Der Schut - Karl May - E-Book

Der Schut E-Book

Karl May

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Beschreibung

Überarbeitete Ausgabe in Neuer Deutscher Rechtschreibung Nach Abenteuern in der Teufelsschlucht und bei der Juwelenhöhle treffen Kara Ben Nemsi und seine Begleiter erneut auf Sir David Lindsay und schließlich auf das Oberhaupt der Verbrecher, den "Schut". Viele gefährliche Situationen müssen überwunden werden, bevor die Jagd, die in der tunesischen Wüste begann, in Albanien zu Ende geht. Null Papier Verlag

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Karl May

Der Schut

Karl May

Der Schut

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024 EV: Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 1892 1. Auflage, ISBN 978-3-954187-28-7

null-papier.de/356

Inhaltsverzeichnis

Karl May und die Ori­gi­na­le

Zum Buch

Ha­lef in Ge­fahr

Eine Bä­ren­jagd

In der Teu­fels­schlucht

In der Ju­we­len­höh­le

Ein Über­fall

Un­ter der Erde

An der Ver­rä­ter-Spal­te

Ein Nach­wort

Karl May bei Null Pa­pier

Durch die Wüs­te

Durchs wil­de Kur­dis­tan

Von Bag­dad nach Stam­bul

In den Schluch­ten des Bal­kan

Durch das Land der Ski­pe­ta­ren

Der Schut

Karl May und die Ori­gi­na­le

Will­kom­men in der Welt von Karl May: Ein klas­si­sches Erbe neu prä­sen­tiert

Lie­be Le­se­rin, lie­ber Le­ser

In der Welt der li­te­ra­ri­schen Klas­si­ker gibt es we­ni­ge Na­men, die so sehr mit Aben­teu­er und fer­nen Län­dern ver­bun­den sind wie Karl May. Mit sei­nen fes­seln­den Er­zäh­lun­gen aus dem Wil­den Wes­ten und dem Ori­ent hat Karl May nicht nur Ge­ne­ra­tio­nen von Le­sern be­geis­tert, son­dern auch eine li­te­ra­ri­sche Land­schaft ge­schaf­fen, die bis heu­te nach­hallt. Sei­ne Fi­gu­ren, ins­be­son­de­re Win­ne­tou und Old Shat­ter­hand, sind mehr als nur Cha­rak­tere auf dem Pa­pier – sie sind Sym­bo­le für Mut, Freund­schaft und die Su­che nach Ge­rech­tig­keit.

Als Ein­zel­ver­le­ger habe ich es mir zur Auf­ga­be ge­macht, Karl Mays Wer­ke in ih­rer reins­ten und au­then­tischs­ten Form zu prä­sen­tie­ren. Ich ar­bei­te mit den Erst­ver­öf­fent­li­chun­gen sei­ner Wer­ke, um si­cher­zu­stel­len, dass der ur­sprüng­li­che Cha­rak­ter und Stil von Mays Schrif­ten so treu wie mög­lich er­hal­ten bleibt. Mein Ziel ist es, die­se klas­si­schen Tex­te so zu über­ar­bei­ten, dass sie die Qua­li­tät und den Geist der Ori­gi­nal­aus­ga­ben wi­der­spie­geln, wäh­rend sie gleich­zei­tig den heu­ti­gen Le­se­ge­wohn­hei­ten an­ge­passt sind.

Will­kom­men zu­rück zu den Wur­zeln von Karl Mays li­te­ra­ri­schem Erbe, prä­sen­tiert mit ei­nem tie­fen Re­spekt für sei­ne Ar­beit und ei­nem Auge für die Be­dürf­nis­se des heu­ti­gen Le­sers.

Treue zu den Erst­ver­öf­fent­li­chun­gen

Bei der Über­ar­bei­tung der Tex­te lege ich größ­ten Wert dar­auf, Karl Mays ori­gi­na­le Er­zähl­stim­me zu be­wah­ren. Ich ver­mei­de es, in­halt­li­che Än­de­run­gen vor­zu­neh­men oder mo­der­ne In­ter­pre­ta­tio­nen ein­zu­fü­gen, die vom ur­sprüng­li­chen Geist der Ge­schich­ten ab­wei­chen könn­ten. Statt­des­sen kon­zen­trie­re ich mich dar­auf, sprach­li­che Glät­tun­gen durch­zu­füh­ren, wo es not­wen­dig ist, um die Les­bar­keit zu ver­bes­sern und gleich­zei­tig die Authen­ti­zi­tät zu wah­ren.

Bar­rie­re­frei­heit und Zu­gäng­lich­keit

Es ist mir wich­tig, dass Karl Mays Wer­ke von al­len ge­nos­sen wer­den kön­nen. Da­her ge­stal­te ich die E-Books so, dass sie mit ver­schie­de­nen Tech­no­lo­gi­en zur Un­ter­stüt­zung des Le­sens kom­pa­ti­bel sind, um si­cher­zu­stel­len, dass auch Men­schen mit Seh­be­hin­de­run­gen oder an­de­ren Ein­schrän­kun­gen Zu­gang ha­ben.

Beglei­ten Sie mich auf die­ser Rei­se zu­rück zu den Wur­zeln

Ich lade Sie ein, Karl Mays Welt durch die­se neu­en Edi­tio­nen wie­der­zuent­de­cken, die so­wohl die Tie­fe als auch das Aben­teu­er sei­ner Ge­schich­ten mit ei­ner Fri­sche und Klar­heit prä­sen­tie­ren, die Sie viel­leicht noch nicht er­lebt ha­ben. Tau­chen Sie ein in die klas­si­schen Er­zäh­lun­gen, die Karl May zu ei­nem der meist­ge­le­se­nen Au­to­ren sei­ner Zeit mach­ten.

May und sei­ne Zeit

May war und ist ei­ner der er­folg­reichs­ten Schrift­stel­ler deut­scher Spra­che. Ge­ne­ra­tio­nen von Le­ser ha­ben ihn für sich ent­deckt, egal, wie stark und aus wel­chen Grün­den er im­mer wie­der von Tu­gend­wäch­tern oder be­sorg­ten El­tern in die li­te­ra­ri­sche Schmud­de­le­cke ge­drängt wur­de.

Es gibt wohl kei­nen Deut­schen, der sei­ne Fi­gu­ren nicht kennt: Win­ne­tou oder Had­schi Ha­lef Omar, Old Shat­ter­hand oder Kara Ben Nem­si. Vie­le wer­den so­gar die Na­men der Pfer­de oder der Waf­fen der Pro­tago­nis­ten ken­nen. Nicht zu­letzt die far­ben­präch­ti­gen Fil­me der 1960er Jah­re ha­ben Mays Fi­gu­ren auch eine ki­ne­ma­to­gra­fi­sche Un­ters­terb­lich­keit ver­passt – soll­te das je­mals not­wen­dig ge­we­sen sein. Und wo sonst hät­te ein Fran­zo­se einen ame­ri­ka­ni­schen Urein­woh­ner, ein Ame­ri­ka­ner einen deut­schen Aben­teu­rer und ein Ber­li­ner einen Ori­en­ta­len spie­len kön­nen?

Zu ei­ner Zeit, als es noch kei­nen or­ga­ni­sier­ten Mas­sen­tou­ris­mus und kein In­ter­net gab, brach­te May dem Le­ser die wei­te Welt bis vor die Haus­tür oder un­ter die ver­ber­gen­de Bett­de­cke. Sei­ne Tex­te präg­ten, ob ge­recht­fer­tigt oder nicht, die Vor­stel­lung des Wil­den Wes­tens und des Ori­ents für Ge­ne­ra­tio­nen.

Am bes­ten, Sie, lie­ber Le­ser, lie­be Le­se­rin, füh­len sich ein­fach nur gut un­ter­hal­ten.

In die­sem Sin­ne Ihr Jür­gen Schul­ze, Neuss

Karl May

Zum Buch

Nach Aben­teu­ern in der Teu­fels­schlucht und bei der Ju­we­len­höh­le tref­fen Kara Ben Nem­si und sei­ne Beglei­ter er­neut auf Sir Da­vid Lind­say und schließ­lich auf das Ober­haupt der Ver­bre­cher, den »Schut«. Vie­le ge­fähr­li­che Si­tua­tio­nen müs­sen über­wun­den wer­den, be­vor die Jagd, die in der tu­ne­si­schen Wüs­te be­gann, in Al­ba­ni­en zu Ende geht.

Ha­lef in Ge­fahr

Is­rad, un­ser Füh­rer, er­wies sich als ein mun­te­rer Bur­sche. Er er­zähl­te uns in­ter­essan­te Epi­so­den aus sei­nem Le­ben und gab uns lus­ti­ge Schil­de­run­gen von Land und Leu­ten, so­dass wir gar nicht dar­an dach­ten, die Zeit zu mes­sen.

Die frucht­ba­re Ebe­ne von Mu­stafa liegt ei­gent­lich am lin­ken Ufer des War­dar, wo­her wir ge­kom­men wa­ren. Am rech­ten, an wel­chem wir uns be­fan­den, steigt das Ter­rain mä­ßig em­por, doch ist das Land noch sehr frucht­bar. Wir ka­men an rei­chen Baum­woll- und Ta­bak­fel­dern vor­über und sa­hen frucht­tra­gen­de Li­mo­ni­en ste­hen. Doch sag­te Is­rad, dass dies bald auf­hö­ren und wir jen­seits der Tres­ka so­gar durch Ge­gen­den kom­men wür­den, wel­che ›merat­lü‹ sei­en.

Um zu wis­sen, was die­ses Wort be­deu­tet, muss man sich dar­an er­in­nern, dass der Grund und Bo­den des os­ma­ni­schen Rei­ches in fünf ver­schie­de­ne Klas­sen ein­ge­teilt wird.

Die ers­te Klas­se ist der ›Mi­rieh‹, das heißt das Land der Staats­do­mä­nen, zu wel­chem selbst­ver­ständ­lich nicht der un­frucht­bars­te Bo­den ge­hört. Dann kommt der ›Wa­kuf‹, das Ei­gen­tum der from­men Stif­tun­gen. Die­ser Klas­se fällt ohne Wei­te­res al­les Land zu, des­sen Be­sit­zer ohne Hin­ter­las­sung di­rek­ter Er­ben stirbt. Die drit­te Klas­se fasst den ›Mül­k‹, den Pri­vat­grund­be­sitz, in sich. Die Be­sitz­ti­tel wer­den in der Re­gel nicht nach ei­ner ge­nau­en Mes­sung, wie bei uns, son­dern nach un­ge­fäh­rer Schät­zung aus­ge­stellt. Für je­den Wech­sel des Be­sit­zes, also Kauf, ist die Ge­neh­mi­gung der Re­gie­rung er­for­der­lich, wel­che bei den dor­ti­gen Ver­hält­nis­sen meist nur durch die Be­ste­chung der be­tref­fen­den Be­am­ten er­langt wer­den kann. Der Mülk lei­det auch au­ßer­or­dent­lich un­ter den Miss­bräu­chen, wel­che bei der Steu­e­rer­he­bung ein­ge­ris­sen sind. So hat zum Bei­spiel die Bo­den­wirt­schaft zehn Pro­zent Na­tu­ral­ab­ga­be zu ent­rich­ten. Die Steu­er­päch­ter ver­schie­ben aber ge­wöhn­lich die Ein­ho­lung die­ses Zehnts so lan­ge, bis die Früch­te in Fäul­nis über­zu­ge­hen dro­hen und der Land­wirt mehr als zehn vom Hun­dert bie­tet, um den Er­trag sei­ner Ern­te ret­ten zu kön­nen. In die nächs­te Klas­se, ›Me­tron­keh‹ ge­nannt, ge­hö­ren die Stra­ßen, öf­fent­li­chen Plät­ze und Com­mu­nal-Grund­stücke. Die Ver­kehrs­we­ge be­fin­den sich meist in ei­nem be­kla­gens­wer­ten Zu­stand, was ein Haupt­grund für die wirt­schaft­li­che Not­la­ge des Lan­des ist. Die letz­te Klas­se wird ›Me­rat‹ ge­nannt und be­greift al­les wüs­te und un­pro­duk­ti­ve Land in sich. Die­ses war es, was un­ser Füh­rer mein­te.

