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Nach Abenteuern in der Teufelsschlucht und bei der Juwelenhöhle treffen Kara Ben Nemsi und seine Begleiter auf das Oberhaupt der Verbrecher, den "Schut". Manche gefährliche Situation wird heraufbeschworen, ehe die Jagd, die in der tunesischen Wüste begann, in Albanien zu Ende geht. Die vorliegende Erzählung spielt in den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts. "Der Schut" ist Band 6 des sechsteiligen "Orientzyklus". Weitere Bände sind: "Durch die Wüste" (Band 1) "Durchs wilde Kurdistan" (Band 2) "Von Bagdad nach Stambul" (Band 3) "In den Schluchten des Balkan" (Band 4) "Durch das Land der Skipetaren" (Band 5)
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Seitenzahl: 810
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KARL MAY’s
GESAMMELTE WERKE
BAND 6
DER SCHUT
REISEERZÄHLUNG
VON
KARL MAY
Nach der Fassung von 1962 neu herausgegeben
von Lothar und Bernhard Schmid
© 1996 Karl-May-Verlag
ISBN 978-3-7802-1506-2
KARL-MAY-VERLAG
BAMBERG • RADEBEUL
Unser Ritt ging jetzt voraussichtlich seinem Ende zu; aber es stand zu erwarten, dass der letzte Teil der schwierigste sein würde. Diese Schwierigkeit war teils eine Folge der Bodenverhältnisse, denn wir hatten Berge, Felsen, Täler, Schluchten, Urwälder und Sümpfe vor uns, durch oder über die nicht leicht zu kommen war, teils beruhte sie darauf, dass die Absichten und Ereignisse, denen wir gefolgt waren und auch jetzt noch folgten, zu einem Abschluss drängten, bei dem uns voraussichtlich größere Anstrengungen und Gefahren erwarteten als bisher.
Israd, unser Führer, erwies sich als ein munterer Bursche. Er erzählte uns interessante Episoden aus seinem Leben und gab uns lustige Schilderungen von Land und Leuten, sodass wir gar nicht daran dachten, die Zeit zu messen.
Die Mustafa-Ebene liegt eigentlich am linken Ufer des Wardar, woher wir gekommen waren. Am rechten, an dem wir uns befanden, steigt das Gelände mählich empor, doch ist das Land noch sehr fruchtbar. Wir kamen an reichen Baumwoll- und Tabakfeldern vorüber und sahen fruchttragende Limonien stehen. Doch sagte Israd, dass dies bald aufhöre und wir jenseits der Treska sogar durch Gegenden kommen würden, die ,meraly‘ seien.
Um zu wissen, was dieses Wort bedeutet, muss man sich daran erinnern, dass der Grund und Boden des osmanischen Reiches in fünf verschiedene Klassen eingeteilt wurde.
Die erste Klasse war der ,Mirije‘, das heißt das Land der Staatsdomänen, zu dem selbstverständlich nicht der unfruchtbarste Boden gehörte. Dann kam das ,Wakuf‘, das Eigentum der frommen Stiftungen. Dieser Klasse fiel ohne weiteres alles Land zu, dessen Besitzer ohne Hinterlassung direkter Erben starb. Die dritte Klasse fasste den ,Mülk‘, den Privatgrundbesitz, in sich. Die Besitztitel wurden in der Regel nicht nach einer genauen Messung wie bei uns, sondern nach ungefährer Schätzung ausgestellt. Für jeden Wechsel des Besitzes, also Kauf, war die Genehmigung der Regierung erforderlich, die bei den dortigen Verhältnissen meist nur durch die Bestechung der betreffenden Beamten erlangt werden konnte. Der Mülk litt auch außerordentlich unter den Missbräuchen, die bei der Steuererhebung eingerissen waren. So hatte zum Beispiel die Bodenwirtschaft zehn Prozent Naturalabgabe zu entrichten. Die Steuerpächter verschoben aber gewöhnlich die Einholung dieses Zehnts so lange, bis die Früchte in Fäulnis überzugehen drohten und der Landwirt mehr als zehn vom Hundert bot, um den Ertrag seiner Ernte retten zu können. In die nächste Klasse, ,Metruke‘ genannt, gehörten die Straßen, öffentlichen Plätze und Kommunal-Grundstücke. Die Verkehrswege befanden sich meist in einem beklagenswerten Zustand, was ein Hauptgrund für die wirtschaftliche Notlage des Landes war. Die letzte Klasse wurde ,Mera‘ genannt und umfasste alles wüste und unproduktive Land. Dies war es, was unser Führer meinte, als er ,meraly‘ sagte.
Wir hatten zwei oder drei flache Terrassen zu ersteigen und kamen dann zu der Hochebene, die im Westen steil nach den Ufern der Treska abfällt. Hier ritten wir durch einige kleine Dörfer. Der größte und bedeutendste Ort dieser Ebene, Banja, blieb links von uns liegen.
Da wir wussten, dass Israd uns in gerader Richtung führen würde, hatte ich nicht danach getrachtet, die Spuren des uns vorangerittenen Suef aufzusuchen. Es hätte uns nichts nützen können, sondern nur zur Verzögerung unseres Ritts geführt. Nachdem wir ungefähr vier Stunden unterwegs waren, kamen wir durch einen sehr lichten Wald, dessen Bäume weit auseinander standen. Dort trafen wir die Fährte eines einzelnen Reiters, die von links auf unsere Richtung stieß. Ich betrachtete sie aus dem Sattel herab. Es war zwar nicht mit voller Bestimmtheit zu behaupten, aber es ließ sich vermuten, dass es die Fährte Suefs war, zumal das Pferd so scharf ausgegriffen hatte, dass anzunehmen war, der Reiter habe große Eile gehabt. Da sie in unserer Richtung weiterführte, folgten wir ihr, bis nach einiger Zeit eine mehrfache Fährte von rechts her kam.
