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Waldröschen oder Die Rächerjagd rund um die Erde (später auch: Das Waldröschen oder die Verfolgung rund um die Erde) ist der erste von fünf Kolportageromanen von Karl May, erschienen zwischen zwischen 1882 und 1884 in 109 Fortsetzungen. Dies ist Band 2.
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Seitenzahl: 455
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Der Schatz der Mixtekas
Karl May
Inhalt:
Karl May – Biografie und Bibliografie
Der Schatz der Mixtekas
1. Kapitel.
2. Kapitel.
3. Kapitel.
4. Kapitel.
5. Kapitel.
6. Kapitel.
7. Kapitel.
8. Kapitel.
9. Kapitel.
10. Kapitel.
11. Kapitel.
12. Kapitel.
13. Kapitel.
14. Kapitel.
15. Kapitel.
16. Kapitel.
17. Kapitel.
18. Kapitel.
19. Kapitel.
20. Kapitel.
21. Kapitel.
22. Kapitel.
23. Kapitel.
24. Kapitel.
25. Kapitel.
26. Kapitel.
27. Kapitel.
28. Kapitel.
29. Kapitel.
30. Kapitel.
31. Kapitel.
32. Kapitel.
33. Kapitel.
34. Kapitel.
Der Schatz der Mixtekas, Karl May
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849609542
www.jazzybee-verlag.de
Cover Design: © Can Stock Photo Inc. / javarman
Am 25. Februar 1842 wird Karl May wird als fünftes Kind des Webers Heinrich May und dessen Ehefrau Wilhelmine (geb. Weise) in Ernstthal (Sachsen) geboren. Obwohl er kurz nach seiner Geburt erblindet wird er im Alter von 5 Jahren von der Krankheit geheilt. Bereits mit 14 Jahren beginnt er eine Ausbildung zum Volksschullehrer, die er 1861 besteht. Noch im gleichen Jahr verliert May seinen Arbeitsplatz als Lehrer wegen wiederholten Diebstahls. Ab 1863 wird es ihm verboten zu unterrichten.
Von 1865 bis 1869 wird May immer wieder straffällig und muss von 1870 bis 1874 ins Gefängnis. Danach beginnt May zu schreiben und in "Der Deutsche Hausschatz" erscheinen erste Erzählungen: "Reiseabenteuer in Kurdistan", "Die Todeskaravane" oder "Stambul". Seine Romane erfahren immer mehr Zuspruch und 1893 erscheint die Winnetou-Reihe. Bis 1898 veröffentlicht May über 30 Bände mit immer steigender Auflage.
Erst 1899 unternimmt May erstmals eine Reise in den Orient, 1908 sieht er zum ersten Mal die Vereinigten Staaten. Alles was er geschrieben hatte war pure Fiktion! Er stirbt am 30. März 1912 an einem Herzschlag.
Zu seinen wichtigsten Werken zählen Durch die Wüste und Harem (1892) ,Durchs wilde Kurdistan (1892), Von Bagdad nach Stambul (1892), In den Schluchten des Balkan (1892), Durch das Land der Skipetaren (1892), Der Schut (1892), Winnetou I (1893), Winnetou II (1893), Winnetou III (1893), Orangen und Datteln (1893), Am Stillen Ozean (1894), Am Rio de la Plata (1894), In den Cordilleren (1894), Old Surehand I (1894), Old Surehand II (1895), Im Lande des Mahdi I (1896), Im Lande des Mahdi II (1896), Im Lande des Mahdi III (1896), Old Surehand III (1897), Satan und Ischariot I (1896) ,Satan und Ischariot II (1897), Satan und Ischariot III (1897), Auf fremden Pfaden (1897), „Weihnacht!“ (1897), Im Reiche des silbernen Löwen I (1898), Im Reiche des silbernen Löwen II (1898), Am Jenseits (1899), Der Sohn des Bärenjägers (1887), Der Geist des Llano estakato (1888), Der blaurote Methusalem (1888), Die Sklavenkarawane (1889/90), Der Schatz im Silbersee (1890/91), Das Vermächtnis des Inka (1891/92), Der Ölprinz (1893/94) und Der schwarze Mustang (1896/97).
Der ununterbrochen und so wunderbar zusammenhängende Verlauf der Ereignisse veranlaßt den freundlichen Leser, über den atlantischen Ozean einen Blick zu werfen in jenes mittelamerikanische Land, das in Rodriganda so viele Male genannt wurde, weil da drüben die bedeutenden Besitzungen des Hauses Rodriganda-Sevila lagen.
Es ist nicht notwendig, langweilige geographische Bemerkungen über Mexiko zu machen, aber wie der Mensch überhaupt von dem Boden abhängig ist, auf dem er lebt, so ist auch der Charakter des echten Mexikaners demjenigen seines Landes ganz konform. Der Boden des Landes ist zum großen Teil ein vulkanischer, und so glüht auch im Inneren des Bewohners ein Feuer, das oft mächtig und verzehrend emporflammt. An den Küstenstrichen herrschen tödliche Fieber, so sind auch die politischen Verhältnisse des Landes krankhaft und höchst unzuverlässig, das ganze Leben und Treiben der Nation ist ein reich phantastisches und wechselvolles, und man kann in einer Woche dort mehr Abenteuer erleben, als bei unseren geordneten Verhältnissen in zehn Jahren.
Die Grenze des Landes nach Texas hin, das zu den Vereinigten Staaten gehört, bildet der Rio Grande del Norte, auch Rio Bravo del Norte, in den sich der Conchos, Salado, Sabinas und San Juan ergießen. Zwischen diesem Fluß und den Kordilleren von Coahuila lagen einige der zerstreuten Besitzungen, die dem Grafen Ferdinando de Rodriganda gehörten. Dieser war, wie wir bereits gesehen haben, der Bruder des Grafen Emanuel, er lebte ausschließlich nur auf seinen mexikanischen Besitzungen und hatte sich den Sohn seines Bruders, den jungen Grafen Alfonzo, hinüberkommen lassen, um seine Reichtümer auf ihn zu vererben.
Ungefähr zwei Jahre vor dem Beginn der unglücklichen Ereignisse in Rodriganda schwamm ein leichtes Kanu langsam den Rio Grande hinab. Es war aus langen Baumrindenstücken gebaut, die mit Pech und Moos verbunden waren, und trug zwei Männer, die verschiedenen Rassen angehörten. Der eine führte das Steuer, und der andere saß sorglos im Bug, damit beschäftigt, aus Papier, Pulver und Kugeln Patronen für seine schwere Doppelrifle zu drehen.
Derjenige von den beiden, der das Steuer führte, hatte die scharfen, kühnen Züge und das durchdringende Auge eines Indianers, und auch ohnedies hätte man an seiner Kleidung sofort gesehen, daß er zur amerikanischen Rasse gehörte. Er trug nämlich ein wildledernes Jagdhemd, dessen Nähte phantastisch ausgefranst waren, ein Paar Leggins – Lederhosen –, deren Seitennähte mit den Kopfhaaren der von ihm erlegten Feinde geschmückt waren, und Mokassins – Jagdschuhe –, die doppelte Sohlen zeigten. Um seinen nackten Hals hing eine Schnur aus den Zähnen des grauen Bären, und sein Haupthaar war in einen hohen Schopf geflochten, aus dem drei Adlerfedern hervorragten, ein sicheres Zeichen, daß er ein Häuptling sei. Neben ihm im Kanu lag ein fein gegerbtes Büffelfell, das ihm beim Gehen als Mantel diente. In seinem Gürtel steckte ein glänzender Tomahawk – Schlachtbeil –, ein zweischneidiges Skalpmesser und der Pulver- und Kugelbeutel. Auf dem Büffelfell lag eine lange Doppelflinte, deren Kolben mit silbernen Nägeln verziert war und in deren Schaft man viele eingeschnittene Kerben bemerkte, um die Zahl der bereits erlegten Feinde zu bezeichnen. An der Bärenzahnschnur war das Kalumet – Friedenspfeife – befestigt, und außerdem sah man aus einer Tasche seines Jagdhemds die Kolben von zwei Revolvern hervorragen. Diese beiden bei den Indianern so seltenen Waffen waren ein sicheres Zeichen, daß er mit der Zivilisation in enge Berührung gekommen sei.
Das Steuer in der Rechten, schien er seinem Begleiter zuzuschauen und sich um weiter nichts zu bekümmern, ein aufmerksamer Beobachter aber hätte bemerkt, daß er dennoch unter den tief gesenkten Wimpern hervor die Ufer des Flusses sehr scharf mit jenem eigentümlichen, maskierten Blick beobachtete, der dem Jäger eigen ist, der in jedem Augenblick einen Angriff auf sein Leben erwarten kann.
