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Eine starke Frau in der Wildnis des Outbacks: Die Australien-Saga »Der Ruf des roten Landes« von Ann Clancy jetzt als eBook bei dotbooks. Südaustralien, 1849: Um der Hungersnot in Irland zu entkommen, wagt die junge Kate die gefährliche Reise ins ferne Australien. In Adelaide trifft sie auf Rory O’Connor, einen Landsmann, der sich mit Pferd und Wagen in der Wildnis des roten Landes durchschlägt – und mit dem Kate schon bald ein zartes Band verbindet … Doch vor die Wahl gestellt, auf ihre Gefühle zu hören oder dem Leben in Armut und Hunger für immer zu entgehen, muss Kate sich schweren Herzens entscheiden, dem wohlhabenden Engländer James Carmichael ins Outback zu folgen: Der junge Landbesitzer bietet ihr nicht nur Arbeit auf seiner Farm, er macht ihr auch Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft. Aber das Leben im Outback ist hart – und James nicht das, was er vorgibt … Wird Kate hier wirklich ihr Glück finden? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die große Frauenschicksals-Saga »Der Ruf des roten Landes« von Ann Clancy. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 761
Über dieses Buch:
Südaustralien, 1849: Um der Hungersnot in Irland zu entkommen, wagt die junge Kate die gefährliche Reise ins ferne Australien. In Adelaide trifft sie auf Rory O’Connor, einen Landsmann, der sich mit Pferd und Wagen in der Wildnis des roten Landes durchschlägt – und mit dem Kate schon bald ein zartes Band verbindet … Doch vor die Wahl gestellt, auf ihre Gefühle zu hören oder dem Leben in Armut und Hunger für immer zu entgehen, muss Kate sich schweren Herzens entscheiden, dem wohlhabenden Engländer James Carmichael ins Outback zu folgen: Der junge Landbesitzer bietet ihr nicht nur Arbeit auf seiner Farm, er macht ihr auch Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft. Aber das Leben im Outback ist hart – und James nicht das, was er vorgibt … Wird Kate hier wirklich ihr Glück finden?
Über die Autorin:
Ann Clancy ist Australierin mit irischen Wurzeln. In Papua-Neuguinea aufgewachsen, bereiste sie die ganze Welt, bevor sie beschloss, das Schreiben zu ihrem Beruf zu machen. Abenteuerliche Romane über starke, unabhängige Frauen liegen ihr besonders am Herzen. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Adelaide im Süden Australiens.
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eBook-Neuausgabe Januar 2022
Die australische Originalausgabe erschien erstmals 1996 unter dem Originaltitel »The Wild Colonial Girl« bei Pan Macmillan Australia, Sydney. Die deutsche Erstausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Traumpfad der Liebe« bei Weltbild.
Copyright © der australischen Originalausgabe 1996, 2004 by Ann Clancy
Published by Arrangement with Ann Clancy
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2009 Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Sandra Lass, AmyLv, kwest, KathySG, AKV
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)
ISBN 978-3-96655-755-9
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Ann Clancy
Der Ruf des roten Landes
Die große Australien-Saga
Aus dem Australischen von Karin Dufner
dotbooks.
September 1849
»Himmel, hörst du endlich zu weinen auf, Brigid? Man möchte meinen, das Ende der Welt wäre angebrochen!«
»Zumindest sieht es hier aus wie am Ende der Welt. Schau doch!«
Kates Blick wanderte über die Hafenmole zu der Landschaft, die sich dahinter erstreckte. So etwas hatte sie wirklich ihr Lebtag noch nicht gesehen. Niedrige Sanddünen und große Ansammlungen stehenden Salzwassers, so weit das Auge reichte. Die Bäume waren grau und kläglich verkrüppelt, und sogar der Gesang der Vögel hatte etwas Trauriges an sich. Kate zog sich die Kapuze ihres dicken Umhangs über den Kopf und wickelte das Kleidungsstück fest um sich, um den beißenden Südwestwind abzuhalten. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, bei ihrer Ankunft in der südaustralischen Kolonie zumindest mit Sonnenschein empfangen zu werden, aber es war stark bewölkt. Der Wind trieb düstere, bedrohlich wirkende Wolken über den Himmel.
Das goldene Land der unbegrenzten Möglichkeiten machte eher einen düsteren und trostlosen Eindruck. Doch das wollte sie Brigid gegenüber auf keinen Fall zugeben.
»Das ist nur der Hafen. Adelaide ist sicher das hübscheste Städtchen, das du je erlebt hast. Also hör auf, Trübsal zu blasen, Brigid. Das hier ist ein Neuanfang.«
»Man hat uns versprochen, dass zukünftige Ehemänner uns mit offenen Armen erwarten würden«, schniefte Brigid.
»Oh, Brigid! Hast du das etwa wirklich geglaubt?« Kate lachte. »Ein Ehemann, der sein Salz in der Suppe wert ist, steht nicht däumchendrehend am Hafen herum und wartet auf ein Waisenmädchen aus Irland. Das haben sie uns nur weisgemacht, um uns bei Laune zu halten. Irgendetwas mussten sie uns ja erzählen, damit zweihundert Mädchen nicht die gesamte vier Monate lange Überfahrt Rotz und Wasser heulen.«
»Nun, ich könnte aber losflennen, wenn ich mir das so anschaue. Und außerdem habe ich Angst. Wir wissen nicht, was uns bevorsteht. Fürchtest du dich denn nicht?«
»Natürlich fürchte ich mich. Das ist doch ganz normal. Aber wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen.« Kate umarmte ihre Freundin. »Keine Sorge. Wir machen einfach alles gemeinsam, so wie in den letzten beiden Jahren. Das Arbeitshaus haben wir auch überstanden, weil wir fest zusammengehalten haben. Schlimmer kann es hier nicht werden.«
»Nein, vermutlich hast du recht.«
»Nichts, nicht einmal die Kolonie Südaustralien, kann so entsetzlich sein wie die Hungersnot in Irland.«
»Schön, dass du so zuversichtlich bist.«
»Wir dürfen den Mut nicht verlieren, müssen die Vergangenheit hinter uns lassen und das Beste aus unserer Zukunft machen. Ich weiß schon, was ich tun werde. Zuerst verdiene ich ein Vermögen, und dann suche ich mir einen reiche Mann. Und danach esse ich so viel leckere Sachen, wie man für Geld nur kaufen kann.«
Brigid wischte sich lachend die Augen ab.
»Das glaube ich dir gern. Du packst jede Gelegenheit sofort beim Schopf. Ohne dich wäre ich niemals zur Waisenverschickung zugelassen worden. Erst als du ihnen vorgeschwindelt hast, wir wären vierzehn, durften wir mitfahren. Wenn die gewusst hätten, dass wir schon sechzehn sind, wären wir jetzt nicht hier.«
»Nun, ich habe eine harte Schule hinter mir. Wenn man es in der Welt zu etwas bringen will, muss man die Ellenbogen einsetzen.«
»Für dich mag das das Richtige sein, meine liebe Freundin Kate. Mir ist schon aufgefallen, wie die Männer dich anglotzen. Mit deinem Gesicht und deiner Figur angelst du dir sicher rasch einen reichen und überdies netten Mann. Ich hingegen stehe wahrscheinlich noch in zehn Jahren wartend in diesem Hafen herum.«
»Unsinn!«, widersprach Kate. »Du hast ein reizendes Gesicht und bist ein bezauberndes Mädchen. Alle mögen dich.«
Ihr Blick glitt über ihre Freundin. Brigids Haar war von einem warmen, samtenen Braun und hatte einen leichten Stich ins Rote. Ihre Augen waren groß und schauten freundlich drein. Mit ihrem rundlichen Gesicht gehörte Brigid zu den Mädchen, die mit Männern und Frauen gleichermaßen gut zurechtkamen. Doch wenn Kate ehrlich war, schien Brigid keine Frau zu sein, nach der sich die Männer umdrehten, auch wenn sie das ihrer Freundin nie eingestanden hätte.
Kate hingegen fiel überall auf, obwohl sie nicht sicher war, woran das liegen mochte. Vielleicht lag es an ihren Augen, die tatsächlich eine seltene Farbe hatten — eine Mischung aus Violett und Blau – und außerdem ein leuchtendes Strahlen besaßen. Außerdem hatte sie hübsch geschwungene Brauen und lange schwarze Wimpern. Allerdings war sie selbst der Ansicht, dass ihre Augen ihren einzigen Vorzug darstellten. Ihr Mund war zu breit, um als schön durchzugehen, auch wenn sie gute Zähne ihr Eigen nannte. Ihr Haar besaß das schimmernde Schwarz spanischer Vorfahren, wie es in Irland häufig vorkam, aber es fehlte der warme Glanz von Brigids braunen Locken.
Sie schaute an sich hinunter. Eigentlich hätte man sie als zierlich beschreiben müssen, obwohl abgemagert derzeit die passendere Bezeichnung für sie und ihre Schicksalsgenossinnen zu sein schien, die so viele Jahre lang Unterernährung oder sogar Hunger hatten erdulden müssen. Dank der kräftigenden Mahlzeiten an Bord der Elgin hatte sie zum Glück wieder ein paar Pfund zugelegt, besaß mit ihren schmalen Schultern und Hüften und den schlanken Beinen jedoch noch immer eine knabenhafte Figur. Inzwischen zeichneten sich zwar die ersten weiblichen Rundungen ab, aber niemand wäre auf den Gedanken gekommen, sie vollbusig zu nennen. Und das war es doch, was den Männern gefiel, oder?