Wir hat­ten zwei oder drei fla­che Ter­ras­sen zu er­stei­gen und ka­men dann zu der Ho­chebe­ne, wel­che im Wes­ten steil nach den Ufern der Tres­ka ab­fällt. Hier rit­ten wir durch ei­ni­ge klei­ne Dör­fer. Der größ­te und be­deu­tends­te Ort die­ser Ebe­ne, Ban­ja, blieb links von uns lie­gen.

Da wir wuss­ten, dass Is­rad uns in ge­ra­des­ter Rich­tung füh­ren wer­de, hat­te ich nicht da­nach ge­trach­tet, die Spu­ren des uns vor­an­ge­rit­te­nen Suef auf­zu­su­chen. Es hät­te uns das nichts nüt­zen kön­nen, son­dern nur zur Ver­zö­ge­rung un­se­res Rit­tes ge­führt. Nach­dem wir un­ge­fähr vier Stun­den un­ter­wegs wa­ren, ka­men wir durch einen sehr lich­ten Wald, des­sen Bäu­me weit aus­ein­an­der stan­den. Dort tra­fen wir die Fähr­te ei­nes ein­zel­nen Rei­ters, wel­che von links auf un­se­re Rich­tung stieß. Ich be­trach­te­te sie aus dem Sat­tel her­ab. Es war zwar nicht mit vol­ler Be­stimmt­heit zu be­haup­ten, aber es ließ sich ver­mu­ten, dass es die Fähr­te Suefs sei, zu­mal das Pferd so scharf aus­ge­grif­fen hat­te, dass an­zu­neh­men war, der Rei­ter habe große Eile ge­habt. Da sie in un­se­rer Rich­tung wei­ter­führ­te, folg­ten wir ihr, bis nach ei­ni­ger Zeit eine zu­sam­men­ge­setz­te­re Fähr­te von rechts her kam.

Jetzt stieg ich ab. Wer ei­ni­ger­ma­ßen Übung be­sitzt, kann un­schwer er­ken­nen, von wie vie­len Pfer­den eine sol­che Spur ge­macht wur­de, falls es nicht gar zu vie­le ge­we­sen sind. Ich sah, dass fünf Rei­ter hier ge­rit­ten sei­en; also wa­ren es höchst wahr­schein­lich die von uns Ge­such­ten ge­we­sen. Aus der be­reits ab­ge­stumpf­ten Schär­fe der Rän­der an den Huf­ein­drücken ent­nahm ich, dass die­se Leu­te vor un­ge­fähr sie­ben Stun­den hier vor­über­ge­kom­men sei­en.

Bei ei­ner sol­chen Schät­zung hat man sehr vie­les zu be­rück­sich­ti­gen: die Wit­te­rung, die Art des Bo­dens, ob er hart oder weich, san­dig oder leh­mig ist, ob er kahl liegt oder mit Pflan­zen be­wach­sen, viel­leicht dünn mit Laub be­deckt ist. Auch auf die Luft­be­we­gung und die Ta­ges­wär­me hat man Obacht zu ge­ben, da die Son­ne oder schar­fe Luft die Spu­ren schnell aus­trock­net, so­dass die Rän­der eher brö­ckeln, als wenn es kalt und wind­still ist. Der Un­ge­üb­te kann bei ei­ner sol­chen Be­ur­tei­lung sehr leicht ein höchst ir­ri­ges Re­sul­tat er­zie­len.

Nun rit­ten wir auf die­ser Fähr­te fort. Nach ei­ni­ger Zeit ging der Wald zu Ende, und wir ka­men wie­der auf frei­es Land. Eine Art von Weg kreuz­te hier­auf un­se­re Rich­tung, und wir sa­hen, dass die Fähr­te da nach rechts ab­bog, um die­sem Pfad zu fol­gen. Ich blieb also hal­ten und zog mein Fern­rohr her­vor, um nach­zu­for­schen, ob ich viel­leicht einen Ort, einen Ge­gen­stand, ein Ge­höft zum Bei­spiel, fin­den kön­ne, um des­sent­wil­len die Rei­ter hier ab­ge­bo­gen wa­ren. Ich konn­te aber nichts der­glei­chen se­hen.

»Was tun wir nun, Sih­di?« frag­te Ha­lef. »Wir kön­nen auf der Fähr­te blei­ben, und wir kön­nen Is­rad wei­ter fol­gen.«

»Ich ent­schlie­ße mich für das letz­te­re,« ant­wor­te­te ich. »Die­se Leu­te sind doch nur für kur­ze Zeit ab­ge­wi­chen und wer­den spä­ter si­cher wie­der her­über­len­ken. Wir wis­sen, wo­hin sie wol­len, und wer­den uns be­ei­len, dort auch an­zu­kom­men. Vor­wärts also, wie bis­her!«

Ich woll­te mein Pferd in Be­we­gung set­zen, doch Is­rad sag­te:

»Vi­el­leicht ist es doch ge­ra­ten, ih­nen zu fol­gen, Ef­fen­di. Da drü­ben rechts zieht sich ein brei­ter Grund hin, was wir von hier aus nicht se­hen kön­nen. In dem­sel­ben liegt ein klei­ner Köjlüs­tan,1 in wel­chem die Män­ner, de­nen wir fol­gen, viel­leicht ein­ge­kehrt sind.«

»Was kön­nen wir dort er­fah­ren? Sie wer­den sich nicht lan­ge dort auf­ge­hal­ten ha­ben, son­dern nur um einen Trunk Was­ser oder um einen Bis­sen Brot ge­be­ten ha­ben. Kei­nes­falls ist an­zu­neh­men, dass sie ge­gen­über den dort woh­nen­den Leu­ten sehr mit­teil­sam ge­we­sen sind. Rei­ten wir wei­ter!«

Aber schon nach kur­z­er Zeit wur­de ich an­de­rer Mei­nung. Die Spu­ren ka­men von rechts zu­rück, und nach ei­nem nur ober­fläch­li­chen Blick be­merk­te ich, dass sie ziem­lich neu wa­ren. Ich stieg also er­neut ab, um sie sorg­fäl­tig zu prü­fen. Ich fand, dass sie kaum zwei Stun­den alt wa­ren. Die Rei­ter hat­ten sich also etwa fünf Stun­den lang in dem er­wähn­ten Bau­ern­hof auf­ge­hal­ten. Die Ur­sa­che da­von muss­te ich her­aus­fin­den. Wir ga­ben also den Pfer­den die Spo­ren und bo­gen nach rechts ab, um das Haus auf­zu­su­chen.

Es lag gar nicht weit ent­fernt. Wir er­reich­ten sehr bald die Stel­le, wo sich die Flä­che ab­wärts nach ei­nem Tal senk­te, durch das ein Bach floss. Es gab dort un­ten saf­ti­ge Wei­den und schö­ne Äcker. Den­noch mach­te das Haus den Ein­druck der Ärm­lich­keit. Der be­reits er­wähn­te Weg führ­te zu dem­sel­ben hin­ab.

Wir sa­hen einen Mann vor der Tür ste­hen. Als er uns er­blick­te, ver­schwand er im Haus und zog die Tür hin­ter sich zu.

»Ef­fen­di, es scheint, dass die­ser Bau­er nichts von uns wis­sen will,« mein­te Osco.

»Er wird schon mit uns spre­chen. Ich ver­mu­te, dass er scheu ge­wor­den ist, weil un­se­re gu­ten Freun­de schlecht mit ihm um­ge­sprun­gen sind, wie es ja ihre Ge­wohn­heit ist. Kennst du ihn viel­leicht, Is­rad?«

»Ge­se­hen habe ich ihn, aber sei­nen Na­men weiß ich nicht,« ant­wor­te­te der Ge­frag­te. »Ob er mich aber kennt, das weiß ich nicht, da ich noch nicht bei ihm ge­we­sen bin.«

Als wir vor der Tür an­ka­men, fan­den wir die­se ver­schlos­sen. Wir klopf­ten an, er­hiel­ten aber kei­ne Ant­wort. Nun ritt ich zur hin­te­ren Sei­te des Hau­ses, auch dort war eine Tür, aber eben­falls ver­rie­gelt.

Als wir nun stär­ker klopf­ten und laut rie­fen, wur­de ei­ner der Lä­den, die auch ge­schlos­sen wa­ren, ge­öff­net und der Lauf ei­nes Ge­wehrs kam zum Vor­schein. Da­bei rief eine Stim­me:

»Packt euch fort, ihr Strol­che! Wenn ihr nicht auf­hört, zu lär­men, schie­ße ich!«

»Nur lang­sam, lang­sam, mein Lie­ber,« er­wi­der­te ich, in­dem ich so nahe an den La­den her­an­ritt, dass ich den Lauf der Flin­te hät­te er­grei­fen kön­nen. »Wir sind kei­ne Strol­che, wir kom­men in kei­ner un­freund­li­chen Ab­sicht.«

»Das sag­ten die an­de­ren auch. Ich öff­ne mei­ne Tür kei­nem Un­be­kann­ten mehr.«

»Vi­el­leicht kennst du die­sen hier,« ent­geg­ne­te ich und wink­te Is­rad her­bei. Als der Bau­er den jun­gen Mann er­blick­te, zog er lang­sam sein Ge­wehr zu­rück und sag­te:

»Das ist ja der Bau­meis­ter, der Sohn des Schä­fers in Tres­ka-Ko­nak!«

»Ja, das bin ich,« be­stä­tig­te Is­rad. »Hältst du auch mich für einen Strolch?«

»Nein, du bist ein bra­ver Mann.«

»Nun, die Män­ner, die sich bei mir be­fin­den, sind eben­so brav. Sie ver­fol­gen die Leu­te, die bei dir wa­ren, um sie zur Re­chen­schaft zu zie­hen, und wol­len sich bei dir er­kun­di­gen, was die­se Strol­che bei dir ge­wollt ha­ben.«

»So will ich dir glau­ben und die Tür wie­der auf­rie­geln.«

Er tat dies. Als er dann zu uns her­aus trat, sah ich, dass die­ser klei­ne, schwäch­li­che, sehr ängst­lich drein­schau­en­de Mann al­ler­dings nicht ge­eig­net war, Leu­ten wie den bei­den Alad­schy zu im­po­nie­ren. Er moch­te uns doch nicht so recht trau­en, denn er hielt die Flin­te noch im­mer in der Hand. Auch rief er in das Haus hin­ein:

»Mut­ter, komm her, und schau sie an!«

Eine vor Al­ter krumm ge­bo­ge­ne Frau kam mit Hil­fe ei­nes Krück­stockes her­bei und be­trach­te­te uns. Ich sah einen Ro­sen­kranz an ih­rem Gür­tel hän­gen, dar­um sag­te ich:

»Haz­re­ti Issa Krist ila­hi war, anat­schy­kim –– Ge­lobt sei Je­sus Chris­tus, mein Müt­ter­chen! Ko­war sen bizi ka­pu­da­nin ta­schra –– willst du uns von dei­ner Tür wei­sen?«

Da ging ein freund­li­ches Lä­cheln über ihr fal­ti­ges Ge­sicht, und sie ant­wor­te­te:

»Herr, bist du ein Christ? O, die sind zu­wei­len die Schlimms­ten! Aber dein Ge­sicht ist gut. Ihr wer­det uns nichts zu Leid tun?«

»Nein, ge­wiss nicht.«

»So seid ihr uns will­kom­men. Steigt von den Pfer­den und kommt her­ein zu uns.«

»Du wirst uns er­lau­ben, im Sat­tel zu blei­ben, denn wir wol­len schnell wie­der fort. Vor­her aber möch­te ich gern wis­sen, was die­se sechs Rei­ter bei euch ge­tan ha­ben.«

»Es wa­ren erst nur fünf. Der Sechs­te kam spä­ter nach. Sie stie­gen von den Pfer­den und führ­ten die­sel­ben ohne un­se­re Er­laub­nis in das Jon­dscha kyri,2 ob­wohl ge­nug Gras vor­han­den ist. Die Pfer­de ha­ben uns das schö­ne Feld ganz zu­sam­men­ge­tre­ten. Wir woll­ten Scha­den­er­satz ver­lan­gen, da wir arme Leu­te sind; aber gleich beim ers­ten Wort er­ho­ben sie ihre Peit­schen, und wir muss­ten schwei­gen.«