Der andere, der im Vorderteil saß, war ein Weißer. Er war lang und schlank, aber doch ungemein kräftig gebaut und trug einen blonden Vollbart, der ihn sehr gut kleidete. Auch er hatte Lederhosen an, die in den hoch heraufgezogenen Schäften schwerer Aufschlagstiefeln steckten. Eine blaue Weste und ein ebensolches Jagdwams bedeckten seinen Oberkörper, der Hals war frei, und auf dem Kopf saß einer jener breitkrempigen Filzhüte, die man im fernen Westen stets zu sehen bekommt. Er hatte Farbe und Form verloren.
Die beiden Männer mochten in dem gleichen Alter von vielleicht achtundzwanzig Jahren sein. Beide trugen anstatt der Sporen scharfe Fersenstachel, ein sicherer Beweis, daß sie beritten gewesen waren, ehe sie sich das Kanu bauten, um den Rio Grande hinabzufahren.
Indem sie so von dem Wasser des Flusses abwärts getragen wurden, vernahmen sie plötzlich das Wiehern eines Pferdes. Die Wirkung dieses Lautes war eine blitzschnelle, denn noch war der Ton nicht ganz verklungen, so lagen die beiden Männer bereits auf dem Boden des Kanus, so daß sie von außen nicht gesehen werden konnten.
»Tkli – ein Pferd!« flüsterte der Indianer in der Sprache der Apachen. – »Es steht weiter abwärts«, meinte der Weiße. – »Es hat uns gewittert. Wer mag der Reiter sein?« – »Ein Indianer nicht und ein weißer Jäger auch nicht«, sagte der Weiße. – »Warum nicht?« – »Ein erfahrener Mann läßt sein Pferd nicht so laut wiehern.« – »Was tun wir?« – »Rudern wir an das Ufer, steigen wir aus und schleichen uns hin.« – »Und das Kanu bleibt liegen?« fragte der Indianer. »Wenn es nun Feinde sind, die uns an das Ufer locken und töten wollen?« – »Pshaw, wir haben auch Waffen!« – »So mag wenigstens mein weißer Bruder den Kahn bewachen, während ich die Gegend untersuche.« – »Gut, ich bin einverstanden!«
Die Männer leiteten das Kanu ans Ufer, wo der Indianer ausstieg, während der Weiße mit den Waffen in der Hand sitzen blieb, um seine Rückkehr zu erwarten. Nach einigen Minuten bereits sah er ihn in aufrechter Stellung kommen, das war ein Zeichen, daß keine Gefahr vorhanden sei.
»Nun?« fragte der Weiße. – »Ein weißer Mann schläft dort hinter dem Busch.« – »Ah! Ein Jäger?« – »Er hat nur ein Messer.« – »Ist weiter niemand in der Nähe?« – »Ich habe niemand gesehen.« – »So wollen wir hin!«
Der Weiße sprang aus dem Fahrzeug und band dieses fest, dann ergriff er seine schwere Rifle, zog die beiden Revolver, die auch er besaß, halb hervor, um kampfbereit zu sein, und folgte dem Indianer. Sie erreichten bald die Stelle, an der der Schläfer lag. Neben ihm stand ein Pferd angebunden, das auf mexikanische Weise gesattelt war.
Der Mann trug jene nach unten weiter werdenden mexikanischen Hosen, ein weißes Hemd und eine blaue, nach Husarenart um die Schultern hängend getragene Jacke. Hemd und Hose wurden durch ein gelbes Tuch zusammengehalten, das er wie einen Gürtel um die Hüften gewunden hatte. In diesem Gürtel steckte außer einem Messer keine einzige Waffe. Der gelbe Sombrero – Hut – lag über seinem Gesicht, um dasselbe gegen die warmen Strahlen der Sonne zu schützen. Der Mann schlief so fest, daß er das Nahen der beiden anderen gar nicht hörte.
»Holla, Bursche, wach auf!« rief jetzt der Weiße, ihn am Arm schüttelnd.
Der Schläfer erwachte, sprang empor und zog das Messer.
»Verdammt, was wollt ihr?« rief er schlaftrunken. – »Zunächst nur wissen, wer du bist.« – »Wer seid ihr denn?« – »Hm, mir scheint, du hast Angst da vor dem roten Mann. Das ist nicht nötig, alter Junge. Ich bin ein deutscher Trapper namens Helmers und stamme aus der Gegend von Mainz, und dieser hier ist Shoshinliett, der Häuptling der Jicarilla-Apachen.« – »Shoshinliett?« fragte der Fremde. »Oh, dann habe ich keine Sorge, denn dieser große Krieger der Apachen ist ein Freund der Weißen.«
Shoshinliett heißt zu deutsch »Bärenherz«.
»Nun, und du?« fragte der Weiße, der sich Helmers genannt hatte, also ganz denselben Namen führte wie der Steuermann in Rheinswalden bei Mainz. – »Ich bin Vaquero«, antwortete der Mann.
Ein Vaquero ist ein Rinderhirte.
»Wo?« – »Jenseits des Flusses.« – »Bei wem?« – »Beim Grafen de Rodriganda.« – »Und wie kommst du herüber?« – »Alle Teufel, sagt mir lieber, wie ich hinüberkomme! Ich werde verfolgt.« – »Von wem?« – »Von den Komantschen.« – »Das scheint sich nicht zu reimen. Du wirst von den Komantschen verfolgt und legst dich in aller Gemütsruhe hier schlafen.« – »Der Teufel schlafe nicht, wenn man so müde ist!« – »Wo trafst du auf die Komantschen?« – »Gerade im Norden von hier, nach dem Rio Pecos zu. Wir waren fünfzehn Männer und zwei Frauen, sie aber zählten über sechzig.« – »Donnerwetter! Habt ihr gekämpft?« – »Ja.« – »Weiter, weiter!« – »Was weiter? Sie überfielen uns, ohne daß wir von ihrer Gegenwart etwas ahnten, darum machten sie die Mehrzahl von uns nieder und nahmen die Frauen gefangen. Ich weiß nicht, wie viele noch außer mir entkommen sind.« – »Wo kamt ihr her, und wohin wolltet ihr?«
Der Vaquero war nicht gesprächig, er ließ sich jedes Wort abkaufen; er antwortete:
»Wir waren nach Forte del Guadeloupe geritten, um die beiden Damen abzuholen, die dort zu Besuch gewesen waren. Der Überfall geschah auf dem Heimweg.« – »Wer sind die Damen?« – »Señorita Arbellez und Karja, die Indianerin.« – »Wer ist Señorita Arbellez?« – »Die Tochter unseres Inspektors.«
Man erinnere sich, daß Pedro Arbellez damals den kleinen Alfonzo von Rodriganda nach Mexiko geholt hatte.
»Und Karja?« – »Sie ist die Schwester von Tecalto, dem Häuptling der Mixtekas.«
Da horchte Bärenherz auf.
»Die Schwester von Tecalto?« fragte er. – »Ja.« – »Er ist mein Freund. Wir haben die Friedenspfeife miteinander geraucht. Die Schwester seines Herzens soll nicht gefangen bleiben. Gehen meine weißen Freunde mit, sie zu befreien?« – »Ihr habt doch keine Pferde«, versetzte der Vaquero.
Der Indianer warf ihm einen geringschätzigen Blick zu und antwortete:
»Bärenherz hat ein Pferd, wenn er eins braucht. In einer Stunde wird er den Hunden der Komantschen eins genommen haben.« – »Verdammt, das wäre stark!« – »Nein, das versteht sich ganz von selbst«, versicherte der Weiße. »Wann seid ihr gestern überfallen worden?« – »Am Abend.« – »Und wie lange hast du hier geschlafen?« – »Oh, kaum eine Viertelstunde.« – »So werden die Komantschen bald hier sein.« – »Alle Teufel!« – »Du bist ein Vaquero und kennst die Gebräuche der Wilden nicht. Was für eine Absicht denkst du wohl, daß sie mit den Damen haben werden? Haben sie dieselben wohl wegen eines Lösegelds gefangengenommen?« – »Nein, sicherlich nicht. Sie werden sie mitnehmen, um sie zu ihren Weibern zu machen, denn beide sind sehr schön.« – »Ich habe gehört, daß die Mädchen der Mixtekas wegen ihrer Schönheit berühmt sind. Wenn also die Komantschen die beiden Damen nicht wieder herausgeben wollen, so müssen sie dafür sorgen, daß man den Aufenthaltsort derselben nicht entdecken kann; sie müssen ihre Spur verbergen. Infolgedessen dürfen sie also auch keinen von euch entkommen lassen, und darum haben sie sich ganz gewiß aufgemacht, um dich zu verfolgen, damit du keine Kunde nach Hause tragen kannst.« – »Das leuchtet mir ein«, entgegnete der Vaquero. – »Die Komantschen waren natürlich zu Pferde?« – »Ja.« – »Sie werden dich also auch zur Pferde verfolgen; sie werden auf deiner Spur reiten und Pferde haben, wenn sie hier ankommen.« – »Verdammt, das ist sehr leicht zu denken, obgleich ich nicht daran gedacht habe!« – »Ja, einen sonderlichen Scharfsinn scheinst du nicht zu haben. Dachtest du dir denn nicht, daß man dich verfolgen würde?« – »Natürlich!« – »Warum legst du dich da zum Schlafen?« – »Ich war zu müde.« – »Du mußtest wenigstens erst über den Fluß gehen.« – »Er ist hier zu breit und das Pferd zu angegriffen.« – »Danke Gott, daß wir keine Komantschen sind! Du wärst hier eingeschlafen und dann im Paradies ohne Kopfhaut erwacht. Hast du Hunger?« – »Ja.« – »So komm mit nach dem Kahn, führe aber zunächst dein Pferd weiter hinter die Büsche, damit man es von weitem nicht sehen kann.«
Dieses Gespräch war nur von Helmers und dem Vaquero geführt worden. Bärenherz hatte sich nach dem Kanu begeben, wo er ruhend auf der Büffelhaut lag. Der Vaquero erhielt Fleisch; Wasser gab es im Fluß, so war für alles gesorgt.
