reconciliation/ECTR). Im Jänner 2022 wurde bekannt, dass er die Firma „SK Management GmbH“ im Waldviertel gründete. Als Geschäftszweig wird angegeben: „Halten von Beteiligungen, Erbringung von Managementdienstleistungen, Unternehmensberatung“.[32]

2.       „Message Control“ außer Kontrolle

 

Sebastian Kurz besaß die Fähigkeit, politische Kommunikationsstrategien gezielt einzusetzen und die gewünschten Botschaften einem breiten Publikum verständlich zu vermitteln. Demzufolge bewegte sich die Bundesregierung unter seiner Führung aufgrund ihrer strikten Kommunikationspolitik und ihren Inszenierungen im internationalen Trend einer Politik der „Message Control“. „Dass Inszenierungen den Alltag der Politik in der Mediengesellschaft prägen, ist innerhalb weniger Jahre zu einem Gemeinplatz geworden“[33], weshalb sich unweigerlich die Frage stellt, ob der Generalverdacht der Inszenierung berechtigt ist.[34]

 

Als Beweggründe für Inszenierungen sind das Streben nach Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, der Versuch, politische Botschaften exakt zu kontrollieren, und die symbolische Komponente von öffentlicher Politik zu nennen.[35]

 

Da „die Politik in gewisser Hinsicht von den Medien abhängig“ ist[36], verwundert es nicht, dass Sebastian Kurz unter allen Umständen kontrollieren wollte, welche politischen Botschaften an die Öffentlichkeit gelangen sollten.[37]

 

So wurde nicht nur die Kontrolle über verbal vermittelte Botschaften und die gewünschte Wortwahl ausgeübt, sondern auch die Kontrolle über die visuelle Kommunikation und die Weitergabe von Bildern.[38] „Da Bilder im Unterschied zu Texten einer assoziativen Logik folgen, können sie Facetten einer Botschaft mitteilen, die über Sprache nicht so gut kommunizierbar sind“.[39] Sie bieten somit die Möglichkeit, das Publikum emotional anzusprechen.[40]

 

Als Beispiel sind „Handout-Fotos“ zu nennen, die nicht von unabhängigen Fotojournalisten aufgenommen wurden, sondern von persönlichen Fotografen. Diese Fotos wurden an die Redaktionen verteilt und auch direkt über Social-Media-Kanäle verbreitet. Die Wahrnehmung der Politiker sollte mit visuellen Mitteln positiv beeinflusst werden und ihr Image verbessert werden.[41]

 

Es ist darauf hinzuweisen, dass die Darstellung von Politik und deren Vermittlung, also ihre Inszenierung, so alt ist, wie die Politik selbst.[42] Beispiele für derartige Inszenierungen gibt es von der Antike über die Renaissance, das Zeitalter des Absolutismus, die Französische Revolution und die nachfolgenden Jahrhunderte bis hin zur Gegenwart. Murray Edelman definierte diesen politischen Aspekt bereits in den 1970er-Jahren als dramaturgisches Darstellungshandeln.[43] Obwohl es die Inszenierung schon immer gab, so war sie noch nie für die Vermittlung von Politik so bedeutend wie heute.[44]

 

Die Problematik der Inszenierung ist unter folgendem Aspekt zu betrachten: „Für die Bürgerinnen und Bürger ist kaum noch nachvollziehbar, bei welchen Darstellungen von Politik es sich um leere Inszenierungen und bei welchen um geschickte Präsentationen tatsächlichen Vollzugs handelt“.[45] Es ist daher erforderlich, die politischen Themen und Inhalte einer kritischen Prüfung zu unterziehen.[46]

 

Als logische Folge seines „Message Control“-Kurses setzte Sebastian Kurz Litigation-PR, also prozessbegleitende Öffentlichkeitsarbeit, ein, als gegen ihn im Mai 2021 Vorwürfe wegen Falschaussage erhoben wurden. Obwohl das Ermittlungsverfahren gegen ihn lief, gelang es ihm, diese Vorwürfe sowohl auf politischer als auch auf medialer Ebene zu entkräften.[47]

 