»Wa­rum kehr­ten sie denn ei­gent­lich bei euch ein? Sie ha­ben doch einen Um­weg ma­chen müs­sen, um an euer Haus zu kom­men?«

»Es war ei­nem von ih­nen un­wohl ge­wor­den. Er hat­te einen ver­wun­de­ten Arm und litt große Schmer­zen. Da ha­ben sie ihm den Ver­band ab­ge­nom­men und die Wun­den mit Was­ser ge­kühlt. Das dau­er­te meh­re­re Stun­den, und wäh­rend ei­ner mit dem Ver­wun­de­ten be­schäf­tigt war, durch­such­ten die an­de­ren das gan­ze Haus nach Din­gen, die ih­nen ge­fie­len. Sie ha­ben un­ser Fleisch und un­se­re sons­ti­gen Spei­se­vor­rä­te auf­ge­zehrt. Mei­nen Sohn und die Schwie­ger­toch­ter sperr­ten sie un­ter dem Dach ein und nah­men die Lei­ter weg, so­dass die bei­den nicht her­un­ter konn­ten.«

»Und wo warst du denn?«

»Ich?« ant­wor­te­te sie, in­dem sie lis­tig mit den Au­gen zwin­ker­te, »ich stell­te mich, als ob ich nicht hö­ren könn­te. Das ist bei ei­ner al­ten Frau leicht zu glau­ben. Da durf­te ich in der Stu­be blei­ben und hör­te, was ge­spro­chen wur­de.«

»Wo­von re­de­ten sie?«

»Von ei­nem Kara Ben Nem­si, der mit sei­nen Beglei­tern ster­ben muss.«

»Die­ser Mann bin ich; doch fah­re fort.«

»Und sie spra­chen von dem Ko­nakd­schi an der Tres­ka, bei dem sie heu­te Abend blei­ben wol­len, und von ei­nem Köh­ler, des­sen Na­men ich wie­der ver­ges­sen habe.«

»Hieß er Schar­ka?«

»Ja, ja; mor­gen wol­len sie bei ihm blei­ben. Und von ei­nem ge­wis­sen Schut re­de­ten sie, den sie in Kara –– kara –– –– ich weiß nicht, wie der Name war –– ––«

»Ka­ra­nir­wan?«

»Ja, den sie in Ka­ra­nir­wan-Khan tref­fen wol­len.«

»Wisst Ihr viel­leicht, wo die­ser Ort liegt?«

»Nein; sie ha­ben es auch nicht ge­sagt. Aber sie re­de­ten von ei­nem Bru­der, den der eine von ih­nen dort tref­fen will. Sie nann­ten auch den Na­men, doch kann ich mich lei­der nicht mehr auf den­sel­ben be­sin­nen.«

»Hieß er viel­leicht Hamd el Ama­sat?«

»Ge­wiss, so hieß er. Aber, Herr, Du weißt ja mehr als ich!«

»Ich weiß al­ler­dings be­reits viel und ich will mich durch mei­ne Fra­gen nur über­zeu­gen, ob ich mich nicht irre.«

»Sie er­zähl­ten auch da­von, dass in die­sem Ka­ra­nir­wan-Khan ein Kauf­mann ge­fan­gen sitzt, von wel­chem sie Lö­se­geld ha­ben wol­len. Aber sie lach­ten über ihn, denn selbst wenn er die­ses Geld zahlt, wird er nicht frei kom­men. Sie wol­len ihn aus­pres­sen, bis er gar nichts mehr be­sitzt, und dann soll er er­mor­det wer­den.«

»Ah! So Et­was habe ich ver­mu­tet. Wie ist die­ser Kauf­mann nach Ka­ra­nir­wan-Khan ge­kom­men?«

»Der Hamd el Ama­sat, des­sen Na­men Du nann­test, hat ihn hin­ge­lockt.«

»Wur­de nicht ge­sagt, wie der Kauf­mann heißt?«

»Es war ein Frem­der, ein aus­län­di­scher Name, und dar­um habe ich ihn nicht be­hal­ten, zu­mal ich so große Angst und Sor­ge hat­te.«

»Aber wenn Du ihn wie­der hör­test, wür­dest Du viel­leicht wis­sen, ob es die­ser Name ist?«

»Ganz ge­wiss, Herr.«

»Lau­tet er Ga­lin­gré?«

»Ja, ja, so hieß er; ich be­sin­ne mich ganz ge­nau.«

»Was wur­de Wei­te­res ge­spro­chen von dem, was sie vor­ha­ben?«

»Nichts, denn da kam der sechs­te Rei­ter. Er ist ein Flick­schnei­der und er­zähl­te von Fein­den, we­gen de­nen er in den War­dar ge­stürzt sei. Jetzt weiß ich, dass Ihr die­se Fein­de seid. Ich muss­te ein großes Feu­er ma­chen, da­mit er sich sei­ne Klei­der trock­nen konn­te; dar­um und weil der Alte mit sei­ner Wun­de nicht fer­tig wur­de, blie­ben sie so lan­ge bei uns. Die­ser Flick­schnei­der er­zähl­te von der Bas­ton­na­de, wel­che er be­kom­men habe. Er konn­te nur sehr schwer ge­hen und hat­te kei­ne Schu­he an, son­dern sei­ne Füße mit Lap­pen um­bun­den, wel­che mit Talg ein­ge­rie­ben wa­ren. Ich muss­te ihm neue Lap­pen schaf­fen, und da ich kei­nen Talg hat­te, sta­chen sie un­se­re Zie­ge tot, um Talg zu be­kom­men. Ist dies nicht eine schänd­li­che Grau­sam­keit?«

»Al­ler­dings. Wie viel war die­se Zie­ge wert?«

»Ge­wiss fünf­zig Pias­ter.«

»Die­ser mein Beglei­ter, Had­schi Ha­lef Omar, wird Dir fünf­zig Pias­ter schen­ken.«

Ha­lef zog so­fort den Beu­tel und hielt ihr ein hal­b­es Pfund­stück hin.

»Herr,« frag­te sie ganz ver­blüfft, »willst Du etwa den Scha­den be­zah­len, wel­chen Dei­ne Fein­de an­rich­ten?«

»Nein, das kann ich nicht, denn ich be­sit­ze nicht den Reich­tum des Pa­disch­ah; aber für eine Zie­ge kön­nen wir Dir sor­gen. Nimm das Geld!«

»So freue ich mich, Dir ge­traut und Euch mein Haus und mei­nen Mund nicht ver­schlos­sen zu ha­ben. Ge­seg­net sei Euer Kom­men und ge­seg­net sei Euer Ge­hen; ge­seg­net sei je­der Eu­rer Schrit­te und al­les, was Ihr tut!«

Wir ver­ab­schie­de­ten uns von den Leu­ten, wel­che uns ihre Dan­kes­wor­te für die er­hal­te­ne Gabe noch weit nachrie­fen, und kehr­ten zu dem Aus­gangs­punkt un­se­res klei­nen Ab­ste­chers zu­rück, um dann der ur­sprüng­li­chen Rich­tung wie­der zu fol­gen.

Wir ka­men zu­nächst wei­ter durch of­fe­nes Land, wo nur hier oder da ein ein­zel­ner Baum zu se­hen war. Un­ser vor­her so mun­te­rer Füh­rer war sehr nach­denk­lich ge­wor­den. Als ich ihn nach der Ur­sa­che frag­te, ant­wor­te­te er:

»Herr, ich habe die Ge­fahr, in wel­cher Ihr Euch be­fin­det, gar nicht so schwer ge­nom­men, wie sie ist. Erst jetzt er­ken­ne ich, in welch ei­ner schlim­men Lage Ihr Euch be­fin­det. Das macht mir Sor­ge. Wenn Eure Fein­de ganz un­er­war­tet aus dem Hin­ter­halt über Euch her­fal­len, seid Ihr ver­lo­ren.«

»Das glau­be ich nicht; wir wür­den uns weh­ren.«

»Du hast ja gar kei­ne Idee, mit wel­cher Si­cher­heit hier zu Lan­de der Cz­a­kan ge­wor­fen wird, und kein Mensch ist im­stan­de, einen auf ihn ge­schleu­der­ten Cz­a­kan ab­zu­weh­ren.«

»Nun, ich ken­ne einen, der es ver­mag,« er­wi­der­te ich.

»Das glau­be ich nicht. Wer soll das sein?«

»Ich selbst.«

»Oh, oh!« lä­chel­te er, in­dem er mich von der Sei­te an­blick­te. »Es ist je­den­falls nur ein Scherz ge­we­sen.«

»Es war sehr ernst ge­meint. Der Mann hat­te es auf mein Le­ben ab­ge­se­hen.«

»Das be­grei­fe ich nicht. Je­den­falls hat er nicht mit dem Cz­a­kan um­zu­ge­hen ge­wusst. Gehe in die Ber­ge; da kannst Du Meis­ter die­ser fürch­ter­li­chen Waf­fe se­hen. Las­se Dir von ei­nem ech­ten Ski­pe­ta­ren oder gar von ei­nem Mi­ri­di­ten zei­gen, wie das Beil ge­hand­habt wird, und Du wirst stau­nen.«

»Nun, der Mann, mit wel­chem ich es zu tun hat­te, war ein Ski­pe­tar, so­gar ein Mi­ri­dit.«

Er schüt­tel­te un­gläu­big den Kopf und fuhr fort:

»Wenn es Dir ge­lun­gen ist, sei­nen Cz­a­kan zu pa­rie­ren, so ist er dann Dir ge­gen­über waf­fen­los ge­we­sen, und Du hast ihn be­siegt?«

»Al­ler­dings. Er hat sich in mei­ner Ge­walt be­fun­den, und ich schenk­te ihm das Le­ben. Er gab mir da­für sein Beil, das hier in mei­nem Gür­tel steckt.«

»Ich habe die­sen Cz­a­kan be­reits lan­ge heim­lich be­wun­dert. Es ist ein au­ßer­or­dent­lich schö­ner Cz­a­kan, und ich dach­te, Du hät­test ihn ir­gend­wo ge­kauft, um recht krie­ge­risch zu er­schei­nen. Trotz­dem ist er un­nütz in Dei­ner Hand, denn Du ver­stehst nicht, mit ihm zu wer­fen. Oder hät­test Du Dich be­reits in die­ser Kunst ver­sucht?«

»Nicht mit ei­nem Cz­a­kan, son­dern mit an­de­ren Bei­len.«

»Wo ist das ge­we­sen?«

»Weit von hier, in Ame­ri­ka, wo es wil­de Völ­ker gibt, de­ren Lieb­lings­waf­fe das Beil ist. Von ih­nen habe ich den Ge­brauch des­sel­ben ge­lernt, und es wird dort To­ma­hawk ge­nannt.«

»Aber ein Wil­der kommt ei­nem Mi­ri­dit un­mög­lich gleich!«

»Ganz im Ge­gen­teil. Ich glau­be nicht, dass ein Ski­pe­tar sei­nen Cz­a­kan so ge­schickt zu schleu­dern ver­steht, wie ein In­dia­ner sei­nen To­ma­hawk. Der Cz­a­kan wird in ge­ra­der, der To­ma­hawk aber in der Li­nie des Bo­gens ge­wor­fen.«

»Soll­te das wirk­lich je­mand zu tun ver­mö­gen?«

»Je­der rote Krie­ger ver­mag es, und auch ich.«

Sei­ne Wan­gen hat­ten sich ge­rötet, und sei­ne Au­gen leuch­te­ten. Jetzt hielt er sein Pferd an, stell­te es quer vor das mei­ni­ge, so­dass auch ich zum An­hal­ten ge­zwun­gen war, und sag­te:

»Ef­fen­di, Du musst ver­zei­hen, dass ich so eif­rig bin. Was bin ich ge­gen Dich! Und den­noch wird es mir schwer, Dei­nen Wor­ten zu glau­ben. Ich will Dir ge­ste­hen, dass ich ein Cz­a­kan­wer­fer bin, der es mit je­dem an­de­ren auf­nimmt. Da­rum weiß ich, wel­che Jah­re der Übung es er­for­dert, Meis­ter die­ser Waf­fe zu wer­den. Lei­der habe ich mein Beil nicht bei mir.«

»Ich habe frei­lich noch nie einen Cz­a­kan ge­wor­fen,« lau­te­te mei­ne Ant­wort, »aber ich den­ke, wenn ich auch das ers­te oder zwei­te Mal das Ziel ver­feh­le, der drit­te Wurf wür­de ge­lin­gen.«

»Oh, oh, Herr, den­ke das nicht!«

»Ich den­ke es, und ich wür­de das Beil kunst­rei­cher wer­fen, als Du.«

»Wie so?«

»Wenn ich es wer­fe, so streift die Waf­fe eine Stre­cke weit ganz un­ten am Bo­den hin, dann steigt sie in die Höhe, macht einen Bo­gen, senkt sich nie­der und trifft ganz ge­nau dort auf, wo es mei­ne Ab­sicht war, zu tref­fen.«

»Das ist ja ganz und gar un­mög­lich!«

»Es ist wirk­lich so.«

»Ef­fen­di, ich neh­me Dich bei Dei­nem Wort. Wenn ich viel Geld bei mir hät­te, wür­de ich Dich auf­for­dern, zu wet­ten.«

Er war vom Pfer­de ge­stie­gen. Es hat­te ihn eine sol­che Be­geis­te­rung er­grif­fen, dass es mir in­ner­lich Spaß be­rei­te­te.