Kate fuhr sich mit der Hand über das herzförmige Gesicht, das ihrer Ansicht nach zu mager war. Außerdem standen ihre Wangenknochen zu sehr hervor. Rosige Pausbäckchen, wie Brigid sie hatte, wären gewiss von Vorteil. Dafür war ihre Haut sehr hell, ja, beinahe weiß, und dazu so zart, dass sie fast durchscheinend wirkte, wie bei so vielen schwarzhaarigen Iren.
Ihre Hand wanderte weiter über das markante Kinn zum schlanken Hals, während sie das bunte Treiben um sich herum beobachtete. Ihr Aussehen kümmerte sie viel weniger als die vielfältigen Eindrücke ihrer neuen Heimat.
Der Hafen ähnelte einem Wald aus Masten und Spieren. Arbeiter wimmelten umher, löschten Ladung und schleppten Waren zwischen Ochsenkarren und den wartenden Schiffen hin und her. Weitere Einwanderer gingen an Land, sodass von allen Seiten fröhliche Begrüßungen zu hören waren. Bis jetzt hatte niemand die Elgin und ihre aus irischen Mädchen bestehende Ladung auch nur eines Blickes gewürdigt. Irische Waisenmädchen waren in Adelaide nichts Neues mehr.
Die dröhnende Stimme der Vorsteherin riss Kate aus ihren Betrachtungen.
»Kommt, Mädchen, fertig machen zum Aussteigen. Die Wagen für euer Gepäck sind schon da. Und dass ihr euch ja benehmt!«
Die Mädchen rafften ihre wenige Habe zusammen und scharten sich um die Vorsteherin.
»Schmutzige Bälger«, raunte diese dem Hafenmeister zu, während sie ihre Schützlinge abfällig beäugte. Dass sie die Mädchen nicht leiden konnte, war von Beginn der Reise an nicht zu übersehen gewesen.
»Los, Beeilung«, rief sie. »Ihr werdet die acht Meilen in die Stadt zu Fuß gehen. Es gibt nur eine Straße. In Adelaide fragt ihr nach dem Waisenhaus. Also, ein bisschen plötzlich, sonst verpasst ihr euer Abendessen.«
Ohne auf die Drohungen und Schimpftiraden der Vorsteherin zu achten, trotteten die Mädchen die Planke hinunter und waren froh, endlich an Land zu sein.
»Komm!« Kate nahm ihre schüchterne Freundin bei der Hand und machte sich auf den Weg durch den Hafen.
Die beiden schlängelten sich durch die Kisten, Körbe und Fässer, die sich am Ufer stapelten, liefen an den Bergen von Fischernetzen vorbei und rannten durch die Schwärme von Möwen, die lauerten, bis die Fischer ihnen ein paar Bröckchen frischen Fisch zuwarfen. Riesige Wollballen und hoch aufgetürmte Getreidesäcke warteten darauf, auf die vor Anker liegenden Schiffe verladen zu werden.
Nach den vielen Monaten auf See waren die Mädchen noch ein wenig wackelig auf den Beinen.
»Hey, passt doch auf, ihr Trampel«, rief da eine Stimme mit irischem Akzent.
Kate blieb ruckartig stehen. Der Mann, der sie angeschrien hatte, schob eine Schubkarre, auf der sich bis zum Bersten gefüllte Säcke häuften. Er schnitt ihr den Weg ab, sodass er ihr beinahe über die Schuhspitzen gefahren wäre.
»Passen Sie doch selbst auf«, brüllte sie ihm nach. »Oder wissen Sie nicht, dass Damen immer Vortritt haben?«
Lachend warf sie ihr Haar zurück und ließ es sich vom Wind aus dem Gesicht wehen. Ihre violetten Augen funkelten spitzbübisch.
»Schon, aber hier sind nirgendwo Damen!«
Der hochgewachsene, breitschultrige Ire grinste sie an und bleckte dabei makellos weiße Zähne, die sich leuchtend von seiner dunklen Haut abhoben. Im nächsten Moment war er in der Menge verschwunden.
Die Straße in die Stadt war wegen der vielen überladenen Fahrzeuge mit tiefen Furchen durchsetzt. Kate, Brigid und die anderen trotteten durch die Straßen von Port Adelaide, vorbei an den Lagerhäusern, Zollkontoren, Handelsniederlassungen und Kramläden. Unterwegs wurden sie ständig von Wagen, Karren und Kutschen überholt. Die entgegenkommenden Fuhrwerke hatten Getreidesäcke oder Kupfererz geladen. Die, die von hinten kamen, ächzten unter dem Gewicht der Möbel und Besitztümer der vielen neuen Siedler, die wöchentlich in der Kolonie eintrafen.
Die Straße führte durch weites, von Buschwerk bewachsenes Land, das sich ausdehnte, so weit das Auge reichte. In der Ferne war im Osten eine dicht bewaldete, blau schimmernde Bergkette zu erkennen. Die Gebäude waren eilig aus leicht zu beschaffenden Materialien zusammengezimmert. Die meisten bestanden aus mit Lehm bestrichenem Flechtwerk, ein paar auch aus grob behauenem Stein. Kleine Farmen standen überall auf der Ebene verstreut, und Hühner, Ziegen, Kühe, Schweine und Schafe zogen frei durch die Landschaft.
Sie hatten schon einige Meilen hinter sich gebracht, als plötzlich ein voll beladener Wagen langsam neben ihnen herrollte.
»Na, wenn das nicht die hübschen Damen aus Irland sind!«
Wie Kate rasch feststellte, war es der Mann, mit dem sie am Hafen beinahe zusammengestoßen wäre.
»Und wenn das nicht der Bursche ist, der junge Damen mit dem Handkarren überfährt!«
»Es wundert mich, Damen Ihres Standes zu Fuß in die Stadt gehen zu sehen. Haben Sie etwa Ihre Kutsche verloren?«
»Der Höflichste sind Sie anscheinend nicht gerade«, witzelte Kate zurück. »Ein wahrer Gentleman würde einer Dame eine Mitfahrgelegenheit anbieten, anstatt sich an ihrer misslichen Lage zu weiden.«
»Eine feine Dame würde sich niemals in so einem alten Karren sehen lassen.«
»Also, ich hätte nichts dagegen«, rief Brigid.
Der Wagen hielt an.
»Dann steigen Sie ein.«
»Sollen wir?« Ängstlich sah Brigid sich nach der Vorsteherin um.
»Ich weiß nicht, wie es bei dir ist, aber ich fühle mich ziemlich wackelig auf den Beinen«, erwiderte Kate.
»Wir würden gern mitfahren. Vielen Dank«, sagte Brigid mit leiser, beinahe atemloser Stimme.
Der Mann streckte eine kräftige Hand aus und half Kate auf den schmalen Kutschbock.
»Sie setzen sich am besten auf die Kiste hinter mir«, meinte er zu Brigid und reichte auch ihr die Hand.
»Rory O’Connor, zu Ihren Diensten, meine Damen«, fügte er hinzu und lüpfte seinen Filzhut. Seine dunkelblauen Augen funkelten freundlich, und ein breites Grinsen spielte um seine Lippen. Dann schnalzte er mit den Zügeln, und die Pferde setzten sich gemächlich in Bewegung.
Unterwegs betrachtete Kate sein Profil. Er schien noch keine dreißig zu sein, besaß einen markanten Kiefer und einen festen Mund, zu dem die funkelnden Augen und die Lachfältchen einen starken Gegensatz bildeten. Trotz seines kräftigen Körperbaus hatte er kein überflüssiges Gramm Fett an sich und war muskulös. Seine Haut glänzte sonnengebräunt und sah gesund aus.
»Ich bin Kate O’Mara, und das ist Brigid Mulcahey.« Kate schenkte ihm ihr reizendstes Lächeln, denn sie freute sich sehr, einem Landsmann begegnet zu sein. »Wir sind heute erst eingetroffen und kommen aus Cork.«
»Aus Cork stammen Sie? Dann sind wir beinahe alte Nachbarn. Ich bin aus Castlemaine, County Kerry.«
»Ach, ein O’Connor aus Kerry. Ich kannte einen O’Connor aus Kerry. Er war unser Gemeindepfarrer«, erklärte Brigid.
»Vater Daniel O’Connor?«
»Ja, genau.«
»Das ist der Cousin meines Vaters. Was für ein Zufall. Ich habe ihn seit zwei Jahren nicht gesehen. Wie geht es ihm denn?«
»Bei mir ist es noch länger her. Es war, bevor… bevor ich von dort fortgegangen bin. Vor dem Tod meiner Familie.«
»Sie haben also Ihre ganze Familie verloren?«
Brigid sah Kate an.
»Wir beide.«
»Das tut mir leid.«
»Das ist Vergangenheit«, entgegnete Kate und straffte unbewusst die Schultern. »Was ist denn mit Ihrer Familie, Mr O’Connor? Oder sind Sie auch allein hergekommen?«
»Ja, ganz allein. Aber freiwillig. Das arme alte Irland war in einem traurigen Zustand. Meine Familie ist noch dort. Wir gehörten zu den Glücklichen, die die Hungersnot überlebt haben. Ich versuche immer noch, sie zum Auswandern zu überreden. Dieses Land ist wundervoll.«
Kate war froh, das Thema Familie abgehakt zu haben.