Jetzt stieg ich ab. Wer einigermaßen Übung besitzt, kann unschwer erkennen, von wie viel Pferden eine solche Spur gemacht wurde, falls es nicht gar zu viele gewesen sind. Ich sah, dass fünf Reiter hier geritten waren; also waren es höchstwahrscheinlich die von uns Gesuchten gewesen. Aus der bereits abgestumpften Schärfe der Ränder an den Hufeindrücken entnahm ich, dass diese Leute vor ungefähr sieben Stunden vorübergekommen waren.
Bei einer solchen Schätzung hat man vieles zu berücksichtigen: die Witterung, die Art des Bodens, ob er hart oder weich, sandig oder lehmig ist, ob er kahl liegt oder mit Pflanzen bewachsen, vielleicht dünn mit Laub bedeckt ist. Auch auf die Luftbewegung und die Tageswärme hat man Obacht zu geben, da die Sonne oder scharfe Luft die Spuren schnell austrocknen, sodass die Ränder eher bröckeln, als wenn es kalt und windstill ist. Der Ungeübte kann bei einer solchen Beurteilung sehr leicht ein höchst irriges Resultat erzielen.
Nun ritten wir auf dieser Fährte fort. Nach einiger Zeit ging der Wald zu Ende und wir kamen wieder auf freies Land. Eine Art von Weg kreuzte hierauf unsere Richtung und wir sahen, dass die Fährte nach rechts abbog, um diesem Pfad zu folgen. Ich blieb also halten und zog mein Fernrohr hervor, um nachzuforschen, ob ich vielleicht einen Ort, einen Gegenstand, ein Gehöft zum Beispiel, finden konnte, dessentwillen die Reiter hier abgebogen waren. Ich konnte aber nichts dergleichen sehen.
„Was tun wir, Sihdi?“, fragte Halef. „Wir können nun auf der Fährte bleiben und wir können Israd weiter folgen.“
„Ich entschließe mich für das Letztere“, antwortete ich. „Diese Leute sind doch nur für kurze Zeit abgewichen und werden später sicher wieder herüberlenken. Wir wissen, wohin sie wollen, und werden uns beeilen, dort anzukommen. Vorwärts also, wie bisher!“
Ich wollte mein Pferd in Bewegung setzen, doch Israd sagte:
„Vielleicht ist es doch geraten, ihnen zu folgen, Effendi. Da drüben rechts zieht sich ein breiter Grund hin, was wir von hier aus nicht sehen können. In ihm liegt ein kleines Tschiftlik[1], in dem die Männer, denen wir folgen, vielleicht eingekehrt sind.“
„Was können wir dort erfahren? Sie werden nicht lange dort verweilen, sondern nur um einen Trunk Wasser oder um einen Bissen Brot gebeten haben. Keinesfalls ist anzunehmen, dass sie gegen die dort wohnenden Leute sehr mitteilsam gewesen sind. Reiten wir weiter!“
Aber schon nach kurzer Zeit wurde ich anderer Meinung. Die Spuren kamen von rechts her zurück, und nach einem nur oberflächlichen Blick bemerkte ich, dass sie ziemlich neu waren. Ich stieg also abermals ab, um sie sorgfältig zu prüfen. Ich fand, dass sie kaum zwei Stunden alt waren. Die Reiter hatten sich also gegen fünf Stunden lang in dem erwähnten Bauernhof aufgehalten. Die Ursache davon musste ich erfahren. Wir bogen also doch nach rechts ein, um das Haus aufzusuchen.
Es lag gar nicht weit entfernt. Wir erreichten sehr bald die Stelle, wo sich die Fläche abwärts nach einem Tal senkte, das ein Bach durchfloss. Es gab da unten saftige Weiden und schöne Äcker. Dennoch machte das Haus den Eindruck der Ärmlichkeit.
Wir sahen einen Mann vor der Tür stehen. Als er uns erblickte, verschwand er im Haus und zog die Tür hinter sich zu.
„Effendi, es scheint, dass dieser Bauer nichts von uns wissen will“, meinte Osko.
„Er wird schon mit sich sprechen lassen. Ich vermute, dass er scheu geworden ist, weil unsere guten Freunde schlecht mit ihm umgesprungen sind, wie es ja ihre Gewohnheit ist. Kennst du ihn vielleicht, Israd?“
„Gesehen habe ich ihn, aber seinen Namen weiß ich nicht“, antwortete der Gefragte. „Ob er aber mich kennt, das weiß ich nicht, da ich noch nicht bei ihm gewesen bin.“
Als wir vor der Tür anlangten, fanden wir sie verschlossen. Wir klopften an, erhielten aber keine Antwort. Nun ritt ich nach der hinteren Seite des Hauses, auch da war eine Tür, aber gleichfalls verriegelt.
Als wir nun stärker klopften und laut riefen, wurde einer der Läden, die auch zugezogen waren, aufgestoßen und der Lauf eines Gewehrs kam zum Vorschein. Dabei rief eine Stimme:
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