»Ar­mer Teu­fel!« sag­te Ha­lef, in­dem er eine sei­ner stol­zen Arm­be­we­gun­gen mach­te.

»Wen meinst Du da­mit?« frag­te ihn Is­rad.

»Dich na­tür­lich.«

»So! Meinst Du etwa, dass Dein Ef­fen­di die Wet­te ge­win­nen wür­de?«

»Ganz ge­wiss.«

»Hast Du ihn ein­mal den Cz­a­kan wer­fen se­hen?«

»Nein, aber was er will, das kann er. Sih­di, ich rate Dir, mit die­sem jun­gen Mann zu wet­ten. Er wird be­zah­len und Dich um Ver­zei­hung bit­ten müs­sen.«

Es war ei­gent­lich ein klei­ner Un­sinn, auf den Vor­schlag Is­rads ein­zu­ge­hen. Wenn wir uns we­gen die­ser Spie­le­rei hier ver­weil­ten, ging uns die Zeit ver­lo­ren. Aber es kam auf ei­ni­ge Mi­nu­ten doch nicht an, und so­dann war ich selbst neu­gie­rig, ob es mir ge­lin­gen wer­de, mit dem Cz­a­kan das­sel­be aus­zu­füh­ren, wie mit dem To­ma­hawk. Die­ser Ver­such war gar nicht über­flüs­sig, denn es konn­te sich je­den Au­gen­blick die Ver­an­las­sung er­ge­ben, in vol­lem Ernst zu dem Beil zu grei­fen. Da war es gut, zu wis­sen, ob ich mit dem­sel­ben um­zu­ge­hen ver­ste­he. Da­rum frag­te ich den Füh­rer:

»Wie viel Geld hast Du denn bei Dir?«

»Fünf oder sechs Pias­ter nur.«

»Ich set­ze hun­dert Pias­ter da­ge­gen. Wel­che Be­din­gun­gen stel­len wir denn auf?«

»Hm!« ant­wor­te­te er nach­denk­lich. »Du hast noch nie mit ei­nem Cz­a­kan ge­wor­fen, und ich bin den Dei­ni­gen nicht ge­wohnt. Es wird also ge­ra­ten sein, dass wir erst ei­ni­ge Ver­suchs­wür­fe ma­chen, viel­leicht drei?«

»Ein­ver­stan­den.«

»Dann aber hat je­der nur einen ein­zi­gen Wurf nach dem Ziel, wel­ches wir uns stel­len,« mein­te er.

»Das ist zu hart. Grad die­ser Wurf kann durch einen Zu­fall miss­lin­gen.«

»Nun gut, also drei Wür­fe je­der. Wer am bes­ten wirft, be­kommt das Geld. Wir wer­fen nach dem nächs­ten Baum da vor uns. Es ist ein Disch­bu­dak ag­had­schy.3 Das Beil muss in sei­nem Stamm ste­cken blei­ben.«

Wir hat­ten un­weit ei­nes Was­ser­lau­fes an­ge­hal­ten. Es war wohl der­sel­be Bach, wel­cher hin­ter uns in dem Tal ent­sprang, nach wel­chem un­ser Ab­ste­cher ge­rich­tet ge­we­sen war. Am Rand des Was­sers stan­den ein­zel­ne Bäu­me: Eschen, Er­len und auch alte, knor­ri­ge Wei­den, aus de­ren Häup­tern jun­ge Ru­ten her­vor­ge­schos­sen wa­ren. Der uns am nächs­ten ste­hen­de Baum war die er­wähn­te Esche, wel­che un­ge­fähr sieb­zig Schrit­te von uns ent­fernt war.

Ich stieg ab und gab Is­rad den Cz­a­kan. Er nahm mit aus­ge­spreiz­ten Bei­nen fes­ten Halt, dreh­te den Ober­leib in den Hüf­ten, als ob er die Zu­ver­läs­sig­keit die­ser Ge­len­ke er­pro­ben woll­te, wog das Beil prü­fend in der Hand und hol­te dann zum Wurf aus. Das Beil flog sehr nahe an der Esche vor­über, ohne sie je­doch zu be­rüh­ren.

»Die­ser Cz­a­kan ist schwe­rer als der mei­ni­ge,« ent­schul­dig­te er sich, wäh­rend Ha­lef die Waf­fe her­beihol­te. »Das zwei­te Mal wer­de ich tref­fen.«

Er traf bei dem nächs­ten Wurf das Ziel, aber nicht mit der Schär­fe des Bei­les, son­dern nur mit dem Stiel. Aber der drit­te Pro­be­wurf ge­lang bes­ser, denn die Axt traf den Stamm, lei­der aber nicht so, dass die Schnei­de in dem­sel­ben ste­cken blieb.

»Das tut nichts,« mein­te er. »Das war ja nur zur Pro­be. Nach­her tref­fe ich ge­wiss, denn ich ken­ne jetzt das Beil. Nun Du, Ef­fen­di!«

Ich nahm mir im Stil­len nicht die Esche zum Ziel, son­dern einen weit hin­ter der­sel­ben ste­hen­den al­ten Wei­den­stamm, der gänz­lich aus­ge­höhlt war und nur einen ein­zi­gen, grad em­por­ste­hen­den Ast hat­te, wel­cher eine klei­ne Kro­ne von be­blät­ter­ten Zwei­gen trug.

Zu­nächst muss­te ich die Hand an das Ge­wicht des Cz­a­kans ge­wöh­nen; dar­um ge­sch­ah der Wurf ganz in der­sel­ben Wei­se, wie der­je­ni­ge Is­rads ge­we­sen war. Ich woll­te die Wei­de nicht tref­fen, son­dern nur Rich­tung neh­men. Da­rum flog das Beil weit links von der Esche vor­über und bohr­te sich dort in den wei­chen Bo­den ein.

»O Him­mel!« lach­te un­ser Füh­rer. »Du willst die Wet­te ge­win­nen, Ef­fen­di?«

»Ja,« sag­te ich ernst­haft.

Trotz­dem ge­rie­ten die bei­den nächs­ten Pro­be­wür­fe schein­bar noch schlech­ter, als der ers­te. Aber ich ließ mich mit Ver­gnü­gen von Is­rad aus­la­chen, denn ich war über­zeugt, dass ich, wenn es nun galt, das Ziel nicht feh­len wür­de.

Ha­lef, Omar und Osco lach­ten nicht –– sie är­ger­ten sich im Stil­len dar­über, dass ich auf die Wet­te ein­ge­gan­gen war, ohne ge­wiss zu sein, sie ge­win­nen zu müs­sen.

»Die Pro­be ist vor­über,« sag­te Is­rad. »Nun wird es Ernst. Wer wirft zu­erst?«

»Du na­tür­lich.«

»So wol­len wir vor­her das Geld zah­len, da­mit dann kein Irr­tum vor­kommt. Osco mag es in sei­ne Hand neh­men.«

Der gute Mann hat­te mich also im Ver­dacht, dass ich mich wei­gern wür­de, die hun­dert Pias­ter zu zah­len. Er war ja voll­stän­dig über­zeugt, die Wet­te zu ge­win­nen. Ich gab Osco das Geld. Mein Geg­ner zahl­te sei­ne we­ni­gen Pias­ter und griff dann nach dem Beil.

Sei­ne Fer­tig­keit war wirk­lich nicht un­be­deu­tend. Er traf alle drei Male den Stamm, aber nur beim letz­ten Mal blieb die Axt in dem­sel­ben ste­cken.

»Kein­mal ge­fehlt,« ju­bel­te er. »Und ein­mal saß der Cz­a­kan so­gar fest. Ma­che es mir nach, Ef­fen­di!«

Jetzt muss­te ich nach in­dia­ni­scher Art und Wei­se wer­fen, wenn ich tref­fen soll­te. Ich hol­te aus, wir­bel­te den Cz­a­kan um den Kopf und er­teil­te ihm jene ro­tie­ren­de Be­we­gung, wel­che beim Bil­lard­spiel als ›Ef­fek­t‹ be­zeich­net wird. Das Beil saus­te, sich um sich selbst dre­hend, am Bo­den hin, stieg em­por, senk­te sich dann plötz­lich wie­der nie­der und fuhr in den Stamm der Esche, in wel­chem es sit­zen blieb.

Mei­ne Ge­fähr­ten ju­bel­ten laut auf. Is­rad aber sag­te, in­dem er mit dem Kopf schüt­tel­te:

»Welch ein Zu­fall, Ef­fen­di! Es ist kaum zu glau­ben.«

»Zu­fall? Da irrst Du Dich au­ßer­or­dent­lich,« ant­wor­te­te ich.

Ha­lef hol­te das Beil zu­rück, und ich schleu­der­te es noch zwei­mal in die Esche. Die Ge­fähr­ten ju­bel­ten; Is­rad aber woll­te noch im­mer nicht dar­an glau­ben, dass ich die­sen Er­folg nicht dem blo­ßen Zu­fall zu ver­dan­ken habe.

»Wenn Du noch nicht über­zeugt bist,« sag­te ich, »so will ich Dir jetzt einen voll­gül­ti­gen Be­weis ge­ben. Sieh die alte aus­ge­höhlte Wei­de dort hin­ter der Esche!«

»Ich sehe sie. Was ist’s mit ihr?«

»Ich wer­de nach ihr wer­fen.«

»Herr, sie ist weit über hun­dert Schrit­te ent­fernt. Du willst sie wirk­lich tref­fen?«

»Nicht nur das, son­dern ich will den einen Ast tref­fen, wel­chen sie hat, und zwar so, dass er höchs­tens eine Hand­breit über dem Stamm von dem Cz­a­kan ab­ge­schnit­ten wird.«

»Herr, das wäre ein Wun­der!«

»Nach den bis­he­ri­gen sechs Wür­fen ist mir die Waf­fe so hand­ge­recht, dass ich gar nicht feh­len kann. Ich wer­de nun erst jetzt dem Cz­a­kan die rich­ti­ge Dop­peldre­hung ge­ben, und Du wirst se­hen, dass er, so­bald er am Bo­den auf­ge­stie­gen ist, ganz plötz­lich, wie mit ei­nem Ruck, eine drei­fa­che Schnel­lig­keit er­hält. Pass ein­mal auf!«

Der Wurf ge­lang in der vor­aus­ge­sag­ten Wei­se. Das Beil wir­bel­te an der Erde hin, stieg lang­sam em­por und flog dann mit plötz­lich ver­mehr­ter Schnel­lig­keit wie­der ab­wärts und auf die Wei­de zu. Im nächs­ten Au­gen­blick lag der er­wähn­te Ast am Bo­den.