»Wirklich? Erzählen Sie uns mehr davon.«
»Es ist ein sehr schönes Land, daran besteht kein Zweifel, auch wenn Sie sich für Ihre Ankunft keinen guten Tag ausgesucht haben. Sonst scheint immer die Sonne, und die Vögel singen aus voller Kehle, um den Tag zu loben.« Er hielt inne. »Meist lebt es sich hier recht angenehm. Doch wenn Sie auf Arbeitssuche sind, muss ich Ihnen sagen, dass Sie den falschen Zeitpunkt erwischt haben. Vor ein oder zwei Jahren hätten sich die Arbeitgeber noch um Sie gerissen. Aber das hat sich geändert.«
»Uns hat man erzählt, die Leute würden sich am Hafen drängen, um uns eine Stelle anzubieten«, erwiderte Brigid. »Und die heiratswilligen Männer auch.«
Rory lachte auf.
»Nun, seit der ersten Bootsladung Waisenmädchen haben sich die Zeiten geändert. Anfangs hatten alle Mitleid mit den Opfern der Hungersnot. Seltsamerweise jedoch hat sich die Anteilnahme rasch gelegt, seit es hier von Dienstboten nur so wimmelt.«
Kate fuhr hoch.
»Was? Es gibt keine Arbeit für Dienstboten?«
»Nein, nicht mehr. Offenbar hat man sich, was die Anzahl der Einwanderer angeht, verschätzt. Diese Kolonie wurde von freiwilligen Siedlern gegründet …«
»Wir haben gehört, dass hier keine Sträflinge leben«, unterbrach Kate.
»Stimmt. Man wollte es mit einer anderen Art von Kolonie versuchen. Der Plan war, den Wohlhabenden Land zu verkaufen. Der Erlös sollte dafür verwendet werden, die für die Arbeit auf den Farmen benötigten Menschen herzubringen.«
»Und was ist schiefgegangen?«, erkundigte sich Brigid eifrig.
»Nun, anfangs gab es nicht genug Hauspersonal und Farmarbeiter. Alle, die herkamen, wollten ein Stück Land erwerben, ganz gleich, wie klein es auch sein mochte. Und als es endlich gelang, genügend Arbeitskräfte anzuwerben, ging es mit der ganzen Kolonie bergab, und niemand hatte mehr das Geld, um sie zu beschäftigen.«
»Also ist es nicht das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, von dem man uns erzählt hat«, stellte Brigid fest.
»Nein. Aber der Anfang war auch nicht leicht. Vor den Kupferfunden in Burra Burra und Kapunda sah es ganz danach aus, als würden die meisten von uns ihre Zelte abbrechen und nach Osten ziehen. Die Kupferminen haben der Region aber wieder auf die Sprünge geholfen. Allerdings hatten wir einige Dürreperioden und Missernten zu überstehen, sodass sich im Moment niemand Landarbeiter leisten kann.«
»Und womit sollen wir dann unser Geld verdienen?«
»Eine gute Frage. Ich denke, Sie gehören zu den letzten Waisen, die hergebracht wurden. Wenn Sie beide Bergarbeiter aus Cornwall wären, würde man sich um Sie reißen, denn in den Minen von Burra Burra gibt es genug zu tun. Ansonsten werden Sie vermutlich nur im Busch etwas finden.«
»Aber in Irland sitzen Tausende von Mädchen wie wir, die nur darauf warten, endlich von dort wegzukommen. Alle haben die Hoffnung verloren, denn das Land ist vor die Hunde gegangen. Sämtliche Mädchen im Arbeitshaus wollten hierher. Es war reines Glück, dass wir mitfahren durften«, erklärte Brigid.
»Als ob ich das nicht wüsste«, sagte Rory. »Ich denke, seit meinem Abschied von der alten Heimat hat sich nicht viel verändert. Keiner, der die Hungersnot überlebt hat, möchte in Irland bleiben und auf die nächste warten. Doch das spielt keine Rolle. Ein Mangel an Einwanderungswilligen ist nicht das Problem. Am besten schenke ich Ihnen gleich reinen Wein ein, denn früher oder später werden Sie es sowieso rauskriegen. Sie sind hier nicht willkommen, und die Leute werden nicht sehr freundlich zu Ihnen sein.«
Die beiden Mädchen wechselten erschrockene Blicke.
»Soll das heißen, dass die Iren unbeliebt sind?«, fragte Kate.
»Unter anderem. Angeblich soll dieses Land für alle ein Neuanfang sein, doch viele der Siedler – die Engländer, die Schotten und die Deutschen – wollen lieber unter sich bleiben.«
»Das ist doch meistens so«, wandte Kate ein.
»Hm.« Offenbar war es Rory peinlich, weiterzusprechen. »Tja, die irischen Mädchen, die vor Ihnen kamen, haben dafür gesorgt, dass Irinnen keinen sonderlich guten Ruf genießen. Von denen, die im Mai mit der Inconstant eintrafen, hat keine einzige Arbeit gefunden. Hinzu kam, dass viele von ihnen sich nicht als Dienstmädchen in den Häusern der besseren Gesellschaft eigneten. Also standen ihnen nicht viele Möglichkeiten offen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Während Brigid ein verdattertes Gesicht machte, schwante Kate allmählich die Wahrheit.
»Erzählen Sie mehr«, forderte sie Rory auf.
»Ich möchte Sie nicht in Verlegenheit bringen.«
»Das werden Sie nicht schaffen. Vergessen Sie nicht, dass wir in einem Arbeitshaus gelebt haben. Wir haben schon einiges gesehen.«
Er zuckte mit den Schultern.
»Nun, die meisten, die mit dem letzten Schiff ankamen, sind inzwischen Prostituierte. Überhaupt stammt der Großteil aller Prostituierten in Adelaide aus Irland. Also wird man Sie mit diesen Frauen in einen Topf werfen.« Rory schnalzte mit den Zügeln und starrte in die Ferne, wo die Stadt lag.
Erneut wechselten Kate und Brigid erschrockene Blicke.
»Ach herrje, ich wünschte, ich wäre nie hergekommen«, flüsterte Brigid und bekreuzigte sich.
Doch Kate ließ sich nicht so schnell unterkriegen.
»Warum suchen diese Mädchen sich keine Arbeit in der Landwirtschaft? Sie haben selbst gesagt, dass es dort genug zu tun gibt. Wie ist es denn so im Busch?«
Rory sah sie an und lachte.
»So jemanden wie Sie nennt man hier noch nicht ganz trocken hinter den Ohren. Wie stellen Sie sich den Busch denn vor?«
Kate zuckte die schmalen Schultern und musterte die eintönige Landschaft um sie herum.
»Vermutlich sieht es dort so ähnlich aus wie hier, nur nicht mit so vielen Häusern. Richtig?«
Rory stieß ein gutmütiges Lachen aus.
»Diese Gegend ist verglichen damit ein grünes Paradies. Oben im Norden sieht es völlig anders aus – heiß, trocken und lebensfeindlich.«
Er wies mit dem Kopf auf eine Menschengruppe, die ihnen auf der Straße entgegenkam.
»Schauen Sie, das sind Aborigines.«
Kate und Brigid folgten seinem Blick. Während Brigid wortlos erbleichte, betrachtete Kate die Leute mit unverhohlener Neugier. Sie hatten eine dunkle Haut und waren schmutzig. Magere Arme und Beine ragten aus den fadenscheinigen Kleidern und Fellen, die kaum ihre Körper bedeckten. Kinder und streunende Hunde sprangen um sie herum.
»Sehr gefährlich sehen die aber nicht aus«, stellte Kate fest.
»Die in der Stadt sind harmlos«, entgegnete Rory. »Sie haben es aufgegeben, um ihr Land zu kämpfen, und dürfen die Stadt nur betreten, wenn sie bekleidet sind. Draußen im Busch jedoch geht es ganz anders zu. Die dortigen Eingeborenen rauben und morden und machen in Kriegsbemalung einen recht bedrohlichen Eindruck. Sie haben ganze Siedlerfamilien auf abgelegenen Farmen umgebracht.« Sein Blick wandte sich wieder der Straße zu. »Allerdings lauern im Busch noch weitere Gefahren: Giftschlangen, Springfluten, endlose Dürreperioden, Wasserknappheit, eine meist unerträgliche Hitze und Buschbrände, von den Fliegen und dem Staub einmal ganz zu schweigen«, ergänzte er.
»Also ganz anders als in Irland?«, hakte Kate gespielt arglos und mit spitzbübisch funkelnden Augen nach.
»Stimmt.« Rory erwiderte ihr Lächeln. »Und dann gibt es noch etwas, was jedem guten Iren aufs Gemüt schlägt, nämlich die elende Einsamkeit. Der nächste Nachbar wohnt meilenweit entfernt. Zwischen manchen Farmen liegen gar mehrere Tagesreisen. Und da die irischen Mädchen sich nicht in den Busch gewagt haben, um Arbeit zu suchen, haben sie die einzige Möglichkeit ergriffen, die sich ihnen in der Stadt bot.«
»Nun, da gehe ich lieber in den Busch, wenn es sein muss«, verkündete Kate.
Brigid nickte zustimmend, auch wenn sich in ihrer Miene noch immer Zweifel spiegelten. Die beiden Mädchen blickten geradeaus und ließen sich den Wind ins Gesicht wehen, ernüchtert von dem, was sie offenbar erwartete. Wieder zog Kate den Umhang fester um sich.
»Was ist denn da los?«, wunderte sich Rory und ließ die Pferde langsamer gehen.
Eine Menschenmenge drängte sich vor einem Gebäude, das ein Schild als Gasthaus zum gelobten Land auswies. Die Leute standen bis auf die Straße hinaus. Der Eingang zum Gebäude wurde von einem Karren blockiert. Auf der Ladefläche hatte sich ein Mann aufgebaut, der eine Frau am Haar gepackt hielt.
Die Zuschauer johlten.