Es sei erwähnt, dass Litigation-PR durchaus gerechtfertigt ist. Sie dient dazu, einer medialen Vorverurteilung entgegenzuwirken, da sich der Betroffene nicht nur dem gerichtlichen Verfahren stellen muss, sondern auch dem „Gerichtshof der Öffentlichkeit“. Während für die Urteilsbildung der Öffentlichkeit schon die ersten Tage ausschlaggebend sind, können Strafverfahren viele Jahre dauern.[48]

 

James F. Haggerty, amerikanischer Anwalt und Litigation-PR-Spezialist beschreibt Litigation-PR in seinem Buch „In The Court of Public Opinion“ so: „Litigation-PR lässt sich am besten definieren als das Steuern von Kommunikationsprozessen während juristischer Auseinandersetzungen oder eines gerichtlichen Verfahrens, mit dem Ziel, dessen Ergebnis zu beeinflussen oder die Auswirkungen auf die Reputation des Klienten abzupuffern.“[49]

 

Wenngleich Sebastian Kurz den Vorwurf der Falschaussage erfolgreich zerstreuen konnte, so missglückte die Litigation-PR hinsichtlich der Inseratenaffäre.

 

2.1 Fragwürdige Äußerungen

 

Noch bevor die Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Parteizentrale in der Lichtenfelsgasse und im Bundeskanzleramt durchgeführt wurden, hielten die ÖVP-Abgeordneten Gabriela Schwarz und Andreas Hanger Pressekonferenzen ab.[50]

 

Die stellvertretende ÖVP-Generalsekretärin Gabriela Schwarz sah in den beabsichtigten Hausdurchsuchungen einen „Showeffekt“: „Nach den falschen Anschuldigungen, die schon gegen Sebastian Kurz, Josef Pröll, Gernot Blümel, Hartwig Löger und Bernhard Bonelli und andere erhoben wurden, die sich mittlerweile alle als haltlos herausgestellt haben, werden nun weitere Vorwürfe konstruiert über Vorgänge, die teilweise fünf Jahre zurückliegen.“ Das passiere immer mit demselben „Ziel und System“, so schwarz, nämlich die „die Volkspartei und Sebastian Kurz massiv zu beschädigen“. Sie zweifelte die Sinnhaftigkeit dieser Untersuchungen an, weil „nichts mehr da“ sei.[51]

 

Der ÖVP-Fraktionsvorsitzende im abgeschlossenen „Ibiza“-Untersuchungsausschuss, Andreas Hanger, sprach sogar von „linken Zellen“ bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die „politisch motivierte Ermittlungen“ führen würden.

 

ÖVP-Klubchef August Wöginger erkannte eine „Unzahl an falschen Behauptungen“. Es gebe immer die gleichen konstruierten Vorwürfe, um der Volkspartei und dem Kanzler Sebastian Kurz zu schaden. Die ÖVP werde dem politisch wie juristisch entgegentreten.[52]

 

Mit diesen pauschalen Äußerungen wurde die Justiz im Allgemeinen und die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft im Speziellen weiterhin angegriffen. Kritik an dieser Vorgangsweise begegnete Sebastian Kurz mit einem zweifelhaften Vergleich: Auch die katholische Kirche sei früher nie hinterfragt und Missbrauchsfälle gar vertuscht worden, womit er die beteiligten Staatsanwälte pädophilen Priestern gleichstellte. Die Österreicher haben volles Vertrauen in die Justiz, weshalb diese Angriffe und Abwertungen in der Kommunikation ein Eigentor darstellten.[53]

 

Trotz dieses medialen Vorspiels erregten die Hausdurchsuchungen enorme Aufmerksamkeit. Die richterlich genehmigte Anordnung der Hausdurchsuchungen listete auf 104 Seiten die Verdachtsmomente der Untreue und Bestechung minutiös auf. Den Beschuldigten drohen 15 Jahre Haft, sodass diese Straftatbestände eine völlig andere Größenordnung darstellen als eine eventuelle Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss.[54]

 

2.2 Konzentration auf Banalitäten

Die kommunikative Gegenoffensive ging unbeirrt weiter. Sebastian Kurz wies jede Verantwortung von sich. Es handle sich um Vorwürfe gegen Mitarbeiter des Finanzministeriums, die er kaum gekannt habe. Fakt ist jedoch, dass ihn die Staatsanwaltschaft als zentrale Figur des Geschehens sieht. In weiterer Folge wurde die Kommunikation zunehmend zweifelhaft und erstreckte sich von blinden Treueschwüren bis hin zu Distanzierungen aus der eigenen Partei. Es wurde der Versuch unternommen, von den strafrechtlichen Tatbeständen abzulenken und sich auf Banalitäten wie Schimpfworte zu fokussieren.[55]