»Geh hin und sieh nach!« sag­te ich. »Er wird ge­nau eine Hand­breit vom Stamm ab­ge­schnit­ten sein, und zwar scharf, wie mit dem Mes­ser, denn die Schnei­de des Bei­les hat ihn ge­trof­fen.«

Is­rad mach­te ein so ver­blüff­tes Ge­sicht, dass ich hellauf la­chen muss­te.

»Habe ich es nicht ge­sagt?« rief Ha­lef. »Was der Ef­fen­di will, das kann er. Osco, gib ihm das Geld! Es sind die Pias­ter des Tri­um­phes, wel­che er ein­ste­cken mag.«

Na­tür­lich nahm ich nur mei­nen Ein­satz wie­der, und Is­rad er­hielt sein Geld zu­rück. Er konn­te sich nur schwer be­ru­hi­gen und er­ging sich, noch als wir be­reits längst wie­der un­ter­wegs wa­ren, in den ver­schie­dens­ten Aus­ru­fen der Ver­wun­de­rung.

Mir aber war es lieb, ge­se­hen zu ha­ben, dass ich mich auf mei­ne Hand ver­las­sen kön­ne.

Nach die­ser kur­z­en Un­ter­bre­chung un­se­res Rit­tes er­litt der­sel­be kei­ne wei­te­re Stö­rung. Es wur­de Nacht, und Is­rad er­klär­te, dass wir in un­ge­fähr ei­ner Stun­de in Tres­ka-Ko­nak an­kom­men wür­den.

Wir ka­men wie­der durch Wald, wel­cher glück­li­cher­wei­se nicht dicht war, und dann senk­te sich die Höhe. Es gab wie­der Wei­de­land, und dann hör­ten wir Hun­de bel­len.

»Das sind die Sam­sun­lar4 mei­nes Ver­wand­ten,« er­klär­te Is­rad. »Grad vor uns liegt der Ko­nak am Fluss und links das Haus mei­nes Schwä­hers. Wir wol­len aber einen Bo­gen schla­gen. Es könn­te ein Knecht des Ko­nakd­schi im Frei­en sein und uns be­mer­ken.«

Wir wi­chen nach links ab, bis wir den Fluss er­reich­ten, und rit­ten nun am Ufer hin bis an das Wohn­haus des Schä­fers.

Das war ein lan­ges, nied­ri­ges, nur aus dem Erd­ge­schoss be­ste­hen­des Ge­bäu­de. Ei­ni­ge Fens­ter­lä­den stan­den of­fen, und aus ih­nen schim­mer­te Licht. Die Hun­de fuh­ren mit wü­ten­dem Ge­bell auf uns los, be­ru­hig­ten sich aber so­gleich, als sie die Stim­me Is­rads er­kann­ten. Ein Mann steck­te den Kopf durch das Fens­ter und frag­te:

»Wer ist da?«

»Ein gu­ter Be­kann­ter.«

»Is­rad ist’s! Frau, der Schwä­her ist da!«

Der Kopf ver­schwand, und gleich dar­auf wur­de die Türe ge­öff­net, und die Al­ten eil­ten her­bei, um Is­rad zu be­grü­ßen. Auch der äl­te­re Sohn kam, um ihn zu um­ar­men. Dann sag­te der Schä­fer:

»Du bringst uns Leu­te mit. Wer­den sie bei uns blei­ben?«

»Ja; aber sprich nicht so laut. Der Ko­nakd­schi darf nicht mer­ken, dass die­se Män­ner hier sind. Sor­ge vor al­len Din­gen da­für, dass un­se­re Pfer­de in den Stall kom­men.«

Es war nur ein nie­de­rer Schaf­stall vor­han­den, in wel­chem ich mit dem Kopf an die De­cke stieß. Mein Rap­pe wei­ger­te sich, hin­ein­zu­ge­hen. Der Ge­ruch der Scha­fe war sei­ner ed­len Nase zu­wi­der, und nur durch Strei­cheln und Zu­re­den ge­lang es mir, ihn folg­sam zu ma­chen. Dann be­ga­ben wir uns in die Stu­be oder viel­mehr in das, was man eben heu­te Stu­be nann­te, denn der ein­zi­ge große Raum, wel­chen das Wohn­haus bil­de­te, wur­de nur durch die schon oft er­wähn­ten Wei­den­ge­flech­te in ver­schie­de­ne Ab­tei­lun­gen ge­schie­den. Man konn­te eine jede der­sel­ben durch Ver­schie­bung die­ser Schei­de­wän­de be­lie­big ver­grö­ßern oder ver­en­gern.

Es wa­ren nur Va­ter, Mut­ter und Sohn zu Hau­se. Die Knech­te be­fan­den sich bei den Schaf­hür­den, und Mäg­de gab es nicht.

Is­rad nann­te un­se­re Na­men und er­zähl­te zu­nächst, dass wir sei­ne Schwes­ter ge­ret­tet hät­ten. Das hat­te zur Fol­ge, dass wir eine au­ßer­or­dent­lich herz­li­che Auf­nah­me fan­den. Der Sohn be­gab sich in den Stall, um un­se­ren Pfer­den gu­tes Was­ser und das bes­te Fut­ter zu ge­ben, und die El­tern tru­gen her­bei, was im Hau­se vor­han­den war, da­mit wir ein fest­li­ches Mahl hal­ten könn­ten.

Na­tür­lich dreh­te sich das Ge­spräch zu­nächst um das, was sie am meis­ten in­ter­es­sier­te, die Ret­tung ih­rer Schwie­ger­toch­ter. Dann ka­men wir dar­auf zu spre­chen, warum wir auf Rei­sen wa­ren, und ich er­fuhr, dass die Ge­such­ten im Ko­nak an­ge­kom­men wa­ren.

Nun er­zähl­te ich kurz, warum wir ih­nen folg­ten, und er­reg­te da­durch ein nicht ge­rin­ges Er­stau­nen.

»Soll­te man es glau­ben, dass es sol­che Leu­te gibt!« rief die alte Frau, in­dem sie die Hän­de zu­sam­menschlug. »Das ist ja ganz schreck­lich!«

»Ja, schreck­lich ist es,« nick­te ihr Mann; »aber zu wun­dern brau­chen wir uns nicht dar­über, da sie An­hän­ger des Schut sind. Das gan­ze Land könn­te Gott auf den Kni­en dan­ken, wenn die­se Gei­ßel des Vol­kes ein­mal un­schäd­lich ge­macht wäre.«

»Weißt du viel­leicht et­was Nä­he­res über den Schut?« frag­te ich ihn.

»Ich weiß auch nicht mehr als du und an­de­re. Wüss­te man sei­nen Wohn­ort, so wür­de man auch ihn selbst ken­nen, und dann wäre es mit ihm aus.«

»Das ist noch die Fra­ge. Ich bin über­zeugt, dass die Be­hör­de mit ihm in Ver­bin­dung steht. Weißt du nicht, wo Ka­ra­nir­wan-Khan liegt?«

»Die­sen Na­men ken­ne ich nicht.«

»Kennst du auch kei­nen Mann, der Kara Nir­wan heißt?«

»Eben­so we­nig.«

»Aber einen Per­ser kennst du, der das Ge­schäft des Pfer­de­han­dels treibt?«

»Ja. Der heißt aber im Mund des Vol­kes Kara Ad­sche­mi. Was ist mit die­sem?«

»Ich habe ihn im Ver­dacht, der Schut zu sein.«

»Was? Die­ser Per­ser?«

»Be­schrei­be ihn mir ein­mal!«

»Er ist län­ger und stär­ker als du und ich, ein wah­rer Rie­se, und trägt einen schwar­zen Voll­bart, der weit bis zur Brust her­ab­reicht.«

»Wie lan­ge be­fin­det er sich im Lan­de?«

»Das weiß ich nicht ge­nau. Es sind wohl an die zehn Jah­re her, dass ich ihn zum ers­ten Mal ge­se­hen habe.«

»So lan­ge ist es wahr­schein­lich auch, dass man vom Schut ge­spro­chen hat?«

Er blick­te mich über­rascht an, sann ein we­nig nach und ant­wor­te­te dann:

»Ja, so un­ge­fähr wird es sein.«

»Wie ist das Auf­tre­ten die­ses Pfer­de­händ­lers?«

»Er be­nimmt sich über­aus ge­bie­te­risch, wie alle Leu­te, die wis­sen, dass sie reich sind. Er geht stets bis an die Zäh­ne be­waff­net und ist als ein Mann be­kannt, mit dem man kei­nen Spaß ma­chen darf.«

»Ist er zu Ge­walt­tä­tig­kei­ten ge­neigt?«

»Ja, er ist gleich mit der Faust oder mit der Pis­to­le zur Hand, und man er­zählt sich, dass schon meh­re­re, die ihn be­lei­digt hat­ten, den Mund nicht wie­der öff­ne­ten, weil ein To­ter nicht mehr re­den kann. Aber von Raub und Dieb­stahl weiß ich nichts zu be­rich­ten.«

»Die­se Be­schrei­bung passt ganz ge­nau zu dem Bild, das ich mir von ihm ge­macht habe. Weißt du viel­leicht, ob er mit dem Köh­ler Schar­ka ver­kehrt?«

»Da­von habe ich noch nichts ge­hört. Hast du mit dem Koh­len­bren­ner auch zu tun?«

»Bis jetzt noch nicht; aber ich den­ke, dass ich mit ihm zu­sam­men­tref­fen wer­de; die Fünf wol­len zu ihm. Sei­ne Woh­nung ist ih­nen also be­kannt. Weißt auch du sie viel­leicht?«

»Ich weiß nur, dass er in ei­ner Höh­le wohnt, die jen­seits von Glo­go­vik im tie­fen Wald liegt.«

»Hast du ihn ge­se­hen?«

»Nur vor­über­ge­hend.«

»Er muss doch von Zeit zu Zeit den Wald ver­las­sen, um sei­ne Koh­len zu ver­kau­fen, oder es müs­sen Leu­te zu dem­sel­ben Zweck ihn auf­su­chen.«

»Er ver­kauft nicht selbst. Da drü­ben in den Ber­gen ist ein Ku­rumd­schy, der ihm das al­les be­sorgt. Die­ser zieht mit sei­nem Wa­gen, auf dem sich die Koh­len und die Ruß­fäss­chen be­fin­den, im Lan­de um­her.«

»Was ist er für ein Mann?«

»Ein fins­te­rer, wort­kar­ger Kerl, der sich mit kei­nem Men­schen ab­gibt. Man sieht ihn lie­ber ge­hen als kom­men.«

»Hm! Vi­el­leicht bin ich ge­zwun­gen, ihn auf­zu­su­chen, um von ihm die Höh­le des Kohl­ers zu er­fah­ren.«

»Als Weg­wei­ser könn­te ich dir we­nigs­tens einen Knecht bis Glo­go­vik mit­ge­ben. Wei­ter hin­auf kennt auch er die Wege nicht.«

»Wir neh­men die­ses An­ge­bot herz­lich ger­ne an. Dein Sohn er­zähl­te mir, dass der Köh­ler im Ver­dacht des Mor­des steht.«

»Das ist nicht nur Ver­dacht, man weiß es si­cher, ob­gleich es kei­ne Zeu­gen gibt, mit de­ren Hil­fe er über­führt wer­den könn­te. Er hat so­gar im Ver­kehr mit den Alad­schy ge­stan­den, die von den Sol­da­ten frei­lich ver­geb­lich bei ihm ge­sucht wor­den sind.«

»Auch dein Sohn sprach da­von. Er hat die­se bei­den Men­schen heu­te ge­se­hen.«

»Die Sche­cki­gen? Wirk­lich? Ich habe oft ge­wünscht, ih­nen ein­mal zu be­geg­nen, na­tür­lich aber so, dass ich sie nicht zu fürch­ten habe.«

»Nun, das ist ja ge­sche­hen.«

»Wann soll­te das ge­we­sen sein?«

»Heu­te. Hast du denn un­ter den fünf Rei­tern nicht zwei ge­se­hen, die auf sche­cki­gen Pfer­den rit­ten?«

»Him­mel! So be­fin­den sie sich also hier, drü­ben im Ko­nak mei­nes Nach­bars! Da ist ja das Un­heil in der Nähe!«

»Heu­te brauchst du sie nicht zu fürch­ten, denn wir sind hier. So­bald sie er­füh­ren, dass wir uns bei dir be­fin­den, wür­den sie sich aus dem Staub ma­chen. Üb­ri­gens wirst du sie viel­leicht se­hen, wenn du jetzt heim­lich hin­über­gehst. Su­che zu er­fah­ren, ob man sie viel­leicht be­lau­schen kann.«

Er ging, und wir be­schäf­tig­ten uns wäh­rend sei­ner Ab­we­sen­heit an­ge­regt mit dem Abendes­sen. Nach ei­ner klei­nen hal­b­en Stun­de kam er zu­rück und mel­de­te uns, dass er sie ge­se­hen habe.