Nachdem er sich satt gegessen hatte, fragte ihn Helmers nach seinen näheren Verhältnissen und erfuhr dabei alle Umstände, die auf die Familie Rodriganda Bezug hatten. Als einige Zeit vergangen war, verließ Helmers den Kahn, um das etwas erhöhte Ufer zu erklettern und Ausguck zu halten, und er hatte die Höhe kaum erreicht, als er einen Ruf der Überraschung ausstieß.
»Holla, sie kommen! Bald hätten wir die rechte Zeit versäumt.«
Der Indianer stand im Nu bei ihm.
»Sechs Reiter!« sagte er. – »Kommen auf jeden drei!«
Der deutsche Trapper schien gar nicht daran zu denken, daß der Vaquero auch einen der Feinde auf sich nehmen könne.
»Wer nimmt das Pferd?« fragte Bärenherz. – »Ich«, antwortete der Deutsche.
Der Indianer nickte und sagte dann:
»Von diesen Komantschen darf kein einziger entkommen!« – »Das versteht sich ganz von selbst«, meinte Helmers. Dann wandte er sich an den Vaquero: »Du hast nur dein Messer?« – »Ja.« – »So kannst du uns bei dieser Sache gar nichts nützen. Du bleibst im Kanu liegen, und ich nehme einstweilen dein Pferd.« – »Aber wenn es erschossen wird!« sagte der Mann ängstlich. – »Dummheit, so bekommen wir sechs andere dafür.«
Der Mexikaner mußte dieser Anordnung Folge leisten. Er versteckte sich also in das Kanu, während die beiden andern sich nach dem Ort begaben, wo sie ihn gefunden hatten, sich neben das hinter den Büschen des Ufers versteckte Pferd stellten und warteten.
Die Reiter, die Helmers zuerst als sechs dunkle Punkte in der Ferne erkannt hatte, kamen schnell näher. Man konnte bereits ihre Bekleidung und Bewaffnung erkennen.
»Ja, es sind die Hunde der Komantschen«, sagte Bärenherz. – »Sie haben sich mit den Kriegsfarben bemalt, geben also keinen Pardon«, bemerkte Helmers. – »Sie sollen selbst keinen erhalten!« – »Die beiden hintersten müssen zuerst daran glauben; die vordersten bleiben uns dann gewiß.« – »Ich nehme die hintersten«, sagte der Apache. – »Gut!«
Die Komantschen waren jetzt auf einen halben Kilometer herangekommen; sie ritten noch immer im schnellsten Galopp. In einer Minute mußten sie sich im Bereich der Büchsen befinden.
»Wie dumm sie sind!« lachte der Deutsche. – »Diese Komantschen haben kein Hirn, sie vermögen nicht zu denken!« – »Sie könnten doch wenigstens vermuten, daß der Vaquero sich hier versteckt hat und auf sie wartet. Aber jedenfalls meinen sie, daß er sofort über den Strom geritten ist.« – »Ugh!« sagte der Apache.
Mit dieser Aufforderung zur Aufmerksamkeit erhob er seine Büchse. Helmers tat dasselbe. Gleich darauf krachten zwei Schüsse und noch zwei, und vier der Komantschen wälzten sich am Boden. Im nächsten Augenblick saß Helmers auf dem Pferd des Vaquero und brach mit demselben durch die Büsche. Die beiden übriggebliebenen Komantschen stutzten und hatten gar nicht Zeit, ihre Pferde zu wenden, so war der Deutsche schon bei ihnen. Sie erhoben ihre Tomahawks zum tödlichen Schlag, er aber hielt den Revolver bereit, drückte zweimal ab, und auch die zwei stürzten von den Pferden.
Dieser Sieg war in weniger als zwei Minuten errungen. Die Pferde der Gefallenen wurden mit leichter Mühe eingefangen.
Jetzt kam der Vaquero herbei, der vom Kanu aus alles beobachtet hatte.
»Verdammt«, meinte er, »das war ein Sieg!« – »Pah!« lachte der Deutsche. »Sechs Komantschen, was ist das weiter! Man sollte eigentlich mit Menschenblut sparsamer umgehen, denn es ist der köstlichste Saft, den es gibt; aber diese Komantschen verdienen es nicht anders.«
Man nahm darauf den Komantschen die Waffen ab und warf die Toten in den Fluß, nachdem Bärenherz den beiden, die er getötet, die Skalpe gelöst hatte, um sie sich an den Gürtel zu hängen.
»Was nun?« fragte der Deutsche. »Brechen wir sofort auf?« – »Ja«, antwortete der Apache. »Die Schwester meines Freundes soll nicht vergebens auf Hilfe rechnen.« – »Nehmen wir den Vaquero mit?«
Bärenherz musterte diesen und erwiderte:
»Tu, was du willst.« – »Ich gehe mit!« erklärte der Mexikaner. – »Ich glaube nicht, daß wir dich brauchen können«, meinte Helmers, »denn ein Held bist du nicht.« – »Ich hatte jetzt ja keine Waffen.« – »Aber bei dem gestrigen Überfall bist du doch auch geflohen.« – »Nur, um Hilfe herbeizuholen.« – »Ach so! Nun, wirst du den Platz wiederfinden können, wo ihr überfallen wurdet?« – »Ja.« – »So magst du uns begleiten.« – »Darf ich mir von den Waffen der Indianer nehmen?« – »Ja. Nimm dir auch ein Pferd von ihnen. Das deinige lassen wir frei; es ist zu sehr abgetrieben und würde uns nur hinderlich sein.«
Die drei besten Pferde wurden darauf bestiegen und die übrigen freigelassen, dann setzte sich der kleine Zug in Bewegung.
Es ging nach Norden immer dem Rio Pecos zu. Der Weg führte zunächst durch offene Prärie, dann erhob sich eine Sierra vor ihnen, deren Berge mit Wald bestanden waren, sie ritten durch Täler und Schluchten und gelangten gegen Abend auf eine Höhe, von der aus man eine kleine Savanne überblicken konnte.
»Ugh!« rief der Apache, der voranritt. – »Was gibt es?« fragte der Deutsche. – »Siehe!«
Bärenherz streckte die Hände aus und deutete nach unten.
Dort lagerte ein Trupp Indianer, in dessen Mitte man die Gefangenen erblickte. Der Deutsche nahm ein kleines Fernrohr aus der Tasche, stellte es, hob es an das Auge und blickte hindurch.
»Was sieht mein weißer Bruder?« fragte der Apache. – »Neunundvierzig Komantschen.« – »Pshaw«, sagte der Apache geringschätzend. – »Und sechs Gefangene.« – »Sind die Frauen mit dabei?« – »Ja, zwei.« – »Wir werden sie befreien.«
Diese Worte sagte der Häuptling mit so großer Seelenruhe, daß man glauben mußte, es verstehe sich von selbst, daß er es ganz allein mit einem Schock Komantschen aufnehme. – »Am Abend?« fragte der Deutsche. – »Ja«, nickte der Apache. – »Aber wie?« – »Wie ein Häuptling der Apachen!« sagte Bärenherz stolz. – »Ich bin dabei. Diese neunundvierzig Komantschen können nicht hundert Wachen aufstellen.« – »Wir wollen uns verbergen.« – »Warum?« fragte der Vaquero. – »Willst du dich etwa sehen lassen?« antwortete Helmers. – »Nein. Aber hier können sie uns ja gar nicht sehen!« – »Es können ja auch noch andere außer dir entkommen sein. Die hat man gewiß auch verfolgt, und wenn die Verfolger zurückkehren, können sie uns sehr leicht bemerken. Halte die Pferde. Wir beide wollen zunächst dafür sorgen, daß unsere Fährte verwischt wird.«
Helmers kehrte mit Bärenherz eine Strecke weit auf dem Weg, den sie gekommen waren, zurück, um die Hufspuren unsichtbar zu machen; dann wurde in dem dichtesten Gebüsch der Anhöhe ein Versteck ausgesucht und auch gefunden, worin sie sich mit ihren Tieren verbargen.