»Offenbar betrunken«, murmelte Brigid.
»Welches Gebot höre ich?«, brüllte der Mann und zerrte den Kopf der Frau näher zu sich heran. »Würde keine schlechte Ehefrau abgeben, wenn ich das so sagen darf!«
Er warf ein anzügliches Lächeln in die Runde.
»Los, gebt ein Gebot ab und nennt einen Preis. Dann gehört sie euch!«
»Kaum zu glauben«, rief Kate aus. »Der Kerl verkauft seine eigene Frau!«
Rory schnalzte mit den Zügeln, um weiterzufahren.
»Mr O’Connor, warten Sie!« Kate hielt seinen Arm fest.
»So etwas sollten Sie sich nicht ansehen, Miss O’Mara. Am besten machen wir uns aus dem Staub.«
»Nein! Die arme Frau, wir müssen etwas unternehmen.«
Kate war zu Hause dafür bekannt gewesen, dass sie nicht tatenlos zusah, wenn ein bedauernswertes menschliches Wesen misshandelt und gedemütigt wurde.
»Mr O’Connor weiß sicher, was richtig ist«, wandte Brigid ein. »Wir sollten verschwinden. Bestimmt wird es Ärger geben.«
»Zehn Shilling«, schrie ein magerer, zahnloser Mann, der hinten in der Menge stand.
»Zwölf«, überbot ihn ein anderer.
»Ach, sie ist viel mehr wert, das kann ich euch garantieren. Sie kann kochen und nähen und macht sich auch nicht schlecht im Bett.« Wieder blickte der Mann lüstern in die Menge. »Ich würde sie behalten, aber ich stecke in Geldnöten. Los, ich will Gebote hören!«
»Fünfzehn«, brüllte einer.
»Ein Pfund!«, ein anderer.
Die Frau machte einen verängstigten Eindruck. Ihr eines Auge schwoll bereits blau an, und ihr Kleid war am Saum und am Ausschnitt zerrissen. Sie wand sich in dem gnadenlosen Griff des Mannes.
Rory schnalzte erneut mit den Zügeln, und die Pferde setzten sich in Bewegung.
»Halten Sie sofort an!« Kate langte über den Iren hinweg und griff nach den Zügeln, damit die Pferde stehen blieben.
»Kate!« Brigid sprang von ihrer Kiste und stürzte sich von hinten auf ihre Freundin. »Deinetwegen werden wir noch einen Unfall haben, du Dummerchen.«
Rory nahm ihr die Zügel ab und brachte den Wagen erneut zum Stehen.
»Wir dürfen das doch nicht einfach zulassen«, widersprach Kate und wollte aufstehen, um das Geschehen besser verfolgen zu können. Tränen traten ihr in die Augen. »Ich kann nicht tatenlos zusehen, wie diese Frau misshandelt wird.«
Aber Brigid hielt sie weiter umklammert.
»Kate, du musst lernen, dich nicht in alles einzumischen. Du kannst nicht allen bedauernswerten Menschen oder Tieren helfen, die dir über den Weg laufen. Irgendwann wirst du dir mächtig Ärger einhandeln.«
»Sie hat recht, Miss O’Mara. Wir können nichts ausrichten.«
Kate riss sich von ihrer Freundin los. »Meinetwegen, legt nur die Hände in den Schoß, aber ich lasse mich nicht so leicht einschüchtern. Und nun werde ich mit diesem sogenannten Ehemann ein Hühnchen rupfen.«
Im nächsten Moment sprang sie so blitzschnell vom Wagen, dass niemand sie aufhalten konnte.
»Mr O’Connor! Sie müssen sie daran hindern«, entsetzte sich Brigid.
»Passen Sie auf die Pferde auf.« Nachdem er Brigid die Zügel zugeworfen hatte, stieg er ebenfalls vom Wagen und hatte Kate nach wenigen Schritten eingeholt.
»Miss O’Mara, Sie werden sich Prügel einhandeln«, warnte er und packte sie am Arm, um sie zurück zum Wagen zu ziehen.
»Können Sie denn nichts tun, Mr O’Connor? Bitte!«
»Gut, aber wir wollen nicht voreilig sein, sondern zuerst gründlich nachdenken«, erwiderte er und schleppte Kate so sanft wie möglich zum Wagen.
Brigid sah Rory an und verdrehte die Augen.
Dieser zuckte die Schultern und zog die dichten Augenbrauen hoch, was wohl »Was mache ich jetzt bloß mit ihr?« heißen sollte.
»Überlass es Mr O’Connor, Kate.«
Sie hörten, wie die Gebote stiegen.
Rory drehte Kate zu sich um und blickte ihr eindringlich in die Augen.
»Passen Sie auf«, begann er. »Wovor wollen Sie die arme Frau denn eigentlich retten? Möchten Sie, dass sie bei diesem Dreckskerl von einem Ehemann bleiben muss? Ohne ihn wäre sie viel besser dran!«
Kate musterte ihn forschend und wandte sich dann wieder zu der Frau um.
»Er hat recht«, beteuerte Brigid.
Kate sah Rory ins Gesicht. Möglicherweise stimmte das wirklich.
»Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten. An den Burschen mit dem grauen Hut für ein Pfund sieben Shilling und Sixpence.« Der Mann wandte sich an seine arme Frau.
»Gut, dass ich dich endlich los bin, du alte Krähe«, zischte er.
Begleitet vom Johlen der Menge, wurde die Frau grob vom Karren gestoßen. Es war zu spät, um noch etwas zu tun.
»So viel zum Gasthaus zum gelobten Land und diesem gelobten Land selbst«, höhnte Kate verbittert.
Schweigend setzten sie den Weg durch die Ebene fort. Doch Kate wollte die Szene einfach nicht mehr aus dem Kopf. Wie konnten Menschen so miteinander umgehen?
»Nun, offenbar hat es Ihnen die Grütze verhagelt, Miss O’Mara.«
»Das hat es tatsächlich. Die arme Frau. Das war einfach verbrecherisch.«
»Es ist aber nicht gesetzeswidrig.«
»Du musst vorsichtiger sein, Kate«, wandte Brigid ein. »Gleich am ersten Tag in eine Prügelei verwickelt zu werden, wäre kein guter Anfang gewesen. Schau, du bist in einer Schlammpfütze gelandet, als du vom Wagen gesprungen bist. Jetzt ist dein Rock ganz schmutzig und Mr O’Connors Wagen auch.«
»Tut mir leid, Mr O’Connor. Ich wollte Ihnen keine Schwierigkeiten machen.«
»Es ist ja nichts geschehen. Übrigens können Sie beide mich Rory nennen.« Langsam steuerte er die Pferde durch eine Mulde mit Schlamm, der so zähflüssig war wie Leim.
Nachdem er das Hindernis hinter sich hatte, trieb er die Pferde nicht zur Eile an, sondern fuhr mit dem Finger über den Sitz und kratzte einen roten Tonklumpen ab.
»Das sollen Sie beide sich gut ansehen, denn Sie werden noch jede Menge davon zu Gesicht bekommen.«
Er hielt Kate den Finger vors Gesicht.
Als Kate den Kopf senkte, schmierte Rory ihr den Ton blitzschnell auf die Nasenspitze.
»Pfui Spinne!«, rief Kate und fuhr zurück. Sie wollte ihm schon gehörig die Meinung sagen, brach aber dann in Gelächter aus. Auch Brigid und Rory lachten, und endlich verflog die bedrückte Stimmung.
»Sie grässlicher Kerl! Aber warten Sie nur. Rache ist süß!«, kicherte sie und wischte sich mit dem Handrücken den Schlamm von der Nase.
»Betrachten Sie das als Willkommensgruß der Kolonie. Wir alle müssen mit diesem Schlamm leben. Das Straßenbauamt hat bis heute nichts getan, um die Bedingungen zu verbessern, obwohl die Kolonie bereits seit dreizehn Jahren besteht.«
»Dann bedanke ich mich für die reizende Einführungszeremonie.«
»Im Ernst, im Winter sind die Straßen mehr oder weniger unpassierbar. Letztes Jahr ist sogar ein Bulle in einem Schlammloch mitten auf der Hauptstraße ertrunken.«
»Nein!«
»Ich schwöre, es ist wahr.« Er grinste ihr verwegen zu. »Ich habe so etwas Ähnliches selbst erlebt. Im Winter ist die Hauptstraße ganz besonders schlammig. Als ich vor ein paar Monaten die King William Street entlangging, passierte dann das Unglaubliche.«
Neugierig und mit weit aufgerissenen violetten Augen beugte Kate sich vor und hing an seinen Lippen, als glaube sie jedes Wort, das er sagte. Allerdings stand ein spöttisches Funkeln in ihren Augen.
»Ja, wirklich. Ich spazierte also die Straße hinunter und sah einen Hut im Schlamm liegen. Da er sehr teuer wirkte und außerdem herrenlos zu sein schien, habe ich beschlossen, ihn mitzunehmen. Stellen Sie sich meine Überraschung vor, als ich darunter einen Mann entdeckte.«
»Oh!«, rief Brigid.
»Aber das Schlimmste kommt erst. ›Geben Sie mir die Hand‹, meinte ich zu dem Burschen. ›Dann helfe ich Ihnen heraus.‹ Und wissen Sie, was er geantwortet hat? ›Danke, alter Junge, nett von Ihnen, aber unter mir ist noch mein Pferd.‹«
Kate und Brigid bogen sich vor Lachen. »Eine tolle Geschichte«, keuchte Kate. »Wir mögen grün hinter den Ohren sein, aber so leichtgläubig sind wir nun auch wieder nicht!«
Rory grinste und begann, ihnen die umliegende Landschaft zu erklären. Inzwischen hatten sie ein hügeliges und üppig grünes Gebiet erreicht. Die kleinen Farmen und Gärten waren mit Lattenzäunen eingefriedet.