»Aber es wa­ren ih­rer nur vier,« sag­te er. »Der Ver­wun­de­te be­fand sich nicht bei ih­nen. Sie sit­zen ne­ben der Schlaf­kam­mer des Nach­bars. Ich habe mich rund um das gan­ze Haus ge­schli­chen und an al­len Lä­den ge­späht, ob man durch eine Spal­te hin­ein­se­hen kann. End­lich kam ich an den be­tref­fen­den La­den, der ein klei­nes Ast­loch hat. Sie sa­ßen mit dem Ko­nakd­schi zu­sam­men und hat­ten einen Krug mit Raki vor sich ste­hen.«

»Spra­chen sie?«

»Ja, aber nicht über eure An­ge­le­gen­heit.«

»Ob sie wohl zu be­lau­schen wä­ren? Kann man sie ver­ste­hen, wenn man au­ßen am La­den steht?«

»Ich habe nur ein­zel­ne Wor­te rich­tig hö­ren kön­nen. Um ihr Ge­spräch zu hö­ren, müss­te man in die Schlaf­stu­be stei­gen; der La­den steht of­fen.«

Er be­schrieb die Lage die­ser Stu­be und ihr In­ne­res, und ich er­kann­te, dass es all­zu ge­fähr­lich wäre, hin­ein­zu­stei­gen; zu­mal man an­neh­men muss­te, dass der alte Mü­ba­rek sich dar­in be­fin­de.

»Nein, wir wol­len auf die­ses Un­ter­neh­men ver­zich­ten,« sag­te ich. »Nach­her wer­de ich selbst ein­mal hin­über­schlei­chen, um Kund­schaft ein­zu­ho­len.«

So­mit hielt ich die­se An­ge­le­gen­heit für er­le­digt. Im Lau­fe des wei­te­ren Ge­sprächs stand Ha­lef auf, um ein­mal hin­aus zu ge­hen.

»Ich will nicht hof­fen, dass Du Dich hin­über­schlei­chen willst,« rief ich ihm nach. »Das ver­bie­te ich Dir auf das Strengs­te!«

Er nick­te nur und ging. Ich aber war nicht be­ru­higt und be­auf­trag­te Omar, ihm heim­lich zu fol­gen. Die­ser kehr­te schnell zu­rück und mel­de­te mir, dass der Had­schi nach dem Stall ge­gan­gen sei, je­den­falls um sich zu über­zeu­gen, dass es den Pfer­den, be­son­ders mei­nem Rap­pen, an nichts man­ge­le. Da­mit gab ich mich zu­frie­den. Es ver­ging eine Vier­tel­stun­de und noch eine, und da Ha­lef noch nicht wie­der da war, so er­wach­te mei­ne Sor­ge von Neu­em. Als ich sie laut wer­den ließ, ging der Wirt, um nach ihm zu su­chen; aber er kehr­te un­ver­rich­te­ter Din­ge zu­rück; er hat­te ihn nir­gends ge­fun­den.

»So habe ich ganz rich­tig ge­ahnt: er hat eine Dumm­heit ge­macht und be­fin­det sich höchst wahr­schein­lich in Ge­fahr. Osco, Omar, nehmt Eure Ge­weh­re –– wir müs­sen hin­über zu dem Ko­nak, denn ich wet­te, dass er so ver­we­gen ge­we­sen ist, in das Schlaf­zim­mer ein­zu­stei­gen.«

Ich nahm nur den Stut­zen, wel­cher mehr als ge­nü­gend war, die gan­ze Ge­sell­schaft im Zaum zu hal­ten. Drau­ßen war es stock­dun­kel. Der Schä­fer diente uns als Füh­rer. Da ich mei­nen Fuß zu scho­nen hat­te, gin­gen wir nur sehr lang­sam am Ufer hin, bis der Ko­nak als dunkle Mas­se vor uns lag, etwa fünf­zig Schrit­te von dem Fluss ent­fernt.

Wir schli­chen an der Vor­der­sei­te des Hau­ses hin, wo alle Fens­ter ver­schlos­sen wa­ren, und bo­gen dann nach der­je­ni­gen Gie­bel­sei­te ab, wel­che die Stal­lun­gen ent­hielt. Dort stan­den jun­ge Fich­ten, die mit ih­ren un­te­ren Äs­ten fast den Bo­den be­rühr­ten. Zwi­schen ih­nen und dem Hau­se war nur ein schma­ler Raum zum Ge­hen frei.

Von da aus führ­te uns der Schä­fer nach der hin­te­ren Sei­te des Ge­bäu­des, an wel­cher ent­lang wir hin­sch­li­chen. Es war kei­ne Spur von Ha­lef zu be­mer­ken; doch war ich der fes­ten Über­zeu­gung, dass er sich jetzt im In­nern des Hau­ses be­fand, fest­ge­nom­men von den Leu­ten, wel­che er hat­te be­lau­schen wol­len.

Da blieb un­ser Wirt ste­hen und deu­te­te auf zwei Lä­den, wel­che wie alle üb­ri­gen von in­nen ver­rie­gelt wa­ren.

»Hier die­ser ers­te La­den,« flüs­ter­te er, »ge­hört zu der Stu­be, in wel­cher die Män­ner sa­ßen; der zwei­te aber zur Schlaf­kam­mer.«

»Sag­test Du nicht, dass die­ser zwei­te La­den of­fen ge­we­sen sei?«

»Ja, vor­hin stand er auf.«

»So ist er seit­dem zu­ge­macht wor­den. Das muss einen Grund ha­ben. Und wel­cher Grund könn­te es sonst sein, als dass die Ha­lun­ken be­merkt ha­ben, dass man sie be­lauscht?«

Ich husch­te an den ers­ten La­den und blick­te durch das Ast­loch. Die Stu­be war durch eine Un­schlitt­ker­ze, wel­che in ei­nem Leuch­ter von Draht steck­te, nur not­dürf­tig er­hellt; aber ich sah ge­nug.

An ei­nem Tisch sa­ßen Ma­nach el Bar­scha und Ba­rud el Ama­sat. Vorn am Ein­gang stand ein Mann von un­ter­setz­ter, kräf­ti­ger Ge­stalt und ro­hen Ge­sichts­zü­gen, je­den­falls der Wirt. An der Wand zu mei­ner rech­ten Hand lehn­ten die bei­den Alad­schy. Die Ge­weh­re die­ser Leu­te wa­ren in der Ecke an höl­zer­nen Ha­ken auf­ge­hängt. Die Bli­cke al­ler Fünf rich­te­ten sich auf –– Ha­lef, wel­cher auf dem Bo­den lag, an Hän­den und Fü­ßen ge­bun­den. Die Ge­sich­ter sei­ner Fein­de weis­sag­ten nichts Gu­tes. Ma­nach el Bar­scha schi­en das Ver­hör zu füh­ren. Er be­fand sich je­den­falls in zor­ni­ger Er­re­gung, denn er sprach so laut, dass ich jede Sil­be ver­ste­hen konn­te.

»Siehst Du Et­was, Sih­di?« frag­te Omar.

»Ja,« ant­wor­te­te ich lei­se. »Der Had­schi liegt ge­bun­den auf dem Bo­den und wird jetzt eben ver­hört. Kommt her! So­bald ich den La­den zer­trüm­me­re, helft Ihr mit und streckt dann die Mün­dun­gen Eu­rer Ge­weh­re hin­ein. Der La­den muss aber im Nu in Stücke ge­hen, da­mit sie nicht Zeit fin­den, sich an Ha­lef zu ver­grei­fen, ehe wir ihn schüt­zen kön­nen. Und nun still!«

Ich horch­te.

»Und wer hat Dir ge­sagt, dass wir hier sind?« er­kun­dig­te sich Ma­nach el Bar­scha.

»Suef hat es selbst ge­sagt,« ant­wor­te­te Ha­lef.

Ich sah den Ge­nann­ten nicht; aber jetzt trat er von links her­ein. Er moch­te in der Schlaf­stu­be ge­we­sen sein.

»Hund, lüge nicht!« sag­te er, in­dem er Ha­lef einen Fuß­tritt ver­setz­te.

»Schweig’ und schimp­fe nicht!« ant­wor­te­te der Klei­ne. »Hast Du nicht in un­se­rer Ge­gen­wart zu dem Wirt in Ru­me­lia ge­sagt, dass Du nach dem Tres­ka–Ko­nak rei­ten woll­test?«

»Ja, aber ich habe nicht ge­sagt, dass sich auch die­se Män­ner hier be­fin­den wer­den.«

»Das konn­ten wir uns doch den­ken. Mein Ef­fen­di hat Dir ja in Ki­lis­se­ly ins Ge­sicht ge­sagt, dass Du schnell auf­bre­chen wür­dest, um ih­nen zu fol­gen.«

»Der Scheïtan hole die­sen Ef­fen­di! Wir wer­den ihm die Soh­len zer­flei­schen, da­mit er weiß, was ich heu­te emp­fun­den habe. Ich kann kaum ste­hen.«

Er ließ sich ne­ben Ha­lef auf den Bo­den nie­der.

»Wie aber habt Ihr er­fah­ren, wo der Tres­ka–Ko­nak liegt?« er­kun­dig­te sich Ma­nach wei­ter.

»Wir ha­ben ge­fragt; das ver­steht sich ja ganz von selbst.«

»Und warum bist Du uns al­lein nach­ge­rit­ten? Wa­rum blie­ben die an­de­ren zu­rück?«

Ha­lef war doch so schlau ge­we­sen, zu tun, als ob er sich al­lein hier be­fän­de. Er be­nahm sich über­haupt sehr ge­fasst. Und das war auch nicht zu ver­wun­dern, denn er konn­te sich sa­gen, dass die Sor­ge um ihn uns bald her­bei­füh­ren wür­de.

»Hat Euch Suef denn nicht ge­sagt, dass mein Ef­fen­di in das Was­ser ge­stürzt ist?«

»Ja, und hof­fent­lich ist er er­sof­fen!«

»Nein, die­sen Ge­fal­len hat er euch nicht ge­tan. Er lebt noch, ob­wohl er krank ge­wor­den ist. Die an­de­ren müs­sen ihn pfle­gen. Mich aber hat er vor­aus­ge­schickt, um euch zu be­ob­ach­ten. Wenn es mög­lich ist, kommt er mor­gen nach. Bis zum Abend ist er si­cher hier, und dann wird er mich be­frei­en.«

Sie lach­ten alle hellauf.

»Dumm­kopf!« rief Ma­nach el Bar­scha. »Meinst du denn wirk­lich, dass du mor­gen Abend noch un­ser Ge­fan­ge­ner sein wirst?«

»So wollt ihr mich eher frei­las­sen?« frag­te er mit dum­mer Mie­ne.