Die Sonne ging unter, und es wurde Abend. Die finstere Nacht brach an, und noch regte sich nichts in dem Versteck. Die beste Zeit zum Überfall war kurz nach Mitternacht. – »Nun, hast du dir ausgesonnen, wie es zu machen ist?« fragte der Deutsche den Apachen. – »Ja«, antwortete dieser. »Wir wollen wie tapfere Männer handeln. Kannst du eine Wache töten, ohne daß sie einen Laut von sich gibt?« – »Ja.« – »Gut. So schleichen wir uns hinzu, töten die Wachen, schneiden die Fesseln der Gefangenen durch und entfliehen mit ihnen.« – »Natürlich zu Pferde?« – »Ja.« – »So wird es Zeit, zu beginnen, denn das Anschleichen ist eine langweilige Sache.« – »Aber dieser Vaquero bleibt zurück?« fragte der Apache. – »Ja, er hat die Pferde zu halten.« – »Wo erwartet er uns?« – »Da, wo wir die Komantschen zuerst erblickten. Wir müssen dort vorüber, da wir doch jedenfalls nach dem Rio Grande zurückkehren.« – »So laß uns beginnen.«
Die beiden mutigen Männer ergriffen darauf ihre Gewehre und schritten, nachdem sie dem Vaquero die nötigen Instruktionen erteilt hatten, davon.
Unten im Tal brannte ein einziges Wachtfeuer; rund um dasselbe lagen die schlafenden Komantschen und bei ihnen die gefesselten Gefangenen. Die Wachtposten waren jedenfalls außerhalb dieses Kreises zu suchen. Als die beiden das Tal erreichten, sagte Bärenherz:
»Ich gehe links, und du gehst rechts.« – »Gut. Auf alle Fälle befreien wir zunächst die beiden Frauen.«
Dann trennten sie sich.
Helmers umschritt das Lager nach der rechten Seite hin. Natürlich geschah dies nicht in aufrechter Stellung, sondern in der Weise, wie sie in der Prärie gebräuchlich ist. Man legt sich nämlich dabei auf den Boden nieder und schiebt sich wie eine Schlange langsam weiter. Man darf dabei weder gehört, noch gesehen werden, auch muß man dafür sorgen, daß die Pferde keine Witterung bekommen, weil sie sonst durch ihr ängstliches Schnauben die Nähe des Feindes verraten.
So tat es Helmers. Erst einen weiten Bogen schlagend, machte er denselben allmählich enger, bis er eine dunkle Gestalt erblickte, die langsam auf und nieder schritt. Das war eine Wache. Er schlich sich mit der größten Vorsicht heran. Es war ein Glück, daß die Nacht finster war und das Feuer nicht mehr leuchtete. So kam er ungesehen der Wache bis auf fünf Schritt nahe, dann schnellte er sich plötzlich auf dieselbe zu, packte sie von hinten mit der Linken bei der Kehle, schnürte diese so fest zu, daß ein Laut unmöglich war, und stieß ihr mit der Rechten das lange Bowiemesser in die Brust. Der Mann sank, ohne eine Wort zu sagen oder das leiseste Geräusch machen zu können, nieder.
So gelang es Helmers, nach vielleicht einer Viertelstunde eine zweite Wache unschädlich zu machen, dann stieß er mit Bärenherz zusammen, der auf dieselbe Weise auch zwei Komantschen getötet hatte.
»Nun die Frauen!« flüsterte der Indianer. – »Vorsicht!« bat der Deutsche. – »Pshaw! Der Apache ist mutig, aber auch vorsichtig. Vorwärts!« war die Antwort.
Sie wandten sich vollständig unhörbar durch das fußhohe Gras nach dem Feuer hin. Die Frauen waren an der hellen Farbe ihrer Kleidung leicht zu unterscheiden. Helmers erreicht sie zuerst und näherte seine Lippen dem Ohr der einen. Dabei sah er trotz der Dunkelheit, daß sie die Augen offenhielt und ihn beobachtet hatte.
»Erschrecken Sie nicht und halten Sie sich still!« flüsterte er. »Erst wenn ich auch Ihrer Freundin die Fesseln durchschnitten habe, eilen Sie zu den Pferden hin.«
Sie verstand ihn. Die Frauen lagen nebeneinander und waren an Händen und Füßen gefesselt. Der Deutsche durchschnitt die Riemen, die ihnen in das Fleisch gedrungen waren.
Sobald der Apache bemerkte, daß der Deutsche sich der Damen annahm, suchte er die männlichen Gefangenen auf. Es waren ihrer vier, sie lagen in der Nähe. Er kroch zu ihnen heran. Auch sie schliefen nicht. Er nahm das Messer zur Hand, um auch ihre Riemen zu durchschneiden. Schon hatte er dies bei zweien getan, da erhob sich ganz plötzlich in der Nähe einer der Indianer. Er hatte die Bewegungen des Apachen im halben Schlaf gehört. Zwar erhob Bärenherz sofort sein Messer und stieß es ihm in die Brust, aber der zum Tode Getroffene fand noch Zeit, einen lauten Warnungsruf auszustoßen.
»Vorwärts, zu den Pferden! Mir nach!« rief der Apache, indem er blitzschnell die Banden der übrigen löste.
Sie sprangen empor und stürzten zu den Pferden.
»Schnell, schnell, um Gottes willen!« rief auch der Deutsche und ergriff hüben und drüben eine der Damen und riß sie zu den Pferden hin; aber ihre Hand- und Fußgelenke waren von den Fesseln so eingeschnürt gewesen, daß sie kaum gehen konnten.
»Bärenherz!« rief da der Deutsche in höchster Angst. – »Hier!« ertönte die Stimme des Apachen. – »Schnell herbei!«
Im nächsten Augenblick war der Häuptling da. Er ergriff eine der Frauen, hob sie empor und eilte mit ihr zu den Pferden. Helmers tat es ebenso. Sie sprangen auf, zogen die Frauen auf das Pferd, schnitten die Lassos durch, an denen die Tiere angepflockt waren und jagten davon.
Das alles war in größter Angst, aber mit der Schnelligkeit des Blitzes geschehen, doch keinen Augenblick zu früh, denn in dem Moment, in dem sie die Tiere antrieben, krachten hinter ihnen die Schüsse der Komantschen.
Diese hatten gar nicht an die Möglichkeit eines Überfalls gedacht und darum fest geschlafen. Jetzt sprangen sie empor und griffen zu den Waffen. Sie bildeten ein wirres Durcheinander und merkten erst dann, was geschehen war, als die Gefangenen bereits davonsprengten. Nun warfen auch sie sich auf die noch übrigen Pferde und jagten den Entflohenen nach.
Helmers und der Apache ritten an der Spitze. Sie kannten den Weg, und jeder von ihnen hatte ein Mädchen vor sich liegen. Oben auf der Höhe wartete der Vaquero auf sie. Als er sie kommen hörte, stieg er auf und nahm die beiden anderen Pferde am Zaum.
»Uns nach!« rief ihm Helmers zu, der ihn halten sah.
So ging die wilde Jagd bei voller Dunkelheit jenseits wieder in das Tal hinab, voran die Flüchtlinge und hinter ihnen die Komantschen, die ohne Aufhören ihre Gewehre abschossen, ohne jemand zu treffen. Da endlich erreichte man die freie Prärie, und nun konnte man an eine Gegenwehr denken.
»Können Sie reiten, Señorita?« fragte Helmers seine Dame. – »Ja.« – »Hier ist der Zügel! Immer geradeaus!«
Damit sprang er ab und stieg auf sein Pferd, das der Vaquero am Zügel führte. Der Apache tat ganz dasselbe. Sie bildeten nun die Nachhut und hielten mit ihren vortrefflichen Büchsen die Indianer in Schach. So ging es fort, bis der Morgen graute und es sich zeigte, daß die Komantschen weit zurückgeblieben waren, teils aus Vorsicht, teils wohl auch deshalb, weil sie ihre Tiere jetzt noch nicht so antreiben wollten wie die Flüchtigen. – »Wollen wir langsamer reiten?« fragte der Vaquero. »Nein«, antwortete der Deutsche. »Immer fort, so schnell wie möglich, damit wir den Strom zwischen uns und die Komantschen bringen.«
Helmers konnte jetzt die beiden befreiten Frauen deutlich sehen und also genauer betrachten. Die eine war eine Spanierin und die andere eine Indianerin, aber beide von ausgezeichneter Schönheit.