»Das ist Nord-Adelaide«, erklärte er. »Und unter uns liegt Adelaide selbst.«
Kate blickte geradeaus und den Hügel hinunter, den sie gerade hinabfuhren. Endlich! Das also war Adelaide, eine verhältnismäßig große Stadt. Widerstreitende Gefühle tobten in Kate: Heimweh nach Irland, Aufregung beim Anblick ihrer neuen Heimat und Erleichterung, nach der langen und anstrengenden Reise endlich wohlbehalten angekommen zu sein. Sie hatte einen Kloß in der Kehle.
»So, jetzt sind wir da, Brigid!«, rief sie mit zitternder Stimme aus und drehte sich um, um ihre Freundin zu umarmen.
Dann wandte Kate sich mit Tränen in den Augen und einem freudigen Lächeln auf dem Gesicht an Rory.
»Dank sei Gott dem Allmächtigen, wir haben es geschafft.«
Als Rory ihren Blick erwiderte, glaubte sie einen Sekundenbruchteil lang, etwas darin zu erkennen. Auch er hatte Träume und war wie sie in die Kolonie gekommen, um Irland hinter sich zu lassen und einen Neuanfang zu wagen. Obwohl er nichts sagte, las sie in seinen Augen, dass er dieselben Hoffnungen hegte wie sie. Und ihr Herz machte einen Satz.
Rory brachte den Wagen vor dem Waisenhaus zum Stehen. Offenbar waren Kate und Brigid als Erste angekommen, denn von dem Gepäck und ihren Reisegefährtinnen fehlte noch jede Spur. Kate sprang vom Wagen, während Rory Brigid zum Aussteigen den Arm bot.
Die große hölzerne Doppeltür des Heims wurde aufgerissen, und ein pummeliges junges Mädchen kam ihnen entgegen. »Seid ihr von der Elgin?« Kate und Brigid nickten. »Wir warten schon auf euch. Kommt herein.«
Kate und Brigid näherten sich der Tür.
Doch im nächsten Moment wirbelte Kate herum.
»Oh, Brigid! Fast hätten wir vor lauter Aufregung vergessen, uns bei Mr O’Connor zu bedanken.«
»Danke, Mr O’Connor«, rief Brigid über die Schulter hinweg und betrat das Heim. »Ja, wirklich, vielen Dank«, meinte Kate, kehrte zu ihm zurück und schüttelte ihm die Hand. »Sie haben unseren armen Beinen eine Menge Arbeit erspart.« Sie schickte sich an, Brigid zu folgen.
»Warten Sie!« Rory fasste Kate am Arm und drehte sie zu sich herum. Dann nahm er wieder ihre Hand. »Sagen Sie mir Bescheid, falls Sie etwas brauchen sollten. Ohne Freunde und Familie kann es sehr schwer sein, in der Kolonie Fuß zu fassen.« Er sah sie eindringlich an.
»Fragen Sie im Newmarket Inn gegenüber vom Schlachthof nach mir.«
»Newmarket Inn«, wiederholte sie leise. Er gab ihre Hand frei und lüpfte seinen Hut. »Alles Gute!«, meinte er.
Er stand da und blickte Kate und Brigid nach. Kate wandte sich noch einmal nach ihm um. Rory verharrte mit ernster Miene, bis sie nicht mehr zu sehen war.
»Ich erkläre es euch nur ein Mal«, verkündete Mr Moorfield, der Leiter des Waisenhauses. »Sobald ihr vierzehn Jahre alt seid und dieses Haus verlassen müsst, werdet ihr nicht mehr aufgenommen. Ihr steht dann auf eigenen Füßen, und wir übernehmen keinerlei Verantwortung für euch, ganz gleich, wie es euch ergehen mag.«
Die Mädchen von der Elgin hatten sich auf dem Hof hinter dem Gebäude versammelt, scharrten mit den Füßen und wechselten bedrückte Blicke. Ihre Vorgängerinnen, die vor vier Monaten auf der Inconstant eingetroffen waren, hatten ihnen nämlich schon viel über die hiesigen Verhältnisse erzählt.
»Diejenigen von euch, die lesen können, sollten einen Blick in die heutige Zeitung werfen, um zu sehen, welchen schlechten Ruf eure Landsmänninnen genießen. Die Kolonie Südaustralien ist von eurem Betragen nicht gerade begeistert. Es wird sogar gefordert, die Waisenverschickung einzustellen.«
Rory O’Connor hatte recht gehabt, dachte Kate.
Der Heimleiter musterte seine Zöglinge streng über den Brillenrand hinweg.
»Die wenigen unter euch, die über hauswirtschaftliche Kenntnisse verfügen, haben die Möglichkeit, Arbeit zu finden. Der Rest wird der Wirklichkeit ins Auge sehen müssen, dass nur eine Tätigkeit als Hilfskraft auf einer Farm für sie in Frage kommt.«
Auch die Vorsteherin von der Elgin musste ihren Senf dazugeben.
»Man wird von euch verlangen, dass ihr euch unterordnet und hart arbeitet. Wer fleißig, gehorsam und sparsam ist, wird es zu etwas bringen. Betet zu Gott, unserem Herrn, dass ihr zu denen gehört, die in der neuen Kolonie Fuß fassen können.«
Der Heimleiter nickte.
»Während eures Aufenthalts wird erwartet, dass ihr ohne zu murren alle Arbeiten verrichtet, die euch das Heim zu eurer Ausbildung aufträgt. Außerdem wird der bereits an Bord der Elgin begonnene Unterricht im Lesen und Schreiben fortgesetzt.«
Während Mr Moorfields Vortrag mussten viele ein Gähnen unterdrücken.
»Wer gegen die Regeln verstößt, wird hart bestraft …«
Er las von einer Liste ab. Aber Kate hörte gar nicht mehr zu, denn sie hatte nicht vor, lange genug zu bleiben, um gegen irgendwelche Regeln verstoßen zu können.
»Himmel, Brigid! Wir warten seit drei Wochen und haben noch kein einziges Stellenangebot bekommen. Also werden wir uns etwas einfallen lassen müssen«, verkündete Kate.
Während sie den Hof des Heims fegte, machte sie sich wieder einmal Gedanken über ihre Zukunft. Da Geduld nicht zu ihren Tugenden gehörte, hatte sie nur wenig Lust, ihre Zeit in diesem Heim zu vergeuden.
Brigid saß auf einer Bank und mühte sich mit dem Flicken von Bettwäsche ab.
»Nun, ich bin nicht in Eile. Natürlich wäre es nett, hier herauszukommen, aber wenn ich mir anhöre, was die anderen so erzählen, scheinen draußen recht raue Sitten zu herrschen. Weißt du, was der armen Mary O’Leary passiert ist?«
»Nein.«
»Sie hat gleich das erste Stellenangebot angenommen, und zwar als Hausmädchen auf einer Farm in der Nähe von Adelaide. Doch ihr Arbeitgeber hat sich als wahrer Schuft entpuppt. Er ist ein Trunkenbold und verging sich an ihr.« Brigid senkte die Stimme. »Nun bekommt sie ein Kind, und er wirft ihr vor, sie hätte sich herumgetrieben, obwohl es eindeutig von ihm ist. Gestern war sie hier, aber sie wollen sie nicht wieder aufnehmen. Wahrscheinlich ist es besser, zu bleiben, als sich solchen Gefahren auszusetzen.«
»Die Arme tut mir wirklich leid. Doch wir können nichts für sie tun, solange wir festsitzen und kein Geld verdienen. Wir müssen …«
»Ihr da!« Eine herrische Stimme unterbrach ihr Gespräch.
Kate wirbelte herum. Die großen Holztüren des Heims waren geöffnet, der Pförtner war nirgendwo zu sehen. Ein hochgewachsener Mann, der Sporen und einen breitkrempigen Filzhut trug, band gerade sein Pferd an dem Geländer vor dem Gebäude fest.
»Zeigt mir den Weg zum Büro des Heimleiters!«
»Jawohl, Sir«, erwiderte Kate, nahm militärische Habachtstellung ein und salutierte.
Brigid verdrehte die Augen in Kates Richtung, ließ ihre Näharbeit auf die Bank fallen und sprang auf.
»Hier entlang, Sir, wenn Sie mir bitte folgen möchten.«
Mit einem spöttischen Auflachen blickte Kate dem schlanken fremden Mann nach, der hinter Brigid über den Hof ging.
»Wer war das?«, erkundigte sie sich, als Brigid zurückkehrte.
»Er hat sich dem Heimleiter als Mr James Carmichael vorgestellt. Er besitzt irgendwo eine große Farm«, antwortete Brigid. »Findest du nicht auch, dass er gut aussieht?«
Kate zuckte die Schultern. Das Aussehen irgendwelcher Männer war das Letzte, was sie derzeit interessierte.
»Glaubst du, er hat Arbeit für uns?«
»Das wird er mir bestimmt nicht auf die Nase binden.«
»Der Hof vor dem Fenster des Heimleiters muss unbedingt gefegt werden.« Kate zwinkerte Brigid zu und ging, den Besen in der Hand, davon.
»Wie ich gehört habe, sind Sie bereit, sämtliche Arbeitsangebote in Erwägung zu ziehen«, sagte der Fremde gerade.