»Ja, wir las­sen dich eher frei. Wir wer­den dir er­lau­ben, zu ge­hen, aber nur in die Höl­le.«

»Ihr scherzt. Dor­thin weiß ich den Weg gar nicht.«

»Ma­che dir kei­ne Sor­gen. Wir wer­den ihn dir schon zei­gen. Vor­her aber müs­sen wir dir noch eine klei­ne Leh­re ge­ben, wel­che dir viel­leicht nicht be­ha­gen wird.«

»O, ich pfle­ge für jede Be­leh­rung dank­bar zu sein.«

»Wir hof­fen, dass dies auch hier der Fall ist. Wir wol­len dich näm­lich dar­an er­in­nern, dass es ein Ge­setz gibt, wel­ches heißt: Auge um Auge, Glei­ches mit Glei­chem. Ihr habt Ha­bu­lam, Hu­mun und Suef ge­peitscht; gut, so wirst auch du die Bas­ton­na­de er­hal­ten, und zwar so, dass dir die Fet­zen von den Fü­ßen flie­gen. Ihr habt das Was­ser auf den Turm ge­pumpt, da­mit wir er­trin­ken soll­ten; wohl­an, wir wer­den auch dich un­ter Was­ser set­zen, so­dass du elen­dig­lich er­säufst, aber schön lang­sam, da­mit wir eine Freu­de dar­an ha­ben. Wir wer­den dich in den Fluss hier hin­ein­le­gen, so­dass nur dei­ne Nase her­aus­ragt. Da magst du so lan­ge Luft schnap­pen, wie es dir mög­lich ist.«

»Das wer­det ihr nicht tun!« rief Ha­lef in kläg­li­chem Ton.

»Nicht? Wa­rum soll­ten wir dar­auf ver­zich­ten?«

»Weil ihr gläu­bi­ge Söh­ne des Pro­phe­ten seid und einen Mos­lem nicht mar­tern und er­mor­den wer­det.«

»Geh’ zum Scheïtan mit dei­nem Pro­phe­ten! Wir ma­chen uns nichts aus ihm. Du sollst ei­nes To­des ster­ben, wel­cher schlim­mer sein wird, als die Ver­damm­nis, in wel­che du so­dann fährst.«

»Was habt ihr da­von, wenn ihr mich tö­tet? Das böse Ge­wis­sen wird euch pei­ni­gen bis zu dem Au­gen­blick, an wel­chem der En­gel des To­des zu euch tritt.«

»Mit un­se­rem Ge­wis­sen wer­den wir selbst fer­tig. Du fühlst wohl be­reits jetzt die Angst des To­des? Ja, wenn du klug sein woll­test, so könn­test du ihm noch ein­mal ent­ge­hen.«

»Was müss­te ich tun?« frag­te Ha­lef schnell.

»Uns al­les ge­ste­hen.«

»Was denn?«

»Wer dein Herr ist, was er von uns will und was er be­ab­sich­tigt, ge­gen uns zu tun.«

»Das darf ich nicht ver­ra­ten.«

»So musst du ster­ben. Ich hat­te es gut ge­meint. Wenn du aber mei­nen Fra­gen dei­nen Mund ver­schließest, so ist dein Schick­sal ent­schie­den.«

»Ich ver­ste­he dich,« er­wi­der­te Ha­lef. »Du willst mich durch dein Ver­spre­chen täu­schen. Wenn ich dann al­les ge­sagt habe, so lacht ihr mich aus und hal­tet nicht Wort.«

»Wir wer­den Wort hal­ten.«

»Schwörst du es mir zu?«

»Ich schwö­re es dir zu bei al­lem, was ich glau­be und ver­eh­re. Nun ent­schlie­ße dich schnell, denn die Stim­mung der Gna­de hält bei mir nicht lan­ge an.«

Ha­lef tat so, als ob er ein klei­nes Weil­chen nach­däch­te, und sag­te dann:

»Was habe ich von dem Ef­fen­di, wenn ich tot bin? Gar nichts! Ich zie­he es vor, zu le­ben, und will euch also Aus­kunft er­tei­len.«

»Das ist dein Glück!« sag­te Ma­nach. »Also sage uns zu­nächst, wer dein Herr ei­gent­lich ist?«

»Habt ihr denn nicht ge­hört, dass er ein Deut­scher ist?«

»Ja, das hat man uns ge­sagt.«

»Und ihr glaubt es auch? Kann ein Deut­scher alle drei Päs­se von dem Groß­herrn ha­ben mit dem Sie­gel des Ve­ziers dar­un­ter?«

»So ist er wohl gar nicht ein Nemt­sche?«

»Das fällt ihm nicht ein!«

»Aber ein Gi­aur ist er?«

»Auch nicht. Er ver­stellt sich, da­mit man nicht ah­nen soll, wer er ist.«

»Dann also her­aus da­mit! Wer ist er?«

Ha­lef mach­te ein über­aus wich­ti­ges Ge­sicht und ant­wor­te­te:

»Sei­nem gan­zen Auf­tre­ten nach müsst ihr doch ein­se­hen, dass er kein Küt­schük ji­jit,5 son­dern et­was ganz Au­ßer­or­dent­li­ches ist. Ich habe schwö­ren müs­sen, sein Ge­heim­nis nicht zu ver­ra­ten; aber wenn ich nicht spre­che, so tö­tet ihr mich, und der Tod hebt alle Schwü­re auf. So sollt ihr denn er­fah­ren, dass er ein frem­der Sch­ahn­a­meh6 ist.«

»Hund! Willst du uns be­lü­gen?«

»Wenn ihr es nicht glaubt, so ist es nicht mei­ne Schuld.«

»Soll er etwa gar ein Sohn des Groß­herrn sein!«

»Nein. Ich habe doch ge­sagt, dass er fremd sei.«

»Aus wel­chem Lan­de?«

»Aus Hin­dis­tan,7 wel­ches jen­seits Per­si­en liegt.«

»Wa­rum ist er nicht dort ge­blie­ben? Wa­rum rei­tet er bei uns im Lan­de um­her?«

»Um sich ein Weib zu su­chen.«

»Ein –– –– Weib?« frag­te Ma­nach el Bar­scha, aber nicht etwa im Ton des Er­stau­nens, son­dern mit ei­ner Mie­ne, wel­che ein Deut­scher se­hen lässt, wenn er das Wort »Aha!« aus­ruft.

Die Aus­sa­ge des Had­schi er­schi­en die­sen Leu­ten gar nicht so un­glaub­lich. Hun­der­te von mor­gen­län­di­schen Mär­chen be­han­deln das The­ma von dem Fürs­ten­soh­ne, wel­cher un­er­kannt im Lan­de um­her­zieht, um sich die Schöns­te der Schöns­ten, wel­che na­tür­lich stets die Toch­ter blut­ar­mer Leu­te ist, zur Frau zu er­kie­sen. Dies konn­te ja auch hier der Fall sein.

»Wa­rum aber sucht er grad hier im Land der Ski­pe­ta­ren?« lau­te­te die nächs­te Fra­ge.

»Weil es hier die schöns­ten Töch­ter gibt und weil ihm ge­träumt hat, dass er die Blu­me sei­nes Ha­rems hier fin­den wer­de.«

»So mag er nach ihr su­chen! Aber was hat er sich um uns zu küm­mern?«

Den Klei­nen kit­zel­te der Schalk trotz der bö­sen Lage, in wel­cher er sich be­fand. Er ant­wor­te­te im erns­tes­ten Ton:

»Um euch? Das fällt ihm gar nicht ein. Er hat es nur mit dem Mü­ba­rek zu tun.«

»In­wie­fern?«

»Weil er im Traum den Va­ter der Schöns­ten ge­se­hen hat und auch die Stadt, in wel­cher er ihn fin­den soll. Die Stadt ist Ostrom­dscha, und der Va­ter ist der alte Mü­ba­rek. Wa­rum flüch­tet sich der­sel­be vor mei­nem Herrn? Er mag ihm sei­ne Toch­ter ge­ben, so wird er als Schwie­ger­va­ter des reichs­ten in­di­schen Fürs­ten große Macht er­lan­gen.«

Da er­tön­te aus dem Ne­ben­raum die schnar­ren­de Stim­me des Ver­wun­de­ten:

»Schweig, Du Sohn ei­ner Hün­din! Ich habe nie im Le­ben eine Toch­ter ge­habt. Dei­ne Zun­ge hängt voll Lü­gen, wie die Nes­sel voll von Rau­pen. Meinst du denn, ich wis­se nicht, wer Dein Herr ist, dem ich die Qua­len der zehn­tau­send Höl­len wün­sche? Trägt er nicht das Ha­maïl noch heu­te an sei­nem Hals, ob­gleich er ein ver­fluch­ter Sohn der Ungläu­bi­gen ist? Ich habe es bis­her ver­schwie­gen, denn ich woll­te die Ra­che al­lein ge­nie­ßen. Aber Dei­ne Lüge ist so groß, dass sie mir in den Ohren brennt. Ich muss nun sa­gen, was ich weiß, und darf nicht län­ger schwei­gen.«

»Was ist›s, was ist‹s?« frag­ten die an­de­ren.

»Wis­set, Ihr Leu­te, dass die­ser Frem­de nichts ist, als ein ver­fluch­ter Ris­wai­dschi! Schän­der der Era­zü mü­ba­rek. Ich habe ihn in Mek­ka ge­se­hen, in der Stadt der An­be­tung. Er wur­de er­kannt; ich stand ne­ben ihm und streck­te die Hand zu­erst nach ihm aus, aber der Scheïtan stand ihm bei, dass er ent­kam. Und die­ser Had­schi Ha­lef Omar war bei ihm und hat ihm ge­hol­fen, das größ­te Hei­lig­tum der Mos­lems mit dem Blick ei­nes Chris­ten­hun­des zu be­su­deln. Ich habe die Ge­sich­ter die­ser bei­den nie ver­ges­sen und sie wie­der er­kannt, als ich als Krüp­pel an der Stra­ße von Ostrom­dscha saß und sie an mir vor­über rit­ten. Lasst Euch nicht mit fre­chen Lü­gen be­träu­feln, son­dern nehmt fürch­ter­li­che Ra­che für die­se Fre­vel­tat. Ich habe ge­son­nen und ge­son­nen, wel­che Stra­fe die­se Frev­ler er­lei­den müs­sen, aber ich habe kei­ne Züch­ti­gung ge­fun­den, wel­che mir groß ge­nug er­schi­en. Da­rum schwieg ich bis jetzt.«

Er hat­te schnell und über­eif­rig ge­spro­chen, wie ei­ner, der im Fie­ber liegt. Dann stöhn­te er laut, denn die Schmer­zen sei­ner Wun­de über­mann­ten ihn. Es war ganz ge­nau so, wie ich ge­sagt hat­te: man hat­te ihn im Schlaf­zim­mer un­ter­ge­bracht.

Und nun wur­de es plötz­lich hell in mir. Also dar­um war mir sein ha­ge­res, cha­rak­te­ris­ti­sches Ge­sicht so be­kannt ge­we­sen! Da­rum war es mir wie träu­mend vor­ge­kom­men: ein Meer von Men­schen, em­pört und er­regt, und in Mit­te die­ses Mee­res die­se eine Ge­stalt, die lan­gen, dür­ren Arme nach mir aus­stre­ckend und die Kno­chen­fin­ger kral­lend, wie ein Raub­vo­gel, wel­cher auf sei­ne Beu­te schießt! In Mek­ka war es ge­we­sen, wo ich ihn ge­se­hen hat­te. Sein Bild hat­te sich, mir un­be­wusst, mei­nem Ge­dächt­nis ein­ge­prägt, und als ich ihn dann in Ostrom­dscha wie­der sah, ahn­te ich wohl, ihm schon ein­mal be­geg­net zu sein, konn­te mich aber nicht des Or­tes er­in­nern, an wel­chem dies ge­sche­hen war.

Nun ver­stand ich auch den has­s­er­füll­ten Blick, den er in Ostrom­dscha auf mich ge­wor­fen hat­te, und die feind­se­li­ge Art und Wei­se, in wel­cher ich von ihm be­han­delt wor­den war.

Sei­ne Wor­te brach­ten die von ihm er­war­te­te Wir­kung her­vor. Die­se Men­schen wa­ren Ver­bre­cher, aber sie wa­ren auch Mos­lems, und wenn Ma­nach el Bar­scha auch ge­sagt hat­te, dass er sich aus dem Pro­phe­ten nichts ma­che, so war dies doch nicht wört­lich zu neh­men. Der Ge­dan­ke, ich sei ein Christ und habe die hei­li­ge Kaa­ba ent­weiht, rief ihre tiefs­te Em­pö­rung her­vor. Und dass Ha­lef sich bei mir be­fun­den und also an die­ser Tod­sün­de teil­ge­nom­men hat­te, das er­füll­te sie mit ei­nem Ra­che­ge­fühl, wel­ches für ihn we­der Gna­de noch Barm­her­zig­keit üb­rig ließ.