»Können Sie den Ritt noch aushalten, Señorita?« fragte er die erstere. – »So lange, als Sie wollen«, antwortete sie. – »Wie soll ich Sie nennen?« – »Mein Name ist Emma Arbellez. Und der Ihrige?« – »Ich heiße Helmers.« – »Helmers? Das klingt deutsch.« – »Ich bin auch wirklich ein Deutscher.« – »Woher?« – »Aus Mainz.« – »Ah, haben Sie Verwandte dort, die ebenso heißen?« – »Einen Bruder.« – »Ist er Steuermann?«
Helmers blickte ganz erstaunt zu ihr hinüber.
»Allerdings.« – »Den kenne ich.« – »Woher?« – »Ich bin mit ihm gefahren.« – »Das wäre ja ein wunderbares Zusammentreffen!« – »Ja. Ich ging mit dem Vater nach dem Kontinent. Wir mußten eines Sturmes wegen auf Helena landen, um ein Leck auszubessern. Dort lag auch die ›Jeffrouw Mietje‹ ... – »Ja, das ist sein Schiff.« – »Und Kapitän Dangerlahn nahm uns mit nach Hull.«
Dieses abgerissene Zwiegespräch war von einem Pferd herab zum anderen hinüber während des eiligsten Ritts geführt worden. Jetzt ergriff der Deutsche den Zügel der Spanierin.
»Wollen Sie sich mir anvertrauen?« – »Gern.« – »Auch auf dem Wasser, ganz so wie meinem Bruder?« – »Ja. Werden wir denn Wasser haben?« – »Wir müssen über den Fluß.« – »Wird uns das gelingen?« – »Ich hoffe es. Leider sind nur drei von uns bewaffnet; doch liegen dort am Rio Grande noch die übrigen Waffen, die wir gestern den Komantschen abgenommen haben.« – »Sie haben schon gestern gekämpft?« – »Ja. Wir trafen den Vaquero und hörten von ihm das Nähere. Wir erlegten seine Verfolger und beschlossen, auch Sie zu befreien.« – »Zwei Männer gegen so viele?«
Es traf Helmers ein leuchtender Blick aus ihren dunklen Augen, und er bemerkte, daß diese mit Wohlgefallen an seiner stattlichen Gestalt herabglitten, damit aber war auch die Unterredung beendet.
Als die fliehende Truppe den Rio Grande erreichte, hatte sie die Verfolger so weit hinter sich gelassen, daß man sie ganz aus den Augen verloren hatte. Die Waffen der erschossenen Indianer lagen noch hier und wurden unter diejenigen verteilt, die unbewaffnet waren. Die vier männlichen Geretteten waren drei Vaqueros und ein Majordomo oder Hausmeister.
»Was tun wir?« fragte der letztere. »Erwarten wir die Indianer hier, um ihnen einen Denkzettel zu geben? Wir haben jetzt acht Gewehre.« – »Nein, wir setzen über. Drüben haben wir den Fluß als Verteidigungslinie vor uns. Die Damen nehmen im Kanu Platz.«
So geschah es. Der Majordomo ruderte die Damen hinüber, während die anderen zu Pferde in das Wasser gingen. Es ging alles ganz glücklich vonstatten. Und als man drüben anlangte, wurde das Kanu versenkt und Anstalt zur Verteidigung getroffen. Dabei hielt sich Emma Arbellez immer an der Seite des Deutschen.
»Warum reiten wir nicht sofort weiter, Señor?« fragte sie. – »Die Klugheit verbietet uns das«, antwortete er. »Wir haben einen Feind hinter uns, der uns an Zahl bedeutend überlegen ist.« – »Aber acht Gewehre«, meinte sie mutig. – »Gegen fünfzig, die der Feind hat. Bedenken Sie, daß wir Damen zu beschützen haben.« – »So meinen Sie, wir wollen uns hier belagern lassen?« – »Nein. Die Komantschen glauben sicher, daß wir nach unserem Übergang sofort weitergeritten sind. Sie werden also auch sogleich in das Wasser gehen, und wenn ihrer genug im Fluß sind, können wir ihre Zahl derart lichten, daß sie von der Verfolgung ablassen müssen.« – »Wenn sie nun aber vorsichtig sind?« – »Inwiefern?« – »Erst Kundschafter herüberzuschicken?« – »Hm, wahrhaftig, es ist möglich, daß sie das tun.« – »Welche Maßregeln werden Sie dagegen treffen?« – »Wir reiten weiter und kehren auf einem Umweg zurück. Vorwärts also, ehe sie kommen.«
Man stieg wieder zu Pferde und sprengte in vollster Karriere in die jenseitige Ebene hinein. Dort schlug man einen Bogen und kehrte zurück. Man erreichte den Fluß etwas oberhalb der Stelle, wo man übergesetzt hatte. Das war kaum geschehen, so ließ sich drüben lauter Hufschlag hören.
»Sie kommen«, sagte der Majordomo. – »Haltet den Pferden die Nüstern zu, damit sie nicht wiehern!« rief Helmers.
Das kluge Mädchen hatte doch richtig geahnt. Die Komantschen suchten drüben die Spuren ab, und dann ritten zwei von ihnen vorsichtig in den Fluß, kamen herüber, suchten auch hier und fanden die Fährte, die weiterführte.
»Ni-uake, mi ua o-o, ni esh miushyame – hier sehen wir sie, ihr könnt kommen!« riefen sie hinüber.
Auf diese Aufforderung ging der ganze Trupp, ein Mann nach dem anderen, in das Wasser. Der Fluß war so breit, daß der erste Komantsche das eine Ufer noch nicht erreicht hatte, als der letzte das andere verließ. Die Flüchtlinge lagen in dem Gebüsch versteckt. Jetzt war es Zeit für sie.
»Wohin zielen wir?« fragte der Majordomo. – »Auf die ersten im Wasser. Die beiden, die bereits drüben halten, sind uns sicher.« – »Nur nicht zwei auf einen Mann schießen!« warnte der Apache. Zählt allemal acht ab. Wir schießen so auf sie in der Reihe, wie wir hier in der Reihe stehen.« – »Gut, vortrefflich«, sagte Helmers. »Fertig?« – »Ja«, flüsterte es achtfach als Antwort. – »Dann Feuer!«
Die acht wohlgezielten Schüsse krachten in demselben Augenblick, ein einziger Kanonenschlag, und die acht vordersten Komantschen versanken im Wasser. Der Deutsche und der Apache hatten Doppelbüchsen, sie drückten ihre zweiten Läufe ab und ließen noch zwei Feinde versinken.
»Schnell wieder laden!« rief Helmers.
Es war wunderbar, ja fast lächerlich anzusehen, welche Wirkung die Salve auf die Überlebenden hervorbrachte. Die Komantschen rissen die Pferde herum und schwammen wieder dem entgegengesetzten Ufer zu. Viele von ihnen glitten vorsichtig von den Tieren herab und schwammen neben denselben, um sich durch sie decken zu lassen. Die zwei aber, die bereits am diesseitigen Ufer waren, zeigten sich als die Besorgtesten, aber auch – Unvorsichtigsten. Sie rissen nämlich ihre Büchsen herab und kamen im Galopp herbeigesprengt. Sofort zog der Deutsche den Revolver und schlich ihnen hinter dem Buschwerk entgegen. Sie sahen ihn nicht, und eben, als sie an der Stelle, wo er sich befand, vorüber wollten, drückte er ab, worauf sie tot vom Pferd stürzten.
»Holla, noch zwei geladene Gewehre!« gebot Helmers. – »Die sind für uns«, antwortete Emma Arbellez. – »Können Sie schießen?« – »Alle beide!« – »Dann schnell!«
Helmers sprang dahin zurück, wo er seine Doppelbüchse verborgen hatte, und die beiden Damen ergriffen die Gewehre der zwei Komantschen. Das alles war so schnell gegangen, daß seit der ersten Salve bis jetzt kaum eine Minute vergangen war. Man hatte nun wieder geladen, und gleich darauf ertönte der Kommandoruf:
»Feuer!«
Die Feinde, die das jenseitige Ufer noch nicht wieder erreicht hatten, erhielten jetzt eine Salve aus acht einfachen und zwei Doppelgewehren, fast alle Schüsse gut gezielt. Mehrere Verwundete wurden vom Fluß abwärts getrieben, und mehrere Unverletzte stellten sich tot, indem auch sie sich abwärts treiben ließen, um so die Verteidiger zu täuschen und den Kugeln zu entgehen.
»Laßt euch nicht betrügen!« rief Helmers. »Schnell laden und diesen Schuften längs des Ufers nach! Wer nicht untergeht, der hat noch Leben!«
Man gehorchte seinen Worten, und bald hatten die Komantschen weit über zwanzig Tote verloren. Sie steckten nun drüben im Gebüsch und getrauten sich nicht wieder hervor.