»Ich habe über Ihre Offerte nachgedacht, Mr Carmichael, und sie ist wirklich sehr anständig. Allerdings will ich kein Blatt vor den Mund nehmen. Ich bezweifle, dass ich die passenden Arbeitskräfte für Sie habe.«
»Wo liegt die Schwierigkeit?«
»Nun, es sind eben nur Mädchen, Mr Carmichael, die meisten davon keine fünfzehn Jahre alt. Sie werden die Stelle nicht haben wollen. Nur wenige haben je ihr kleines irisches Dorf verlassen, bevor sie nach Südaustralien kamen.«
»Ich versichere Ihnen, dass ich gut für sie sorgen werde.«
»Das mag sein, aber sie fürchten sich vor den Geschichten, die sie über den Busch und seine Gefahren gehört haben. Keine würde sich mehr als 15 oder 20 Meilen von Adelaide fortwagen, und Ihre Farm ist wirklich sehr abgelegen. Sie befindet sich mehr als 200 Meilen von hier. So sehr ich die Bemühungen von Herren wie Ihnen bewundere, die Wildnis urbar zu machen, wird sich vermutlich kein Waisenmädchen finden, das Ihnen dabei zur Seite steht.«
»Ich habe gehört, dass sie alle verzweifelt Arbeit suchen. Und ich brauche dringend Arbeitskräfte, vorzugsweise weibliche. Schäfer sind lausige Köche, und es ist schwierig, Männer auf einer Farm zu halten, wenn es nirgendwo Frauen gibt. Deshalb habe ich gehofft, dass einige Ihrer Mädchen mich begleiten würden.«
Kates Herz schlug schneller. Das war genau die Chance, auf die sie gewartet hatte. Inzwischen bereute sie fast, dass sie auf den Befehlston des Mannes so frech reagiert hatte.
»Das mag sein, Mr Carmichael, doch die Mädchen werden das vermutlich anders sehen. Außerdem muss ich Sie warnen. Der Großteil von ihnen verfügt nicht über die Fähigkeiten, die Sie voraussetzen. Es sind Bauernmädchen. Viele Menschen, die meine Zöglinge als Dienstboten bei sich aufgenommen haben, haben sich über sie beschwert.«
Da die Männer die Stimmen senkten, konnte Kate den Rest des Gesprächs nicht mehr verstehen.
Kurz darauf öffnete sich die Tür, und der Gutsbesitzer kam, den Hut in der Hand, heraus.
»Nun, lassen Sie mich wissen, wenn Sie jemanden finden. Sie erreichen mich im Southern Cross Hotel.«
»Ich habe zwar nur wenig Hoffnung, werde es aber versuchen.« Der Heimleiter ging wieder hinein und schloss die Tür.
Kate beobachtete, wie der Gutsbesitzer zu seinem Pferd schlenderte. War das vielleicht die Gelegenheit, auf die sie gewartet hatte?
Am nächsten Tag hörte Kate nichts von einem Stellenangebot und erkundigte sich deshalb verwundert bei den anderen, ob sie vielleicht etwas wussten.
»Der Heimleiter hat seine eigenen Methoden«, warnte ein Mädchen von der Inconstant. »Wenn er die Stelle für ungeeignet hält, sagt er uns einfach nichts davon.«
»Soll ich ihn fragen?«
»Das würde ich an deiner Stelle schön bleiben lassen. Er mag es nämlich gar nicht, wenn man ihm widerspricht. Warte lieber ab, bis du an die Reihe kommst.«
»Meinst du wirklich?« Kate verzog zweifelnd das Gesicht. »Was denkst du, Brigid? Würdest du mitkommen, wenn ich auf der Farm arbeite?«
Brigid wirkte unschlüssig.
»Ich würde dir fast überallhin folgen, Kate. Aber so weit weg möchte ich lieber nicht. Du hast keine Ahnung, wie es dort oben ist. Am besten verlassen wir uns auf die Leute, die mehr Erfahrung haben als wir.«
»Nun, ich finde, es kann nicht schaden, mich zu erkundigen.« Kate strich ihr Kleid glatt. »Ich gehe gleich zu ihm.«
Kate klopfte an die Tür.
»Was ist?«, meinte der Heimleiter, ohne von seinen Papieren aufzublicken.
Kate räusperte sich.
»Ich wollte mit Ihnen über meine Arbeitssuche sprechen, Sir.«
Der Heimleiter betrachtete sie über den Rand seiner Brille hinweg.
»Immer mit der Ruhe, Mädchen. Du bekommst Arbeit, wenn du an der Reihe bist. Du bist mit der Elgin eingetroffen, oder?«
Kate nickte.
»Nun, dann wirst du dich gedulden müssen. Es gibt andere, die schon länger warten«, erwiderte er und wandte sich wieder seinen Akten zu.
»Ich möchte aber endlich etwas tun, um in der Kolonie Fuß zu fassen, Sir«, fuhr Kate fort. »Mir wäre jede Stelle recht.«
»Nun, es gibt derzeit keine Stellenangebote.« Er wollte sie mit einer Handbewegung verscheuchen.
Kate schickte sich zum Gehen an, blieb dann aber doch noch einmal stehen.
»Verzeihung, Sir, aber ist die Stelle auf Mr Carmichaels Farm bereits vergeben?«
Erneut blickte der Heimleiter auf.
»Und woher weißt du von Mr Carmichaels Angebot?«
Kate spürte, wie sie errötete.
»Als ich gestern den Hof gefegt habe, konnte ich nicht anders, als Ihr Gespräch zu belauschen.« Schuldbewusst senkte sie den Kopf.
»Hm«, brummte der Heimleiter. »Gelauscht hast du also. Ja, er hatte ein Stellenangebot. Doch die Arbeit eignet sich nicht für junge Mädchen, und seine Farm ist viel zu abgelegen.«
»Das würde mich nicht stören, Sir. Ich bin bereit, alles zu versuchen.« Flehend sah Kate ihn an.
»Zweifelst du etwa an der Richtigkeit meiner Entscheidung? Hinaus mit dir. Du bekommst Arbeit, wenn du an der Reihe bist und die Stelle passend für dich ist.«
»Jawohl, Sir.« Kate schluckte ihren Zorn hinunter. Es war zwecklos, zu widersprechen und sich dadurch in Misskredit zu bringen. Also machte sie einen Knicks und schloss die Tür leise hinter sich.
Nach einem raschen Blick auf das kurze Schreiben des Heimleiters winkte der Pförtner Kate und Brigid durch. Die beiden Mädchen gingen die Hauptstraße entlang. Das Oktoberwetter war warm, sodass sie die dunklen, schweren Mäntel, die sie bei ihrer Ankunft in Adelaide angehabt hatten, nicht mehr brauchten. Sie trugen die Sachen, die im Arbeitshaus in Cork ausgegeben worden waren – schmucklose Kleider aus dunkelgrauem Wollstoff und derbe Lederstiefel.
»Das ist die erste Gelegenheit, uns in der Stadt umzusehen«, meinte Brigid und ließ die Szenerie auf sich wirken. »Auf dem Herweg waren wir so damit beschäftigt, mit Mr O’Connor zu plaudern, dass wir nicht viel wahrgenommen haben. Ob wir ihn wohl wiedersehen werden? Er war sehr nett.«
Kate antwortete nicht, denn sie war von der Umgebung abgelenkt.
Auf der ungeteerten Straße herrschte reges Treiben. Mit Lebensmitteln beladene Karren wurden von vier, sechs oder gar acht Ochsen gezogen. Die Fahrer trugen mit ihrem Gebrüll und dem Knallen ihrer langen Peitschen zu dem allgemeinen Lärm bei. Wagen und Karren kämpften mit Einspännern und Kutschen um Platz auf der Straße. Doch am meisten faszinierten Kate und Brigid die wild aussehenden Männer aus dem Busch mit ihren breiten Gürteln, dichten Bärten, hohen Stiefeln und Sporen. Manche von ihnen trugen lederne Beinlinge und breitkrempige Hüte und hatten riesige Peitschen, manche bis zu fünf Meter lang, zusammengerollt in der Hand. Einige stolzierten keck einher, andere preschten auf ihren prächtigen Pferden über die Straße, ohne sich um die Fußgänger zu scheren, wohl wissend, was für ein schneidiges Bild sie abgaben.
Da es seit ihrer Ankunft nicht geregnet hatte, war die Straße zwischen den mit zähem Schlamm gefüllten Schlaglöchern bereits staubtrocken. Bald bedeckte roter Staub Stiefel und Kleidersäume der beiden Mädchen. Derselbe Staub schien sich auch über Häuser, Fuhrwerke und selbst über die Bewohner dieser kleinen Stadt gelegt zu haben.
Brigid und Kate schlängelten sich an Gruppen halb nackter dunkelhäutiger Eingeborener vorbei und betrachteten ängstlich die Speere und Keulen in ihren Händen. Unzählige Hunde, viele von ihnen Streuner, andere wiederum Eigentum der Aborigines und ihrer Kinder, trugen zu dem Gewimmel bei.
Kate gab die Einkaufsliste des Heimleiters in einem der großen Läden ab. Da die Waren geliefert werden würden, konnten Brigid und sie nun die Stadt erkunden.
»Sollten wir nicht langsam umkehren? Einen Stadtbummel hat uns niemand erlaubt«, meinte Brigid und wischte sich mit ihrem Taschentuch Schweiß und Staub von der Stirn.
»Später«, erwiderte Kate, die endlich das richtige Hotelschild entdeckt hatte.
»Da ist es«, verkündete sie. »Das Southern Cross!« Entschlossenheit stand ihr ins Gesicht geschrieben.