Kaum hat­te der Mü­ba­rek aus­ge­spro­chen, so spran­gen die am Tisch Sit­zen­den auf, und auch Suef schnell­te vom Bo­den em­por, wie von ei­ner Nat­ter ge­sto­chen.

»Lüg­ner!« brüll­te er, in­dem er mit dem Fuß nach Ha­lef stieß. »Ver­damm­ter Lüg­ner und Ver­rä­ter sei­nes ei­ge­nen Glau­bens! Hast du den Mut, zu sa­gen, dass der Mü­ba­rek nicht die Wahr­heit ge­spro­chen habe?«

»Ja, rede!« schrie auch ei­ner der Alad­schy. »Rede, oder ich zer­mal­me dich hier zwi­schen die­sen mei­nen Fäus­ten! Bist du in Mek­ka ge­we­sen?«

Ha­lef ver­zog kei­ne Mie­ne. Der klei­ne Had­schi war wirk­lich ein mu­ti­ger Mann. Er ant­wor­te­te:

»Was regt Ihr Euch auf? Wa­rum tut Ihr, als ob der Raub­vo­gel un­ter die En­ten ge­fah­ren sei? Seid Ihr Män­ner oder Kin­der?«

»Mensch, be­lei­di­ge uns nicht!« rief Ma­nach el Bar­scha. »Dei­ne Stra­fe wird schon oh­ne­dies eine fürch­ter­li­che sein. Willst du sie noch ent­setz­li­cher ma­chen da­durch, dass du un­sern Zorn ver­dop­pelst? Ant­wor­te also: bist du in Mek­ka ge­we­sen?«

»Muss ich denn nicht dort ge­we­sen sein, da ich doch ein Had­schi bin?«

»Und war die­ser Kara Ben Nem­si mit dir dort?«

»Ja.«

»Er ist ein Christ?«

»Ja.«

»Er ist also kein Kö­nigs­sohn aus In­di­en?«

»Nein.«

»So hast du uns be­lo­gen! Hei­ligt­hums­schän­der! Das sollst du bü­ßen, und zwar jetzt. Wir wer­den dich kne­beln, dass du kei­nen Laut aus­zu­sto­ßen ver­magst, und dann soll die Mar­ter be­gin­nen. Ko­nakd­schi, gib Et­was her, wo­mit wir ihm den Mund ver­stop­fen.«

Der Wirt ging und kehr­te im Au­gen­blick mit ei­nem Tu­che zu­rück.

»Sper­re das Maul auf, Hund, dass wir dir den Kne­bel hin­ein­schie­ben!« ge­bot Ba­rud el Ama­sat, das Tuch neh­mend und sich zu Ha­lef nie­der­beu­gend. Und da der Had­schi die­sem Be­feh­le nicht Fol­ge leis­te­te, füg­te er hin­zu: »Öff­ne, sonst bre­che ich dir die Zäh­ne mit der Klin­ge aus­ein­an­der!«

Er knie­te ne­ben dem Had­schi nie­der und riss sein Mes­ser aus dem Gür­tel. Jetzt war es die höchs­te Zeit, der Sa­che ein Ende zu ma­chen.

»Schlagt zu!« sag­te ich.

Ich hat­te den um­ge­kehr­ten Stut­zen be­reits stoß­be­reit in die Hän­de ge­nom­men. Ein Hieb, und zwei Bret­ter des La­dens flo­gen in die Stu­be. Zu bei­den Sei­ten von mir schlu­gen auch Osco und Omar zu, so­dass die an­de­ren Tei­le des La­dens nach­flo­gen. Im Nu hat­ten wir die Ge­weh­re um­ge­dreht und die Mün­dun­gen der­sel­ben nach der Stu­be ge­rich­tet.

»Halt! Rührt euch nicht, wenn ihr nicht un­se­re Ku­geln ha­ben wollt!«, rief ich hin­ein.

Ba­rud el Ama­sat, der sein Mes­ser über das Ge­sicht Ha­lefs ge­hal­ten hat­te, fuhr in die Höhe.

»Der Deut­sche!«, rief er er­schro­cken.

»Sih­di!«, rief Ha­lef. »Schießt sie nie­der!«

Aber zu schie­ßen wäre Un­sinn ge­we­sen, da es kei­ne Zie­le für un­se­re Ku­geln mehr gab. Kaum hat­ten näm­lich die Wich­te mei­ne Wor­te ge­hört und mein Ge­sicht ge­se­hen, wel­ches sie bei dem Schein des Lich­tes er­ken­nen konn­ten, so ris­sen sie ihre Ge­weh­re von den Ha­cken und rann­ten zur Stu­be hin­aus, der Wirt mit ih­nen.

»Hin­ein zu Ha­lef!«, ge­bot ich Omar und Osco. »Bin­det ihn los! Löscht aber das Licht aus, da­mit ihr nicht etwa den feind­li­chen Ku­geln ein Ziel bie­tet. Bleibt ru­hig in der Stu­be, bis ich kom­me!«

Sie ge­horch­ten so­fort.

»Du kannst mich hier er­war­ten«, sag­te ich zu dem Schä­fer und eil­te der Mau­er ent­lang nach der Ecke, um wel­che wir vor­hin ge­kom­men wa­ren, und husch­te dann zwi­schen den jun­gen Fich­ten und dem Hau­se bis an die vor­de­re Sei­te des­sel­ben.

Was ich ver­mu­tet hat­te, ge­sch­ah. Ich sah trotz der Dun­kel­heit meh­re­re Ge­stal­ten auf mich zu­kom­men und trat schnell zu­rück, um mich un­ter die nie­ders­ten Äste der Fich­ten zu ver­krie­chen. Kaum lag ich da, so ka­men sie: Ma­nach, Ba­rud, die Alad­schy, Suef und der Wirt.

»Vor­wärts!«, kom­man­dier­te Ba­rud lei­se. »Sie ste­hen noch am La­den. Das Licht muss aus der Stu­be auf sie fal­len und sie be­leuch­ten. Wir se­hen sie also und schie­ßen sie nie­der.«

Er war der Vor­ders­te von ih­nen. Als er die Ecke er­reich­te und an der hin­te­ren Sei­te des Hau­ses hin­abbli­cken konn­te, blieb er ste­hen.

»Ver­dammt!«, sag­te er. »Man sieht nichts. Das Licht ist fort. Was ist zu tun?«

Es trat eine Pau­se ein.

»Wer kann das Licht aus­ge­löscht ha­ben?«, frag­te end­lich Suef.

»Vi­el­leicht hat es ei­ner von uns wäh­rend der Flucht vom Ti­sche ge­ris­sen,« ant­wor­te­te Ma­nach.

»Ver­dammt!«, knirsch­te ei­ner der Alad­schy. »Die­ser Deut­sche steht wirk­lich mit dem Teu­fel im Bund. Kaum mei­nen wir, ihn oder einen sei­ner Leu­te fest zu ha­ben, so ver­rinnt er wie Ne­bel. Nun ste­hen wir da und wis­sen nicht, was wir tun sol­len.«

In die­sem Au­gen­blick ließ sich von da­her, wo der Schä­fer stand, ein lei­ses Hus­ten hö­ren. Er hat­te den Hus­ten­reiz nicht un­ter­drücken kön­nen.

»Hört ihr es? Er steht wirk­lich noch dort,« mein­te Ma­nach.

»So ge­ben wir ihm eine Ku­gel,« sag­te San­dar, der Alad­schy.

»Nie­der mit der Flin­te!«, ge­bot Ma­nach. »Du kannst ihn nicht se­hen, und wenn du schießt, so triffst du ihn nicht, aber du ver­rätst ihm un­se­re An­we­sen­heit. Es muss et­was an­de­res ge­sche­hen. Ko­nakd­schi, keh­re in das Haus zu­rück und be­rich­te uns, wie es drin­nen steht.«

»Alle Teu­fel!«, ant­wor­te­te der Wirt be­denk­lich. »Soll ich mich für euch nie­der­schie­ßen las­sen?«

»Sie wer­den dir nichts tun. Du sagst, dass wir dich ge­zwun­gen ha­ben. Du schiebst al­les auf uns. Sie konn­ten ja auf uns in der Stu­be schie­ßen, ha­ben es aber nicht ge­tan. Daraus magst du er­se­hen, dass sie uns nicht nach dem Le­ben trach­ten. Also geh und lass uns nicht lan­ge auf dich war­ten.«

Er ent­fern­te sich. Die an­de­ren flüs­ter­ten lei­se zu­sam­men. Es dau­er­te nicht lan­ge, so kehr­te der Wirt zu­rück.

»In das Haus könnt ihr nicht,« mel­de­te er; »denn sie ha­ben die Stu­be be­setzt.«

Sie be­rie­ten sich eine Wei­le, ob sie flie­hen oder blei­ben soll­ten. Noch be­vor sie einen Ent­schluss ge­fasst hat­ten, ge­sch­ah et­was, was selbst mir über­ra­schend vor­kam. Man hör­te näm­lich takt­mä­ßi­ge Schrit­te sich von hin­ten dem Hau­se nä­hern, und eine ge­dämpf­te Stim­me kom­man­dier­te:

»Dur! As­ker­ler, tü­fenk­ler dol­du­ru­nuz –– –– halt! Sol­da­ten, la­det die Ge­weh­re!«

Das war die Stim­me des Had­schi, wie ich zu mei­nem Er­stau­nen hör­te.

»Scheïtan!«, flüs­ter­te der Wirt. »Habt ihr es ge­hört? Es sind Sol­da­ten da. Und war es nicht der klei­ne Ha­lef, der kom­man­dier­te?«

»Ja, er war es ganz ge­wiss,« ant­wor­te­te Ba­rud el Ama­sat. »Er ist los­ge­bun­den wor­den und durch das Fens­ter ge­sprun­gen, um die Sol­da­ten her­bei­zu­ho­len, die sein Herr mit­ge­bracht hat. Das kön­nen nur Trup­pen aus Us­kub sein. Wo­her mag er die­se Leu­te so schnell be­kom­men ha­ben!«

»Der Scheïtan sen­det ih­nen von al­len Sei­ten Hil­fe!« zisch­te Ma­nach el Bar­scha. »Un­se­res Blei­bens ist hier nicht. Horcht!«

Wie­der tön­te die Stim­me des Had­schi:

»Du­run bu­rada! Araştıra­cağım –– Hal­tet hier! Ich wer­de re­ko­gnos­zie­ren.«

»Wir müs­sen fort,« flüs­ter­te Ma­nach. »Wenn der Had­schi aus der Stu­be fort ist, so sind auch die an­de­ren nicht mehr drin. Gehe schnell hin­ein, Ko­nakd­schi! Sind sie nicht mehr dort, so bringst du den Mü­ba­rek her­aus. Sein Fie­ber mag noch so hef­tig sein –– er muss auch ver­schwin­den. Wir ho­len un­ter­des­sen un­se­re Pfer­de. Du triffst uns rechts von der Furt un­ter den vier Kas­ta­ni­en. Aber schnell, schnell! Es ist kein Au­gen­blick zu ver­lie­ren.«

Die an­de­ren schie­nen hier­mit ein­ver­stan­den zu sein und husch­ten fort. Jetzt galt es für mich, noch vor ih­nen die Kas­ta­ni­en zu er­rei­chen. Ich war mit der Ört­lich­keit nicht ver­traut, wuss­te aber nun, dass die­se Bäu­me zur rech­ten Sei­te der Furt stan­den, und da ich an die­ser vor­über­ge­kom­men war, so hoff­te ich, das Stell­dich­ein leicht zu fin­den. Das Ge­wehr, das ich bei mir hat­te, ließ ich einst­wei­len hier un­ter den Fich­ten lie­gen, da es mir leicht hin­der­lich wer­den konn­te.