»Jetzt mag es genug sein!« sagte endlich der Deutsche. – »Sie werden uns nicht weiter verfolgen«, meinte auch der Apache. »Diese Hunde von Komantschen haben kein Hirn in ihren Schädeln.«
Dann wandte Helmers sich mit folgenden Worten an die Damen:
»Ich danke Ihnen für den Beistand, den Sie uns geleistet haben, Señoritas. Ich hatte keine Ahnung davon, daß Sie schießen wie ein Westmann.« – »Man ist in unseren einsamen Gegenden gezwungen, diese Fertigkeit sich anzueignen«, entgegnete Emma. »Denken Sie wirklich, daß wir jetzt unbelästigt bleiben?« – »Ich hoffe es.« – »So wollen wir aufbrechen. Dieser Ort, der so viel Menschenleben gekostet hat, ist mir schauerlich, obgleich ich selbst auch zur Waffe gegriffen habe.« – »Dort sind die Pferde der beiden letzten Indianer, nehmen wir sie mit?« fragte Helmers. – »Versteht sich«, antwortete der Majordomo. »Ein indianisch zugerittenes Pferd hat stets Wert. Meine Vaqueros werden sie am Zügel nehmen.«
Nach einem nur kurzen Verweilen stieg man wieder auf und ritt nun wirklich in die Prärie hinein. So oft und so scharf die Truppe auch den hinter ihr liegenden Horizont musterte, es zeigte sich doch keine Spur von Verfolgung mehr. So vergingen einige Stunden, erst dann erlaubte man den Pferden, einen langsamen Schritt zu gehen, was auch die Unterhaltung erleichterte.
Bärenherz ritt, wie bereits vorher, so auch jetzt wieder an der Seite der schönen Mixtekas-Indianerin, während sich der Deutsche zu der Mexikanerin hielt.
»Wir sind nun fast einen Tag zusammen, ohne uns nur im geringsten kennengelernt zu haben«, sagte letzterer zu seiner Dame. »Setzen Sie das nicht auf Rechnung meiner Unhöflichkeit, sondern auf Rechnung der außerordentlichen Umstände.« – »Oh, ich meine doch, daß wir uns gerade im Gegenteil recht gut kennen«, meinte sie lächelnd. – »Inwiefern?« – »Ich weiß von Ihnen, daß Sie für andere Ihr Leben wagen, daß Sie ein kühner und umsichtiger Jäger sind, und Sie wissen von mir, daß – daß – daß ich auch schießen kann.« – »Das ist allerdings etwas, aber nicht viel. Lassen Sie mich wenigstens meinerseits das Notwendigste nachholen.« – »Ich werde Ihnen sehr dankbar sein, Señor.« – »Mein Name ist Anton Helmers, ich bin der jüngere von zwei Brüdern. Wir wollten studieren, da aber die Mittel nicht ausreichten und der Vater starb, so ging mein Bruder zur See und ich nach Amerika, wo ich nach vielen Irrfahrten mich schließlich in der Prärie als Waldläufer etablierte.« – »Also Anton heißen Sie? Da darf ich Sie Señor Anton nennen?« – »Wenn es Ihnen so beliebt, ja.« – »Aber wie kommen Sie so weit herab nach dem Rio Grande?« – »Hm, das ist eine Sache, von der ich eigentlich nicht sprechen sollte.« – »Also ein Geheimnis?« – »Vielleicht ein Geheimnis, vielleicht aber auch nur eine recht große Kinderei.« – »Sie machen mich neugierig.« – »Nun, so will ich Sie nicht auf die Folter spannen«, sagte Anton Helmers lachend. »Es handelt sich nämlich um nichts mehr und nichts weniger als um die Hebung eines unendlich reichen Schatzes.« – »Was für eines Schatzes?« – »Eines wirklichen, aus kostbaren Steinen und edlen Metallen bestehenden Schatzes.« – »Und wo soll derselbe liegen?« – »Das weiß ich noch nicht.« – »Ah, das ist unangenehm! Aber wo haben Sie denn von dem Vorhandensein dieses Schatzes gehört?« – »Hoch droben im Norden. Ich hatte das Glück, einem alten, kranken Indianer einige nicht ganz wertlose Dienste zu leisten, und als er starb, vertraute er mir zum Dank dafür das Geheimnis von dem Schatz an.« – »Aber er sagte Ihnen die Hauptsache nicht, nämlich wo er liegt?« – »Er sagte mir, daß ich ihn in Mexiko zu suchen habe, und gab mir eine Karte mit, bei der sich ein Situationsplan befindet.« – »Und welche Gegend betrifft diese Karte?« – »Ich weiß es nicht. Die Karte enthält zwar Höhenzüge, Talbildungen und Wasserläufe, aber keinen einzigen Namen.« – »Das ist allerdings höchst sonderbar. Weiß auch Shoshinliett, der Häuptling der Apachen davon?« – »Nein.« – »Und doch scheint er Ihr Freund zu sein?« – »Er ist es allerdings im vollsten Sinne des Wortes.« – »Und mir, mir teilen Sie das Geheimnis mit, obgleich wir uns erst heute gesehen haben!«
Helmers blickte der schönen Mexikanerin mit seinen ehrlichen Augen voll in das Gesicht und antwortete:
»Es gibt Menschen, denen man es ansieht, daß man kein Geheimnis vor ihnen zu haben braucht.« – »Und zu diesen Personen rechnen Sie mich?« – »Ja.«
Sie errötete, reichte ihm die Hand und erwiderte:
»Sie täuschen sich nicht. Ich werde Ihnen dies beweisen, indem ich ebenso aufrichtig gegen Sie bin und Ihnen eine auf Ihr Geheimnis bezügliche Mitteilung mache. Soll ich, Señor?« – »Ich bitte Sie sogar darum«, antwortete er mit überraschter Miene. – »Ich kenne nämlich einen, der auch nach diesem Schatz trachtet.« – »Ah! Wer ist es?« – »Unser junger Prinzipo, der Graf Alfonzo de Rodriganda y Sevilla.« – »Er weiß von dem Schatz?« – »Oh, wir alle wissen, daß die früheren Beherrscher des Landes ihre Schätze verbargen, als die Spanier Mexiko eroberten. Außerdem gibt es Orte, wo das gediegene Gold und Silber in Massen zu finden ist. Man nennt solche Orte eine Bonanza. Die Indianer kennen diese Orte, sterben aber lieber, als daß sie einem Weißen ihr Geheimnis anvertrauen.« – »Und diesem Alfonzo de Rodriganda hat es doch einer anvertraut?« – »Nein. Wir bewohnen die Hacienda del Erina, und es geht die Sage, daß in der Nähe derselben sich eine Höhle befindet, in der die Herrscher der Mixtekas ihre Schätze versteckten. Es ist viel nach dieser Höhle gesucht worden, Graf Alfonzo hat sich große Mühe gegeben, aber keiner fand sie.« – »Wo liegt diese Hacienda del Erina?« – »Etwas über eine Tagereise von hier, am Abhang der Berge von Coahuila. Sie werden sie sehen, da ich hoffe, daß Sie uns dorthin begleiten.« – »Ich werde Sie nicht eher verlassen, als bis ich Sie vollständig in Sicherheit weiß, Señorita!« – »Sie werden uns auch dann noch nicht verlassen, sondern unser Gast sein, Señor?« – »Gerade Ihre Sicherheit erfordert, daß ich Sie sofort wieder verlasse.« – »Wieso?« – »Wir haben eine Anzahl Komantschen getötet, und ich bin vollständig überzeugt, daß uns einige Späher heimlich folgen werden, um zu sehen, wo wir zu finden sind. Sie werden uns, wenn diese Kundschafter nicht unschädlich gemacht werden, überfallen, um sich zu rächen. Darum werde ich bei der Hazienda mit Bärenherz umkehren, um die Späher zu töten.«
Die Mexikanerin warf Helmers einen besorgten Blick zu und sagte:
»Sie begeben sich in eine neue Gefahr!« – »Gefahr? Pah! Der Präriejäger befindet sich stets in Gefahr, er ist daran gewöhnt. Bleiben wir aber für jetzt bei unserem Thema, dem Schatz des Königs! Es weiß also niemand, wo die Höhe zu suchen ist?« – »Wenigstens kein Weißer.« – »Aber ein Indianer?« – »Ja. Es gibt einen, der den Schatz der Könige ganz sicher kennt, vielleicht sind es auch zwei. Tecalto ist der einzige Nachkomme der einstigen Beherrscher der Mixtekas; sie haben das Geheimnis auf ihn vererbt. Karja, die dort neben dem Häuptling der Apachen reitet, ist seine Schwester, und es ist nicht unmöglich, daß er es ihr mitgeteilt hat.«
Helmers betrachtete die schöne Indianerin jetzt mit größerem Interesse als vorher.