»Was willst du denn dort?«
»Da wohnt dieser Mr Carmichael. Ich werde herausfinden, ob er Arbeitskräfte braucht«, entgegnete Kate und musterte die beeindruckende Hotelfassade. Das Gebäude verfügte über drei Stockwerke und war mit hübschen schmiedeeisernen Ornamenten verziert.
»Ich glaube, das lassen wir lieber, Kate.«
»Und warum?«
»Wir gehören da nicht hinein. Sicher wird man uns sofort hinauswerfen«, sagte Brigid mit einem ängstlichen Blick auf den Portier.
»Unsinn«, antwortete Kate, wobei sie selbstbewusster klang, als sie sich fühlte. Kühnen Schrittes und Brigid im Schlepptau, steuerte sie auf den Empfang zu.
»Ich möchte gern Mr James Carmichael sprechen«, erklärte Kate dem Mann hinter der breiten Holztheke.
»Und was wollen Sie von ihm?«, gab der Mann zurück und musterte sie herablassend.
»Ich habe gehört, dass er Arbeitskräfte für seine Farm sucht, und möchte mich um eine Stelle bewerben«, erwiderte Kate so selbstsicher wie möglich.
Brigid scharrte verlegen mit den Füßen.
»Ich werde mich erkundigen, ob er Sie empfängt«, sagte der Mann widerwillig. »Bitte warten Sie.«
Während Kate und Brigid in der Hotelhalle standen, ging der Mann nach oben, um Mr Carmichael zu suchen. Kate nutzte die Zeit, um die Spuren ihres Fußmarsches durch die Stadt zu beseitigen. Mit der Fensterscheibe als Spiegel, strich sie ihr Haar glatt und steckte die losen dunklen Strähnen hoch, die ihr ins Gesicht gerutscht waren. Anschließend wischte sie sich die staubigen Hände am Taschentuch ab und versuchte – leider erfolglos – den Staub aus ihrem Rock zu schütteln. Brigid folgte ihrem Beispiel.
»Sehe ich einigermaßen vorzeigbar aus?«, fragte Brigid.
Kate nickte.
Schließlich kehrte der Portier zurück.
»Mr Carmichael empfängt Sie. Folgen Sie mir.«
Er führte sie in einen kleinen Salon, der um diese Tageszeit leer war.
»Warten Sie«, wies er sie an und verschwand erneut.
Kurz darauf trat Mr Carmichael ein. Bei seinem Besuch im Heim hatte Kate ihn kaum eines Blickes gewürdigt. Außerdem hatte der breitkrempige Hut sein Antlitz verdeckt.
Er war ein auffällig gut aussehender Mann mit einem fein geschnittenen Gesicht. Im Gegensatz zu den Buschmännern auf der Straße war er glatt rasiert und wirkte eher wie ein weltgewandter Städter. Sein helles lockiges Haar fiel ihm elegant in die Stirn, und seine Augen waren so grau wie der Ozean an einem wolkigen Tag. Er hatte einen breiten Mund und einen schmalen, hageren Körper. Heute war er wie ein feiner Herr gekleidet. Das dunkelblaue doppelreihige Jackett schmiegte sich um seine schlanke Taille und die schmalen Hüften. Seine Beine steckten in einer engen Hose, die bis zum Rist seines Fußes reichte, und eine Weste aus rot und grau bestickter Seide bildete einen farbenfrohen Kontrast zu seiner sonstigen Aufmachung. Er gab vom Scheitel bis zur Sohle das Bild eines wohlhabenden und erfolgreichen Gutsbesitzers ab.
»Was kann ich für Sie tun?«, kam er sofort zur Sache.
Brigid betrachtete ihre staubigen Stiefel. Kate sah ihm unverwandt ins Gesicht.
»Wir sind gekommen, weil Sie für Ihre Farm weibliche Arbeitskräfte suchen. Sind die Stellen schon besetzt?«
Sein Blick wurde ein wenig argwöhnisch.
»Woher wissen Sie, dass ich Arbeitskräfte brauche, Miss … äh …?«
»Miss O’Mara. Und das ist Miss Mulcahey«, erwiderte sie und sprach rasch weiter. »Wir haben im Waisenhaus erfahren, dass Sie freie Stellen zu vergeben haben, und suchen dringend Arbeit. Deshalb haben wir es vorgezogen, selbst zu kommen, um uns vorzustellen. Wir sind uns für keine Arbeit zu schade.«
»Gut, dann nehmen Sie bitte Platz«, entgegnete er und zog drei Stühle heran. Sein Verhalten war gleichzeitig höflich und herablassend.
»Meine Farm befindet sich gute 200 Meilen nördlich von Adelaide, und zwar in einem Gebiet, das sich Flinders Ranges nennt«, erklärte er mit kultiviertem britischem Akzent. »Dort existieren bereits einige Farmen, und es werden ständig neue gegründet. Für Menschen, die den Mut haben, sich der Herausforderung zu stellen, gibt es dort Land in Hülle und Fülle.«
Offenbar hielt er sich selbst für solch einen mutigen Mann.
Er streckte die langen Beine aus.
»Ich habe meine Farm, die Wildowie heißt, vor zwei Jahren gegründet und seitdem ständig Schafe dazugekauft. Nun suche ich einige kräftige Mädchen«, sein Blick glitt über die zierliche Gestalt der beiden, ehe er fortfuhr, »die mich dorthin begleiten und die allgemeinen Pflichten im Haushalt und auf der Farm übernehmen. Allerdings bezweifle ich, dass Sie dafür geeignet sind.« Erneut musterte er sie von Kopf bis Fuß. »Die Arbeit ist körperlich anstrengend. Mir war nicht klar, dass die Mädchen aus dem Heim so jung und so … zart gebaut sind.«
Er machte Anstalten, sich zu erheben.
»Aber wir sind kräftig«, protestierte Brigid rasch. »Und wir werden von Tag zu Tag stärker. Wir sind fast doppelt so stark wie bei unserer Abreise aus Irland, richtig, Kate?«
James Carmichael schmunzelte spöttisch.
»Außerdem werde ich nächste Woche siebzehn«, ergänzte Kate und überkreuzte hinter dem Rücken die Finger in der Hoffnung, dass niemand im Waisenhaus davon erfahren würde, denn dort galt sie als jünger.
Mit einer eleganten Bewegung nahm James Carmichael wieder Platz.
»Tja, Sie dürfen sich aber, was die Arbeit oder die Bedingungen angeht, keine Illusionen machen. Das Leben oben im Norden ist sehr hart. Zweifellos haben Sie von der Hitze, dem Staub und den Fliegen gehört. Im Busch drohen viele Gefahren. Außerdem liegt die Farm sehr abgelegen. Wahrscheinlich werden Sie die einzigen Frauen im Umkreis von vielen Meilen sein.«
»Was ist mit den schwarzen Frauen?«, fragte Brigid mit weit aufgerissenen Augen.
»Die zählen nicht«, entgegnete er mit einer wegwerfenden Handbewegung.
»Und wie genau würden unsere Pflichten aussehen, Mr Carmichael?«, erkundigte sich Kate.
»Die wechseln ständig. Ich brauche Mädchen, die sich sowohl im Haus als auch draußen nützlich machen. Außerdem müssten Sie den Männern beim Scheren der Schafe und dem Lammen helfen.«
Brigid sah Kate an und zog die Augenbraue hoch.
James Carmichael war dieser Blick nicht entgangen, und er deutete ihn ganz richtig.
»Ja, ich verlange viel von meinen Arbeitern, doch in diesen schweren Zeiten werde ich sicherlich jemanden finden, der bereit dazu ist. Ein geeignetes Mädchen kann bei mir gut verdienen – acht Shilling die Woche, was auf etwa zwanzig Pfund jährlich hinausliefe. Mehr bekommen Sie nirgendwo, und natürlich kommen noch Unterkunft und Verpflegung dazu.«
Während Brigid nickte, rührte Kate keine Miene.
James Carmichael nickte und pflückte sich eine Staubfluse vom Ärmel.
»Allerdings bin ich nicht sicher, ob diese Arbeit das Richtige für Sie beide ist.«
Wieder glitten seine Augen über Kates zierliche Gestalt.
Kate mochte es gar nicht, so abschätzend gemustert zu werden. Sie wartete, bis er wieder bei ihrem Gesicht angelangt war, und sah ihn dann unverwandt an.
»Es gibt keine Aufgabe, der ich nicht gewachsen wäre, Mr Carmichael«, entgegnete sie. »Das soll nicht heißen, dass ich mich mit den Dingen auskenne, die Sie gerade erwähnt haben, aber ich bezweifle, dass es viele Menschen gibt, die darin Erfahrung haben und bereit sind, in die Wildnis zu ziehen«, fuhr sie fort, in der Hoffnung, weltgewandter zu klingen, als sie in Wirklichkeit war.
Er betrachtete sie schweigend.
»Würden Sie uns nehmen?«, beharrte Kate.
Er lächelte herablassend.
»Wenn Sie fleißig arbeiten wollen und sich nicht über die Bedingungen beschweren, nehme ich Sie.«
Er stand auf, als sei die Abmachung damit besiegelt.
»Da wäre noch etwas«, hielt Kate ihn zurück. »Für diese hohen Anforderungen ist der Lohn viel zu niedrig. Ich nehme die Stelle für zwölf Shilling pro Woche.«
James Carmichael lachte auf.
»Na, so einen guten Witz habe ich schon lange nicht mehr gehört! Sie sind nicht in der Position, Bedingungen zu stellen, Miss O’Mara.«
»Wenn ich mit in den Norden gehe, muss ich mir für die Hitze geeignete Kleidung kaufen. Das kann ich mir von diesem Lohn nicht leisten«, gab sie schlagfertig zurück.