 

Auch Sebastian Kurz´ „Schritt zur Seite“[56] brachte nicht die erwartete klare Trennung. Bundeskanzler Alexander Schallenberg erachtete die gegen Sebastian Kurz erhobenen Vorwürfe als falsch. Aussagen des Professors für Strafrecht Robert Kert, die er am 14. Oktober 2021 in der ZIB 2 zur Bestimmungstäterschaft tätigte, vermarktete Sebastian Kurz als seinen Freispruch. Robert Kert dementierte umgehend und distanzierte sich von seinem Interview.

 

2.3 Grenzen der Litigation-PR überschritten

 

Anwaltskanzleien, die ausgewählten Redaktionen rasch verwertbare Informationen zur Verfügung stellen, Hintergrundgespräche im kleinen Kreis mit dem richtigen Spin, renommierte Professoren, wie Peter Lewisch, die Privatgutachten auf Universitätspapier noch renommierter erscheinen lassen – all das fällt unter den Titel Litigation-PR.[57]

 

So kritisierte der frühere Abgeordnete vom Team Stronach und zur ÖVP gewechselte Rechtsanwalt Georg Vetter in einem Gespräch mit einigen Journalisten die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Die Chats, in denen es um Sebastian Kurz und Ex-Ministerien Sophie Karmasin ging, die ebenfalls als Beschuldigte geführt wird, seien unprofessionell ausgewertet worden.[58]

 

Auch der Experte für Strafrecht, Eckart Ratz, früherer Präsident des Obersten Gerichtshofs und kurz Innenminister, sieht die Rolle der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren kritisch und warnt vor einer fehlenden Balance zu den Persönlichkeitsrechten.[59]

 

So schreibt er in Fachmedien von der „Prangerwirkung durch schiere Führung eines Strafverfahrens“ und dass „eine Art Verwaltung von Verdachtsmomenten durch Organe der Gerichtsbarkeit“ den Persönlichkeitsschutz ablöse.[60]

 

Eine weitere Expertin, nämlich die Rechtsschutzbeauftragte im Justizministerium, Gabriele Aicher, kritisierte das Vorgehen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) bei den Hausdurchsuchungen in der Medienkorruptionsaffäre auf das Schärfste. Es sei eine „rote Linie des Rechtsstaats überschritten“.[61] Die ÖVP nutzte daraufhin ihre Stellungnahme für mediale Angriffe auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA).

 

Wenngleich es laut dem Anti-Korruptionsexperten Martin Kreutner legitim sei, Stimmung für einen Beschuldigten zu machen, seien jedoch Angriffe auf die Justiz, insbesondere wenn sie persönlicher Natur sind, inakzeptabel.[62]

 

2.4 Conclusio

 

Zusammenfassend betrachtet, bleibt eine missglückte Kommunikationsstrategie, die allen Beteiligten schadet. Die „Message Control“ geriet außer Kontrolle. Litigation-PR ist legitim und trägt dazu bei, das berufliche Fortkommen zu gewährleisten. Eine nicht strukturierte, erratische Kommunikation, wie im gegenständlichen Fall, wird jedoch ins Gegenteil verkehrt, weshalb Sebastian Kurz bereits vor einer möglichen Anklageerhebung viel an Glaubwürdigkeit verloren hat.[63]

3.       Literaturverzeichnis

 

Balzer, Axel/Marvin Geilich (2006). Politische Kommunikation in der Gegenwartsgesellschaft – Politikvermittlung zwischen Kommunikation und Inszenierung, in: Axel Balzer/Marvin Geilich/Shanim Rafat (Hg.): Politik als Marke. Politikvermittlung zwischen Kommunikation und Inszenierung, Berlin, 16-34.

 

Beyrl, M., & Perlot, F. (2006). Politische Kommunikation in Österreich – Generalverdacht der Inszenierung? Ein Streifzug durch die österreichische Mediendemokratie. Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 35(4), 391-405. Abgerufen unter

 

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