»Ist sie verschwiegen?« fragte er. – »Ich denke es«, antwortete die Mexikanerin. Dann fügte sie lächelnd hinzu: »Man sagt allerdings, daß Damen nur bis zu einem gewissen Punkt verschwiegen sind.« – »Und welcher Punkt ist dies, Señorita?« – »Die Liebe.« – »Ah! Es ist möglich, daß Sie recht haben«, scherzte er. »Darf ich vielleicht erfahren, ob Karja bereits bei diesem Punkt angekommen ist?« – »Ich halte dies fast für möglich.« – »Ah! Wer ist der Glückliche?« – »Raten Sie. Es ist nicht schwer.«
Die Stirn des Jägers zog sich scharf zusammen.
»Ich vermute es«, sagte er. »Es ist Graf Alfonzo, der ihr auf diesem Weg das Geheimnis entlocken will.« – »Sie raten richtig.« – »Und Sie glauben, daß seine Bestrebungen Erfolg haben?« – »Sie liebt ihn.« – »Und ihr Bruder, der Nachkomme der Mixtekas? Was sagt er zu dieser Liebe?« – »Vielleicht weiß er noch nichts davon. Er ist der berühmteste Cibolero – Büffeljäger – und kommt nur selten einmal nach der Hazienda.« – »Der berühmteste Cibolero? Dann müßte ich ja seinen Namen kennen. Der Name Tecalto aber ist mir unbekannt.« – »Er wird von den Jägern nicht Tecalto genannt, sondern Mokaschimotak.« – »Mokaschimotak, Büffelstirn?« fragte Helmers überrascht. »Ah, den kenne ich allerdings. Büffelstirn ist der bekannteste Büffeljäger zwischen dem Red River und der Wüste Mapimi. Ich habe sehr viel von ihm gehört und würde mich freuen, ihn zu sehen. Und Karja ist also die Schwester dieses berühmten Mannes? Da muß man sie ja mit ganz anderen Augen ansehen.« – »Wollen Sie vielleicht Ihre Liebenswürdigkeit auch an ihr versuchen?«
Er lachte und antwortete:
»Ich? Wie kann ein Westmann liebenswürdig sein! Und wie könnte ich mit einem Grafen de Rodriganda in die Schranken treten wollen! Wäre es mir möglich, liebenswürdig zu sein, so würde ich dies bei einer ganz anderen versuchen.« – »Und wer wäre diese andere?« fragte sie. – »Nur Sie allein, Señorita!« antwortete er aufrichtig.
Ihre Augen leuchteten ihm glückverheißend zu, als sie antwortete:
»Aber bei mir können Sie ja nichts von Ihrem Königsschatz erfahren.« – »Oh, Señorita, es gibt Schätze, die mehr wert sind als eine ganze Höhle voll Gold und Silber. In diesem Sinne wünschte ich, einmal ein glücklicher Gambusino – Goldsucher – zu sein.« – »Suchen Sie, vielleicht finden sie.«
Sie streckte ihm die Hand entgegen, und als er diese ergriff, war es ihnen beiden, als ob ein elektrisches Fluidum sie überströme. Sie hatten sich verstanden.
Während dieser Unterredung war hinter ihnen eine andere geführt worden. Bärenherz ritt an der Seite der Indianerin. Sein Auge umfaßte mit verhaltener Glut die schöne Gestalt seiner Nachbarin, die mit einer Sicherheit auf dem halb wilden Pferd saß, als habe sie niemals anders als auf einem indianischen Männersattel geritten. Der schweigsame Häuptling war nicht gewohnt, seine Worte zu verschwenden; wenn er aber sprach, so hatte eine jede Silbe das doppelte Gewicht. Karja kannte diese Art und Weise der wilden Indianer, und darum wunderte sie sich auch nicht darüber, daß er wortlos blieb. Doch fühlte sie es förmlich, daß sein Auge durchdringend auf ihr ruhte; und fast erschrak sie, als er sie anredete:
»Zu welchem Volk gehört meine junge Schwester?« – »Zu dem Volk der Mixtekas«, antwortete sie. – »Das war einst eine große Nation und ist noch jetzt durch die Schönheit seiner Frauen berühmt. Ist meine junge Schwester eine Squaw – Frau – oder ein Mädchen?« – »Ich habe keinen Mann.« – »Ist ihr Herz noch ihr Eigentum?«
Bei dieser direkten Frage, die ein Weißer sicherlich nicht ausgesprochen hätte, rötete sich ihr dunkles Gesicht, aber sie antwortete mit fester Stimme:
»Nein.«
Sie wußte, daß es hier besser sei, die Wahrheit zu sagen, denn sie kannte die Apachen. Es veränderte sich kein Zug seines eisernen Gesichts, und er fragte weiter:
»Ist es ein Mann ihres Volkes, der ihr Herz besitzt?« – »Nein, ein Weißer.« – »Bärenherz beklagt seine Schwester. Sie mag es ihm sagen, wenn der Weiße sie betrügt.« – »Er wird mich nicht betrügen!« antwortete sie stolz und zurückweisend.
Ein leises, leises Lächeln zuckte um seine Lippen; er schüttelte den Kopf und entgegnete:
»Die weiße Farbe ist falsch und wird leicht schmutzig. Meine Schwester mag vorsichtig sein!«
Dies war das ganze Gespräch zwischen den beiden, aber es war wenigstens ebenso folgewichtig, wie die Unterredung zwischen dem Deutschen und der Mexikanerin.
Im Verlauf des Weiterritts erfuhr Helmers, daß die beiden Frauen oben am Rio Pecos gewesen waren, um eine Tante der Mexikanerin zu besuchen, die schwer krank darniederlag. Diese Verwandte war die Schwester von Emmas Mutter, also die Schwägerin des alten Pedro Arbellez, der der Verwalter des Grafen Ferdinando de Rodriganda gewesen war, jetzt aber als Pächter des Grafen auf der Hacienda del Erina lebte. Die Pflege der beiden Frauen hatte den Tod der Tante nicht zu hindern, sondern nur zu verzögern vermocht. Später hatte Arbellez den Majordomo mit den Vaqueros geschickt, um die Tochter abholen zu lassen. Auf dem Rückweg waren sie von den Komantschen überfallen worden und wären ohne die Dazwischenkunft des Deutschen und des Apachenhäuptlings ganz sicher verloren gewesen.
Man ritt immer nach Süden zu. Der Tag neigte sich zu Ende; sie hatten nur noch eine Stunde bis zum Hereinbruch des Abends und befanden sich am Rand einer weiten Ebene, die nun hinter ihnen lag, als der Apache sein Pferd plötzlich anhielt, hinter sich zeigte und rief:
»Ugh!«
Die anderen drehten sich um, die Ebene zu durchmustern.
»Ich sehe nichts«, sagte der Majordomo. – »Wir auch nicht«, erklärten die Vaqueros, trotzdem sie Augen besaßen, die gewohnt waren, in weite Ferne zu spähen. – »Was gibt es?« fragte Emma. – »Auch Sie sehen nichts?« antwortete Helmers. – »Nein. Siehst du etwas, Karja?« – »Nicht das mindeste«, erklärte die Indianerin. – »Der Häuptling der Apachen kann doch nicht den Trupp wilder Pferde meinen, den man dort erblickt?« fragte der Majordomo. »Uff!« sagte der Apache mit geringschätziger Miene. – »Gerade den meint er«, sprach der Deutsche. – »Was gehen uns die Mustangs an?« – »Sind sie wirklich so gleichgültig, Señor Majordomo?« – »Ja. Wir sind ja mit Pferden versehen.« – »Seht sie Euch genauer an!«
Ungefähr zwei englische Meilen hinter ihnen galoppierte eine Herde von Pferden mit erhobenen Schwänzen und wehenden Mähnen einher. Sie kam immer näher. Kein Reiter, kein Sattel oder Bügel, kein Zügel, nicht die dünnste Schnur ließ sich sehen.
»Es sind Mustangs!« sagte der Majordomo. – »Uff!« rief der Apache zum zweiten Mal, jetzt aber wirklich verächtlich.