»Dann also neun Shilling.«
»Mindestens zehn.«
James Carmichael konnte nicht leugnen, dass das Mädchen Mumm hatte.
»Also gut, zehn«, erwiderte er schmunzelnd.
»Und zwei Monate Vorschuss, um alles Nötige für die Reise anzuschaffen.«
Er lachte erneut auf.
»Abgemacht, Miss O’Mara.« Als er ihr die Hand schüttelte, spürte Kate, wie sich seine Gelassenheit auf sie übertrug.
»Und Sie, Miss Mulcahey, werden Sie sich uns ebenfalls anschließen?«
Brigid zögerte.
Kate wusste, dass Brigid eine Todesangst davor hatte, in den Norden überzusiedeln. Doch sie hatten so viel zusammen durchgemacht und wollten sich auf keinen Fall trennnen.
»Miss Mulcahey muss sich Ihr Angebot noch einmal durch den Kopf gehen lassen«, meinte sie deshalb.
»Gut, aber überlegen Sie nicht zu lange, Miss Mulcahey, denn übermorgen brechen wir auf. Wenn Sie mitkommen wollen, müssen Sie sich bis morgen entschieden haben.«
Wieder wandte er sich an Kate.
»Mein Vorarbeiter Angus Campbell wird bis dahin hier sein. Stellen Sie sich ihm vor. Dann wird er Ihnen Ihren Vorschuss auszahlen und die Reisevorbereitungen mit Ihnen besprechen. Ihr Glück, dass er heute Vormittag nicht dabei ist. Er war nämlich nicht so begeistert davon, dass ich Frauen einstellen möchte. Bei ihm hätten Sie also keinen Blumentopf gewonnen.«
Er erhob sich und hielt Kate und Brigid die Tür auf.
»Wir sehen uns beim Aufbruch.«
»Ja, Mr Carmichael. Gott segne Sie, Sir«, antwortete Kate.
Die beiden Mädchen kehrten zurück ins Waisenhaus.
Bewundernd sah Brigid ihre Freundin an.
»Nun, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll! Herrje, Kate, du wirst von Tag zu Tag kecker.«
»Wir müssen jede Gelegenheit beim Schopf ergreifen.«
»Schon, aber vielleicht kommen wir vom Regen in die Traufe. Wir kennen diesen Mr Carmichael und seine Farm doch gar nicht. Vielleicht hätten wir besser auf den Heimleiter hören sollen, der in diesen Dingen bestimmt mehr Erfahrung hat als wir.«
»Ich werde nicht tatenlos herumsitzen und meine Zukunft von anderen Leuten bestimmen lassen. Das steht für mich fest! Ich will es im Leben zu etwas bringen. Mit Irland und dem Hunger habe ich endgültig abgeschlossen, und von nun an geht es nur noch bergauf. Du brauchst nicht mitzumachen, wenn du nicht willst«, fügte sie hinzu, womit sie nicht nur die Farm meinte, sondern ihren Plan, in der Kolonie Erfolg zu haben.
Brigid betrachtete sie besorgt.
»Ach, entschuldige«, meinte Kate bedauernd, als sie die Miene ihrer Freundin bemerkte. »So darf ich nicht mit meiner besten Freundin reden. Ich weiß, dass ich zielstrebiger bin, als es sich für ein irisches Waisenkind gehört. Aber geht es dir nicht genauso, Brigid? Hast du nicht auch Angst, wieder Hunger leiden zu müssen?«
»Ja«, erwiderte Brigid mit Nachdruck. »Allerdings bin ich nicht wie du. Ich habe nicht so viel Mut. Wie gern würde ich mitkommen, nur um mit dir zusammen zu sein. Doch der bloße Gedanke an den Busch… Nun, ich weiß nicht. Ich glaube, ich passe nicht dorthin.«
»Es wäre viel besser, wenn wir zusammenblieben. Wir könnten aufeinander aufpassen, wie bis jetzt auch. Wenn wir an einem Strang ziehen, werden wir alle Schwierigkeiten meistern. Bleib nicht zurück, Brigid. Hier hast du keine Zukunft. Im Norden ist es sicher nicht so schlimm wie im Arbeitshaus, und das haben wir schließlich auch überstanden.«
Mit finsteren Mienen erinnerten sich Brigid und Kate an ihre Zeit dort.
Das Arbeitshaus war in einer alten, aus Stein und Torf erbauten Scheune untergebracht. Die feuchten Wände waren mit grünem Schimmel bedeckt gewesen, weil im Winter ständig das Wasser daran herunterlief. Zu der Feuchtigkeit kamen noch dauernde Zugluft und ein bitterkalter Wind, sodass Kate und Brigid stets bis ins Mark durchgefroren waren.
Allerdings war die gnadenlose Kälte nicht das Einzige, worunter sie zu leiden hatten, denn auch der Hunger plagte sie Tag und Nacht, sodass sie vor Magenknurren kaum Schlaf fanden und morgens wieder hungrig erwachten. Die kärgliche Verpflegung war so widerwärtig, dass es weniger verzweifelten Menschen wohl den Appetit verdorben hätte. Beim bloßen Gedanken an den grauen, lauwarmen Haferbrei und das gespendete Brot, das schon vor der Anlieferung im Arbeitshaus hart und verschimmelt gewesen war, rümpfte Kate die Nase. Die wässrige Suppe hatte kaum Gemüse oder gar Fleisch enthalten.
Die Mädchen wurden von Läusen geplagt und kratzten sich die Haut blutig. Krankheiten breiteten sich rasch aus, sodass das Fieber die durch jahrelange Unterernährung ausgemergelten jungen Frauen schnell dahinraffte. Allerdings blieb ihnen dank des Arbeitshauses, so schrecklich die Bedingungen dort auch sein mochten, zumindest das Schicksal ihrer Familien erspart, denn mehr als eine Million Menschen hatten während der Hungersnot ihr Leben gelassen. Deshalb schätzten sich die Bewohnerinnen des Arbeitshauses glücklich, zumindest Essen und ein Dach über dem Kopf zu haben.
Kate und Brigid hatten überlebt, weil sie immer zusammenhielten und das Wenige, was sie hatten, miteinander teilten. Sie pflegten sich gegenseitig, wenn sie krank waren, und wehrten gemeinsam zudringliche Männer ab. Viele der Frauen dort waren nämlich bereit, für eine zusätzliche Essensration oder eine mottenzerfressene Decke ihren Körper zu verkaufen, und junge Mädchen wie Brigid und Kate galten gewissermaßen als Freiwild. Dennoch war es ihnen gelungen, sich wenn schon nicht ihre Unschuld, so doch zumindest ihre Jungfräulichkeit zu bewahren.
»Würdest du auch gehen, wenn ich nicht mitkomme?«, fragte Brigid nun.
»Ich weigere mich, länger in diesem blöden Waisenhaus herumzusitzen.«
»Wärst du mir böse, wenn ich Nein sage?«
Trotz ihrer Enttäuschung drückte Kate ihre Freundin fest an sich.
»Natürlich nicht. Vielleicht ist es wirklich das Beste, wenn du dir eine Stellung in Adelaide suchst und hier auf mich wartest. Man weiß ja nie. Womöglich gefällt es mir dort nicht, sodass ich mich gleich wieder aus dem Staub mache.«
»Es wäre also nicht das Ende unserer Freundschaft?«
»Nichts kann unsere Freundschaft zerstören! Du bist der einzige Mensch, den ich auf der ganzen Welt habe. Du bist meine Familie. Wir werden auch in Zukunft zusammengehören. Ich gehe einfach nur für eine Weile fort, während du dableibst. Bis du eine Stelle hast, können wir meinen Verdienst teilen. Und wenn es dort schön ist, lasse ich dich nachkommen.«
***
Ihre Begegnung mit Angus Campbell entpuppte sich als herbe Enttäuschung, denn der Mann war offenbar ganz und gar nicht mit Kates Einstellung einverstanden.
Als er sich vor ihr aufbaute, waren sein Gesicht und sein Hals beinahe so rot wie sein Haar, und seine Augen funkelten zornig.
»Ja, Miss O’Mara, man hat mir mitgeteilt, dass Mr Carmichael seinen schwachsinnigen Plan nicht aufgegeben hat, Frauenzimmer mit nach Wildowie zu schleppen«, schimpfte er mit stark schottischem Akzent. »Es will mir nicht in den Kopf, wie dieser Mann so naiv sein kann. Frauen machen nichts als Ärger. Da wird nichts Gutes dabei herauskommen. Er hätte es mir überlassen sollen, Arbeiter für die Farm anzuwerben. Schließlich ist das meine Aufgabe.« Dabei stapfte er auf seinen ziemlich kräftigen Beinen im Zimmer auf und ab und war so zornig, dass ihm beim Sprechen der Speichel aus dem Mund sprühte.
»Ich habe im Leben schon vieles gesehen, aber noch nie ein Mädchen, das sich so wenig für das Leben im Busch eignet wie Sie. Sie sind doch viel zu schwächlich für die Arbeit. Das sieht ein Blinder. Als ob ich nicht schon genug um die Ohren hätte …«
So wetterte er immer weiter, ohne Kate Gelegenheit zu einer Antwort zu geben. Sie hielt es für klüger, ihn sich austoben zu lassen, bevor sie ihn auf die Planung des morgigen Tages ansprach. Also stand sie einfach mit gelassener Miene da und wartete, bis er endlich verstummte.