Dann lenkte der sein Pferd wieder herum und ritt im Galopp vorwärts. Die anderen mußten folgen. Emma aber drängte ihr Pferd zu Helmers heran und fragte:
»Was hat der Apache?« – »Er ärgert sich.« – »Worüber?« – »Über die Dummheit des Majordomo.« – »Dummheit? Señor Helmers, unser Majordomo ist ein sehr erfahrener Mann.« – »In häuslichen Angelegenheiten vielleicht.« – »O nein. Er ist ein tüchtiger Reiter und Schütze, ein Pfadfinder, der seinesgleichen sucht; man kann sich in jeder Beziehung auf ihn verlassen.« – »Ein Pfadfinder? Hm!« Jetzt blickte der Deutsche ebenfalls verächtlich drein. »Ja, ein Pfadfinder in den Straßen einer Stadt oder auf den Gassen eines Dorfes. Zu einem Rastreador, zu einem wirklichen Pfadfinder, gehört mehr. Sie sagen, daß man sich in jeder Beziehung auf ihn verlassen könne, und doch wären Sie verloren, wenn Sie jetzt nur allein auf seine Erfahrung und seinen Scharfsinn angewiesen wären.« – »Ah! Wieso?« – »Weil diese Pferde keine wilden Mustangs sind.« – »Was sonst?« – »Es sind die Komantschen, die uns verfolgen.« – »Die Komantschen? Man sieht doch nur die Pferde?« – »Ja, aber die Roten sind dennoch dabei. Sie haben einen Riemen um Hals und Leib der Pferde gezogen, und in diesen Riemen hängen sie mit dem linken Arm und dem rechten Bein. Sahen Sie nicht, daß uns nur die rechten Flanken der Pferde zugekehrt waren, trotzdem sie gerade hinter uns herreiten? Sie lassen ihre Tiere in schiefer Körperstellung galoppieren. Eine solche Haltung ist das sicherste Zeichen, daß ein Indianer sich hinter dem Pferd verbirgt.« – »Heilige Madonna. So werden sie uns abermals angreifen?« – »Entweder sie uns oder wir sie. Ich ziehe das letztere vor. Der Apache ist ganz meiner Meinung. Sehen Sie, wie er nach beiden Seiten späht!« – »Was sucht er?« – »Ein Versteck für uns, von dem aus wir die Komantschen fassen können. Überlassen wir ihm alles. Er ist die tüchtigste und wackerste Rothaut, die ich kenne, und auf ihn allein verlasse ich mich lieber, als auf tausende von Ihren Majordomos, so erfahren sie auch sind.« – »Gut! Verlassen wir uns auf ihn und auf noch einen!« – »Auf wen?« – »Auf Sie!« – »Ah, wollen Sie das wirklich?« fragte er mit einem freudigen Aufleuchten seiner Augen. – »Von ganzem Herzen!« antwortete sie. »Sie loben nur den Apachen, aber Sie vergessen zu sagen, daß man Ihnen ebenso vertrauen kann als ihm.« – »Glauben Sie das wirklich?« – »Ja. Ich habe Sie beobachtet. Sie sind kein gewöhnlicher Jäger, und ich glaube sicher, daß auch Sie einen Ehrennamen tragen, den Ihnen die Trapper und Indianer gegeben haben.«
Er nickte.
»Sie erraten es.« – »Und welches ist Ihr Jägername?« – »O bitte, nennen Sie mich immer Antonio oder Helmers.« – »Sie wollen ihn mir nicht sagen?« – »Jetzt nicht. Wenn man ihn einmal zufällig nennen wird, werde ich mich zu erkennen geben.« – »Ah, Sie sind eitel. Sie wollen inkognito sein wie ein Fürst.« – »Ja«, lachte er. »Ein guter Jäger muß ein klein wenig eitel sein, und Fürsten sind wir alle, nämlich Fürsten der Wildnis, des Waldes und der Prärie.« – »Fürsten! Ja, da fällt mir einer jener berühmten Namen ein.« – »Welcher?« – »Matavase.« – »Ja, der ist einer der Berühmtesten. Haben Sie von ihm gehört?« – »Viel. Er soll da oben in den Felsengebirgen gewesen sein.« – »Allerdings; darum nennen ihn die Indianer Matavase, die englischen Trapper Rockyprince, und die französischen Coureurs sagen Prince du roc. Alle diese drei Namen bedeuten ein und dasselbe, nämlich Fürst des Felsens.« – »Er ist ein Weißer?« – »Ja.« – »Haben Sie ihn gesehen?« – »Nein, aber ich habe gehört, daß er ein Landsmann von mir ist.« – »Ein Deutscher?« – »Ein Deutscher«, nickte Helmers. »Er soll Karl Sternau heißen und eigentlich ein Arzt sein. Er hat Amerika bereist und ist mehrere Monate mit unserem braven Bärenherz durch die gefährlichsten Regionen des Felsengebirges gestrichen. Jetzt befindet er sich längst wieder auf dem Kontinent.«
Während dieses Gesprächs hatte man im Galopp den Weg fortgesetzt. Die offene Prärie lag hinter ihnen, und sie ritten nun durch ein Hügel- und Felsengewirr, das ganz geeignet war, ein Versteck zu bieten. Dies hatte der Apache gewollt, denn plötzlich bog er rechts ein und schlug einen schnellen, aber weiten Bogen, so daß sie nach bereits zehn Minuten eine Stelle erreichten, an der sie vorher vorbeigekommen waren.
Die Stelle war von Bärenherz sehr vorsichtig gewählt worden. Die Truppe hielt auf einer von drei Seiten geschützten Anhöhe, die steil in die Schlucht niederfiel, durch die sie vorhin gekommen waren und die auch die Komantschen passieren mußten, wenn sie die Verfolgung wirklich fortsetzten.
Der Apache stieg vom Pferd und pflockte dasselbe an. Die anderen taten ebenso.
»Jetzt die Gewehre zur Hand!« gebot Helmers. »Wir werden nicht lange warten müssen.«
Seine Gefährten gehorchten dem Gebot, sogar die beiden Mädchen ergriffen die erbeuteten Büchsen, schritten vor bis an den Rand und legten sich dort auf die Lauer.
»Bst, Señor!« winkte der Deutsche dem Majordomo. »Den Kopf zurück, damit wir nicht bemerkt werden. Diese Komantschen haben scharfe Augen.« – »Späher vorüber lassen!« sagte der Apachenhäuptling in seiner kurzen Weise. – »Was meint er?« fragte einer der Vaqueros. – »Das ist doch sehr einfach«, antwortete der Deutsche. »Die Komantschen werden natürlich vermuten, daß wir auf den Gedanken kommen, ihnen aufzulauern. Daher werden sie wohl einen oder zwei Kundschafter voranreiten lassen, um sich zu überzeugen, ob wir einen Hinterhalt gelegt haben; sie kommen dann in sicherer Entfernung nach. Wir lassen also die Späher vorüber, die unserer Fährte weiter folgen werden, und warten, bis die anderen kommen. Aber wir schießen nicht aufs Geratewohl, sondern in der Reihenfolge, wie wir liegen, damit keine Kugel verschwendet wird. Der erste von uns schießt auf den ersten Komantschen, der zweite auf den zweiten und so weiter. Verstanden?«
Die Vaqueros nickten zustimmend, und nun entstand eine Pause der Erwartung.
Da endlich hörte man vorsichtig den Hufschlag zweier Pferde, und zwei Komantschen kamen langsam durch das Felsengewirr. Ihre scharfen Augen suchten jeden Schritt der Umgebung ab, wurden aber getäuscht, da die Spur der Mexikaner weiterführte. Daß diese seitwärts einen Bogen geschlagen hatten und zurückgeritten waren, daran dachten die Wilden nicht. Sie ritten vorüber und verschwanden hinter den Steinen.
Nach einigen Minuten hörte man erneutes Pferdegetrappel. Die übrigen kamen und ritten unbesorgt heran, da sie ihre Kundschafter vor sich wußten. Als der letzte von ihnen in der Schlucht erschienen war, streckte der Apache sein Gewehr vor, und der Deutsche kommandierte:
»Feuer!«
Die Büchsen krachten, diejenigen des Deutschen und des Apachen zweimal, und ebenso viele Feinde stürzten von den Pferden. Die anderen stockten einige Augenblicke. Sie wußten nicht, sollten sie fliehen oder den verborgenen Feind angreifen. Ratlos blickten sie ringsumher, bis sie endlich den Pulverdampf oben auf der Höhe gewahrten.
»Nlate tki – dort sind sie!« rief einer, mit der Hand empor deutend.
So kurz diese Pause war, die Unentschlossenheit der Wilden hatte den Weißen doch Zeit gegeben, schnell wieder zu laden. Ihre Schüsse krachten von neuem, und die Zahl der Gefallenen verdoppelte sich. Nun gab es für die wenigen Verschonten keinen Halt mehr. Sie rissen ihre Pferde herum und flohen im gestreckten Galopp davon.
»Der Komantsche ist ein Feigling!« meinte der Apache stolz und stieg langsam die Stellung nieder, um sich die Skalpe der vier von ihm erschossenen Feinde zu holen. Auch die anderen folgten, um sich der Waffen und reiterlosen Pferde zu bemächtigen. Nach einem kurzen Aufenthalt konnte der Weg wieder fortgesetzt werden.